Wir geben nicht auf!

28. Juli 2016

Vergangen Sonntag ist in Thessaloniki das zehntägige No-Border-Camp zu Ende gegangen. Der gewählte Ort – Thessaloniki in Nordgriechenland – hatte dabei durchaus mehrfache Symbolkraft. Kein anderes Land in Europa steht so ambivalent für die aktuellen Kämpfe der europäischen Linken und ihre dringendsten Fragen. Im kaputtgesparten Griechenland sind die Folgen der europäischen Austeritätspolitik deutlich zu erkennen. In Griechenland hatten sich die Menschen gegen die europäische Sparpolitik behauptet. Später knickte hier das Linksbündnis Syriza vor den Forderungen aus Brüssel ein. Griechenland ist außerdem oft das erste europäische Land das Geflüchtete auf ihrer Fluchtroute betreten und, seit die Grenzen der Balkanroute geschlossen wurden, ist es für viele auch das letzte. Hier sitzen sie in Auffanglagern, ungewiss wie es für sie weitergeht. Ganz in der Nähe von Thessaloniki, an der mazedonisch-griechischen Grenze war erst im Mai diesen Jahres „Idomeni“ mitsamt seiner Infrastrukturen geräumt worden.

No Border Demo in Kastanies auf dem Weg zum Grenzzaun

No Border Demo in Kastanies auf dem Weg zum Grenzzaun

Welche Themen auf der Agenda standen, war also klar. Eine der spektakuläreren Aktionen der ersten Tage des Camps war die Besetzung des Staatssenders ERT3, bei der durchgesetzt wurde, dass Geflüchtete in verschiedenen Sendungen selber von ihrer Flucht, der Situation in ihren Heimatländern, aber vor allem von den unwürdigen Lebensbedingungen in den verschiedenen Lagern berichten können. Später machten sich einige GenossInnen in einem großen Konvoy bestehend aus Reisebussen, Autos und Vans auf den Weg zu verschiedenen Lagern in Paranesti und Xanthi in der Nähe von Thessaloniki , einerseits um Solidarität zu zeigen, aber vor allem auch um mit den Geflüchteten direkt zu kommunizieren, was die griechische Polizei zeitweise verhinderte. In der ganzen Zeit während des Camps wurden immer wieder Akteure der Flucht-Repression, wie Frontex-Unterfirmen und das deutschen Konsulat, von AktivistInnen markiert.

Das Camp selber fand an der zentral in der Innenstadt gelegenen Universität statt, die eigens dafür besetzt worden war. In den dort stattfindenden Workshops konnte man auch immer wieder deutlich die vorherrschende Hilflosigkeit erkennen. Abseits von Aktionismus und Symbolpolitik zeigte sich, wie schwer es fällt, handlungsfähig zu sein und wie sehr stabile Organisationsstrukturen fehlen. Besonders groß war die Hilflosigkeit in einem Workshop, in dem GenossInnen über die Situation in der Türkei nach dem Putschversuch berichteten. Auf die Frage, wie man praktisch helfen könnte, hatte niemand eine Antwort, außer eben einer weiteren symbolischen Demonstration durch Thessaloniki. Auch die vielleicht größte Frage des Camps blieb unbeantwortet: Wie macht man mit Geflüchteten gemeinsam Politik? Wie erreicht man weitgehendend entrechtete Menschen, die in Lagern weit weg von Städten und solidarischen Strukturen untergebracht sind?

Doch es gab auch schöne, ermunternde Momente: Am letzten Donnerstag fand abends die „Migrant Pride“-Demonstration mit ungefähr 5000 TeilnehmerInnen statt. Tagelang hatten AktivistInnen des Camps die Lager in Nordgriechenland besucht um das nötige Vertrauen aufzubauen und die Geflüchteten zum Demonstrieren zu ermuntern. Zum Sonnenuntergang hin liefen AktivistInnen gemeinsam mit Geflüchteten durch Thessaloniki. Es war eine im besten Sinne bunte Demo, gut gelaunt, wütend und mit klarer Ansage: „Open the Borders“!

Einen Tag später wurde ein Soziales Zentrum für Geflüchtete besetzt. Das Haus „Hurriya“ liegt mitten in der Stadt am zentralen Aristoteles Platz und in direkter Nähe zu Uferpromenade. Schon drei Tage später konnten die ersten Geflüchteten einziehen: Es fehlten nur noch ein paar Stromanschlüsse, ein paar Leitungen mussten repariert werden, aber die meisten Wohnungen waren sauber und auch sofort bewohnbar. Bis zum letzten Tag des Camps hatte sich der Vermieter nur einmal kurz blicken lassen und

Das Orfanotrofio nach der Räumung. Später wurde es komplett abgerissen.

Das Orfanotrofio nach der Räumung. Später wurde es komplett abgerissen.

signalisiert, dass es von seiner Seite keinen Stress geben würde. Die Polizei blieb bis dahin ebenfalls fast unsichtbar.

Das änderte sich heute Morgen: Drei Tage nach dem Ende des Camps, also zu dem Zeitpunkt als wirklich auch die letzten

AktivistInnen die Stadt verlassen hatten, ließ die Stadtregierung ein großes Polizeiaufgebot anrücken und räumte nicht nur das frisch besetzte Haus, sondern auch noch das Refugee Squat “Orfanotrofio” und das besetzte Wohnprojekt “Nikis”, in dem ebenfalls Geflüchtete leben. „Orfanotrofio“ wurde mittlerweile von Bulldozern zerstört und ist, so sagen Kontakte vor Ort, nicht mehr bewohnbar. Die Besetzer vom „Niki“-Hausprojekt werden morgen Mittag dem Richter vorgeführt, von den anderen abgeführten Bewohnern gibt es bis jetzt noch keine Neuigkeiten. Die ungefähr 50 Geflüchtete aus den drei Häusern wurden erst zurück in Lager und dann wegen Platzmangel wieder zurück nach Thessaloniki gebracht. Seit heute Mittag besetzen GenossInnen in Thessaloniki die Büros von Syriza und planen auch mindestens bis morgen Mittag dort zu bleiben.

Ein besetztes Syriza-Büro

Ein besetztes Syriza-Büro

Es bleibt also die Frage wie es jetzt nach dem Camp weitergeht. Gestern hätte der Artikel vielleicht noch mit einem anderen Tonfall geendet, vielleicht sogar mit einem hoffnungsvolleren Ausblick. Gestern war das Haus noch besetzt und es gab zumindest das Gefühl eines ganz praktischen Teilerfolgs. Heute bliebt nur eins zu sagen: das No-Border-Camp hat gezeigt, dass es uns noch gibt. Wir sind frisch vernetzt, frisch motiviert, wir haben neue Ziele im Visier und die alten nochmal abgestaubt. Wir machen weiter mit linksradikaler Politik und kämpfen weiter für richtige Alternativen. Gerade die Räumung der drei Hausprojekte unter einer vermeintlichen Linksregierung hat nochmals gezeigt, dass nur eine linke Politik abseits von Parteien und Parlamenten das Ziel und der Weg sein können. Es geht nach dem Camp also weiter wie davor: Wir stolpern, wir stehen mit dem Rücken zur Wand, aber wir geben nicht auf und vor allem aber sind wir sind stinksauer.

– Aleksandra Gold

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6 Kommentare

    Michael Pauper 28. Juli 2016 - 11:31

    Ich bin der Meinung, dass die Autorin es sich in ihren Schlussfolgerungen etwas zu einfach macht. Sicherlich hat die Entwicklung von Syriza gezeigt, dass eine Partei, die sich letztendlich auf den parlamentarischen Kampf beschränkt und nicht fähig oder willens ist, die lohnabhängige Bevölkerung zum Aufbau geeigneter Machtorgane zu ermutigen, welche es ihnen ermöglicht, die Kontrolle über ihr Leben zu erlangen, zum Scheitern verurteilt ist. Das Problem des Reformismus ist aber nicht erst seit gestern bekannt. Der Utnerschied zwischen einer bürgerlichen und einer revolutionären Partei wird in dem Text aber einfach verwischt. Die Durchhalteparolen à la “Wir geben nicht auf” können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die sog. “antiautoritäre Linke” selbst noch nie etwas geschissen bekommen hat, was über symbolische Aktionen und die Schaffung angeblich “freier Räume” hinausgeht. Die kritische Einsicht, dass die notwendigen Strukturen fehlen, die es der Linken ermöglichen würden, Kämpfe tatsächlich erfolgreich zu führen, wird leider nicht weiter behandelt (welche Strukturen wären das? Wie können Sie geschaffen werden? Wäre ein gemeinsames Programm notwendig? Wie müsste das aussehen? Wie könnte ein solcher Diskussions- und Organisierungsprozess in Gang kommen? etc.). Ich habe aber keine Lust, in dreißig Jahren wie die alten Herren von der Friedensbewegung dazustehen und immer noch zu rufen “Der Kampf geht weiter!”, während überall auf der Welt weiterhin Krieg geführt wird und Menschen sterben. Wir brauchen keinen Heroismus der Pseudo-Aktivität, sondern eine klare Analyse der Probleme und Vorschläge, wie man da raus kommen kann (revolutionäres Übergangsprogramm; Taktiken im Umgang mit Reformisten; Taktiken für Gewerkschaftsarbeit etc.). Ich rate zur Vorischt, dabei das Konzept einer revolutionären Internationale, einer international organisierten revolutionären Partei vorschnell über Bord zu werfen. Eher wäre zu prüfen, was eine solche internationale, revolutionäre Partei leisten müsste und könnte, um den Kampf gegen das kapitalistische System voranzubringen.

    koulkoulaori hamburg 29. Juli 2016 - 22:29

    Immer gerne empfehle ich den Text von den Freunden CrimehInc: Syriza kann Griechenland nicht retten. Warum keine Wahl aus der Krise führt: http://crimethinc.blogspot.de/2015/03/11/syriza-kann-griechenland-nicht-retten/

    koulkoulaori hamburg 28. Juli 2016 - 19:33

    Zusammenfassung der Ereignisse um die Räumungen in Thessaloniki und eine Analyse der politischen Lage

    Räumungen von Refugee-Hausbesetzungen in Thessaloniki – Schlag gegen Solidaritätsbewegung in Griechenland – Prozess gegen 80 griechische und internationale Aktivist*innen – „Our passion for freedom is stronger than their prison“: Bericht aus Thessaloniki

    https://openborder.noblogs.org/post/2016/07/28/zusammenfassung-der-raeumungen-in-thessaloniki-und-eine-analyse-der-politischen-lage/

    koulkoulaori hamburg 29. Juli 2016 - 22:49
    alerta 31. Juli 2016 - 21:13

    “Abseits von Parteien…”???

    Das Problem von SYRIZA und ihren pseudo-“linken” Schwesterparteien in ganz Europa und weltweit ist nicht, dass sie Parteien sind, sondern dass sie bürgerliche Parteien sind, die in keiner Weise den Kapitalismus, auf Basis eines klar antikapitalistischen und sozialistischen Programmes, konkret angreifen und eine tatsächliche Gegenmacht der Lohnabhängigen, der Jugend und aller Unterdrückten, über alle Grenzen hinweg, aufbauen. Eine revolutionäre, antikapitalistische und sozialistische Partei ist die einzige tatsächliche Perspektive für einen Kampf der Arbeiter_innenklasse und aller Unterdrückten gegen die Diktatur der Banken, Konzerne und Milliardäre und ihre politischen Eliten. Die Arbeit in Parlamenten kann dabei niemals Selbstzweck sein – wie bei den Opportunist_innen der Pseudo-“Linkspartei” und ihren reformistischen Freunden in ganz Europa, die sich in der bürgerlichen Scheindemokratie für sich selbst gewinnbringend eingenistet haben und die sich beharrlich weigern, ihre Position einschließlich medialer Reichweiten, Einfluss auf bedeutende Teile der Gewerkschaften usw. für den Aufbau einer tatsächlich klassenkämpferischen Bewegung gegen das globale Krisen- und Kriegssystem auch nur ansatzweise zu nutzen. Eine revolutionäre Partei würde dementsprechend bereits dort ansetzen, wo solche Opportunist_innen ihre sozialen Privilegien sichern wollen und diese gar nicht erst zulassen. Wer politische Ämter übernimmt, darf dafür nicht mehr bekommen als ein durchschnittlicher Arbeiter – der Rest der üppigen Diäten usw. muss für die politische Arbeit, unter ständiger demokratischer Kontrolle der Basis, abgegeben werden. In jedem Falle führt kein Weg vorbei an einer tatsächlich linken, sozialistischen Partei der Arbeiter_innenklasse, die alle Kämpfe unterschiedlicher Gruppen zusammenführt und verallgemeinert und die zugleich von Anfang an internationalistisch orientiert ist.

    alerta 31. Juli 2016 - 21:50

    Im Kontext der verbrecherischen Abschottungspolitik samt ihrer Quasi-Konzentrationslager, der Entrechtung von Flüchtenden, direkter Kooperation mit dem Terrorpaten- und zunehmend faschistoiden Erdogan-Regime usw. usf. zeigt sich besonders drastisch die Verlogenheit und der reaktionäre, im Kern zutiefst arbeiter_innenklassenfeindliche Charakter der Pseudo-“Linken” hierzulande wie europaweit. Kein Wort der “Linkspartei”-Führung zur verbrecherischen Politik der SYRIZA-Führung, keinerlei Aufforderungen die Gewerkschaftsführungen, Flüchtlinge für einen gemeinsamen Kampf gegen die menschenverachtende Politik des deutschen Imperialismus in Zusammenarbeit mit den pseudolinken Vasallen von SYRIZA zu mobilisieren, konkrete Aktionen vor Ort zu unterstützen, u. a. eine europaweite Konferenz zur Mobilisierung massenhaften Widerstandes bis hin zum Generalstreik gegen die laufenden Angriffe auf die Lohnabhängigen sowie die damit verbundene Abschottungspolitik im Interesse der Milliardärsklasse, die lediglich von der sich gerade mit dieser Krise des Kapitalismus unvermeidlich und zwingend stellende Klassenfrage (globale Ausbeutungsverhältnisse und Verteilung des von den Lohnabhängigen erwirtschafteten Reichtums, Krisenabwälzungsprogramme in Europa und weltweit etc.) sowie immer explosivere Klassenspannungenmit aller Gewalt ablenken will – siehe gleichzeitiger Aufbau und gezielte Förderung einer neofaschistischen Bewegung – usw. usf.
    Wo immer es auf einen klaren Bruch mit dem kapitalistischen Krisen- und Kriegssytem ankommt bzw. dieser den einzigen Ausweg für Millionen von Armen, Unterdrückten und Marginalisierten sowie für die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung insgesamt darstellt, versucht die Pseudo-“Linke” einen eben solchen mit allen Mitteln zu unterbinden bzw. macht bei Bedarf gemeinsame Sache mit dem Gewalt- und Repressionsapparat der Kapitalisten gegen eine unabhängige, organisierte klassenkämpferische Politik, die die Tageskämpfe der Lohnabhängigen und Unterdrückten mit konkreten Schritten für eine demokratische Reorganisierung von Wirtschaft und Gesellschaft unter Kontrolle der Beschäftigten und Verbraucher_innen, über ihre eigenen Kampf- und Machtorgane, verbindet. Letztere ist der einzige Weg, die immer tiefere, eigengesetzliche Krise des Kapitalismus, die immer mehr Zerstörung und Krieg verursacht und die Existenzen von Hunderten Millionen Menschen vernichtet sowie das Überleben der Menschheit insgesamt bedroht, im Interesse der Lohnabhängigen, der Jugend und aller Unterdrückten zu lösen.