[Was geschrieben werden muss III] -„kleine insel selbstbewusstsein“

12. März 2015

Ronald M. Schernikaus „Kleinstadtnovelle“ –

Mit Abstand einer der geilsten Typen, die je linke Literatur produziert haben

Mit Abstand einer der geilsten Typen, die je linke Literatur produziert haben – Ronald M. Schernikau

 

1960 in Magdeburg (DDR) zur Welt gekommen, mit sechs gemeinsam mit der Mutter in die BRD übergesiedelt, später Student und Künstler in Westberlin, ab 1986 am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ in Leipzig, wurde 1989 – entgegen aller Trends – DDR-Bürger und bezog seine Wohnhaft in Ostberlin, bis er 1991 an seiner AIDS-Erkrankung verstarb: Ronald M. Schernikau. Der „letzte Kommunist“, wie Matthias Frings die 2009 erschienene R.M.S.-Biographie überschrieb, trat mit 16 der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) bei und wurde später Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW). Schernikau, später Brieffreund von Peter Hacks, machte schon früh von sich Hören, als Schreiber, der seiner Zeit und seinem Umfeld weit voraus war: Noch bevor er das Abitur ablegte, veröffentlichte er die „Kleinstadtnovelle“.

scheißaufstehn scheißschule scheißleben.“

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„wir sind suchende. die klassenarbeiten müssen suchend sein”

Hauptfigur b. hat in seinem Kaff an vielen Fronten zu kämpfen, die alle zusammengehören, irgendwie ineinandergreifen: Schüler, linkspolitisiert und schwul. b. ist eingekesselt in einer Bürgerdemokratie der 1970er, die sich zwar mit Repression und Sozialabbau zurückhält, dafür aber die Dauerloop-Schikane einer stagnierenden Gesellschaft optimiert („was ist frei an einer freiheit, die nachhall ist von nerv, der keinen knopf hat zum ausschalten? und in der träume deutlicher werden und dringender und deshalb weiter entfernt?“). Dort und damals konkret sein, heißt politisch sein, heißt ideologisch sein, heißt, sich im postfaschistischen Bundes-Dogma unbeliebt machen: „wir sind suchende. die klassenarbeiten müssen suchend sein, sonst sind sie ideologie und somit schlecht, eine fertige interpretation ist nicht erlaubt, einschätzungen nicht gefragt, aber gefühle beim lesen und: versuche.“ Währenddessen sieht er sich im Korb einer illustren, pubertierenden Linken, die gleichzeitig Rückzugs- und Bezugsraum darstellt, und b. dabei oft genug stirnrunzelnd zurücklässt, etwa mit Standpunkten in Form von: Vormittägliches Kiffen gegen Atomkraft, und ähnliches Gedöns. Als dann auch noch die Affäre mit Mitschüler leif auffliegt, geht der westdeutsche Hengst durch, von wegen Sittenverfall, Unzucht unter Unmündigen und Untergang der Arterhaltung.

da wird systematische glücksvernichtung betrieben.“

Ronald M. Schernikaus Debüt beeindruckt, vielfältig. Nicht nur als offenlegender Hieb in die dickgepolsterten Rinden scheinheiliger westdeutscher Kleinbürgerlichkeit und zugleich in die Hippieweste der sog. „Westlinken“. In einem Interview mit konkret in 1990, gab er eine kurze Umschreibung für die Zustände im Westen vor dem endgültigen Kollaps des Ostblocks: „Die BRD ist, und daran führt kein Weg vorbei, verrückter, unterhaltsamer, ungewöhnlicher als die DDR.“

Seine „Kleinstadtnovelle“ ist aber auch ein literarisch erstaunliches, autobiographisch geprägtes Werk und Zeugnis einer Reife, der „kleine[n] insel selbstbewußtsein“ entsprungen, wie man sie bis heute selten im deutschsprachigen Literaturbetrieb findet. Auch zu wenig sucht – schließlich hat man ja Martin Walser, seit anderthalb Jahrzehnten einen an seiner Verzweiflung sein eigenes Schreiben abschrammenden Christoph Hein und in den neueren Generation die unzähligen Rollenprosa-180-Seiten-road-novels voller koksender, misanthropischer upper (so called) middle class kiddies.

Klassischer Fehler der bürgerlichen Intelligenz und Kultur: Sobald es um überzeugt-linke Kolleg*innen geht, knipst sich das Gehirn aus, samt Verwertungsapparat. Wäre Schernikau nicht als Marxist und Homosexueller einer jener Kulturbolschewiken, die man seit 1990 aus der Öffentlichkeit heraus in eine Robinsoniade in die ewigen Jagdgründe ohne Wiederkehr verflucht, könnte man aus seinem Schreiben auch als überzeugter Nichtlinker lernen.

die umarmung der welt blieb nicht aus.“

Schernikau war nicht lang Bürger der DDR. Nach Selbstaussage zog er in den Osten, um dort besser schreiben zu können: „In der DDR werden die besseren Bücher geschrieben.“ Kurz vor seinem Tod, im Oktober 1991, stellte er seinen großen Montage-Roman „legende.“ fertig. Noch 1990 durfte er eine Rede auf dem außerordentlichen Schriftstellerkongress der DDR halten, in dem er sich über Fehler und Dummheiten während und nach der Amtsinhabe des SED-Generalsekretärs Erich Honecker äußerte, vom „Terror der Geistlosigkeit“, bis zur Vollendung im sich abzeichnenden Ramschverkauf als Konklusion der Idiotien.

Ronald Schernikaus sehnlichst erhoffter, revolutionärer Bewegungsanstoß erlebte er nur noch in die andere Richtung. Dass er auch daran über längere Sicht nicht zerbrochen wäre, legte er selbst nahe: „Also die Abendröte, die ist klasse, die gibts halt in der DDR nicht. Und ich dachte mir nun, Abendröte hin und her: Morgenröte, vielleicht gibt es sie ja doch. Na ja, geschnitten. Jetzt haben wir hier wieder ne Abendröte. Also auch schwierig. Man kann sich irren.

So bleibt Schernikaus Poesie aktuell, bittersüß und bitternotwendig, und wird auch als solche von einschlägiger Seite gewahrt und gepflegt: Am 19. und 20. März diesen Jahres findet die Schernikau-Konferenz (http://lfbrecht.de/event/schernikau-konferenz-2015/) im Berliner Brecht-Haus statt. Gute Nachrichten ließ dazu passend auch einer der Konferenz-Supporter verlauten: Der Verbrecher-Verlag plant für Ende diesen Jahres den Beginn einer dreigeteilten Neuauflage des ewigvergriffenen Kloppers „legende.“. Wenigstens ein paar so: YEAH!

Mehr Infos zu und Texte von Ronald M. Schernikau: schernikau.net

Für den Artikel verwendete Ausgabe: Schernikau, Ronald M.: Kleinstadtnovelle. Rotbuch. Berlin 2013

-Pat Batemensch

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