AktivistInnen aus Deutschland wollen ein Feuerwehrfahrzeug und die dazugehörige Technik ins kurdische Kobane befördern –
Monatelang tobte in Kobane, der symbolträchtigen Stadt im syrischen Kurdengebiet Rojava, der Krieg gegen den Islamischen Staat. Im September 2014 hatten die Milizionäre begonnen, die Stadt zu belagern und anzugreifen, erst Ende Januar 2015 konnte sie befreit werden. Der IS konnte unter großen Opfern zurückgeschlagen werden, nach den Angriffen der Dschihadisten ist Kobane aber fast vollständig zerstört. Vor allem in der Türkei, aber auch in mehreren Ländern Europas haben seitdem Menschen begonnen, beim Wiederaufbau der Stadt zu helfen. Eine dieser Initiativen wollen wir euch hier vorstellen. Sie hat ein ganz konkretes Ziel: Kobane braucht eine Feuerwehr und die dazugehörige Technik.
Ihr wollt eine ausgestattete Feuerwehr ins nordsyrische Kobane fahren. Erzählt uns ein wenig zu dem Projekt. Wie ist es zu der Idee gekommen?
Die Ereignisse der letzten Zeit in Rojava haben einen deutlichen Eindruck bei uns hinterlassen. Auf der einen Seite wurden wir überschüttet von den grausamen Bildern der Angriffe durch den IS sowie anderen Organisationen und dem für uns hier wohl unvorstellbaren Widerstand dagegen.
Zum anderen beeindruckten uns die Berichte über die Revolution der Gesellschaft in Rojava, die basisdemokratischen Räte, den Kampf der Frauen für ihre Befreiung. Diese Experiment, in dem eine Alternative zum Kapitalismus und Patriachat entwickelt und gelebt wird, ist in unseren Kategorien nur schwer zu beschreiben. Wir diskutierten in unseren Freundeskreisen über diese Prozesse und unsere Möglichkeiten dabei. Uns vereinigte der Drang, die Solidarität mit diesen fortschrittlichen Projekt konkret werden zu lassen. Eine Delegation aus Rojava berichtete unter anderem von großen Problemen in der öffentlichen Infrastruktur wie medizinischer Versorgung, Rettungs- und Feuerwehrfahrzeugen. So kam die Idee auf, Feuerwehrtechnik zu organisieren. Wir kontaktierten die Strukturen in Kobanê, die uns den dringenden Bedarf an Feuerwehrautos bestätigten. Weiter teilten sie uns mit, dass sie zudem ein Reinigungs- und Kehrfahrzeug benötigen. Über den Sommer werden wir nun Spenden sammeln, um all diese Dinge organisieren zu können und der Verwaltung in Rojava zu übergeben.
Rojava befindet sich ja unter einem Embargo, die Grenzen zur Türkei sind dicht. Wie wollt ihr das Ding dahin schaffen?
Die politische Situation in der Türkei ist kompliziert, zur Zeit gelangen nur vereinzelt Hilfsgüter über die Grenze. In Syrien grenzen die drei Kantone Rojavas an Gebiete, die vom IS oder der Al-Nusra-Front kontrolliert werden. Auch die Autonomieregierung des Nordirak hält die Grenzen nach Cizîrê weiterhin dicht. Dieses Embargo ist vor allem als Angriff auf die Selbstorganisierung der Menschen zu verstehen, die ihre Zukunft gemeinsam in die Hand nehmen wollen. Die Versorgung mit Trinkwasser, Nahrungsmitteln und Medizin ist durch das Embargo sehr schwierig, der Wiederaufbau des zerbombten Kobanê wohl unmöglich. Nach all den Angriffen und der andauernden Belagerung der selbstverwalteten Gebiete in Nordsyrien ist ein humanitärer Hilfskorridor unabdingbar – das wollen wir mit unserer Kampagne auch immer wieder deutlich machen.
Obwohl die Grenzen grundsätzlich dicht sind, gab es für die Menschen kleine Erfolge: mit viel Mühe hat es im Winter ein Krankenwagen von Medico International nach Kobanê geschafft und kürzlich überquerten einige Containerwohnungen die Grenze. Das sind erste Schritte, bei all der Zerstörung durch den Krieg aber kaum ein Anfang.
Wir werden uns mit allen unseren Möglichkeiten dafür einsetzen, dass die Feuerwehr den Selbstverwaltungsstrukturen in Rojava übergeben werden kann. Unabhängig von unserem Anliegen braucht Rojava einen legalen Hilfskorridor.
Sowohl die Türkei wie auch die deutsche Bundesregierung verhalten sich gegenüber Linken, die Solidarität mit der kurdischen Bewegung zeigen, repressiv. Erwartet ihr von deutscher oder türkischer Seite Probleme?
Wir sind am Anfang unseres Projektes und wollen uns zu diesem Zeitpunkt nicht den Kopf darüber zerbrechen, wer der Feuerwehr für Rojava Steine in den Weg legen könnte. Klar ist, dass weder die deutsche, noch die türkische Regierung die Selbstverwaltung in Rojava unterstützen. Ihr Handeln bewirkt vielmehr das Gegenteil. Weil diese Staaten den Menschen vor Ort nicht helfen, ist Unterstützung und Protest direkt von der Gesellschaft nötig. Verschiedene Organisationen sind bereits mit ihren Projekten vor Ort und leisten wertvolle Arbeit. Wir wollen mit der Feuerwehr selbst einen Teil beitragen und anderen die Beteiligung an einem konkreten Projekt ermöglichen.
Eine breite vielfältige Unterstützung der Menschen in Rojava schafft Möglichkeiten, den Repressionen der Staaten etwas entgegen zu setzten.
Lasst uns ein wenig über die politischen Hintergründe sprechen. Warum habt ihr euch entschlossen, das kurdische Autonomiegebiet Rojava praktisch zu unterstützen? Was fasziniert euch an dem politischen Prozess dort und wieso denkt ihr, dass es Sinn macht, ihn zu supporten?
In Rojava organisieren sich verschiedenste ethnische und religiöse Gruppierungen in basisdemokratischen Räten. Neben Kurd*innen beteiligen sich u.a. auch Araber*innen, Suryoye und Tschetschen*innen am Aufbau der neuen Gesellschaft. Während sonst im Nahen und Mittleren Osten eine Politik des Teile und Herrsche angestrebt wird und beispielsweise Sunniten und Schiiten gegeneinander ausgespielt werden, werden also in den aktuellen Prozessen in Rojava alle Teile der Gesellschaft einbezogen.
Für die Frauen und Jugendlichen sind die Veränderungen immens. Ihnen wird eine besonders wichtige Rolle in den Veränderungsprozessen zugesprochen. Die Frauen sind in allen Räten mit mindestens 40% beteiligt und organisieren sich zudem autonom. Innerhalb kürzester Zeit erkämpften sie sich Veränderungen, die in ihrem Ausmaß wohl beispiellos sind. Diese Form der demokratischen Organisierung beginnt auf kleinster Ebene, in Straßenzügen oder Dörfern und betrifft weitestgehend die gesamte Gesellschaft. In diesem Moment werden revolutionäre Utopien ganz praktisch ausprobiert. Auch wenn die Gegebenheiten sehr unterschiedlich sind, denken wir, dass wir von den Entwicklungen viel lernen können. Ein solidarisches Verhältnis zu fortschrittlichen Bewegungen überall auf der Erde ist eine Grundvoraussetzung für eine Zukunft jenseits kapitalistischer Ausbeutung und jeglicher Form von Unterdrückung.
Kobanê ist ja nach dem Krieg mit dem IS zu 80 Prozent zerstört. Das heißt, es wird wahrscheinlich noch lange Zeit die Notwendigkeit internationaler Solidaritätsarbeit geben. Habt ihr vor, nach der Feuerwehr noch weiterzumachen und kontinuierlich Unterstützungsarbeit zu leisten? Und wenn ja, wie könnte die aussehen?
Zunächst haben wir uns für dieses konkrete Projekt zusammengefunden, das schon allein für sich Möglichkeiten einer längerfristigen Zusammenarbeit mit den Menschen in Rojava bietet. Ich kann nicht voraussagen, welche Projekte die Beteiligten in Zukunft beschäftigen. Klar wird der Aufbau von Kobanê auch längerfristig ein großes Thema sein. Mindestens genau so wichtig ist es, hier in Deutschland über die politischen Hintergründe und die konkrete Praxis der Freiheitsbewegung in Kurdistan zu berichten, zu diskutieren und neue Ideen zu Entwickeln. Wenn wir das ernst nehmen, kann daraus eine unglaublich große Kraft entstehen, die den Kapitalismus ins Wanken bringen wird.
PS: Wer das Projekt unterstützen will, kann das mit Hilfe folgender Daten:
www.feuerwehrfuerrojava.de
*Spendenkonto*:
CAR DEST Hilfsorganisation Bank: Berliner Sparkasse IBAN: DE84 1005 0000 0190 3903 36 BIC: BELADEBEXXX Verwendungszweck: „Feuerwehr“ Spendenquittungen können ausgestellt werden Zudem gibt es die Möglichkeit einer „*Unterstützung per sms*“: Durch Senden von „Rojava“ an die *81190 *werden automatisch 5€ abgebucht. (Nach Abzug der Kosten kommen davon 4,83€ bei uns an.) Infos: info@feuerwehrfuerrojava.de
Abraham Lincoln 19. Juni 2015 - 9:48
An dieser Stelle sei auch verwiesen an “MV für Kobane”. (https://www.facebook.com/pages/MV-f%C3%BCr-Koban%C3%AA/1481403945435059) Mittlerweile geht der dritte Hilfstransport nach Rojava, diesmal mit fünf LKW voll mit medizinischen Kleinstmaterialien, sowie Krankenbetten, Rollstühlen etc. pp.
Damit alle LKW los können, fehlt auch noch n bisschen Knete.