„Es kann keinen Frieden mit dem Faschismus geben“

25. August 2015

Die Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) ist eine marxistisch-leninistische Untergrundorganisation, welche besonders durch bewaffnete Anschläge auf Institutionen der Türkei oder der USA Schlagzeilen macht. In Okmeydani, einer der linken Nachbarschaften Istanbuls, erklärte sich ein Sprecher der Organisation bereit die Ziele und Methoden der DHKP-C zu erklären. Er stellte sich als Niyazi Aydın vor, einem 1991 von der Polizei getöteten Militanten der DHKP-C.

Die Angriffe des türkischen Staates auf Linke und die kurdische Befreiungsbewegung nach dem Suruç-Massaker zeigen, dass eine bestimmte Art der Politik in der Türkei nicht funktioniert. Nur mit Parlamentarismus und Friedensprozess wird es keine Veränderung geben. Was wäre Ihrer Meinung nach eine Strategie, die in der Türkei zum Erfolg führen kann?

Zu aller erst muss man diesen Staat analysieren. Bereits dort haben wir große Differenzen zur kurdischen Bewegung, da wir ihre Analyse für unzutreffend halten.
Unserer Meinung nach ist dieses Land vom Imperialismus abhängig und wird faschistisch regiert. In der Türkei kann die einzige Strategie zur Befreiung der Menschen von Faschismus und Imperialismus die eines, in Mahir Cayans Tradition stehenden, politisch-militärischen Kampfes sein. Alle anderen Versprechungen und Hoffnungen auf den Parlamentarismus sind nichts als Lügen.
Das türkische Volk kann sich nur durch den bewaffneten Kampf befreien, andere Wege zu versuchen ist nutzlos. Natürlich kann es erfolgreiche nationale Befreiungskämpfe geben, aber Kurdistan von der Türkei zu trennen würde das Grundproblem nicht lösen, da dann sowohl die Türkei als auch Kurdistan vom Imperialismus abhängig währen. Wir als marxistisch-leninistische Organisation sehen in unserem Kampf die Fortsetzung des Klassenkampfes und Klassenkampf ist auch die Antwort auf die nationalen Probleme der Kurden.
Wir sehen die PKK als Teil des Klassenkampfs in der Türkei, dennoch müssen wir sie stark kritisiere
n. Den gesamten „Friedensprozess“, inzwischen nennen sie ihn „Lösungsprozess“, angefangen von 1991 lehnen wir ab. Es kann keinen Frieden mit dem Faschismus geben. 1427811544567Der türkische Faschismus hat das Ziel die PKK zu vernichten, um den Kurden zu zeigen, was es bedeutet zu kämpfen. Wir bieten der kurdischen Bewegung an, ein Aktionsbündnis an, von der kleinsten Aktion bis zur gemeinsamen Einheitsfront auf allen Ebenen, zur Befreiung der Menschen vom Imperialismus und Faschismus. Wir als Marxisten-Leninisten lehnen keine Form des Kampfes ab, auch legale Formen nicht. Es ist jedoch falsch, alle Hoffnungen auf Befreiung in den Parlamentarismus zu lenken. Der gesamte türkische Parlamentarismus erfüllt bloß eine Feigenblattfunktion für den herrschenden Faschismus. Das unsere Demokratie bloß gespielt ist, wird sehr deutlich, wenn man sich die Realität ansieht. Ja, man kann die HDP als Oppositionspartei ins Parlament wählen, die Isolationspraktiken in den F-Typ Gefängnissen hören deswegen nicht auf, der Staat mordet dennoch weiter, es gibt dennoch riesige Verhaftungswellen, es werden immer noch 14-jährige Kinder auf offener Straße ermordet. Demonstrationsfreiheit gibt es auch nicht, denn jedes mal wenn man für sein Recht auf die Straße geht, wird man mit Polizeigewalt konfrontiert. Wo ist da die Demokratie?

Ist es für Sie nicht ein großes Problem, dass tatsächlich ein großer Teil der Türken, auch aus der Arbeiterklasse, Erdoğan wählen?

Mahir Cayan

Mahir Cayan

Ich glaube nicht das es ein Problem darstellt, dass unser Volk immer für zwei, drei Parteien seine Stimme abgibt. Mahir Cayan hat es in seiner Schrift über die „künstliche Balance“ erklärt. Zusammengefasst stellt er fest, dass die meisten Türken aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und ein anderer, kleinerer Teil aus feudalen Verhältnissen kommen. Der Kapitalismus konnte sich hier nicht nach seiner eigenen Dynamik entfalten, sondern wurde vom Imperialismus und seinen Kollaborateuren aufgezwungen und aufgebaut, weshalb die Menschen noch heute in kleinbürgerlichen oder feudalen Verhältnissen leben. Außerdem ist die Rolle des

Staates in der Türkei schon traditionell die, eines starken Zentralstaats, der vom kleinsten Dorf bis in die Metropolen omnipräsent ist. Darum gibt es keinen Klassenkampf zwischen Bourgeoise und Proletariat. Die Gedankenwelt des Kleinbürgertums funktioniert sowohl in der Bourgeoisie als auch im Proletariat, weshalb zwar viele Menschen den Staat hassen und überwinden wollen, daraus folgen jedoch keine Taten, die angemessene Reaktion bleibt aus. Stattdessen verlieren sie sich in Träume, sich in die Bourgeoise hocharbeiten zu können. Das ist es, was Mahir Cayan als „künstliche Balance“ bezeichnet, das Ungleichgewicht zwischen der Ablehnung des Staates und der fehlenden Reaktion auf diese Ablehnung.

Wie die Hegemonialverhältnisse in der Türkei aufrechterhalten werden haben Sie nun erklärt, aber was denken Sie ist die richtige Strategie, diese zu überwinden?

Safak Yayla und Bahtiyar Doğruyol forderten die Veröffentlichung der Namen der Mörder Berki Elvans.

Unser Kampf ist zweigeteilt. Die eine Seite ist die der bewaffneten Propaganda und des bewaffneten Kampfes. Mit ihr politisieren und öffnen wir die Tore für die Massen. Da wir unseren Kampf als avantgardistischen Krieg sehen, kann er nicht lediglich auf den bewaffneten Kampf begründet sein. Andere Kampfesfelder, wie Boykottaktionen, Demonstrationen oder Fabrikbesetzungen sind ebenso Teil davon.
Mit der bewaffneten Propaganda zeigen wir den Menschen die politische Wahrheit durch unsere Gewehrläufe. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist die Çağlayan-Aktion, bei der zwei unserer Kämpfer den Staatsanwalt Mehmet Selim Kiraz in ihre Gewalt gebracht haben und die Veröffentlichung der Namen der Mörder Berkin Elvans forderten. Diese Aktion hat den Menschen gezeigt, dass vom Staat keine Gerechtigkeit zu erwarten ist, schließlich hat er für den Schutz der Mörder nicht nur die zwei Revolutionäre Şafak Yayla und Bahtiyar Doğruyol ermordet, auch der Staatsanwalt starb durch Polizeikugeln.


Die andere Seite unseres Kampfes ist die Schaffung einer revolutionären Armee, diese wird die Macht des Volkes repräsentieren, aus der sie entstanden ist. Die zwei Seiten sind nicht als separate Stufen zu verstehen, die nacheinander gegangen werden, sie sind vielmehr ein kontinuierlicher Aufbauprozess.

Welche Rolle spielen traditionelle Kampfformen des Klassenkampfs, wie zum Beispiel Streiks, in diesem Konzept und welche Entwicklung haben die traditionellen Felder des Klassenkampfes durchgemacht in der Türkei durchgemacht, gibt es hier eine starke Arbeiterbewegung?

Natürlich haben wir demokratische Vorfeldorganisationen, die die Menschen in den Nachbarschaften organisieren und für demokratische Rechte kämpfen. Das Ziel dieser Organisationen ist es, den Menschen zu zeigen, dass auf demokratischem Wege nicht gewonnen werden kann. Ohne diese Organisationen wären wir Focaultisten oder Anarchisten, die einfach nur an den Weg der Waffen glauben. Das sind wir nicht, wir wollen die Massen organisieren.
Dabei darf allerdings auch niemals vergessen werden, dass wir in einem faschistischen Staat leben. Sicherlich, der demokratische Kampf ist wichtig, im Faschismus gibt es jedoch keine kontinuierlichen Rechte.
Zur Frage der Klassenkämpfe muss ich noch einmal darauf verweisen, dass der Kapitalismus sich in der Türkei nicht nach seiner eigenen Dynamik entwickelt hat. Dementsprechend sind die Massen der Arbeiterklasse auch nicht organisiert und kämpfen nicht um ihre Rechte. Außerdem werden Arbeiterorganisationen systematisch vom Staat zerstört, so das die Arbeiter wenn überhaupt dann von oben herab organisiert sind, ihnen ihre Rechte jedoch kontinuierlich genommen werden.
In den letzten Jahren sind auch immer weniger Arbeiter in Gewerkschaften organisiert, die traditionellen Felder des Klassenkampfes werden also immer schwächer. Über die gelben, bourgeoisen Gewerkschaften brauchen wir nicht reden, von ihnen kann sowieso nichts erwartet werden.

Vor drei Jahren gab es den Geziaufstand, bei dem viele dachten, dass sich damit etwas ändern wird. Heutzutage wird man kaum Überbleibsel davon finden, besonders nicht im organisierten, politischen Kampf. Glauben Sie, solche Aufstände werden wieder passieren und halten Sie sie für wichtig?

Seit dem Aufstand in Gazi von 1995 sehen wir und sagen wir, dass es immer wieder spontane Aufstände geben wird, da der Faschismus und die Klassenprobleme nicht aufhören zu existieren. Manche Aufstände fallen kleiner aus und manche haben die Größe von Gezi.

 Emine Cansever, im Internet bekannt geworden als "Riot-Granny", bei den Gezi Protesten. Wenig später wurde sie bei einer Razzienwelle festgenommen. Vorwurf: Mitgliedschaft in der DHKP-C.

Emine Cansever, im Internet bekannt geworden als „Riot-Granny“, bei den Gezi Protesten. Wenig später wurde sie bei einer Razzienwelle festgenommen. Vorwurf: Mitgliedschaft in der DHKP-C.

Wenn man sie jedoch nicht auf die Stufe einer revolutionären, organisierten Macht erheben kann, werden sie wieder verschwinden. Während der Juni-Aufstände, wie wir Gezi nennen, hatten wir nicht die Kraft, die Massen zu organisieren und auch andere Organisationen hatten diese Kraft nicht, also ist der Aufstand verhallt. Um die „künstliche Balance“ zu brechen müssen wir die Menschen mit dem Ziel organisieren, die Macht zu übernehmen. Gezi hatte das nie zum Ziel, es war ein Ausdruck des Hasses auf das Bestehende, weshalb wir es auch Juni-Aufstände nennen, da es auf das ganze Land übergegriffen hat und Gezi nur ein Teil davon war.

– Das Interview führte Peter Schaber

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2 Kommentare

    schmiel 27. September 2015 - 11:47

    wer sich registriet, wird überwacht! Wer überwacht wird, ist nicht frei, Demokratie hin oder her!
    Mich wundert, das ihr nicht einmal die Aussagen von Demirtas kennt, das der türkische Gemeimdienst die Bombe in Suruc gelegt hat, war auf Deutschlandfunk genau ein Mal zu hören, am 30.7. 2015,etwa 12:25, berichtet hat Baumgarten, Reinhard!

    schmiel 27. September 2015 - 11:49

    Ihr könnt meinen Kommentar veröffentlichen.