Die deutsche Debatte nach dem Anschlag von München.
Alles an dem Geraune, das nach den Attentaten von Ansbach, Würzburg und München, einsetzte, ist ekelhaft: Die Hetze der Rechten, die sich unverhohlen freuten, dass ihnen neue Wähler*innen zugetrieben werden; die 1st-world-Überheblichkeit der verängstigten Normalbürger, die vor allem darüber schockiert waren, dass das nun hier bei uns geschehe, denn eigentlich gehört Terror und Krieg ja irgendwoanders hin, weit weg zu den Unzivilisierten; die panischen Versuche einer Sahra Wagenknecht, ein bisschen so zu klingen wie die AfD, ohne aber so verstanden werden zu wollen. Und vieles mehr.
Hier soll es um einen einzigen Punkt gehen. Um den, wie mit dem tödlichsten der Anschläge, dem in München, umgegangen wird. Nach allem, was wir bislang wissen, ist der Mörder von München kein Islamist. Selbst dürfte er sich in der äußersten Rechten verortet haben. „Er war stolz darauf, wie Hitler am 20. April geboren zu sein“, schreibt die FAZ unter Bezugnahme auf Sicherheitskreise. David S. wählte sowohl den Tag seines Attentats bewußt – es war der Jahrestag des Massenmordes von Anders Breivik -, wie er auch die Opfer genau auswählte: Türk*innen, Araber*innen, oder wen er dafür hielt.
Seine iranischen Wurzeln werden seitdem von denjenigen Rechten, die Gleiches denken wie der Terrorist, als Argument dafür angeführt, er könne gar keiner von ihnen sein. Doch Faschist ist, wer Faschistisches denkt und tut. Und Rassist ist, wer Rassistisches denkt und tut. Überall. Es gibt türkische Faschisten, italienische, spanische, israelische. Und unserer derzeitigen Kenntnis zufolge war David S. genau das: Ein Rassist und Faschist. Das eint ihn mit denen, die noch während der Bluttat frohlockten.
„AfD wählen!“ war der erste Kommentar des AfD-Pressesprechers Christian Lüth, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte, dass der Terrorist das ohnehin getan hätte. Und „Ja zur Leitkultur!“ twitterte der AfD-Politiker Mirko Welsch, unwissend, dass der Türk*innen und Araber*innen tötende David S. gerade ganz nach der Schießbefehl-Leitkultur handelte. Am 25. Juli veröffentlichte die AfD ein Papier zur „Sicherheitslage“. In dem Traktat die übliche Hetze: „Multikulti“ ist Schuld und Grenzen müssen geschlossen werden. Nichts davon trifft auf München zu. Deshalb nennt die Arschlochpartei für Deutschland auch gleich erst gar nicht die Orte, von denen sie spricht.
Terror kann der Nazi nicht, das kann nur der Islamist
Würde sie nämlich nicht in den sicheren Sphären der Andeutungen verbleiben, müsste sie von dem Terror sprechen, den es wirklich in diesem Land gibt. Dem Terror ihrer Gesinnungsgenossen, dem rechten Terror. Seit 1990 starben mindestens 178 Menschen an den Folgen rechter Gewalt: Erschlagen, erschossen, erstochen wurden sie für genau jene menschenfeindliche Ideologie, die ihre Schreibtischvordenker in die Sozialen Medien erbrechen. Und dann war doch hier noch etwas, oder? Ach ja, den Nationalsozialistischen Untergrund, eine staatlich unterstützte neonazistische Mordmiliz hatten wir ja auch noch. Wollen wir noch mehr? 528 Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte gab es im Jahr 2015, der bei weitem überwiegende Teil sicher durchgeführt von unseren besorgten Migrationskritikern.
Selten bis nie wird von „Terror“ gesprochen, obwohl das Vorgehen der rassistischen Gewalttäter im Duden als Erklärung dieses Begriffs stehen könnte. Es geht darum, den Menschen, die als Feind*innen identifiziert wurden, durch Gewalt gegen Schwächere Angst zu machen. Die Täter sind aber dennoch keine „Terroristen“ in der öffentlichen Wahrnehmung. Terror, das kann nur der Islamist und manchmal die Linken, wenn sie Farbbeutel werfen oder Institutionen des Staates angreifen.
Der arme Amokläufer
Und jetzt München. Einen wikipedia-Eintrag zum „Terroranschlag von München 2016“ gibt es nicht. Es gibt nur einen zum „Amoklauf in München am 22. Juli 2016“. Das widerspiegelt die allgemeine Praxis der Leitmedien und Politiker, David S. nicht mehr „Terrorist“ zu nennen, seitdem klar wurde, dass er nicht für das Kalifat, sondern aus Hass auf Türk*innen und Araber*innen schlachtete.
Es wird nun überlegt, was ihn wohl trieb: War er gemobbt worden? Hatte er die falschen Computerspiele gespielt? War er ein Außenseiter, weil er komisch sprach und hinkte? Vielleicht. Aber auf den einfachen Gedanken, dass nichts davon zu dieser Art Morden führt, könnte man kommen. Was aber durchaus zum Morden führt, ist eine Ideologie, in der man – zum Beispiel – Türk*innen und Araber*innen als „minderwertig“ ansieht und sie für sein Elend verantwortlich macht.
Diese Ideologie heißt gemeinhin Rassismus. Und David S. teilte sie mit so vielen aus NPD, Kameradschaften, AfD, Pegida und bürgerlicher Mitte. Während seine Brüder und Schwestern im Geiste diese Ideologie in Wahlprogramme schreiben, anderen durch Hetze einzuflößen versuchen und bisweilen auf Grundlage dieser Ideologie Menschen totschlagen oder Flüchtlingsheime anzünden, griff David S. zur Waffe. Vielleicht ging er weiter als seine Geschwister. Aber er ging auf keinem anderen Weg. Und wenn wir über „Terrorismus“ in Deutschland reden wollen, dann müssen wir über diesen Weg reden – und über diejenigen, die ihn bahnen.
– Von Peter Schaber
A. Spillmann 28. Juli 2016 - 6:33
Damit’s jeder versteht, nehmen wir mal die vereinfachte Bedeutung von Terror: „Systematische Verbreitung von Angst, Schrecken und Unsicherheit“
Bisher gab es keinen faschistischen Terror. Es gab und gibt faschistische Gewalt.
Jetzt kann und wird München von der anderen „Seite“ instrumentalisiert und die Ängste vor faschistischen Terror werden erst geschaffen und verbreitet.
Ich behaupte mal, dass der Durchschnittsdeutsche einen solchen dennoch als das kleinere Übel ansehen würde.
Juke 28. Juli 2016 - 15:24
Vielleicht gab es für Dich keinen faschistischen Terror. Dann bist Du vermutlich die deutsche Standardkartoffel. Denn eine „Systematische Verbreitung von Angst, Schrecken und Unsicherheit“ gibt es in vielen Regionen Deutschlands für imaginiert fremd Aussehende schon lange.
Frau D. 28. Juli 2016 - 23:20
Terror definiert sich nicht darüber, was Ihr sog. „Durchschnittsdeutscher“ dafür hält, Herr S. Terror ist nicht deshalb kein Terror, wenn er „das kleinere Übel“ ist. Was ist das im übrigen für eine fahrlässig und empörend verharmlosende Bezeichnung, noch dazu für faschistischen Terror???
Vor allem: Mindestens unter „Durchschnittsdeutschen“ etwa mit anderer Hautfarbe, mit Migrationshintergrund etc. verbreitet faschistische Gewalt aber sowas von systematisch die von Ihnen erwähnten, Terror definierenden Ängste, Schrecken und Unsicherheiten. Und genau das will faschistische Gewalt nämlich auch sein: Terror. Weil nur mit ihm Faschismus funktioniert und er dessen Grundlage ist.
Leander 28. Juli 2016 - 10:47
Also angesichts der Faktenlage kann man den Amoklauf von München nicht als rechtsextremistischen Terror werten. Tut man es doch, macht man sich ganz genauso der Instrumentalisierung schuldig, die man AFD et al zu Recht vorwirft!
Zitate aus Berichten der SZ:
“ In einem mehrere Seiten langen „Manifest“, das die Ermittler in der Wohnung von David S. fanden, kreisen seine Gedanken über den nicht geschafften Realschulabschluss, über Perspektivlosigkeit – und dass andere Leute schuld daran seien.“
und:
„Er [ein Mitschüler des Täters] berichtet in dem Post auch, dass der 18-jährige David S. seit Jahren von seinen Mitschülern aufs Übelste gemobbt worden sei. Auch eine Bekannte einer Mutter einer Mitschülerin berichtet, dass der leicht hinkende und linkisch wirkende David S. von Mitschülern „gequält“ worden sei. Man habe ihn gefesselt und geschminkt, während des Sportunterrichts auf seine Privatklamotten uriniert, ihn verprügelt und beleidigt.“
Sissy Fuß 28. Juli 2016 - 22:06
„Diese Ideologie heißt gemeinhin Rassismus.“ – Den hat David S., nach allem was man hört, von manchen Mitschülern reichlich zu spüren bekommen.
„Aber auf den einfachen Gedanken, dass nichts davon zu dieser Art Morden führt, könnte man kommen.“ – Man kann es aber auch bleiben lassen, denn warum sollte man auf so einen Bullshit wie „nichts davon“ kommen?
Täglich gibt es Racheexplosionen von Gemobbten. Mal ganz kleine wie die, als ich dem Quälgeist aus dem Nachbarhaus die Brille zerkloppt habe, weil ich seine Tritte nicht mehr ertragen wollte. Mal ganz große wie die, als zwei Kids in Littleton ihre Mitschüler massakrierten. Die Frage, welche Mechanismen hinter Mobbing stecken, könnte auch für ein Lower Class Magazine interessant sein, oder?
alerta 31. Juli 2016 - 22:05
Ohne die chauvinistischen und rassistischen Dauerkampagnen der Konzern- und Elitenmedien, zugespitzt seit dem vergangenen Herbst mit Dauerwerbesendungen für AfD & Co. sowie dem Aufbauschen der mutmaßlichen, bis heute nicht völlig geklärten Ereignisse der „Silvesternacht in Köln“ (zur sehr langen Liste durchaus vergleichbarer Inszenierungen im Klassenkampf von oben durch so genannte „Sicherheitsinstanzen“ des bürgerlichen Staates reicht ein Googeln von Begriffen wie „false flag“ usw.), sowie eines nach außen wie im Inneren beständig aufrüstenden und militarisierenden bürgerlichen Staates ist eine Tat wie das Massaker von München nicht zu erklären. Gerade deswegen schweigen die bürgerlichen Massenmedien ja auch weitgehend zum rassistischen und nationalistischen Hintergrund dieser Tat, und auf ein vergleichbares Aufgebot an wochenlangen „Sondersendungen“ und „Brennpunkten“ wie im Falle der AfD-Förderungskampagnen zu Beginn des Jahres wird man dementsprechend weiterhin vergeblich warten.