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Ein Kommentar zum rassistischen Klassenkampf von oben

Friedrich Merz ist ein Rassist, das wissen wir alle. Daher brauche ich auch keine Tochter, um zu verstehen, dass er mit den Problemen im Stadtbild nicht die Folgen der Zerstörung der sozialen Infrastruktur durch die Kürzungen des Berliner Senats gemeint hat. Für Merz bemisst sich der Wert nicht-deutscher Menschen an der Frage, inwiefern das deutsche Kapital auf ihre Arbeitskraft angewiesen ist. Es gehört neben dem Lobbyismus für die herrschende Klasse zur DNA seiner politischen Karriere, regelmäßig rassistische Diskurse vom Zaun zu brechen und überall nach unten zu treten, wo sich die Gelegenheit dafür bietet. Wie Fabian Lehr in seinem Podcast bemerkte, weiß Merz natürlich zu jeder Zeit, was er mit seinen Aussagen bewirkt, denn auch wenn er sonst keine positiven menschlichen Eigenschaften besitzt, ist er auf jeden Fall kein Trottel. Die Große Koalition setzt den Weg der Ampel-Regierung fort, den Aufstieg der AFD durch ausländerfeindliche Politik verhindern zu wollen. Die Aussagen über „kleine Paschas“ oder darüber, dass die Ausländer den Deutschen die Arzttermine wegnehmen, werden von der rechten Presse dankend aufgegriffen, um den öffentlichen Diskurs weiterhin um das Thema der Nationkreisen zu lassen, was seit der Entstehung kapitalistischer Produktionsverhältnisse schon immer die beste Strategie war, um von der Klassenfrage abzulenken. Da die Armut in Deutschland infolge der Aufrüstung und der damit einhergehenden Sparpolitik in den nächsten Jahren rasant anwachsen wird, wird der Bezug auf die Nation für die herrschende Klasse umso wichtiger.

Von Christoph Morich


Rassistische Diskurse als Rationalisierung des autoritären Charakters

Der rassistische Kommentar von Merz und die daraus erwachsene Debatte über das Stadtbild sind nichts Neues, sondern reihen sich ein in alle anderen rassistischen Diskurse, die in Deutschland mal mehr und mal weniger offen geführt werden. Die Methode der Debatte, das eigene rassistische Weltbild dadurch zu rationalisieren, dass man auf „Problem“ in Bezug auf Menschen bestimmter Herkunft hinweist, wurde bereits in den Studien zum autoritären Charakter von Adorno beschrieben:

„Der Ausdruck ‚Problem‘, dem Bereich der Wissenschaft entnommen, wird dazu benutzt, den Anschein eindringlicher und verantwortlicher Überlegung hervorzurufen. Wer auf ein ‚Problem‘ hinweist, behauptet implizit persönliche Distanz vom fraglichen Gegenstand, gibt Objektivität vor. Das ist eine ausgezeichnete Rationalisierung für Vorurteile, denn es wird der Eindruck erweckt, als sei die eigene Haltung nicht subjektiv motiviert, sondern das Ergebnis angestrengten Nachdenkens und gereifter Erfahrung.“

Die Inszenierung durch die rechte Presse, jetzt endlich einmal über diese sonst angeblich tabuisierten Themen sprechen zu dürfen, ist ein eingeübtes Spiel. Immer wieder werden Wörter in den gesellschaftlichen Diskurs eingebracht, um die Ausländer zur eigentlichen Ursache aller Probleme in der bestehenden Gesellschaft zu erklären. So sind es in regelmäßigen Abständen auch immer wieder „Parallelgesellschaften“, die das Zusammenleben in Deutschland bedrohen. Diese Debatte bot den Anlass für den Song „Parallelen“ von Celo & Abdi, in dessen ersten zwei Zeilen mehr Erkenntnis steckt, als wir in den kommenden Monaten in der bürgerlichen Presse über die Frage des Stadtbilds und die richtige bzw. falsche Anzahl an Ausländern darin lesen werden.

„Hör zu, was Abdi sagt, Hunger in Afrika/ Parallel dazu isst du Hummer und Kaviar“.

Welche Parallelen, ob der Yachtverein im Grunewald oder das Shisha-Café in Neukölln, zu einem Problem erklärt werden, verrät in erster Linie etwas über das Subjekt, nicht das Objekt der Aussage. Dasselbe gilt für das „Problem im Stadtbild“ und die Erklärung, warum es mittlerweile so schwer ist, in Deutschland an Arzttermine zu kommen. Wo eine sachliche Debatte für scheinbar objektive Probleme proklamiert wird, geht es in Wirklichkeit um die subjektiven Motive des autoritären Charakters.

Das Märchen von der werturteilsfreien Analyse, die den Rahmen für diese Debatten absteckt, ist die Ideologie der herrschenden Klasse, durch die eine grundsätzliche Kritik an der bestehenden Ordnung verhindert werden soll. Doch niemand kann eine neutrale Beobachterposition einnehmen, die von außen auf die Gesellschaft blickt und nicht in einem normativen Verhältnis zu dieser Realität steht. Alle Individuen erschließen sich die Realität anhand bestimmter Kategorien, die sich durch die eigene Biographie herausgebildet haben. Jedes menschliche Bewusstsein ist das Produkt eines spezifischen Sozialisationsprozesses, in einer zeitlich und örtlich gebundenen Lebenswelt in einer bestimmten historischen Epoche der menschlichen Entwicklung. Die Wahrnehmung der Welt durch einen Neandertaler war eine andere als die eines Menschen des 21. Jahrhunderts, die eines Obdachlosen ist eine andere als die eines Bonzen, die von Kommunist:innen ist eine andere als die von Neonazis, die sich der eines Neandertalers wiederum annähert. Die Kategorien rassistischer Ideologien negieren die Freiheit und Gleichheit der Menschen, indem sie bestehende Unterschiede essentialisieren und auf erfundene Konstrukte wie Rasse, Nation oder Kultur zurückführen. Sie sind per definitionem ein Rückfall hinter die Aufklärung, egal wie sehr man sich anstrengt, den eigenen Rassismus durch den Bezug auf deren Errungenschaften, wie etwa Frauenrechte, zu legitimieren. „Das vornehme Wort ‚Kultur‘ tritt anstelle des verpönten Ausdrucks ‚Rasse‘, bleibt aber bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch“ (Adorno). Rechte Parteien, deren einziges Glückversprechen für die arbeitende Bevölkerung darin besteht, es anderen noch schlechter gehen zu lassen, bedienen genau diesen Wunsch, die eigene Aggression gegen jene zu richten, die in der gesellschaftlichen Hierarchie noch weiter unten stehen. Und solange die Proletarisierten sich in diesen kulturellen Kämpfen verlieren, braucht sich Merz um seinen Privatjet nicht zu sorgen.

Das Stadtbild im Kapitalismus

Anders als Friedrich Merz es gemeint hat, ist das Stadtbild aber natürlich voll von Problemen. Diese Probleme müssen durch die theoretische Vermittlung mit den sie produzierenden gesellschaftlichen Verhältnissen in ihrer Entstehung begriffen werden. Dafür muss zunächst einmal bestimmt werden, was als Problem im Stadtbild wahrgenommen wird. Zunächst erscheint das „Stadtbild“ als eine abstrakte Kategorie, unter der man erst einmal verstehen kann, was immer man möchte. Jede Stadt der Welt weist ziemliche Differenzen zwischen den einzelnen Stadtteilen auf, da Menschen in der Stadt in erster Linie nach Einkommensunterschieden segregiert werden. Das Stadtbild im Grunewald hat auf der Ebene der Erscheinung daher wenig mit dem am Kottbusser Tor gemeinsam, das Stadtbild in Marzahn ist ein anderes als in Steglitz. Neben diesen objektiven Unterschieden hat der Diskurs über das Stadtbild auch immer eine subjektive Komponente. Ich kann gemeinsam an der Warschauer Straße stehen und mich am Amazon-Tower stören, während für andere die daran vorbeilaufenden Ausländer das eigentliche Problem sind. Macht der neue Fahrradweg für manche die Stadt sicherer und grüner, beschneidet er für andere die Freiheitsrechte des Autofahrers. Während sich die einen durch verschärfte Präsenz der Polizei sicherer fühlen, werden andere durch deren Präsenz vertrieben und müssen statt im U-Bahnhof auf der Straße schlafen.

Das Verhältnis der Menschen zu ihrer Stadt vermittelt sich in erster Linie ökonomisch. Die Architektur einer Stadt formt sich anhand einer kapitalistischen Logik, für die Grund und Boden sowie Wohnraum in erster Linie eine Ware darstellen, mit der sich Profit erwirtschaften lässt. Wie die Menschen in ihrer Stadt leben und wohnen können, wird im Wesentlichen dadurch bestimmt, wie viel Geld sie besitzen, um sich die Stadt als Gebrauchswert zu erschließen. Für Menschen in Niedriglohnjobs und Sozialhilfeempfänger:innen sind die meisten Vorzüge der Stadt nicht zugänglich, da sie sich den Zutritt nicht leisten können. Die Gentrifizierung verschärft diesen Widerspruch, da Kommerzialisierung und Privatisierung für die meisten Menschen die Enteignung ihres Rechts auf Zugang zu diesen Gebrauchswerten bedeutet. Mit Freiräumen verschwinden in erster Linie Orte, die überhaupt noch frei zugänglich sind. Dieses Gewaltverhältnis wird durch das bürgerliche Recht gleichermaßen garantiert und verschleiert. „Das Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit verbietet es Reichen wie Armen, unter Brücken zu schlafen, auf Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.” (Anatole France) Gleichzeitig erlaubt es Reichen wie Armen sich eine Eigentumswohnung und jeden Morgen einen Chai Latte im neu eröffneten Café um die Ecke zu kaufen.

Die sozialen Verwerfungen, die diese Gesellschaftsform hervorbringt, sind im Stadtbild omnipräsent. Nicht im Grunewald, aber in den Teilen der Stadt, in denen die meisten Menschen hier leben. In Deutschland sind über eine halbe Millionen Menschen obdachlos, ca. 12 Millionen Menschen leben in Armut. Ob ich aber flaschensammelnde Rentner:innen und Obdachlose als ein Problem im Stadtbild erachte, hängt in erster Linie davon ab, inwieweit die menschliche Empathie in meiner Charakterstruktur durch die bürgerliche Kälte erstickt wurde. Daher auch die Gewissheit, dass Friedrich Merz diese Probleme nicht gemeint haben kann. Für die meisten Menschen aber ist eindeutig erkennbar, dass das sichtbare Problem von Armut in Berlin in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Die Schlangen an der Tafel und bei Essensausgaben für Obdachlose werden länger. Jede:r kennt den Anblick von Rentner:innen, die mit Taschenlampen die Mülleimer auf der Suche nach Pfand ableuchten. Und in den Berliner U-Bahnhöfen ist ein wachsender Anteil an jungen Migrant:innen unter den Menschen mit einem Drogenproblem zu beobachten. Ob ich mir nun einrede, dass diese Menschen mit dem Ziel ihr Heimatland verlassen haben, in Europa suchtkrank und kriminell zu werden, oder ob ich ein System aus Unsicherheit, Armut und Perspektivlosigkeit als die zugrundeliegende Dynamik begreife, die diese Menschen in den Abgrund treibt, ist eine Frage der Perspektive. Dieser Zusammenhang spielt aber genauso wie der Zusammenhang von Armut und Kriminalität in der öffentlichen Debatte kaum eine Rolle. Das Scheitern an den gesellschaftlichen Anforderungen wird individualisiert, indem es als Ausdruck mangelnden Charakters interpretiert wird, oder im Fall von Migrant:innen generalisiert, indem die Herkunft zur Ursache der Probleme erklärt wird. Die Herstellung einer kausalen Beziehung von Herkunft, sei sie genetisch oder durch den Pass definiert, auf Kriminalität ist eine der tragenden Säulen rassistischer Bewegungen weltweit.

Die Logik der Ausgrenzung in Zeiten der Überflüssigkeit

Eine materialistische Kritik der Gesellschaft zielt auf die systemischen Ursachen dieser Probleme, um ihre Entstehung zu begreifen. Armut und Obdachlosigkeit, die natürlich auch die Wahrscheinlichkeit erhöhen, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten, sind nicht naturgegeben oder eine Frage des Charakters, sondern werden gesellschaftlich produziert. In der DDR war die Obdachlosigkeit ein marginales Phänomen. In der BRD ist die Zahl der Obdachlosen in den letzten Jahren angewachsen, da viele sich eine Wohnung in den Städten schlichtweg nicht mehr leisten können. Während Familien sich am Wannsee eine Villa mit Seeblick teilen, wohnen andere zu sechst in einer 2-Zimmer-Wohnung in Neukölln. Wer heute wegen Eigenbedarf gekündigt wird, hat kaum noch eine Chance bezahlbaren Wohnraum zu finden. Das Recht auf Profit setzt sich über das Recht auf Wohnen hinweg. In letzter Konsequenz entsteht Obdachlosigkeit dann in Form der Zwangsräumung durch Gerichtsvollzieher und Polizei, deren Funktion es ist, die Bewegungsgesetze des Kapitals mittels Anwendung von Gewalt zu gewährleisten. Diese Dynamik wird sich durch die beschlossene Politik von CDU und SPD in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Die massive Aufrüstung der deutschen Gesellschaft steht in einem direkten Zusammenhang mit der Verarmung der breiten Massen, die sich in den nächsten Jahren auch auf das Stadtbild auswirken wird. Die geplanten Haushaltskürzungen in Berlin sind ein Rundumschlag gegen die soziale Infrastruktur der Stadt und betreffen u.a. kulturelle Angebote für Kinder und Jugendliche, Suchthilfeprogramme und Frauenhäuser. Die Meinung der Töchter spielt hierbei natürlich keine Rolle. Die Orte und Angebote, die für Menschen mit wenig Geld noch zugänglich sind, werden durch die Kürzungen immer weiter aus dem Stadtbild verschwinden und die Gentrifizierung wird die Städte für einen Großteil der Bevölkerung immer unbewohnbarer machen. Die Verschärfung der Asylgesetze und die Stilisierung von Migrant:innen zu einer Bedrohung, die ihnen die Teilhabe an der Gesellschaft verweigern, lässt deren Lebenssituation noch perspektivloser erscheinen und wird eine berechtigte Wut bei diesen Menschen entstehen lassen. Und natürlich ist nicht davon auszugehen, dass alle diese Menschen ihr Schicksal einfach regungslos hinnehmen und aus dem Stadtbild verschwinden werden, so wie es das „Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit“ für sie vorsieht.

Die neoliberale Politik, mit der die westlichen Staaten in den letzten Jahrzehnten auf die Überproduktionskrise des Kapitalismus reagierten, konzentriert den Reichtum in immer weniger Händen und lässt auf globaler Ebene weite Teile der Bevölkerung für die kapitalistische Produktion überflüssig werden. Diese Dynamik erzeugt eine verschärfte Logik der Ausgrenzung, durch die sich die Profiteure des Systems versuchen gegen dessen Verlierer abzuschotten. Auf internationaler Ebene werden die Grenzen des globalen Nordens militarisiert, um die Menschen aus den ärmeren – meist ehemals kolonialisierten – Ländern daran zu hindern, in die Zentren des Kapitalismus zu kommen, deren Bedarf nach billiger Arbeitskraft gesättigt ist. In seinem Buch ‚Planet of Slums‘ beschreibt Mike Davis wie in den Städten des globalen Südens eine „surplus humanity“, die keine Anstellung mehr im formellen Sektor des Kapitalismus findet, in den Slums unter unmenschlichen Bedingungen ihr Leben fristet. Da die Reichen sie als ein Sicherheitsrisiko betrachten, militarisieren sie die Städte und leben von Zäunen und Sicherheitsfirmen geschützt in gated communities. Bereits in den 90ern prophezeite die Weltbank, dass die Armut in den urbanen Räumen „das bedeutendste und politisch brisanteste Problem des nächsten Jahrhunderts“ werden wird. Zwar verlaufen die Grenzen in den europäischen Städten noch deutlich unschärfer, doch wird auch hier die Überwachung und die Aufrüstung der Polizei forciert. Die angekündigte Militarisierung der Gesellschaft, mit der eine Verarmung weiter Teile der Bevölkerung einhergehen wird, wird diese Tendenz weiter verstärken. Die Gentrifizierung wird die Kluft zwischen arm und reich in den Städten zusätzlich vergrößern. Die Bewegungsgesetze der kapitalistischen Gesellschaft werden das Stadtbild als Ganzes weiter nach dieser Logik der Abgrenzung formen; der Amazon-Tower, die Villa im Grunewald und die Obdachlosen am Kottbusser Tor stehen in einem Verhältnis, dass sie gegenseitig hervorbringt. Der Preis einer Villa im Grunewald lebt nicht zuletzt davon, dass die Obdachlosen am Kottbusser Tor bleiben. Und zahlungskräftige Investoren, die Menschen aus ihren Wohnungen vertreiben, haben nicht zu befürchten, vor den Eingängen ihrer Renditeobjekte durch den Anblick von Obdachlosencamps belästigt zu werden. Die Aufwertung einzelner Kieze wird immer von zunehmenden Razzien der Polizei begleitet, die Obdachlose aus dem dortigen Stadtgebiet vertreiben. Parallel zur Privatisierung des Reichtums erzeugt diese Gesellschaft eine Privatisierung des Leidens: die Überflüssigen sollen mit all ihren Problemen aus dem Stadtbild verschwinden.

Foto: The White House, Public domain, via Wikimedia Commons

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Schock: Israel begeht Verbrechen!

Ihr fällt es schwer über eine positive Zukunft zu sprechen, wenn es um Lebensgrundlagen und Völkerrecht geht. Sie reibt nervös ihre Hände und schluckt. Für alle sichtbar, nimmt sie theatralisch ihren Mut zusammen und spricht aus, was ihr mit Blick auf ihr geliebtes Völkerrecht so schwer zu schaffen macht: Luisa Neubauer, Klimaaktivistin und Nachwuchs-Baerbock, spricht als furchtlose Kämpferin für das Gute über die Lage in Gaza und das „was vor unserer Augen, jetzt gerade und schon viel zu lange passiert“.

Mit fast schmerzverzerrten Gesicht ringt sie sich mit dramatischen Sprechpausen sogar dazu durch, zu benennen, dass die israelische Regierung Völkerrechtsverbrechen begeht. Kämpferisch richtet sie sich an die neue Bundesregierung (die nun ja ohne die feministische Außenpolitik ihrer Grünen auskommen muss) und fragt „Wo ist die Bundesregierung, die das Völkerrecht verteidigt, wenn Netanjahu es mit Füßen tritt“. – Tosender Beifall des betroffenen Publikums. So viel Mut verdient schließlich Anerkennung und der Dank von Gazas sterbenden Kindern sollte Luisa damit wohl auch wirklich sicher sein!

Und auch ihre Partei meldet sich zu Wort. Genau die Grünen, die bis vor Kurzem noch als Regierungspartei aktiv die Solidarität mit Israel aufrechterhielten und eine Außenministerin Baerbock stellten, die als studierte Völkerrechtlerin erklärte, wieso die Angriffe Israels auf palästinensische Krankhäuser und Flüchtlingslager ganz und gar nicht im Konflikt mit dem Völkerrecht stünden, um das Luisa sich jetzt so sorgt. Auf einmal hört man aus allen Ecken so etwas wie Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung und Armee. Man könnte meinen, Israel hätte in den letzten Wochen plötzlich angefangen, Kriegsverbrechen zu begehen, Kinder in Massen unter Trümmern zu begraben und auszuhungern und Palästinenser:innen als Tiere zu bezeichnen und zu behandeln. Eine echte Überraschung von der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ und ihrer fortschrittlichsten Armee der Welt. Sorge darüber sehen wir in den Medien, wie der Politik. Der Spiegel fürchtet ein ‚Strapazieren‘ der deutsch-israelischen Beziehungen und selbst Menschenfreund Merz wagt es zu hinterfragen, welches Ziel Israel denn nun eigentlich verfolge, ein Angriff auf Kinderheime sei für ihn eine ‚menschliche Tragödie‘. Das Vorgehen ließe sich sogar nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terror begründen.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein stammelt sich im WDR-Interview holprig zusammen, wieso solche Kritik ab jetzt doch nicht mehr Ausdruck verinnerlichten Judenhasses sein müsse. Und beinahe noch zynischer: Die Leipziger Königin der Antideutschen, Linke-Abgeordnete Jule Nagel, teilt auf Instagram einen Beitrag der NGO medico international, mit dem bezeichnenden Zitat „EINES TAGES WERDEN ALLE IMMER SCHON DAGEGEN GEWESEN SEIN.“

Das bisherige Verhalten der nun ach so Besorgten

Warum diese Äußerungen vor allem bei denjenigen, die sich seit langem gegen den israelischen Staat und seine Misshandlung der palästinensischen Bevölkerung einsetzen, eher neue Wut als Begeisterung auslöst, wird schnell klar. All diese Akteure sind eben nicht Menschen, die sich bisher nicht getraut haben, eine eigene Meinung zum ‚komplizierten Nah-Ost-Konflikt‘ zu haben und erst in den vergangenen Wochen den Mut entwickelt haben, um ihre Meinung endlich gegen die erdrückende deutsche Staatsräson zu äußern. Nein, von Neubauer bis Nagel: Die, die sich jetzt als große Menschenfreunde inszenieren wollen, sind genau die, die diese Staatsräson spätestens seit dem 7. Oktober 2023 immer wieder mit aller Gewalt durchgesetzt haben:

Ne​ubauer​​ sorgte maßgeblich mit dafür, dass sich Fridays for Future Deutschland im Nachgang des 7. Oktober von den internationalen Fridays for Future Fraktionen distanzierte. Während die globale Klimabewegung, repräsentiert vor allem durch Greta Thunberg, selbstverständlich gegen die ethnische Säuberung Palästinas Stellung bezog und die Parole „No climate justice on occupied land“ prägte, blieben Neubauer und der größte Teil von FFF in Deutschland weiter stabil auf Linie der Staatsräson. Stimmen, die sich kritisch zu Israel äußerten, wurden, wie die Aktivistin Elisa Baş, als antisemitisch definiert und ausgeschlossen. Dass Neubauer in ihrer neu entdeckten Empathie für die Palästinenser:innen in keinster Weise eine selbstkritische Beschäftigung mit ihrem bisherigen Verhalten zeigt, lässt diese Empathie mehr als heuchlerisch erscheinen.

Das Statementvideo der Grünen sorgte auf Sozialen Medien schon für einigen Spott, indem die geheuchelten Mitleidsbekundungen und das vermeintliche Entsetzen über die humanitäre Lage in Gaza in Videos zusammengeschnitten wurden mit den menschenverachtenden Rechtfertigungsversuchen, die die Grünen und ihre Außenministerin Baerbock in der eigenen Regierungszeit immer wieder zur Rechtfertigung des israelischen Vorgehens vorgebracht hatten. Und wie bei Neubauer tun die Grünen so, als ob ihr angeblicher Schock in keinerlei Widerspruch zu ihrer bisherigen Politik stehen würden, mit der sie den Grund für ihr Mitleid selbst angefeuert haben.

Der neue Kanzler Merz stellt sich nun vor Kameras und wagt es ernsthaft, zu hinterfragen, ob das israelische Vorgehen rein als Reaktion auf den 7. Oktober und mit dem Ziel der Befreiung der Geiseln erklärbar sei. Im Vergleich zur Politik der Ampel fast schon sowas wie ein Aufruf zur nächsten Intifada. Dass Merz über die letzten Jahre nur zu gerne Stimmung gegen genau die Menschen gemacht hat, die diese Kritik von vornherein äußerten, findet dabei aber erwartungsgemäß keine Erwähnung. Wer schon vor Merz eigenen zweifelnden Äußerungen hinterfragte, was die eigentlichen Ziele der israelischen Offensive waren oder darin gar eine Fortsetzung der israelischen Politik der ethnischen Säuberung sah, war mit seinem angeblich „importierten Antisemitismus“ ein willkommener Grund für Merz, um seinen härteren Kurs gegen Migration zu fordern. Dass Felix Klein, seit 2018 Beauftragter des Bundestags für Antisemitismus, nun ins Schwimmen kommt, um zu begründen, wieso diese minimale Verschiebung hin zu so etwas wie einem objektiveren Blick auf die israelische Politik, nicht antisemitisch sei, ist also weniger ein Zeugnis dafür, wie ehrlich und fortschrittlich diese neuen Äußerungen sind. Vielmehr ist das ein Zeugnis für die Absurdität der Staatsräson und des verzerrten Antisemitismusbegriffs der vergangenen Jahre.

Die Krönung dieses geheuchelten Sinneswandels dürfte aber die sächsische Linke-Abgeordnete Jule Nagel sein, die den Post „eines Tages werden alle schon immer dagegen gewesen sein“ teilt. Geht es doch bei diesem Spruch gerade um genau die, die sich die letzten Jahre so aktiv gegen all jene eingesetzt haben, die sich gegen den Genozid stellten. Als Repräsentantin der „antideutschen Hochburg“ Leipzig trat Nagel in den letzten Jahren vor allem mit Hetze gegen die vermeintliche Gefahr eines Erstarkens „autoritärer roter Gruppen“ und den Lieblingsfeind der Staatsräson, den vermeintlichen linken Antisemitismus in Erscheinung. Dass eine Antideutsche, die noch in erster Reihe Palästinenser:innen, auch mit körperlicher Gewalt, von Demos in Leipzig schmeißen ließ, nun den genannten Post teilt, ist wohl die eindrücklichste Bestätigung für dessen Aussage. Wir haben einen Punkt erreicht an dem selbst die größten Unterstützer:innen des Genozids in Gaza, zumindest oberflächlich gegen diesen protestieren.

Die verlogene Doppelmoral ist noch nicht vorbei

Doch während sich online durchaus (neben erschreckend viel Zuspruch) breite Kritik an diesem unglaubwürdigen Sinneswandeln breit macht, gerät dabei oft in den Hintergrund, wie verlogen auch diese vermeintliche neue Solidarität mit den Palästinenser:innen ist.
In vielen dieser Statements gibt es nämlich gar keine so große Änderung des bisherigen Kurses. Ja, Neubauer und die Grünen sprechen das Leid der Menschen in Gaza tatsächlich offener an, als noch zuvor und kritisieren dabei auch das Vorgehen der israelischen Regierung. Eine wirkliche Einordnung dessen, was sie damit beschreiben, findet aber weiter nicht statt. Weit entfernt bleibt man da von einer Erklärung, in welchem Zusammenhang dieses genozidale Vorgehen mit dem Kern des zionistischen Staatsprojektes steht. Auch wenn es darum geht, Lösungsperspektiven aufzumachen, ist klar, bei wem bei aller Kritik an der rechten Netanyahu-Regierung weiterhin die eigentliche Verantwortung gesucht wird: Für einen Waffenstillstand muss die Hamas „die Geiseln freilassen, die Waffen niederlegen und mit den Angriffen auf Israel aufhören“. An der grundsätzlichen Erzählungen halten Neubauer, Grüne, Merz und Co also weiter fest. Grund für das Vorgehen Israels ist die Hamas auf die lediglich reagiert werde, neu ist nur, dass diese Reaktion neuerdings (!) als zu überzogen gesehen wird. Eine echte Abkehr von der bisherigen Propaganda-Strategie ist das alles also nicht. Geschweige denn vom tatsächlichen politischen Handeln. Für einen Stopp von Waffenlieferungen an Israel sind die Grünen nämlich nach wie vor nicht zu erweichen. Das arme Israel sei davor nach wie vor zu bedroht von seinen Nachbarstaaten. Und auch die Eskalation der Repressionswelle des deutschen Staates gegen palästinasolidarischen Aktivismus zeigt, dass es sich hier keineswegs um einen echten Kurswechsel der Staatsräson handelt. Die Polizeigewalt gegen die Nakba-Demo dieses Jahr in Berlin oder eine propalästinensische Demonstration in Leipzig kurz darauf, zeigen, dass der Staat, dessen Kanzler nun Fragen nach israelischen Kriegsgründen aufstellt, noch lange nicht bereit ist, Antworten auf genau diese Fragen ungestraft zuzulassen. Was wir beobachten ist also keine echte Zeitenwende in der deutschen Israel-Politik, sondern höchstens eine Verschiebung auf der Ebene des Diskurses. Und auch die ist nicht wesentlich mehr als eine vorsichtige Annäherung an das, was außerhalb deutscher Medien ohnehin klar ist: Israel begeht Kriegsverbrechen, die mittlerweile nicht einmal Vorreiter:innen der antideutschen Bewegung widerspruchsfrei rechtfertigen können.

Wieso überhaupt dieser Wandel der Worte?

Auch wenn die Veränderung im deutschen Diskurs nur oberflächlich und insgesamt überschaubar ist, im Vergleich zu der Unantastbarkeit Israels, die in Deutschland bisher herrschte, ist es doch interessant, wieso es nun überhaupt dazu kommt. Kriegsverbrechen, hungernde Kinder und Blockaden humanitärer Hilfe ließen die Staatsräson ja in den letzten Jahren auch nicht wanken. 

Doch etwas beginnt sich zu ändern. Im Kern hat sich weder die „Kriegsführungung“, noch das Ziel Israels, den vollständigen Genozid in Gaza zu vollenden, geändert. So sprachen Smotrich, Ben Gvir und co schon Anfang 2024 offen von der Umsiedlung und Auslöschung der Palästinenser in Gaza: 

„Wenn in Gaza 100 000 oder 200 000 Araber leben und nicht zwei Millionen, sieht die ganze Debatte über den ‚Tag danach‘ anders aus“. 

Haben die, die sich bisher auf Deutschland Staatsräson gestützt haben, diese Stimmen überhört? Oder warum waren bisher die kritischen Aussagen aus den Kreisen der jetzigen Retter des Völkerrechts so leise?

Mehr und mehr wird sichtbar, dass ein völlig frei drehendes Israel, welches zumindest mal die nächsten vier Jahre mit Trumps Rücken machen kann, was es will, wohl doch nicht DER Partner ist, den der deutsche Staat braucht.

War es die letzten Jahrzehnte ja auch weniger die „besondere moralische Verantwortung“ oder gar eine Politik der Menschlichkeit, die zur engen Partner- ja gar Freundschaft zwischen der BRD und Israel geführt hat, sondern vielmehr strategische Abwägungen und imperialistische Politik. 

Im geopolitischen Chaos der sich neu ordnenden Welt spielt der Mittlere Osten eine zentrale Rolle. Neue Handelsrouten, Rohstoffe, aber auch die zentrale Bedeutung für Religion und Kultur als Wiege der Menschheit – Für eine Großmachtstellung muss der Einfluss im Mittleren Osten gewährleistet sein. Dafür wurde über Jahrzehnte Deutschlands lange und enge Verbindung zur Türkei genutzt, doch die Partnerschaft wurde immer wieder auf die Probe gestellt. Ein Grund mehr auch auf Israel als strategischen, sicheren und verlässlichen Partner zu setzen. Dafür lässt sich schon immer mal hier und dort ein Auge zudrücken wenn es um illegale Besatzung oder Apartheidspolitik geht. Man ist ja unter Freunden.

Doch mittlerweile steigt die Gefahr, dass Israel die Stabile Partnerschaft mehr und mehr herausfordert. Da muss auch ein Israelfreund wie Merz ein wenig einlenken. Dass es dabei aber nicht um eine grundsätzliche Abkehr geht, stellte CSU Sprecher Hoffmann zuletzt klar:

Freunde kann man kritisieren, aber nicht sanktionieren. Das wäre das Ende der Staatsräson gegenüber Israel und das ist [..] nicht zu machen.

Völlig logisch daher, dass weiter Waffen an Israel geliefert werden. Dass Deutschland „weiterhin an der Seite Israels“ steht. Dass die Staatsräson weiterhin gilt.

Denn Deutschland braucht Israel. Als verlässlichen Handelspartner, als Importeur der Rheinmetall und ThyssenKrupp Waffen. Als Kooperationspartner für junge Tech-StartUps. 

Was tun?

Um gegen Imperialismus vorzugehen, können wir uns natürlich nicht auf den Staat verlassen, doch genauso wenig auf die Teile der (deutschen) Linken, die sich nach 2 Jahren aktiver Unterstützung für einen Genozid nun doch einmal dazu bewegen, auf eine Palästina-Demo zu gehen oder Kritik in ihrer Insta-Story posten. Diese Leute haben gezeigt, auf welcher Seite sie stehen. Doch die letzten Jahre haben außerdem gezeigt, dass die Palästina-Frage tausende Menschen weltweit bewegt. Die Unibesetzungen waren eine der größten globalen Jugendbewegungen, die es seit Jahrzehnten gegeben hat. Weltweit entstehen Protestbewegungen gegen den Genozid. Trotz massiver Repression werden auch jetzt wieder Unis sowohl in den USA, als auch in Europa besetzt und es werden weitere folgen. In Berlin gehen Woche für Woche tausende Menschen trotz extremer Polizeigewalt auf die Straße.

Diese Bewegung ist eine Antikriegsbewegung, die besonders ist, weil sie klare antikoloniale Positionen vertritt. Klar ist: Es geht um den Genozid in Gaza. Aber nicht nur Gaza steht im Fokus, sondern antikoloniale Kämpfe weltweit. Deshalb soll es auch nicht nur darum gehen, wer plötzlich was sagt, sondern wer wirklich ein Teil der globalen Bewegung ist. Und das ist sicher weder Merz noch die Grünen-Chefetage, sondern das ist die Jugend auf der Straße. Falsche Heucheleien und halbherzigen Positionierungen können daher gespart werden.

Und dabei sollten wir nicht blind drauf schauen wer auf welcher Seite steht. 

Richtig steht, wer auf die Menschlichkeit vertraut und der wahren internationalistischen Solidarität folgt. Wer als Privatperson erst durch den aktuell veränderten Diskurs bereit ist, auch offen gegen diesen Genozid zu protestieren, sollte dabei natürlich mehr als willkommen sein, wer aber aktiv zu seinen Unterstützer:innen gehört(e) und jetzt aus politischen Kalkül ein wenig mehr geheuchelte Empathie zeigt, ohne sich dabei ernsthaft von seinem bisherigen Handeln zu distanzieren, ist für einen antiimperialistischen Kampf wirklich nicht zu gebrauchen. 

Wir sehen uns auf der Straße!

Freiheit für Palästina!

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Es wird kalt in Deutschland. Denn wenn der Merz im Februar kommt, wird das kein Frühling werden, sondern eine neue gesellschaftliche Eiszeit. Eigentlich gilt die alte Journalistenregel „No games with names!“ – doch dieses Wortspiel drängt sich auf. Denn alles spricht dafür, dass nach dem Sieg der Unionsparteien bei der Bundestagswahl CDU-Chef Friedrich Merz Bundeskanzler werden wird. Und dann wird allen, die sich nicht zu den Bessergestellten des Landes zählen dürfen, der Wind ins Gesicht wehen, vor allem Niedriglöhnern, den über sieben Millionen Empfängern staatlicher Transferleistungen, Asylbewerbern und sicher auch der radikalen Linken. Denn der frühere deutsche Statthalter des US-Finanzgiganten Blackrock ist nur einer Seite verpflichtet: den Eliten und ihren Claqueuren – sie sollen ihre Schäfchen in Ruhe ins Trockene bringen dürfen, während der große Rest sehen kann, wo er bleibt.

Kristian Stemmler


Mit der Bundestagswahl geht ein Wahlkampf zu Ende, der die ganze Verkommenheit der bürgerlichen Politik erneut in aller Deutlichkeit vor Augen geführt hat. Alle im Bundestag vertretenen Parteien – außer Die Linke – haben dem Affen Zucker gegeben. Soll heißen: Sie haben die anti-muslimischen und rassistischen Ressentiments in der Gesellschaft, die ohnehin in den vergangenen Jahren ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht hatten, in den zurückliegenden Tagen und Wochen nach Kräften weiter angeheizt. Vor allem Unionsparteien, AfD, FDP und BSW haben nach bewährtem Muster Geflüchtete zum Sündenbock für alle Probleme des Landes gemacht und damit – gewollt oder ungewollt – Hass und Hetze gegen alle Migranten Vorschub geleistet.

Die Weichen für diesen Verlauf des Wahlkampfs waren längst gestellt. Seit Monaten haben ja Politiker aller bürgerlichen Parteien, also auch SPD und Grünen, im Verein mit Konzernmedien und den öffentlich-rechtlichen Sendern an dem Bild gestrickt, die „illegale Migration“ sei das Problem Nummer eins. Keine Woche verging, ohne dass nicht irgendein Landrat, nicht selten von der Union, im TV lamentieren durfte, die Kommunen seien mit den vielen Asylsuchenden rettungslos überfordert. Schmutzblätter wie Springers Bild und Welt sorgen dafür, das Klischee vom kriminellen Syrer und Afghanen in den Hirnen der Leser zu verankern.

Dem CDU-Kanzlerkandidaten Merz und den Strategen im Berliner Konrad-Adenauer-Haus dürfte recht schnell aufgegangen sein, dass mit dem eigentlich intendierten Wirtschafts-Wahlkampf nicht viel zu gewinnen ist. Spätestens nach den Amokfahrten von Magdeburg und Aschaffenburg war klar, dass das verrohte Bürgertum und die aufgehetzten Teile der Arbeiterschaft mit Abschottungsfantasien und rassistischen Ausfällen gegen Geflüchtete am ehesten auf Touren zu bringen sind.

Die Fokussierung auf das Thema Migration im Wahlkampf hatte für Union & Co. den unschätzbaren Vorteil, dass über die soziale Frage kaum geredet wurde. Die Wuchermieten in deutschen Metropolen zum Beispiel, mit denen Wohnungskonzerne ihre Aktionäre mästen, waren kein Thema. Ebenso wenig das Auseinanderdriften der Gesellschaft. Praktisch auch für die CDU, dass über die Nähe von Friedrich Merz zum Finanzkapital so gut wie gar nicht gesprochen wurde. Immerhin war der Mann von 2016 bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender des deutschen Ablegers von Blackrock, einem gigantischen Finanzkonzern, der über zehn Billionen (!) Dollar verwaltet.

Wie der Publizist Werner Rügemer bereits im Dezember 2018 in diesem Blog konstatierte, ist Blackrock kein harmloser „Vermögensverwalter“, wie Merz und die Leitmedien es gern darstellen. Vielmehr sei der Konzern ein „Lobbyist der Superreichen, größter Insider der westlichen Wirtschaft, Verkäufer krisenverursachender Finanzprodukte, größter Organisator von Briefkastenfirmen, Lobbyist für die Privatisierung von Renten und Mietwohnungen und Finanzier von politischen Einfluss-Netzwerken“.

„Und die Kohle fällt nach oben“, sang Klaus Lage in seinem Lieder „Faust auf Faust“. Dafür ist Blackrock ein prima Beispiel. Das Wirken dieser Schweinefirma ist nur daraus ausgerichtet, die Reichen noch reicher zu machen, wie etwa die verheerenden Auswirkungen zeigen, die Blackrock auf dem deutschen Wohnungsmarkt zeitigt. Rügemer verwies in seinem Beitrag darauf, dass das Unternehmen Hauptaktionär großer privater Wohnungskonzere wie Vonovia ist und kritisierte: „So befördert Blackrock die Mietpreisexplosion in Deutschland und die Verarmung und Vertreibung vieler bisheriger Mieter und Familien.“

Dass der CDU-Chef seinem ehemaligen Arbeitgeber auch heute noch verbunden ist, bewies er im Januar diesen Jahres. Und zwar hattte Merz beim Weltwirtschaftsforum in Davos eine Rede bei einem von Blackrock ausgerichteten Abendessen gehalten. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warf ihm daraufhin vor, in der Außen- und Sicherheitspolitik auf „Deals“ setzen zu wollen. Denn auch Blackrock verstehe sich als „Dealmaker“. Das hätten viele Arbeitnehmer mit dem Abbau ihrer Arbeitsplätze oder der Abwicklung ihrer Firma bezahlt, so Mützenich. Der Linke-Kovorsitzende Jan van Aken wurde deutlicher. Blackrock stehe „weltweit für Druck auf Sozialstandards und Löhne“, sagte van Aken im Spiegel. Für ihn zeige sich, „dass Friedrich Merz immer noch eher das Format eines Finanzlobbyisten als das eines Staatsmannes hat“.

Was auf dieses Land mit einem Kanzler Merz zukommt, hat der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge dankenswerterweise in einem Beitrag für die Tageszeitung junge Welt im Februar zusammengefasst, der die treffende Überschrift „Wirtschaftspolitik: Neoliberal, unsozial, scheißegal“ trägt. Für seinen Text hat Butterwegge die sicher nicht angenehme Aufgabe auf sich genommen, ein 2008 erschienenes Buch von Merz durchzuackern. Es trägt den grotesken Titel „Mehr Kapitalismus wagen: Wege zu einer gerechten Gesellschaft“ und enthält so etwas wie das Glaubensbekenntnis des Kanzlerkandidaten der Union.

Das Buch macht eines in aller Klarheit deutlich: Die Marginalisierten des Landes haben von einem Kanzler Merz nichts zu erwarten. Der Mann ist nicht nur ein Rassist, er ist vor allem ein Sozialdarwinist. Für die Verlierer der Wettbewerbsgesellschaft – er spricht von „Unterschichten“ – hat er nur Verachtung übrig. Sie achteten nicht genug auf ihre Gesundheit, was häufiger Adipositas oder Diabetes zur Folge habe, so Merz. Deshalb steige ihr Risiko für Schlaganfälle, Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Gicht und andere Krankheiten drastisch und es sei „ein weiterer Abstieg der Unterschichten aus gesundheitlichen Gründen vorprogrammiert, wenn nicht einschneidende Maßnahmen ergriffen werden“.

Angesichts solcher Äußerungen überrascht es nicht, dass Merz sich daran stört, „dass in der politischen Auseinandersetzung unserer Zeit nahezu nur noch von Verteilungsgerechtigkeit die Rede ist und darunter ein an die Bürger verteilender Staat verstanden wird“. Sein politisches Glaubensbekenntnis besagt, „dass freier Kapital- und Warenverkehr, Wettbewerb, offene Märkte und individuelle Freiheit auch und gerade in den Sozialsystemen für den Wohlstand eines Landes und für jeden einzelnen weitaus mehr leisten können als jede noch so gut gemeinte, aber undifferenzierte oder unbezahlbare Forderung nach immer mehr ›sozialer Gerechtigkeit‹“.

„Friedrich Merz denkt nicht sozial“, schlussfolgert Butterwegge zutreffend. Im Wohlfahrtsstaat sehe er nur ein Wirtschaftsunternehmen, das „ein stärkeres Fundament aus Eigenkapital und Kapitalmarktorientierung“ benötige, weshalb eine „große Sozialstaatsreform“ nötig sei. Der „alles umsorgende Wohlfahrtsstaat alter Prägung“ sei nicht mehr länger bezahlbar. Der moderne Sozialstaat sei „paternalistisch“, weil er „zur umfassenden Regulierung des gesamten Lebensalltags der Gesellschaft“ tendiere, was mit einem „massiven Griff in die Taschen der Bürger und insbesondere der sogenannten Besserverdienenden“ einhergehe.

Merz schwebe als politisches Ziel kein moderner Sozialstaat vor, sondern nur ein neoliberaler Minimalstaat, schreibt Butterwegge. Niemand sollte von ihm erwarten, dass er als Bundeskanzler die Armut in Deutschland abschaffen werde. Natürlich sind dem heutigen CDU-Chef die Transferleistungen, die er als „Übertreibungen unseres Sozialstaats“ abqualifiziert, viel zu hoch. Sozialpolitik, die „zur reinen Gefälligkeitspolitik degeneriert“ sei, habe „wenig Platz in seinem kapitalfreundlichen und finanzmarktaffinen Entwurf“, so Butterwegge.

Umverteilung von unten nach oben sei der Kern von Merz‘ Politikkonzept, konstatiert der Politikwissenschaftler. Und genauso dürfte es kommen, wenn der Finanzlobbyist und frühere Blackrock-Statthalter ans Ruder kommen. Die 30 bis 40 Milliarden Euro, die Merz mehr in die Rüstung stecken will, werden zu Lasten von Bürgergeld-Empfängern, Asylsuchenden und anderen Empfängern von Transferleistungen gehen. Dafür dürften sich die Konzerne über ideale Bedingungen und die Bessergestellten über Steuerentlastungen freuen.

Widerstand gegen diese Politik wird eine unionsgeführte Bundesregierung mit verschärfter Repression begegnen. Weitere Einschränkungen der Versammlungsfreiheit sind zu erwarten. Polizei und Geheimdienste werden sicher nicht nur mit zusätzlichen Mitteln, sondern auch mit noch weiterreichenden Kompetenzen ausgestattet. Wenn es um Repression und Überwachung geht, gilt für den CDU-Chef das Credo vom schlanken Staat natürlich nicht.

Foto: Aufstand der Anständigen 02. Februar 2025 Berlin 08 by Stephan Sprinz,Creative Commons Attribution 4.0 International licens via wikicommon

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