Die Erdbeben-Katastrophe sei Schicksal gewesen, sagt der türkische Präsident Erdoğan. Nur „Zusammenhalt“ helfe nun. Doch war die Katastrophe wirklich unabwendbar? Und wer hält hier eigentlich mit wem zusammen? In der Türkei ist die politische Diskussion über diese Fragen längst entbrannt – und auch wir in Deutschland sollten uns mit ihr befassen.
Dürfen wir jetzt überhaupt politisch sein?
Es ist klar, dass das Erdbeben selbst eine Naturkatastrophe war. Aber jetzt geht es vor allem darum, wie es in der aktuellen Situation weitergehen soll. Und das ist eine politische Frage – ob wir wollen oder nicht. Wir müssen uns fragen: Geht die Erdoğan-Regierung gut mit der Situation um und tut alles Notwendige für die Betroffenen? Oder organisiert die Regierung die Katastrophenhilfe nicht richtig und es muss mehr getan werden? Wenn man sich dazu nicht positioniert, akzeptiert man Erdoğans aktuelle Krisenpolitik. Es gibt hier keine unpolitische Haltung.
Seit dem Erdbeben äußern unzählige betroffene Menschen massive Kritik daran, wie die Regierung und die Behörden mit der aktuellen Situation umgehen. Sie forderten und fordern schnellere und umfassendere Hilfe. Besonders starke Kritik gibt es von Betroffenen, die Minderheiten angehören, beispielsweise Kurd:innen, Alevit:innen oder Araber:innen. Sie kritisieren unter anderem, dass die Städte, in denen sie mehrheitlich leben, vernachlässigt werden. In tausenden von Fällen trafen staatliche Rettungskräfte erst ein, als es für viele Verschüttete schon zu spät war – falls sie überhaupt eintrafen. Besonders kritisch ist die Situation geflüchteter Menschen. Freiwillige Helfer:innen in der Provinz Hatay berichten, dass die staatliche Katastrophenhilfe „völlig unzureichend“ ist: „Nirgendwo ist der Staat zu sehen“. Ähnliche Bewertungen hört man von den meisten freiwilligen Helfer:innen und selbst Mitarbeiter:innen des staatlichen Katastrophenschutzes AFAD äußern anonym teilweise scharfe Kritik. Es gibt auch eine Reihe von Berichten, dass AFAD selbstorganisierte Hilfe behindert – beispielsweise die Lieferung von Sachspenden. Nun wurde auch noch aufgedeckt, dass der Türkische Rote Halbmond Geschäfte mit dem Verkauf von Zelten macht – dabei ist erwähnenswert, dass die Organisation eng mit dem Staat zusammenhängt. Außerdem wurden in mehreren Fällen freiwillige Helfer:innen inhaftiert. Als wäre die Lage nicht schon schlimm genug, bombardierte der türkische Staat vom Erdbeben betroffene Gebiete der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, in der vor allem Kurd:innen leben (auch „Rojava“ genannt).
Die Situation macht deutlich, dass es nicht richtig ist, zu sagen: „Wir sollten jetzt nicht über Unterschiede und Minderheiten sprechen.“ Vor allem Erdoğan und seine Unterstützer sagen ja ähnliches. Es geht hier nicht nur um das Unrecht, das Minderheiten all die Jahre erfahren haben. Es geht auch um die jetzige Situation. Denn wenn der Staat diese Menschen schon so lange benachteiligt und unterdrückt, dann wird er das doch auch in der jetzigen Situation fortführen. Es geht nicht darum, in einer theoretischen Diskussion Recht zu haben – sondern ganz real um Menschenleben. Nur wenn das Problem von Benachteiligung und Unterdrückung von Minderheiten auch in der aktuellen Situation öffentlich angeprangert wird, kann der türkische Staat unter Druck gesetzt werden, an den entsprechenden Stellen mehr Hilfe zu leisten.
Was für die Minderheiten gilt, gilt aber für auch für alle anderen Betroffenen. Denn alle brauchen mehr Unterstützung. Die Lage ist katastrophal und der Staat tut viel zu wenig, um den Betroffenen zu helfen. Aber die Regierung wird nur mehr Ressourcen für die Katastrophenhilfe zur Verfügung stellen, wenn die Bevölkerung der Türkei genügend Druck auf die Regierung ausübt. Und wenn wir die Menschen in der Türkei dabei unterstützen können, das Unrecht öffentlich zu machen und anzuklagen, dann sollten wir das tun und ihnen den Rücken stärken.
Erdoğan dagegen sagt, die Bevölkerung solle die Katastrophe nicht politisch betrachten und nicht „Unfrieden und Zwietracht stiften“. Er stellt es so dar, als würden Kritiker:innen die Bewältigung der Katastrophe behindern. Dabei ist klar, dass er nur von den desaströsen Auswirkungen seiner vergangenen und aktuellen Politik ablenken will. Um gegen die Kritik vorzugehen, ließ die Regierung sogar Twitter einschränken. So erschwerte sie der Bevölkerung den Zugang zu unabhängigen Informationsquellen, behinderte aber auch die Kommunikation darüber, an welchen Stellen nach dem Erdbeben Hilfe gebraucht wurde – wahrscheinlich mit tödlichen Konsequenzen.
„Devlet nerede?“
Die Kritik an Erdoğan bezieht sich nicht nur auf die aktuelle Situation. Es geht auch um die letzten 20 Jahre, in denen er die Türkei regierte. Denn das katastrophale Ausmaß der Zerstörung durch das Erdbeben hat großteils damit zu tun, dass der türkische Staat kaum Vorbereitungen für den Fall von Erdbeben traf. Und das, obwohl es schon vorher starke Erdbeben gegeben hatte; beispielsweise das von Gölcük im Jahr 1999 mit über 17.000 Toten und ca. 140.000 Häusern, die entweder einstürzten oder irreparabel beschädigt wurden. Auch die geologischen Gegebenheiten in der jetzt betroffenen Region waren bekannt. Deshalb war es laut Wissenschaftler:innen „nur eine Frage der Zeit, wann sich solche Erdbeben ereignen.“ Auch Oppositionspolitiker:innen hatten die Gefahr zum Thema gemacht; und sogar Erdoğan selbst sprach davon, dass man Vorkehrungen treffen müsse.
Eigentlich wurde seit dem Erdbeben von 1999 in der Türkei deshalb auch eine Erdbebensteuer erhoben, durch die der Staat bis zu 38 Milliarden Euro eingenommen habe. Dieses Geld sei allerdings von Erdoğans Regierungen zu einem großen Teil für andere Zwecke ausgegeben worden als für die Vorbereitung auf Erdbeben. So sorgte der Staat offensichtlich weder konsequent dafür, dass ältere Gebäude saniert und erdbebensicher gemacht wurden, noch wurden die Sicherheitsstandards bei Neubauten eingehalten. Die Baumaterialien sind teilweise so instabil, dass sie mit der bloßen Hand zerbrochen werden können. Vor diesem Hintergrund habe die Erdoğan-Regierung 2018/19 sogar noch „13 Millionen illegale Bauten gegen Zahlungen“ genehmigt. Das Resultat ist eine humanitäre Krise riesigen Ausmaßes, von der viele Millionen Menschen betroffen sind.
Das Budget des staatlichen Katastrophenschutz AFAD kürzte der türkische Staat dieses Jahr außerdem auf nur 66,4 Prozent. Gleichzeitig erhöhte er sein Militärbudget 2022 auf 181 Milliarden türkische Lira. Die Türkischen Streitkräfte sind mit 735.000 Soldaten (inklusive Reservisten) übrigens die zweitgrößte Armee innerhalb der NATO. Der gigantische Militärapparat wird gebraucht, um Widerstand innerhalb der eigenen Grenzen zu bekämpfen, um die Interessen der herrschenden Klasse des Landes aggressiv nach außen zu vertreten (z.B. gegenüber dem griechischen oder dem armenischen Staat) und auch um Invasionen und Angriffe außerhalb der Grenzen des Landes durchzuführen (Beispiele hierfür sind Rojava und die Autonome Region Kurdistan im Nordirak). Selbst in den Tagen nach dem Erdbeben hatte das Militär nichts Besseres zu tun, als die PKK anzugreifen, obwohl diese bereits einseitig einen Waffenstillstand erklärt hatte, damit alle Kräfte auf die Katastrophenhilfe fokussiert werden können – dazu kommt der erwähnte Bombenangriff auf Rojava.
Was hat die normale Bevölkerung von diesem Militärapparat? Statt Menschen zum Militärdienst zu zwingen, hätte der Staat massenhaft Katastrophenhelfer:innen und Sanitäter:innen ausbilden können. Statt Milliarden für Panzer und Kriegsflugzeuge auszugeben, hätte der Staat Ausrüstung für Katastrophenschutz und gesundheitliche Versorgung beschaffen können. Ja, er hätte durch Vorsorge sogar verhindern können, dass es überhaupt zu so einer großen Katastrophe kommt. Aber stattdessen bleibt den Betroffenen in diesem Desaster nur, verzweifelt und wütend zu fragen: „Devlet nerede?“ / „Wo ist der Staat?“
Situationen wie diese sind nicht neu. Man kann sie fast jeden Sommer erleben, wenn die Waldbrände wieder beginnen: Es gibt zu wenige Feuerwehrleute, es fehlt an Ausrüstung, es gibt kaum Löschflugzeuge. Es ist eine bewusste Entscheidung, den Katastrophenschutz derart zu vernachlässigen und die tödliche Gefahr in Kauf zu nehmen. Aber das ist nicht nur in der Türkei der Fall, sondern auch im Nachbarland Griechenland und in anderen Balkan-Ländern – teilweise müssen Feuerwehrleute mit der Gießkanne gegen Waldbrände ankämpfen. Der unzureichende Katastrophenschutz ist ein Dauerzustand, aber das Erdbeben führt ihn noch einmal in aller Grausamkeit vor Augen.
Erdoğan und seine Regierungen sind zwar einerseits verantwortlich für diese Zustände, aber andererseits sind solche Zustände auch die schreckliche Normalität einer Welt, in der Profit an erster Stelle steht. Auch wenn wir es uns wünschen, dass die Staaten sich um das Wohl der Bevölkerung kümmern: Das ist nicht, wozu sie existieren. Die Hauptaufgabe von kapitalistischen Staaten ist, die Ordnung aufrecht zu erhalten, in der private Wirtschaftsunternehmen Profite machen können. Darüber hinaus sollen diese Staaten die Interessen dieser Unternehmen in der internationalen Konkurrenz des Kapitalismus durchsetzen. Das Wohl der Bevölkerung spielt in der Regel nur dann eine Rolle, wenn es diesen Zwecken der Staaten dient. Deswegen hat Erdoğan in einer Weise Recht, wenn er in seiner Rede von „devletimiz“ spricht – von „unserem Staat“. Denn dieser Staat gehört ihm und der herrschenden Klasse, einer kleinen, aber reichen und mächtigen Minderheit. Aber es ist nicht der Staat der gesamten Bevölkerung.
„Nur das Volk wird das Volk retten.“
Während sich die Betroffenen auf den Staat kaum verlassen können, unterstützen sie sich viel untereinander. Vielen ist klar, dass sie jetzt nur mit Zusammenhalt und Solidarität weiterkommen. Es haben sich auch schnell Strukturen gebildet, über die Hilfen unabhängig vom Staat organisiert werden – von den Menschen vor Ort selbst, aber auch mit Unterstützung von angereisten freiwilligen Helfer:innen. Zahlreiche linke politische Organisationen und Menschen beteiligen sich dabei in der Katastrophenregion.
Dieser solidarische Einsatz aus breiten Teilen der Bevölkerung ist ein Lichtblick in der ansonsten düsteren Lage. Hier wird deutlich, wie viel der Zusammenhalt der Menschen bewirken kann. Linke in Griechenland haben eine Parole, die an dieser Stelle gut passt: „Nur das Volk wird das Volk retten.“ Der Ausdruck „Volk“ meint im Griechischen wie auch im Türkischen in dieser Verwendung nicht eine ethnische Gruppe, sondern die breite Bevölkerung im Gegensatz zur Minderheit der herrschenden Klasse (die Wörter für „Volk“ sind „λαός“ und „halk“). Das Volk also ist zwar einerseits auf sich allein gestellt und kann von der herrschenden Klasse keine Unterstützung erwarten. Es hat aber andererseits auch die Kraft, schwierige Situationen wie die aktuelle vereint zu bewältigen.
Unter den zahlreichen Menschen, die nach dem Erdbeben in die betroffenen Gebiete gereist sind, sind auch Minenarbeiter. Sie haben nicht nur wichtiges Wissen und Fähigkeiten für Rettungseinsätze – aufgrund häufig unsicherer Arbeitsbedingungen ist es für einige von ihnen leider keine gänzlich neue Situation, verschüttete Menschen zu retten. Die wahrscheinlich prägendste Erfahrung für Minenarbeiter in der Türkei war das „Unglück“ von Soma 2014, bei dem über 300 Kollegen starben. Neben Minenarbeitern meldeten sich unter anderem auch Bauarbeiter am Flughafen von İstanbul freiwillig, um in den vom Erdbeben betroffenen Gebieten Hilfe zu leisten. Allerdings hinderte das Management sie daran – Hauptsache: die Profit-Maschinerie läuft weiter. Außerdem häufen sich mittlerweile Meldungen von Kündigungen von Arbeiter:innen, die sich an der Katastrophenhilfe beteiligt haben – und den Unternehmen deshalb kurzzeitig nicht als Arbeitskraft zur Ausbeutung zur Verfügung standen.
Zur Katastrophenhilfe gehört aber nicht nur die Rettung Verschütteter, sondern auch die Versorgung Überlebender. So hat beispielsweise eine Gruppe kurdischer Frauen innerhalb kurzer Zeit 18.000 Brote für Bedürftige gebacken. Es ist das Volk selbst, das sich jetzt einsetzt, um die Katastrophe gemeinsam durchzustehen – jede:r nach seinen/ihren Fähigkeiten.
Währenddessen schläft Erdoğan in einem der 1.000 Zimmer seines Palastes, der 270 Millionen Euro gekostet hat – oder vielleicht auch in seiner Ferienanlage an der Küste mit 300 Zimmern, die 62 Millionen Euro gekostet hat. Aber nicht nur er muss sich keine Sorgen um seine Existenz machen: In der Türkei gibt es 24 Milliardäre. Welche Berechtigung hat solch ein Reichtum angesichts einer Katastrophe wie der aktuellen? Warum leben die einen in Palästen, während andere unter Trümmern begraben erfrieren? In manchen der betroffenen Gebiete sanken die Temperaturen nachts auf unter -15 °C. Nicht einmal Zelte, Nahrung, Toiletten und Medizin gibt es bisher für alle Menschen. Viele von ihnen haben bei Minusgraden kein Dach über dem Kopf.
Kapitalismus bedeutet Klassengesellschaft: die einen arbeiten, die anderen werden davon reich. Milliarden-Reichtum lässt sich niemals durch eigene Arbeit erreichen, sondern basiert immer auf der Ausbeutung tausender anderer Menschen. Diese Gesellschaftsordnung war nie im Interesse der breiten Bevölkerung. Aber in Notsituationen wie der aktuellen, wenn es um Leben und Tod geht, wird die Unmenschlichkeit dieses Systems besonders deutlich. Wo sind die Reichen, wo sind die Herrscher dieser Welt jetzt? Es sind die Menschen aus dem Volk, die die Verschütteten retten, die ihnen zu Essen geben, die ihre Wunden pflegen – die körperlichen wie die seelischen. Wir haben kein Interesse an dieser Klassengesellschaft. Es gibt für uns keinen „Zusammenhalt“ mit der kapitalistischen Klasse. Wir und sie stehen nicht miteinander, sondern gegeneinander.
Widersprüche der Klassengesellschaft werden auch deutlich, wenn wir uns anschauen, wie jetzt finanziell versucht wird, die Betroffenen zu unterstützen: Während Hilfsorganisationen in Deutschland bei aller Mühe einige Millionen Euro an Spenden sammeln, liegt der Jahresgewinn von einem Unternehmen wie der Mercedes-Benz Group bei über 14 Milliarden Euro. Das Spendensammeln ist hilfreich und notwendig, das steht außer Frage. Aber der Punkt ist, dass es gleichzeitig immensen Reichtum in dieser Welt gibt, der dem Wohl der meisten Menschen nicht zu Gute kommt – nicht mal im Fall existentieller Not. Es liegt in unserem Interesse, dass wir der herrschenden Minderheit den Reichtum nehmen und als gesamte Gesellschaft über ihn verfügen. Wie viele Menschenleben hätten nach dieser Katastrophe mit den Milliarden und Billionen der kapitalistischen Klasse gerettet werden können?
Internationale Solidarität und die Perspektive
Solidarität kam aber nicht nur aus der Türkei und Syrien selbst, sondern auch aus anderen Ländern. So reisten Rettungs- und Hilfsteams aus über 40 Ländern in die betroffenen Gebiete auf türkischem Staatsgebiet. Sie halfen bei der Bergung Verschütteter und bei der humanitären und medizinischen Versorgung Überlebender. Viel weniger Unterstützung gab es leider für die betroffenen Menschen auf syrischem Staatsgebiet: zunächst kamen nur Hilfsteams aus drei Ländern – aus Russland, Algerien und Palästina. Auch bei Spenden und Hilfslieferungen sieht es ähnlich aus.
In der Türkei halfen auch Rettungsteams, die von Staaten geschickt wurden, mit denen der türkische Staat im Konflikt steht. So wurde auch aus Armenien ein Team entsendet. Und das obwohl der türkische Staat 2020 einen Krieg des aserbaidschanischen Staates gegen den armenischen Staat unterstütze. Und auch aus Griechenland kamen Rettungsteams – trotz des politischen Dauerkonflikts zwischen dem griechischen und dem türkischen Staat in den letzten Jahren. Erdoğan drohte dabei 2022 sogar, griechische Inseln zu überfallen.
Beachtlich ist unter anderem auch die Hilfe, die von Linken und der Arbeiter:innenbewegung Griechenland für die Betroffenen in der Türkei und in Syrien geleistet wird: Gewerkschafter:innen und Studierende sammeln Sachspenden. Die klassenkämpferische Gewerkschaftsplattform PAME organisierte Blutspenden unter dem Motto „Solidarität ist in unserem Blut“. Eine Ärzt:innengewerkschaft rief zur Teilnahme von Ärzt:innen an Rettungseinsätzen auf. Sogar migrantische Feldarbeiter sammelten Spenden, obwohl sie selbst unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten und leben müssen. PAME brachte mittlerweile 100 Tonnen an Hilfsgütern in die betroffenen Gebiete auf türkischem Staatsgebiet, weitere 100 Tonnen stehen in Griechenland bereit. Dabei sollen die Hilfsgüter auch an Betroffene auf syrischem Staatsgebiet gehen.
Es helfen jetzt unter anderem also genau die Menschen, die all die Jahre in den staatstreuen Medien als Feinde dargestellt wurden. Die Feindschaft besteht aber nicht zwischen den Völkern. In der internationalen Solidarität zeigt sich aktuell im Gegenteil eine Verbundenheit zwischen Menschen egal welcher Nationalität. Wir alle haben Interesse an einem guten Leben in Frieden – egal in welchem Land. Die Feindschaft besteht zwischen den Staaten und sie basiert auf der internationalen Konkurrenz zwischen den herrschenden Klassen um Profit und Macht. Die Völker werden in ihrem Interesse gegeneinander aufgehetzt.
Bisher waren die Menschen in den betroffenen Gebieten darauf fokussiert, ihre verschütteten Angehörigen und Freund:innen zu retten. Schock und Trauer sind noch stark. In der Türkei drückt sich aber auch an vielen Stellen Wut aus: darüber, dass kaum staatliche Hilfe kommt, und vor allem darüber, dass der Staat das Ausmaß dieser Katastrophe erst möglich gemacht hat. Auch die Sorge vor einer womöglich noch größeren Erdbeben-Katastrophe in İstanbul besteht. Dagegen werden Erdoğan und seine Anhänger weiter versuchen, von den eigenen Verbrechen abzulenken und andere beschuldigen, für das Desaster verantwortlich zu sein. Sie werden weiter über die Medien verbreiten, dass sie umfassende und ausreichende Hilfe leisten würden. Sie werden weiter den Menschen vermitteln, dass alle im gleichen Boot sitzen würden – als wäre das Volk eine Einheit mit Kapital und Staat.
In Deutschland sind einige linke Organisationen aktiv, die ihren Ursprung in der Türkei und in Kurdistan haben. Wir können sie in der aktuellen Situation unterstützen: Zum einen können wir ihnen den Rücken stärken in der Kritik am türkischen Staat und auch am deutschen Staat, der den türkischen Staat mit seiner Politik unterstützt. Und zum anderen können wir mit den Genoss:innen Solidaritätsaktionen für die Menschen im Erdbebengebiet organisieren.
(Wer vom Erdbeben betroffene Menschen mit Geldspenden unterstützen möchte, kann das gut über medico international tun. Die Hilfsorganisation ist sowohl in der Türkei als auch in Syrien aktiv, hat jahrelange Erfahrung in der Region und arbeitet mit politisch fortschrittlichen Partner:innen vor Ort zusammen – unter anderem mit dem Kurdischen Roten Halbmond.)
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