In der Türkei herrscht Ausnahmezustand. Kritische Anwälte kämpfen dennoch weiter. Gespräch mit Aytac Ünsal
Aytac Ünsal ist Mitglied im Progressiven Awaltsverband (Çağdaş Hukukçular Derneği, CHD) und arbeitet in der Anwaltskanzlei des Volkes Istanbul. Der CHD vereint hunderte demokratische, linke Juristen in der Türkei.
Der CHD hat kürzlich in Ankara eine internationale Konferenz zum seit Juli 2015 in Kraft befindlichen Ausnahmezustand, OHAL, abgehalten. Zu welchen Ergebnissen sind Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen bei der juristischen Bewertung des Ausnahmezustands gekommen?
Schon vor dem Ausnahmezustand gab es hinsichtlich der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit der Türkei ernsthafte Probleme. Doch die Gerichte, Richter und Staatsanwälte hatten bei der Urteilssprechung noch Bedenken, alle Formalitäten zu ignorieren. Dieser juristische Schleier wurde nach Ausrufen des Ausnahmezustands völlig abgelegt.
Unsere Konferenz wurde in Zusammenarbeit von 22 nationalen Anwaltskammern der Türkei, Richtervereinigungen wie Yar-Sav, Demokratische Gerichtsbarkeit (Demokrat Yargi), Richtergewerkschaft, internationaler Juristen und Anwaltsverbände, sowie der Progressiven Jurist*innenvereinigung und dem Freiheitlichen Jurist‘innenverband organisiert.
Das grundlegende Ziel der Konferenz war es, ein Bild der türkischen Gerichtsbarkeit vor und nach dem Ausnahmezustand zu zeichnen. Wir wollten anhand konkreter Ereignisse und Fakten analysieren, in welcher Situation sich die Justiz befindet und wie wir unseren Kampf fortführen können. In diesem Rahmen wurde am ersten Tag der Konferenz, am Freitag, den 13. Januar Workshops durchgeführt. An insgesamt 6 Workshops beteiligten sich 150 Anwält*innen, Richter-Staatsanwält*innen und Akademiker*innen, die sich konkret mit Gerichtsurteilen vor und nach dem 15. Juli, sowie mit dem Anwaltsberuf im Ausnahmezustand, der Situation in Gefängnissen und Festnahmezentren wie Polizeiwachen befassten. Alle Themen wurden mit Hilfe von Unterlagen und Dokumenten intensiv abgearbeitet. (mehr …)