Seit mehreren Wochen bombardiert die Luftwaffe Saudi-Arabiens im Verbund mit weiteren Staaten der arabischen Halbinsel und Nordafrikas den Norden Jemens. Unterstützt wird die reaktionäre Erbmonarchie dabei logistisch, nachrichtendienstlich und mit umfangreichen Waffenlieferungen von dem engen westlichen Verbündeten USA. Aber auch Deutschland erweist sich immer wieder als guter Partner des selbsternannten ,,Gottesstaats“ auf der arabischen Halbinsel. So wurden in den vergangenen Jahren mehrere Waffendeals bezüglich umfassender Bewaffnungsbestände für Fußtruppen getroffen. Entsprechend hält sich die Kritik der Bundesregierung am derzeitigen – alles andere als völkerrechtskonformen – Vorgehen der saudischen Militärallianz in Grenzen.
Werden ansonsten angebliche Menschenrechtsverletzungen als vorgebliche Kriegsgründe ins Feld geführt, insbesondere bei den Feldzügen der US-Armee in den vergangenen 20 Jahren, so gibt sich die saudisch-amerikanische Allianz in diesem Falle unverhohlen offen kriegerisch. Es geht schlicht um die Wiedereinsetzung des geflüchteten und zuvor unter äußerst fragwürdigen Wahlergebnissen (99,8%) an die Macht gekommenen pro-westlichen Präsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi. Unter dessen Präsidentschaft wurde zum einen der inzwischen langjährige Drohnenkrieg der USA auf jemenitischem Gebiet gegen Al-Qaida im Jemen gebilligt, dem immer wieder unzählige Zivilisten zum Opfer fielen und der die Organisation kaum nachhaltigen schwächen konnte. Zum anderen war durch dessen Präsidentschaft der saudisch-amerikanische Zugriff auf Handelsrouten und die militärische Kontrolle im Golf von Aden gesichert.
Anlass der Flucht des vormaligen Präsidenten in den loyalistischen Süden des Landes, war das Vorrücken der aus der schiitisch-zaiditischen Ansarollah-Bewegung hervorgegangenen Huthi-Millizen in die jemenitische Hauptstadt Sana’a. Bei den Milizen handelt es sich um die militärische Abteilung einer schiitisch-islamistischen und anti-westlichen Bewegung mit positiven Bezügen auf die ,,Islamische Revolution“ im Iran und der Hisbollah im Libanon. Diese unterscheiden sich von jenen jedoch im religiösen Bezug auf die zaiditische Tradition in der Schia. Ähnlich wie die Hisbollah im Libanon verfolgte die Ansarollah-Bewegung in den vergangenen Jahren nicht eine rein auf den schiitischen Bevölkerungsteil fokussierte Minderheitenpolitik (etwa 30-45 % der Bevölkerung des Jemens sind Schiiten), sondern verstand es, sich glaubwürdig als klassen- und religionsübergreifende politische Kraft mit einigem Rückhalt in der Bevölkerung zu etablieren.
Diesen Rückhalt konnte die schiitische Bewegung nicht nur durch ihre für islamistische Bewegungen ungewöhnliche Liberalität in religiösen Belangen erlangen, sondern vor allem durch ihre militärischen Erfolge gegen den im Süden und Südosten des Landes aktiven nationalen Ableger von Al-Qaida. Al-Qaida im Jemen zählt zu den erfolgreichsten Ablegern des salafistischen Terrornetzwerks und konnte vor allem durch Bündnisse mit lokalen sunnitischen Stämmen an Boden gewinnen. In den von ihr kontrollierten Gebieten herrscht ein, der wahabitischen Lesart der Scharia entsprechendes, Terrorregime – insbesondere Schiiten und andere Sunniten werden von der Terrormiliz als Apostaten gebrandmarkt, verfolgt und ermordet.
Saudi-Arabien hat als Gottesstaat in wahabitischer Tradition und als internationaler Förderer der salafistisch/wahabitischen Strömung innerhalb des politischen Islams nur wenig Probleme mit seinen ideologischen Abkömmlingen von Al-Qaida im Jemen, dafür umso mehr mit einer möglichen Machtübernahme der aus seiner Sicht ,,ungläubigen“ Ansarollah-Bewegung, die dessen Machtanspruch am Golf von Aden nachhaltig in Frage stellen könnte. Nicht zuletzt fürchtet die reaktionäre Erbmonarchie den Einflussgewinn des schiitischen Regimes im Iran, den sie angesichts der raschen militärischen Erfolge der Huthi-Milizen für den Drahtzieher hinter dem derzeitigen Aufstand hält, wofür bislang jedoch keinerlei Beweise jenseits der gemeinsamen religiös-politischen Bezüge vorliegen. Stattdessen spricht einiges für eine Spaltung der jemenitischen Streitkräfte und des Übertritts großer Teile der Truppen zu den Aufständischen.
Im Gegensatz dazu kommt der US-Außenpolitik trotz naheliegender Interessen am Golf von Aden der Bündnisfall für den arabischen Alliierten wohl denkbar ungelegen. Sichtbar schwer tut sich die Obama-Administration in der Verschleierung der Tatsache, dass durch die Unterstützung der saudischen Luftangriffe auf die Huthi-Rebellen, de facto Al-Qaida im Jemen nachhaltig gestärkt werden und im Falle eines Erfolges der Intervention massivst an Einfluss gewinnen könnte. Gerade erst konnte mit dem ehemaligen ,,Schurkenstaat“ Iran ein Abkommen um das Atomprogramm des Landes getroffen werden. Darüber hinaus boten sich jüngst bereits erste politische Kooperationsmöglichkeiten mit Teheran, u.a. in der Konsolidierung des schiitischen Regimes im Irak und im Kampf gegen den außer Kontrolle geratenen „Islamischen Staat“ (IS) in Syrien. Genau dessen erfolgreiche Etablierung hatte man zuvor billigend in Kauf genommen, um das alawitische, pro-schiitische Regime Baschar al Assads in Damaskus zu stürzen.
Dieses geopolitische Spiel der bigotten Auf- und Wiederabrüstung von wahlweise schiitischen oder sunnitischen Playern im Nahen Osten führte bereits in Libyen, Syrien und im Irak zu nicht enden wollenden Bürgerkriegsszenarien, die vor allem die dortigen Zivilbevölkerungen strafen und verschiedene Bevölkerungsgruppen anhand ethnischer und religiöser Unterschiede gegeneinander aufhetzen. Der Jemen steht am Rande eines ähnlichen Szenarios. Schon jetzt ist das Staatsgebiet unter den verschiedenen bewaffneten Gruppen aufgeteilt. Da die Huthi-Milizen keine Armee im eigentlichen Sinne sind, also keine militärischen Einrichtungen betreiben und wie eine klassische Guerilla operieren, müssen die derzeit laufenden Luftschläge der saudischen Allianz notwendigerweise zivile Einrichtungen treffen. Den Bombardements sind bereits jetzt über 600 Menschen zum Opfer gefallen.
Angesichts der brutalisierten US-Kriegsführung, dem Wüten des ,,Gottesstaats“ Saudi-Arabien und der geopolitisch motivierten Unterstützung beider Länder für fundamentalistische Organisationen und Regierungen bleibt die Frage: Warum ist der derzeitige Angriffskrieg im Jemen kein Thema für die deutsche Linke? Sicherlich fehlt in dem Konflikt ein Sympathieträger wie es die kurdische YPG im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ in Syrien ist. Das immerwährende Suchen nach Positiv-Referenzpunkten offenbart sich allerdings zunehmend als Sackgasse: Nicht nur wird dadurch eine Positionierung in zahlreichen Konflikten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende der sozialistischen Befreiungsbewegungen unmöglich – führt also konsequenterweise zu allgemeinem Schweigen im Wald. Der Denkfehler liegt darin, nicht zu begreifen, dass eine Position, die sich gegen den Krieg stellt und den imperialen Aggressor benennt, auch ohne eine weiterführende Parteinahme auskommt – außer einer für eine leidende Zivilbevölkerung. Sollte dieses simple humanistische Credo weiterhin für unbeteiligtes Schweigen sorgen, wie dies bereits bei Lybien, der Ukraine oder dem Bombardement von Gaza der Fall war, dann steht es nicht nur schlecht um den Antimilitarismus in der deutschen Linken, sondern auch um einen menschlichen Zugang zu linker Politik. Die imperialen Brandstifter werden dann weiter, ohne jeden Widerstand, ihr Werk verrichten.
Jonas S. 15. April 2015 - 13:36
Wow,
Richtg guter Text!Argumente & korrekter Standpunkt,top!