Ich bin so glücklich, ich könnte twittern

20. August 2014

9783462046755In und um Dave Eggers „Der Circle“ scharen sich Expert*innen für Kultur, Logistik und Demokratie

Kein Buch – ob wissenschaftlich oder belletristisch – hat in den hiesigen Feuilletons der letzten Wochen mehr Wellen geschlagen, und damit Datenmüll, unmotivierte Debatten und Pseudo-Aufreger fabriziert, als Dave Eggers „The Circle“ bzw. die von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann vorgenommene, und diesen August im kleinen Buchladen umme Ecke und beim Intelligenzler-Feind des Monats amazon.de erwerbbare deutsche Übertragung „Der Circle“. Durch den welken Blätterwald der auf Online-Betrieb umsattelnden Tages- und Wochenzeitungen wehten die Ausdünstungen eines Berges an „Brave New World“- und „1984“-Vergleichen. Höhepunkte des Rummels, waren u.a. ein pfützentiefes Interview der FAZ mit dem Autor (geb. 1970 in Boston, Massachusetts, USA). Der Kulturteil der Frankfurter Allgemeinen war sowieso schon Tage und Wochen vorher totalitär auf das Thema getrimmt worden, und eine Rezension in der Links-Rechts-Flügelstürmerin taz, die sprachliche Eloquenz bewies und „Der Circle“ ein „okayes Buch“ nannte. Chapeau! Da will sich das Lower Class Mag nicht lumpen lassen und drückt dem Datenhaufen seine rote Kirsche auf.

Dummchen sucht Firma

Für all jene, die bisher auf Durchzug geschalten haben, wenn sich die Ärztesöhne und -töchter zum Buch ausgelassen haben, hier ein kurzer Handlungseinblick: Hauptfigur Mae hasst ihren alten Job („…,raus aus diesem Gulag und allem, wofür er stand.“) und will nicht werden, was ihre Alten sind. Über ihre ehemalige Kommilitonin und BFF Annie bekommt sie eine Anstellung in der titelspendenden Firma „The Circle“. Die ist schon so cool, dass sie nicht mehr auf Höhe der Zeit ist – sie ist die Höhe der Zeit. Da kann Mae auch gar imagesnicht merken, wie sie zum Zahnrädchen des zahnradlosen digitalen Apparats herangezogen wird, verschafft der neue Job ihr doch Privilegien, wie eine Krankenversicherung für sich und die alternden und kränkelnden Eltern. Sie steigt auf, unterdrückt jeden Zweifel mit Einfalt und Mehrarbeit, die sie leistet, und landet letztlich als perfektionierte Produzentin in einer Welt, in der alles dokumentiert wird, die Menschen nach und nach gläsern (jederzeit sichtbar und rückverfolgbar) werden und sich aus dem Monopol par excellence eine post-staatliche Demokratie entwickelt. Der Teufel winkt mit kostenloser ärztlicher Behandlung!

Literarisch reißt sich Eggers in seinem „okayen“ Buch nun wirklich kein Bein aus: Ein paar absolut grauenhafte Formulierungen, halbgare Naturallegorien, was (Un-)Einsicht eigentlich bedeutet und kleine Lichtblicke, wie eine Zirkusnummer, die als vorsintflutliche Avantgarde der Unterhaltung den ständigen Mottoparties auf dem „Campus“ des Firmengeländes gegenübersteht und punktgenau in die Hose geht, wechseln sich ab.

Die Krux des Werks liegt in ihrer Aktualität, heißt es allerseits. Dem ansonsten stilgetreuen Thriller mit der ausgelatschten Stirbt-jetzt-jemand-dann-geht´s-so-weiter-und-wenn-doch-nicht-dann-so-usw.-Handlung kann man auch nur das zusprechen: Aktuelle Wehwehchen der westlichen Hemisphäre aufzugreifen. Da ist die Kommunikationsindustrie, vor der man sich fürchtet, sie würde uns zwar reden, aber nichts sagen lassen. Oder die Furcht vor dem modernen Überwachungsstaat, der mittels Video- und Audio-Aufnahmen alles und jede*n in Auge und Ohr behalten kann.

Ängste und Nöte, die man oftmals mit allergrößter Lustlosigkeit registriert, weil doch alle anderen vollkommen naiv sein müssen, wenn sie erst durch Edward Snowden registrieren, dass nach dem Kalten Krieg vor dem Kalten Krieg ist und sich die Geheimdienste aller Länder nicht abschalten, nur weil im wiedervereinigten Schland
1990 „Aus, aus, das Spiel ist aus, der Westen schlägt den Osten!“ gebrüllt werden durfte. Mit überheblichen Blick wird dann auch der- oder diejenige abgespeist, die findet, dass es irgendwie zu weit geht, wenn Google meine Suchanfragen auswertet und mir über kommerzielle Partner dementsprechende Pop-ups und Banner auf meine Lieblingsplätzchen im Web pflanzt. Alle hier wie die Hauptfigur Mae, die sich mit Tunnelblick an Karriere und Leben im Schönen klammert, oder was?images-2

Die Kritik bekam Eggers häufig zu hören: Den Charakteren fehlt Tiefe und Ambivalenz. Ohne so viel Gutgläubigkeit würde das Handlungskonstrukt zusammenbrechen wie ein überlasteter WordPress-Blog. Stimmt. Es ist ja auch ein Konstrukt, so banal und austauschbar auch immer. Dass aber Leute im Jahre 2014 große Augen machen, wenn ihnen erzählt wird, dass Facebook und Co. als Konzerne natürlich profitorientiert und nicht von Haus aus Philantropen sind, dass die deutsche Sozialdemokratie trotz ihres Labels chauvinistische Abschiebepolitik betreibt – diese Ignoranz ist kein Konstrukt, sondern Resultat gesellschaftlicher Bewusstlosigkeit und krassem Mangel an Aufklärung.

Erst kommt der Fron, dann der Lohn, jetzt das Frown

Auf eine Wunde der Gegenwart legt Dave Eggers seinen Finger ausschweife
nd (und gekonnt), auf die der modernen Lohnsklaverei: Nicht nur die Zeiten der Leibeigenschaft, einer Abgabe der eigenen Leistung einmalig pro Kalenderjahr, sondern auch die des Stunden- bzw. Stücklohns scheinen nach und nach gegessen. War es schon abstrakt, sich aus den acht bis zwölf Stunden am Fließband einen Reim zu machen, wieviel eigentlich für die Arbeiter*innen dabei rausspringt, werde die Ketten des Arbeitsplatzes gesprengt: Heimarbeit, und zwar umsonst! Oder mit einem der Circle-Slogans á la „Krieg ist Frieden“ gesprochen: „Alles Private ist Diebstahl“. Wer heutzutage nicht feiertags oder im Urlaub zum Tablet greift, um das Profil der Firma zu checken, Mail-Anfragen von Kunden zu beantworten, oder in die Chronik des Betriebs ein geschmackvolles Familienfoto aus dem Hotelressort mit besten Grüßen an die vor Ort Schuftenden zu senden, gilt sowieso als unschick. Doch unbezahlte Arbeit geht auch noch subtiler, indem Datenbänke und Statistiken gefüttert werden, was die Internet-affine Majorität so alles konsumiert.
Der Circle biegt sowas zur Herrschaft des Pöbels um, dessen Bedürfnisse und Wünsche entweder indirekt (der Markt und sein Nachfrage-Fetisch) oder direkt durch Votum umgesetzt werden sollen. Wenn Mae vor lauter Kommentaren, Zings, Smiles und Frowns kaum noch aus den eigenen Augen gucken kann, jedoch ihren Seelenfrieden gefunden hat, weil sie als Teil der Circle-Elite brav „partizipiert“, hat sich der Kapitalismus zum Calvinismus des 21. Jahrhunderts aufgeschwungen: Gesegnet mit allen Informationen der Welt, sollst du Gottes Arbeit auf Erden verrichten. Den gibt´s nämlich wirklich.

Der Weihnachtsmann sieht alles 2.0

Der Kniff darf natürlich in keiner Monopol-Dystopie fehlen: Zunehmend schafft der Circle die Säkularisierung ab, indem er sich zur eigenen religionsstiftenden Kirche aufschwingt – wie eine Mutti, die ihren Kindern verbietet, in der Öffentlichkeit die Hände in die Hose zu stecken – und zwingt den Menschen in das, was man getrost bürgerliche Doppelmoral schimpfen darf. Denn wenn du stets für alle einsehbar bist und dir Kameras auf Schritt und Tritt folgen, überlegst du besser zweimal, ob du den frisch geernteten Popel
unter die Bank schmierst. Als Repräsentantin bist du dann kein Mensch, sondern Moderatorin deines Lebens, das eigentlich auch nicht mehr deins ist, sondern das deiner Live-Viewer, denen du nach dem Geschmack hantieren musst, und das deiner Vorgesetzten, die wollen, das du aus der Ausbeute eine heile Welt zum Vorzeigen machst. Das lernt Mae, die Hauptfigur.

Helfen kann im neuen Leben auch nicht die radikale Personalisierung des Internets, wenn die Personen weiterhin mehr Personal- und Betriebsausweis mit jeweiligen Schul- und Ausbildungsabschlüssen sind, eingemacht in eine ungebrochene Leistungsgesellschaft, die den einstigen Menschen nunmehr keinen Raum zur Gegenstimme und Entfaltung ab vom Mainstream lässt, denn tatsächliche menschliche Lebenwesen.

Re: Fragenlos glücklich

Wenn Dave Eggers mit seinem Buch für neue Menschenrechte eintreten mag, welche, die den Menschenpark im digitalen Zeitalter regeln, kommt man unweigerlich an den Punkt, wo man ihm Fortschrittsverdrossenheit und verkürzten Verzichts-Wahn vorwirft, vor allem aber die Frage aufkommt, was denn zur Hölle bei den alten Menschenrechten (Recht auf Leben, Glück, Frieden, Wohlstand und so altmodische Kinkerlitzchen) so astrein gelaufen sein muss, dass man jetzt schon eine neue Version auf den Markt bringen will!? images-3

Was das Fragen angeht, hat der Monopolist Circle eine ultimative Antwort: Informationen und der uneingeschränkte Zugang zu diesen erübrigen zukünftig jede Frage („Ich muss mich nicht länger fragen: ‚Wie geht‘s Mom?‘ Ich muss mich nicht länger fragen: ‚Was passiert gerade in Myanmar?‘“).

Wer nicht mehr fragt, sondern nur noch Informationen (re-)produziert und blind frisst, kann schwerlich mündiger Teil einer Demokratie, ob bürgerlicher oder sozialistischer oder in welcher Form auch immer, sein, genausowenig wie das Menschlein, das sich nur verantwortungsvoll benimmt, wenn es sich beobachtet fühlt.

Mehr noch könnte man über Dave Eggers „Der Circle“ (auch den darin inhärenten Geschlechterbildern, dem Abwickeln von Klasseninteressen usw.) und der Rezeption des Schinkens sagen, und schimpfen über falsches Demokratieverständnis, versc
hleierte Todschick-Exploitation und kleinlautes Palaver deutscher Kultur-Auswerter*innen. Oder man pfeift drauf, beweist intellektuelle Fitness und beendet seine Polemiken gegen die schiefe Medien-, Konversations- und Informationsgesellschaft mit einem aus dem Zusammenhang gerissenen Zitat aus der schönen Literatur: „Die Zeitung brachte nichts Neues. Es war kaum zu merken, dass inzwischen eine Woche vergangen war: so wenig hatte sich ereignet. Verglich man die Zeitung mit einem Fenster zur Welt, dann handelte es sich offenbar um ein zugefrorenes.“ (Abe Kōbō: Die Frau in den Dünen. 1962)

– Von Pat Batemensch

Dave Eggers: Der Circle. Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Kiepenheuer&Witsch 2014, 560 Seiten, ca. € 23.

 

 

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2 Kommentare

    D.F. 20. August 2014 - 13:53

    Der oder die Autor/in pöbelt also nach einer Einleitung á la: „Ich weiß, den Scheiß brauch kein Mensch, aber ich muss einfach etwas dazu schreiben“, über das aus Ärztesöhnen bestehende pesudo-intellektuelle Feuilleton und die sowieso verblödeten Massen, die ernsthaft einen Roman brauchen, um das doch sowieso Offensichtliche in ihre verengten, kleinen Schädel zu bekommen?
    Muss schon schön sein, wenn man so klug ist und es auch noch soo subtil an die Leute bringt…

    P.B. 22. August 2014 - 14:19

    Gilt man jetzt automatisch als abgehobene*r Spinner*in, wenn man Ironie und Kritik/Selbstkritik in einen Beitrag zu einem aktuellen kulturellen Thema einbringt?
    Beim Lesen des Artikels sollte man eigentlich drauf stoßen, dass die (berechtigte) Kritik an den deutschen Feuilletons an eine Selbstkritik gebunden war, dass man sich doch auch nur dran beteiligt und den Hype damit konsequent weiterträgt. Genauso wie gegen Bildungsmangel und Zeitgeist der „Massen“ unter dem Aspekt polemisiert wurde, dass diese Fehler 1. nicht der Arbeiterklasse angekreidet wurden sondern den aufklärerischen Mängeln unserer Zeit und 2. wieder selbstkritisch hinterfragt wurde, warum (vorallem aus intellektuellter Sicht, oft auch mit linker Verortung) trotzdem von Naivität und Dummheit des Proletariats die Rede ist.

    Verstehe daher die Kritik nicht so wirklich, vorallem weil sie einfach nur auf Contra gehen will und ausblendet bis zum Gehtnichtmehr.