Kritik & Perspektiven um Organisierung und revolutionäre Praxis
Einleitung
Neben einer stillen Ohnmacht, die viele von uns derzeit vor dem Hintergrund der sich rasant verschärfenden Angriffe des kapitalistischen Systems und der fehlenden Stärke linker Bewegungen befällt, nehmen wir in den letzten Jahren aber auch hoffnungsvoll eine neue Suchbewegung unter Linken und Linksradikalen wahr. Die Frage nach einer möglichen tatsächlichen Alternative zum Kapitalismus wird wieder stärker diskutiert – oder die Diskussion darüber zumindest stärker eingefordert – ebenso wie die Diskussion über die Frage, mit welchen konkreten Mitteln und Methoden eine tatsächliche Überwindung des kapitalistischen Systems denkbar sein könnte. Diese Suchbewegungen zeigen sich in den zahlreichen Diskussionen, die wir egal wohin wir kommen, mit Genoss_innen führen, den zahlreichen Strategiepapieren, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden und der in ihnen geäußerten Kritik an unserer bisherigen Politik sowie der Suche nach Strategien, die den aktuellen Entwicklungen entsprechen.
Die vorliegenden elf Thesen verstehen wir als einen Beitrag zu dieser Diskussion und der Suche nach einer Neuausrichtung linksradikaler Politik. Wir sind (bisher) ein kleiner Zusammenhang aus Personen, die aus unterschiedlichen ideologischen Traditionen (marxistisch, marxistisch-leninistisch, autonom, anarchistisch und libertär kommunistisch) und geographischen Hintergründen (BRD, Türkei, Iran, Kurdistan) kommen. Wir sind uns auf den üblichen Aktionen und Bündnistreffen in Bremen begegnet und sind zunehmend über die Frage in Diskussion gekommen, wie eine konkrete Gesellschaftsveränderung in der hiesigen Gesellschaft aussehen könnte und welcher konkreten Schritte es hierfür bedarf. Gemeinsam war uns die Unzufriedenheit mit unserer bisherigen Politik und die fehlenden Perspektiven sowohl der radikalen deutschen als auch migrantischen Linken in der BRD. Aus diesen anfangs eher lockeren Begegnungen ist inzwischen ein fester Zusammenhang geworden. Neben unseren eigenen Erfahrungen haben wir auch einige der veröffentlichten Strategiepapiere und Analysen anderer Gruppen gemeinsam gelesen und diskutiert.
Aus unseren Diskussionen sind die vorliegenden Thesen entstanden. Wir haben versucht, in ihnen auszudrücken, was unsere Kritik an unserer bisherigen Politik bzw. der Politik von weiten Teilen der in der Bundesrepublik lebenden radikalen Linken ist. Darüber hinaus enthalten sie auch unsere Gedanken zu der Frage, welche konkreten Veränderungen unserer Praxis wir für notwendig erachten. Die Analyse der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen bildete zwar eine wichtige Grundlage für unsere Diskussionen und Ergebnisse, in der Ausformulierung der Thesen haben wir uns jedoch stärker auf die Frage konzentriert, welche Rückschlüsse wir daraus für eine konkrete Veränderung der Praxis ziehen. Auch weil wir das Gefühl haben, dass diese konkreten Schritte in den meisten der veröffentlichten Strategiepapiere zu kurz gekommen sind.
Wir sehen die Thesen nicht als der Weisheit letzter Schluss, sondern als eine Zusammenfassung unseres bisherigen Diskussionsstandes. Viele Fragen werden dabei von uns eher aufgeworfen als beantwortet. Mit der Veröffentlichung möchten wir uns der laufenden Debatte anschließen und mit allen denjenigen in Austausch treten, die an ähnlichen Punkten stehen oder ähnliche Fragen diskutieren. Entsprechend freuen wir uns über eure Kritik, Rückmeldungen, Ergänzungen, weitere Diskussionsbeiträge, Einladungen zu Austauschtreffen etc.1. Wir selbst planen unsererseits, Interessierte zu weiteren Austauschtreffen einzuladen, um die Diskussion um Organisierung und revolutionäre Praxis in der BRD zu intensivieren. Unser Ziel darüber hinaus ist, der Beginn eines tatsächlichen Organisierungsprozesses.
Revolutionäre Politik in der Bundesrepublik
Wir sind uns bewusst, dass sich in unrevolutionären Zeiten keine revolutionäre Praxis in der Masse führen lässt. Trotzdem sind wir der Meinung, dass die Realität revolutionärer Politik in der bundesdeutschen Gesellschaft nicht mit den Potentialen übereinstimmt. Und dies hat auch etwas mit der bisherigen Ausrichtung linksradikaler Politik zu tun. Wir können zwar keine direkte revolutionäre Entwicklung erwarten, aber wir können wesentlich mehr dafür tun, dass sich dieses Potential entwickelt und uns besser vorbereiten. Und dies trotz – oder gerade wegen – der Tatsache, dass sich immer mehr Menschen rechtspopulistischen und rassistischen Ideologien zuwenden, in denen die autoritäre und militarisierte Umgestaltung der Gesellschaft in einer neuen Dimension zugespitzt wird.
Vor dem Hintergrund der rassistischen und nationalistischen Mobilisierungen und dem Fehlen breiter sozialer Bewegungen in der BRD ist eine verbreitete Reaktion der hiesigen radikalen Linken, die Möglichkeit echter revolutionärer Veränderungen in dieser Gesellschaft als naiv oder illusionär abzustreiten und die bundesdeutsche Gesellschaft als reaktionär und unveränderbar abzustempeln. Diesem Aspekt sowie seiner Kritik widmet sich die erste These Revolutionäre Politik heißt, um das Potential der Gesellschaft zu wissen. Im Zentrum unserer Analysen stand zudem die Feststellung, dass die fehlende Organisierung von radikalen Linken eine der zentralen Ursachen für ihre Strategie- und Wirkungslosigkeit ist. Entsprechend nimmt die zweite These Die Basis einer gesellschaftlichen Kraft ist die Organisierung einen zentralen Platz ein. In den ihr folgenden Thesen versuchen wir, einige Grundlagen einer möglichen Organisierung von radikalen Linken sowie einer revolutionären Praxis näher zu umreißen. Aufgrund der Zusammensetzung unserer Gruppe sowie unserer gemeinsamen Analysen spielt Internationalismus als strategischer Leitfaden für uns eine wichtige Rolle, sowohl für den Organisierungsprozess an sich als auch im Hinblick auf die strategische Ausrichtung unserer politischen Praxis (These 3). Die von uns für relevant erachtete Praxis versuchen wir in der vierten These Neuausrichtung linksradikaler Politik zu konkretisieren. Dabei gehen wir in der fünften These Das Leben mit einbeziehen nochmal etwas genauer auf die Frage ein, inwiefern der Auf- und Ausbau linksradikaler Projekte als Strategie der Gesellschaftsveränderung aus unserer Sicht sinnvoll ist. Der Kritik an der oftmals subkulturellen, selbstbezogenen und identitären Ausrichtung linksradikaler Politik sowie der Frage, wieso sich dies trotz vielfältiger, jahrzehntelanger Kritik nicht verändert, gehen wir in der sechsten These Raus aus der Subkultur nach. Dem schließen sich Überlegungen zur Frage der revolutionären Lebensführung bzw. der Entwicklung einer revolutionären Kultur in linksradikalen Strukturen in der siebten These Revolutionäre Kultur statt neoliberale Werte an. Mit dem Niedergang der linken Bewegungen in den 90er Jahren ist auch die Auseinandersetzung mit echten Alternativen zum Kapitalismus in weiten Teilen der radikalen Linken in den Hintergrund gerückt. In unserer achten These Alternativen aneignen und verbreiten erklären wir, warum wir die Diskussion um und Suche nach möglichen alternativen Gesellschaftsmodellen als ein zentrales Element linksradikaler Politik begreifen. Sowohl bei der Suche nach alternativen Gesellschaftsmodellen als auch bei der Bestimmung unserer Praxis und Strategie spielt für uns die Auseinandersetzung mit revolutionären Theorien eine große Rolle. Dabei besteht jedoch die Tendenz (die sich auch aktuell wieder stärker zeigt), sich ausschließlich einzelnen geschlossenen Theoriegebäuden zu zuwenden und dadurch die Grabenkämpfe aus der Geschichte ohne materielle Notwendigkeit zu wiederholen. In der neunten These setzen wir uns deshalb mit dem Umgang mit Theorie und revolutionären Theorietraditionen auseinander. Schließlich kommen wir in der zehnten These auf die Bedeutung von Bildung sowohl als festem Bestandteil innerhalb einer organisierten radikalen Linken als auch langfristig im Rahmen des Aufbaus eines alternativen Bildungssystem i.S. von Akademien von unten zu sprechen. Obwohl die in unseren Thesen formulierte Kritik und beschriebene Notwendigkeit zur grundlegenden Veränderung linksradikaler Politik nicht neu ist, hat sich bisher herzlich wenig an unserer Politik geändert. Deshalb steht in der elften und letzten These Es braucht den bewussten Bruch mit dem Gewohnten unserer bisherigen Praxis nochmal die Frage im Mittelpunkt, wie wir vermeiden können, dass unsere geäußerten Kritiken, Strategiepapiere und Diskussionsergebnisse nicht nur Papiertiger bleiben, sondern auch in einer veränderten Praxis ihren Niederschlag finden.
Bevor die Thesen beginnen, möchten wir an dieser Stelle eine kurze Bemerkung zu der Frage nach der Bedeutung unterschiedlicher Unterdrückungsformen voranstellen. Dies schien uns notwendig, da wir in den Thesen häufig vom „Kampf gegen den Kapitalismus“ oder „dem herrschenden kapitalistischen System“ schreiben ohne andere Unterdrückungsformen explizit zu benennen. Wenn wir in den elf Thesen insgesamt tatsächlich (zu) wenig auf die spezifischen Fragen des Kampfes gegen das Patriarchat oder rassistische Strukturen eingehen, so heißt das nicht, dass wir darin prinzipiell keine Notwendigkeit sehen oder diese als nachrangig betrachten. Vielmehr teilen wir die Ansicht, dass die gesellschaftliche Totalität nicht im Kapitalverhältnis aufgeht bzw. sich mit der Überwindung des Kapitalverhältnisses nicht alle anderen Unterdrückungsformen von selbst aufheben. Es ist wohl überflüssig, zu betonen, dass Patriarchat und Rassismus (ebenso wie andere Unterdrückungsformen) lange existierten, bevor sich der Kapitalismus entwickelt hat. Gleichzeitig befinden wir uns heute in der historischen Phase des Kapitalismus, der als herrschendes Organisationsprinzip der Gesellschaft alle anderen Unterdrückungsformen verbindet, überlagert, verstärkt, verformt bzw. teilweise sogar verringert.
Entsprechend sind die (häufig voneinander getrennt geführten) Kämpfe gegen die unterschiedlichen Unterdrückungsverhältnisse im kapitalistischen System nur zusammen zu denken und zu führen. Die Geschichte zeigt uns an zahlreichen Beispielen, dass die Trennung der unterschiedlichen Kämpfe voneinander zum Scheitern verurteilt ist. So wird der Kampf gegen das Patriarchat ohne antikapitalistische Perspektive vom System verschluckt und läuft zwangsweise ins Leere. Und auf der anderen Seite haben wir in vielen revolutionären Bewegungen der Vergangenheit gesehen, dass Frauen trotz ihrer Beteiligung an der Revolution in deren Folge letztlich doch wieder an den Herd verbannt wurden. Die Überwindung des patriarchalen Systems ebenso wie rassistischer Strukturen und anderer Unterdrückungsformen muss von Beginn an zentraler Bestandteil unseres Kampfes sein und auch innerhalb von unseren eigenen Strukturen thematisiert werden. Vor allem in traditionellen linken Gruppen findet sich die Tendenz, Revolution aus rein ökonomistischer Perspektive zu betrachten. Wenn wir jedoch von Kapitalismus sprechen, dann meinen wir damit nicht nur die ökonomische Seite, sondern alle Facetten der Ausbeutung und Unterdrückung in der heutigen Gesellschaft. Revolution begreifen wir in diesem Sinne als einen kontinuierlichen Prozess zur Überwindung aller Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen.
These 1 Revolutionäre Politik heißt, um das Potential der Gesellschaft zu wissen
Es ist egal, wo wir hinschauen, ob in die aktionsorientierten und praxisbestimmenden Gruppen oder die theoriebezogenen und meinungsbildenden Kreise – eines ist hierzulande bei allen Unterschieden einem Großteil der Linksradikalen gemein: sie empfinden eine tiefe Abneigung gegen die Gesellschaft und fühlen sich ihr überlegen. Und tatsächlich fällt es auf den ersten Blick auch gar nicht schwer, Gründe zu finden, welche zumindest die Ablehnung der Gesellschaft nachvollziehbar erscheinen lassen. Seien es die nationalsozialistischen Kontinuitäten, die Autoritätsgläubigkeit, rassistische, nationalistische, sexistische und homophobe Tendenzen, die selbstgefällige und verlogene Ideologie der Vorzeigedemokratie und Hort der Menschenrechte, welche die innenpolitischen Verhältnisse schönfärbt, vor allem aber dazu dient, die Verantwortung deutscher Geopolitik für weltweites Elend, Ausbeutung und Unterdrückung auszublenden und fortzuschreiben bis hin zum unerschütterlichen Glauben an das eigene Opfer- und Zukurzgekommensein. Folglich sehen wir uns nicht nur im Kampf gegen staatliche und wirtschaftliche Machtstrukturen, sondern in einem Kampf gegen die Gesellschaft als Ganzes. Die Gesellschaft auf diese Weise abzuschreiben (und abzuspalten2), heißt jedoch nichts anderes, als sich – bewusst oder unbewusst - von jedem Anspruch auf eine radikale und emanzipative Gesellschaftsveränderung zu verabschieden. Denn die tatsächliche Überwindung kapitalistischer, patriarchaler und staatlicher Strukturen kann weder für die Gesellschaft erkämpft noch ohne oder gegen sie durchgesetzt werden. Vielmehr ist Revolution nur als kontinuierlicher Prozess zu verstehen, der von breiten Teilen der Bevölkerung getragen und erkämpft wird. Andernfalls verkommt Revolution zu einem Herrschafts- und Zwangsprojekt von oben oder linksradikale Politik zu Elitarismus, weil der Kampf für die Gesellschaft den Kampf in und mit ihr ersetzt. Da Revolution nur als gesellschaftliche Bewegung von unten gedacht werden kann, haben viele Linksradikale die Möglichkeit revolutionärer Bewegungen in der hiesigen Gesellschaft weitgehend abgeschrieben (auch wenn sie weiterhin verbal an der Abschaffung von Staat und Kapitalismus festhalten). Soziale Kämpfe und revolutionäre Erhebungen mögen an anderen Orten der Welt entstehen, die bundesdeutsche Gesellschaft ist für viele radikale Linke hingegen fast schon qua Definition reaktionär und tendenziell faschistisch. Dadurch wird linksradikale Politik zwangsläufig reformistisch und bleibt (günstigenfalls) ein Korrektiv für Missstände des kapitalistisch-parlamentarischen Systems.
Ein genauerer Blick auf die Gründe für die linksradikale Ablehnung der Gesellschaft zeigt, dass sie (neben individuellen Motiven, siehe dazu These 6) auf einem falschen Verständnis der Wechselwirkung von Staat, Gesellschaft und Individuum beruht ebenso wie auf einem fehlenden Geschichtsbewusstsein. Tatsächlich spiegeln sich darin vielfach Bestandteile bürgerlicher Ideologie wider. So zum Beispiel in der Gleichsetzung von Strukturen und Individuen beim Versuch, die Ursachen für reaktionäre Ideologien und Unterdrückung zu untersuchen. Wird z.B. Rassismus nur als individueller Affekt betrachtet und die zugrunde liegende soziale Struktur vernachlässigt, bleibt als Erklärung nur die Annahme der moralischen Deformation des Individuums - die individuelle Unmenschlichkeit („der Mensch, zumal der Deutsche, ist schlecht“) - und die Möglichkeiten politischer Einflussnahme werden – wenn überhaupt - auf persönliche Verhaltensappelle reduziert. Die Gleichsetzung von Strukturen und Individuen (anstatt sie als dialektisches Verhältnis zu begreifen) führt darüber hinaus zu der in linksradikalen Kreisen weit verbreiteten – und in den spezifischen historischen Bedingungen der BRD begründeten - Gleichsetzung von Gesellschaft und Staat. Durch diese Gleichsetzung wird der Kampf gegen den kapitalistischen Staat automatisch zu einem Kampf gegen die Gesellschaft an sich. Die daraus hervorgehende Selbstisolation der radikalen Linken hat zur Folge, dass wir uns in unserem Kampf gegen das System alleine und ohnmächtig wiederfinden und Revolution in unserer Praxis unmöglich erscheint.
Um das grundlegende Potential für emanzipative Veränderungen auch in der bundesdeutschen Gesellschaft zu erkennen, ist es wichtig, dass wir zwischen Strukturen und Individuen und zwischen Staat und Gesellschaft unterscheiden und uns selbst als ein Teil der gespaltenen und widersprüchlichen Gesellschaft begreifen.
Gleichzeitig ist es notwendig, aus der historischen Unmittelbarkeit herauszutreten und unseren historischen Blick zu weiten. Die Erfahrungen der Niederlagen und das Ausbleiben von positiven Kämpfen und Bezugspunkten in den letzten Jahrzehnten lässt diese Erfahrungen als eine endgültige, unbesiegbare Realität erscheinen. Gleichzeitig bildet die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Kontinuitäten für viele radikale Linke in der Bundesrepublik einen wichtigen Ausgangspunkt der Politisierung. Die (wichtige und dringend notwendige) Auseinandersetzung mit dem Faschismus und seinen Folgen bleibt jedoch häufig der einzige historische Bezugspunkt, während das Wissen über die zahlreichen, vergangenen revolutionären Bewegungen und Kämpfe in der hiesigen Gesellschaft weitgehend verloren gegangen ist. Eine Ausweitung unseres historischen Blickes und die Auseinandersetzung mit den widerständigen Momenten auch in diesen Breitengraden zeigt, dass innerhalb der Gesellschaft sowohl autoritäre und faschistische Tendenzen als auch emanzipative und revolutionäre vorhanden sind.
Bewegungen wie 15M, die Gezi-Proteste, die Aufstände im „arabischen Frühling“ aber auch die Besetzungen und der Widerstand gegen die neue Arbeitsrechtsreform in Frankreich sind die aktuellsten Beispiele dafür, dass auch in Gesellschaften, in denen selbst Linke vor Ort keinerlei Potential zur Veränderung mehr gesehen haben, plötzliche soziale Bewegungen entstehen können. Dieses Potential wird tendenziell zunehmend, weil die aggressive Entwicklung des Neoliberalismus weltweit dazu führt, dass die zerstörerische Kraft des Kapitalismus und seine immanenten Widersprüche3 immer offensichtlicher werden. Gleichzeitig finden sich immer mehr Menschen in prekären Arbeits- und Lebensbedingungen wieder, verarmen oder werden marginalisiert. Auch gesellschaftliche Gruppen, die bisher teilweise vom Kapitalismus profitiert haben, verlieren zunehmend ihre Privilegien oder bekommen die Folgen seiner krisenhaften Entwicklung am eigenen Leib zu spüren. Dadurch wächst die Anzahl derjenigen, die ein existentielles Interesse an der Veränderung der Verhältnisse haben, beständig. Diese Tatsache führt nicht automatisch oder zwangsläufig zur Entwicklung von emanzipativen sozialen Protesten oder gar revolutionären Erhebungen. Dennoch bildet die wachsende Unzufriedenheit mit der eigenen Lage und den herrschenden Verhältnissen die Grundlage dafür, dass Menschen das Bedürfnis und die Bereitschaft zur Veränderung entwickeln. Wenn die radikale Linke dieses Potential nicht ernst nimmt, selbst keine Perspektive entwickelt und sich der gefühlten Ohnmacht hingibt, macht sie sich mitverantwortlich, dass reaktionäre und rechte Bewegungen als vermeintliche Lösungsansätze an Stärke gewinnen.
Wenn das Ziel unseres politischen Handelns die tatsächliche Überwindung der kapitalistischen, patriarchalen und staatlichen Verhältnisse ist, dann müssen wir deshalb zu aller erst das Wissen um die Möglichkeit der emanzipativen Gesellschaftsveränderung auch in dieser Gesellschaft in uns selbst und in der Gesellschaft wieder stärken und verbreiten. Das bedeutet auch, die allgemeine menschliche Fähigkeit zur Entfaltung, Entwicklung und Befreiung anzuerkennen und ernst zu nehmen.
These 2 Die Basis einer gesellschaftlichen Kraft ist die Organisierung
Innerhalb der radikalen Linken, unter linken Akademiker_innen sowie allgemein unter jungen politischen Aktivist_innen innerhalb der BRD (aber auch in vielen anderen westlichen Staaten4) herrscht eine weit verbreitete Organisierungsfeindlichkeit bzw. wird in Organisierung zumindest keine Notwendigkeit gesehen. Vielmehr gibt es viele kleine, voneinander getrennt
geführte und teilweise gegenseitig gespaltene Gruppen und Kämpfe.
Einer der wichtigsten Gründe für die Organisierungsfeindlichkeit unter Linksradikalen liegt unserer Meinung nach darin, dass das Wissen um radikaldemokratische, antiautoritäre Formen der Organisierung weitgehend verloren gegangen ist. Wenn vom Aufbau revolutionärer Organisationen gesprochen wird, dann assoziieren die meisten damit dogmatische Kader-, Führungs- oder Zentralismuskonzepte, in denen Autorität, Hierarchie, Instrumentalisierung, Entfremdung der Mitglieder sowie Bürokratie reproduziert werden (und deshalb zurecht insbesondere in anti-autoritären Kreisen abgelehnt werden). Aber auch linksradikale Gruppen, die sich positiv auf Organisierung beziehen, greifen in den Debatten und tatsächlichen Organisierungsvorhaben fast ausschließlich auf eben jene Ansätze zurück.
Als weiterer wichtiger Grund ist der wachsende Einfluss von Theorien zu nennen, die mit dem Niedergang der sozialistischen Bewegungen aus einer Ablehnung orthodox marxistischer Theorien oder als Reaktion auf marxistische Traditionen entstanden sind (Postmodernismus, Poststrukturalismus, Postmarxismus)5. Sie lehnen die Möglichkeit und Notwendigkeit von Massenmobilisierungen sowie eines organisierten Kampfes theoretisch ab und betonen anstatt dessen Mikropolitik oder die Spontaneität der Massen. Unter Linksradikalen haben sich diese Theorien inzwischen als hegemoniale Diskurse etabliert, was den Aufbau von revolutionären Organisationen erheblich erschwert.
Die Notwendigkeit zum Aufbau einer revolutionären Organisation ergibt sich für uns sowohl aus der Analyse der Auswirkungen der kapitalistischen Verhältnisse als auch aus der Analyse historischer und gegenwärtiger revolutionärer Erhebungen, ihren Entstehungsbedingungen sowie den Gründen für ihr Scheitern.
Organisierung als Notwendigkeit, die sich aus der Analyse der kapitalistischen Verhältnisse ergibt
Die postfordistische Organisation der Produktionsweise hat auch der Gesellschaft neue Bedingungen aufgezwungen, aus denen die heutigen neoliberalen Strukturen entstanden sind. Die Logik des Kapitals bzw. die rein ökonomische Logik hat alle Bereiche der Gesellschaft eingenommen. Als Konsequenz haben sich Faktoren wie Konkurrenz, Leistungs- und Arbeitszwang, Individualisierung und Prekarität etabliert, die zur Spaltung und Atomisierung der Gesellschaft führten und führen. Unter solchen Bedingungen werden nicht nur gemeinsame Probleme als individuelle Probleme wahrgenommen und ihnen individuell begegnet. Jede und jeder ist dem kapitalistischen System nach der Zerstörung kollektiver sozialer Strukturen infolge der Durchsetzung des Neoliberalismus6 auch tatsächlich einzeln und allein ausgesetzt, sei es im Betrieb, vor dem Amt, etc. Es ist kein Wunder, dass unter diesen prekären Bedingungen Konkurrenz den Platz von Solidarität einnimmt und Individualisierung den Platz von Gemeinschaftlichkeit. Auch werden rassistische und nationalistische Spaltungstendenzen gestärkt. Die gesellschaftlichen Bedingungen für spontane emanzipative Organisierungsprozesse werden dadurch erheblich erschwert.
Weil die Hegemonie der kapitalistischen Ideen eine strukturelle Hegemonie ist, ist es nicht möglich, einzeln oder in gespaltenen, kleinen Gruppen gegen sie anzukämpfen. Die Prekarität hat auch die materiellen Bedingungen des politischen und sozialen Kampfes von Linksradikalen verändert. Unorganisiert und vereinzelt wächst die Gefahr, dass wir die herrschenden Denkweisen verinnerlichen und reproduzieren oder im Versuch aufgesogen werden, die eigenen Alltagsprobleme individuell zu lösen. Um vor diesem Hintergrund emanzipative Denkweisen zu verteidigen, zu entwickeln und auszuweiten, bedarf es eines organisierten, kollektiven Kampfes. Gleichzeitig bildet Organisierung die Grundlage für politisches Handeln, das sich an der Analyse gesellschaftlicher Bedingungen und Entwicklungen orientiert und daraus Strategien, Taktiken und Ziele ableitet. Die vielen Strategiedebatten in unseren Strukturen und die häufig geäußerte Kritik an unserer Politik werden keine Veränderungen zur Folge haben, solange es keinen festen organisierten Rahmen gibt, in dem Veränderung gemeinsam stattfinden kann.
Organisierung als Notwendigkeit, die sich aus der Analyse historischer und gegenwärtiger revolutionärer Erhebungen ergibt
Neben der Analyse der kapitalistischen Verhältnisse zeigt aber auch eine Analyse der Entstehung und des Verlaufs von revolutionären Erhebungen die Notwendigkeit für organisierte revolutionäre Strukturen. Wir gehen nicht davon aus, dass der Zeitpunkt gesellschaftlicher oder revolutionärer Erhebungen durch revolutionäre Organisationen bestimmt oder vorhergesagt werden kann. Dieser hängt auch von den materiellen und historischen Bedingungen ab.
Die Geschichte zeigt aber, dass revolutionären Erhebungen ebenso wie radikalen Kämpfen häufig jahrzehntelange, kontinuierliche, geduldige, organisierte Arbeit vorausgegangen ist. Sehr anschaulich wird dies z.B. in der russischen Revolution von 1905, der spanischen Revolution von 1936 oder den aktuellen Entwicklungen in Rojava.
Dies macht deutlich, dass revolutionäre Organisationen zur Entstehung einer revolutionären Bewegung beitragen können. In unrevolutionären Zeiten sehen wir die Aufgaben vor allem darin, die Ideen und Methoden der Selbstorganisierung von unten, radikale revolutionäre Diskurse und Analysen in der Gesellschaft zu verbreiten, zum Aufbau selbstorganisierter Strukturen in allen Lebensbereichen aktiv beizutragen und aktuelle Kämpfe zu unterstützen, in denen für die Durchsetzung konkreter Verbesserungen gekämpft wird, sowie Auseinandersetzungen und Kämpfe anzustoßen und zu radikalisieren (siehe dazu ausführlich These 4). Zudem ist es wichtig, soziale und solidarische Strukturen im Sinne einer widerständigen Infrastruktur aufzubauen. Diese sind nicht nur für einen dauerhaften Kampf unabdingbar, sondern auch während revolutionärer Prozesse oftmals entscheidend dafür, dass Aufstände trotz der Angriffe des Systems weiter bestehen können.
Auch die Analyse historischer und gegenwärtiger Aufstände zeigt, dass das Vorhandensein von organisierten Strukturen für den Verlauf von Aufständen von elementarer Wichtigkeit ist. Bewegungen scheitern in sozialen Kämpfen ebenso wie in revolutionären Situationen, wenn sie nicht über eigene ständige organisierte Strukturen verfügen. Zwar sind die Spontaneität der Massen in Kombination mit den materiellen Bedingungen maßgeblich für das Ausbrechen revolutionärer Situationen, die Organisiertheit ist jedoch wichtig für deren Erfolg und Fortbestehen. Andernfalls überlassen wir den Erfolg spontaner Erhebungen völlig ihrer spontanen Durchsetzungskraft gegenüber den organisiert vorgehenden Angriffen des Systems.
Die für viele überraschend aufgebrochenen Erhebungen in den letzten Jahren wie die grüne Bewegung im Iran, die Aufstände des arabischen Frühlings in Ägypten, Tunesien, Syrien, die Gezi-Proteste in der Türkei, die Massenproteste des 15M in Spanien, die Anti-Austeritätsproteste in Griechenland haben zwar gezeigt, dass innerhalb dieser Bewegungen spontan Methoden und Elemente der Selbstorganisierung von unten entwickelt und angewandt wurden und ähnliche Basisstrukturen wie Stadtteilkomitees entstanden sind. Gleichzeitig waren diese spontanen Erhebungen aber massiven Angriffen durch die alten Regimes, reformistische oder konterrevolutionäre Kräfte ausgesetzt, die ihrerseits organisiert vorgingen und versuchten, die Bewegungen zu spalten, zu instrumentalisieren, zu zerschlagen etc. Wenn Menschen in spontanen Erhebungen erst anfangen, sich die Kenntnisse, die Strukturen und die Erfahrung von Selbstorganisierung sowie das politische Bewusstsein und eine revolutionäre Analyse anzueignen, wenn sie am meisten den Angriffen der konterrevolutionären Kräfte ausgesetzt sind, führt das dazu, dass sie nicht in der Lage sind, langfristig zu bestehen.
Die Bewegungen im Iran, der Türkei, Ägypten etc. haben allesamt gezeigt, wie groß die Sehnsucht der Menschen nach Solidarität und Gemeinschaftlichkeit ist und was für ein Potential an gegenseitiger Unterstützung, Kreativität und Solidarität sich in diesen Bewegungen entfaltet hat. Damit solche Aufstände oder Bewegungen aber nicht nur wellenartig entstehen und sich wieder zurück ziehen, zerschlagen oder instrumentalisiert werden, braucht es organisierte revolutionäre Strukturen. Ihre Rolle sehen wir darin, von Beginn an dazu beizutragen, revolutionäre Diskurse zu stärken, Wissen und Methoden weiter zu geben, solidarische soziale Strukturen zur Verfügung zu stellen und so die Gefahren der Spaltung und der Angriffe zu verringern. Es ist fatal zu glauben, unorganisierte oder spontan organisierte Bewegungen könnten sich gegen die organisierten, machtvollen Angriffe des Systems auf Dauer zur Wehr setzen oder diesen Stand halten.
Durch die fehlende Organisierung verfügt linksradikale Politik heutzutage zudem kaum über eine öffentliche Sichtbarkeit, Ansprechbarkeit und damit Anschlussfähigkeit. Dies führt den Verlust der gesellschaftlichen Relevanz linksradikaler Gruppen fort, was wiederum die Spaltung zwischen der Gesellschaft und Linksradikalen vertieft. Ein weiterer Aspekt fehlender Organisierung ist, dass Erfahrungen zwischen Generationen von Aktivist_innen nicht weitergegeben werden können und alle immer wieder von vorne beginnen. Ebenso fehlt die Möglichkeit organisierte Bildungs- und Jugendarbeit zu betreiben und dadurch eine über das (lokal-)mikroskopische hinausreichende Breitenwirkung zu entfalten. Last but not least sind organisierte Strukturen auch sinnvoll, um einzelne lokale oder (Teilbereichs-)Kämpfe miteinander in Verbindung zu setzen und somit dazu beizutragen, dass das Bewusstsein über die zugrunde liegenden, gemeinsam erlebten gesellschaftlichen Ursachen gestärkt wird.
Was wollen wir?
Wir denken die Frage von Organisierung muss auf zwei miteinander verbundenen Ebenen angegangen werden: Zum einen halten wir den Aufbau einer nicht-hierarchischen, überregionalen, revolutionären Organisation von Menschen für notwendig, die sich dem Gedanken und den Methoden der gesellschaftlichen Selbstorganisation und Emanzipation verschrieben haben.
Zum anderen streben wir den Aufbau von Strukturen gesellschaftlicher Selbstorganisation in allen gesellschaftlichen Bereichen und Kämpfen an, so dass der Gedanke und die Methoden der Selbstorganisation von unten immer selbstverständlicher werden und auch in Protest- und Widerstandsbewegungen immer schwerer zu beseitigen sind (sowohl durch Eingriffe von außen wie auch durch selbsternannte Führer_innen von innen). Auf diese zweite Ebene der Organisierung gehen wir in These 4 ausführlich ein.
Aufbau einer revolutionären Organisation
Wir sind nicht in der Lage, in diesem Text eine konkrete Skizze einer revolutionären Organisation zu entwerfen. Dies muss im gemeinsamen Aufbauprozess und aus einer gemeinsamen Praxis und Diskussion entstehen. Dennoch erachten wir es für notwendig, dass sich Menschen organisieren, die in grundlegenden Fragen übereinstimmen. Wir streben i.d.S. keine Organisierung von heterogenen linksradikalen Gruppen auf minimalem gemeinsamen Nenner an. In den folgenden Thesen versuchen wir verschiedene Aspekte und Komponenten zu benennen, die wir für den Aufbauprozess und die politische Ausrichtung einer solchen Organisation für zentral halten.
Wenn wir vom Aufbau einer politischen Organisation sprechen, dann ist zu allererst zu betonen, dass wir hierarchische Organisationsformen und Führungskonzepte für gesellschaftliche Emanzipation und Selbstbestimmung für vollkommen untauglich halten. Historisch hat sich immer wieder gezeigt, dass sie zur Unterdrückung der selbstorganisierten und emanzipatorischen Momente revolutionärer Bewegungen dienten und zur (Wieder-) Herstellung neuer Klassenherrschaft. Die Aufgabe der von uns angestrebten revolutionären politischen Organisation sehen wir dementsprechend weder darin, die Führung von Protest-, und Widerstandsbewegungen oder gar Revolutionen zu übernehmen noch für Menschen zu sprechen.
Aus der Ablehnung hierarchischer Führungskonzepte ergibt sich, dass wir uns auf Strategien und Organisationsformen rückbesinnen oder diese neu entwickeln müssen, in denen Menschen Erfahrungen mit Selbstbestimmung, Selbsttätigkeit und freiem, eigenständigen Denken sammeln können. Die Strukturen dieser Organisation müssen die freie Initiative der Basis schützen, statt sie einer Führung auszuliefern. Einige grundlegende Prinzipien für die Struktur und den Aufbau einer solchen Organisation sind für uns deshalb: die Autonomie der Basisorgane in allen nur sie betreffenden Fragen, die Entscheidungsmacht bleibt bei der Basis, Delegation mit imperativen Mandat, Rechenschaftspflicht und jederzeitige Rückrufbarkeit der Delegierten. Wie eine Organisation im Konkreten jedoch aussieht, wird auch abhängig sein, von den sich aus der Praxis und den konkreten materiellen Bedingungen ergebenden Notwendigkeiten.
Wir streben eine Organisierung auf der Basis gemeinsam geteilter Analysen, Strategien, Haltungen und Grundsätze an. Entsprechend organisieren wir uns trotz unserer unterschiedlichen Hintergründe und gesellschaftlichen Positioniertheiten bewusst in einer gemeinsamen Struktur. Wir sehen die gemeinsame Organisierung als Notwendigkeit um die politische Getthoisierung von migrantischen und nicht-migrantischen radikalen Linken zu überwinden und gegen die gesellschaftlichen Spaltungslinien zu arbeiten (siehe dazu auch These 3). Unsere Stärke liegt unserer Meinung nach in der gemeinsamen Organisierung. Dennoch werden wir es unterstützen, wenn bestimmte Gruppen, die von einzelnen Unterdrückungsverhältnissen betroffen sind, sich innerhalb der Organisation auch autonom organisieren7.
Dem Aufbauprozess einer revolutionären Organisation stehen verschiedene Faktoren entgegen. Als wichtigster Faktor ist die bereits beschriebene Organisierungsfeindlichkeit und das fehlende Interesse an Organisierung unter radikalen Linken zu nennen. Die Erfahrung mindestens der letzten 35 Jahre linksradikaler Bewegung in der Bundesrepublik zeigt, dass der Prozess der Organisierung bewusst voran getrieben werden muss. Das Konzept der Vernetzung, die allmählich zum organischen Zusammenwachsen revolutionärer Zusammenhänge führen soll, hat sich in 35 Jahren nicht einmal bewahrheitet und erscheint uns deshalb ungeeignet. Bundesweite Diskussionen sind für uns nur Mittel der Verständigung unter ähnlich orientierten Aktiven aber kein Ersatz für den tatsächlichen Organisierungsprozess.
In Organisierungsprozessen stoßen wir jedoch auch an verinnerlichte kapitalistische und individualistische Denk- und Verhaltensweisen vieler radikaler Linker, die kollektiven Prozessen entgegen stehen oder diese erschweren. Sich zu organisieren, heißt, Kompromissfähigkeit zu entwickeln, kollektiv denken zu lernen und sich auch zurück nehmen zu können. Damit meinen wir nicht, eigene Überzeugungen und Standpunkte aufzugeben. Vielmehr gilt es zu unterscheiden zwischen grundsätzlichen Überzeugungen, über die es zu diskutieren und notfalls zu streiten gilt und der Tatsache, dass man nicht immer alles mit entscheiden, bestimmen oder beeinflussen muss. In der radikalen Linken sind egoistische Tendenzen und die Eigenschaft, immer die Unterschiedlichkeit zu betonen, stark verbreitet. Diese sind das Produkt der verinnerlichten neoliberalen Normen ebenso wie eine Folge jahrhundertelanger autoritärer Prägung. Daraus ergeben sich psychologische Faktoren, wie die Suche nach Anerkennung und Wertschätzung über Leistung und Profilierungsstreben, die Organisierungsprozesse deutlich hemmen können. Der Aufbau einer Organisierung erfordert es dagegen, sich immer wieder auf die Suche nach dem Gemeinsamen zu begeben, statt vorwiegend das Trennende zu suchen.
Uns ist bewusst, dass der Aufbau einer Organisation, sei sie auch auf basisdemokratischen nicht-hierarchischen Elementen aufgebaut, Gefahren birgt. Hier sehen wir die Entwicklung zu Bürokratismus und Organisationsegoismus, denen sich nur durch Bewusstmachung und ständiger selbstkritischer Auseinandersetzung entgegen wirken lässt – die aber eben auch tatsächlich geschehen muss. Um eine abgehobene und selbstbezügliche Organisationsstruktur zu verhindern, muss der Kern des Aufbaus einer überregionalen Organisation die lokale und regionale Verankerung der beteiligten Gruppen im Alltag und in alltagsbezogenen Kämpfen sein.
Der Aufbau einer nicht-hierarchischen Organisation bedeutet für uns nicht, dass alle Mitglieder alles gleich gut können und alle alles machen müssen. Vielmehr ist das Ziel, im Bewusstsein der bestehenden Unterschiede an Zeit, Fähigkeiten etc., Strukturen aufzubauen, die ein Gleichgewicht schaffen zwischen der Möglichkeit zur Selbstentwicklung auf der einen und der Effizienz der Gruppe auf der anderen Seite. Es müssen also nicht alle alles können, aber es muss prinzipiell die Möglichkeit bestehen, Fähigkeiten zu entwickeln und Wissenstransfer zu ermöglichen. Die Basis ist auch hier, dass alle Mitglieder mit den grundlegenden Inhalten und Ergebnissen übereinstimmen und grundlegende Entscheidungen kollektiv getroffen werden.
These 3 Internationalismus als strategischer Leitfaden
Unter Internationalismus wird häufig ausschließlich die Solidarität mit und Unterstützung von Kämpfen und Bewegungen an anderen Orten der Welt verstanden. Die internationalistische Praxis von Gruppen beinhaltet entsprechend meist vorwiegend die Verbreitung von Informationen, die Durchführung öffentlichkeitswirksamer Aktionen sowie das Sammeln von Spendengeldern. Diese Form des Internationalismus unterliegt bestimmten Konjunkturphasen – von den Palästinagruppen, über die Lateinamerika-Soli bis hin zu den Solidaritätskomitees für Rojava heutzutage.
Durch die fehlenden eigenen Kämpfe und die Bewegungsstarre in der hiesigen Gesellschaft, projizieren viele der Aktivist_innen ihre gesammelten Hoffnungen, Sehnsüchte und Wünsche auf die jeweiligen revolutionären Bewegungen. Durch die Idealisierung und Romantisierung der Bewegungen wenden sich viele der Aktivist_innen jedoch enttäuscht ab, sobald sie die ersten Widersprüche bemerken.
Diese Romantisierung revolutionärer Bewegungen durch einen Teil der radikalen Linken löst auf der anderen Seite gegenläufige Tendenzen innerhalb anderer Teile der Linksradikalen aus. Hier werden die negativen Aspekte der jeweiligen revolutionären Bewegungen meist übertrieben betont und das konkrete Potential ignoriert. Beide Tendenzen führen früher oder später zur Entsolidarisierung (eine von Beginn an, eine nach der Desillusionierung einige Zeit später) – bis eine neue revolutionäre Bewegung am Horizont auftaucht.
Insbesondere bei Bewegungen, in denen organisierte Strukturen eine wichtige Rolle spielen, die über eigene gewachsene Inhalte und Strategien verfügen, wird zudem häufig nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip verfahren. Solidarität findet nur dann statt, wenn die Theorie und Praxis der Organisation ganz mit der eigenen übereinstimmt. Solidarität wird so zur “bedingungslosen Solidarität” und mit Loyalität verwechselt. Beide Haltungen verhindern wechselseitige Impulse, gemeinsame (Lern-) prozesse und Entwicklung auf der Basis echter aber kritischer Solidarität. Ein Beispiel hierfür ist die Haltung der radikalen Linken gegenüber den Entwicklungen in Rojava: Während die einen die kurdische Bewegung und die gesellschaftlichen Umbrüche in Rojava (Nordsyrien) idealisieren, gibt es von anderen nur vernichtende (und in ihrem Kern häufig eurozentristische) Kritik8. Ein kritischer solidarischer Austausch auf Augenhöhe findet sich auf beiden Seiten nur selten.
In fast allen Teilen der radikalen Linken wird internationalistische Solidarität – so sie denn überhaupt Teil der politischen Praxis ist – als Nebenprinzip betrachtet. Entsprechend ist Internationalismus in vielen Gruppen ein Zusatzprojekt, das aus einer moralischen Verpflichtung hervorgeht und nicht als Notwendigkeit, die sich aus einer strategischen Analyse ergibt. Eine Analyse, welche die globale Situation mit der nationalen Ebene in Verbindung bringt und wichtige Entscheidungen für die Art der Organisierung mit sich bringt.
Was wollen wir?
Wir sehen Internationalismus als eine strategische Notwendigkeit, die sich aus der Analyse der
historisch-materiellen Bedingungen ableitet. Aus dieser Analyse ergeben sich Rückschlüsse sowohl für die politische und strategische Ausrichtung als auch für den Aufbau einer revolutionären Organisation.
Internationalismus als strategische Notwendigkeit
Da Kapitalismus ein global organisiertes System ist, muss der Kampf gegen die herrschenden kapitalistischen Verhältnisse ebenfalls global geführt werden. Dies trifft insbesondere auf die heutige historische Phase des Kapitalismus zu, in der seine globalen Eigenschaften und die Herrschaft des Kapitals deutlich stärker entwickelt sind als früher. Auch Imperialismus taucht nicht mehr nur als Konkurrenz zwischen Großmächten auf sondern vor allem in Form globaler Regulierungen der Kapitalverhältnisse (EU, IWF, TTIP etc.) und grenzübergreifenden Unterdrückungsmechanismen (NATO, Frontex etc.). Durch die globale Organisierung des Kapitals sind auch die Lebens- und Kampfbedingungen an unterschiedlichen Orten voneinander abhängig. Als ein deutliches Beispiel hierfür kann die Situation in Griechenland genannt werden.
Durch das fast völlige Fehlen von sozialen Kämpfen in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten konnte die Bundesregierung weitreichende Umstrukturierungen auf dem Arbeitsmarkt (aber auch in anderen Bereichen) vornehmen. Dadurch wurde nicht nur die Konkurrenz innerhalb der EU verstärkt sondern auch das Herrschaftsprojekt der EU gegen die Interessen der Bevölkerungen insgesamt ausgebaut. Diese Entwicklungen haben die Lebens- und Kampfbedingungen v.a. in der europäischen Peripherie massiv verschlechtert. Das Scheitern des isolierten Kampfes der griechischen Bevölkerung gegen die Austeritätspolitik 2015 hat gezeigt, dass die Stärke von sozialen und politischen Bewegungen davon abhängt, inwiefern sich eine gegenseitige Bezugnahme unterschiedlicher weltweiter Kämpfe entwickelt und sich dadurch zunehmend eine internationalistische Dynamik verselbständigt.
Am Beispiel Griechenland wird deutlich, dass das Fehlen von antikapitalistischen Kämpfen in den kapitalistischen Zentren wie der BRD ein wichtiger Faktor ist, der die Bedingungen revolutionärer Bewegungen an anderen Orten der Welt beeinflusst. Dies gilt insbesondere auch für Kämpfe in Ländern des globalen Südens, da der Einfluss der westlich-industrialisierten Staaten hier massiv ist9. Deshalb erschöpft sich Internationalismus für uns nicht in „passiver“ Solidarität mit den Kämpfen an anderen Orten der Welt, sondern beinhaltet v.a. auch die Stärkung internationalistisch ausgerichteter Kämpfe in der bundesdeutschen Gesellschaft. Am Beispiel Griechenland haben wir gesehen, dass sich diese breiten solidarischen Kämpfe nicht entwickelt haben. Ganz im Gegenteil blieb der Versuch einzelner linker und linksradikaler Gruppen, die Solidarität mit den Anti-Austeritätskämpfen der griechischen Bevölkerung auch hier auszuweiten, weitgehend erfolglos. Hier stellt sich die Frage, welche Faktoren der Entstehung internationalistisch ausgerichteter Kämpfe in der Bundesrepublik im Wege stehen.
Gründe für das Ausbleiben von Kämpfen in der bundesdeutschen Gesellschaft
An dieser Stelle sollen einige Faktoren kurz und grob geschildert werden. Die Analyse ist jedoch bei weitem nicht vollständig.
Die Situation in der Bundesrepublik unterscheidet sich von der in anderen westeuropäischen Staaten insbesondere dadurch, dass hierzulande schon lange keinerlei Klassenbewusstsein mehr existiert. Und das, obwohl seit den 90er Jahren permanente massive Angriffe auf die untersten Schichten der Gesellschaft und zuvor erkämpfte soziale Errungenschaften stattgefunden haben. Zu diesen Entwicklungen hat wesentlich das Prinzip der Sozialpartnerschaft beigetragen. In dem von den Großgewerkschaften und der Sozialdemokratie ausgehandelten Klassenkompromiss wurde die nationale Standortlogik zum aufhebenden Argument des Klassenwiderspruchs zwischen Kapital und Arbeit erklärt. Dabei wurden die Stimmen und Bedürfnisse vieler Lohnabhängiger vernachlässigt und unterdrückt, Spaltung vorangetrieben, eine Vertiefung und Radikalisierung von Klassenkämpfen verhindert und dadurch die Hauptinteressen und -bedürfnisse der Entwicklung des deutschen Kapitals gesichert10.
Die Besonderheit der bundesdeutschen Situation zeichnet sich auch dadurch aus, dass die Bundesrepublik wirtschaftlich in der Lage war, am Prinzip der Sozialpartnerschaft trotz der zunehmenden Durchsetzung des Neoliberalismus seit den 80er Jahren festzuhalten. Dies ist in erster Linie auf Zugeständnisse der Gewerkschaften und deren Kontrolle über die organisierten Lohnabhängigen zurück zu führen, bei gleichzeitiger aggressiver Unternehmenspolitik. Denn Sozialpartnerschaft bedeutet nicht die Reduktion sozialer Widersprüche. Vielmehr wurde durch die Beteiligung von Teilen der Lohnabhängigen an den Gewinnen des Kapitals, die Spaltung der Arbeiter_innenklasse insgesamt vorangetrieben. So zeigte sich die Rolle der Gewerkschaften bei Umstrukturierungen und Deregulierungen v.a. in der Spaltung der Lohnabhängigen durch Bestandssicherung für einige Teile auf Kosten anderer (Festangestellte vs. Befristete vs. Leiharbeiter_innen vs. Erwerbslose sowie zugleich innerhalb der einzelnen Gruppen).
Damit einhergehend folgte die Spaltung der Lohnabhängigen in (halbwegs) abgesicherte (vorwiegend deutsche bzw. „gut integrierte“ migrantische) Lohnabhängige auf der einen und einem immer größeren Anteil prekär beschäftigter Lohnabhängiger (darunter zahlreiche Migrant_innen) in schlechten Arbeitsverhältnissen auf der anderen Seite11. Mit der Vertiefung des Neoliberalismus wurde durch zunehmende Flexibilisierung, Maßnahmen wie Agenda 2010 und die Ausweitung der Leiharbeit, der Niedriglohnbereich erheblich ausgeweitet und der Druck auf Erwerbslose und Lohnarbeiter_innen extrem verstärkt12. Ebenso wurden fast alle Bereiche der Gesellschaft ökonomischen Gesichtspunkten untergeordnet, so dass Menschen überall zunehmend unter Leistungsdruck, Zwang zur Selbstoptimierung und Konkurrenz stehen. Die durch prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen erzeugten existentiellen Ängste sind einer der Gründe, warum sich Lohnabhängige aus den unteren Segmenten schwer für Kämpfe mobilisieren lassen.
Eine weitere Besonderheit an der Situation in der Bundesrepublik ist, dass trotz der massiven Angriffe auf die Arbeits- und Lebensbedingungen, Lohnabhängige anders als in anderen Staaten immer noch auf die verbleibenden Reste der sozialen Sicherungssysteme zurückgreifen können. Dadurch sind sie abhängig vom Staat, seiner Kontrolle unterworfen und unter Druck gesetzt, was die Beteiligung an Kämpfen ebenfalls erschwert.
Die kontrollierte und politisch gesteuerte Migration (hier v.a. EU-Arbeitsmigration) spielt darüber hinaus eine wichtige Rolle für die Spaltung des Arbeitsmarktes und die Entwicklung der Interessen des bundesdeutschen Kapitals. Migrationspolitik schafft billige Arbeitsreserven (und ermöglicht so eine Produktion mit niedrigen Löhnen) und erfüllt spezifische Bedürfnisse des Arbeitsmarktes (durch binationale Arbeitsabkommen). Ein zentraler Mechanismus ist hierbei die Verknüpfung des Aufenthaltsrechtes an das Vorhandensein von Lohnarbeit, durch den viele Migrant_innen dazu gezwungen sind, unter den prekärsten Bedingungen und zu jeglichem Lohn zu arbeiten.
All diese bisher genannten Faktoren der Spaltung werden überlagert (und teilweise reproduziert) von rassistischen und nationalistischen Diskursen und dem Konstrukt einer nationalen Gemeinschaft. Durch Medien, Politik etc. wird der Bevölkerung vermittelt, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Flüchtlinge, EU-Bürger_innen etc. die Ursache des Problems seien. Dadurch wird eine Erkenntnis über die tatsächlichen Ursachen der Verschlechterung der Klassenlage sowie über die Ursachen der Spaltung verhindert. Diese massive rassistische und nationalistische Propaganda führt nicht nur zur Spaltung innerhalb der Lohnabhängigen in der Bundesrepublik, sondern auch zur Spaltung auf internationaler Ebene (siehe am Beispiel Griechenland) und wirkt so der Entwicklung von internationalistischen Kämpfen entgegen.
Rückschlüsse für einen aktiven Internationalismus
Die bisherigen Überlegungen machen deutlich: die Hindernisse bzw. Voraussetzungen für die Entstehung von internationaler Solidarität und Beteiligung an internationalen Kämpfen sind dieselben, wie für die Entstehung emanzipatorischer Klassenkämpfe in der hiesigen Gesellschaft. Wesentlich für beide ist, dass die Widersprüche innerhalb der Gesellschaft und die Unvereinbarkeit von Interessengegensätzen verschiedener Klassen wieder ins gesellschaftliche Bewusstsein gebracht werden. Auch gilt es die Gemeinsamkeit und Verbindung von unterschiedlichen Kämpfen herauszustellen und zusammen zu denken – sowohl international als auch hinsichtlich verschiedener Unterdrückungsverhältnisse (Kämpfe gegen rassistische, sexistische, klassistische etc.- Unterdrückung) und unterschiedlicher sozialer Kampffelder (Arbeit, Wohnen, Reproduktion, Gesundheit, Bildung etc.).
Gleichzeitig können aus der Analyse der Verhältnisse auch Rückschlüsse darüber gezogen werden, wo in der Bundesrepublik am ehesten Potentiale zu finden sind, die ein existentielles Interesse an einer sozialen und politischen Veränderung haben (siehe dazu auch These 4). Wir denken, es ist wichtig diese Frage in einer ausführlichen, gemeinsamen Debatte zu diskutieren, damit linksradikale Politik einem politischen Weg folgt und nicht beliebig wird. Wir selbst sehen das Potential zur Veränderung hauptsächlich unter denjenigen Menschen, die von prekären Arbeits- und Lebensbedingungen betroffen sind (ohne zu leugnen, dass auch diese von rassistischen, sexistischen, nationalistischen und religiös-fundamentalistischen Tendenzen durchdrungen und existentiellen Ängsten ausgesetzt sind). Zudem ist auch die Mittelschicht nicht mehr stabil, sondern in weiten Teilen ebenfalls von zunehmender Unsicherheit und Flexibilisierung bedroht. Dadurch nimmt die Anzahl von Menschen, die ein existentielles Interesse an Veränderung haben, prinzipiell zu. Als radikale Linke müssen wir deshalb diskutieren, wie es gelingen kann, dass Menschen ihre eigene prekäre Lage in Verbindung mit den strukturellen Ursachen und der Situation anderer bringen, um rassistischer und nationalistischer Spaltung entgegen zu wirken und solidarische antikapitalistische Kämpfe zu entwickeln.
Internationalismus und der Aufbauprozess einer revolutionären Organisation
Der zweite Aspekt, der sich in Bezug auf Internationalismus aus den o.g. Überlegungen ergibt, bezieht sich auf die Art und den Aufbauprozess einer revolutionären Organisation.
Infolge der Militärputsche und Etablierung von Unterdrückungsregimen kamen vor allem in den 80er Jahren viele Linke aus fast allen Kontinenten der Welt in die Bundesrepublik13. Aber auch heutzutage kommen kontinuierlich politische Genoss_innen aus anderen Ländern in die BRD. Der systematische Druck, sowie die Auswirkungen der rassistischen Verhältnisse, sprachlichen Barrieren und sozialen Isolation führen dazu, dass viele der politischen Aktivist_innen hier passiv werden14. Diejenigen, die dennoch weiter aktiv bleiben, richten ihr Engagement fast ausschließlich auf die Unterstützung der Genoss_innen und Kämpfe im Herkunftsland, sei es in organisierten Exilgruppen oder über Aktivitäten in sozialen Medien (wie die vorwiegend nicht organisierten Aktivist_innen der heutigen Generation). Obwohl z.B. Gruppen der türkischen Linken in der BRD in den 80er Jahren eine Doppelstrategie formuliert hatten, die sowohl Solidarität für die Kämpfe und Genoss_innen in der Türkei und Kurdistan als auch politische Veränderung in der Bundesrepublik umfasste, wurde der zweite Punkt nie ernsthaft angegangen. Die Aktivitäten konzentrierten sich auf Solidaritätsarbeit wie die finanzielle Unterstützung der Genoss_innen durch Spendensammeln, Unterstützung von inhaftierten Genoss_innen sowie Öffentlichkeitsarbeit. Als direkte Verbündete wurden zwar die radikalen Linken in der BRD angesehen, aufgrund der akuten Situation in der Türkei und Kurdistan konzentrierte sich die Zusammenarbeit jedoch überwiegend auf die sogenannten indirekten Verbündeten, wie sozialdemokratische Kräfte, um politischen Druck aufzubauen. Verstärkt wurde diese Entwicklung durch das Fehlen einer revolutionären Bewegung in der Bundesrepublik, an die sich migrantische Gruppen hätten anschließen können. Unter diesen Bedingungen waren und sind Exillinke mit den Köpfen in der Heimat und nur mit den Füßen hier und haben keine politische Perspektive für die hiesige Gesellschaft. Das führt auch dazu, dass sich viele der Linken der ersten Generation noch heute vorwiegend mit politischen Fragen, Gedanken und Ideen von vor 30 Jahren beschäftigen, anstatt Strategien für die heutige Zeit und Gesellschaft zu entwickeln. Dadurch sind sie für migrantische Jugendliche der zweiten und dritten Generation nicht attraktiv und die zahlreichen Erfahrungen konnten nicht weiter gegeben werden. Gleichzeitig bleiben durch das Fehlen einer gut organisierten, in der aktuellen gesellschaftlichen Realität verankerten migrantischen Linken, viele der Jugendliche entweder apolitisch oder schließen sich nationalen Verbänden oder Gemeinden an.
Die Neigung zur Selbstghettoisierung unter migrantischen Gruppen wurde auf der anderen Seite durch eine mehrheitlich weiß-deutsche radikale Linke in der Bundesrepublik gefördert und verstärkt, die nur wenig Interesse an den Kämpfen und der politischen Situation in anderen Ländern zeigte. Darüber hinaus fühlten sich migrantische linke Gruppen und Einzelpersonen in der hiesigen Szene häufig nicht willkommen oder wurden nicht als gleichberechtigte politische Genoss_innen betrachtet – und entsprechend nicht ernsthaft kritisiert oder als nicht radikal genug abgetan. Viele der migrantischen Linken machen bis heute die Erfahrung, von ihren deutschen Genoss_innen in erster Linie als „Flüchtling“ oder „Migrant_in“ angesehen zu werden und in eine Schublade mit rassistischen, faschistischen und religiös-fundamentalistischen Migrant_innen gesteckt zu werden. Aus dieser homogenisierenden Betrachtung folgt, dass auch die Kampfziele der migrantischen Linken seitens der Linksradikalen nicht ernst genommen werden, insbesondere der Kampf gegen rassistische, faschistische, patriarchale und religiös-fundamentalistische Tendenzen innerhalb von migrantischen Communities. Hier spielen Rassismus und Eurozentrismus ebenso eine Rolle wie verinnerlichte Gefühle der Überlegenheit innerhalb der weiß-deutschen radikalen Linken.
Durch die genannten Faktoren blieben und bleiben die Gruppen letztlich voneinander getrennt und durch fehlende Berührungspunkte werden die gegenseitige Unkenntnis und die jeweiligen Vorurteile aufrechterhalten bzw. verstärkt.
Eine revolutionäre Organisation von radikalen Linken muss den Kontakt zu allen in der BRD lebenden Linken suchen und aufbauen, um sich gemeinsam zu organisieren. Die Erfahrungen aus anderen Kämpfen und das Wissen über die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen an unterschiedlichen Orten fließen so in die Analyse der hiesigen Verhältnisse mit ein und stärken eine internationalistische Perspektive. Durch die gemeinsame Organisierung existiert zudem ein direkter Zugang zu und Kenntnis über den migrantischen Teil der bundesdeutschen Bevölkerung, der ein wichtiges Potential für soziale Veränderung darstellt. Darüber hinaus wird dadurch auch verhindert, dass Unterdrückungsformen in Teilen der Bevölkerung nicht ernst genommen oder ausgeklammert werden. Denn nationalistische, rassistische und rechte Tendenzen nehmen in der Bundesrepublik nicht nur innerhalb der weiß-deutschen Bevölkerung zu, sondern auch innerhalb von migrantischen Communities, ebenso wie islamistische Tendenzen im Rahmen der Ausbreitung des politischen Islam. Beide Tendenzen sind sowohl miteinander verwoben (z.B. Faschist_innen aus der BRD und der Türkei, die in vielen grundsätzlichen Themen übereinstimmen) als auch verstärken sie sich gegenseitig (Erfahrungen von Rassismus und Ausschluss fördern nationalistische und islamistische Tendenzen unter Migrant_innen und islamistische und nationalistische Tendenzen unter Migrant_innen stärken ihrerseits rechte Strömungen innerhalb der weiß-deutschen Bevölkerung).
Gleichzeitig heißt Internationalismus klassischerweise auch den Kontakt zu revolutionären Gruppen weltweit zu suchen, deren Kämpfe zu unterstützen, von ihren Erfahrungen zu lernen und in Austausch auf Augenhöhe zu treten. Internationale Solidarität bedeutet für uns, die tatsächliche Auseinandersetzung zu suchen, eigene Kritik zu äußern, Fragen zu stellen und zu diskutieren. Dabei spielen Genoss_innen, die verschiedene Sprachen sprechen und in verschiedenen Debatten stehen eine wichtige Rolle. An ihnen ist es, Texte und Debattenbeiträge zu übersetzen und so das Zusammenwachsen und den Austausch von unterschiedlichen Bewegungen und Diskussionen zu ermöglichen. Gleichzeitig ist längerfristig die Frage zu diskutieren, wie die Zusammenarbeit unter verschiedenen revolutionären Gruppen und Organisationen über nationale Grenzen hinweg und über einen gegenseitigen Austausch hinaus aussehen und funktionieren kann.
These 4 Neuausrichtung linksradikaler Politik
Seit dem Niedergang linker Bewegungen in den 90er Jahren und dem zunehmend offen zutage tretenden Nationalismus und Rassismus in der bundesdeutschen Gesellschaft haben sich große Teile der Linksradikalen von einer Politik der tatsächlichen, radikalen gesellschaftlichen Veränderung von unten verabschiedet. Infolgedessen haben Linksradikale auch ihre Rolle im Prozess der Stärkung gesellschaftlicher Organisierung von unten vernachlässigt. Diese Vernachlässigung spiegelt sich sowohl in der Art und Weise linksradikaler Organisierung als auch in den dominanten politischen Ansätzen wider. Während wir verbal radikal, antikapitalistisch und militant unsere Ablehnung gegen das System auf die Straße tragen, ist die Frage, mit welchen konkreten politischen Methoden und Strategien eine Überwindung der kapitalistischen und staatlichen Strukturen erreicht werden kann und wer die Subjekte dieser Veränderung sind, aus dem Fokus verschwunden. Dabei sind es genau diese Fragen, an der sich linksradikale Politik ausschließlich orientieren und messen muss, so sie sich denn als revolutionär begreift.
Infolge dieser Entwicklungen sind politische Ansätze ins Zentrum linksradikaler Politik gerückt, die auf abstrakter politischer Ebene ansetzen und sich in einzelnen, gespalteten Teilbereichs- und Abwehrkämpfen zerreiben, Einpunktbewegungen und Gipfelmobilisierungen favorisieren und als zentrale Methode Kampagnenpolitik betrachten. Während sich einzelne Gruppen in reine Theoriearbeit flüchten, hechtet ein Großteil der Linksradikalen von einer Aktion und Kampagne zur nächsten, von einem Großevent zum anderen – ohne dabei wesentlich zu wachsen und ohne dabei über eine nennenswerte soziale Verankerung zu verfügen. Immer sind wir zu wenige, immer sind wir überarbeitet, immer kurz vor dem Burnout. Dabei schaffen wir es durchaus ziemlich gut mit nur wenigen Leuten zu den unterschiedlichsten Teilbereichsthemen immer professionalisiertere Kampagnen und Veranstaltungen zu organisieren, mit denen wir mal besser mal schlechter in den gesellschaftlichen und medialen Diskurs eingreifen. Der Fokus liegt dabei jedoch auf Diskurskämpfen, die vorwiegend nur auf medialer Ebene oder unter Intellektuellen geführt werden und sich nicht aus einer gesellschaftlichen Praxis entwickeln und verbreiten15. Dieser politische Ansatz kann unserer Meinung nach der Hegemonie der herrschenden Ideologie jedoch nicht begegnen, weil es fast keinen Kontakt zwischen der politischen Praxis und der Basis der Gesellschaft gibt.
Zudem arbeitet sich die Linksradikale mit ihren Aktionen und Kampagnen an den immer neuen staatlichen Angriffen ab, sei es TTIP, die Asylgesetzgebung, Klimapolitik oder Sicherheitsgesetze. Neue Gesetzesvorhaben werden durch neue Aktionen und Kampagnen beantwortet, so dass linksradikale Politik fast ausschließlich eine Reaktion auf staatliche Politik bleibt bzw. dieser hinterher hinkt. Während wir denken gegen den Staat zu kämpfen, bleiben unsere Kämpfe in dem vom Staat vorgegebenen Rahmen und es entstehen keine eigenen Strukturen, Strategien, Perspektiven und alltägliche Praxen.
Auch diejenigen linksradikalen Gruppen und Organisationen, die eine Verankerung in der Gesellschaft für notwendig erachten, setzen dabei meist auf sozialdemokratische Politikansätze. Durch Bündnisse mit gesellschaftlichen Repräsentant_innen (mit Gewerkschaften, kirchlichen Organisationen, NGOs, Parteien, Vereinen und Verbänden) soll deren vermeintlicher Einfluss genutzt werden um die eigenen politischen Inhalte zu verbreiten. Dabei werden Bündnisse mit gesellschaftlichen Repräsentant_innen als Ersatz für eine echte Organisierung und einen Kampf von unten angesehen. Die Überzeugung, Gesellschaftsveränderung könne über demokratische Teilhabe innerhalb des Staates und der Zivilgesellschaft erzielt werden, reicht weit in linksradikale politische Ansätze hinein. Als Ursachen hierfür sehen wir u.a. das Misstrauen gegenüber der Bevölkerung und ihrem Potential zur Selbstorganisierung und Selbstbestimmung sowie die der Bewegungsstarre folgende Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit. Entsprechend hoch ist die Zahl der linksradikalen Aktivist_innen, die in staatlichen oder politischen Institutionen arbeiten (als Jugendgewerkschaftssekretär_in, wissenschaftliche Mitarbeiter_in der bürgerlichen Parteien, in Flüchtlingsunterkünften, NGOs, staatlich finanzierten Initiativen oder sogar staatlichen Behörden). Historisch betrachtet sind ganze Bewegungen auf diese Weise in den Institutionen assimiliert worden und dadurch verschwunden, wie z.B. weite Teile der Frauenbewegung der 80er Jahre oder die grüne Bewegung in der Partei Bündnis 90/Die Grünen.
Reformistische und linksliberale Politikansätze sind unserer Meinung nach eines der größten Hindernisse und Gefahren für die Entwicklung und das Fortbestehen von revolutionären Bewegungen. Allein die Analyse der Rolle der Sozialdemokratie16 in der Bundesrepublik seit den 1900er Jahren reicht aus, um diese Einschätzung zu unterstreichen. Die Geschichte zeigt, dass die Sozialdemokratie sowohl institutionell als auch ideologisch zur Spaltung der Arbeiterklasse sowie der Spaltung der Linken diente. Ähnlich lässt sich die Geschichte der reformistischen Gewerkschaften in der BRD bis heute auswerten. An zahlreichen Beispielen wird deutlich, wie diese Gewerkschaften zur (nationalistischen und inneren) Spaltung der Lohnabhängigen beigetragen, die Radikalisierung und Ausweitung von Arbeitskämpfen verhindert17, sich in Bündnissen (z.B. Anti-Nazi-Bündnissen) im Nachhinein von linksradikalen Kräften distanziert und diese „fallen gelassen“ haben etc. Aber auch eine Analyse des Scheiterns der sozialen Aufstände an verschiedenen Orten weltweit zeigt die spalterische und konterrevolutionäre Rolle, die reformistische Kräfte spielten (innerhalb der Anti-Austeritätsbewegung in Griechenland, 15M in Spanien, die Aufstände des „arabischen Frühling“, grüne Bewegung im Iran etc.). Dennoch wird von einigen linksradikalen Gruppen immer noch eine Zusammenarbeit mit reformistischen Gewerkschaften etc. als strategisch sinnvoll angestrebt und der Arbeit an der Basis der Gesellschaft vorgezogen.
Auch die Überzeugung, „linke“ Parteien könnten im Rahmen der parlamentarischen Demokratie echte Veränderungen herbeiführen oder Teil einer Gesamtstrategie der Gesellschaftsveränderung sein, findet sich in einigen Teilen der radikalen Linken. Diese Hoffnung auf den Erfolg „linker“ Parteien hat sich in der Vergangenheit nicht nur immer wieder als falsch heraus gestellt (wie zuletzt in Griechenland und Spanien) sondern fatale Auswirkungen auf die realen Bewegungen von unten gehabt. Diese haben sich in der Konzentration auf Wahlkämpfe komplett aufgerieben und sind in ihrer Stärke verschwunden. (z.B. Aktivist_innen der 15M Bewegung in Podemos, türkische und kurdische Linke im Wahlkampf für die HDP, die Proteste der griechischen Bevölkerung in Syriza). Gleichzeitig ziehen „linke“ Parteien die Hoffnung in der Bevölkerung auf sich und führen dazu, dass den eigenen Kämpfen die Basis entzogen wird. Wenn diese Hoffnungen enttäuscht werden, ist dies eine Niederlage, die nachhaltige Auswirkungen hat.
Nach dem bisher Gesagten, lässt sich feststellen, dass die unterschiedlichen politischen Ansätze der radikalen Linken – militante Aktionen, Bündnisse mit gesellschaftlichen Akteuren, Kampagnen etc. – eines gemeinsam haben: sie spiegeln die grundlegende Perspektivlosigkeit und die Erfahrungen der Niederlage der linken Bewegung wider. Zudem fehlt ihnen eine tatsächliche revolutionäre Strategie und Perspektive von unten.
Was wollen wir?
Wir sind der Meinung es braucht eine grundsätzliche, tiefgreifende Veränderung und Neuausrichtung linksradikaler Politik. Wir denken, die zentrale Aufgabe linksradikaler Politik ist es, selbstorganisierte Strukturen an der Basis der Gesellschaft zu schaffen und zu stärken, die im Alltag der Menschen verankert sind, über einzelne Kämpfe hinaus reichen und auf das verweisen, was wir in Zukunft anstreben. Denn eine tatsächliche Veränderung von gesellschaftlichen Strukturen und damit die Überwindung des kapitalistischen Systems und Staates kann nur dann stattfinden, wenn Menschen überhaupt erst einmal wieder die Erfahrung mit Selbstorganisierung und darin mit Selbstwirksamkeit und Solidarität machen. Insbesondere in der Bundesrepublik ist der bürgerliche Staat tief verwurzelt. Er durchdringt fast alle Bereiche der Gesellschaft und regelt fast alle zwischenmenschlichen Beziehungen. Entsprechend groß ist die Obrigkeitsgläubigkeit, während es kaum eine Vorstellung darüber gibt, wie sich eine Gesellschaft ohne zentrale staatliche Kontrolle und Regulierung selbst organisieren kann.
Wir müssen also Strukturen stärken und aufbauen, in denen wir als Gesellschaft lernen, wie wir unser Leben ohne Vermittlung des Staates selbst organisieren und Probleme in unserem Alltag eigenständig miteinander aushandeln können. Dadurch wirken wir nicht nur der zunehmenden Entpolitisierung der Gesellschaft entgegen, sondern auch dem tief verwurzelten Glauben, Menschen müssten kontrolliert und regiert werden. Zudem können von solchen Strukturen ausgehend solidarische Kämpfe in den unterschiedlichen Bereichen unseres Alltages entwickelt und geführt werden (gegen Angriffe auf der Arbeit, gegen Unterdrückung auf dem Amt, gegen Zwangsräumungen etc.). Wir müssen Orte schaffen, an denen die kapitalistischen und nationalistischen Werte, Normen, Denkweisen und Strukturen infrage gestellt und verändert werden können. Orte, an denen neue Erfahrungen möglich sind. Orte, an denen sich emanzipative Werte und Denkweisen herausbilden können. Der Aufbau von selbstorganisierten Strukturen ermöglicht in diesem Sinne eine echte, unmittelbare emanzipative Veränderung und Verbesserung des eigenen Lebens und nicht nur eine Veränderung auf abstrakter politischer Ebene.
Selbstorganisierte solidarische Strukturen können uns zudem dabei helfen, uns kollektiv gegen Angriffe der kapitalistischen Verhältnisse zumindest teilweise zu schützen. Sie schaffen gleichzeitig die Voraussetzung, dass die Unterdrückten kritische Denkweisen gegenüber den herrschenden Verhältnissen des Kapitalismus entwickeln können. In Zeiten von Massenprotesten, Aufständen sowie Phasen staatlichen Umbruchs können bereits verankerte selbstorganisierte Strukturen zum anderen eine wichtige Funktion für einen revolutionären Prozess erfüllen.
Den Aufbau von selbstorganisierten Strukturen halten wir letztlich überall dort für sinnvoll und notwendig, wo sich unser Alltag vollzieht. Offenkundige Felder sind Erwerbstätigkeit (Betrieb, Ämter), Wohnen (Haus, Straße, Stadtteil), Reproduktion (insbesondere Kinder und Pflege) sowie Lebensgrundlagen (solidarische Netzwerke, Lebensmittelproduktion, Gesundheit) etc. Da viele Lohnabhängige vor allem im prekären Niedriglohnbereich keine festen Arbeitsplätze mehr haben, sondern häufig den Betrieb wechseln und dadurch vereinzelt sind, werden die Bedingungen für Selbstorganisierung und Entwicklung von Kämpfen hier zunehmend schwieriger. Vor diesem Hintergrund spielt der Aufbau von selbstorganisierten Strukturen in Stadtteilen eine besondere Rolle. Diese können dann Ausgangspunkt von Kämpfen auch in anderen Bereichen werden.
Wenn wir vom Aufbau selbstorganisierter Strukturen in allen Bereichen des Alltages sprechen, dann stellt sich die Frage, wer als Subjekt dieser Organisierung zu sehen ist. Wir sind der Ansicht, dass es kein revolutionäres Subjekt per se oder die Klasse für sich gibt. Dennoch sind wir der Ansicht, dass wir für eine politische Strategie der Gesellschaftsveränderung eine Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse und ihrer Widersprüche brauchen, um daraus abzuleiten, wo diejenigen Kräfte und Potentiale sind, die ein eigenständiges materielles Interesse und eine existentielle Motivation an gesellschaftlicher Veränderung haben. Dadurch ergeben sich für uns Schwerpunkte, wo wir die meisten Chancen sehen zu intervenieren und zu kämpfen (siehe dazu These 3). Gleichzeitig bedeutet die Tatsache, dass es kein revolutionäres Subjekt an sich gibt, dass das Bewusstsein für die eigene Lage, ein Verständnis über den Zusammenhang der eigenen Situation mit grundlegenden Strukturen sowie das Begreifen der Gemeinsamkeit der eigenen Situation mit der Situation anderer, in gemeinsamen Kämpfen und Prozessen erst aktiv entwickelt werden muss. „Erst wenn der Widerspruch zwischen den eigenen Interessen und Bedürfnissen und denen des Kapitals von den Kämpfenden auf die gesellschaftliche Totalität bezogen wird […], das heißt die eigene Position innerhalb dieser verortet wird, konstituieren sich potenzielle Träger*innen“18 einer sozialen und politischen Revolution.
Beim Aufbau der langfristigen Strukturen müssen wir völlig neu beginnen und können kaum auf etwas Bestehendes zurückgreifen. In die Gesellschaft hinein wirken, heißt für uns nicht, Bündnisse mit deren Vertreter_innen zu bilden, sondern Strukturen zu schaffen, in denen sich Menschen als Subjekte selbst organisieren. Das bedeutet für uns, wir müssen raus aus dem Gewohnten, raus aus der Szene und uns vor allem dort aufhalten, wo unser Alltag stattfindet. Gleichzeitig müssen wir selbst unseren eigenen Alltag – unsere eigenen Arbeits- und Lebensbedingungen – wieder als politisch begreifen und in unseren Kampf integrieren. Dabei sehen wir die Aufgabe von radikalen Linken nicht darauf beschränkt, Politik der ersten Person zu betreiben, sondern es geht auch darum in Kämpfe zu intervenieren und aktiv den Aufbau von Strukturen voranzutreiben. Diese Arbeit ist anstrengend, kleinteilig, braucht Geduld und wird vielleicht nicht direkt sichtbare Ergebnisse bringen. Aber Ereignisse wie in Rojava oder Spanien zeigen uns, dass gesellschaftliche Umbrüche nicht vom Himmel fallen, sondern die Folge jahrzehntelanger Arbeit revolutionärer Organisationen an der Basis der Gesellschaft sind.
Wenn wir selbstorganisierte Strukturen z.B. in Stadtteilen oder im Arbeitsbereich aufbauen und dort Kämpfe führen, werden wir allen möglichen Schwierigkeiten begegnen. Dazu gehört v.a. auch die Gefahr, dass Proteste und selbstorganisierte Strukturen über die vielfältigen Formen der Bürgerbeteiligung und Mitbestimmung in den staatlichen Apparat eingebunden werden (z.B. Bürgerbeteiligungsverfahren, runde Tische, Mediationsverfahren, Stadtteilbeiräte, Mitbestimmung am Arbeitsplatz) oder sich auf sozialdemokratische Formen des Protestes beschränken oder beschränkt werden (wie z.B. durch Gewerkschaften, NGOs, zivilgesellschaftliche Institutionen). Vor dem Hintergrund der o.g. Erfahrungen und Analysen lehnen wir eine Zusammenarbeit mit reformistischen Gewerkschaften und „linken“ Parteien als grundlegende Strategie linksradikaler Politik ab. Vielmehr müssen wir die historischen und gegenwärtigen Erfahrungen auswerten und die Frage diskutieren, wie revolutionäre Ideen und kollektive Ansätze der Selbstorganisierung gegen sozialdemokratische Ideen aufgebaut und verteidigt werden können. Hier schließen sich weitere Fragestellungen an: Wodurch entwickeln Menschen das Bewusstsein, ihre Alltagsprobleme in einem größeren Kontext zu betrachten, mit den Problemen anderer in Verbindung zu setzen und eine gesamtgesellschaftliche Analyse und Perspektive zu entwickeln? Wie kann es gelingen mit Menschen über lokale Themen hinaus Verbindung zu schaffen? Was heißt echte Veränderung? Wie können wir soziale Bewegungen von unten stärken und radikalisieren? Wie kann eine Politisierung von Alltagsproblemen (Arbeitsverhältnisse, Hartz IV, Mieten, Erziehung und Pflege etc.) gelingen? Wie kann das Abdriften in Sozialarbeit vermieden oder das völlige Aufgehen linksradikaler Strukturen und Kräfte in individuelle Unterstützung verhindert werden (siehe Flüchtlingsproteste)? Wie kann der Aufbau einer Kultur der Selbstorganisation in der BRD aussehen? Was sind mögliche Schwierigkeiten? Wie gehen wir mit den staatsnahen Formen des Sozialmanagements in den Stadtteilen und der Idee der Zivilgesellschaft bzw. entpolitisierten Hilfspolitik um? All diese Fragen bedürfen einer kontinuierlichen Analyse und Diskussion.
Das bisher Gesagte bedeutet nicht, dass wir die jetzigen politischen Ansätze wie Kampagnenpolitik und punktuelle Interventionen grundsätzlich ablehnen. Vielmehr sollten wir solche Mittel als eine unter vielen Taktiken zur Umsetzung der oben genannten Strategie nutzen.
These 5 Das Leben mit einbeziehen
In einigen der veröffentlichten Texten wird als eine der wesentlichen Strategien zur Gesellschaftsveränderung der Aufbau und die Vernetzung von linksradikalen, selbstorganisierten kollektiven Strukturen benannt. Wir haben an dieser Strategie einige Zweifel. Wir teilen die (darin immanente) Kritik, dass viele der Aktivist_innen der radikalen Linken zwischen politischer Arbeit auf der einen und eigenen Arbeits- und Lebensbedingungen auf der anderen Seite trennen und sich selbst nicht als politisches Subjekt betrachten. Entsprechend finden wir die Forderung richtig, die eigene Lebensrealität als politisch zu begreifen und uns darin zu organisieren. Ein großer Teil der linksradikalen Szene interpretiert diese Erkenntnis jedoch ausschließlich als Aufforderung, „eigene“ selbstverwaltete Räume, Projekte, Kollektive zu gründen und auszubauen. Entsprechend viele sind in Haus- und Projektgruppen aktiv.
Wenn wir vom Aufbau selbstorganisierter Strukturen sprechen, dann meinen wir damit aber nicht primär den Aufbau selbstverwalteter linker Szeneorte und -projekte. Wir halten kollektive selbstverwaltete Formen des Wohnens und Arbeitens für eine legitime Form gemeinschaftlicher Lebensgestaltung im Kapitalismus, die einerseits mehr Selbstbestimmung und Unabhängigkeit im individuellen Alltag und andererseits wichtige Erfahrungen mit Selbstverwaltung ermöglichen. Entsprechend gehören bestehende selbstverwaltete linksradikale Projekte für uns zu einer Tradition, die es zu unterstützen und verteidigen gilt und von deren Erfahrungen wir viel lernen können.
Wir teilen jedoch nicht die Ansicht, durch eine Organisierung und Ausweitung bestehender linker selbstverwalteter Orte könne eine gesamtgesellschaftliche Perspektive aufgezeigt werden. Dafür entsprechen viele der linken selbstverwalteten Projekte zu sehr ausschließlich den Lebensvorstellungen und Bedürfnissen einer relativ kleinen Gruppe linksradikal sozialisierter Menschen und sind nicht anschlussfähig an eine breitere Öffentlichkeit. Sie laufen dadurch automatisch Gefahr isolierte Inseln im Kapitalismus zu bleiben, im schlechtesten Fall entpolitisiert als Inseln des „Schöner Wohnens“ oder Ausdruck eines linksradikalen lifestyles.
Gleichzeitig benötigt der Aufbau und Betrieb von eigenen, eher szenefokussierten Zentren, Wohnprojekten etc. häufig viel Zeit und Arbeitskapazität. Dadurch werden Kräfte von gesellschaftlichen und politischen Kämpfen abgezogen und der Fokus einer gesamtgesellschaftlichen Strategie geht verloren.
Wir sehen ein gesellschaftsveränderndes Potential selbstorganisierter Strukturen vielmehr eher dort, wo unter Mieter_innen eines Wohnblocks, Anwohner_innen eines Straßenzuges oder der Belegschaft eines Betriebes solidarische Strukturen gegenseitiger Hilfe und selbstorganisierte Kämpfe entstehen. Strukturen, die für die Bevölkerung offen sind, wie z.B. politisch-kulturelle/soziale Zentren etc. Diese Strukturen dürfen kein Ausdruck subkultureller Identität sein, sondern müssen sich an den existentiellen Bedürfnissen der Betroffenen orientieren.
Wir schließen uns deshalb der im Text von lower class magazine benannten Notwendigkeit an, dass wir die von uns anvisierten selbstorganisierten Strukturen und Orte immer wieder auf ihre „Breschenhaftigkeit“19 überprüfen müssen. Wir müssen herausarbeiten, welche Faktoren selbstorganisierte Strukturen zu widerständigen Stützen machen und wodurch sie sich auf der anderen Seite entpolitisieren.
These 6 Raus aus der Subkultur
Wir haben in den letzten Thesen ausgeführt, dass im Zentrum linksradikaler Politik die Stärkung von gesellschaftlichen Organisierungsprozessen und Kämpfen von unten stehen muss. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist, die bestehende Spaltung zwischen linksradikaler Bewegung und Gesellschaft aufzuheben.
Diese Spaltung wird in der Bundesrepublik im Wesentlichen durch eine linksradikale Politik hervorgerufen, die sich durch subkulturelle Zugehörigkeit, politische Selbstbezogenheit auf die eigene „Szene“ und (bewusste oder unbewusste) Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft auszeichnet. Schon für politisch interessierte Menschen ist es nicht einfach, mit „der Szene“ in Kontakt zu kommen und es braucht einige Anstrengung um von dieser akzeptiert zu werden. Viele von uns haben diese Erfahrungen in der Vergangenheit selbst gemacht. Für breitere Kreise bleibt die Szenepolitik nicht greifbar, unrelevant und unattraktiv. Dies liegt u.a. auch daran, dass Zugehörigkeit nicht in erster Linie über gemeinsame politische Positionen und Zielsetzungen hergestellt wird, sondern vielfach über typische Kriterien einer Subkultur, wie kulturelle und sprachliche Codes, Kleidungsstile, Verhaltensnormen etc. Die politische und subkulturelle Einigelung ist einer der Faktoren, warum linksradikale Politik weitgehend marginal und gesellschaftlich irrelevant bleibt.
Obwohl durch einzelne Zusammenhänge schon seit Jahrzehnten immer wieder eine Auseinandersetzung mit der Verschlossenheit und Selbstfokussierung der Szene eingefordert wird, hat sich daran bis heute nichts grundlegend verändert. Auch innerhalb der Szene werden die ausgrenzenden und elitären Mechanismen regelmäßig beklagt (siehe These 7). Die Trennung zwischen Gesellschaft und linksradikaler Szene scheint also keineswegs durchweg erwünscht zu sein. Wenn sich trotzdem seit Jahrzehnten an diesem Paradox so wenig rütteln lässt, stellt sich die Frage, welche Faktoren dazu beitragen, dass die Trennung zwischen Gesellschaft und Linksradikalen aufrechterhalten bleibt.
Linksradikale Subkultur als Wert an sich
Nach wie vor sind es hauptsächlich junge Menschen, die den Weg in die linksradikale Szene suchen. Eine wichtige Motivation ist für sie nicht allein die Ablehnung gesellschaftlicher Unterdrückungsmechanismen sondern vor allem auch die Ablehnung vorherrschender kultureller Denk- und Verhaltensweisen. Die Entwicklung und Ausgestaltung linksradikaler Subkultur spielt vor diesem Hintergrund eine wichtige Rolle. Durch die Identifikation mit der politischen „Szene“ wird das Gefühl von Zugehörigkeit erzeugt und die eigene Ohnmacht und Einsamkeit verringert. Darüber hinaus bieten linksradikale Räume trotz der engen Konventionen, die in ihnen gelten, einen vergleichsweise geschützten Rahmen um gewisse Persönlichkeitsaspekte zu entwickeln und auszuleben, die gesellschaftlich stigmatisiert sind (Umgang mit der eigenen Genderrolle, sexuelle Orientierung etc.).
Diese Faktoren haben zur Folge, dass die linksradikale „Szene“ für diejenigen, die sich ihr zugehörig fühlen, vor allem eine soziale und emotionale Bedeutung hat. Der genannte subjektive Vorteil des Szenelebens besteht erst einmal unabhängig von ihrer gesellschaftspolitischen Relevanz. Dadurch drängt sich die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung nicht unmittelbar auf, denn das Szenedasein lässt sich als Rückzug in eine gesellschaftliche Nischenexistenz leben, als eine Art Aussteiger_innentum.
Damit wird der Erhalt der Subkultur zum Wert an sich.
Durch die Sozialisierung in linksradikalen Strukturen wird zudem die Illusion geschaffen, linke Orte stünden außerhalb der gesellschaftlichen Einflüsse bzw. ihrer Entstehungsbedingungen (z.B. zunehmende kapitalistische, sexistische, rassistische, nationalistische, faschistische Tendenzen etc.) Diese Selbstwahrnehmung befördert die Trennung zwischen linksradikaler Szene und Gesellschaft und bringt ein elitäres Bewusstsein hervor. Darin wird die eigene Szene zum Hort von Aufklärung und Emanzipation stilisiert, während die Gesellschaft „da draußen“ als Inbegriff des reaktionären Niedergangs erscheint.
Die fehlende Offenheit linksradikaler Strukturen hat sicherlich auch mit der Angst vor Überwachung und Spitzeln zu tun, die nach den zahlreichen Enttarnungen von Spitzeln in der letzten Zeit nicht völlig unbegründet ist. Dennoch wird häufig eine Konspirativität und Verschlossenheit an den Tag gelegt, die in keinerweise der Militanz der politischen Praxen entspricht. Wir denken, es ist wichtig, das Niveau der Konspirativität an die Art der politischen Praxen anzupassen. Wenn wir selbstorganisierte Strukturen im Stadtteil aufbauen oder in breitere soziale Kämpfe intervenieren wollen, ist es fatal, wenn jede und jeder Unbekannte in unseren Strukturen kritisch gemustert, ignoriert oder ungefragt zum Gehen aufgefordert wird. Gleichzeitig ist der Umgang mit konkreten Verdachtsmomenten in organisierten Strukturen einfacher, weil es konkrete Methoden und Verantwortlichkeiten gibt, wie entsprechende Personen überprüft werden können.
Für die Reproduktion der linksradikalen Szene als isolierter, von der Gesellschaft getrennter Subkultur spielen aber auch psychosoziale Faktoren eine Rolle. Das Unvermögen und die Unbeholfenheit vieler Linksradikaler im Kontakt mit der breiteren Bevölkerung sind auch Ausdruck von Ängsten, Unsicherheiten, Vereinsamung, Scham, Schüchternheit, Unbeholfenheit, fehlender Erfahrung und Vermeidung. Auch fehlt häufig die Fähigkeit, mit Andersdenkenden auf Augenhöhe in Kontakt zu treten, zu kommunizieren und mit Widersprüchen umzugehen. Dies spiegelt neben individuellen, lebensgeschichtlichen Erfahrungen auch die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen wider, in denen die Entwicklung einer respektvollen und konstruktiven Streitkultur zwischen Gleichgestellten sowie die Fähigkeit, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, nur selten gelehrt und gestärkt werden.
Während andernorts linksradikale Zusammenhänge versuchen, derartigen Schwächen durch kollektive Reflexion, Bildung und Auseinandersetzung zu begegnen, wird dies in der hiesigen Szene völlig vernachlässigt oder den einzelnen selbst überlassen. Auch darin zeigt sich wohl der geringe Stellenwert, welcher der Gesellschaftsveränderung innerhalb linksradikaler Politik hier beigemessen wird.
Die psychosozialen Gründe, die das Heraustreten aus der gemütlichen Szene verhindern oder erschweren, werden häufig nicht als Problem erkannt oder benannt und können dadurch nicht überwunden werden.
Was wollen wir?
Revolutionäre Kämpfe und Umwälzungen können der Gesellschaft nicht von einzelnen politischen Gruppierungen oder Führer_innen aufgezwungen werden. Diese können nur erfolgreich sein, wenn sie Ausdruck einer breiten gesellschaftlichen Bewegung sind. Entsprechend kann revolutionäre Politik nichts anderes bedeuten, als sich innerhalb der Gesellschaft zu bewegen, den Kontakt zur Bevölkerung zu suchen und sich auch auf die Widersprüche einzulassen, die wir dort vorfinden. Hierfür ist es notwendig die Selbstisolierung und subkulturelle Ausrichtung linksradikaler Politik hinter sich zu lassen, sich als Teil der Gesellschaft zu verorten und mit Menschen beständig in einen „geduldigen Dialog20“ zu treten.
Wir sind der Ansicht, es bedarf eines bewussten Lernprozesses, um sich die Fähigkeit anzueignen bzw. weiter zu entwickeln, andersdenkenden Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und eigene Analysen und Standpunkte verständlich zu vermitteln. Das erfordert Prozesse auf zwei Ebenen: Zum einen die Auseinandersetzung mit eigenen Ängsten und Unsicherheiten und zum anderen die Diskussion der Frage, wie revolutionäre Inhalte so vermittelt werden können, dass sie als relevant betrachtet und empfunden werden.
Das Heraustreten aus den gewohnten Kreisen und der Geborgenheit einer uns ständig bestätigenden Kultur ist bei einigen mit Unsicherheiten und Ängsten verbunden. Der politische Prozess muss entsprechend einen Raum für die Auseinandersetzung mit uns selbst und die Entwicklung unserer eigenen Persönlichkeit schaffen, so dass wir lernen uns freier in der Gesellschaft zu bewegen. Das geht wie alle Selbstveränderung am besten, wenn wir nicht auf uns allein gestellt sind, sondern Erfahrungen gemeinsam machen und auswerten können, gemeinsam verschiedene Vorschläge erproben etc. Gleichzeitig ist eine der Voraussetzungen, dass wir in diesen gemeinsamen Kreisen eine Atmosphäre schaffen, in der wir offen und ehrlich, ohne Angst vor Statusverlust, Spott etc., Unsicherheiten, Ängste und (Selbst-)Kritik äußern können (siehe dazu auch These 7).
Der zweite Aspekt beinhaltet die Frage, wie kritische Analysen und revolutionäre Ideen in einer Form zum Ausdruck gebracht werden können, die für andere nachvollziehbar, relevant und verständlich ist. Damit ist nicht gemeint, sich Methoden anzueignen, um die Aufmerksamkeit anderer zu fesseln und attraktiv zu erscheinen (i.S. psychologischer Manipulation).
Vielmehr bedarf es Begegnungen, die das Gegenüber nicht politisch instrumentalisieren sondern die Auseinandersetzung auf Augenhöhe suchen und ehrliches Interesse am Gegenüber beinhalten. Das schließt Bereitschaft zur Selbstveränderung ebenso mit ein wie die Anerkennung, dass es bereichernde Erfahrungen in den verschiedensten Lebensweisen geben kann. Gleichzeitig heißt dies auch, zu lernen, Widersprüche in Gesprächen auszuhalten und zu begegnen und nicht beim ersten unaufklärerischen Gedanken des Gegenübers das Gespräch zu beenden.
Wenn wir davon sprechen, kommunikationsfähig zu werden, dann meinen wir damit weder, die eigene Position ohne Grund aufzugeben, noch „mehr Toleranz“ für reaktionäre Positionen zu entwickeln. Ebenso geht es uns nicht darum, eine radikale Analyse aus strategischen Gründen zu verstecken.
These 7 Revolutionäre Kultur anstatt neoliberale Werte
Obwohl wir uns gerne von den in der Mehrheitsgesellschaft vorherrschenden Werten und Umgangsformen abgrenzen, sieht die Realität in unseren eigenen Strukturen nicht sehr viel anders aus. Eine revolutionäre Kultur, die auf das verweist, was wir politisch vertreten und fordern, ist auch in unseren Strukturen nicht zugegen. Vielmehr sind Coolness, Distanziertheit, Abwehr, gegenseitige Abgrenzung, Leistungs- und Konkurrenzdenken, Konfliktunfähigkeit und das Messen um die radikalsten Ideen und das militanteste Auftreten weit verbreitet. Diese Verhaltensweisen spiegeln die Zurichtung der Gesellschaft durch neoliberale Werte im Inneren der Szene wider.
Denn das Leben in der neoliberalen Welt führt einerseits zur Prekarität in einer atomisierten Gesellschaft, die von ständigem Leistungszwang geprägt ist und andererseits zur Kommodifizierung der menschlichen Verhältnisse. Dadurch sehen und begegnen sich die Leute selbst und andere als Waren. Als Konsequenz fühlen sich Menschen zunehmend leer, austausch- und wegwerfbar. Viele Menschen – auch radikale Linke – versuchen das innerliche Bedürfnis nach Anerkennung individuell durch Leistung, Selbstdarstellung und Profilierung zu erfüllen. Aber das menschliche Bedürfnis nach Anerkennung sowie das Gefühl wertvoll zu sein, muss durch die Schaffung einer emanzipativen Kultur im kollektiven Leben und Kampf gegen die o.g. Ursachen erfüllt werden. Eine Kultur, in der niemand als eine wegwerfbare Ware behandelt wird, sondern sich die Menschen gegenseitig gegen die Angriffe der kapitalistischen Prekarität unterstützen können und in der Empathie als ein Mittel zur gegenseitigen Anerkennung dient.
Als radikale Linke neigen wir dazu, die Einflüsse der herrschenden Normen des kapitalistischen Systems auf unsere Denk- und Verhaltensweisen sowie auf unsere Gefühle zu übersehen. Entsprechend spielt die Arbeit an uns selbst und die Entwicklung einer emanzipatorischen Kultur in unseren politischen Kämpfen keine Rolle spielt21.
Diese Vernachlässigung hat auch Konsequenzen für den Aufbau einer revolutionären Bewegung. Wenn wir uns selbst nicht entwickeln, kritisieren und verändern, dann tauchen die zahlreichen verinnerlichten Verhaltens- und Denkweisen des Systems als Hindernisse im Aufbau eines revolutionären Prozesses auf. So werden z.B. individualistische und egoistische Verhaltensweisen einen Organisierungsprozess ebenso erschweren wie die in linksradikalen Kreisen und für Subkulturen typischen Verhaltensweisen, wie Behauptung der eigenen Position, Statusdenken, Profilierung und Selbstdarstellung, Konkurrenz, Elitarismus nach innen und außen etc.
Was wir wollen?
Wir streben nicht nur eine Veränderung der wirtschaftlichen und politischen Strukturen an, sondern begreifen Revolution auch als radikale Veränderung des individuellen und gesellschaftlichen Seins und damit der Art und Weise, wie wir unsere Beziehungen gestalten, miteinander kommunizieren und uns zu einander verhalten. Emanzipation auf gesellschaftlicher Ebene heißt, die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Strukturen zu schaffen, dass sich alle Menschen frei von Ausbeutung und Unterdrückung entfalten können, ihr Leben selbst bestimmen und dementsprechend selbstbestimmt an der Gestaltung des gesellschaftlichen Ganzen mitwirken können. Eine revolutionäre Kultur zeichnet sich aus durch Offenheit, respektvollen Umgang, Empathie, Interesse, echte Freiheit, Solidarität, Gemeinschaftlichkeit (Kollektivität), der Fähigkeit Zuhören zu können, Herzlichkeit sowie Humor. Das heißt, sie entsteht durch Verhaltensweisen, welche die Selbstbestimmung und Selbstentfaltung aller Einzelnen in der Gemeinschaft ermöglichen. Der Gradmesser für eine linksradikale Identität ist für uns entsprechend weder die Radikalität der vertretenen Theorie noch die revolutionäre Vergangenheit, sondern vor allem das tatsächliche Verhalten in unserem politischen, familiären oder sozialen Umfeld.
Eine revolutionäre Kultur entsteht nicht durch die pure Abwesenheit von falschen Denk- und Verhaltensweisen („wir sind antikapitalistisch, antirassistisch, antisexistisch etc.“). Vielmehr müssen die entsprechenden Alternativen aktiv geschaffen und ins Leben gerufen werden. Das heißt die Veränderung und Entwicklung unserer eigenen Persönlichkeit sowie die konkrete Verwirklichung emanzipatorischer und solidarischer Umgangsweisen in unseren Strukturen müssen fester Bestandteil unserer politischen Arbeit werden. Denn revolutionäre Politik beginnt als allererstes bei uns selbst.
Als Organisation und Bewegung müssen wir uns entsprechend auf die Suche nach kollektiven Methoden der Selbstveränderung begeben. Orientierungspunkte und Erfahrungen können wir dabei z.B. aus den Plattformen der kurdischen Bewegung ziehen, den Selbsthilfegruppen der autonomen Frauenbewegung sowie kollektiven Therapieansätzen.
Ob wir eine gesellschaftliche Kraft werden, hängt unserer Ansicht nach auch davon ab, inwiefern es uns im Hier und Jetzt bereits gelingt, eine andere Kultur des Alltagslebens zu schaffen und inwiefern sich Menschen in den Strukturen gesehen, willkommen geheißen und einbezogen fühlen. Das Erleben solch einer anderen Kultur ist das wirksamste Mittel um dem Glauben an die Unveränderlichkeit der Dinge entgegen zu treten und Menschen das Wissen um die Möglichkeit wirksamen, selbstbestimmten und gemeinschaftlichen Handelns zu vermitteln. Dies zeigt sich z.B. in den Erfahrungen aus Kämpfen – selbst wenn sie nicht erfolgreich waren – aus denen Menschen in Bezug auf die Erfahrung der Solidarität, der gemeinschaftlichen Selbstermächtigung etc. oft gestärkt hervorgehen.
These 8 Wissen um Alternativen aneignen und verbreiten
Wir sind der Ansicht, dass es in der Gesellschaft nicht an Unzufriedenheit und Unmut über die herrschenden Verhältnisse fehlt. Der Glaube an die Glücksversprechen des Kapitalismus, an Wohlstand und Fortschritt sind brüchig geworden – die zerstörerische Kraft dieses Systems tritt an immer mehr Stellen offen zutage, sei es im wachsenden Elend und der zunehmenden Verarmung von immer mehr Menschen, den sich verschlechternden Arbeitsbedingungen (Prekarität, steigender Leistungszwang etc.), der massiven Umweltzerstörung als auch in der ständigen Kriegstreiberei. Jedoch verhindert die voranschreitende Entpolitisierung und Spaltung der Gesellschaft (z.B. durch Rassismus und Nationalismus), dass Menschen ihre Unzufriedenheit in Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Strukturen bringen. Als zentrale Gefühle innerhalb der heutigen Gesellschaft nehmen wir Unsicherheit und Angst sowie Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit wahr.22
Dies liegt u.a. auch daran, dass kollektive Kämpfe sowie eine gesellschaftliche Perspektive jenseits des kapitalistischen Systems spätestens seit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus als aussichtslos erscheinen. There is no alternative hat sich als ideologischer Ansatz tief in unsere Köpfe und Herzen eingeschrieben. Diese Utopie- und Perspektivlosigkeit hat sich auch unter Linken und Linksradikalen ausgebreitet. Die Beschäftigung mit und die Suche nach gesellschaftlichen Perspektiven spielt in linksradikaler Politik fast keine Rolle. Aber wie wollen wir eine revolutionäre Politik betreiben und Menschen dazu bewegen, sich zu organisieren, sich zu wehren und zu kämpfen, wenn wir selbst keine Perspektiven haben?
Für die Perspektivlosigkeit innerhalb der Linksradikalen sind historisch-materielle Bedingungen ebenso wie ideologische Tendenzen verantwortlich. Einerseits ist der Niedergang von linken Bewegungen, (sozialistischen) Modellen und Ideen seit den 80er Jahren, die zum Ende der Systemkonfrontation geführt haben, als Ursache zu nennen. Andererseits spielt das Auftauchen und die Hegemonie von neuen Theorien, wie Poststrukturalismus/ Postmodernismus/ Postmarxismus eine Rolle, die sich paradoxerweise (ähnlich wie der Neoliberalismus) anti-ideologisch gegen große Analysen, große Denkweisen und allgemeine Lösungen positionieren. Durch die Dekonstruktion aller Begriffe ist das Gesamtbild des Systems und des revolutionären Kampfes bei den meisten Linksradikalen in Westeuropa verloren gegangen und wurde durch orientierungslosen Aktivismus ersetzt. Interessanterweise wurde die kapitalistische Logik der Arbeitsteilung, Spezialisierung und Professionalisierung auch in der linksradikalen politischen Szene verinnerlicht und übernommen. Als Folge sind nicht nur gemeinsame Kampfformen und die Notwendigkeit der Organisierung delegitimiert worden, sondern es wurde auch die gemeinsame Suche nach gesellschaftlichen Alternativen und Perspektiven vernachlässigt.
Was wollen wir?
Die Auseinandersetzung mit der Theorie und Praxis gesellschaftlicher Alternativen, Perspektiven und Utopien muss wieder einen zentralen Platz in unserer politischen Praxis einnehmen. Es gibt keine Rezepte, wie eine alternative Gesellschaft im einzelnen aussehen muss, sondern wir gehen davon aus, dass es an jedem Ort und in jeder Gesellschaft eine eigene Suchbewegung braucht. Dennoch wirken an unterschiedlichen Orten ähnliche Strukturen und es zeigen sich ähnliche Entwicklungen, so dass der Austausch zwischen verschiedenen Bewegungen und Kämpfen weltweit auch für die Entwicklung lokaler Perspektiven und Kämpfe wichtig ist. Bei der Entwicklung einer gesellschaftlichen Perspektive müssen wir nicht bei null anfangen. Es gibt viele wichtige und lehrreiche Bezugspunkte in vergangenen und gegenwärtigen Bewegungen sowie in Gesellschaftstheorien, die sich mit der Frage einer freiheitlichen Organisierung von Gesellschaft beschäftigen. Diese Ereignisse können wir anhand von verschiedenen Fragestellungen analysieren, sowohl im Hinblick darauf, welche Hinweise sie uns für alternative Formen der Organisierung von Gesellschaft liefern als auch im Hinblick auf Potentiale und Gefahren bei der Entstehung und Entwicklung revolutionärer Bewegungen. Hierfür ist es wichtig, nicht nur den Ablauf der revolutionären Ereignisse selbst zu analysieren, sondern auch die langfristigen Faktoren, die zur Entstehung der revolutionären Bewegungen beigetragen haben.
Bei der Betrachtung und Analyse vergangener Bewegungen und Ereignisse besteht jedoch auch die Gefahr, dass wir uns erneut in (unnötigen) ideologischen Grabenkämpfen um deren Auslegung oder Interpretation verstricken. Wir haben das spaltende Potential und die Fallstricke dieser Diskussionen in unserem eigenen Zusammenhang mehrmals erlebt. Während wir in den Diskussionen über konkrete Fragestellungen und Analysen sehr ähnlich denken und daraus unsere Stärke ziehen (im Hinblick auf konkrete Analysen aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen, Diskussionen darüber, wie wir uns eine Organisation von Gesellschaft grundsätzlich vorstellen und welche konkreten politischen Methoden und Schritte wir für richtig und wichtig erachten), kamen in Diskussionen über die Interpretation vergangener Ereignisse immer wieder unsere unterschiedlichen ideologischen (marxistisch-leninistisch, marxistisch, anarchistisch und libertär kommunistisch) und geographischen (kapitalistische Zentren, Länder der Peripherie) Vergangenheiten als trennendes Moment zum Vorschein. Dabei waren es häufig bestimmte Begriffe, die bei uns jeweils unterschiedliche Assoziationen weckten oder die wir unterschiedlich definierten. Nach längeren Diskussionen zeigte sich meist, dass wir prinzipiell über dasselbe redeten, aber unterschiedliche Wörter und Begriffe dafür benutzen. Diese Auseinandersetzungen haben uns viel Energie gekostet, aber gleichzeitig waren sie auch lehrreich. Sie haben uns gezeigt, wie wichtig es ist, über das Konkrete zu sprechen, bei einem vermeintlichen Dissens nicht gleich in dogmatische Angriffs- oder Verteidigungshaltung zu wechseln, sondern zu versuchen, die Positionen des Gegenüber tatsächlich zu verstehen. Das bisher gesagte, soll nicht bedeuten, über alle grundlegenden ideologischen Unterschiede hinwegzusehen, sondern vielmehr die Diskussionen zu öffnen und auch die eigene Position mit der nötigen Distanz betrachten zu können.
Wir denken diese Erfahrungen sind auch für eine linksradikale Bewegung wichtig, die in eine Vielzahl von Richtungen aufgespalten ist, deren Vertreter_innen teilweise mit einer erstaunlichen Vehemenz die jeweils eigene ideologische Richtung vertreten und alle anderen Richtungen im selben Atemzug verteufeln. Ein zweiter Aspekt, der uns hierbei wichtig erscheint, ist die Frage der revolutionären Lebensführung und Kultur, auf die wir bereits in These 7 näher eingegangen sind. Häufig erleben wir die härtesten Grabenkämpfe zwischen den Vertreter_innen einzelner ideologischer Richtungen auf abstrakt theoretischer Ebene, während beide Seiten dieselben unemanzipativen Verhaltensweisen in der konkreten politischen Praxis oder individuellen Lebensgestaltung zeigen.
These 9 Umgang mit Theorie und revolutionären Theorietraditionen
Im Umgang mit Theorie gibt es innerhalb der radikalen Linken unterschiedliche Tendenzen: zum einen die eher praxisorientierten oder aktionistischen Gruppen und Einzelpersonen, die eine gewisse Theoriefeindlichkeit an den Tag legen, sei es als Reaktion auf einen theoretischen Dogmatismus (besonders in vergangenen sozialistischen Traditionen), als Symptom einer generellen Entpolitisierung oder als Folge der verbreiteten Diskurse seitens postmoderner „Theorien“ gegen Theorien allgemein. Zum anderen die zahlreichen Theoriegruppen aber auch linken Akademiker_innen, die einen Fetisch der Theorie betreiben und deren theoretische Diskussionen oder Veröffentlichungen häufig mehr selbst referentiell sind als Teil einer politischen Praxis. Theoriearbeit wird so zur bequemen Zuflucht in Zeiten von Bewegungstiefs und erlaubt eine wohlfeile Radikalität im Abstrakten. Und als drittes nehmen wir gerade in diesen Zeiten verstärkt (wieder) eine ausschließliche Hinwendung zu und dogmatische bis nostalgische Orientierung an einzelnen Theorietraditionen wahr, die komplett übernommen und verteidigt werden, als wäre die Geschichte stehen geblieben. Wie ein zerrissenes Filmband, dass irgendwo zusammen geklebt wird, mit der Hoffnung, die Geschichte würde einfach weiterlaufen. Dabei kommt es immer häufiger zu Grabenkämpfen (bis hin zu Schlammschlachten) zwischen Vertreter_innen der einzelnen Gruppen und Richtungen, die eine Wiederholung der Geschichte ohne historisch-materielle Notwendigkeit fortführen. Indem der eigene Erkenntnisrahmen von vornherein auf eine „Schule“ begrenzt wird, wird die Chance verpasst, aus dem Reichtum der bisherigen Erfahrungen, Erkenntnisse und Analysen zu schöpfen und so die Theorie immer wieder zu erneuern und zu bereichern.
Was wollen wir?
Die Auseinandersetzung mit herrschaftskritischen Theorien ist für uns eine grundlegende Notwendigkeit für die Reflexion unserer Praxis, die Analyse der dominanten Verhältnisse und die Ableitung von Strategien der Gesellschaftsveränderung. Revolutionäre Theorie entwickelt sich kontinuierlich in revolutionären Kämpfen unter bestimmten historischen Bedingungen aus einer Synthese bisheriger Theorien und hilft ihrerseits den Kampf weiter zu entwickeln. In diesem Sinne ist das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis immer ein dialektisches. Das bedeutet auch, dass wir keine geschlossenen revolutionären Theorien und Praxen einfach “übernehmen” können. Vielmehr gilt es diese immer weiterzuentwickeln, gemäß dem zapatistischen Motto “fragend schreiten wir voran” („caminamos preguntando“?).
Das heißt für uns, mit jeglichem monopolistischen Anspruch auf die revolutionäre Initiative und auf die theoretische und praktische Führung zu brechen und die Grabenkämpfe der Geschichte nicht in stiller Gefolgschaft eins zu eins zu wiederholen. Vielmehr müssen wir Theorien vor dem Hintergrund der heutigen Notwendigkeiten und Bedürfnisse als auch vor den heutigen Erkenntnismöglichkeiten heraus neu lesen. Vergangene Auseinandersetzungen wurden auch oft überlagert von bewegungsinternen Machtkämpfen. Deshalb ist es heute nötig, methodologische Denkweisen, empirische Erkenntnisse, schlüssige Folgerungen und materielle Analysen von rhetorischen, propagandistischen und metaphysischen Aussagen zu unterscheiden.
Wenn wir davon schreiben, dass heute keine revolutionäre Theorietradition ein Monopol auf Bestimmung von Theorie und Praxis beanspruchen kann, dann meinen wir damit nicht, wahllos, teilweise konträre und widersprüchliche Theoriefragmente einfach nebeneinander zu stellen. Es bedarf vielmehr der Entwicklung neuer, stimmiger Theoriegebäude, mit Hilfe der bisherigen Erfahrungen und Theorien. Hierbei stellt sich die Frage, anhand welcher Kriterien wir entscheiden, welche Theorien für uns hilfreich sind? Grundsätzlich ließe sich sagen, dass all diejenigen Theorien für einen revolutionären Kampf wichtig sind, die mehr Licht auf die Entstehungsgründe, die Reproduktion und Ausgestaltung von Unterdrückungsmechanismen werfen und helfen, die gesellschaftlichen Widersprüche und heutigen Potentiale für den Aufbau eines radikalen Kampfes gegen den Kapitalismus zu analysieren. Theorien müssen uns also Hinweise für unsere Praxis geben können und uns im Endeffekt in unserem Kampf stärken. Daran schließen sich weitere Fragen als Orientierungspunkte im Theoriedschungel an: Sind die jeweiligen Theorien und Erfahrungen für unser Ziel einer selbstorganisierten und freien Gesellschaft von unten von Bedeutung, welche Erkenntnisse und Modelle entsprechen ihr? Wie sehr stärkt die jeweilige Theorie die Selbstbestimmung der Menschen und betrachtet die Dinge aus dieser Perspektive? Und was brauchen wir an Theorie für unseren Kampf?
Unter revolutionärer Theorie verstehen wir eine Theorie, die in Veränderung begriffen ist und die aus den historischen Notwendigkeiten des radikalen Kampfes gegen die zahlreichen Unterdrückungsformen heraus ständig weiterentwickelt wird.
These 10 Räume für herrschaftskritische und kollektive Bildung schaffen
Die Produktion von Wissen und dessen Verbreitung ist in jeder Gesellschaft ein wichtiger Bestandteil für die Durchsetzung herrschender Interessen. In einer Gesellschaft wie der bundesdeutschen wird die Wissensproduktion und -vermittlung stark durch staatliche und kapitalistische Interessen strukturiert. Entsprechend ist eine der Funktionen des staatlichen Bildungssystems, die herrschenden Normen, Denkweisen und Ideologien zu vermitteln und zu verbreiten. Auch die Wissenschaft verliert zunehmend ihre Unabhängigkeit und funktioniert mehr und mehr als Teil des Machtapparats23. Eine zentrale Rolle für die Verbreitung und Aufrechterhaltung von herrschenden Ideen und Denkweisen innerhalb und über die Gesellschaft spielen zudem die Mainstream-Medien, deren Vertreter_innen eng mit politischen und wirtschaftlichen Institutionen zusammen arbeiten bzw. personell verschmelzen.
In der aktuellen kapitalistischen Gesellschaft existiert darüber hinaus die Tendenz, dass im Rahmen von Individualisierung, Spezialisierung und komplizierter Arbeitsteilung auch die Produktion und Verbreitung von Wissen in zahlreiche Gebiete unterteilt wird. So wird Gesellschaft z.B. in den verschiedenen akademischen Institutionen – als den zentralen Räumen für Forschung und Lehre der Sozialwissenschaften – nur noch in einzelnen, voneinander getrennt betrachteten Forschungsbereichen beforscht und dargestellt. In den 80er Jahren wurde diese Tendenz unter dem Begriff der „Fachidiotie“ in linken Kreisen diskutiert und kritisiert. Unter diesen Bedingungen ist es schwierig, sich Wissen über die Ganzheit des Systems, das Zusammenwirken von Unterdrückungsmechanismen und Funktionsprinzipien der Gesellschaft anzueignen bzw. einzelne sozialwissenschaftliche Bereiche mit gesellschaftlichen Wirkfaktoren in Verbindung zu bringen. Ähnlich unterteilt finden wir auch die Wissensvermittlung in den unterschiedlichen Teilbereichskämpfen wider, in denen die jeweiligen Erfahrungen und Perspektiven häufig nur als Teilwissen analysiert und verbreitet werden.
In der radikalen Linken gibt es unserer Ansicht nach – auch als Folge der Unorganisiertheit, Spaltung und Vereinzelung – kaum Orte, an denen Bildung strukturiert und regelmäßig stattfindet. Es gibt zwar viele Veranstaltungen, die über aktuelle politische Ereignisse informieren und in unregelmäßigen Abständen Workshops und Seminare zu spezifischen theoretischen Ansätzen oder Methoden. Diese werden jedoch nicht strategisch genutzt. Die Auseinandersetzung mit Theorie findet entweder vereinzelt oder in Kleingruppen statt. Häufig bilden sich dabei – wie weiter oben bereits erwähnt – reine Theoriegruppen, die sich auf einem hohen Niveau ausschließlich mit Theorie auseinandersetzen (häufig ohne diese mit einer eigenen Praxis zu verknüpfen) und auf der anderen Seite, Gruppen, die vorwiegend in der Praxis stehen und die Auseinandersetzung mit kritischer Theorie eher als nebensächlich betrachten. Wenn „Praxisgruppen“ sich mit Theorie auseinander setzen, so findet diese häufig nur mit dem Wissen und den Theorien des eigenen Teilbereichskampfes statt. Deswegen können die Bildungsangebote der Linksradikalen kein Gesamtbild für eine Strategie für den antikaptialistischen Kampf bieten. Durch die Vereinzelung der Bildungsangebote kann zudem eine transgenerationale Weitergabe von Erfahrungswissen nur eingeschränkt stattfinden.
Der größte Teil der herrschaftskritischen Theorieproduktion findet nach wie vor an den Universitäten statt. Hier werden kritische Theorieansätze gelesen und weiter entwickelt, jedoch häufig fern von der sie betreffenden Praxis. Gleichzeitig folgt die Forschung an den Universitäten häufig keinem politischen sondern vielmehr individuellem Interesse, wie dem Wunsch nach Weiterbeschäftigung, Veröffentlichungsdruck, Profilierung, Theorieproduktion um der Theorie willen etc..
Was wollen wir?
Wir halten den Aufbau eines alternativen, herrschaftskritischen Bildungsprozesses für einen zentralen Bestandteil des Kampfes gegen das kapitalistische System. Dieser Bildungsprozess hat unserer Ansicht nach zwei Ebenen: zum einen muss Bildung ein fester Bestandteil einer revolutionären Organisation sein und zum anderen muss sich die radikale Linke langfristig um den Aufbau alternativer Bildungs- und Forschungsorte im Sinne der Akademien von unten bemühen.
Die Rolle von Bildung innerhalb einer revolutionären Organisation
Innerhalb einer revolutionären Organisation von radikalen Linken muss die Auseinandersetzung mit system- und herrschaftskritischen Theorieansätzen und die Analyse der Gesellschaft einen zentralen Platz einnehmen. Diese Auseinandersetzung sollte an der Suche nach einer Strategie für den antikapitalistischen Kampf orientiert sein. Um hierfür politische Strategien, Methoden und Ziele für eine revolutionäre Praxis formulieren und entwickeln zu können, bedarf es einer tiefer gehenden historischen, strukturellen und psychosozialen24 Analyse der Gesellschaft, sowie eine Auseinandersetzung mit grundlegenden Gesellschaftstheorien und Widerstandspraxen. Dies ist notwendig, da z.B. neue Organisationsformen des Kapitals neue Konsequenzen mit sich bringen, die ihrerseits neue Mittel und Kampfformen erfordern. Darüber hinaus muss eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Mythen und falschen „Wahrheiten“ stattfinden und Möglichkeiten gesucht werden, wie wir sie erkennen, darstellen und entkräften können.
In diesem kontinuierlichen Bildungsprozess müssen u.a. folgende Fragen gemeinsam diskutiert und erforscht werden: Wie hat sich die Gesellschaft historisch entwickelt? Welche Kräfte und Gegenkräfte haben sie geformt? Welche Faktoren hindern die Menschen/die Massen daran, revolutionäre Politik zu betreiben? Was sind die Potentiale und Subjekte solcher Prozesse? Welche Widerstandsbewegungen gab es und was lässt sich von ihnen lernen? Wie kann eine alternative Gesellschaft aussehen, was gibt es von anderen Bewegungen zu lernen?
Wir müssen nicht nur Antworten auf die o.g. Fragen finden, sondern auch Antworten auf aktuelle gesellschaftliche Fragen, also auf das, was die Leute bewegt. Es gibt keine fertigen vorbereiteten Antworten auf diese Fragen, sondern wir sehen sie als Auftrag für einen kontinuierlichen gemeinsamen Prozess, der gleichzeitig Forschung und Bildung umfasst. Wie genau dieser Bildungsprozess organisiert werden kann, können wir noch nicht sagen. Vielmehr muss während des Organisierungsprozesses Zeit darauf verwendet werden, zu diskutieren, wie eine solche Integration aussehen kann.
Aufbau eines selbstorganisierten, herrschaftskritischen Bildungssystems von unten
Auf der anderen Seite halten wir langfristig den Aufbau eines selbstorganisierten herrschaftskritischen Bildungssystems im Sinne von Akademien von unten für extrem wichtig. Dabei scheinen uns insbesondere folgende Aspekte von Bedeutung: Die Bildungsorte sollten dauerhafte und feste Orte sein, an denen herrschaftskritische Forschung, Theoriearbeit und Bildung möglich ist und entsprechende Veröffentlichungen, Diskussionsergebnisse etc. archiviert werden können. Zudem sollte der Anspruch sein, die verschiedenen Wissensbereiche zusammenzuführen und ein Gesamtbild von der gesellschaftlichen Realität zu vermitteln. Gleichzeitig sollten die Bildungsorte offen und möglichst für alle zugänglich sein und sich nicht nur an eine intellektuelle Zuhörerschaft richten. Dazu bedarf es regelmäßig stattfindender Einführungen in grundlegende Theorien und kritische Analysen der gesellschaftlichen Entwicklungen sowie eine solidarische Unterstützung von Lernenden auf unterschiedlichen Niveaus. Ebenso sollte es regelmäßigen Raum für Austausch und gemeinsame Diskussion geben, wo Fragen aus der alltäglichen Praxis sowie aus Kämpfen gemeinsam diskutiert, Theorie und Praxis entsprechend verbunden und Strategien für einen revolutionären Kampf entwickelt werden können.
These 11 Es braucht den bewussten Bruch mit den Gewohnheiten unserer bisherigen Praxis
Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.
Die von uns in diesen Thesen formulierte Kritik an linksradikaler Politik ist nicht neu. Sie wurde seit Mitte der 80er Jahre von verschiedenen Gruppen immer wieder diskutiert und teilweise veröffentlicht. Auch handelt es sich bei (zumindest Teilen) der Kritik keineswegs um eine Randerscheinung sondern um in weiten Kreisen geteiltes Unbehagen und Unzufriedenheit mit der eigenen Politik wie Diskussionen auf unterschiedlichen Diskussionsveranstaltungen und Kongressen gezeigt haben. Wenn diese grundlegende Kritik aber seit Jahren immer wieder formuliert wurde und viele Linksradikale ihr zustimmen, dann stellt sich die Frage, weshalb sich trotz solcher Debatten an der Praxis nichts wesentlich geändert hat.
Wir haben in den letzten Thesen bereits an verschiedenen Stellen Faktoren beschrieben, die eine tatsächliche Veränderung der Praxis von Linksradikalen unserer Meinung nach verhindert. Dennoch war es uns wichtig, mit der Formulierung dieser elften These, den Widerspruch zwischen Debatte und Praxis noch einmal explizit zu betonen und einige der bereits genannten sowie einen weiteren Grund dafür auszuführen.
Zu den bereits genannten Gründen zählen: Die immer noch existierenden gesellschaftlichen und psychosozialen Faktoren, die zu einer Reproduktion linksradikaler Politik vorwiegend als Subkultur beitragen (These 6). Die Organisierungsfeindlichkeit bzw. die fehlende Einsicht in die Notwendigkeit der Organisierung. Sie trägt dazu bei, dass die Veränderung der Praxis an Individuen oder Kleingruppen hängen bleibt bzw. Organisierungsversuche aufgrund der geringen Anzahl sich organisieren wollender Gruppen und Einzelpersonen scheitern (These 2). Identitätspolitik und Sektierertum innerhalb der linksradikalen Szene, die vorwiegend das Trennende betonen und gemeinsame Veränderungen erschweren (These 6 und 9). Die Gewohnheit an politische Ansätze, die sich nicht an die veränderten Voraussetzungen für Kämpfe und gesellschaftliche Bedingungen in der heutigen Zeit angepasst haben (These 4).
Ein wichtiger Grund, den wir noch nicht genannt haben, ist unserer Meinung nach auch, dass die Umsetzung der Kritik quasi zum Zusatzprojekt erklärt wird, das parallel und ergänzend zum „Business as usual“ der bisherigen politischen Praxis stattfinden soll. Dadurch rutscht die Notwendigkeit der Praxisveränderung gegenüber den Erfordernissen der wie gewohnt fortgesetzten linksradikalen Praxis in Teilbereichs- und Abwehrkämpfen schnell in den Hintergrund.
Was wir wollen?
Der Wandel von einer durch Teilbereichs- und Abwehrkämpfe bestimmten, subkulturell geprägten Szene zu einer emanzipatorischen Bewegung mit gesellschaftsveränderndem Potential wird nicht als bloße Ergänzung unserer bisherigen Praxis zu haben sein. Wir müssen aus der gemeinsam diskutierten Kritik, Ziele formulieren und unsere gesamte eigene Praxis genau überprüfen, ob sie diesen entspricht und sie gegebenenfalls konsequent umgestalten. Das erfordert andere und neue Schwerpunktsetzungen, für die wir bereit sein müssen, mit unseren bisherigen Gewohnheiten zu brechen, auch wenn es unbequem ist – oder an anderen Stellen zunächst sogar erschreckend erscheint. Denn es ist ja keineswegs so, dass das Einsetzen für Teilbereiche oder das Engagement in Abwehrkämpfen überflüssig wären. Wir selbst machen die Erfahrung, wie schwer es angesichts der sich ständig zuspitzenden Verhältnisse ist, nicht immer wieder in gewohnte Verhaltensweisen und Aktionismus zu verfallen. Auch weil der Aufbau langfristiger Strukturen nicht direkt sichtbare Erfolge zeigt.
Die grundlegende Neugestaltung linksradikaler Politik erfordert auch von jeder und jedem Einzelnen Veränderungsbereitschaft auf individueller Ebene, weil revolutionäre Politik die Veränderung der eigenen Persönlichkeit mit einschließt und Prioritäten setzen auch bedeuten kann, das gemütliche Umfeld und gewohnte soziale Strukturen zu verlassen. Zudem beinhaltet Organisierung und tatsächliche Veränderung auch Ernsthaftigkeit, Verbindlichkeit und Disziplin. Wie viel Zeit und Kapazitäten jede und jeder Einzelne jedoch in solch ein Projekt einbringen kann, hängt sehr stark von den unterschiedlichen gesellschaftlichen und existentiellen Anforderungen und den jeweiligen Lebenssituationen ab.
Epilog
Wir sind nicht naiv und verleugnen nicht die aktuelle Verfassung der bundesdeutschen Gesellschaft. Wir denken nicht, der Ausbruch revolutionärer Massenbewegungen hängt nur von unserer Art, Politik zu machen ab. Aber die existierenden Potentiale auf der einen und die aktuellen Kampfformen der radikalen Linken auf der anderen Seite passen nicht zusammen. Dadurch bleiben viele Potentiale ungenutzt bzw. werden nicht ausreichend ernst genommen.
Die in den elf Thesen formulierten Vorschläge zur grundlegenden Neuausrichtung unserer Praxis werden uns keine Garantie des Erfolgs einbringen. Aber gemeinsame intensive Diskussionen, eine gemeinsame Organisierung und Entwicklung von Strategien schaffen die Grundvoraussetzungen für eine Politik, die eine tatsächliche Gesellschaftsveränderung herbeiführen kann, während wir im anderen Fall das bleiben, was wir sind: Ein (günstigenfalls) progressives Korrektiv für Missstände des kapitalistisch-bürgerlichen Systems.
Wir freuen uns auf einen gemeinsamen Austausch.
Ihr erreicht uns unter kollektiv@riseup.net
Hier unser pgp-Schlüssel:
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1Wenn ihr an einer Antwort oder eigenen Papieren arbeitet, dann gebt uns gerne eine kurze Rückmeldung. Wir selbst haben dies leider nicht gemacht, so dass diejenigen Gruppen, deren Papiere uns sehr inspiriert haben, nun erst knapp ein Jahr später eine Reaktion von unserer Seite erhalten. Darüber hinaus halten wir persönliche Treffen im Rahmen der allseitigen Mobilität als die sinnvollere und wichtigere Ergänzung zu der Veröffentlichung von Strategiepapieren.
2Die Abneigung gegenüber der Gesellschaft führt auch dazu, dass viele radikale Linke sich selbst und die eigenen Strukturen und Orte als etwas betrachten, das außerhalb des (vermeintlich homogenen) gesellschaftlichen Ganzen existiert. Das verstärkt nicht nur die Selbstisolation linksradikaler Politik sondern verkennt auch die vielen Spaltungen und Widersprüche innerhalb der Gesellschaft ebenso wie die Potentiale für eine Gesellschaftsveränderung.
3Damit meinen wir nicht nur die ökonomischen Veränderungen, sondern es gibt zahlreiche strukturelle Widersprüche, die sowohl zur Instabilität des Systems als auch zur Unzufriedenheit und Unruhe beitragen (zunehmende Umweltzerstörung, Entfremdung und Vereinsamung, neoliberale Umstrukturierung der Sozialsysteme (Pflege, Gesundheit, Bildung etc.) und deren zunehmende Aushöhlung etc.
4Auch in vielen Ländern des globalen Südens ist eine Organisierungsfeindlichkeit innerhalb junger Aktivist_innen und linken Akademiker_innen zu finden. In Diktaturen wie z.B. dem Iran kommt als weiterer Grund für die kritische Haltung gegenüber politischen Organisationen die massive staatliche Repression gegenüber diesen und damit verbunden, die Erfahrungen der existentiellen Bedrohung organisierter politischer Arbeit hinzu.
5In vielen linken Strömungen in Europa war der Niedergang sozialistischer Bewegungen und Modelle viel früher als der Zusammenbruch der Sowjetunion spürbar. Die Wurzeln poststrukturalistischer und postmoderner Theorien reichen entsprechend bis in die 60er Jahre zurück.
6Um präziser zu sein, muss man an dieser Stelle hinzufügen, dass eine wichtige Phase der Zerschlagung kollektiver revolutionärer Strukturen bereits im Nationalsozialismus stattgefunden hat.
7Dabei besteht die Gefahr, dass durch die autonomen Organisierungen von einzelnen Gruppen, Spaltungen innerhalb der Organisation reproduziert werden und der gemeinsame Kampf in zahlreiche einzelne, autonome Organisierungen zerfällt. Dennoch kann es auch wichtig und sinnvoll sein, dass sich einzelne Gruppierungen autonom organisieren. Diese Widersprüchlichkeit und Problematik muss im Prozess der Organisierung diskutiert und erprobt werden.
8Den gesellschaftlichen Entwicklungen in Rojava wird dabei von vielen Kritiker_innen jegliches revolutionäre Potential abgeschrieben (z.B. auch die Möglichkeit, dass sich daraus ein größerer sozialer Prozess entwickeln kann). Diese Kritik verkennt die reale Bedeutung der revolutionären Prozesse von Rojava in einer Umgebung mit starker patriarchaler Prägung, ethnischer Spaltungen und fundamentalistisch religiösen (politischer Islam) bis religiös faschistischen (z.B. sog. Islamischer Staat) Tendenzen. Gleichzeitig beruht sie häufig auf einer pauschalen Verurteilung der kurdischen Bewegung und deren politischen Interesse ohne sich dabei mit den Entwicklungen und unterschiedlichen Tendenzen innerhalb dieser zu beschäftigen oder den direkten Austausch zu suchen.
9Damit wollen wir nicht sagen, dass revolutionäre Bewegungen und Kämpfe an einzelnen Orten per se unmöglich oder sinnlos sind. Vielmehr bilden sie die Basis aus der sich heraus eine internationalistische Dynamik entwickeln kann und muss. Dabei sehen wir die revolutionären Kämpfe in den neokolonialisierten Ländern des globalen Südens als zentralen Ausgangspunkt für revolutionäre Umbrüche.
10So hat die IG BSE versucht die Konkurrenz durch billigere Arbeiter_innen dadurch zu bekämpfen, dass sie Arbeiter_innen dazu aufforderte, Kolleg_innen, die ohne Vertrag oder Arbeitserlaubnis arbeiten, anzuzeigen und forderte polizeiliche Razzien (wildcat no.99 – winter 2015/16). Die Tatsache, dass Arbeiter_innen ohne Vertrag und Aufenthaltserlaubnis für weniger als die Hälfte des normalen Lohnes ausgebeutet werden, hat Konsequenzen für die Festangestellten und bildet ein reales Problem. Dennoch förderte diese Politik der Gewerkschaft rassistische und nationalistische Diskurse anstatt gemeinsam für eine Verbesserung aller Arbeitsbedingungen zu kämpfen.
11Wobei der Arbeitsmarkt insgesamt wie oben beschrieben immer weiter gespalten wird durch Mikro-Lohnanpassungen und Leistungsmanagement, Festangestellte mit unterschiedlichen Verträgen, Befristete mit unterschiedlichen Verträgen, Werkverträge, Zeitarbeit etc.
12Insgesamt schafft der Kapitalismus jedoch auch eine immer größer werdende Anzahl an „Überflüssigen“, die überhaupt nicht mehr in den Arbeitsmarkt integrierbar sind.
13Weltweit ist dies auch vor dem Hintergrund der Entwicklung des Neoliberalismus zu sehen, der in vielen Staaten als Projekt von oben durchgesetzt wurde, häufig mithilfe eines Militärputsches und der Implementierung gewaltvoller Diktaturen. Hierbei wurden linke Bewegungen weitgehend vernichtet und die Gesellschaften grundlegend verändert (z.B. Indonesien, Südamerika, Türkei, Iran etc.). In diesem Zusammenhang sehen wir auch den Aufstieg des politischen Islam.
14Die Situation von politischen Migrant_innen in der BRD muss jedoch ihrerseits weiter differenziert werden: So sind politische Aktive aus dem Nahen Osten meist vor Krieg oder diktatorischen Systemen geflohen. Hier kommt hinzu, dass viele traumatisiert sind und Angst davor haben, wieder aktiv zu werden. Demgegenüber stehen politische Aktivist_innen aus EU-Staaten. Sie haben mehr Gemeinsamkeiten mit der weiß deutschen linksradikalen Szene, deshalb ist es für sie meist einfacher sich hier anzuschließen und politisch aktiv zu werden.
15Diskurskämpfe sind nötig, aber die Frage ist, wie man diese durchführt: über bürgerliche Medien oder durch eine Praxis von unten.
16Damit meinen wir nicht revolutionäre Tendenzen innerhalb der damaligen SPD wie sie von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht etc. vertreten wurden.
17Einige von zahlreichen Beispielen sind der Streik bei Atlas Maschinenbau in Delmenhorst, die Änderungskündigungen und anschließenden Arbeitskämpfe beim GHB in Bremen und Bremerhaven, der Streik bei BSH Berlin, Neupack etc.
18Der kommende Aufprall, Antifa Kritik & Klassenkampf, S. 7.
19In Wie die Welt verändern? von lower class magazine (01/2015) http://lowerclassmag.com/2015/01/wie-die-welt-veraendern/
20Dieser Dialog unterscheidet sich von einem reinen Aufklärungsauftrag dadurch, dass 1) die Begegnung auf Augenhöhe stattfindet, 2) existentielle Bedingungen als Mittel des Dialogs benutzt werden und 3) Linksradikale selbst lernen, unbeachtete Aspekte der Realität aus der Sicht anderer Menschen zu sehen und davon zu lernen („Lehrende sind auch Lernende“).
21In einigen Ansätzen wie Critical Whiteness oder auch feministischen Praxen findet eine Auseinandersetzung mit verinnerlichten Normen statt. Allerdings sind sie meistens weder in eine revolutionäre Strategie oder Kampf eingebunden noch werden sie zur kollektiven Stärkung und Befreiung genutzt. Vielmehr werden diese antirassistischen und antisexistischen Kriterien teilweise wie Dogmen für die Selbstdarstellung, Aufwertung der eigenen Person sowie Kritik und Abwertung anderer benutzt. Durch diese einseitige Verwendung haben diese Ansätze die Tendenz, Bewegungen und Organisierungen zu spalten und Identitätspolitik zu verstärken.
22Diese Situation ist die Folge eines Entwicklungsprozesses: Die neue Phase der globalen Weiterentwicklung des Kapitals hat zu einer Vereinnahmung aller gesellschaftlichen Bereiche durch die Logik des Marktes und der Profitorientierung geführt. Infolgedessen sind wir in allen Lebensbereichen Konkurrenzdruck, Leistungs- und Optimierungszwang ausgesetzt. Aufgrund der voranschreitenden Individualisierung sowie der Auflösung von unabhängigen Formen der Organisierung und Kollektivität fühlen sich Menschen im Umgang mit den alltäglichen Problemen und Angriffen des Kapitals alleine, schwach und ohnmächtig. Zudem hat die Privatisierung und Kommodifizierung des Bildungssystems, der Medien und Wissenschaft dazu geführt, dass der Widerstand gegen die herrschende Meinungsbildung immer schwerer wird. Um in diesen als unbesiegbar erscheinenden Verhältnissen zu überleben, wählen die meisten Menschen individuelle Lösungswege, indem sie versuchen, sich durch Selbstoptimierung und Leistungsstreben zu assimilieren.
23Ökonomische Interessen bestimmen immer stärker die Ausrichtung der Forschung und der Raum für herrschaftskritische Wissenschaft wird immer enger. So ist die Forschung abhängig von den Kriterien der Drittmittelvergabe oder Vorgaben der DFG und Universitäten gehen zunehmend Kooperationen mit Wirtschaftsverbänden und Unternehmen ein.
24Die Analyse von psychosozialen Faktoren und ihrer Entwicklung innerhalb der Gesellschaft im Zusammenhang mit der kapitalistischen Entwicklung wird häufig gegenüber einer Analyse der Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Strukturen vernachlässigt.
– von Kollektiv aus Bremen
carlos 27. Juli 2016 - 12:09
Bei aller Liebe sowohl für die Bremer Genoss*innen als auch die (Fort-)Führung von politischen Reflexionsprozessen: die Länge des Texts allein widerspricht schon These 11…
Michael Pauper 28. Juli 2016 - 13:27
Zunächst finde ich es höchst erfreulich, wenn Teile der “radikalen Linken” der Aufgabe, über die eigene Politik kritisch zu reflektieren, nicht einfach aus dem Weg gehen. Ich habe mich sehr gefreut, einen Text zu lesen, der “für eine grundlegende Neuausrichtung linkradikaler Politik” argumentiert. Positiv zu vermerken ist die in dem Text angesprochene Notwendigkeit der Organisierung, die internationalistisch ausgerichtet ist. Das hört man heute leider nur noch selten in der sog. “radikalen Linken”. Leider wird das Versprechen, das in der Überschrift gegeben wird, nicht eingehalten. Dort, wo man tatsächlich neue Impulse erwarten würde, bleiben die Formulierungen und Forderungen (“Was wir wollen”) leider zu abstrakt und begnügen sich damit, allgemein akzeptierte, weil völlig leere Allgemeinplätze wiederzugeben (bspw. das Reden von der “gegenseiteigen Bezugnahme” internationaler Kämpfe; Aufbau basisdemokratischer Strukturen, die gleichzeitig irgendwie “überregional” und “nicht-hierarchisch” sein sollen etc.). Was hingegen überaus erfreulich ist, ist die Tatsache, dass in dem Text die Wörter “Methode” und “Strategie” fallen, die man in sonstigen Texten “linksradikaler” Gruppierungen oft schmerzlich vermisst. Allerdings werden auch in diesem Text keine wirklichen Strategien und Taktiken vorgeschlagen, wie es zu einer Überwindung der Spaltung innnerhalb der Linken kommen kann. Die Einheitsfronttaktik wird zwar nicht explizit erwähnt, mit dem Verweis auf die pöhsen, pöhsen Gewerkschaftsbürokraten und reformistischen Parteien aber implizit abgelehnt. Nach dem Motto: “Die gibt es zwar die haben auch großen Einfluss auf die Massen, mit denen wollen wir aber nichts zu tun haben.” Mit der Ablehung der Einheitsfronttaktik steht man als “Linksradikaler” aber wieder mal vor dem Problem, wie man denn aus der eigenen Isolierung, die so schmerzlich beschrieben wird, herauskommen soll. Und die Lösung ist natürlich: Stadtteilarbeit, Organisierung des Alltags etc. Das ist doch aber genau das Rezept, das schon von den verschiedensten Gruppen immer wieder neu aufgewärmt wird, obwohl es zum größten Teil doch nur zu Frustration und Isolation führt.
Ich halte es für eine falsche Analyse, wenn das Problem des Zusammenbrechens sozialer Aufstände vor allem damit erklärt wird, dass die meisten Menschen keine Erfahrungen mit Selbstorganisation in ihrem Alltagsleben haben. Genau hier zeigt sich doch vielmehr die Notwendigkeit einer revolutionären Kaderpartei, die in Verbindung mit diesen Kämpfen ein revolutionäres Übergangsprogramm entwickelt, das den kämpfenden Massen Mittel und Wege aufzeigt, wie diese die von ihnen postulierten Ziele auch tatsächlich erreichen können. Das hat nichts mit “Bevormundung” oder autoritärer Führung zu tun. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus der Analyse der kapitalistischen Gesellschaftsformation, d.h. auch aus dem Anerkennen der Tatsache, dass das (spontane) Bewusstsein der Lohnabhängigen ein trade-unionistisches Bewusstsein ist, das in sich die Gefahr trägt, im reformistische Handwekelei und Nur-Gewerkschafterei abzugleiten. Das ergibt sich aus der identischen Seite des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital, welches die materielle Grundlage für das reformistische Bewußstein in der ArbeiterInnenklasse bildet. Dieses Problem und die sich daraus ergebende Notwendigkeit einer revolutionären Partei, die ein geeignetes (Übergangs-)Programm entwickelt, auf dessen Grundlage die Selbstbefreiung der Lohnabhängigen organisiert werden kann, kann nicht einfach mit dem Verweis auf “anti-autoritäre Praxen” weggewischt werden – bzw. nur unter der Bedingung, die eigene Unfreiheit zu verewigen. Wer allerdings den Aufbau einer revolutionären Internationale ablehnt, muss doch erklären können, wie er sonst die von ihm beschriebene Macht des globalen Kapitals brechen will. Ohne ein gemeinsames Programm, ohne “hierarchische Strukturen” (die an Verantwortlichkeiten gebunden sind, jederzeit abwählbar, rechenschaftspflichtig etc.), sondern nur durch “gegenseitige Bezugnahme” wird das kapitalistische Weltsystem wohl kaum zu überwinden sein. Selbstverständlich ist auch das Problem der Arbeiter- und Gewerkschaftsbürokratie zu berücksichtigen und geeignete Taktiken zu entwickeln, diese politisch zu bekämpfen. Inwiefern man dies allerdings mit den vorgeschlagenen Mitteln erreichen kann, bleibt fraglich. Dennoch danke ich der Gruppe für ihren Diskussionsbeitrag!
grazkaf 1. August 2016 - 21:43
Alles arrogantes,wolllüstiges Hirngewichse von einer Kaderpartei, die unwissende revolutionäre Massen führen soll, sind schlecht getarnte Herrschaftsphantasien regressiver Kleinbürgernaturen, deren Motivation zur politischen Arbeit sich aus dem bohrenden Gefühl speist, das ganze Leben zu kurz gekommen zu sein und deren Utopievorstellung sich auf die Hoffnung beschränkt, nicht nur immer getreten zu werden, sondern SELBER mal richtig treten zu dürfen, SELBER auf dem Chefsessel zu sitzen.
Kurz: die “revolutionäre Kaderpartei” ist der virtuellle Gewerkschaftsjob für diejenigen, die in der Gewerkschaft nichts geworden sind und für die normale, asselige Lohnarbeit nicht mit dem heiligen Selbstbild vereinbar ist.
Michael Pauper 8. August 2016 - 17:34
Dein Argument zu der Frage der Organisierung ist also: “Du bist ein arrogantes Kleinbürgerarschloch, das gerne andere Leute beherrschen will.” Sehe ich das richtig? Wenn Du sonst nichts dazu zu sagen hast, sagt das viel über Dich und Deine Vorstellungen davon, wie “Diskussionen” zu führen sind (persönliche Diffamierung, Beleidigung, Unterstellungen), bringt die revolutionäre Linke aber kein Stück voran.
joe hill 7. August 2016 - 23:31
These 6 spricht mir aus der Seele. Was leider nur subtil und etwas euphemistisch kritisiert wird ist dass die Gründe für die soziale Einigelung nicht nur Angst, Unsicherheit etc. sind, sondern profane Bequemlichkeit und Überheblichkeit, oft gepaart mit einem narzisstischen Abgrenzungsbedürfnis zum “dummen Volk”.
Leider fehlen auch konkrete Vorschläge wie man die Menschen außerhalb der Szene erreichen soll. Meiner Meinung nach reicht es nicht sich bspw. statt der autonomen Demo am ersten Mai sich zur Abwechslung der DGB-Demo anzuschließen, um sich dann danach auf die Schulter zu klopfen wie szenefern man ja ist. Agitationsmittel Nummer Eins sind soziale Beziehungen, und solange viele Linksradikale eine soziopathische Aversion dagegen haben sich mit Menschen außerhalb der Szene privat abzugeben, bleibt jegliches andere Bestreben nicht mehr als ein Feigenblatt. Ein konkreter Vorschlag wäre es beispielsweise zur Bedingung zu machen dass sich eine Person, bevor sie in eine politische Gruppierung aufgenommen wird, nachweisen muss dass sie soziale Beziehungen außerhalb der Szene hat (bspw. durch eine Vereinsmitgliedschaft o.ä)
Eingeschränkte 9. August 2016 - 20:59
Ich freue mich über den Text. Folgendes ist mir dadurch eingefallen:
Subkulturen sollten gepflegt werden. Selbstbestätigung und Raum, sich zu entfalten, sind wichtig, speziell für jüngere Menschen. Elitarismus gleicht das Niedergemachtwerden aus; Ausschlüsse erzeugen die Grenzen des Raums, in dem sich Menschen geschützt fühlen dürfen. Dasselbe trifft auf die “Selbstghettoisierung unter migrantischen Gruppen” zu.
Komisch: das eine wird “Ghetto” genannt, das andere bekommt ein “kultur” ab …
Ähnliches hat es in der Weimarer Republik gegeben, z.B. eine Sportszene proletarischer Jugendlicher oder auch eine Proletenkneipenszene oder auch eine Kleingartenvereinsszene oder auch diverse linke Hinterzimmer-Revoluzzerszenen (der KPD-Gründungskreis war nichts anderes) usw.
Es käme auf die Kommunikation der Subkulturen an, nicht auf die Auflösung ihrer Umgrenzungen und inneren Identitätskonstrukte.
“Wie man die Menschen außerhalb der Szene erreichen soll” wäre schon mal ein schiefer Ansatz. Besser wäre es vielleicht, sich zu fragen, was “man” von diesen Menschen da draußen möchte und ob das etwas wäre, das “man” selbst zu liefern bereit wäre.
Kommunikationskanäle zwischen Subkulturen können im Prinzip nur bilden: gemeinsame Räume, Aktivitäten und/oder Publikationen. Kommunikationsinhalte können im Prinzip nur gemeinsame Anliegen sein.
Aus konkreten unterschiedlichen Anliegen werden gemeinsame durch Abstraktion. Damit es zur Kommunikation kommt, müssten es Realabstraktion sein (nicht abgehobenes, blutleeres Zeug). Ungefähr, wie in der Malerei die Farbe zum Thema wurde, nachdem Farben zuvor nur als an Gegenstände gebundene Eigenschaften unselbständige und entsprechend separierte Realitäten besaßen. Realabstraktionen sind Ergebnisse des gesellschaftlichen Lebens. Einige hat Marx aufgespürt und beschrieben, aber heute keimen da noch andere. “Man” könnte sich auf die Suche nach ihnen machen.
Das wäre etwas grundlegend anderes als der Ansatz “gemeinsame Forderungen”, denn Forderungen beinhalten immer eine sie erfüllende Instanz, die die Forderungenstellenden nicht selber sind. Stellen mehrere Subkulturgruppen dieselben Forderungen, produzieren sie einen externen Bezugspunkt, der das ihnen Gemeinsame mitdefiniert. Da entwickelt sich nichts weiter.
Andreas Hübner 11. August 2016 - 12:36
Sorry,
aber der Kommentar von “Eingeschränkte” liest sich wie aus dem Irrenhaus.
Verstehe, wer will.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Hübner
niceandsleazy 16. August 2016 - 12:06
Also mir hat der Kommentar von “Eingeschränkte” gefallen und zu denken gegeben… Immerhin wars ein beitrag zur Diskussion und kein bloßes Gemobbe.
Wenn du, Andreas Hübner, dich wohl damit fühlst, den Kommentar, den du nicht zu verstehen in der Lage zu sein scheinst, abzustempeln, als “wie aus dem Irrenhaus”, dann sagt das mehr über dich selbst aus, als du vielleicht möchtest. Zumal es dein einziger Kommentar ist!