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Schock: Israel begeht Verbrechen!

Ihr fällt es schwer über eine positive Zukunft zu sprechen, wenn es um Lebensgrundlagen und Völkerrecht geht. Sie reibt nervös ihre Hände und schluckt. Für alle sichtbar, nimmt sie theatralisch ihren Mut zusammen und spricht aus, was ihr mit Blick auf ihr geliebtes Völkerrecht so schwer zu schaffen macht: Luisa Neubauer, Klimaaktivistin und Nachwuchs-Baerbock, spricht als furchtlose Kämpferin für das Gute über die Lage in Gaza und das „was vor unserer Augen, jetzt gerade und schon viel zu lange passiert“.

Mit fast schmerzverzerrten Gesicht ringt sie sich mit dramatischen Sprechpausen sogar dazu durch, zu benennen, dass die israelische Regierung Völkerrechtsverbrechen begeht. Kämpferisch richtet sie sich an die neue Bundesregierung (die nun ja ohne die feministische Außenpolitik ihrer Grünen auskommen muss) und fragt „Wo ist die Bundesregierung, die das Völkerrecht verteidigt, wenn Netanjahu es mit Füßen tritt“. – Tosender Beifall des betroffenen Publikums. So viel Mut verdient schließlich Anerkennung und der Dank von Gazas sterbenden Kindern sollte Luisa damit wohl auch wirklich sicher sein!

Und auch ihre Partei meldet sich zu Wort. Genau die Grünen, die bis vor Kurzem noch als Regierungspartei aktiv die Solidarität mit Israel aufrechterhielten und eine Außenministerin Baerbock stellten, die als studierte Völkerrechtlerin erklärte, wieso die Angriffe Israels auf palästinensische Krankhäuser und Flüchtlingslager ganz und gar nicht im Konflikt mit dem Völkerrecht stünden, um das Luisa sich jetzt so sorgt. Auf einmal hört man aus allen Ecken so etwas wie Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung und Armee. Man könnte meinen, Israel hätte in den letzten Wochen plötzlich angefangen, Kriegsverbrechen zu begehen, Kinder in Massen unter Trümmern zu begraben und auszuhungern und Palästinenser:innen als Tiere zu bezeichnen und zu behandeln. Eine echte Überraschung von der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ und ihrer fortschrittlichsten Armee der Welt. Sorge darüber sehen wir in den Medien, wie der Politik. Der Spiegel fürchtet ein ‚Strapazieren‘ der deutsch-israelischen Beziehungen und selbst Menschenfreund Merz wagt es zu hinterfragen, welches Ziel Israel denn nun eigentlich verfolge, ein Angriff auf Kinderheime sei für ihn eine ‚menschliche Tragödie‘. Das Vorgehen ließe sich sogar nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terror begründen.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein stammelt sich im WDR-Interview holprig zusammen, wieso solche Kritik ab jetzt doch nicht mehr Ausdruck verinnerlichten Judenhasses sein müsse. Und beinahe noch zynischer: Die Leipziger Königin der Antideutschen, Linke-Abgeordnete Jule Nagel, teilt auf Instagram einen Beitrag der NGO medico international, mit dem bezeichnenden Zitat „EINES TAGES WERDEN ALLE IMMER SCHON DAGEGEN GEWESEN SEIN.“

Das bisherige Verhalten der nun ach so Besorgten

Warum diese Äußerungen vor allem bei denjenigen, die sich seit langem gegen den israelischen Staat und seine Misshandlung der palästinensischen Bevölkerung einsetzen, eher neue Wut als Begeisterung auslöst, wird schnell klar. All diese Akteure sind eben nicht Menschen, die sich bisher nicht getraut haben, eine eigene Meinung zum ‚komplizierten Nah-Ost-Konflikt‘ zu haben und erst in den vergangenen Wochen den Mut entwickelt haben, um ihre Meinung endlich gegen die erdrückende deutsche Staatsräson zu äußern. Nein, von Neubauer bis Nagel: Die, die sich jetzt als große Menschenfreunde inszenieren wollen, sind genau die, die diese Staatsräson spätestens seit dem 7. Oktober 2023 immer wieder mit aller Gewalt durchgesetzt haben:

Ne​ubauer​​ sorgte maßgeblich mit dafür, dass sich Fridays for Future Deutschland im Nachgang des 7. Oktober von den internationalen Fridays for Future Fraktionen distanzierte. Während die globale Klimabewegung, repräsentiert vor allem durch Greta Thunberg, selbstverständlich gegen die ethnische Säuberung Palästinas Stellung bezog und die Parole „No climate justice on occupied land“ prägte, blieben Neubauer und der größte Teil von FFF in Deutschland weiter stabil auf Linie der Staatsräson. Stimmen, die sich kritisch zu Israel äußerten, wurden, wie die Aktivistin Elisa Baş, als antisemitisch definiert und ausgeschlossen. Dass Neubauer in ihrer neu entdeckten Empathie für die Palästinenser:innen in keinster Weise eine selbstkritische Beschäftigung mit ihrem bisherigen Verhalten zeigt, lässt diese Empathie mehr als heuchlerisch erscheinen.

Das Statementvideo der Grünen sorgte auf Sozialen Medien schon für einigen Spott, indem die geheuchelten Mitleidsbekundungen und das vermeintliche Entsetzen über die humanitäre Lage in Gaza in Videos zusammengeschnitten wurden mit den menschenverachtenden Rechtfertigungsversuchen, die die Grünen und ihre Außenministerin Baerbock in der eigenen Regierungszeit immer wieder zur Rechtfertigung des israelischen Vorgehens vorgebracht hatten. Und wie bei Neubauer tun die Grünen so, als ob ihr angeblicher Schock in keinerlei Widerspruch zu ihrer bisherigen Politik stehen würden, mit der sie den Grund für ihr Mitleid selbst angefeuert haben.

Der neue Kanzler Merz stellt sich nun vor Kameras und wagt es ernsthaft, zu hinterfragen, ob das israelische Vorgehen rein als Reaktion auf den 7. Oktober und mit dem Ziel der Befreiung der Geiseln erklärbar sei. Im Vergleich zur Politik der Ampel fast schon sowas wie ein Aufruf zur nächsten Intifada. Dass Merz über die letzten Jahre nur zu gerne Stimmung gegen genau die Menschen gemacht hat, die diese Kritik von vornherein äußerten, findet dabei aber erwartungsgemäß keine Erwähnung. Wer schon vor Merz eigenen zweifelnden Äußerungen hinterfragte, was die eigentlichen Ziele der israelischen Offensive waren oder darin gar eine Fortsetzung der israelischen Politik der ethnischen Säuberung sah, war mit seinem angeblich „importierten Antisemitismus“ ein willkommener Grund für Merz, um seinen härteren Kurs gegen Migration zu fordern. Dass Felix Klein, seit 2018 Beauftragter des Bundestags für Antisemitismus, nun ins Schwimmen kommt, um zu begründen, wieso diese minimale Verschiebung hin zu so etwas wie einem objektiveren Blick auf die israelische Politik, nicht antisemitisch sei, ist also weniger ein Zeugnis dafür, wie ehrlich und fortschrittlich diese neuen Äußerungen sind. Vielmehr ist das ein Zeugnis für die Absurdität der Staatsräson und des verzerrten Antisemitismusbegriffs der vergangenen Jahre.

Die Krönung dieses geheuchelten Sinneswandels dürfte aber die sächsische Linke-Abgeordnete Jule Nagel sein, die den Post „eines Tages werden alle schon immer dagegen gewesen sein“ teilt. Geht es doch bei diesem Spruch gerade um genau die, die sich die letzten Jahre so aktiv gegen all jene eingesetzt haben, die sich gegen den Genozid stellten. Als Repräsentantin der „antideutschen Hochburg“ Leipzig trat Nagel in den letzten Jahren vor allem mit Hetze gegen die vermeintliche Gefahr eines Erstarkens „autoritärer roter Gruppen“ und den Lieblingsfeind der Staatsräson, den vermeintlichen linken Antisemitismus in Erscheinung. Dass eine Antideutsche, die noch in erster Reihe Palästinenser:innen, auch mit körperlicher Gewalt, von Demos in Leipzig schmeißen ließ, nun den genannten Post teilt, ist wohl die eindrücklichste Bestätigung für dessen Aussage. Wir haben einen Punkt erreicht an dem selbst die größten Unterstützer:innen des Genozids in Gaza, zumindest oberflächlich gegen diesen protestieren.

Die verlogene Doppelmoral ist noch nicht vorbei

Doch während sich online durchaus (neben erschreckend viel Zuspruch) breite Kritik an diesem unglaubwürdigen Sinneswandeln breit macht, gerät dabei oft in den Hintergrund, wie verlogen auch diese vermeintliche neue Solidarität mit den Palästinenser:innen ist.
In vielen dieser Statements gibt es nämlich gar keine so große Änderung des bisherigen Kurses. Ja, Neubauer und die Grünen sprechen das Leid der Menschen in Gaza tatsächlich offener an, als noch zuvor und kritisieren dabei auch das Vorgehen der israelischen Regierung. Eine wirkliche Einordnung dessen, was sie damit beschreiben, findet aber weiter nicht statt. Weit entfernt bleibt man da von einer Erklärung, in welchem Zusammenhang dieses genozidale Vorgehen mit dem Kern des zionistischen Staatsprojektes steht. Auch wenn es darum geht, Lösungsperspektiven aufzumachen, ist klar, bei wem bei aller Kritik an der rechten Netanyahu-Regierung weiterhin die eigentliche Verantwortung gesucht wird: Für einen Waffenstillstand muss die Hamas „die Geiseln freilassen, die Waffen niederlegen und mit den Angriffen auf Israel aufhören“. An der grundsätzlichen Erzählungen halten Neubauer, Grüne, Merz und Co also weiter fest. Grund für das Vorgehen Israels ist die Hamas auf die lediglich reagiert werde, neu ist nur, dass diese Reaktion neuerdings (!) als zu überzogen gesehen wird. Eine echte Abkehr von der bisherigen Propaganda-Strategie ist das alles also nicht. Geschweige denn vom tatsächlichen politischen Handeln. Für einen Stopp von Waffenlieferungen an Israel sind die Grünen nämlich nach wie vor nicht zu erweichen. Das arme Israel sei davor nach wie vor zu bedroht von seinen Nachbarstaaten. Und auch die Eskalation der Repressionswelle des deutschen Staates gegen palästinasolidarischen Aktivismus zeigt, dass es sich hier keineswegs um einen echten Kurswechsel der Staatsräson handelt. Die Polizeigewalt gegen die Nakba-Demo dieses Jahr in Berlin oder eine propalästinensische Demonstration in Leipzig kurz darauf, zeigen, dass der Staat, dessen Kanzler nun Fragen nach israelischen Kriegsgründen aufstellt, noch lange nicht bereit ist, Antworten auf genau diese Fragen ungestraft zuzulassen. Was wir beobachten ist also keine echte Zeitenwende in der deutschen Israel-Politik, sondern höchstens eine Verschiebung auf der Ebene des Diskurses. Und auch die ist nicht wesentlich mehr als eine vorsichtige Annäherung an das, was außerhalb deutscher Medien ohnehin klar ist: Israel begeht Kriegsverbrechen, die mittlerweile nicht einmal Vorreiter:innen der antideutschen Bewegung widerspruchsfrei rechtfertigen können.

Wieso überhaupt dieser Wandel der Worte?

Auch wenn die Veränderung im deutschen Diskurs nur oberflächlich und insgesamt überschaubar ist, im Vergleich zu der Unantastbarkeit Israels, die in Deutschland bisher herrschte, ist es doch interessant, wieso es nun überhaupt dazu kommt. Kriegsverbrechen, hungernde Kinder und Blockaden humanitärer Hilfe ließen die Staatsräson ja in den letzten Jahren auch nicht wanken. 

Doch etwas beginnt sich zu ändern. Im Kern hat sich weder die „Kriegsführungung“, noch das Ziel Israels, den vollständigen Genozid in Gaza zu vollenden, geändert. So sprachen Smotrich, Ben Gvir und co schon Anfang 2024 offen von der Umsiedlung und Auslöschung der Palästinenser in Gaza: 

„Wenn in Gaza 100 000 oder 200 000 Araber leben und nicht zwei Millionen, sieht die ganze Debatte über den ‚Tag danach‘ anders aus“. 

Haben die, die sich bisher auf Deutschland Staatsräson gestützt haben, diese Stimmen überhört? Oder warum waren bisher die kritischen Aussagen aus den Kreisen der jetzigen Retter des Völkerrechts so leise?

Mehr und mehr wird sichtbar, dass ein völlig frei drehendes Israel, welches zumindest mal die nächsten vier Jahre mit Trumps Rücken machen kann, was es will, wohl doch nicht DER Partner ist, den der deutsche Staat braucht.

War es die letzten Jahrzehnte ja auch weniger die „besondere moralische Verantwortung“ oder gar eine Politik der Menschlichkeit, die zur engen Partner- ja gar Freundschaft zwischen der BRD und Israel geführt hat, sondern vielmehr strategische Abwägungen und imperialistische Politik. 

Im geopolitischen Chaos der sich neu ordnenden Welt spielt der Mittlere Osten eine zentrale Rolle. Neue Handelsrouten, Rohstoffe, aber auch die zentrale Bedeutung für Religion und Kultur als Wiege der Menschheit – Für eine Großmachtstellung muss der Einfluss im Mittleren Osten gewährleistet sein. Dafür wurde über Jahrzehnte Deutschlands lange und enge Verbindung zur Türkei genutzt, doch die Partnerschaft wurde immer wieder auf die Probe gestellt. Ein Grund mehr auch auf Israel als strategischen, sicheren und verlässlichen Partner zu setzen. Dafür lässt sich schon immer mal hier und dort ein Auge zudrücken wenn es um illegale Besatzung oder Apartheidspolitik geht. Man ist ja unter Freunden.

Doch mittlerweile steigt die Gefahr, dass Israel die Stabile Partnerschaft mehr und mehr herausfordert. Da muss auch ein Israelfreund wie Merz ein wenig einlenken. Dass es dabei aber nicht um eine grundsätzliche Abkehr geht, stellte CSU Sprecher Hoffmann zuletzt klar:

Freunde kann man kritisieren, aber nicht sanktionieren. Das wäre das Ende der Staatsräson gegenüber Israel und das ist [..] nicht zu machen.

Völlig logisch daher, dass weiter Waffen an Israel geliefert werden. Dass Deutschland „weiterhin an der Seite Israels“ steht. Dass die Staatsräson weiterhin gilt.

Denn Deutschland braucht Israel. Als verlässlichen Handelspartner, als Importeur der Rheinmetall und ThyssenKrupp Waffen. Als Kooperationspartner für junge Tech-StartUps. 

Was tun?

Um gegen Imperialismus vorzugehen, können wir uns natürlich nicht auf den Staat verlassen, doch genauso wenig auf die Teile der (deutschen) Linken, die sich nach 2 Jahren aktiver Unterstützung für einen Genozid nun doch einmal dazu bewegen, auf eine Palästina-Demo zu gehen oder Kritik in ihrer Insta-Story posten. Diese Leute haben gezeigt, auf welcher Seite sie stehen. Doch die letzten Jahre haben außerdem gezeigt, dass die Palästina-Frage tausende Menschen weltweit bewegt. Die Unibesetzungen waren eine der größten globalen Jugendbewegungen, die es seit Jahrzehnten gegeben hat. Weltweit entstehen Protestbewegungen gegen den Genozid. Trotz massiver Repression werden auch jetzt wieder Unis sowohl in den USA, als auch in Europa besetzt und es werden weitere folgen. In Berlin gehen Woche für Woche tausende Menschen trotz extremer Polizeigewalt auf die Straße.

Diese Bewegung ist eine Antikriegsbewegung, die besonders ist, weil sie klare antikoloniale Positionen vertritt. Klar ist: Es geht um den Genozid in Gaza. Aber nicht nur Gaza steht im Fokus, sondern antikoloniale Kämpfe weltweit. Deshalb soll es auch nicht nur darum gehen, wer plötzlich was sagt, sondern wer wirklich ein Teil der globalen Bewegung ist. Und das ist sicher weder Merz noch die Grünen-Chefetage, sondern das ist die Jugend auf der Straße. Falsche Heucheleien und halbherzigen Positionierungen können daher gespart werden.

Und dabei sollten wir nicht blind drauf schauen wer auf welcher Seite steht. 

Richtig steht, wer auf die Menschlichkeit vertraut und der wahren internationalistischen Solidarität folgt. Wer als Privatperson erst durch den aktuell veränderten Diskurs bereit ist, auch offen gegen diesen Genozid zu protestieren, sollte dabei natürlich mehr als willkommen sein, wer aber aktiv zu seinen Unterstützer:innen gehört(e) und jetzt aus politischen Kalkül ein wenig mehr geheuchelte Empathie zeigt, ohne sich dabei ernsthaft von seinem bisherigen Handeln zu distanzieren, ist für einen antiimperialistischen Kampf wirklich nicht zu gebrauchen. 

Wir sehen uns auf der Straße!

Freiheit für Palästina!

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Es wird kalt in Deutschland. Denn wenn der Merz im Februar kommt, wird das kein Frühling werden, sondern eine neue gesellschaftliche Eiszeit. Eigentlich gilt die alte Journalistenregel „No games with names!“ – doch dieses Wortspiel drängt sich auf. Denn alles spricht dafür, dass nach dem Sieg der Unionsparteien bei der Bundestagswahl CDU-Chef Friedrich Merz Bundeskanzler werden wird. Und dann wird allen, die sich nicht zu den Bessergestellten des Landes zählen dürfen, der Wind ins Gesicht wehen, vor allem Niedriglöhnern, den über sieben Millionen Empfängern staatlicher Transferleistungen, Asylbewerbern und sicher auch der radikalen Linken. Denn der frühere deutsche Statthalter des US-Finanzgiganten Blackrock ist nur einer Seite verpflichtet: den Eliten und ihren Claqueuren – sie sollen ihre Schäfchen in Ruhe ins Trockene bringen dürfen, während der große Rest sehen kann, wo er bleibt.

Kristian Stemmler


Mit der Bundestagswahl geht ein Wahlkampf zu Ende, der die ganze Verkommenheit der bürgerlichen Politik erneut in aller Deutlichkeit vor Augen geführt hat. Alle im Bundestag vertretenen Parteien – außer Die Linke – haben dem Affen Zucker gegeben. Soll heißen: Sie haben die anti-muslimischen und rassistischen Ressentiments in der Gesellschaft, die ohnehin in den vergangenen Jahren ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht hatten, in den zurückliegenden Tagen und Wochen nach Kräften weiter angeheizt. Vor allem Unionsparteien, AfD, FDP und BSW haben nach bewährtem Muster Geflüchtete zum Sündenbock für alle Probleme des Landes gemacht und damit – gewollt oder ungewollt – Hass und Hetze gegen alle Migranten Vorschub geleistet.

Die Weichen für diesen Verlauf des Wahlkampfs waren längst gestellt. Seit Monaten haben ja Politiker aller bürgerlichen Parteien, also auch SPD und Grünen, im Verein mit Konzernmedien und den öffentlich-rechtlichen Sendern an dem Bild gestrickt, die „illegale Migration“ sei das Problem Nummer eins. Keine Woche verging, ohne dass nicht irgendein Landrat, nicht selten von der Union, im TV lamentieren durfte, die Kommunen seien mit den vielen Asylsuchenden rettungslos überfordert. Schmutzblätter wie Springers Bild und Welt sorgen dafür, das Klischee vom kriminellen Syrer und Afghanen in den Hirnen der Leser zu verankern.

Dem CDU-Kanzlerkandidaten Merz und den Strategen im Berliner Konrad-Adenauer-Haus dürfte recht schnell aufgegangen sein, dass mit dem eigentlich intendierten Wirtschafts-Wahlkampf nicht viel zu gewinnen ist. Spätestens nach den Amokfahrten von Magdeburg und Aschaffenburg war klar, dass das verrohte Bürgertum und die aufgehetzten Teile der Arbeiterschaft mit Abschottungsfantasien und rassistischen Ausfällen gegen Geflüchtete am ehesten auf Touren zu bringen sind.

Die Fokussierung auf das Thema Migration im Wahlkampf hatte für Union & Co. den unschätzbaren Vorteil, dass über die soziale Frage kaum geredet wurde. Die Wuchermieten in deutschen Metropolen zum Beispiel, mit denen Wohnungskonzerne ihre Aktionäre mästen, waren kein Thema. Ebenso wenig das Auseinanderdriften der Gesellschaft. Praktisch auch für die CDU, dass über die Nähe von Friedrich Merz zum Finanzkapital so gut wie gar nicht gesprochen wurde. Immerhin war der Mann von 2016 bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender des deutschen Ablegers von Blackrock, einem gigantischen Finanzkonzern, der über zehn Billionen (!) Dollar verwaltet.

Wie der Publizist Werner Rügemer bereits im Dezember 2018 in diesem Blog konstatierte, ist Blackrock kein harmloser „Vermögensverwalter“, wie Merz und die Leitmedien es gern darstellen. Vielmehr sei der Konzern ein „Lobbyist der Superreichen, größter Insider der westlichen Wirtschaft, Verkäufer krisenverursachender Finanzprodukte, größter Organisator von Briefkastenfirmen, Lobbyist für die Privatisierung von Renten und Mietwohnungen und Finanzier von politischen Einfluss-Netzwerken“.

„Und die Kohle fällt nach oben“, sang Klaus Lage in seinem Lieder „Faust auf Faust“. Dafür ist Blackrock ein prima Beispiel. Das Wirken dieser Schweinefirma ist nur daraus ausgerichtet, die Reichen noch reicher zu machen, wie etwa die verheerenden Auswirkungen zeigen, die Blackrock auf dem deutschen Wohnungsmarkt zeitigt. Rügemer verwies in seinem Beitrag darauf, dass das Unternehmen Hauptaktionär großer privater Wohnungskonzere wie Vonovia ist und kritisierte: „So befördert Blackrock die Mietpreisexplosion in Deutschland und die Verarmung und Vertreibung vieler bisheriger Mieter und Familien.“

Dass der CDU-Chef seinem ehemaligen Arbeitgeber auch heute noch verbunden ist, bewies er im Januar diesen Jahres. Und zwar hattte Merz beim Weltwirtschaftsforum in Davos eine Rede bei einem von Blackrock ausgerichteten Abendessen gehalten. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warf ihm daraufhin vor, in der Außen- und Sicherheitspolitik auf „Deals“ setzen zu wollen. Denn auch Blackrock verstehe sich als „Dealmaker“. Das hätten viele Arbeitnehmer mit dem Abbau ihrer Arbeitsplätze oder der Abwicklung ihrer Firma bezahlt, so Mützenich. Der Linke-Kovorsitzende Jan van Aken wurde deutlicher. Blackrock stehe „weltweit für Druck auf Sozialstandards und Löhne“, sagte van Aken im Spiegel. Für ihn zeige sich, „dass Friedrich Merz immer noch eher das Format eines Finanzlobbyisten als das eines Staatsmannes hat“.

Was auf dieses Land mit einem Kanzler Merz zukommt, hat der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge dankenswerterweise in einem Beitrag für die Tageszeitung junge Welt im Februar zusammengefasst, der die treffende Überschrift „Wirtschaftspolitik: Neoliberal, unsozial, scheißegal“ trägt. Für seinen Text hat Butterwegge die sicher nicht angenehme Aufgabe auf sich genommen, ein 2008 erschienenes Buch von Merz durchzuackern. Es trägt den grotesken Titel „Mehr Kapitalismus wagen: Wege zu einer gerechten Gesellschaft“ und enthält so etwas wie das Glaubensbekenntnis des Kanzlerkandidaten der Union.

Das Buch macht eines in aller Klarheit deutlich: Die Marginalisierten des Landes haben von einem Kanzler Merz nichts zu erwarten. Der Mann ist nicht nur ein Rassist, er ist vor allem ein Sozialdarwinist. Für die Verlierer der Wettbewerbsgesellschaft – er spricht von „Unterschichten“ – hat er nur Verachtung übrig. Sie achteten nicht genug auf ihre Gesundheit, was häufiger Adipositas oder Diabetes zur Folge habe, so Merz. Deshalb steige ihr Risiko für Schlaganfälle, Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Gicht und andere Krankheiten drastisch und es sei „ein weiterer Abstieg der Unterschichten aus gesundheitlichen Gründen vorprogrammiert, wenn nicht einschneidende Maßnahmen ergriffen werden“.

Angesichts solcher Äußerungen überrascht es nicht, dass Merz sich daran stört, „dass in der politischen Auseinandersetzung unserer Zeit nahezu nur noch von Verteilungsgerechtigkeit die Rede ist und darunter ein an die Bürger verteilender Staat verstanden wird“. Sein politisches Glaubensbekenntnis besagt, „dass freier Kapital- und Warenverkehr, Wettbewerb, offene Märkte und individuelle Freiheit auch und gerade in den Sozialsystemen für den Wohlstand eines Landes und für jeden einzelnen weitaus mehr leisten können als jede noch so gut gemeinte, aber undifferenzierte oder unbezahlbare Forderung nach immer mehr ›sozialer Gerechtigkeit‹“.

„Friedrich Merz denkt nicht sozial“, schlussfolgert Butterwegge zutreffend. Im Wohlfahrtsstaat sehe er nur ein Wirtschaftsunternehmen, das „ein stärkeres Fundament aus Eigenkapital und Kapitalmarktorientierung“ benötige, weshalb eine „große Sozialstaatsreform“ nötig sei. Der „alles umsorgende Wohlfahrtsstaat alter Prägung“ sei nicht mehr länger bezahlbar. Der moderne Sozialstaat sei „paternalistisch“, weil er „zur umfassenden Regulierung des gesamten Lebensalltags der Gesellschaft“ tendiere, was mit einem „massiven Griff in die Taschen der Bürger und insbesondere der sogenannten Besserverdienenden“ einhergehe.

Merz schwebe als politisches Ziel kein moderner Sozialstaat vor, sondern nur ein neoliberaler Minimalstaat, schreibt Butterwegge. Niemand sollte von ihm erwarten, dass er als Bundeskanzler die Armut in Deutschland abschaffen werde. Natürlich sind dem heutigen CDU-Chef die Transferleistungen, die er als „Übertreibungen unseres Sozialstaats“ abqualifiziert, viel zu hoch. Sozialpolitik, die „zur reinen Gefälligkeitspolitik degeneriert“ sei, habe „wenig Platz in seinem kapitalfreundlichen und finanzmarktaffinen Entwurf“, so Butterwegge.

Umverteilung von unten nach oben sei der Kern von Merz‘ Politikkonzept, konstatiert der Politikwissenschaftler. Und genauso dürfte es kommen, wenn der Finanzlobbyist und frühere Blackrock-Statthalter ans Ruder kommen. Die 30 bis 40 Milliarden Euro, die Merz mehr in die Rüstung stecken will, werden zu Lasten von Bürgergeld-Empfängern, Asylsuchenden und anderen Empfängern von Transferleistungen gehen. Dafür dürften sich die Konzerne über ideale Bedingungen und die Bessergestellten über Steuerentlastungen freuen.

Widerstand gegen diese Politik wird eine unionsgeführte Bundesregierung mit verschärfter Repression begegnen. Weitere Einschränkungen der Versammlungsfreiheit sind zu erwarten. Polizei und Geheimdienste werden sicher nicht nur mit zusätzlichen Mitteln, sondern auch mit noch weiterreichenden Kompetenzen ausgestattet. Wenn es um Repression und Überwachung geht, gilt für den CDU-Chef das Credo vom schlanken Staat natürlich nicht.

Foto: Aufstand der Anständigen 02. Februar 2025 Berlin 08 by Stephan Sprinz,Creative Commons Attribution 4.0 International licens via wikicommon

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