Zu einer beliebten Urban Legend gehört es, dass der Valentinstag eine Erfindung der Blumenindustrie sei. Das stimmt so nicht, trotzdem macht auch die Fleuropmafia an dem Tag sicher gern eine schnelle Mark. Vielleicht hat sich die Musikindustrie davon inspirieren lassen, als sie ihren eigenen Feiertag, den Record Store Day, kurz RSD, im Jahr 2007 erfunden hat.
Das Geschäft mit Tonträgern lag zu diesem Zeitpunkt schon Jahre am Boden und Besserung war nicht in Sicht: Der Verkauf von CDs sank weiter, das Geschäft mit den Downloads kam nicht richtig voran. Nur seit Jahren wieder auf niedrigem Niveau konstant: Die Schallplatte. Der Hoffnungsträger der Industrie war sozusagen wiedergeboren.
Geschraubt werden musste lediglich noch am positiven Image. Natürlich geht es nicht darum, einer taumelnden Industrie wieder auf die Beine zu helfen. Nein, ausschließlich dem lokalen kleinen Plattenladen im Kiez soll geholfen werden, der ebenfalls unter Raubkopien und illegalen Downloads leidet. Support your local Dealer eben. Bereits da drängt sich die Frage auf, was „Kulturkaufhaus“ Dussmann in Berlin, der hhv.de-Store (ebenfalls Berlin) oder EMI Records in Wien und ein paar andere, die als
Partner des RSD 2015 als teilnehmende Läden aufgeführt werden, mit einem unabhängigen zu rettenden Plattenladen zu tun haben. Hier bekommt die Geschichte schon erste Brüche. Wen das nicht überzeugt, der kann mal einen Blick auf die Sponsoren des Days werfen: Neben einer Biermarke und einem Plattenspielerproduzenten gehören sicher nicht ohne Zufall Universal, Sony und Warner Music.
Mehrere Artikel zum diesjährigen RSD haben bereits detailliert nachgezeichnet, warum der Record Store Day eben nicht die Rettung der Independentszene beträgt sondern, im Gegenteil, eher ihr Sargnagel ist. Einige der Indie-Läden wollen sich nicht retten lassen, sondern boykottieren sogar. Die Gründe kurz zusammengefasst: Durch den seit einigen Jahren künstlich inszenierten Vinyl-Hype der Majors kommen die Druckwerke nicht mehr nach und müssen kleinere Produktionen von Indielabels, die seit jeher auf Vinyl setzen, hinten anstellen. Da es aber nur noch eine Handvoll Presswerke weltweit gibt und aufgrund der veralteten Technik und des größtenteils verlorenen Spezialwissens um die Vinylherstellung nicht mal eben neue aus dem Boden gestampft werden können, verschärft sich die Situation für kleine
Labels, die nun Monate auf ihre Veröffentlichungen warten. Denn nun drängen die geschrumpften Riesen der Majorlabels auf den Markt und überschwemmen ihn mit „Special Editions“ uralter „Klassiker“ oder solche, die sich dafür halten. Nun kann man endlich die Platten kaufen, die man in langweiliger Standardausführung bereits seit langem besitzt, ob auf CD oder Vinyl. Ein weiterer Gewinner ist eBay, wo der Handel mit den Limited Editions von findigen Einkäufern munter nach dem offiziellen Record Store Day weiter betrieben werden kann.
Doch die Lüge um die angebliche Rettung der Plattenläden verfängt bereits und hat Jünger gefunden, die sie gerne glauben: Großstädtische, gut verdienende Neospießer. Eine ausreichend bestückte Vinyl-Sammlung gehört in diesem Milieu längst neben der Wand ohne Tapete und den überteuerten Sperrmüllmöbeln in jedes EXPEDIT- (jetzt KALLAX-)Regal, welches dann eine Art Altar darstellt. Wo vor wenigen Jahren noch das CD-Regal im sanierten Altbauwohnzimmer stand, hat man sich nun vermeintliches Musikexpertentum in Schwarz erkauft. CDs werden längst als „Billigmedium“ verstanden und nicht mal mehr mit spitzen Fingern angefasst. Die Vinylplatte ist schon lange im inneren Zirkel der deutschen Retrospießigkeit angekommen und die meisten seiner Besitzer gleich mit. Der Plattenladen ist der neue Biosupermarkt.
Mit „Vinyl-Junkies“ (Eigenbezeichnung) kann man die absonderlichsten Gespräche über die angeblichen Vorteile der Platte gegenüber anderen Trägermedien, insbesondere gegenüber der CD, führen. Die großen schwarzen Scheiben werden zum
schlichten Glaubensbekenntnis. Der Vollständigkeit halber muss dazu gesagt werden, dass diese Argumentation auch von schrulligen Punkern geteilt wird, die bereits vorher und unabhängig vom Vinyl-Hype ihre Schallplatten seit Jahrzehnten in der versifften Bude anhäufen. Aber auch das ist keine Entschuldigung, denn bereits in der Szene ist seit 1984 bekannt: „Record collectors are pretentious assholes“ (Poison Idea).
Man erfährt ganz neue Dinge von den Vinylsektenanhängern, auch über sich selbst: Als mp3- oder CD-Hörer hört man falsch, denn die Platte hat einen sogenannten „wärmeren Sound“. Was auch immer das ist, denn ein Musikthermostat sucht man im Fachhandel vergebens. Aber was sagen die Freunde des besseren, weil analogen Klangs dann dazu, dass eine Vinyl-Platte nichts anderes als eine Kopie digitaler Daten ist? Denn zur Herstellung verlangen Presswerke, wenig überraschend, Dateien aus einem Computer. Da landet man wieder in den Biosupermärkten, wo es auch pauschal „besser schmeckt“.
Offenkundige Nachteile werden zum Vorteil umgedeutet: Man müsse die Platte bewusst auflegen, die Nadel über die Rille schieben und das wäre ein ganz anderes Hörerlebnis. Wer sowas gut findet, sollte überlegen, ob er sein Fahrrad grundsätzlich nur noch schiebt anstatt es zu fahren, denn da bekommt man viel mehr mit. Nein, denn früher war alles besser, die Sonne schien den ganzen Sommer und das Brot kostete nur fünf Pfennig.
Ein weiterer Klassiker der Vinylmythen ist der angebliche Vorteil
des größeren Covers, welches mehr Platz für das Artwork lasse. Das Problem ist, dass Artwork nicht immer etwas Gutes sein muss, belegen zahllose „Worst Artwork“-Galerien. Aber es gibt ja auch Menschen, die Fliesentische für ein geschmackvolles Möbelstück halten. Jetzt mal ehrlich: Wann und bei welcher Gelegenheit hat man zuletzt gedacht: Boah, geiles Cover?!
Mit Fanatikern kann man eben nicht diskutieren. Man sollte es auch gar nicht versuchen und einfach darauf warten, dass auch der Vinyl-Hype vorbei geht. Und vielleicht geht es dann eines Tages wirklich mal um Musik und nicht um das Trägermedium.
– Von Franz Degowski
miret / 33rpmPVC 18. April 2015 - 13:56
Interessanter Kommentar, der durchaus zum Nachdenken anregt. Auch wenn man selbst ein „pretentious asshole“ ist. 😉 Mit vielen Dingen, die geschrieben wurden, hat Franz Degowski sicher recht. Man meint eigentlich immer, man wäre selbst nicht so, aber beim lesen der Zeilen habe ich mich in dem ein oder anderen Punkt tatsächlich „erwischt“… Aber natürlich ist auch dieser Artikel im Grunde eindimensional, was nicht weiter schlimm ist, denn es machte Spaß ihn zu lesen. Und obwohl, wie angedeutet, selbst Plattensammler, halte ich bspw. den „wärmeren Sound“ der Vinylscheibe auch für Aberglauben. Mir persönlich geht es da eher um die Haptik bei der „Prozession“ des „Vinyl-Hörens“. Es ist einfach und ohne das man eine Begründung liefern muß, schöner, schneller, weiter, geiler, wasweißich, mit Platten zu hantieren, als bspw. mit CDs oder gar mit nicht physikalischen Formaten… Und wenn man dann seine Sammlung dann ordentlich aufgepumpt hat, kommt sicher auch hin und wieder der Angeber in einem durch, ohne das mir die Verwerflichkeit meines Tuns jetzt die Schamesröte ins Gesicht treibt. Da gibt es wichtigere und deutlich entscheidendere Dinge, wo man politisch-moralisch richtig liegen sollte, als bei einem Hobby, wie diesem… Trotzdem – wie bereits oben ernsthaft bemerkt – der Text ist gut und sollte zum Nachdenken anregen. Ein wenig Dialektik im eigenen Denken und Verhalten hat noch keinem geschadet…
Grüße,
miret
33rpmPVC.de
HolkTrolls 22. April 2015 - 16:17
Dass „Neospießer“ das Sammeln von Schallplatten für sich entdeckt haben, soll also ein hinreichender Grund dafür sein, dass Schallplatten sammeln scheiße ist?
Wie soll ich dann das Faktum, dass viele ehemalige Anarcho-Punker und Hausbesetzer* Konformisten geworden sind, Karriere gemacht haben und im Staatsapparat und der freien Wirtschaft führende Funktionen einnehmen, bewerten?
* Monika Herrmann, Joschka Fischer, Tim Renner…