In Berlin waren zum Internationalen Frauentag mehrere tausend Menschen auf der Straße. Wir haben ein paar Fotos gemacht und ein paar Zeilen dazu geschrieben.
„Was´n hier los? Linke, oder wat?“ fragt ein offenkundig angetrunkener Mann einen der Bullen am Rande der dieses Jahr vom Gesundbrunnen-Center zum Rosa-Luxemburg-Platz ziehenden 8.-März-Demonstration. „´S geht um den Frauentag. Hättense mal ihre Frau mitgebracht“, antwortet der gut informierte Beamte.
Auch ohne „mitgebracht“ zu werden, haben sich insgesamt einige Tausend Menschen, sicher mehr als 5000, eingefunden, um gegen Patriarchat, Sexismus, Transphobie und den ganzen anderen Müll, den eigentlich keine*r braucht, zu demonstrieren.
Es ging um nicht weniger als die Rückeroberung von gesellschaftlichem Terrain, denn „Feminismus“, so die Berliner Gruppe TOP (Theorie.Organisation.Praxis) im lesenswerten Aufruf „Reclaim the F-Word“ ist natürlich längst kein Alleinstellungsmerkmal der politischen Linken mehr, schon gar nicht der radikalen: „Wenn die Bundesarbeitsministerin erklärt, dass sie Feminismus braucht, ‚weil nur eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichgestellt sind, eine moderne Gesellschaft ist‘, dann zeigt das ziemlich deutlich, dass das F-Wort etwa so viel politischen Sprengstoff wie eine Luftpumpe hat.“
Für eine linksradikale Debatte sehen die TOP-Autor_innen Ansätze vor allem bei der sogenannten Care-Debatte: „Darin wird die Bedeutung gesellschaftlicher Reproduktion – von der Hausarbeit bis zur Kindererziehung und Altenpflege – für Geschlechterungleichheit untersucht. Die Erkenntnisse daraus sind aufschlussreich, wenn auch nicht allzu überraschend: Dass Reproduktionsarbeit zu Niedriglöhnen oder auch umsonst quasi ’nebenbei‘ verrichtet wird, ist kein Zufall, sondern liegt in der Produktions- und Regulationsweise des kapitalistischen Systems begründet.“
Darüber hinaus sei aber vor allem zu begreifen, dass Unterdrückungs- und Herrschaftsmechanismen eben nicht einfach verschwinden, wenn mensch dem Privateigentum an Produktionsmitteln den Garaus gemacht hat. „Eine befreite Gesellschaft muss eben nicht nur ökonomische Zwänge überwinden, sondern auch Rassismus und Sexismus, in welcher Form auch immer.“
Dass der Kampf gegen sexistische Unterdrückung und Bevormundung nicht erst am Sanktnimmerleinstag beginnen kann, nachdem alle anderen Widersprüche aufgehoben sind, weiß jede_r, der/die schon mal auf hiesigen Plena rumgesessen ist – mit einem Männeranteil von 80 Prozent, die sich dann Redezeiten von 99,9 Prozent gönnen.
Eine der Bewegungen, die international sehr weit vorne sind, was die Thematisierung von Geschlechterfragen und das Ausprobieren von Lösungen angeht, war auch präsent: Die kurdische Befreiungsbewegung.
Die Kurd_innen haben in den letzten Jahrzehnten die Frauenfrage in den Mittelpunkt ihres Aufbaus des „Demokratischen Konföderalismus“ gestellt. Dort, wo sich die PKK und ihre Schwesterorganisationen die Macht erkämpft haben, bilden sie unabhängige Frauenräte, die Guerilla verfügt über eigene Fraueneinheiten.
Auf welche Widerstände dieses Engagement stößt, zeigt der Fall von Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Söylemez, drei kurdischen Vorkämpferinnen für Frauenrechte, die im Januar 2013 in Paris auf Anordnung des türkischen Geheimdienstes ermordet wurden. An sie erinnern viele Aktivist_innen auch heute in Berlin.
Auch Sexarbeit war natürlich Thema am heutigen 8. März. Auf der Demo fanden sich die beiden gängigen Positionen nebeneinander. Während die einen für eine Legalisierung von Sexarbeit eintreten, fordern andere ein Verbot von Prostitution.
Alles in allem war es eine gelungene Demo. Einziger Wermutstropfen: Die immense Präsenz sozialdemokratischer und vor allem grüner Organisationen. Ihr langweiliger Wahlkampffeminismus wäre nur lächerlich, entblödeten sich beide ex-linken Parteien nicht bei jeder beliebigen Gelegenheit Frauenrechte und Antisexismus zur Rechtfertigung ihres Menschenrechtsimperialismus heranzuziehen.
Feminismus wird hier zu einem Label, das die Überlegenheit der westlichen Kultur über die rückständigen Barbaren vom Hindukusch bis nach Moskau vor Augen führen soll, denen sodann auch mit Waffengewalt die Mores gelehrt werden können. Sind Frauenrechte in Afghanistan in Gefahr, wirft sich Claudia Roth schon mal gerne den verbalen Kampfanzug über. Andererseits ist es vielleicht auch nicht ohne Sinn, dass diejenigen, von denen mensch das F-Word reclaimen muss, auch mitlaufen. Vielleicht bringt´s ja etwas Einsicht.
– Fotos: Peter Schaber-Nack
– Text: Maria Josef
Eine feministische Kapitulation! – Warum ich die 8. März-Demo in Berlin verlassen habe, bevor sie losging « Theorie als Praxis 8. März 2014 - 17:47
[…] PS.: Eine andere Sicht auf die gleiche Demo: http://lowerclassmagazine.blogsport.de/2014/03/08/reclaim-feminism/ (5.000 Leute war es bei weitem nicht, wenn auch mehr als die – ich weiß nicht – 150 oder 300 in den letzten Jahren). […]
TaP 11. März 2014 - 17:17
Noch eine kleine Frage aus Anlaß des 8. März:
Was für einen Klassen-Begriff vertritt Queerfeminismus eigentlich?
Am Samstag erschien bei indymedia ein Artikel „Für eine linksradikale, queerfeministische Perspektive auf den 8. März“. In ihm hieß es u.a.:
Ich frage mich jetzt:
Aus welchen Klassen mögen sie nur „kommen“?! Und wofür meinen sie, daß das relevant ist? –
Und viel spannender finde ich noch die Frage, welchen Klassen sie denn wohl HEUTE angehören. Wieviele Bourgeoises oder BäuerInnen mit Grundbesitz sind denn unter diesen queerfeminisischen Linksradikalen? Oder sind es vielleicht doch ’nur‘ Lohnabhängige (bzw. Schein-Selbstständige), die sich wegen ihres Uni-Abschlusses zu fein sind, sich als Lohnabhängige zu erkennen?
Nicht diese Fragen, aber ein paar andere Fragen, habe ich dort:
http://de.indymedia.org/2014/03/353024.shtml
zu dem „linksradikalen, queerfeministischen“ Text von Samstag gestellt.
www.lucabarla.it 16. März 2014 - 16:51
http://www.lucabarla.it
Reclaim Feminism « lower class magazine