„Drogen sind ein Feind im politischen Kampf“

9. März 2016

Autor*in

Karl Plumba

Wer in der deutschen Linken sozialisiert ist und sich auf Reisen in andere Länder begibt, wird feststellen, dass der Umgang mit Drogen in revolutionären Bewegungen außerhalb der Komfortzone sich stark von dem unsrigen unterscheiden kann.
Während in der deutschen Linken Drogen- und Alkoholkonsum fest zur Soliparty-Subkultur gehören, haben Linke in anderen Ländern den Drogen den Kampf angesagt.

In der Türkei ist der Kampf gegen Drogenkonsum und – Handel nicht nur theoretisch ein wichtiger Bestandteil linker Politik, er wird auch praktisch geführt. Besonders in den Metropolen arbeiten Polizei und Geheimdienst oft mit der örtlichen Mafia zusammen, um linke Bewegungen zu schwächen, indem sie den Drogenhandel in Arbeitervierteln intensivieren. Beweise dafür gibt es genug, so fanden Revolutionäre beispielsweise im vergangenen Jahr nach Gefechten mit Dealern mehrere Pakete mit Drogen und Stempel der örtlichen Asservatenkammer.
War der Kampf gegen die Drogenbanden bis vor kurzem mehr oder weniger rein auf Abschreckung aufgebaut (Dealer bekamen Verwarnungen, wenn die Lektion nicht gelernt wurde Knieschüsse, in einigen Fällen wurde ihr Haus abgerissen), gibt es seit gut zwei Jahren im Istanbuler Stadtteil Gazi Mahallesi die „Hasan Ferit Gedik Drogenklinik“. Das ehemalige Standesamt der Nachbarschaft wurde von linken AktivistInnen besetzt und ist seitdem eine selbstverwaltete Drogenklinik. Benannt wurde sie nach dem Aktivisten Hasan Ferit Gedik, der am 30.09.2013 auf einer Demonstration gegen Drogengangs im Istanbuler Stadtteil Gülsuyu erschossen worden war. Eine Drogengang hatte der Demonstration aufgelauert und das Feuer auf sie eröffnet, Hasan Ferit wurde von sechs Kugeln getroffen, vier davon trafen seinen Kopf.

Die Klinik in Gazi hat den dezidierten Anspruch, jenseits staatlicher Angebote (die es in Gazi ohnehin nicht gibt) Menschen mit Suchtproblemen einen Ausweg zu zeigen. Im Folgenden erzählen vier Süchtige und eine Revolutionärin ihre Geschichten:
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Ich bin Aynur Balcı und bin immer hier im Zentrum. Ich kümmere mich hier um die Süchtigen und unterstütze sie in ihrer Therapie. Im Grunde bin ich hier eine Art Sozialarbeiter. Unser Job ist es hier auch nicht nur, die Süchtigen von den Drogen wegzubekommen, wir müssen sie auch meistens resozialisieren. Viele Menschen, die hier herkommen und Hilfe brauchen haben eine jahrelange Drogenvergangenheit, in der sie oft den Kontakt zur Welt außerhalb ihres Umfeldes verloren haben.

Manche haben auch keinen Kontakt mehr zu ihren Familien. Wir bringen ihnen hier also bei, einen geregelten Tagesablauf zu haben. Sie stehen früh auf, frühstücken gemeinsam, beteiligen sich an den Aufgaben die anfallen, machen Essen und gehen auch nicht erst mitten in der Nacht wieder ins Bett.

Der Staat nutzt Drogen als Waffe im Klassenkampf. Er erschafft damit in armen Vierteln eine Kultur, oder eigentlich eine Abwesenheit von Kultur, in der die Menschen verrohen und zu antisozialen Individuen werden. Das versuchen wir hier aufzubrechen.

Ein wichtiger Punkt dabei ist auch oft, die Wiedervereinigung mit den Familien. Viele die hier herkommen wurden aufgrund ihres Konsums von ihren Familien verstoßen, wir versuchen dann mit den Familien ins Gespräch zu kommen und auch deren Vorurteile zu beseitigen. Bei vielen der Süchtigen klappt das auch, sie besuchen ihre Familien regelmäßig und telefonieren jeden Tag. Das ist natürlich auch für die Fortschritte im Entzug eine große Hilfe.
Bei manchen klappt es nicht, da wollen die Familien einfach nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Die fangen wir dann auf und sie finden in uns eine neue Familie. Wir geben ihnen ihr Selbstwertgefühl zurück und sie lernen hier wieder anderen zu vertrauen und sie erleben auch, dass andere ihnen vertrauen. Natürlich schaffen es nicht alle, die herkommen, auch wirklich clean zu bleiben. Ich schätze unsere Erfolgsquote liegt so zwischen 40% und 50%. Unsere wichtigste Regel hier ist, dass niemand mit Medizin oder Ersatzdrogen behandelt wird. Unsere Behandlung ist rein psychisch. Wir glauben, dass das der einzige Weg ist wirklich von den Drogen wegzukommen.

Zwar ist von uns Revolutinären niemand ausgebildeter Arzt oder Psychiater, aber jeden Dienstag und Freitag kommen solidarische Ärzte und führen mit einigen Süchtigen Therapiegespräche, vor allem aber bringen sie uns den Umgang mit Süchtigen und verschiedene Therapiemethoden bei.
Letztendlich ist der Ablauf des Aufenthalts bei den meisten gleich. Am Anfang haben Angst und werden von Familienangehörigen oder engen Freunden hergebracht. Die Angst kommt oft daher, dass die meisten wissen, wie die Revolutionäre mit Dealern umgehen. Viele denken deswegen, dass sie hier genauso bestraft werden. Natürlich ist das nicht der Fall, bestraft werden Dealer und Mafiosi und das ist oft das allererste, was die Leute hier lernen. Sobald sie sich dann hier eingelebt haben, wollen die meisten gar nicht mehr weg und selbst die, die es geschafft haben und inzwischen ein normales Leben leben, kommen immer wieder her und besuchen uns.

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Ich bin Şiar Yildiz und komme aus Sivas, wohne aber in Istanbul. Ich habe vor ungefähr fünf Jahren angefangen Drogen zu konsumieren. Eigentlich habe ich damals fast alles genommen, aber hauptsächlich Bonzai und Heroin. Ich hatte aber schon damals eine politische Einstellung und wollte aktiv sein. Die revolutionären Bewegungen waren mir schon immer sympathisch und ich habe ihre Ideen schon immer geliebt. Letztendlich geht es aber nicht, gleichzeitig politisch aktiv und drogensüchtig zu sein, besonders da diese Bewegung sich aktiv gegen Drogen einsetzt. Weil mir das immer klar war, habe ich mehrmals versucht alleine von dem Zeug wegzukommen, habe es aber nie geschafft.
Für mich war die Beerdigungszeremonie von Şafak Yayla und Bahtiyar Dogruyol ein einschneidendes Erlebnis. Ich habe an ihr teilgenommen und bin mit den Revolutionären gemeinsam festgenommen worden. Sie haben mich so begeistert, dass ich die Entscheidung fällte hier her zu kommen um endlich von den Drogen wegzukommen. Meine letzte Hürde war mein eigenes Schamgefühl. Es ist nicht leicht irgendwo hinzugehen und vor fremden über seine Probleme zu reden. Ich habe dann mit Genossen gesprochen und die haben mich begleitet, so dass ich meine Scham überwinden konnte.
Inzwischen bin ich seit vier Monaten hier und nehme keine Drogen mehr. Ich besuche sogar einmal die Woche meine Familie und ich bin sehr froh über meine Entscheidung.

Hier bin ich nicht nur von den Drogen weggekommen, sondern habe auch viel über den Marxismus-Leninismus gelernt und endlich angefangen, mich auch für politische Ziele zu engagieren. Unser Land ist eine Neokolonie des US-Imperialismus, außerdem ist natürlich die Türkei selbst ein kapitalistisches Land, in dem wir ausgebeutet werden und in dem die Menschen in Armut leben.
Für mich kann es keinen anderen Weg geben, als für die Befreiung, Demokratie und Sozialismus zu kämpfen. Natürlich bin ich kein Vollzeitrevolutionär, aber ich gehe langsame Schritte in diese Richtung.

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Ich heiße Şahin Kaban und bin 27 Jahre alt. Ich komme ursprünglich aus Erzincan aber wohne seit langem in Istanbul. Vor ungefähr elf Jahren habe ich und unter meinem Künstlernamen „Karayel Kenzie“ [schwarzer Sturm] angefangen zu rappen.
Damals habe ich angefangen mit Klebstoffschnüffeln, das ging über drei Jahre. Später kamen dann noch Bonzai und Marihuana dazu und ich bin so tief in die Sucht gerutscht, dass ich nicht mehr raus gekommen bin. Meiner Meinung nach war ich allerdings hauptsächlich psychisch davon abhängig. Ich habe versucht selber davon wegzukommen und war dreimal in Balıkkurum [eine der ‚besten‘ Drogenkliniken der Türkei Anm. d. Autors] und meine Familie hat dafür ordentlich Geld bezahlt.

Während ich dort war, sind meine Eltern ohne mein Wissen umgezogen und auch von meiner Verlobten habe ich kaum was gehört. Damals ging es mir so schlecht, dass ich sogar Haarausfall bekam und schwere Depressionen hatte. In der Klinik haben sie uns auch nicht wirklich behandelt, sondern uns mit Ersatzdrogen vollgepumpt. Ich habe damals Xanax bekommen, was natürlich meiner Sucht nicht geholfen hat, weshalb ich im Juni versucht habe mich umzubringen. Ich lag damals zwei Tage im Koma und bin dann nach meiner Entlassung nach Istanbul gekommen.
Von dem Hasan Ferit Gedik Center hatte ich vorher schon gehört, da ich aus einer politischen Familie komme, weshalb ich auch hergekommen bin. Hier bin ich jetzt seit ungefähr vier Monaten. Hier fühle ich mich sicher und bekomme statt Ersatzdrogen psychologische Unterstützung. Außerdem bin ich hier umgeben von solidarischen Menschen, die mich wie ein Familienmitglied behandeln. In der Zukunft möchte ich vor allem clean bleiben und wieder Musik machen.
Ich werde hier allerdings nicht weggehen, bis ich rausgeschmissen werde.

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Ich heiße Apocan Yardımcı aber meine Freunde nennen mich Apo. Ich bin 26 Jahre alt, gelernter Frisör und komme aus Urfa, wohne allerdings schon ziemlich lange in Istanbul.
Meine Geschichte ist wahrscheinlich ziemlich typisch. Dort wo ich aufgewachsen bin, habe ich viel mit älteren rumgehangen, zu denen ich aufgesehen habe. Die haben irgendwann angefangen Drogen zu nehmen und ich habe halt mitgemacht, um weiter dazu zu gehören. Angefangen hat es mit Marihuana und ging dann weiter mit Bonzai und Pillen. Das war so mit 13 ungefähr, die anderen waren alle in ihren Zwanzigern.
Das ging natürlich auch über den reinen Konsum hinaus. Weil ich so jung war, musste ich immer der Drogenkurier sein. Verkauft haben die anderen dann und den Gewinn haben natürlich auch die anderen eingesteckt. Bis ich ungefähr 16 war, habe ich nur unregelmäßig konsumiert, dann stürzte ich richtig in die Sucht. Mit 20 ist mir das erste Mal klar geworden, dass ich ein Suchtproblem habe und habe lange Zeit versucht es selber in den Griff zu bekommen.
Vor sechs Monaten hat mich mein Schwager dann hierher gebracht. Ich habe es hier am Anfang gehasst, ich wollte nur weg. Ich konnte die Menschen hier auch nicht leiden. Heute tut mir das Leid und ich bin sehr froh darüber, hier zu sein.
Am Anfang hatte ich noch häufig sehr starke Entzugserscheinungen, da haben mich die Leute hier in einen ruhigen Raum mitgenommen und haben mich beruhigt. Sie sind bei mir geblieben und wir haben es gemeinsam durchgestanden. Ich habe hier gelernt, dass Drogen nicht nur ein persönliches Problem sind, sondern auch ein Feind im politischen Kampf.
Das Überzeugendste für mich am Hasan Ferit Gedik Center ist die gegenseitige Solidarität. Wir sind alle füreinander da, ganz egal wo wir herkommen, wie lange wir schon hier sind oder was unsere persönlichen Geschichten sind. Jeder hilft hier jedem ohne etwas dafür zu erwarten, einfach aus der Überzeugung heraus, dass es richtig ist. Das war für mich etwas komplett neues. Früher wurde ich von meinen engsten Freunden verarscht und beklaut, hier kann ich jedem vertrauen. Inzwischen fühle ich mich hier wie zuhause, die Leute hier sind für mich wie meine Familie. Wenn ich meine Sucht überwunden habe möchte ich das, was ich mir hier an politischem Wissen angeeignet habe, in die Tat umsetzen.

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Ich bin Serdar Izgi, 23 und bin in Istanbul aufgewachsen. In der fünften Klasse habe ich angefangen Marihuana zu rauchen. Das Zeug war damals so billig, dass selbst wir Kinder es uns leisten konnten. Als Kind hat man ja auch noch nicht das notwendige Maß an Selbstreflexion, um zu erkennen, was man sich da eigentlich antut. Mich hat kiffen halt glücklich gemacht und ich dachte ich werde davon schlauer. Später, so mit 19, habe ich dann auch mit Speed, Bonzai und Ecstasy angefangen. Mein Konsum war besonders für meine Eltern eine große Belastung. Von alleine hätte ich damit auch nicht aufgehört, letztendlich waren sie es, die mich dazu bewegt haben.

Als Erstes haben sie mich für zwei Wochen in die Balıkkurum Klinik gebracht. Dort wurde ich mit Ersatzdrogen mehr oder weniger ruhig gestellt und kaum war ich aus der Klinik entlassen, habe ich wieder angefangen zu konsumieren. Dann hat mich meine Familie ins Hasan Ferit Center gebracht. Am Anfang war ich total dagegen, aber mein Vater kennt ein Paar von den Revolutionären hier im Viertel und hat darauf bestanden. Ich war dann kurz hier, bin aber schnell wieder abgehauen, weil mir das alles sehr fremd war.

Die Menschen hier, der Umgang miteinander, aber auch der strukturierte Tagesablauf, das war für mich alles zu ungewohnt. Nach kurzer Zeit bin ich dann allerdings von alleine wiedergekommen, weil ich meine Eltern nicht mehr so traurig sehen wollte.

Hier läuft die Therapie ganz anders als in Balıkkurum. Es gibt hier keine Ersatzdrogen, sondern psychischen Beistand. Für mich ist das auch genau das Richtige, denn immer wenn ich nicht konsumiert habe, habe ich mich alleine gefühlt. Hier ist immer jemand für mich da und steht mir bei. Seit fünf Monaten bin ich jetzt hier und habe seitdem auch keine Drogen mehr genommen.
Wenn meine Therapie abgeschlossen ist, werde ich versuchen in meinem Beruf, ich habe Koch gelernt, eine Stelle zu finden und meine Leben alleine auf die Reihe zu bekommen.

 

-Karl Plumba

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