Wie ein Land, in dem kurdische Jugendliche ermordet, an Polizeifahrzeugen festgebunden und durch eine Kleinstadt geschleift werden, zum „sicheren Herkunftsstaat“ wird.
Am gestrigen Dienstag war der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan in Brüssel zu Gast. Auf der Tagesordnung stand ein Vorschlag der Europäischen Union zur Bewältigung der „Flüchtlingskrise“. Das Meeting verlief offenkundig für beide Seiten produktiv, so dass Springers Bild in gewohnt infantiler Sprache titeln konnte: „Ist Erdogan jetzt wieder unser Freund?“
Wir erinnern uns: Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren „Verstimmungen“ zwischen Berlin/Brüssel und Ankara. Die Vertreter der europäischen Union kritisierten die Menschenrechtslage in der Türkei, die brutale Unterdrückung der politischen Opposition während der Gezi-Proteste, das Mundtotmachen kritischer Journalisten. Die „Verstimmung“ aber blieb immer verbal, sie betraf nie die enge ökonomische, militärische, polizeiliche Zusammenarbeit mit dem Sultanat in spe.
Und weil Worte eben Worte sind und an der Wirklichkeit recht rasch zerschellen, sind „wir“ jetzt eben „wieder Freunde“, da nun Wichtigeres ansteht als das Abgeben billiger Rügen und wohlklingender Aufforderungen. „Freunde“ sind „wir“ – also Angela Merkel, Jean-Claude Juncker, Donald Tusk – und Recep Tayyip Erdogan jetzt wieder, weil „wir“ einige Sorgen haben: Zum einen verstört „uns“, was der Russe da in Syrien macht, und da können „wir“ einen Nato-Partner wie die türkische Regierung nicht im Abseits stehen lassen. Zum anderen aber wissen „wir“ nicht, was wir denn jetzt mit diesen ganzen Flüchtlingen anfangen sollen, die unkontrolliert an „unseren“ Inseln des Wohlstands angeschwemmt werden. Und da sich herausgestellt hat, dass es unpopulär wie Sau ist, wenn einer von „uns“, also etwa der ungarische Protofaschist Victor Orban, Zäune baut, soll nun lieber Erdogan einen bauen, der weiter weg ist.
Geld und Visa für Ruhe und Ordnung
Also kam es zur Anbahnung einer Einigung mit der so oft gescholtenen Türkei. Die sieht im wesentlichen so aus: Wir geben dir Geld und Visa-Freiheit für deine Bürger. Und du hinderst die Flüchtlinge daran, nach Europa zu kommen. Handschlag drauf!
Lesen wir zuerst die öffentlichen Verlautbarungen. Während des EU-Türkei-Treffens, wurde ein Papier zur Grundlage der Gespräche, das tatsächlich den Titel trägt: „Der Merkel-Plan“. Verfasst ist es von einer „European Stability Initiative“ und sein Inhalt lässt sich in wenigen Punkten zusammenfassen: Deutschland sollte 500 000 syrische Flüchtlinge, die in der Türkei registriert sind, in den kommenden zwölf Monaten aufnehmen. Danach sollte, „ab einem bestimmten Datum“ die „Türkei zustimmen, alle neuen Migranten, die von ihrem Territorium aus Griechenland erreichen, zurückzunehmen“. Um diese Aufgabe zu bewältigen, soll die Türkei Finanzhilfen bekommen und – rechtzeitig als Wahlkampfgeschenk für Erdogan – die Unterstützung Deutschlands für visumfreies Einreisen in Europa.
In der Türkei sollen dann zusätzliche riesige (tatsächlich riesige, es geht ja um Millionen von Flüchtlingen) Auffanglager für Refugees entstehen, von denen aus man möglicherweise auch Asylanträge in Europa stellen kann. Das würde garantieren, dass man nicht alle reinlassen muss, sondern eben nur genau so viele, wie Staat und Kapital hierzulande brauchen. Man erinnere sich an die Debatte um ein „Punktesystem“ für Einwanderung: Bist du schon fein ausgebildet und kannst von uns gut ausgebeutet werden, willkommen. Bist du nichts und hast nichts, bleib mal in deinem Lager. In diesem Punkt, man muss es sich vorstellen, kritisiert übrigens sogar Erdogan die Europäische Union: Das Selektieren von Flüchtlingen nach Bildungsstand und Religion sei „unmenschlich“.
Viele Elemente dieses Plans sind schlichtweg verrückt. Das beginnt schon damit, Milliardengelder an eine Administration zu bezahlen, deren ausufernde Korruptionsexzesse sogar auf Audio-Mitschnitten festgehalten sind. Wir erinnern uns, als Bilal Erdogan seinen Vater kurz vor Ermittlungen türkischer Behörden anrief, um die simple Frage zu klären: „Vater, wo soll ich nur all das Geld verstecken?“
Bürgerkriegsland als „sicherer Herkunftsstaat“
Brisanter aber noch sind andere Elemente des sich anbahnenden Erdogan-Merkel-Deals. War es vergangene Woche noch eine von vielen Spinnereien der Bierzeltgeschädigten aus der CSU, bahnt sich nun tatsächlich die Einstufung der Türkei als „sicheres Herkunftsland“ an. „Die Türkei gehört auf die Liste der sicheren Länder“, betonte EU-Kommisssionspräsident Jean-Claude Juncker in Straßburg vor dem Europaparlament.
Man reibt sich die Augen und liest noch einmal. Die Türkei? „Sicher“?
„Sicheres Herkunftsland“? Ist die Türkei nicht jener Staat, in dem kürzlich ein hochrangiger General selbst erklärt hat, man befinde „tatsächlich seit einigen Monaten im Krieg“, nämlich mit der eigenen kurdischen Bevölkerung? Ist die Türkei nicht jenes Land, aus dem wir permanent Nachrichten über erschossene Kurdinnen und Kurden hören? Ist das Türkei nicht jenes Land, in dem Aktivistinnen der politischen Opposition, wie kürzlich Gunay Özarslan, bei Razzien hingerichtet werden? Ist es nicht jenes Land, in dem Mitglieder (und Parlamentarier) der Regierungspartei die größte kritische Zeitung des Landes stürmen und die Redaktionsräume kurz und klein schlagen? Und ist es nicht jenes Land, in dem vor nicht einmal einer Woche, ein Sondereinsatzkommando einen kurdischen Jugendlichen zuerst auf offener Straße hinrichtete, seine Leiche an einen gepanzerten Polizeiwagen band und ihn durch Stadt schleifte?
Ja, genau. So ein Land ist die Türkei, regiert von einer neoliberal-islamistischen Clique, die offen davon spricht, eine Präsidialdiktatur einführen zu wollen. Und dieses Land will man nun zum „sicheren Herkunftsland“ machen. Was bedeutet das? Der Asylantrag eines Asylbewerbers aus einem sicheren Herkunftsstaat ist nach §29a AsylVerfG zunächst einmal als „offensichtlich unbegründet“ abzulehnen – „es sei denn, die von dem Ausländer angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht.“
Abgesehen davon, dass im Falle der Türkei die „allgemeine Lage“ schon der Bürgerkrieg ist, man also nicht genau weiß, was dann noch davon „abweichen“ soll, wird es damit in Zukunft bedeutend schwieriger, wenn nicht fast vollständig unmöglich, für Menschen, die politisch in der Türkei in Bedrängnis geraten, hier Asyl zu beantragen.
Geheime Vereinbarungen?
Darüber hinaus können wir uns überlegen, was sich aus dem Deal für die europäisch-türkischen Beziehungen ergibt und nicht in öffentlichen Verlautbarungen festgehalten wird. Für Erdogan sind es zwei große Bereiche, die eine Rolle spielen.
Zum einen geht es Erdogan um Rückhalt in seinem Krieg gegen die kurdische Befreiungsbewegung rund um die Arbeiterpartei Kurdistans PKK. Die PKK ist in der EU wie in Deutschland bereits als „terroristische Organisation“ eingestuft, Erdogan wird allerdings darauf drängen, dass die EU-Staaten seinen Feldzug gegen die Kurden noch stärker unterstützen als bisher. Sein Anliegen ist es zudem, dass auch die syrisch-kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD), die in Rojava ein Autonomieprojekt umsetzt und gegen dschihadistische Milizen kämpft, sowie deren Volksverteidigungskräfte YPG als „terroristisch“ eingestuft werden. Wie auch immer im Konkreten die Vereinbarungen aussehen werden: Der Merkel-Erdogan-Deal wird für die Kurden in der Region und in Europa mit ziemlicher Sicherheit Verschlechterungen bringen.
Ebenfalls zur Verhandlungsmasse zählt ein seit langem verfolgtes Großprojekt Erdogans. Die AKP-Regierung versucht seit Jahren einen Kriegsgrund für ein eigenes Eingreifen in Syrien zu finden. Seit einiger Zeit auch unter dem Deckmantel der „Flüchtlingskrise“. Auf syrischem Territorium soll durch türkisches Militär eine „sichere Zone“ geschaffen werden, in der Refugees in Containerstädten untergebracht werden. Diese Zone soll von Bodentruppen aus diversen „oppositionellen Milizen“, also FSA-Kämpfern, islamistischen Gruppen und turkmenischen Gruppen, verwaltet werden. Man kann sich unschwer vorstellen, wie „happy“ (türkisches Außenministerium) die Flüchtlinge in dieser Zone als menschliche Schutzschilde in einem barbarisierten Krieg leben werden.
– Peter Schaber
Bert 7. Oktober 2015 - 14:37
Die vom Schweinesystem abgestellt EU-Administrations-Schweineclique ist skrupellos genug und wird Rojava, lächelnd an den Fascho-Sultan verschenken. Wäre ja auch noch schöner wenn Mensch sehen könnten, dass auch ein menschliches Zusammenleben geht. – Muss jetzt weitermalochen damit ich den Zweit-SUV noch volltanken kann … (wie groß ist eigentlich meine IS Abgabe an der Tanke?)
shahin 14. Oktober 2015 - 14:03
Was für ein sicherem Land für Kapitalisten ,augen zu Hand strecken ,wie geschwister sich auch umarmen ,weiter profitieren . Wo fidet man unterschied zwichen zwei pfenomenale !Politiker ein angeblichen Imam mit Krawate, der die Fauen Hand druckt !und die Frau aus demkratisches Land ,die nicht die Nachrichte verfolgen kann was geschieht in Türkei und was bedeutet dieser barbariche Verhalten gegen Kurden. wie lange kann man die Bevolkerung mit solche demosrativen Freundschaft DUMM halten. Die lächeln und tu so ,als ob nichts geschehen .