Die Räumung der besetzten Gerhart Hauptmann Schule hat begonnen
Die Gerüchte kursierten schon seit letztem Freitag. Spätestens seit Baustadtrat Panhoff von den Grünen die Besetzer der Gerhart Hauptmann Schule dazu aufforderte, das Gebäude bis Montag den 23.06. zu verlassen, war jedem klar, dass in den nächsten Tagen dann auch die Räumung erfolgen würde. Doch als am Morgen des Dienstags um halb sechs von einer Räumung nichts zu sehen war und auch um zehn Uhr noch nichts darauf hindeutete, dass irgendwo Polizeikräfte zusammen gezogen wären, dachten die meisten wohl, dass sich der Fall für diesen Tag erledigt habe. Die kommen doch nicht tagsüber, dachten die meisten. Die werden sich das doch nicht um die Mittagszeit trauen. Trauten sie sich aber.
Kurz nach halb elf erreichten um die 50 Einsatzfahrzeuge die besetzte Schule und bereits eine viertel Stunde später war das Gebiet weiträumig abgeschirmt. Kein Durchkommen mehr. Auch nicht für Presse. Einsatzkräfte aus mehrere Bundesländern waren im Einsatz, es gab Hundertschaften aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und sogar aus Thüringen. Es kursierte die Zahl von 900 Beamten, was bei der Weiträumigkeit der Absperrmaßnahmen und der massiven Präsenz von Bullen durchaus plausibel klang.
Nichtsdestotrotz bestanden die Mitarbeiter des Bezirks, allen voran Sprecher Sascha Langenbach darauf, dass es sich um eine „friedliche Umzugsmaßnahme“ handle, und dass Mitarbeiter des Bezirks lediglich von Zimmer zu Zimmer gehen würden, um den Geflüchteten eine „alternative Unterbringung vorzuschlagen“. Dabei erläuterte Langenbach, dass es sich bei dem „Vorschlag“ um ein „faires Angebot“ für die Flüchtlinge handeln würde, in dessen Rahmen das Kolat-Papier für die Flüchtlinge vom Oranienplatz auch hier gelten solle. Im einzelnen also sechs Monate Duldung, Unterhalt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und Einzelfallprüfung. Nun hat sich mittlerweile aber auch unter den Geflüchteten herumgesprochen, dass das Kolat-Papier eben jenes nicht wert ist, auf dem es geschrieben steht.
So ist bereits jetzt bekannt, dass mindestens zehn Menschen, die sich im Rahmen des Kolat-Papiers registrieren haben lassen, ganz konkret von Abschiebung bedroht sind und dass bereits mehrere Geflüchtete in ihre Lager zurückgeschoben wurden, die sie im Rahmen des Refugeestrikes verlassen hatten. Und das, obwohl ihnen zugesichert worden war, dass die Einzelfallprüfung nach Berlin verlagert werden würde und sie die Stadt nicht verlassen müssten.
Der Unmut und das Misstrauen der Geflüchteten über die „Kompromiss-Vorschläge“ war deutlich zu spüren, wenn einzelne Menschen zum Zaun kamen, um mit den Journalisten zu sprechen. Auf die Frage, warum bei dem ganzen Prozedere keine Presse zugegen sein dürfe, wenn es sich doch lediglich um Gespräche handele, antwortete Sascha Langenbach mit der immer gleichen veralbernden Rhetorik: Man wolle die Privatsphäre der Geflüchteten schützen, da man ja auch als Normalbürger keine Presse in seinen Privaträumen haben wolle. Damit hat Herr Langenbach sicherlich Recht, vergisst dabei allerdings zu erwähnen, dass der Normalbürger normalerweise auch gerne auf die Anwesenheit von ein paar Hundert Polizisten in voller Kampfmontur in seinen Privaträumen verzichtet. Wie auch immer. Eine kleine Gruppe von Protestierern, die sich über einen Hinterhof zutritt auf die Ohlauerstraße verschafft haben, um direkt vor dem Tor der Schule eine Sitzblockade abzuhalten, wurde weggetragen und erkennungsdienstlich behandelt.
Schließlich und endlich wurden nach und nach auch Pressevertreter auf das Gelände der Schule gelassen, allerdings nur um nach kürzester Zeit wieder vom Gelände verwiesen zu werden. Gespräche mit den Geflüchteten waren nicht erwünscht und Herr Langenbach machte uneingeschränkt vom Hausrecht des Bezirks Gebrauch, dem die Immobilie offiziell ja gehört. Interviews mit direkt Betroffenen waren nicht gern gesehen und Herr Langenbach zeigte deutlich, dass Journalisten zwar generell alle gleich sind, manche aber gleicher und manche eben tatsächlich nicht gern gesehen werden. So schnauzte er eine Reporterin des RBB an, dass er ihre Berichte nicht vergessen habe, in denen sie sich kritisch über den Bezirk Friedrichhain-Kreuzberg geäußert habe. Auch Sie und ihr Team wurden nach wenigen Minuten wieder vor das Eingangstor der Schule verbracht.
Der Tag zog sich in die Länge. Immer wieder verließen Busse das Gelände um die Schule, voll besetzt mit Geflüchteten, die das Angebot des Bezirks letztendlich doch angenommen haben. Ihnen ist kein Vorwurf zu machen, waren die hygienischen und sozialen Verhältnisse in der Schule zuletzt tatsächlich katastrophal. In diesem Zusammenhang hat sich die gesamte linke Berliner Szene dann auch den Vorwurf gefallen zu lassen, dass sie nicht in der Lage war, einen derart langen und zähen Widerstandskampf ausreichend zu unterstützen. Weder gelang es den Kampf der Geflüchteten tief in der Mitte der linksliberalen Gesellschaft zu verankern, wie es zum Beispiel in Hamburg passierte, noch konnte sicher gestellt werden, dass die Geflüchteten ausreichend mit dem Lebensnotwendigsten versorgt wurden. So litten die Menschen in der Gerhart Hauptmann Schule und auch am Oranienplatz in den Monaten vor den Räumungen tatsächlich Hunger, weil nur unzureichend Spenden eintrafen. Einmal alle paar Monate in schwarz gekleidet auf einer Demo aufzutauchen und sich solidarisch zu erklären, reicht dann leider doch nicht. Hier sollte eine selbstkritische Analyse folgen, denn entgegen den Vorwürfen der bürgerlichen Presse, die linke Bewegung hätte sich den Refugee-Protest angeeignet, bleibt festzuhalten, dass es eher ein zu wenig an Intervention gab, als ein zu viel.
Nichtsdestotrotz war es erfreulich, dass gegen 19 Uhr ungefähr 500 Personen zur Solidaritätsdemo am Kottbusser Tor erschienen. Die Demo begann dynamisch und sorgte für einen kurzen Moment der Überraschung bei den eingesetzten Beamten, die sichtlich überfordert waren. Um kurz nach 19 Uhr setzte sich der Demozug urplötzlich und ohne auf eine eventuelle Demoroute zu achten in mehrere Richtungen gleichzeitig in Bewegung. Ein Teil des Zuges verschwand in der Reichenbergerstraße, ein anderer stürmte in die Skalitzer, wo dann allerdings auf Höhe der Mariannenstraße auch gleich wieder Schluss war. Den Bullen gelang es ein Kette zu bilden, den versprengten Trupp zu stoppen und ihn sogar einzukesseln. Zumindest waren nun auch hinter den Demonstrierenden Beamte im Einsatz, die niemanden mehr in Richtung Kottbusser durchließen. Irgendwann ging es dann im Spalier tatsächlich weiter, aber so richtig effektiv war das alles nicht mehr, was den vereinzelten Protesten vor den Polizeiabsperrungen rund um die Gerhart Hauptmann Schule keinen Abburch tat. Überall sah man kleinere bis größere Gruppen von Protestierern sitzen, die mit Sit-Ins, Musik und Diskussionen zeigten, dass sie mit dem Vorgehen des Bezirks und den Grünen nicht einverstanden sind. Vereinzelt wurde auch schon mal ein Absperrgitter aus der Barrikade gerissen und tatsächlich konnte man auch einen Polizeihelm durch die Luft fliegen sehen. Randnotizen allerdings, denn geräumt wurde ja doch. Eine weitere Niederlage im ohnehin nicht unbedingt vom Erfolg verwöhnten Flüchtlingskampf. Nun käme es darauf an, diesen vermeintlichen Sieg von Bezirk und Senat so teuer wir möglich zu gestalten. Dezentrale Aktionen könnten dabei ganz hilfreich sein.
Zur Stunde befinden sich noch immer mehrere Personen auf dem Dach der Gerhart Hauptmann Schule und weigern sich, das Gebäude kampflos zu räumen. Der Tagesspiegel berichtet davon, dass sie Molotowcocktails gebaut hätten und mehreren Berichten zufolge, sei in den unteren Stockwerken Benzin verschüttet worden, verbunden mit der Drohung, dieses zu entzünden, falls die Polizei das Gebäude stürmt. Laut Pressebericht tagt ebenfalls zur Zeit die Bezirksregierung von Friedrichshain Kreuzberg, um das weitere Vorgehen abzustimmen, während der Flüchtlingsrat Berlin Brandenburg einen sofortigen Stop der Bullenaktion einforderte.
– Von Thomas Hunter
– Fotos PM Cheung
classless Kulla » Blog Archive » Wie und warum die Scheiße passieren kann 26. Juni 2014 - 16:13
[…] «In diesem Zusammenhang hat sich die gesamte linke Berliner Szene dann auch den Vorwurf gefallen zu lassen, dass sie nicht in der Lage war, einen derart langen und zähen Widerstandskampf ausreichend zu unterstützen. (…) So litten die Menschen in der Gerhart Hauptmann Schule und auch am Oranienplatz in den Monaten vor den Räumungen tatsächlich Hunger, weil nur unzureichend Spenden eintrafen.» (Lower Class Magazine: Grünes Kreuzberg) […]
fuckcops 27. Juni 2014 - 22:07
Ekelhaftes Vorgehen der Bullerei und die Grünen schaffen die Pressefreiheit ab, wunderbar.
btw, warum verlinkt hier jmd in den kommis den NeoKon-Nationalisten-Depp Kulla?
P.M. 2. Juli 2014 - 8:07
Das ist ein Pingback. Das kommt automatisch, wenn jemand anderes den Beitrag hier verlinkt.
Aber wenn du so weltfremd bist, (ausgerechnet!) Kulla für einen Neocon und Nationalisten zu halten, wurdert es micheigentlich nicht, dass du mit den Spezifika moderner Technik nicht so vertraut bist.
put this pon your video: Staiger’s Doku über die Refugee Proteste in Berlin | southvibez 8. Juli 2014 - 2:02
[…] deren Geschichte nun anhand einer kurzen Doku und geht dabei gezielt auf die Ereignisse rund um die totalitär inszenierte Räumung der besetzten Schule in der Ohlauer Straße vergangene Woche ein […]