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Athena, 30, ist eine Social Media Managerin und Menschen- und Frauenrechtlerin aus dem Iran, die in der Türkei lebt. Ihre politischen Aktivitäten begann sie 2008 mit der Kampagne für den Reformkandidaten Mirhossein Mousavi. Nach den Wahlen, als der langjährige Präsident Mahmoud Ahmadinejad den Sieg für sich beanspruchte, nahm sie an den landesweiten Protesten, an mitorganisierten Versammlungen und oppositionellen Reden an ihrer Universität in Teheran teil. In den letzten Jahren beschränkte sich ihre Tätigkeit im Land darauf, das Bewusstsein für das Schicksal der politischen Gefangenen und die allgemeine politische Situation im Iran zu schärfen. Als Frauenrechtlerin übersetzt sie Bücher und beteiligt sich an der Organisation politischer Kampagnen für Frauenrechte im Nahen Osten.

Im Iran gibt es seit Freitag, dem 15. November einen massiven Aufstand. Wie konnte die Erhöhung des Benzinpreises zu solchen gewaltigen Protesten führen?
Seit Jahren rationiert die Regierung das Benzin. Mit dem Preis von 10.000 iranischen Rials (0,27 €) pro Liter. Am Freitag gaben sie bekannt, dass der neue Preis 15.000 iranische Rials (0,41 €) pro Liter betragen wird. Dieser Preis gilt für 60 Liter pro Monat. Wenn man mehr benötigt, wird es für 30.000 iranischen Rials (0,82 €) pro Liter verkauft. Das ist das dreifache des ursprünglichen Preises. Für die meisten Menschen im Iran war das eine schreckliche Nachricht. Die schwierige wirtschaftliche Situation zwang die Menschen bereits in die Knie. Viele Leute haben begonnen, zusätzliche Arbeiten für Uber-ähnliche Taxi-Plattformen wie Snap und Tap30 zu erledigen – so dass dieser Preisanstieg sofort spürbar war. In der Provinz Chuzestan, mit einer arabischen Mehrheit, können viele Menschen ihr Leitungswasser nicht trinken, anders als im Rest des Landes. Die Menschen dort müssen ihr Wasser in von Wassertankern kaufen. Der Preis pro Wassertanker verdoppelte sich aufgrund des Preisanstiegs. Und das war erst am ersten Morgen nach der Nachricht. Für viele Menschen würde das tägliche Leben also nur extrem teurer werden – und die Menschen gerieten in Panik.

Wie haben die Menschen angefangen zu protestieren?
In der Nacht der Ankündigung reagierten die Leute auf Social Media – auf twitter und auf instagram. Instagram ist eigentlich das einzige Social Media, das im Iran nicht blockiert wurde.

Einige Leute drückten ihre Wut aus, andere baten ihre follower, etwas zu tun. Die Menschen begannen, Botschaften darüber zu verbreiten, wie sie auf die Straße gehen würden und ihre Autos dort stehen zu lassen, inspiriert von Protesten in anderen Ländern. Die ersten Videos, die ich sah, waren aus Isfahan, wo die Leute in ihren Autos hupten und sich nicht bewegten. Dann entstanden immer mehr Videos. Menschen blockierten die Straßen mit kleinen Steinen, setzten sich auf Autobahnen und so weiter. Sie begannen sich in den Hauptstraßen ihrer Städte zu versammeln, auch ohne ihre Autos.

Hat die staatliche Repression sofort begonnen? Und gegen wen richtet sie sich?
Es war eigentlich eine kleine Überraschung. Die Leute erwarteten nicht, dass so viele andere mitmachen würden, und die Polizei erwartete nicht, dass es so ernst sein würde. Zuerst ging es in den Slogans um Korruption und darum, wie der Staat das Ölgeld verloren hat und wie er sein Geld jetzt von den Menschen nehmen will, unter Bezugnahme auf die wirtschaftliche Situation und all die Korruptionsskandale der Regierung in letzter Zeit. Sie riefen auch, dass die Regierung Geld nach Palästina schickt und dass sie wollen, dass das Geld der Bevölkerung zu Gute kommen soll. Die Demonstrant*innen bedeckten ihre Gesichter nicht wie in der Vergangenheit. Es war zunächst ein wirklich ruhiger und friedlicher Protest.

Nach und nach mischte sich die Polizei ein und es gab ein Bild, das Menschen zeigte, die die Verkehrskameras bedeckten. Die Gewalt begann an diesem Nachmittag zu eskalieren. Eines der ersten Videos zeigt die Revolutionsgarde in Mashhad. Die Person die filmt sagte, dass die Garde Fenster zerschlugen, und man kann Autos mit kaputten Windschutzscheiben sehen, die von ihnen umgeben sind. Dies geschah am Samstagabend. Die Leute erwarteten, dass die Polizei und die Revolutionsgarde anfangen würden, wie üblich zu unterdrücken, aber anscheinend hatten die Leute keine Angst mehr. Sie blieben und wehrten sich, und im Gegenzug wurde die Garde aggressiver. Universitätsstudent*innen in Teheran und anderen Städten haben sich den Protesten angeschlossen, und sie wurden verhaftet, in Krankenwagen aus der Universität gebracht. Wir wissen nicht, was jetzt mit ihnen passiert. Die Menschen in Shiraz gaben der Polizei Blumen was mit dem Einsatz von Wasserwerfern beantwortet wurde. In Kermanshah, Kurdistan, trieben die Menschen die Revolutionsgrade mit Steinen zurück, und wurden mit Tränengas beschossen. Am frühen Sonntag gab es Videos von Menschen in Schiraz und Sirjan, die von den Revolutionsgarden erschossen wurden. Wegen der Situation mit dem Internet ist es schwer herauszufinden, wie viele Menschen getötet und verletzt wurden. Amnesty International hat am Montag, den 18. November, 106 Personen gemeldet. Einige Plattformen haben bis Donnerstagmorgen mehr als 200 Tote gezählt.

Im Moment gibt es keine Möglichkeit, mit Menschen im Iran zu kommunizieren. Wann wurde das Internet durch den Staat abgeschaltet?
Ja, als die Proteste am Sonntag weitergingen, wurde die Internetverbindung schwächer. Dann hat der Staat es komplett abgeschaltet. Nur eingeschränkte Bereiche und einige wenige Server in Teheran funktionieren und werden beobachtet. Die meisten der Nachrichten, die wir in den letzten Tagen haben, sind durch Anrufe bei Freund*innen im Iran verbreitet worden. Auch durch einige Videos, die sie über diese eingeschränkten Server senden konnten. Leute, die Videos gemacht haben, werden jetzt allerdings verhaftet. Die iranische Bevölkerung wird immer isolierter und hilfloser.

Was kannst Du uns über die Verhaftungen sagen? Welcher Art von Repressionen und Verfahren sind die Menschen ausgesetzt?
Die Situation für politische Gefangene war im Iran immer hart. Sie werden meist mit falschen Vorwürfen angeklagt, zum Beispiel werden sie vom Regime als Sicherheitsgefangene oder Spione für Israel oder die Vereinigten Staaten bezeichnet. Sie können nicht den Anwalt ihrer Wahl haben. Es gibt nur bestimmte Anwälte, die der Staat ihnen zuweist. Aber die meisten politischen Gefangenen werden ohne einen Anwalt oder die Chance auf eine tatsächliche Verteidigung verurteilt. Viele werden gefoltert und gezwungen, im öffentlichen Fernsehen Geständnisse abzulegen. Auch die Familien der politischen Gefangenen werden unter Druck gesetzt. Und das nicht nur für Aktivist*innen im Iran. Viele Aktivist*innen außerhalb der Grenzen des Iran machen sich Sorgen um ihre Familien. Die Regierung hat in der Vergangenheit Familien von Exilaktivist*innen verhaftet. So wurde beispielsweise in der Vergangenheit der Bruder von Massih Alinejad verhaftet, um sie unter Druck zu setzen, ihre dissidente journalistische Arbeit im Ausland einzustellen. Oder der Staat nimmt den Familien von politischen Aktivist*innen ihr Eigentum weg, um sie zu zwingen, in den Iran zurückzukehren.

Die aktuellen Proteste wurden als “führungsloser Aufstand” bezeichnet.
Ja, dieser Aufstand scheint keine Anführer zu haben, und mit Ausnahme der Arbeiter*innen der Zuckerfabrik Haft Tapeh, die in einen Streik getreten sind, gab es bei den Protesten keine Anzeichen von Gewerkschaften oder anderen Arbeiterorganisationen. Die meisten Nachrichten und Videos zeigen Menschenmassen mit wirtschaftlichen Bedenken, die die Mullahs loswerden wollen. Die Leute schreien: “Gas wurde teurer und die Armen ärmer”, “Nieder mit dem Diktator”, “Rohani/Khamenei lasst das Land in Ruhe”, “Akhond (mullahs): Verschwindet!”. Einige Demonstrant*innen setzten Banken, Gerichtsgebäude und Religionsschulen in Brand.

Wie könnte das Internet ohne die Zustimmung des Regimes in den Iran zurückgebracht werden?
Die Menschen brauchen eine sichere Möglichkeit, sich im ganzen Land miteinander zu verbinden, Nachrichten und Videos zu versenden und diese Nachrichten endlich über die Grenzen hinauszutragen. Es wurden einige Netzwerke vorgeschlagen, die Telefone ohne Internet über Bluetooth und WiFi verbinden. Einer von ihnen ist bridgefy, die in Hongkong verwendete App. Aber nicht viele Menschen sind sich dieser Möglichkeiten bewusst und wissen nicht, wie man sie bekommt und wie man sie nutzt.

Auf der anderen Seite haben viele Menschen auch Angst, sie zu benutzen und ihre Identität und Telefonnummer auf Plattformen zu veröffentlichen, zu denen die Regierung Zugang erhalten könnte. Daher wäre jedes Medium, das nützliche Informationen und Anweisungen über diese Art von Netzwerken liefert, im Moment hilfreich. Jede Art von Finanzierung für die Entwicklung sicherer Apps und deren Versand an Iraner*innen würde helfen. Die Regierung braucht das Internet für ihr eigenes Geschäft, also müssen sie sich irgendwann wieder verbinden. Aber bis dahin wird es für die Demonstrant*innen, die gerade verhaftet und getötet werden, zu spät sein. Darüber hinaus hat das Regime versucht, ein eigenes Intranet, ein nationales Netzwerk, aufzubauen, den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten und die Bürger*innen für immer von den internationalen Verbindungen auszuschließen. Dazu sind sie im Moment nicht in der Lage, aber es scheint wirklich eine Frage der Zeit zu sein. Früher oder später werden die Menschen im Iran satellitengestütztes Internet und Telefone benötigen, um die Isolation zu bekämpfen. Und das kann nicht ohne internationale Unterstützung geschehen.

# Interview: Amanda Trelles Aquino ist Journalistin und Aktivistin aus Berlin. Sie hat in Südamerika, Europa und im Nahen Osten gelebt.
#Titelbild: middle-east-online

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Zwei Antifaschist*innen aus Deutschland sind letztes Jahr an der US-Westküste entlang gefahren. In sieben Städten haben sie Vorträge über die antifaschistische Bewegung in Deutschland gehalten und dort unterschiedliche Menschen getroffen: Von der jungen Basisgewerkschafterin zum Knast-Soli-Opa, von der Queer-Aktivist*in in der Kleinstadt bis zur maoistischen Straßengang in LA. Pünktlich zum Relaunch erscheint im Lower Class Magazine eine dreiteilige Artikelserie zu ihren Erlebnissen. Die Artikelserie bildet nicht die gesamte antifaschistische Bewegung in den USA ab, sondern beschränkt sich auf die Gruppen und deren Strategien, die unsere Autor*innen besucht haben.

Der erste Artikel beleuchtete Antifagruppen, die nach europäischem Vorbild arbeiten. Im zweiten Artikel werden die Herausforderungen, die die modernisierte faschistische Bewegung für antifaschistische Arbeit in den USA bedeutet diskutiert. Abschließen geht es im dritten Artikel um die Polizei als Institution und die gesellschaftlichen Verhältnisse, welche diese, vor allem in den USA so gefährlich macht.

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