Sieg des Nein. Und jetzt?

19. April 2017

Wenn das Referendum über Erdogans Präsidialdiktatur in der Türkei eines zeigt, dann dass sich Faschismus nicht abwählen lässt.

Man kann es, ohne die journalistische Sorgfaltspflicht zu verletzen, so deutlich sagen: Nach allem, was wir bis jetzt wissen, hat eine Mehrheit der Wahlberechtigten in der Türkei am vergangenen Sonntag den Diktaturambitionen des Sultans von Ankara eine Abfuhr erteilt. Klar, das „offizielle“ Ergebnis spricht von einem knappen Sieg des Ja-Lagers. Aber was heißt das schon? Nix. Denn die Verlautbarungen der obersten Wahlbehörde YSK stellen weder den massiven Terror gegen die Opposition in den Monaten vor dem Referendum in Rechnung – zehntausende Verhaftungen, hunderte Tote, hunderttausende Vertriebene -, noch ziehen sie ernsthaft die hunderten Belege in Betracht, die auf massiven Wahlbetrug hinweisen: Auzählungen aus der Region Urfa, wo bei einer Wahlbeteiligung von 100 Prozent 0 Prozent gegen Erdogan stimmten; Bilder von bewaffneten Faschisten, die Selfies vor der Wahlkabine mit der Kalasch in der Hand ins Netz stellen; Millionen „irreguläre“ Wahlzettel, die gerechnet werden. Und so weiter und so fort.

Wir sind nicht die OSZE oder Angela Merkel. Für uns steht fest: Diese Wahl ist gefälscht. Und für zehntausende andere, die derzeit die Straßen türkischer Metropolen füllen, ebenso. Die interessantere Frage ist nun: Was tun?

Denn das Referendum beweist auch: Du kannst aus irgendeiner linksliberalen Hoffnung heraus noch so sehr auf Wahlen stehen. Wenn die von einem Diktator durchgeführt werden, der sich nun mehrere Jahre lang den Machtapparates seines Staates unterworfen hat, wird dabei nichts rauskommen.

Dementsprechend sind die etwas hilflosen Versuche der größten Oppositionspartei CHP, nun ein weiteres Mal Illusionen zu schüren, man könne durch Neuauszählung oder Anrufung von Gerichten einen friedlichen Machtwechsel einleiten, eher kontraproduktiv. Man kann diese Mittel schon wählen, um Öffentlichkeit zu schaffen. Mehr aber nicht.

Denn Erdogan verfügt nicht nur durch über die Machtmittel des Staatsapparates, den er von Vertretern anderer Fraktionen der herrschenden Klassen, von Gülenisten und Kemalisten, so gut es eben ging, säubern ließ. Er baute sich zudem treue paramilitärische Milizen auf, die bewaffnet sind und nicht davor zurückschrecken, friedliche Proteste anzugreifen. Einer der treuesten journalistischen Gefolgsmänner Erdogans, Ibrahim Karagül, verkündete bereits, man werde Massenproteste gegen den Wahlbetrug als „ausländische Intervention“ ansehen. Was das heißt, kann sich jede und jeder denken. Die Verhaftungswellen gegen die Opposition gehen indessen weiter.

Sagen wir es also so, wie es ist: in der Türkei herrscht eine faschistische Diktatur. Wer sich ihrer entledigen will, wird eine breite Einheitsfront schaffen müssen. Diese wird verschiedene Aktionsformen brauchen, von Demonstrationen über den Streik bis zum bewaffneten Kampf.

Das wiederum bedeutet, dass die liberalen, linken, sozialistischen, ja sogar die linkskemalistischen Kräfte in der Türkei ihre Ressentiments gegen die kurdische Bewegung überwinden müssen. Und umgekehrt müsste die PKK bei ihren Aktionen auf die Demokratisierungsperspektive für die gesamte Türkei zielen. Während der Gezi-Bewegung hatte die kurdische Bewegung anfänglich den Fehler gemacht, zu sehr auf die eigene Perspektive zu achten, und den spontanen Aufstand in den Metropolen der Westtürkei nicht ausreichend unterstützt. Es gab, so hört man, selbstkritische Auswertungen dieses Unterlassens. Nun könnte sich, wenn die Proteste wachsen, eine zweite Chance ergeben.

Das klingt vielleicht zu „radikal“, denn es schließt eine Koalition eben auch mit bewaffneten Widerstandskräften ein. Wenn es die aber nicht gibt, ist abzusehen, wie es weitergehen wird: Erdogan wird versuchen, Ruhe zu schaffen – und zwar Friedhofsruhe.

# Ein Kommentar von Fatty McDirty

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2 Kommentare

    Günter Klefenz 19. April 2017 - 20:58

    Jetzt hat er sein Ziel durch Angst und Terror erreicht. Und die EU macht sich Erpressbar. Die Deutsche Regierung ist so Naiv und glaub, mit eine Feder in einen Löwenkäfig zu gehen. Und es würde nichts passieren. Die Deutsche haben nichts aus ihre Gesichte gelernt. Wär Hitler noch da, hätte auch die Merkel mit ihn ein Pack geschlossen. Merkel Verkauft Deutschland für ein Diktator und ein Faschist Erdogan. Die 63 % für ja gestimmt haben, sollen nach Türkei fahren und ihren Erdogan in den Arsch krichen und sich fragen, wieviel Blut von Kurden und Minterheiten in der Türkei soll fliesen?? Dieses JA Wähler 63 % haben sich Mitschuldig gemacht an den Toden und Unschuldigen in Gefängnis. Heute sagen sie alle ja und Morgen will es keiner gewesen sein.

    JULIA WILLE 30. April 2017 - 2:31

    Nun gut, die Türkei ist jetzt eine Diktatur.
    Warum muss es denn gleich eine faschistische sein?
    Was versteht Ihr denn bitte schön unter einer faschistischen Diktatur?