Kunstaktivismus gegen Stacheldraht

3. November 2014

bulgarien2In Kürze ist es soweit. Deutschland feiert den 25. Jahrestag des Mauerfalls und der „wiedergewonnenen Freiheit“. Wir werden hohe Politiker hören, die ihr Glück darüber zum Ausdruck bringen und die Mauer, welche einst die DDR von der BRD trennte verurteilen.Das Künstlerkollektiv „Zentrum für politische Schönheit“ nahm sich dieses Jubiläum zum Anlass, um mit einer spektakulären Aktion auf eine ganz andere Mauer aufmerksam zu machen.

Aber von vorn.
Am Wochenende verschwanden 14 weiße Mauerkreuze aus dem Regierungsviertel – entwendet von der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“. Diese erinnerten im Regierungsviertel an Menschen, die beim Fluchtversuch aus der DDR ums Leben kamen. Nach Angaben eines Aktvisten des „Zentrum für politische Schönheit“ sind die Kreuze von ihrem einsamen Posten „geflüchtet“ und haben sich auf den Weg zu ihren Schicksalsgenossen gemacht – an die Außengrenze der Europäischen Union. Aufgebaut, gerechtfertigt und beschönigt von eben jenen Politikern, die um die deutsch-deutschen Mauertoten trauern, kommen an ihr jährlich zehntausende ums Leben. Bis vor wenigen Tagen hatte die EU mit „Mare Nostrum“ (Mittelmeer) noch ein Rettungsprogramm für Schiffbrüchige Flüchtlinge. Dieses wurde jedoch eingestellt und die Aufgabe dem privaten Grenzschutzunternehmen „Frontex“ übergeben – die wussten davon jedoch angeblich nichts.bulgarien3

All das haben sich die AktivistInnen zum Anlass genommen, den „ersten Europäischen Mauerfall“ in Angriff zu nehmen und am Freitag aus Berlin mit Bussen zu einem geheimen Ort in Bulgarien zu fahren und Teile der dort vor kurzem errichteten ‚Eindämmungsanlage‘ abzureißen.
Wer auch immer sich daran beteiligen möchte, ist laut Angaben der AktivistInnen dazu eingeladen, egal ob aktiv beim „Abriss“ oder finanziell durch Spenden, auch „prominente Überraschungsgäste“ sind angekündigt.

Mit einem emotionalen Video werben sie im Internet für ihre Aktion. Zu sehen sind AktivistInnen und Geflüchtete, welche mit den „geflohenen“ Kreuzen vor der europäischen Außenmauer stehen, in einigen Einstellungen wurden die Kreuze bereits am Grenzzaun angebracht. Zwischendrin Bilder von bei der Flucht gestorbenen Menschen, angespült wie Treibholz am Strand. Das Video endet mit einer Aufstellung der für die Aktion notwendigen Utensilien, am allerwichtigsten: ein Bolzenschneider.bulgarien

So wie sich nach dem Mauerfall ’89 viele ein Stück Mauer als Souvenir mitgenommen haben, versprechen die AktivistInnen vom „Zentrum für politische Schönheit“, dass jeder und jede sich ein selbstherausgetrenntes Stück vom „Zaun der Schande“ mit nach Hause nehmen dürfe.
Wegen dem Entfernen der „Mauerkreuze“ hat die Berliner Polizei inzwischen Ermittlungen wegen „besonders schwerem Diebstahl“ eingeleitet.

-Willi Berg

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Ein Kommentar über “Kunstaktivismus gegen Stacheldraht”

    Feli 5. November 2014 - 3:37

    Mal ’ne Frage: Was genau will die (radikale) linke eigentlich mit ihrem Aktivismus gegen den EU-Grenzschutz erreichen? Will man versuchen die Menschen in Europa auf seine Seite zu ziehen, was notwendig wäre, um Änderungen in der Migrationspolitik zu erwirken? Halte ich für vergeblich, damit bleiben diverse Aktionen, wie die im Artikel erwähnte oder auch Demos, Camps letztlich plumper Aktivismus ohne die geringste Aussicht auf Erfolg.

    Unter den momentanen politischen / wirtschaftlichen Umständen (großes Wohlstandsgefälle, Menschen werden zunehmend ‚überflüssig‘ gemacht, etc.) ist sind Stacheldraht und Frontex nicht nur (wie schon die Mauer in der DDR) Staatsräson sondern liegen auch im grundlegenden _Eigeninteresse_ der Menschen, die hier leben (also sowohl Staatsbürger als auch Ausländer mit Dauer-Aufenthaltsgenehmigung). Brecht schrieb: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“. Nach dieser Maxime handelt realistischerweise der Großteil der Menschen. Eine fundamentale Änderung der europäischen Grenzpolitik wird es deshalb _unter diesen Umständen_ sicher nicht geben. Ihr werdet es nicht schaffen, die Menschen hier davon zu überzeugen, ihr eigenes Interesse gegenüber dem der anderen hinten anzustellen. Die Toten an den Grenzen können zwar in der Propaganda als eines der vielen Beispiele für die Opfer der bestehenden Ordnung gezeigt werden – mit _realpolitischen_ Forderungen (‚Alle bleiben‘, ‚No borders‘, ‚Stop deportations‘ usw.) werdet ihr bei der großen Mehrheit der hier Ansäßigen, die sich ihres Eigeninteresse bewusst ist, eher für Entfremdung sorgen.
    MfG