Revolution oder TÜV. Zum Europawahlprogramm der Linkspartei

30. Januar 2014

Autor*in

admin

Ein einziges Sätzlein überlagert alles. Es enthält, soviel sei zugestanden, eine Menge Richtiges. Die beschränkte und bornierte, weil ausschließliche öffentliche Beschäftigung mit genau diesem Sätzlein aber zeigt zweierlei: Verfall und Berechnung. Mitte Januar konnte jeder sehen, wie ein Fernsehkasper und der Hanswurst einer Illustrierten Frau Wagenknecht ins Kreuzverhör nahmen, um sie mit eben jenem Sätzlein zu konfrontieren, und zwar in der Absicht, sie und ihre Partei des
Populismus und der mangelnden Seriösität zu überführen. Der Vorgang, den Lanz und Jörges vermutlich als Diskussion bezeichnen würden, demonstrierte einmal mehr, welches Niveau mittlerweile der Umgang mit Gesprächspartnern angenommen hat, deren politische Position man nicht zu teilen hat. An die Stelle einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Gehalt einer Botschaft tritt die empörte Fixierung auf die Phrase. Das Argument wird, weil man nicht mehr anders kann, mit kindischer Unterbrechung und tattriger Grantlerei pariert. Das ist der Verfall.
Doch beim Sturz rettet sich die Berechnung. Man schreit so lange herum, bis die Empfänglichsten widerrufen. Gregor Gysi hatte sich da bereits vorauseilend distanziert. Die Masche verfängt.

Das Sätzlein nun, bzw. dessen inkriminierter Teil, der soviel Empörung hervorgerufen hat und den Gysi als mißraten betrachet, lautet: „…wurde die EU zu einer neoliberalen, militaristischen und weithin undemokratischen Macht …“. Es findet sich in der Präambel des Entwurfs für ein Programm zur Europawahl, den die Linkspartei vorgelegt hat. Was Gysi, Liebig und andere daran stört, ist, dass eine solche Einschätzung der EU ein Hindernis auf dem Weg darstellt, sich endlich koalitions- und regierungsfähig zu machen. Wer die EU neoliberal, militaristisch und undemokratisch nennt, begibt sich vom Standpunkt bürgerlicher Parteien und verblödeter Sittenwächter wie Lanz und Jörges ins Abseits und darf bestenfalls am Katzentisch Platz nehmen. Recht hat er trotzdem. Zumindest auf der Erscheinungsebene. Damit ist vielleicht schon das
netteste über den Entwurf gesagt.

Sofern eine Partei über ein klares Ziel verfügt, treten ihre Mitteilungen auf drei verschiedenen Ebenen zutage. Ein Programm gibt an, wo man überhaupt hin will, eine Strategie steckt den längerfristigen Handlungsrahmen zur Erreichung dieses Ziels ab und die Taktik letztlich bestimmt, welche je aktuellen Mittel im Gefecht angewandt werden müssen. Im Entwurf der Linkspartei gerät alles durcheinander, vieles bleibt unbestimmt, manches widerspricht sich. Das geschieht nicht zufällig, sondern hat seinen Grund erstens in der Unzulänglichkeit der Analyse und Ergründung der Ursachen für eine Misere, die man zu beseitigen oder doch zumindest zu lindern trachtet, und zweitens in der Abwesenheit eines klar benannten Ziels.

Das Problem heißt Kapitalismus und das Ziel, das bei den meisten Linken noch immer einen guten Klang hat, Sozialismus. Weder der eine noch der andere werden im Entwurf deutlich benannt, daher
rühren die erwähnten Schwächen. Antithetisch zur Charaktereinschätzung der gegenwärtigen EU gibt die Linkspartei vage an, „für ein soziales, demokratisches und solidarisches Europa“ eintreten zu wollen. Der Ist-Zustand wird als Ergebnis von Fehlern beschrieben, die man nur zu korrigieren brauche, damit aus einer prinzipiell guten Idee auch ein schöne Sache werde. Behauptet wird, die EU sei einmal eine „Hoffnung für die Menschen“ gewesen. Behauptet wird ferner, dass die „Einigung in Europa“ darauf zielte, „Kriege zu verhindern und – nach den Weltkriegen im 20. Jahrhundert – zu einer friedlichen Entwicklung in und außerhalb Europas beizutragen“. Das ist ein Mythos, dem nur verfallen kann, wer glaubt, dem Imperialismus wohne eine Friedensfähigkeit inne.

Der Errichtung eines einheitlichen (west-)europäischen Wirtschaftsraums unter kapitalistischen Vorzeichen lagen mindestens zwei Motive zugrunde: Erstens die Schaffung eines ökonomischen Gegengewichts zu den Staaten des Sozialismus und zweitens die Einhegung der kriegerischen Potentiale des deutschen Kapitals. Daß letzteres mittlerweile in sein Gegenteil umgeschlagen ist und der deutsche Imperialismus ganz ohne Anzettelung eines dritten Krieges seine alten Mitteleuropakonzepte zu realisieren scheint, ist eine tragische Pointe, die man im Entwurf vergeblich sucht.

Der Sündenfall, der aus Europa einen unwohnlichen Ort gemacht hat, ist den Autoren zufolge der Masstricht-Vertrag und vor allem die damit verbundene Deregulierung der Finanzmärkte sowie die ungezügelte Freizügigkeit des Kapitalverkehrs. Das ist unzweifelhaft richtig. Doch man wird den Eindruck nicht los, daß man beim Bau eines gemeinsamen Europas irgendwann einmal vom rechten Wege abgekommen sei, und es lediglich einer Kurskorrektur bedürfe. Es gebe, so heißt es, eine „falsch ausgerichtete Konzeption der Europäischen Union“. Noch einmal: Als Problem gilt hier nicht der Kapitalismus, sondern seine jetzige Form, die aber an ihr Ende gekommen sei. „In vielen Ländern stehen die Menschen vor den Scherben des gescheiterten Finanzkapitalismus.“

Inwieweit der gescheitert sein soll, erfahren wir nicht. Von Scheitern ließe sich aber nur dann nachvollziehbar sprechen, wenn man dem Mißverständnis aufsitzt, daß die kapitalistische Ökonomie den Zweck verfolgt, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Genau das aber soll erreicht werden und zwar vermöge eines ziemlich revolutionär daherkommenden Eingriffs in die Eigentumsverhältnisse. Private Großbanken sollen nämlich vergesellschaftet, demokratisch kontrolliert und dem Gemeinwohl verpflichtet werden. „Ohne die Banken zu entmachten (…) wird jeder Versuch, die Krise zu lösen, scheitern“. Eine seltsame Chimäre entstünde da. Der Laden wäre weiterhin kapitalistisch verfaßt, Profitmacherei und Mehrwertabschöpfung blieben bestehen, aber die Kreditvergabe an Unternehmen, unterläge der Kontrolle derjenigen, die ihrer fortgesetzten Ausbeutung damit stillschweigend zustimmen.

Revolutionärer Geburtshelfer dieses neuen gesellschaftlichen Zustands will die Partei aber dann doch nicht sein. Als hätten man plötzlich Angst vor der eigenen Courage bekommen, werden die Entmachtungs- und Enteignungsforderungen wieder kassiert. Verlangt wird da ein „Finanz-TÜV, der Geschäftspraktiken der Finanzbranche prüfen und vor Einführung genehmigen muß“, und ferner eine „Bankenabgabe um den europäischen Bankensektor an den Krisenkosten zu beteiligen.“ Was denn jetzt? Gerichtsvollzieher oder TÜV? Revolution oder Reförmchen?

Geradezu revolutionär mutet auch dieser Passus an: „Die Linke strebt ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht zwischen den Mitgliedstaaten der EU und gegenüber dem Rest der Welt an, um neue Schulden- und Währungskrisen zu verhindert“. Wie soll das gehen? In der globalen Ökonomie des
Kapitalismus begegnen Staaten einander im Modus der Konkurrenz. Ebenso wie das, was die Linkspartei da anstrebt, könnte man vom Löwen verlangen, daß er sich fortan nur noch von Tofu ernähre. Es gibt einen Alternativentwurf, eingebracht von den Abgeordneten Dehm und Gehrke. Wer glaubt, dieses Papier hebe sich inhaltlich vom anderen ab, sei klarer, gar linker, der irrt. Es zeichnet sich durch die Sorge um den Mittelstand aus und brilliert durch Satzjuwelen wie dieses: „Wasser hat nicht die Aufgabe, Profite zu erwirtschaften, sondern menschenwürdig Durst zu löschen.“ Na dann Prost.

Zur Diskussion stand ein sozialdemokratisches Wahlprogramm. Sozialdemokratisch im besten Sinne des Wortes. Es steht durchaus unterstützenswertes darin. Hier kam es jedoch darauf an, Unzulänglichkeiten, Inkonsistenzen und Widersprüche zu benennen, möglichst auf dem Wege der Argumentation. Eine Tugend, zu der Lanz, Jörges e tutti quanti weder fähig noch willens sind.

– Von Jakob Renard

Schreibe einen Kommentar Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ein Kommentar über “Revolution oder TÜV. Zum Europawahlprogramm der Linkspartei”

    ricky hecker 2. Februar 2014 - 21:26

    Programme schreiben ist eine Sache – sie verwirklichen die andere.
    Mir erscheint das Problem „Die Linke“ als ein ständiges Dartsellungsproblem. Denn wirklich links, im Sinne von Rosa Luxemburg oder anderen deutschen Linken, kann ich Die Linke nicht erkennen. Mal will sie kommunistisch sein (Brief an Castro) mal will sie christlich sein (Gysi meint, eine Religion für Teile des dtsch Volkes wäre wichtig und richtig) und mal will sie die EsPeDe überholen… Mir erscheint die Linke nicht als Linke, sondern nur als eine andere EsPeDe. Für einige ist sie eine Art Glaubensersatz (siehe Religion).
    Man wünscht sich oft, daß sie stärker auftritt – sicher auch medial. Dabei weiß ich natürlich, daß sie in Medien kaum vorkommt. Das müssen dann Sendungen mit Lanz ersetzen. Aber warum macht die Linke nicht solche Action, die einfach dann in die Medien muß? Weil sie richtig Schiß haben in ihren linken Windeln.