Stirb leise!

30. August 2015

Die Architekten der Festung Europa heucheln Engagement gegen „Flüchtlingshass“. Dabei wollen sie nur eines: Die Wiederherstellung des Ansehens Deutschlands.

Am Ende muss die Bild ran. Das Boulevard-Blatt, zu dessen Markenkern seit vielen Jahren Rassismus, die lustvolle Zurschaustellung von „Ausländerkriminalität“ und die Hetze gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“ gehören, hat einhundert „Stimmen gegen Flüchtlingshass“ gesammelt. Es sind Gestalten wie Sigmar „SPD-Siggi“ Gabriel, CSU-Chef Horst Seehofer (der sogar bei dieser Gelegenheit noch gegen „Asylmissbrauch“ wettern darf), Bundesinnenminister Thomas de Maizère und sogar Kriegermutti Ursula von der Leyen.

Seit Beginn der neuesten Welle des rassistisch motivierten Rechtsterrorismus ist ein Narrativ allgegenwärtig, befeuert von konservativen bis „linksliberalen“ Schreiberlingen und Politdarstellern: Es ist allein der „dumme“, „stumpfe“, „armselige“ Mob in Heidenau, Freital und all den anderen Elendsgegenden, der Flüchtlingen das Leben schwer macht.

„Es schadet Deutschland in der Welt“

Exakt zur der Zeit, als die fleißigen Bild-RedakteurInnen an ihrer Image-Kampagne für Deutschland bastelten, ging eine andere Meldung online: Beamte der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX haben auf einem Flüchtlingsboot, das von der Türkei nach Griechenland übersetzen wollte, einen 17-jährigen Refugee erschossen.

Zwei Tage bevor die fleißigen Bild-RedakteurInnen die hübschen Profilbilder der versammelten FlüchtlingsfreundInnen ins Netz wuchteten, war es eine andere Meldung: 71 Flüchtlinge sind in einem LKW beim Überqueren der Grenze von Ungarn nach Österreich erstickt. Einen Tag nach dieser eine andere Nachricht: Vor der libyschen Küste ertrinken 200 Menschen, als ein Flüchtlingsboot sinkt.

Festung Europa: Wer seit Jahren nichts anderes tut, als Fluchtrouten zu schließen, darf sich nicht wundern, wenn Menschen sterben.

Festung Europa: Wer seit Jahren nichts anderes tut, als Fluchtrouten zu schließen, darf sich nicht wundern, wenn Menschen sterben.

Man mag seinen Hass auf die Schlepper richten. Aber die einfache Gleichung ist: Seit vielen, vielen Jahren arbeiten exakt die Menschen, deren Gesichter nun in der Bild gegen den „Flüchtlingshass“ einstehen, samt ihren ParteifreundInnen aus CDU, CSU und SPD an der möglichst dichten Abschottung Europas gegen diejenigen, die aus ihren – nicht selten vom „Westen“ und seiner geopolitischen und ökonomischen Agenda verheerten – Heimatländern gen Europa fliehen. Die Fluchtrouten werden dadurch immer gefährlicher, die Menschen müssen aber fliehen, denn zuhause warten Elend und Tod. Das Resultat ist unschwer vorherzusehen: Menschen sterben beim Versuch, die „Festung Europa“ zu betreten.

Ohne den Lynchmob zu verharmlosen: Es sind nicht die StammtischrassistInnen aus Heidenau und Freital, die Milliarden in die militärische Abriegelung Europas investieren. Es sind auch nicht die StammtischrassistInnen, die vor zwei Monaten eine erneute Verschärfung des Bleiberechts beschlossen haben, die KritikerInnen als „Inhaftierungsprogramm“ beschreiben. Und es sind nicht die StammtischrassistInnen, die Refugees vor der Erstaufnahmesstelle in Berlin unter inhumanen Bedingungen wochenlang ohne jede Betreuung auf Papiere warten lassen, sie in räudige Massenunterkünfte pferchen und diejenigen, die nicht erwünscht sind, in die Notlage ihrer Heimat rückführen.

Wer sich jetzt lautstark und PR-wirksam über die marodierenden Faschos aufregt, aber zu all dem nichts zu sagen hat, der wird sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, dass es gar nicht um Flüchtlinge geht, sondern um etwas ganz anderes. Ehrlich spricht Allianz-Chef Oliver Bäte in der Bild aus, worum es in der PR-Kampagne geht: Die Flüchtlingshatz „schadet Deutschland in der Welt“.

Fluuchtgrund SPD-Siggi

Darüber, wie sehr Deutschland und seine BündnispartnerInnen der Welt schadet, will er lieber nicht reden. Dabei könnte er es unschwer herausfinden, würde er aus seinem Luxustower in Frankfurt herabsteigen, um mit denen zu reden, die hier nach langer, beschwerlicher Reise ankommen. Die Flüchtlingsorganisationen Karawane und The Voice haben die einfache Wahrheit einmal zu einem Slogan einer Kampagne gemacht: „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört.“ Wenn sich jetzt DGB-Chef Reiner Hoffmann, dessen Organisation nicht nur Flüchtlinge polizeilich aus einem Gewerkschaftshaus in Berlin räumen ließ, sondern auch mit der Bundeswehr kuschelt, hinstellt und Tränen vergießt, ist das nicht mehr und nicht weniger als zum Kotzen.

Oder nehmen wir den grauenhaftesten SPD-Politiker seit dem ArbeiterInnenmörder Noske: Sigmar Gabriel. Er ist zuständig für die Genehmigung deutscher Waffenexporte. Versprochen hatte der würdelose Knilch deren Reduktion. Durchgesetzt hat er, dass sie

Waffen an Terrorstaaten, Tränen für Flüchtlinge: SPD-Komiker Saudmar Gabriel zu Gast in Riad

Waffen an Terrorstaaten, Tränen für Flüchtlinge: SPD-Zyniker Saudmar Gabriel zu Gast in Riad

sich auf Rekordniveau befinden. Und wohin? Ja, genau, nach Nordafrika und in arabische Staaten. Auch in den Terrorstaat Saudi-Arabien, der nicht nur mit Vorliebe „Hexer“ und Oppositionelle köpft und den Krieg in Syrien befeuert, sondern derzeit auch einen Angriffskrieg gegen den Jemen führt, durch den bereits hunderttausende Menschen aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

Jetzt schwafelt der „SPD-Sonderbeauftragte für Schwachsinn und Gelaber“ (Volker Pispers) in der Bild: „Hunderttausende Menschen riskieren ihr Leben, um vor Terror und Krieg zu uns zu fliehen. Sie haben ein Recht darauf, ohne Angst ein menschenwürdiges Leben bei uns zu führen.“ Es sind die Waffen, die SPD-Siggi ausführen lässt, die den „Terror und Krieg“ erst ermöglichen, vor denen „Hunderttausende Menchen“ dann fliehen müssen, um der Sozialdemokröte eine Unterlage für seinen PR-Scheiss abzugeben.

Gegen den „Aufstand der Anständigen“

Der „Aufstand der Anständigen“ will nur eines: Ruhe. Nicht die Möglichkeit einer Lösung des Problems, die aus der Überwindung der Logik von Kapital und bürgerlichem Staat entstehen würde, sondern die Ruhe eines Friedhofs, der möglichst weit weg ist. Es war immer eine der Strategien der Sicherung der Metropolen des Kapitalismus gegen die Habenichtse der Peripherie diversen Regimen in Nordafrika und im Nahen Osten Geld anzubieten, damit diese dafür sorgen, dass niemand bis an die eigenen Grenzen kommt.

Wenige Stunden vor der Bild-Kampagne kam auch diese Meldung: „EU will für Rücknahme von Flüchtlingen aus Afrika zahlen.“ Man will korrupten Regimes Kohle geben, damit diese Leute „aufnehmen“, die gar nicht dort sein wollen, wo man sie „aufzunehmen“ gedenkt. Und eine andere Meldung: „Bis zu einer Million Flüchtlinge warten in Libyen auf ein Boot über das Mittelmeer. Die Europäische Union sucht deshalb neue Verbündete für ihre Grenzsicherung. Das Vorbild heißt Muammar al-Gaddafi.“ Dem wurde nämlich, ebenfalls im Austausch gegen „Hilfsgelder“, auch abverlangt, die Flüchtenden daran zu hindern, dahin zu kommen, wo man sie sehen und hören kann.

Das Sterben im Mittelmeer, die Ausschreitungen des Lynchmobs, die brennenden Asylbewerberunterkünfte: Sie verursachen Aufmerksamkeit und „schaden dem Ansehen Deutschlands“ (Frank-Walter „sedierter Uhu“ Steinmeier, SPD). Die medienwirksame Inszenierung der Regierungsparteien ist – wie immer das subjektive Selbstverständnis der nun ihre „Stimme“ erhebenden Charaktermasken sei – nichts anderes als der Ruf: Flüchtling, stirb leise!

Epilog: Antifa, denk nach!

In dem nachvollziehbaren Hass auf jene, die jetzt grölend durch die Straßen ziehen, ist auch in manchen Teilen der antifaschistischen Bewegung die Einsicht untergegangen, dass nicht nur sie der Feind sind. Wir waren schlecht vorbereitet und stehen jetzt vor großen Herausforderungen, die wir aber in einer gemeinamen Kraftanstrengung bewältigen können.

Aber: Verirren wir uns nicht auf die Seite des Staates und die Seite des deutschen Kapitals. Bleiben wir bei einem revolutionären Antifaschismus. Unsere Radikalität wird sich nicht nur an der Schlagkräftigkeit unserer Antwort bemessen lassen, sondern vor allem auch in der Grundsätzlichkeit unserer Feindschaft gegen Staat und Kapital. Die Einsicht, dass Antifaschismus, wenn er nicht einfach einer der „Mitte“ gegen ihre ungeliebten Kinder sein will, Klassenkampf und Kapitalismuskritik einschließt, darf uns auch durch die Drastik der Situation nicht verloren gehen.

"Wer von der CDU (und natürlich der SPD) nicht reden will, soll vom Nazipack schweigen" - Demo in Dresden

„Wer von der CDU (und natürlich der SPD) nicht reden will, soll vom Nazipack schweigen“ – Demo in Dresden

Lasst uns unsere Kritik nicht auf falschen Prämissen aufbauen und den Rassismus in diesem Land auf ein Unterschichtenphänomen des „dummen“, „nichtsnutzigen“ „Ostprolls“ reduzieren, wie das die Architekten der Festung Europa gerne hätten. Lasst uns handeln, rasch und entschlossen. Aber lasst uns nicht kopflos handeln. Ansonsten werden wir zu einer Art „Aufstand der Anständigen“ in schwarzer Funktionskleidung werden – und den braucht wirklich kein Mensch.

  • Von Peter Schaber
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7 Kommentare

    stefan edel 30. August 2015 - 11:45

    Einfach gut und voll zutreffend der Artikel- gratuliere. Werde ich für das Weblog gegendenterror.square7.ch übernehmen

    Jupp 30. August 2015 - 17:26

    „Lasst uns unsere Kritik nicht auf falschen Prämissen aufbauen und den Rassismus in diesem Land auf ein Unterschichtenphänomen des „dummen“, „nichtsnutzigen“ „Ostprolls“ reduzieren, wie das die Architekten der Festung Europa gerne hätten.“

    Wie wahr dieses Zitat ist, aber warum zitiert ihr an dieser Stelle unter dem Foto (links) das Transpi von „TOP B3RLIN“? Gerade (soft)antideutsche Gruppen wie diese verfolgen eine Praxis des Sozialchauvinismus gegen „den dummen Deutschen“. Ein wenig mehr Kritik bitte an der Regression der deutschen Linken!!

    lowerclassmag 31. August 2015 - 7:02

    Was auch immer mit TOP sein mag, das macht ja die Aussage des Transpis nicht falscher.

    Lucas P. B. 30. August 2015 - 23:58

    Großartiger Artikel!
    Der Lynchmob ist nicht zuletzt Auswurf der kapitalistischen Maschinerie und dient, sowohl als Sündenbock als auch als Katalysator der Wut auf die Zustände, deren Interesse.
    Natürlich sind Nazis und anderes Chauvinistenpack vehement und mit allen nötigen Mitteln zu bekämpfen aber ein Kapf der sich darauf beschränkt bleibt Symptombehandlung und somit im Endeffekt Erfolglos.
    Ihr seid klasse!
    Wir sind Klasse!

    Lucas P. B. 30. August 2015 - 23:59

    *Kampf

    Felix Kl. Bösing 31. August 2015 - 6:46

    Das ist definitiv eines der besten Statements, die ich zu diesem Thema lesen durfte.

    Siggi Pop 2. September 2015 - 11:51

    Gabriel der schlimmste SPD-Politiker seit Noske? Naja.
    Was ist mit Schmidt, dem ehemaligen Wehrmachtssoldaten, der nie etwas von Kriegsverbrechen mitgekriegt haben will; der die Atomkraft ausbauen und ihre Gegner_innen im BGS-Tränengas baden ließ? Der in seiner Verteidigung des NATO-Doppelbeschlusses nie einen Zweifel daran ließ, dass ihm an einer Zerschlagung des realsozialistischen Blocks gelegen ist? Der, nicht zuletzt, das Hetzwort von der „sozialen Hängematte“ erfunden hat, das seither von jedem Sozialchauvinisten von Stoiber bis Westerwelle gerne aufgegriffen wird?
    Oder mit Schröder? Ich sage nur Agenda 2010, Afghanistan, Kosovo. Der gute Gerd hat sicher mehr Menschen (direkt) auf dem Gewissen als Gabriel.

    Was im Übrigen nicht heißt, dass ich eure Kritik, sowohl an der SPD im Allgemeinen als auch an Gabriel im Besonderen, nicht teile.