[Grüße aus dem Binnenland XXII] Kapitulation auf allen Ebenen

8. Juni 2015

Über Sozialdemokratische Parteien zu schimpfen ist wie auf tote Hunde einschlagen. Und dennoch: die politischen Weichenstellungen, die dieser Tage in Österreich vorgenommen werden, sind es wert, genauer betrachtet zu werden.

Um im Hundebereich zu blieben: hier kann im Detail beobachtet werden, wie ein schwanzgewordener Hund versucht, mit einem anderen Hund zu wedeln – in der festen Überzeugung, selbst immer noch Hund zu sein. Genau deshalb öffnet sich die Sozialdemokratie nun zunächst auf regionaler Koalitionsebene zur rechtsextremen FPÖ. Der einzige Hund jedoch, der nun seit mehr als zwei

Ab jetzt wird koaliert

Ab jetzt wird koaliert

Jahrzehnten mit den beiden österreichischen Großparteien SPÖ und ÖVP umzugehen versteht als wären sie ein Teil von ihm, ist ebendiese FPÖ. Diese bestimmt seit ihrem Aufstieg unter Jörg Haider zentrale Teile der österreichischen Innenpolitik durch die schiere Angst von SPÖ oder ÖVP vor weiteren WählerInnenverlusten an die Freiheitlichen. Ein kurz Blick auf den aktuellen Umgang von SPÖ- und ÖVP-Verantwortlichen mit Asylsuchenden oder Notreisenden macht dies deutlich: von der ÖVP-Innenministerin bis hinunter zu sozialdemokratischen und konservativen GemeindevertreterInnen überbieten sich die beiden Parteien mit menschenverachtenden Maßnahmen – einige wenige rühmliche Ausnahmen auf kommunaler Ebene mal ausgenommen.

Antisoziale Sozialdemokratie

Die FPÖ treibt SPÖ und ÖVP, die nach wie vor die bestimmenden Parteien von der Bundesebene bis hinab in die Landes- und Kommunalpolitik sind, vor sich her. Bei der Asylpolitik und beim Schüren rassistischer Ressentiments wird der Hegemoniegewinn der Rechten besonders deutlich. Betroffen sind aber auch alle anderen Bereiche. Und gerade die Durchsetzung neoliberaler Grundsätze und damit einhergehend das Ende sozialdemokratischer Klientelpolitik für die „kleinen Leute“ ebnete der Sündenbockpolitik der Freiheitlichen ja erst den Weg.

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Fragt sich nur wie lange noch…

Die Sozialdemokratie hat den Aufstieg ihrer rechtsextremen Konkurrenz durch ihre eigene antisoziale Politik ermöglicht. Und anstatt nach den jüngsten Wahlergebnissen in den Bundesländern Steiermark und Burgenland – wo SPÖ und ÖVP erneut massiv verloren und die FPÖ Stimmen hinzugewonnen hat – endlich einen Kurswechsel einzuleiten, macht die Sozialdemokratie das Gegenteil und öffnet sich zu den Rechtsextremen. Entgegen mehrerer Parteitagsbeschlüsse bahnt die burgenländische SPÖ eine Koalition mit der FPÖ an. Statt die dafür verantwortlichen Lokalpolitiker zurückzupfeifen und endlich eine Strategie gegen den Vormarsch der Freiheitlichen zu entwerfen, beschließen die Parteigremien, dass auf Landes- und Kommunalebene künftig die Zusammenarbeit mit der FPÖ kein Tabu mehr ist.

Wie sich der „Tabubruch“ – also die Öffnung der SPÖ nach rechts – auf die künftige sozialdemokratische Politik auswirken wird, bleibt abzuwarten. Besser wird’s wohl nicht werden. Dabei wäre eine bessere Politik, also eine Politik für die arbeitenden oder nicht mehr arbeitenden, für die arbeitssuchenden, studierenden und lernenden Menschen hierzulande dringend notwendig – nicht zuletzt um der FPÖ das Wasser abzugraben. Denn wer ohne Zukunftsängste lebt, braucht auch keine rechtsextremen Phrasen, um sich Mut einzureden. Wer aber von einer Sozialdemokratie regiert wird, deren Politik für jedeN deutlich erkennbar ausschließlich den Eliten nützt, der hat offene Ohren für reaktionäre Antworten auf die soziale Frage, die von den anderen Parteien überhaupt nicht mehr thematisiert wird. Dass die österreichischen SozialdemokratInnen jahrzehntelang gnadenlos StellvertreterInnenpolitik betrieben haben und die meisten Menschen gar nicht auf die Idee kommen, ihr Schicksal politisch selbst in die Hände nehmen zu können, tut ein Übriges dazu.

Zeit für Alternativen

Und links der Sozialdemokratie? Diverse kommunistische, sozialistische und sonstige Parteien und Gruppen, die wahlweise versuchen, gerade aktuellen Bewegungsbefindlichkeiten hinterherzuhumpeln oder sich in ihren jeweiligen Jargon-Elfenbeintürmen verstecken, werden es in nächster Zeit auch nicht schaffen, Alternativen zu entwickeln. Dabei ist der Zeitpunkt dafür gerade an diesem neuerlichen Tiefpunkt österreichischer innenpolitischer Entwicklung so gut wie schon lange nicht mehr. Für viele Menschen zerbröselt dieser Tage der allerletzte Grund, die SPÖ zu unterstützen. Wer sonst schon nichts mehr von der Partei erwartete, der glaubte zumindest ein letztes Hindernis gegen freiheitliche Regierungsbeteiligungen zu wählen. Diese Illusion hat

Demonstrieren, blockieren, markieren - notwendig, aber nicht hinreichend

Demonstrieren, blockieren, markieren – notwendig, aber nicht hinreichend

sich nun erledigt. So mancheR könnte sich vielleicht endlich dazu durchringen, sich über neue Wege den Kopf zu zerbrechen. Fest steht, dass dem Vormarsch der Rechten und dem Zurückweichen der Restlinken in Österreich nichts entgegengehalten werden kann, solange man nur „gegen rechts“ in die Offensive geht ohne die soziale Frage glaubwürdig zu thematisieren. Mit Moral, Aufklärung und Antifa-Sprüchen allein wird nichts zu gewinnen sein. Und dennoch werden diese sowie antifaschistische Mobilisierung auch weiterhin wichtig bleiben. Das haben gerade erst die Nazi-Übergriffe am Rande des „Identitären“-Aufmarsches in Wien am vergangenen Wochenende gezeigt. Zwischen freiheitlichen Jugendorganisationen und „Identitären“ gibt es bekanntlich viele Überschneidungen. Die SPÖ hilft mit ihrer neuen Koalitionspolitik nun den Straßenfaschisten dabei, weiter salonfähig werden.

– Von Karl Schmal

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3 Kommentare

    chrs 8. Juni 2015 - 16:34

    Hierzu vllt. ein paar Anmerkungen als Außenstehender (die deutsch-österreichische Grenze liegt aber nur wenige km von mir entfernt). Zunächst einmal ist wohl unstrittig (zumindest laut Wahllforschern ) das die FPÖ die neue Arbeiterpartei Österreichs ist. Und das als Partei die (laut meines zugegeben Halbwissens) eher eine marktliberale „Steuern runter macht Österreich munter“ Mittelstandspolitik verfolgt. Aber sie kann sich weiter als „soziale Heimatpartei“ verkaufen. Die (kulturelle) Linke in Österreich macht auf mich den Eindruck, ebenfalls eine wirtschaftsfreundliche Schiene zu fahren, mehr global ausgerichtet als die FPÖ. Wenn ich mir z.B. die Haupt Themen vom pseudoalternativen staatlichen Radiosender FM4 anschaue: Studium/ Karriere/ + Political Correctness (Gender, Liveball, Vegan, Flüchtlinge) , Auslandsreportagen lass ich mal außen vor. Also die „Neuen Linken“, so wie die Wirtschaft sie sich wünscht. Ganz banales Beispiel aber doch ein bezeichnendes: Da wurde ein Buch mit Autorinneninterview vorgestellt, wo Fernbeziehungen als tolles neues Modell in der globalisierten Welt vorgestellt wurden. Partner ist gerade bei einem Projekt in Oslo, Frau hat in Frankreich zu tun, am Wochenende jettet man sich zusammen im Heimatland oder auf den Malediven und verbringt ein intensives, harmonisches Wochende, die sonstigen Alltagsstreiterein fallen nicht so ins Gewicht. Alles schön und gut, nur, es geht halt an der Realität der wenig verdienenden Bevölkerungsschichten komplett vorbei. Oder sich stundenlang an Gabaliers „Söhnen“ aufzuhängen. Es interessiert nicht.
    Für den Arbeiter kommt dagegen die FPÖ ins Spiel und sagt vielleicht: „Pass mal auf, wenn die Flüchtlinge kommen werden die Mieten steigen, pass mal auf wie lang du hier mit deiner Familie hier noch leben kannst“ (oder Ähnliches) Bumm! Das sitzt (oder Ähnliches). Die wirtschaftsliberalen Linken stellen das Establishment und sehen die Geringverdienenden als Lumpenproletariat, Prolls, Asis, Deppen, Fast-Nazis etc. und die Rechten (oder FPÖ) hetzen ebenfalls nach unten, also gegen die die noch weiter unten sind bspweise Arbeiter auf „faule“ Arbeitslose, Arbeitslose auf Flüchtlinge etc., und können gleichzeitig gegen „die da oben“ (linksliberales Establishment z.B. ORF) wettern. Strache ist zudem recht geschickt und streut auch mal ein alternatives Zitat vom Dalai Lama oder Gandhi ein & bedient sich bei Leuten aus allen politischen Strömungen. Zudem wirft er natürlich den PC Köder aus und seine Gegner schnappen kräftig zu und am Ende stehen diese als spießige Preussen/Deutsche dar, er dagegen als lässiger Österreicher.

    Loukanikos 11. Juni 2015 - 13:10

    „Denn wer ohne Zukunftsängste lebt, braucht auch keine rechtsextremen Phrasen, um sich Mut einzureden. “
    Ich finde, das bedarf einer näheren Erklärung! Warum ermutigen die rechtsextremen Phrasen jene Menschen, die unter Zukunftsängsten leiden? Mit Ermutigung hat das meiner Meinung nämlich nichts zu tun. Aber es hat viel mit Hass und Ängsten zu tun. Die Rechtsextremen schüren Hass und Ängste. Und sie nähren in schlechter Tradition die völkische Ideologie, indem sie an Nation und „Volk“ appellieren und jeden ausschließen wollen, der als „nicht zugehörig“ definiert wird. Aber wie gesagt: „Ermutigung“ ist das keine! Eine Ermutigung wäre es, wenn man eben die Selbstbestimmung und emanzipatorische Ziele vorantreiben würde, also eine klassische Aufgabe für die Linke.

    Und auch wenn ich die Kritik an der österreichischen Linken zum Teil nachvollziehen kann: Es gibt schon Versuche, neue Wege zu gehen. Dazu gehört zB Wien anders, ein Wahlbündnis aus KommunistInnen, PiratInnen und Unabhängigen, das bei den nächsten Kommunalwahlen kandidieren will. Sie erhoffen sich, den Erfolg von Parteien wie Syriza und Podemos auch nach Österreich zu tragen. Ich bin zwar kein Freund von Parteiansätzen, aber trotzdem bietet Wien anders endlich mal eine kleine Perspektive, um die Unzufriedenheit in der österreichischen Gesellschaft auch mal von links aufzugreifen und emanzipatorisch zu politisieren.