Den SYRIZA-Sieg verstehen – Sieben Fragen und sieben Antworten

23. September 2015

Das Wahlergebnis ist unmissverständlich klar: SYRIZA ist die große Wahlsiegerin der letzten, im Eiltempo einberufenen Wahlen in Griechenland. Die neuformierte linke SYRIZA-Abspaltung Laiki Enotita („Volkseinheit“) (LAE) verfehlte dagegen die Drei-Prozehnt-Hürde und somit den Einzug ins griechische Parlament. Dazu gab es eine historisch hohe Wahlenthaltung von 45 Prozent. Wie sollen wir das griechische Wahlergebnis lesen? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

1. Warum haben 35 Prozent SYRIZA gewählt, obwohl Alexis Tsipras dem dritten und brutalsten Sparpaket zugestimmt hat?

Zuerst muss man sich über eine Sache im Klaren sein: gemessen an der Gesamtanzahl der potenziellen Wählerinnen und Wähler hat SYRIZA lediglich 19,5 Prozent der Stimmen für sich reklamieren können. Eine Wahlenthaltung von 45 Prozent stellt keine Norm dar, sondern muss als klares politisches Signal gelesen werden. Die Enthaltung ist Ausdruck einer sich verbreitenden antipolitischen Stimmung in Griechenland nach der dramatischen Hinwendung von Alexis Tsipras zur Austeritätspolitik unmittelbar nach dem erfolgreichen Referendum am 5. Juli, bei dem die Bevölkerung mehrheitlich die von den Gläubigern vorgeschlagenen Kürzungsmaßnahmen ablehnte.

Zum Vergleich: die Wahlbeteiligung am Referendum lag bei 62,5 Prozent, während bei der Wahl im Januar diese bei 63,6 Prozent stand. Zwar stellen diese Zahlen auf dem ersten Blick keinen großen Unterschied zur aktuellen Wahlbeteiligung von 56,6 Prozent dar. Doch muss man bedenken, dass das Referendum letzten Sommer knapp eine Woche nach dessen Ankündigung stattfand. Wahlen in Griechenland sind eine an sich komplizierte Geschichte. So sind die griechischen WählerInnen im Ausland davon ausgeschlossen (es sei denn diese können für überteuerte Flüge bezahlen), und die politische Tendenz der neuausgewanderten GriechInnen der letzten Jahre ist eher links. Dazu müssen GriechInnen für Parlamentswahlen sehr oft zur ihrem Heimatort innerhalb Griechenlands fahren um dort zu wählen. Das beinhaltet einen nicht zu unterschätzenden logistischen Aufwand, der am ehesten die Erwerbslosen und die ärmeren Schichten benachteiligt. Bemessen an diesen Faktoren wiegt die im Vergleich zum Referendum sowie zu den vorherigen Parlamentswahlen niedrigere Teilnahme noch schwerer.

SYRIZA verlor ca. 300.0000 Stimmen. Die Hälfte dieser WählerInnen lief zur LAE über, die andere Hälfte blieb zuhause. SYRIZA konnte eine gewisse Dynamik aufrechterhalten durch das Aufsaugen von WählerInnen aus dem Lager der Mitte, vor allem aus der neoliberalen Spaßpartei Potami („Der Fluss“), die eine herbe Niederlage erlitten hat. Doch SYRIZA bekam den überwiegenden Anteil ihrer Stimmen von ArbeitnehmerInnen. Viele von denen haben sich in letzter Minute zähneknirschend dafür entschieden die Partei zu wählen, aus Angst vor einer Rückkehr der konservativen Nea Dimokratia (ND).

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Mutti und Sohn (l.): Heute gibts keine Verständigungsschwierigkeiten mehr

Trotzdem: auch fast 20 Prozent sind immer noch ein Erfolg für den Tsipras-Kurs. Die Antwort auf die Frage „Warum?“ ist vielschichtig. Es herrschte erstens eine Dissonanz zwischen der realen Politik der SYRIZA einerseits und der Rhetorik von Tsipras andererseits. Obwohl noch brutalere Austerität im kommenden Winter bevorsteht, sprach Alexis Tsipras wie ein Radikaler. Doch Unterschiede in seinem Diskurs verglichen zur letzten Wahl waren deutlich zu erkennen. Die Rhetorik richtete sich jetzt weniger gegen die Austerität, die Kürzungen und die Privatisierungen. Gerichtet war diese jetzt gegen „das alte politische System“, verkörpert vor allem durch den Hauptrivalen, die ND.

Die Tsipras-Kampagne nahm sehr starken Rückgriff auf eine lange Tradition populistischer Politik in Griechenland. Der Diskurs und das Mobilisierungsrepertoire des Wahlkampfes sowie die Gestik von Tsipras erinnerten stark an den historischen PASOK-Anführer und Ministerpräsident Andreas Papandreou in den 80er Jahren. Weniger als Inhalte und Partei standen Emotionen und die Person von Tsipras im Vordergrund des Wahlkampfes. Diesen Aspekt sollte man nicht unterschätzen. Denn Papandreou kam 1981 mit noch radikaleren Versprechen als Tsipras zur Macht, etwa den Austritt aus EU und NATO, sowie Verstaatlichungen der Schlüsselbereiche von Industrie und Wirtschaft. Als dies jedoch ausblieb, konnte Papandreou wenigstens einen kapitalistischen Modernisierungsprozess in Gang setzen, der den GriechInnen einen bis dato nicht vorhandenen Wohlfahrtstaat bescherte. Es war eine Zeit des bescheidenen sozialen Aufstiegs. Doch eine ähnliche Entwicklung ist für die SYRIZA unter den aktuellen Bedingungen einer globalen ökonomischen Krise nicht mehr möglich. Tsipras regiert ein Land, in dem die Arbeiterklasse verarmt ist und die Mittelschichten dezimiert worden sind.

Darüber hinaus sind GriechInnen müde von Wahlen, von denen es in einem Jahr bereits drei gab. In der Abwesenheit großer sozialer Protestzyklen in den letzten Jahren führt dies oft zu einem Drang nach politischer Stabilität. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass ein Großteil der aktuellen SYRIZA-WählerInnen die Kapitulation von Tsipras vor der Eurogroup äußerst kritisch gegenübersteht, Alexis Tsipras jedoch zum Premierminister wählte um wenigstens eine Rückkehr der ND an die Macht bzw. eine große Koalition zwischen SYRIZA und dieser zu verhindern. Schließlich könnte man auch psychologische Aspekte nennen; die kognitive Dissonanz zwischen der aktuellen SYRIZA-Politik und den früheren Erwartungen an Tsipras ist dermaßen unüberbrückbar, dass dies oft zu einer demonstrativen Realitätsverweigerung führen kann. Angesichts der religiösen Züge, die die Hoffnung vieler GriechInnen annahm, die Befreiung aus der Zwangsjacke der Austerität innerhalb der Eurozone durch die Kraft besserer Argumente erreichen zu können, sollte dieser Aspekt nicht so leicht von der Hand gewiesen werden. Wo auch immer die Gründe für diesen Sieg genau liegen, eins ist klar: das Tsipras-Narrativ, das besagte, man habe das Beste im Kampf gegeben, musste aber am Ende einen Rückzieher machen um das Land zu retten, hat sich für den gegebenen Moment bewährt.

2. Was war der Kern der Wahlprogrammatik von SYRIZA und wie realistisch ist dessen Umsetzung angesichts des aufgezwungenen Sparregimes?

Der wichtigste programmatische Kern der SYRIZA bei diesen Wahlen basierte vordergründlich auf der Betonung angeblicher Spielräume innerhalb des Troika-Sparregimes für die Umsetzung sozialer Politik. Im Großen und Ganzen sind solche Ziele jedoch unrealistisch. Der Kern der Sparpakete, zu denen sich Griechenland verpflichtet hat, ist die Erarbeitung primärer Überschüsse, die lediglich der Auszahlung der Schulden dienen – Schulden, die laut dem IWF nicht nachhaltig sind. Die soziale Lage ist zurzeit katastrophal; Renten und Löhne werden weiterhin gekürzt, den Schulen und Unis steht ein schwieriges akademisches Jahr bevor. Solange Griechenland gezwungen ist, die Schulden zurückzuzahlen und keine Haushaltsdefizite zu verursachen, wird das Land nicht in der Lage sein, sich wirtschaftlich zu erholen, geschweige denn seiner Bevölkerung eine sozialere Politik zu garantieren. Die Gläubiger haben die verschiedenen Maßnahmen der ersten SYRIZA-Regierung – den Privatisierungsstopp, die Wiedereinstellung von entlassenen Angestellten im öffentlichen Dienst, sowie die Wiederöffnung der öffentlichen Rundfunkanstalt ERT – nicht vergessen und nicht verziehen. Das dritte Sparpaket verbietet „unilaterale Maßnahmen“ explizit, d.h. praktisch jede Maßnahme, die nicht ideologisch in Einklang mit dem Weltbild der neoliberal durchdrungenen EU-Institutionen steht.

Eine weitere Komponente des Tsipras-Wahlkampfes betraf die Bekämpfung der in Griechenland berüchtigten Korruption und Verflechtungen (diaploki) zwischen Politikern, Reedern und anderen Großunternehmern. Obwohl SYRIZA hier vielleicht theoretisch über mehr Spielräume verfügt – immerhin handelt es sich hier eigentlich um eine bürgerliche Modernisierungsmaßnahme – deutet der angekündigte Ausverkauf des Hafens von Piräus und 14 Regionalflughäfen an FRAPORT sowie weiterem öffentlichem Eigentum zu lächerlichen Preise darauf hin, dass die Bedingungen für den Zuwachs der Korruption sich verbessern und nicht verschlechtern werden. Teile der SYRIZA, vor allem der sozialliberale Chefökonom Yiannis Dragasakis, haben in den letzten drei Jahren enge Beziehungen zu Arbeitgeberverbänden aufgebaut, und die Etablierung persönlicher Kontakte zwischen Großkapital und SYRIZA-Akteuren wie einst zu PASOK-Zeiten ist eine Realität, die sich langsam abzeichnet.

3. Warum hat die LAE es nicht geschafft?

Das Scheitern der LAE ist tatsächlich die große Enttäuschung dieser Wahl. Diese hat ihr wichtigstes Ziel verfehlt, nämlich die 62 Prozent der „OXI“ politisch zu beheimaten. Auch hierfür gibt es mehr als einen Grund. Zuerst müssen die objektiven Faktoren benannt werden. Die LAE war am Wahlsonntag gerade 28 Tage alt. Das junge linke Bündnis verfügt noch über keinen Parteiapparat. Bei Umfragen gaben sogar 30 Prozent der GriechInnen an, mit den Inhalten von LAE gar nicht vertraut zu sein. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist das Wahlergebnis von LAE (2,8 Prozent) ein heldenhaftes. Trotzdem waren die Erwartungen an LAE angesichts des Schwenks von Tsipras nach dem 5. Juli wesentlich höher. Zudem gelang es der LAE nicht, ihre Galionsfiguren ausnutzen konnte. Selbst die Teilnahme des berühmten Widerstandskämpfers Manolis Glezos und der charismatischen früheren Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou am Bündnis sowie die Ankündigung von Yianis Varoufakis, LAE zu wählen, konnten daran nichts ändern. Vermutlich hatte die fehlende Kommunikation eines ausführlichen und komplexen Plan B zum Austritt aus dem Euro angesichts einer äußerst kurzen Wahlkampfperiode einen großen Anteil an der Schuld für dieses niedrige Ergebnis. Doch die größte Schwäche von LAE war es sicherlich, keinen Bezug zu der großen Anzahl der Politikverdrossenen aufzubauen. Die LAE wurde generell als die Verkörperung der verlorenen Ehre einer früheren, linkeren SYRIZA angesehen. Aber genau hier liegt der Punkt: sie wurde nicht als etwas Neues gesehen, sondern als die bessere Auslegung einer gestrigen Situation. Die dramatische Gratwanderung von Tsipras ist somit für das schlechte Abschneiden der LAE indirekt mitverantwortlich; dadurch versursachte die SYRIZA eine breite politische Desillusionierung, die es vielen, vor allem jüngeren Menschen, unmöglich machte, den strategischen Nutzen einer Stimmabgabe für die LAE zu erkennen, „da sich eh nichts ändern wird“.

4. Wie schnitt der Rest der radikalen Linken ab?

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Es geht voran: Suppenküche in Athen

Leicht gestärkt mit 5,5 Prozent ins neue griechische Parlament kommt die kommunistische KKE rein. Zweifelsohne hatte sie bei dieser Wahl nichts zu verlieren. Mit ihrer Polemik gegen die SYRIZA konnte sie leicht als Anziehungspol für die Enttäuschten der Tsipras-Politik figurieren. Die Kommunisten sind somit wieder zu den stabilen Wahlergebnissen der Zeit vor der Krise zurückgekehrt (also einer Zeit des relativen sozialen Friedens), als der Stimmanteil der KKE stabil zwischen fünf und neun Prozent schwankte. Doch die Kombination ständiger Polemik gegen die SYRIZA mit der Weigerung, gemeinsame außerparlamentarische Fronten mit anderen Teilen der Linken aufzubauen, setzen eine klare Grenze für den künftigen Zulauf, den die KKE von den SYRIZA-Enttäuschten erwarten kann. Bemerkenswert war die Fixierung im Wahlkampf auf eine Polemik gegen die LAE – vermutlich weil deren ideologisches Profil der KKE viel näher steht als jenes der SYRIZA. Die Bedeutung der KKE sollte nicht unterschätzt werden. Trotz ihrer sektiererischen Politik gegenüber dem gesamten Rest der Linken verfügt diese über eine starke Verankerung in den Gewerkschaften und könnte in der kommenden Zeit eine wichtige Rolle bei den Mobilisierungen spielen.

Das linksradikale Wahlbündnis ANTARSYA konnte mit einem leicht erhöhten Stimmanteil von 0,85 Prozent sein höchstes Wahlergebnis vom Mai 2012 (1,19 Prozent) nicht übertreffen. ANTARSYA ist eine explizit bewegungsorientierte und vor allem an Universitäten stark verankerte Formation, deren Schicksal eng mit dem Zustand sozialer Bewegungen verwoben ist. Als wahlpolitische Alternative konnte dieses jedoch bis heute keinen nennenswerten Durchbruch erreichen. Geschwächt wurde dazu ANTARSYA beim Verlassen des Bündnisses durch zwei Gruppen, die sich der LAE anschlossen.

5. Die „Goldenen Morgenröte“ ist auf dem dritten Platz gelandet. Wie akut ist die Gefahr durch den Neofaschismus in der kommenden Zeit?

Zweifelsohne ist das Abschneiden der Nazis alarmierend. Dennoch zeugt die absteigende Tendenz der Stimmenanteile in den großen Städten von einer fortsetzenden Transformation der WählerInnenschaft, die sich bereits im letzten Januar abzeichnete. Anders als bei den Wahlen von 2012 versammeln die Nazis weniger eine klassische faschistische ProtestwählerInnenschaft von Arbeitslosen und ruinierten Kleinbürgern um sich, sondern verzeichnen die größten Erfolge in ländlichen und traditionell konservativen Gegenden. Das ist wiederum als Teilerfolg der antifaschistischen Bewegung in Griechenland zu begreifen. Die „Goldene Morgenröte“ profitiert zweifelsohne von der Erosion des Parteienapparats der konservativen ND und hat sich leider als eine feste Größe des Parteiensystems inmitten der aktuellen Krisenkonstellation etabliert. Den größten Anstoß für eine erneute Nazi-Offensive könnten die kommenden Sparmaßnahmen der neuen SYRIZA-ANEL-Regierung geben, kombiniert mit der Abwesenheit einer linken Perspektive jenseits der Sackgasse der Sparpakete, einer Sackgasse zu der sich seit neuestem leider auch die SYRIZA bekennt.

6. Führende Politiker der LINKEN wie Gregor Gysi feiern den SYRIZA-Sieg. Nutzt der Sieg von SYRIZA der europäischen Linken?

Leider nicht. Formell gesehen ist SYRIZA immer noch Teil der Europäischen Linkspartei (EL) zu der auch die bundesdeutsche LINKE gehört. Doch was Parteien letztendlich zu Schwesterparteien macht sind nicht Formalia, sondern programmatische und strategische Überschneidungen. Die Umsetzung des dritten Sparpakets durch die SYRIZA-ANEL-Regierung ist nicht mehr als Taktik oder temporärer Rückzug im Sinne des Abkommens, das vom früheren Finanzminister Varoufakis am 20. Februar unterschrieben wurde, zu verstehen. Die Logik der Sparpakete mit denen sich die „neue“ SYRIZA abgefunden hat, bildet den Hauptrahmen der künftigen Politik einer linken Regierung in Griechenland. Angesichts dessen ist die Dissonanz zwischen den Zielsetzungen der LINKEN und der SYRIZA schwer zu übersehen.

Noch wichtiger aber ist Folgendes: in einer Zeit, in der die Herrschaft des Neoliberalismus sich nicht durch das Einverleiben der Menschen in das System entfaltet, sondern durch den Ausschluss von immer mehr Menschen aus den politischen Entscheidungsprozessen, ist eine Wahlenthaltung von 45 Prozent alarmierend. Umso unangebrachter ist das Zelebrieren des Wahlergebnisses, wenn diese Wahlenthaltung gerade auf die Handlungen von Alexis Tsipras zurückzuführen ist. Die Hauptpflicht der LINKEN ist es, die Sparpolitik in Berlin und Frankfurt zu bekämpfen, in den Planungsstäben, die sich hierzulande befinden. Sie hat darüber hinaus die Pflicht, alle Kräfte in Ländern wie Griechenland zu unterstützen, die sich gegen diese wenden. Und dies unabhängig, ob die Regierungen dort sich als rechts oder links bezeichnen bzw. diese Sparpolitik als eine Art von „kleinerem Übel“ umsetzen.

Trotz der teils widersprüchlichen Ansätze, die dort vertreten sind, ist das Zusammenkommen von Persönlichkeiten wie Oskar Lafontaine, Yianis Varoufakis und Jean-Luc Mélenchon für die Erarbeitung eines „Plan B für Europa“ ein besserer Ausgangspunkt als die Unterstützung von Tsipras. Und das aus dem einfachen Grund, dass solche Treffen den dringenden Bedarf nach alternativen linken Konzepten zu den zutiefst undemokratischen EU-Institutionen symbolisieren.

7. Was kann man über die Zukunft von SYRIZA prognostizieren?

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Widerstand hierzulande organisieren

SYRIZA ist – verglichen zum letzten Januar – zu einer ganz anderen Partei geworden. Hunderte von Funktionären und Amtsträgern in ganz Griechenland, sowie der Großteil der parteinahen Jugendorganisation haben im Laufe der Akzeptanz der neoliberalen Logik Tsipras die Partei verlassen. Manche haben sich der LAE. angeschlossen, doch viel mehr haben sich aus der Politik komplett zurückgezogen. Das erneute Bündnis mit den „Unabhängigen Griechen“ stellt auch eine interessante Entwicklung dar. Während Tsipras bei den letzten Wahlen versuchte, eine Zusammenarbeit durch eine absolute Stimmenmehrheit zu vermeiden, setzte er dieses Mal explizit auf die um ihren neuerlichen Einzug ins Parlaments bangende ANELL. Der erhöhte Einfluss dieser Partei in der neuen Regierung signalisiert schlechte Entwicklungen im Bereich sozialer Rechte sowie der Einwanderungs- und Rüstungspolitik.

Mit dem Verlust von linken Intellektuellen und Aktivisten wird sich die SYRIZA künftig auf die gleichen klientelistischen Patronage-Systeme verlassen müssen, die das Rückgrat des früheren PASOK-Apparates bildeten. Eine ähnliche wahlpolitische Dezimierung wie bei der PASOK beim Anbruch der Eurokrise ist nicht auszuschließen. Die aktuelle parlamentarische Mehrheit könnte sich bei der Implementierung der neuen Maßnahmen als äußerst wackelig erweisen. SYRIZA wird niemals die Erfahrung der ND nachahmen können, die zwar von der Krise deutlich geschwächt wurde, nichtsdestotrotz aber stabile Wahlanteile um die 30 Prozent erhalten konnte (verglichen zur Zeit vor der Krise waren diese um ca. zehn Prozent höher). Die Konservativen vertreten jene Bevölkerungssegmente, die am wenigsten von der Krise betroffen sind. Zudem ist ihr normatives Wertesystem viel näher an den Zentren der Machtausübung angesiedelt. Trotz der Euphorie des Wahlsieges riskiert Tsipras, seine Partei und sich selbst künftig überflüssig zu machen.

Die wichtigste Herausforderung der griechischen Linken zurzeit betrifft die Grundlagen auszuloten, auf denen sich breite Bündnisse gegen die bevorstehenden Maßnahmen formieren werden. Es ist eindeutig, dass die Mehrheit der GriechInnen die Austerität ablehnt. Doch ein Großteil dieser Mehrheit hat für die SYRIZA mit der Hoffnung gestimmt, diese könne es am Ende doch schaffen, das Land aus den Fesseln des Spardiktats zu befreien. Laut allen Indizien ist jedoch eher das Gegenteil der Fall. Der Triumph von Alexis Tsipras wird kurzlebig sein. Bei dieser Aussage handelt es sich keinesfalls um eine linksradikale Wunschvorstellung. Im Gegenteil: die Gefahr, die aus der Enttäuschung von einer sich als links bezeichnenden Regierung ausgeht, ist enorm in einem Land, wo die dritte Kraft im Parlament eine Nazi-Partei ist. Anstatt diese Gefahren zu ignorieren, sollte die Linke in Deutschland sich an einem gesamteuropäischen Prozesses der Selbstkritik und der Erarbeitung neuer Strategien gegen die antidemokratischen EU-Institutionen beteiligen.

– Von Leandros Fischer

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7 Kommentare

    kokkinos vrachos 23. September 2015 - 17:38
    Thanasis S. 29. September 2015 - 17:18

    Einiges an der Analyse ist richtig oder zumindest in irgendeiner Form anregend. Aber wie man dann so einen Unsinn über die LAE und die KKE schreiben kann, ist umso schwerer verständlich. Daran ist so ungefähr alles falsch:
    – die KKE hat in ihrem Wahlkampf alle Parteien gewürdigt, in besonderem Maße natürlich die Faschisten und die Regierungspartei Syriza. Dass auch die LAE dabei eine Rolle gespielt hat, ist schon klar. Der Grund dafür ist aber nicht eine angebliche Nähe zur KKE sondern dass es sich um den jüngsten Versuch handelt (ob bewusst oder unbewusst), eine Pseudoopposition innerhalb der Grenzen des Systems zu etablieren, die eine Radikalisierung der Massen verhindert.
    – zur angeblichen ideologischen Nähe zur KKE: Die führenden Kader der LAE und ein Großteil ihrer Mitglieder entstammen der Syriza und waren lange genug Teil ihrer Regierung. Sie kritisieren jetzt lediglich die angebliche „Abweichung“, die das Memorandum darstelle und haben sich in den letzten Monaten auf das Thessaloniki-Programm berufen (das folgerichtig ja zum Memorandum geführt hatte). Was die Vorstellung eines sozialdemokratischen Regierungsprogramms sowie die Wiedereinführung einer nationalen Währung mit dem Programm der KKE – das Volk an der Macht, demokratische Kontrolle über die vergesellschafteten Produktionsmittel und Loslösung aus allen imperialistischen Bündnissen – zu tun hat, müsste Herr Fischer mal erklären.
    – schließlich der ewig gleiche Vorwurf des „Sektierertums“: „Sektierertum“ wurde der KKE auch vorgeworfen, weil sie nicht in eine bürgerliche Regierung eintreten wollte und stattdessen davor warnte, wo das hinführen würde. Es kann jeder selbst beurteilen, wer Recht hatte und wer nicht. Jetzt tritt eine fast exakt gleiche Partei wieder auf den Plan und wiederum wird die marxistische Positionierung der KKE als „sektiererisch“ diffamiert. Das zeugt entweder von einem historischen Gedächtnis, das nicht länger zurückreicht als ein paar Monate, oder aber von einer völligen Fehleinschätzung solcher Kräfte wie LAE.
    Aufgabe einer kommunistischen Partei ist es nicht, mit jedem dahergelaufenen Grüppchen zu paktieren, das sich irgendwie „links“ nennt (auch wenn es gleichzeitig die NATO, Obama und Hollande feiert), sondern im Gegenteil den Klassencharakter solcher Formationen offenzulegen und ihren Einfluss auf das Bewusstsein der Arbeiterklasse zurückzudrängen. Die Angriffe auf die Politik der KKE sind deswegen letzten Endes Angriffe auf die kommunistische Bewegung insgesamt.

    kokkinos vrachos 30. September 2015 - 18:57

    Kalimera Thanasis S., „Die Angriffe auf die Politik der KKE sind deswegen letzten Endes Angriffe auf die kommunistische Bewegung insgesamt.“ = das ist doch Schwachsinn, wenn man die Politik der KKE kritisiert oder z.B die Politik der KP Irak, heißt das doch nicht das man die „kommunistische Bewegung“ kritisiert.

    Ich kenne genügend griechische Kommunisten und natürlich auch andere Strömungen die zu Recht seit Jahren, die KKE wegen ihrer sektiererischen Politik kritisieren.

    Ich möche dich nur mal an die unsägliche Rolle der KKE bei einem Generalstreik in Athen vor ein paar Jahren erinnern, wo die KKE zusammen mit den MAT-Bullen das Parlament geschützt haben und wo Mitglieder der KKE Genossen von der Bewegung „Wir zahlen nicht“ angegriffen haben. Dies war der Auslöser von stundenlangen Krawallen zwischen der KKE/Pame und verschiedenen Demonstrationsteilnehmern. An diesem Tag haben alle gegen die KKE gekämpft, darunter auch viele Kommunisten. Seit dem wird die KKE in der griechischen außerparlamentarischen Bewegung nur noch KNAT (KKE/MAT) genannt.

    Und dann seit Jahren bei Ausschreitungen immer der selbe Schwachsinn von der KKE, das wären alles Provokateure aus dem Ausland und Faschisten. Die DKP und die SDAJ blasen ins selbe Horn.

    Thanasis S. 1. Oktober 2015 - 10:38

    Kalimera, kokkine vrache,
    Sorry, wenn ich wieder etwas polemisch antworten muss, aber mir geht es einfach mittlerweile gehörig auf die Nerven, wenn die Leute immer wieder dieselben alten – und dazu noch falschen – Geschichten auspacken.
    Das Ereignis, auf das du dich beziehst, davon redet in Griechenland seit Jahren kein ernstzunehmender Mensch mehr, aber in großen Teilen der deutschen Linken ist das bis heute geradezu DAS „Argument“, warum die KKE in Wirklichkeit eine staatstreue und böse Partei sei. Sinnvoller wäre es, sich mit den politischen Vorschlägen der KKE mal ernsthaft zu beschäftigen und zu prüfen, inwiefern diese eine Lösung für die Probleme der Menschen darstellen. Das tut in Deutschland außerhalb der SDAJ und DKP praktisch niemand, mit wenigen löblichen Ausnahmen, sondern stattdessen befasst man sich lieber mit Verleumdungen oder Geschichten, die 70 Jahre zurückliegen (à la die KKE hat 1945 den Varkiza-Vertrag unterschieden etc).
    Aber gut, da du das Thema aufgeworfen hast, gehe ich auch drauf ein: Die Episode, die du beschreibst, verlief so, dass die PAME (die KKE hatte damit sowieso unmittelbar gar nichts zu tun) schon ungefähr eine Woche vorher dazu aufrief, eine Demonstration um das Parlament herum zu machen – so viel also dazu, sie sei nur dahin gegangen, um „das Parlament zu beschützen“. Entgegen ihrer sonst aus gutem Grund verfolgten Praxis, die eigenen Demonstrationen abseits von denen der Reformisten, Anarchisten usw durchzuführen, waren an diesem Tag alle vor dem Parlament. Es kam zu Provokationen und Angriffen aus dem „schwarzen Block“, die mit Pflastersteinen, Molotowcocktails, Hämmern, Feuerlöschern, Blendgranaten usw, teilweise also Ausrüstung der Spezialeinheiten und des Militärs durchgeführt wurden. Natürlich musste die PAME ihre Demonstration verteidigen und hat als Reaktion (!) auf die Angriffe zurückgeschlagen. Zahlreiche der Angreifer waren auch hier, wie sonst auch immer, nachweislich agents provocateurs der Polizei und/oder Schläger aus der Unterwelt und dem faschistischen Spektrum. Wer sich mit der Geschichte Griechenlands auch nur ein bisschen auskennt, weiß, dass der „tiefe Staat“ (parakratos) dort schon seit spätestens den 40ern eine entscheidende Rolle gespielt hat, wenn es um Angriffe auf die kommunistische und Arbeiterbewegung ging. Aber auch was den konkreten Fall angeht, hat die KKE in ihrer Zeitung und auf ihrer Homepage eine breite Fülle von Beweisen für ihre Behauptungen angeführt (Fotos, Zeugenaussagen usw). Das kann man zur Kenntnis nehmen oder auch nicht, im letzteren Fall zeigt man aber m.E nur, dass es einem gar nicht darum geht, wirklich die Ereignisse zu verstehen, sondern aus Prinzip heraus die KKE anzugreifen.
    Des Weiteren hat die KKE nie behauptet, dass es sich dabei NUR um Provokateure, noch dazu aus dem Ausland, und Faschisten handeln würde. Sie behauptet, und hat nachweislich Recht damit, dass der schwarze Block, die „bekannten Unbekannten“, wie sie auch in Griechenland genannt werden, in massivem Umfang von den Repressionsorganen und der mit ihnen zusammenhängenden extremen Rechten unterwandert sind.
    Wer „an diesem Tag“ gegen die KKE gekämpft hat, waren keineswegs „alle“, denn die mit Abstand größte Demonstration hatten immer noch die klassenkämpferischen Gewerkschaften auf dem Syntagma-Platz. Das waren die Provokateure der Polizei und die nützlichen Idioten, die sich für die Konterrevolution haben einspannen lassen, zB die sogenannte „Bewegung“ „Den Plirono“. Und natürlich darf sich jeder „Kommunist“ nennen, der lustig ist, aber Kommunisten, die gemeinsam mit der Polizei und den Nazis streikende Arbeiter angreifen und umbringen, kenne ich jedenfalls nicht.

    Natürlich darf man die KKE kritisieren, und natürlich wird die Politik der KKE auch in der Partei selber permanent kritisch diskutiert. Auch ich hatte schon des Öfteren Zweifel an bestimmten Entscheidungen und Vorgehensweisen der KKE. Das sind ja alles keine Dogmen. Aber etwas völlig anderes sind die opportunistischen Angriffe bzgl „Sektierertum“, „Verbalradikalismus“ oder sogar angeblicher Zusammenarbeit mit dem Staat.
    Mein Punkt in meinem letzten Post war jedenfalls nicht, Kritik an der KKE (geschweigedenn Kritik an irgendwelchen pseudokommunistischen Parteien) grundsätzlich als Angriffe auf den Kommunismus wegzuwischen. Ich habe deswegen auch nicht von Kritik gesprochen, sondern von Angriffen. Und zwar geht es um die Art von Angriffen, die die KKE gerade wegen ihrer standfesten Haltung gegenüber den verschiedenen Kräften des Systems ins Fadenkreuz nehmen. Wenn die Haltung der KKE gegenüber reformistischen Kräften wie SYRIZA, LAE usw als „sektiererisch“ diskreditiert wird, dann geht es den Kritikern eben nicht um eine Verbesserung der revolutionären Strategie und Taktik der KKE sondern (bewusst oder unbewusst) darum, dass sie sich wie so viele andere ehemals kommunistische Parteien der Sozialdemokratie um den Hals wirft und zu ihrem Wurmfortsatz degradiert.

    kokkinos vrachos 1. Oktober 2015 - 19:02

    jassou Thanasis, es ist hoffnungslos mit dir über die KKE zu diskutieren. In deiner Antwort steht so viel Müll, da weißt man gar nicht wo man zuerst antworten soll. Dafür ist mir die Zeit auch zu Schade.

    Aber eine ist klar, an dem Tag der wo es vor dem Parlament geknallt hat, warst du nicht vor Ort.

    rote Grüße, kv (ich bin mehrere Monate im Jahr in GR und führe Diskussionen mit Genossen, und alle hassen die KKE)

    Thanasis S. 2. Oktober 2015 - 9:02

    Jaja, ist halt immer dasselbe. Die meisten notorischen KKE-Hasser, mit denen ich irgendwann mal zu diskutieren versucht habe, haben sich genauso verhalten wie du: Zuerst irgendeine haltlose Unterstellung (in der Regel genau dieselbe, die du benutzt hast: „Parlament beschützt“ usw), dann auf meine Argumente keine Antwort wissen, dann zu Beschimpfungen/Diffamierungen übergehen, am Ende dann oft noch mit Gewalt gedroht und/oder die KKE mit den Faschisten gleichgesetzt (was du jetzt nicht gemacht hast). Da ich trotzdem jeden Menschen erst mal als Individuum behandle, tat es mir schon leid, dass ich schon leicht gereizt geantwortet hatte, aber das hat sich als vollkommen berechtigt herausgestellt.

    Ich erwarte ja nicht, dass die Leute mit mir oder mit der KKE übereinstimmen – wenn die Menschheit nur aus Kommunisten bestehen würde, wäre die ganze Sache sowieso etwas einfacher. Was ich erwarten kann, ist, dass man mit jedem rational und unaufgeregt über die Politik der KKE diskutieren können muss, so wie ich über andere politische Kräfte diskutiere. Wenn du die KKE sektiererisch oder sonstwas findest, ist das ja dein gutes Recht, aber wenn man dich damit ernst nehmen soll, musst du das halt auch begründen.