Das LCM und seine Freunde sind alle raus aus der Gefahrenzone und befinden sich derzeit in Istanbul oder sind wieder zurück in ihren Heimatländern. Etwas mehr als 10 Tage waren wir gemeinsam im Kriegsgebiet und sind durch diejenigen Städte gereist, in der der Staat gewütet hat und teils noch immer wütet: Diyarbakir, Nusaybin, Idil, Dargecit, Sirnak, Silopi, Van, Yüksekova und Hakkari.
Wir haben gesehen und gehört, was es heißt, wenn mit schwerer Artillerie in Wohngebiete geknallt wird; haben mit Familien und Kindern über die barbarische Art und Weise gesprochen, in der sie von den Sonderneinsatzkräften behandelt wurden und werden und dass sie überhaupt keine Perspektiven mehr haben derzeit; beim Menschenrechtsverein (IHD), dem zivilgesellschaftlichen Rojava Verein, der humanitäre Hilfe leistet, und den demonstrierenden LehrerInnen und Sanitätern haben wir uns über die humanitäre Notlage, den Zusammenbruch des Schulsystems und der medizinischen Grundversorgung durch den Krieg sowie die nicht vorhandene staatliche Unterstützung für die Geflüchteten und Leidtragenden des Krieges informiert.
Wir haben auch mit YPS-KämpferInnen, den zivilen Selbstverteidigungseinheiten der belagerten kurdischen Städte, gesprochen und uns erzählen lassen, wie und warum sie ihre Viertel mit Barrikaden und Gräben verteidigen. Wir haben auch gesehen, dass zwar in der Tat eine Migrationswelle aus den Städten stattgefunden hat, dass aber der Teil der kurdischen Bevölkerung, der nicht geflohen ist, sich stolz mit den YPS-KämpferInnen identifiziert. Wir haben nicht wenige ältere Mütter hinter Barrikaden und Gräben gesehen, die Erdogan verfluchten und schwörten, dass er nie in die zubarrikadierten Viertel reinkommen und nie die Autonomiebestrebungen des kurdischen Volkes stoppen können wird.
Wir waren natürlich auch Polizeirepressionen ausgesetzt: mehrmals wurden wir de facto in Untersuchungshaft genommen, nie wurden unsere Presseausweise oder Konfirmationsschreiben akzeptiert, einmal wurden wir unter Einsatz scharfer Munition festgenommen und physisch bedroht und stets wurden wir als Verräter, Renegaten oder Spione beschimpft. Aber unsere kurdischen und linken Journalistenfreunde aus der Region haben uns erzählt, dass es noch viel übler ist für sie als lokale und insbesondere kurdische Journalisten. Erst kürzlich wurde unser Kollege Refik Tekin vom IMC-Fernsehkanal in Cizre angeschossen und dann vom Krankenhaus aus direkt in Haft genommen mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Bei ausländischen Journalisten scheinen die Sicherheitskräfte noch weitestgehend von härteren Maßnahmen abzusehen, nachdem sie damit in der Vergangenheit sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben. Aber garantieren, dass man als ausländischer Journalist glimpflich wegkommt, kann man bei den hassdurchtränkten, faschistoiden Schweinen, denen wir über den Weg gelaufen sind, nicht.
Nichtsdestotrotz setzen unsere kurdischen und linken Journalistenfreunde von vor Ort ihre Arbeit unter größter Lebensgefahr fort und reißen sich den Arsch dafür auf, um die Mauer des Schweigens und die Propaganda der staatlichen Revolverpresse zu durchbrechen. In Kurdistan stirbt derzeit die Menschheit, wie fast jede/r, den/die wir hier getroffen haben, zu uns sagte und die Welt schweigt. Alle hier vor Ort erwarten, dass demnächst eine neue Phase des Krieges eingeleitet wird: es scheint wahrscheinlich, dass der Staat demnächst über die Städte Sirnak, Nusaybin und Idil (erneut) die Ausgangssperre verhängt. Cemil Bayik von der PKK hingegen hat schon angekündigt, dass sie im Frühling die Guerilla in die Städte schicken werden, falls der türkische Staat nicht abrückt. Die EU und die USA dagegen stehen im Prinzip hinter diesem totalen Krieg ihres Kettenhundes Erdogan, da es auch ihren imperialistischen Interessen entspricht, dass im Nahen Osten keine popular-demokratische Alternative entsteht und mit Imperialismus sowie kleinbürgerlicher Reaktion aufräumt.
Und wegen all dem möchten wir zum Schluss noch einmal an euch appellieren: reißt euch zusammen und geht nach Kurdistan! Macht Berichterstattung, leistet Solidaritätsarbeit, demonstriert vor den türkischen Konsulaten in euren Städten – oder findet andere Wege, euch aktiv einzubringen. Was der türkische Staat am wenigsten ab kann, ist, dass seine Greueltaten dokumentiert und veröffentlicht werden. Lasst euch von Angst und Lethargie nicht bezwingen, nehmt euch ein Beispiel an den linken und kurdischen AktivistInnen und helft mit, die Mauer des Schweigens zu brechen.
clandestin0 5. Februar 2016 - 18:15
danke füer den bericht. ich hoffe es folgen weitere. was halten ihr für geeignete anlaufstellen, um sich vor ort solidarisch zeigen zu können. nicht jede_r ist an der waffe ausgebildet – noch verfügt über sie/er über medizinische kenntnisse, zu schweigen von den sprachlichen barrieren. gibt es bspw. menschenrechtsoganisationen, in denen man sich einbringen kann (berichterstattung, rundmails, unterstützer_innenkreise)? solidarische grüße!
lowerclassmag 11. Februar 2016 - 9:21
ja, gibt viele: z.B. Rojava Dernek, die helfen den vom Krieg Vertriebenen!