Wie ich aufgehört habe mich über „catcalling“ zu ärgern…

5. November 2014

Autor*in

lowerclassmag

…und gelernt habe Leute zu schlagen.

fotoDas „catcalling“-Video aus der letzten Woche ist viral gegangen und es finden sich bereits viele Diskussionen darüber im Internet. Es sieht so aus, dass einige beleidigt waren, als sie gelernt haben, dass das, was sie tun „Belästigung“ genannt wird.
Der Gedanke über „catcalling“ zu schreiben (ehrlich gesagt kannte ich den Begriff gar nicht, bevor ich das Video gesehen habe und finde auch den Namen selbst extrem nervig) kam mir, nachdem ich einem Typen in der U-Bahn Station eine reingehauen hab.
Ihr wisst schon (zumindest die Frauen unter euch werden es wohl nur zu gut kennen), es war das Übliche. Er hat mich angemacht, ich hab ihm den Mittelfinger gezeigt, dann schrie er mir „Fotze“ hinterher, als ich gerade weg ging. Dann bin ich auf ihn zu gerannt und hab vor den Augen diverser „Zuschauer“ angefangen ihn zu schlagen. Ich hatte niemanden um Hilfe gebeten.
Danach, als ob es eine Art Geheimabsprache unter den Männern nach dem Viral-Video gab, wurde ich häufiger gegrüßt und viele fragten mich die dämlichsten Fragen, um ins Gespräch zu kommen. Das machte mich rasend.

Ich bin lieber aggressiv als weinerlich (oder: wie sehr wir Valerie Solanas vermissen..)

Ja, ich glaube nicht daran, dass Belästigung und Werben um die Aufmerksamkeit einer Frau dasselbe sein muss. Ich glaube, es ist schön, sich etwas Spontanität zu wahren, die ihre Grenzen kennt. Ich persönlich hätte von der Frau erwartet, dass sie auf die Typen reagiert und sieht was dann passiert. Das wäre noch viel interessanter gewesen. Denn eine Reaktion (gut oder schlecht) zu bekommen, ist etwas, womit sie normalerweise nicht rechnen. Es ist jedoch unglaublich lustig, wenn man die sekundenschnelle Veränderung im Gesicht des Typen sieht, wenn man ihm sagt, er soll sich verpissen. Es ist genauso unbezahlbar, ihre verdutzten Blicke zu sehen, wenn man ihnen eine klebt.
Natürlich bin ich mir der Risiken bewusst, die so etwas mit sich bringt (wegen der uns umgebenden Vergewaltigungsgesellschaft) und ich kann auch nicht sagen, wann man wie reagieren sollte – das muss jede für sich selbst entscheiden – ich würde vorschlagen immer ein Pfefferspray oder einen Elektroschocker dabei zu haben.

Ich weiß wie schwer es ist, so etwas in postmodernen Feministinnenkreisen zu äußern, aber genauso wie ich es verabscheue, dem Opfer die Schuld zu geben oder mit Theorien daherzukommen die eng an veraltete Ansichten des Essentialismus oder Bio-Determinismus anknüpfen, wie die des Feministen-Trolls Camille Paglia (man nennt sie auch Anti-Feministin aber diese Bezeichnung will sie nicht annehmen). Ich verabscheue aber auch die Fetischisierung der Opferrolle, besonders in der „Ersten Welt“.
Wir werden es nie schaffen, einem Mann endgültig beizubringen, wie er sich verhalten soll. Was aber auch Besorgnis erregend ist, ist wie wir uns selbst immer in die Opferrolle drücken, was dazu führt, dass wir unser Gefühl für Kontrolle und Kraft verlieren. Um es zu präzisieren: Ich glaube, eine weite Definition von Belästigung und Vergewaltigung (besonders wenn es um einvernehmlichen Sex geht, aber natürlich auch nicht in jedem Fall, was ich hier nicht darstellen werde) hält uns manchmal davon ab, unsere eigene Kraft zu erkennen. Männer testen gerne ihre Grenzen, und wir sollten nicht zu schüchtern sein, sie ihnen aufzuzeigen. Das ist allemal besser, als im Nachhinein darüber zu grübeln ob das, wessen man ausgesetzt war, gefallen hat oder nicht.catcalling
Es hilft einfach dem Frauenbild nicht, wenn wir uns als die Schwachen und Hilflosen sehen, in Momenten, in denen wir es nicht sind. Mit anderen Worten: wenn wir nicht als Objekte gesehen und behandelt werden wollen, müssen wir aufhören uns wie Objekte zu benehmen, über die bestimmt werden kann, und wir sollten anfangen, uns selbst zu vertreten, wann immer wir können.
Das wird dabei helfen, das Frauenbild neu zu füllen, weg von dem Bild der schwachen Frau auf welches sich die meisten Typen verlassen. Jedes Arschloch, das dich angreift (besonders verbal) ohne dass es von dir eine sofortige Reaktion bekommt, wird sich nur bestärkt fühlen, es bei der Nächsten wieder zu tun. Ich mag es, sie öffentlich bloßzustellen, da das manchmal schlimmer ist als geschlagen zu werden.

All die schwarzen Kerle

Ich denke, es ist legitim, wenn wir Frauen auf das „catcalling“ und die täglichen Belästigungen auf der Straße aufmerksam machen, und das Video tut dies ziemlich gut.
Was mir jedoch auffiel war das unproportionale Auftreten (oder Zeigen) von schwarzen und lateinamerikanischen Männern. Ich werde jetzt hier keine Statistiken präsentieren, die zeigen, dass weiße Männer sogar noch ekelhafter sein können, und es könnte stimmen, dass Frauen mehr „gecatcalled“ werden, wenn sie durch arme Gegenden laufen (was die Frau in dem Video tut) und auch das hätte nichts mit „Rassen“ oder Genen zu tun, wie Francis Galton es sich vor hundert Jahren vorgestellt hat. Es hat mit sozialer Ungleichheit und den ganzen Nachteilen, die sie mit sich bringt, zu tun. Ein Video wie dieses zu veröffentlichen birgt die Gefahr, dass damit rassistische Stereotypen und der Hass auf „Unterschichten“ an Fahrt gewinnt.
Dieses Video basiert faktisch auf Ethnizität, und wie ich später herausfand, wurden die weißen Männer einfach rausgeschnitten. Ich glaube nicht, dass dies der richtige Weg ist, für eine Sache zu kämpfen, aber mit Sicherheit ist es der richtige Weg um rassistische Ressentiments zu verbreiten. Menschen mit rassistischen Ideen haben es aufgegriffen um zu sagen, was sie anscheinend schon eine ganze Weile sagen wollten.

Im übrigen hoffe ich, dass wir eines Tages durch die Gegend laufen können, ohne dass Wildfremde lauthals unsere Schönheit bewundern. Wenigstens der, dem ich eine verpasst hab, wird sich wohl nicht mehr trauen.

-Mibbi Mibbilante

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3 Kommentare

    Gollum 17. November 2014 - 17:48

    Vielen Dank für diese klare Analyse ohne weinerlichen Unterton!
    Mir scheint es auch kulturell geprägt zu sein, ich kenne Erzählungen aus Südamerika, wo Frauen anquatschen Standart ist.
    Schwierig: Was ist ein nettes Kompliment und was nur stereotype Anmache? Ich meine eigentlich, ernsthafte Komplimente könnten auch was schönes sein – ich selbst wäre generel zu schüchtern um Frauen im vorbeigehen anzusprechen – so viel mal dazu wie „Männer so sind“.
    Wie auch immer, Du hast 100% recht, ich halte es auch für wichtig das Frauen reagieren. Sonst gibt es für beide Seiten und für evtl. Zuschauer ein Opferbild ab. Und ich meine auch, das muss nicht unbedingt direkt beleidigend sein, mann kann Typen auch galanter (und unterm Strich fieser) in ihre Schranken weisen

    name 24. November 2014 - 16:09

    wo ist denn bitte die grenze?

    das video finde ich lächerlich. die einzige belästigung in dem video ist der typ, der minutenlang neben der frau mitläuft. ansonsten gibt es dort fast nur männer zu sehen die „hallo“ und „wie gehts“ sagen. das kann man jawohl nicht als belästigung ansehen! dann wäre ja gar keine kommunikation mehr möglich.

    also wo bitte ist die grenze?

    Linda 27. Juni 2018 - 13:25

    Ich kommentiere hier zwar reichlich spät, kann es mir aber dennoch nicht verkneifen.
    Ich bin auf dieser Seite gelandet, weil ich in meinem Alltag ständig gecatcalled werde. Manchmal habe ich darüber so eine Wut und so einen Hass in meinem Bauch, dass ich kaum schlafen kann. Am meisten regt mich dabei auf, dass man, egal was man macht, nur als Verlierer vom Feld gehen kann. Du machst nichts, du wurdest erniedrigt und hast es dir auch noch gefallen lassen.
    Du wehrst dich verbal, man macht sich über dich lustig und/oder beschimpft dich sogar. Meistens sind diese Typen in Gruppen (besonders mutig).
    Ich wollte einfach wissen, wie ich am besten darauf reagieren könnte. Handgreiflich zu werden, da musst du halt damit rechnen dass du den Kürzeren ziehst. Und dann sieht es für dich aber ganz übel aus, da Männer sich auch heute nicht scheuen davon Gebrauch zu machen, dass sie meistens stärker sind als Frauen. Zumindest körperlich. Der Rest scheint oft sehr verkümmert zu sein.
    Es ist wirklich zum Mäuse melken, ich wünsche mir so sehr ich wäre größer und stärker, um diese Leute endlich in Fetzen zu reißen!