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Einen Tag nach dem 70. ‚Jubiläum‘ der Bundeswehr kam der Knall: Die Einigung zum neuen Wehrdienst steht. Schallendes Geklapper kommt aus den Gräbern der Nazis, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf Geheiß der USA die Bundeswehr aufgebaut hatten. Deutschlands zentrale Lage in Europa und der Zugang zur Nord- und Ostsee sind dabei nur die geografischen Bedingungen, welche einen Großmachtswahn schürten, der auch nach den beiden Weltkriegen nie erlosch.


Heute heißt es offen von der Bundesregierung, dass die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee Europas umgebaut werden soll. Seit der Gründung der Bundeswehr am 12. November 1955 sind 70 Jahre vergangen. Der Ruf wurde aufpoliert, so wie die alten Karabiner vom Wachbatallion, die einst auf Elsass und Schlesien zielten und jetzt in den regnerischen Himmel Berlins zum großen Hurra gestreckt werden. Mittlerweile befinden sich auch zahlreiche Migrant:innen in der Truppe. Auch der regenbogenfarbene Flecktarn wirbt mittlerweile für Diversität im Schützengraben, während Anton Hofreiter von der einstigen Friedenspartei, den Grünen, die Mähne im militärischen Takt der Snaredrums schwingt.

Doch heißt es immerfort von allen Seiten, dass das Heer noch nicht bereit für den Marschbefehl sei. Heute würden, so Kriegsminister Boris Pistorius, noch rund 80.000 Soldaten für die von ihm geforderte Kriegstüchtigkeit fehlen. Bis 2029 solle das Land bereit für den Showdown a.k.a. Krieg sein. Dazu, so stellte Pistorius im vergangenen Jahr fest, müsse man „durchhaltefähig und aufwuchsfähig“ werden. Schon damals ließen diese Worte aufhorchen, waren sie doch schon der eindeutige Fingerzeig in Richtung eines neuen Wehrdienstes, der jetzt in eine vorläufige Form gegossen wurde.

Wie die Resilienz geschmiedet wurde

Nun kommt die Forderung nach einer neuen Mobilmachung nicht von ungefähr – die Worte „Kriegstüchtigkeit, Resilienz und Wehrhaftigkeit“ haben schon weit vor Beginn des Ukrainekriegs eine neue Hochkonjunktur erfahren. Gleichermaßen wurde damit die Bevölkerung häppchenweise auf den neuen Kurs der Bundesrepublik eingeschworen. Wir seien bereits jetzt Teil eines hybriden Krieges, schallt es von den Rednerpulten. Desinformation, Destabilisierende russische Aktivitäten, Drohnen über Flughäfen und der Feind hört mit, wie es in den Jahren des Zweiten Weltkriegs zur Bekämpfung des Feindes im Inneren hieß. So kommt es nicht überraschend, dass am Ende dieser Fahnenstange heute die Wiedereinführung der Wehrpflicht steht.

Die Katze ist also aus dem Sack. Nach Monaten haben sich CDU und SPD geeinigt: Ab Januar 2026 wird allen ab 2008 geborenen Jugendlichen ein Fragebogen zugeschickt. Verpflichtend ist das Ausfüllen jedoch nur für die jungen Männer. Also: Wie viel Kilo drückst du auf der Bank, welchen Schulabschluss hast du und wie sieht’s denn nun aus mit dem Wehrdienst? Bock? Nein! Das darf man ja wohl noch fragen. Die Empörung und der Protest auf den Straßen halten sich bisher in Grenzen, steht ja noch die betonte Freiwilligkeit des Wehrdienstes im Vordergrund. Von Wehrpflicht soll nämlich noch gar nicht die Rede sein, auch wenn schon klar abzusehen ist, dass das Anwachsen des aktiven Heeres um weitere 80.000 Soldat:innen auf 240.000 aller Voraussicht nach nicht mit dem Versprechen nach 2000€ Besoldung netto im Monat zu machen ist.

Nach Phase 1, dem verpflichtenden Fragebogen, setzt ab dem 1. Juli 2027 Phase 2 ein. Von da an wird nämlich ein ganzer Jahrgang verpflichtend gemustert. Auf Herz und Nieren sollen die circa 300.000 Unglücklichen überprüft werden, ob sie den Anforderungen des kalten russischen Winters gewachsen sind. Schließlich sollen sie ja nicht im Schnee stecken bleiben, wie einst die Unternehmung Barbarossa, die 1941 vor Moskau von den Soviet-Armeen aufgerieben wurde. 

Ob du richtig stehst, siehst du wenn das Licht angeht.

Wie es von der Bundesregierung heißt, bleibt der freiwillige Wehrdienst als „besonderes staatsbürgerliches Engagement“ eben bis zu dem Punkt erhalten, wo die „besondere staatsbürgerliche Pflicht“, nämlich der verpflichtende Wehrdienst, greift. 

Der sogenannte Spannungsfall geistert nun auch schon seit einigen Monaten durch den politischen Sprachgebrauch. Einmal eingetreten würde er automatisch zum Einzug aller jungen Männer einer Generation führen. Der Spannungsfall stellt dabei die Vorstufe des Verteidigungsfalls dar, und muss mit einer 2/3- Mehrheit im Parlament beschlossen werden. Gemeint ist mit Spannungsfall eine „schwere außenpolitische Konfliktsituation“, die weder Frieden noch Krieg darstellen soll und erst einmal eine vollumfängliche Mobilisierung ermöglicht. Dabei geht es nicht nur um den Gang zur Waffe, sondern auch um das zwangweise Einsetzen von medizinischem Personal im militärischen Bereich, die Entscheidung, dass leicht verletzte Soldaten vor zivilen medizinischen Notfällen zu behandeln werden, oder auch die verpflichtende Herstellung von Rüstungsgüter durch zivile Unternehmen.

Nun aber nochmal ein paar Schritte zurück. Bis zum sogenannten Spannungsfall – und jetzt kommt wieder die Salami ins Spiel, die uns „eins nach dem anderen“ sagt, – behält sich Boris das Recht vor, die Lostrommel aus der Feldtasche zu holen. Falls die geplanten Zahlen der freiwilligen Beitritte ab 2027 nicht reichen sollten, werden die Glücklichen per Zufall bestimmt werden, die für 2000€ im Monat unter dem Trommelfeuer des Russen doch eigentlich einen Freudentanz darüber aufführen sollten, einen verhältnismäßig zukunftssicheren Job zugewiesen bekommen zu haben. Für die freiwilligen Heranwachsenden, die sich für die Bundeswehr entscheiden sollten, winkt gar schon jetzt der Gratis-Führerschein. Brauchen wird es aber auch mehr als gute Fahrkünste, wenn ein Eigeninteresse daran besteht, nicht schon auf dem Weg zur Front von dutzenden FPV-Drohnen pulverisiert zu werden.

Auch wenn der Wehrdienst laut dem Grundgesetz nur für Männer gilt, spielen Frauen eine entscheidende Rolle in der Rechnung. Frauen können ebenso im Spannungs- und Verteidigungsfall durch Zwang für die Arbeit hinter den Frontlinien, beispielsweise in Sanitätseinrichtungen, verpflichtet werden. Die Rolle als Geburtenmaschinen für zukünftige Generationen ist der Kriegslogik ebenso immanent wie die Gewissheit, dass nunmal nicht alle unversehrt von der Front zurückkommen werden und Krieg ganze Generationen Jugendlicher vernichtet.

Was tun Herr General?

Schonmal vorweg: Das Verhältnis von Revolutionär:innen zur Armee kann kein statisches sein, sondern muss reelle Chancen zur Kenntnis nehmen und bei bestehenden Widersprüchen ansetzen. Doch was heißt das konkret? Solange die Armee noch den Charakter einer professionalisierten Berufsarmee besitzt, deren Angehörige ideologisch getrimmt sind, ist die kollektive Wehrdienstverweigerung das Gebot der Stunde. Wer aus „Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert“, der könne auch einen Ersatzdienst ableisten, steht im Grundgesetz geschrieben. Innerhalb einer reinen Berufsarmee, wie es noch bei der Bundeswehr der Fall ist, sind nämlich die politischen Möglichkeiten begrenzt. Nicht umsonst gehört es zu den Kernaufgaben des Militärische Abschirmdienstes (MAD), im Vorfeld zwischen tauglichen Gehorsamen und unzuverlässigen Elementen, sprich Linken und anderen Subversiven, zu unterscheiden und die Spreu vom Weizen zu trennen.

Nichtsdestotrotz muss sich ein taktisches Verhältnis zur Armee entwickeln, welches nicht nur von blauäugigem Pazifismus gezeichnet ist und mehr kann als ein „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“. Auch wenn sicherlich die Überzeugungen, auf deren Grundlage wir unsere Taktiken und Strategien definieren, einen zutiefst humanistischen Charakter haben, müssen wir dort sein, wo Reibung besteht und wo es zu Widersprüchen kommt. Nicht ohne Grund war für die Kommunistischen Parteien in der 3. Internationalen die Devise, Zellen in den jeweiligen Armeen zu gründen, zu Agitieren und dadurch für ein rasches Ende des Kriegs zu arbeiten. Entsprechend der Erfahrungen der Oktoberrevolution in Russland waren es diejenigen, welche das Elend des Krieges unmittelbar vor dem eigenen Auge hatten, bei denen der Ruf nach einem proletarischen Internationalismus auf furchtbaren Boden fiel.

So zogen zum Ende des 1. Weltkriegs Agitatoren mit dem Wort des Kommunismus auf den Lippen durch die Schützengräben und Kolonnen von Soldaten strömten von der Front mit roten Fahnen in Ihre Heimatstädte und fanden sich in Arbeiter- und Soldatenräten zusammen. Auch in Deutschland wurde der Auslaufbefehl von den Kieler Matrosen verweigert und leitete die Novemberrevolution in ein, in deren Folge die Soldaten eine maßgebliche Rolle bei der Ausrufung und Verteidigung der Räterepubliken spielten. Die Waffen, einmal in den Händen des Proletariats, wurden nicht etwa weggeworfen, sondern mit einem neuen Selbstbewusstsein gegen die eigenen Herren gekehrt.

Auch wenn sich die Geschichte sicherlich nicht in genau der selben Form wiederholen wird, so bleiben doch die dem Krieg zugrunde liegenden Widersprüche die selben. Die Parole der Arbeiter:innenbewegung vor dem zweiten Weltkrieg „Krieg ist für die Reichen, die Armen werden Leichen“ hat nichts an Aktualität eingebüßt. Und so werden es auch bei den kommenden Kriegen die Ausgebeuteten, die Prolet:innen und die Marginalisierten sein, die weiterhin auf dem Boden die Grenzen für Kapitalinteressen abstecken müssen, welche nicht die ihren sind. Braucht es aber überhaupt erst einen Krieg, um zu erkennen, dass die eigentlichen Feinde der Klasse nicht auf der anderen Seite im Schützengraben liegen? Oder kommt es nicht gar im Krieg, wie es in der Ukraine und Russland der Fall ist, ohne eine wirkungsmächtige revolutionäre Organisation, statt zu einem proletarischen Internationalismus zu einem schwellenden Nationalismus, auf dessen Boden die Zärtlichkeit der Völker so bald keine Blüten mehr tragen wird.

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Jeden Monat veröffentlichen wir eine Übersetzung aus der Zeitung der Kommunistischen Partei Sudan, dem Al-Maidan. Dieser Artikel ist eine aktuelle Veröffentlichung zu den Massakern der RSF in Bara und El Fasher.  

Unsere Partei steht klar und entschieden gegen die entsetzlichen Massaker, die an Zivilist:innen in den Städten El Fasher und Bara sowie in anderen Gebieten von Kordofan und Darfur begangen werden – eine Haltung, die keinerlei Zweideutigkeit oder Rechtfertigung duldet.

Die Rapid Support Forces setzen ihre systematische Gewalt gegen unbewaffnete Zivilist:innen fort: Feldhinrichtungen, willkürliche Verhaftungen, Plünderungen und Zerstörung von Eigentum, Massenvertreibungen und das Erzwingen der Flucht der Bewohner:innen – und mehr, wie durch Berichte der Vereinten Nationen, Menschenrechtsorganisationen und der Medien dokumentiert und bestätigt wurde.

Diese höllische, systematische Gewalt ist das Ergebnis all der Kriege, die unser Land durchlitten hat – geprägt von Barbarei und dem Versagen, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Straflosigkeit war niemals die Ausnahme, sondern einer der Hauptgründe für die Wiederholung dieser Verbrechen. Das die Täter nicht zur Verantwortung gezogen wurden hat ein Umfeld geschaffen, das die Rückkehr von Kriegsverbrechen und Völkermord gegen die Bevölkerung von Städten und Dörfern ermöglicht, sobald sich die Kräfte des Regimes zurückziehen – wie in Bara und El Fasher zu beobachten ist.

Was wir heute erleben, ist eine Fortsetzung jener Politik, die seit den ersten Massakern in Darfur etabliert ist. Daher erfordert die Konfrontation mit diesen Verbrechen sofortige und entschlossene Rechenschaft für alle, die die Befehle erteilt oder ausgeführt haben.

Wir betonen außerdem, dass das Versäumnis, unbewaffnete Zivilist:innen zu schützen, und der Rückzug der Armee aus der standhaften Stadt El Fasher über Monate hinweg angesichts der Dschandschawid-Milizen, ein unverantwortlicher Akt ist, der Verurteilung und Rechenschaft erfordert. Die wichtigste Aufgabe der Armee besteht darin, die Bürger:innen und das Heimatland zu schützen – nicht sich selbst.

Wir in der Sudanesischen Kommunistischen Partei bekräftigen stets, dass das, was geschieht, kein bloßer militärischer Machtkampf ist. Es handelt sich vielmehr um eine komplexe Auseinandersetzung zwischen den parasitären Flügeln des Kapitalismus im Land um Macht und Ressourcen. Diese Kräfte haben ihren Reichtum und ihre Privilegien durch Korruption und die Ausnutzung der Macht zur Plünderung der Ressourcen angehäuft und nutzen bewaffnete Konflikte und Terror, um ihre Herrschaft zu festigen.

Gleichzeitig ist der Krieg ein regionales, internationales und imperialistisches Komplott, das darauf abzielt, den sudanesischen Staat zu schwächen und Bedingungen für Zersetzung und Spaltung zu schaffen – mit dem Ziel, die Fähigkeiten des Volkes, den Reichtum des Landes und die nationale Souveränität zu untergraben. Diese politische und wirtschaftliche Dimension des Konflikts (lokal, regional und international) legt der internationalen Gemeinschaft eine doppelte Verantwortung auf: sofort zu handeln, um diesen Krieg und diese Massaker zu beenden.

Wir, die Sudanesische Kommunistische Partei, rufen die Völker der Welt und ihre demokratischen Organisationen – an erster Stelle die kommunistischen und Arbeiterparteien –, ebenso wie Menschenrechtsorganisationen und das Gewissen der gesamten Welt, zur internationalen Solidarität mit dem sudanesischen Volk auf, das allein und standhaft einem brutalen Krieg entgegentritt, der nun in sein drittes Jahr geht – ohne Aussicht auf eine Lösung oder ein Ende.

Wir rufen zu weltweiten Volksbewegungen auf – auf den Straßen, in den Zeitungen, in den sozialen Medien oder auf andere Weise –, um den sofortigen Stopp des Krieges im Sudan und die Solidarität mit unserem Volk zu fordern.

Wir fordern außerdem, dass „weiche Erklärungen“ und formelle Appelle in praktische Schritte umgesetzt werden, um Zivilist:innen zu schützen, humanitäre Korridore zu öffnen, Hilfe zu leisten und neutrale, unabhängige Untersuchungen aller Kriegsverbrechen in unserem Land durchzuführen. Die Kritik und Verurteilungen internationaler und menschenrechtlicher Institutionen müssen durch konkrete Maßnahmen ergänzt werden: durch politische, wirtschaftliche und diplomatische Sanktionen gegen die Täter, durch ein Verbot des Waffenexports und der logistischen Unterstützung für die Verbrecher und durch die Überweisung der Verbrechen an unabhängige internationale und nationale Justizorgane.

Wir fordern außerdem:

  1. Einen sofortigen Waffenstillstand, die Ausrufung einer humanitären Waffenruhe und die vollständige Öffnung humanitärer Korridore nach El Fasher sowie in andere Gebiete von Darfur, Bara und ganz Nord- und Südkordofan – mit dem Schutz der Hilfskonvois.
  2. Eine rasche, unabhängige und transparente internationale Untersuchung der Kriegsverbrechen und die Rechenschaft aller, die diese begangen, angeordnet oder dazu beigetragen haben.
  3. Dringendes Handeln der Völker der Welt, ihrer demokratischen Kräfte und Menschenrechtsorganisationen, um Staaten und internationale Institutionen unter Druck zu setzen, jegliche Unterstützung oder politische bzw. militärische Komplizenschaft mit den Verantwortlichen der Verbrechen zu beenden.

Gleichzeitig rufen wir die Avantgarde unseres Volkes, die Kräfte der Volksmobilisierung und die demokratischen Kräfte auf, ihre Reihen zu vereinen, den friedlichen Massenkampf zu intensivieren und politische Initiativen zu entwickeln, die darauf abzielen, den Krieg zu beenden, die Macht von den De-facto-Regierungen in Port Sudan und Nyala zu entreißen und auf den Weg der Revolution zurückzukehren, um einen zivilen, demokratischen Staat aufzubauen, der die Menschenrechte schützt und soziale Gerechtigkeit verwirklicht.

  • Wir werden nicht zulassen, dass die Zeugnisse der Opfer in bloßen Beileidserklärungen ohne Konsequenzen begraben werden. Das Blut schreit nach Gerechtigkeit – nach echtem Schutz und Rechenschaft.
  • Stoppt das Töten. Öffnet die Korridore für Hilfe. Bringt die Täter vor Gericht.
  • Gerechtigkeit für die Opfer – und Freiheit und Frieden für das Volk des Sudan.

Sudanesische Kommunistische Partei

29. Oktober 2025

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Ein Esel läuft ganz gemächlich vor unserem zerbeulten Hyundai mit den schwarz getönten Scheiben. Unsere viel zu leise Hupe stört das Getier nicht und so geht es störrisch weiter, mitten auf der Fahrbahn. Gegenverkehr kommt keiner und eilig haben wir es auch nicht. Also lassen wir die Scheiben runter, drehen die Klima-Anlage aus und zünden uns eine Zigarette an. Rote Gauloises. So paffen wir vor uns hin, während die Sonne allmählich ihren Zenit erreicht haben dürfte. Den Esel scheinen die knapp 50 Grad nicht zu stören. Er setzt gemächlich einen Huf vor den anderen, bis das Bild langsam verblasst.

Das Aufwachen bringt die Erkenntnis mit sich, dass ich Nord- und Ostsyrien mittlerweile mit Berlin getauscht habe. Statt frisch gemolkener Kuhmilch und selbstgemachtem Joghurt ergießt sich zum Frühstück der letzte Schluck Hafermilch in die Kaffeetasse. Der durchdringende Blick auf den Kaffeesatz bringt mir heute keine Erkenntnis über die Zukunft, also dann schauen wir mal, was die Fakten sagen.

Von Ulrich Weber

Eine neue Realität in Syrien

Nur wenige hundert Kilometer vom kaputtgebombten Gaza entfernt sprechen auch an den Frontlinien in der Nähe des Euphrats wieder die Waffen. Nachdem seit April dieses Jahres vermeintliche Ruhe über der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens eingekehrt war, sind nun wieder Bilder von Grad-Raketenwerfern zu sehen, die in das Dunkel der Nacht ihre Raketen spucken.

Zeitgleich zu dem Vorstoß von HTS, dem syrischen Al-Qaida-Ableger, auf Damaskus griff die an der Seite der HTS kämpfende „Syrische Nationalarmee“ (SNA) die selbstverwalteten Gebiete Nord- und Ostsyriens an. Nach Monaten schwerster Gefechte und dem Rückzug der „Befreiungskräfte Afrins“ (HRE) aus der Region Shehba und schlussendlich der SDF aus der Großstadt Minbic verlagerte sich die Front zunehmend auf die natürliche Verteidigungslinie des Euphrat-Flusses. Zehntausende Islamisten und sämtliche türkische Kriegstechnik aus NATO-Beständen wurden von da an zur Frontlinie geworfen. Trotz der absoluten türkischen Lufthoheit konnten die Landzunge um Dair Hafir, der Tishrin-Staudamm und die Qerecozax-Brücke als die wichtigsten Verteidigungspunkte gehalten werden.

Alsbald wurde man Zeuge von den neuen militärischen Kapazitäten der SDF. Gerade an Tagen mit geschlossener Wolkendecke, an denen die türkischen Kampfdrohnen quasi blind waren, mussten die Islamisten schwere Schläge einstecken. In dutzenden von den SDF veröffentlichten Videos war zu bestaunen, wie kleine FPV-Drohnen im feindlichen Hinterland Jagd auf türkische Radarsysteme, Panzer und verschanzte Bandenmitglieder machten und mit einem kleinen Puff und Peng millionenschwere Kriegstechnik zerstörten. An den meisten Frontlinien war es also die Fähigkeit, auf Distanz kämpfen zu können, welche im Gegensatz zu vergangenen Kriegen die Entscheidung über Sieg oder Niederlage herbeiführte. Somit war aber auch unter den Gefallenen der SDF fast niemand mehr, der durch direkten Feindkontakt, sprich durch eine Kugel, gefallen ist.

Trotz der schweren Schläge, die ohne Zweifel durch den Rückzug aus Shehba und den militärischen Fall Minbics eingesteckt wurden, konnte mit der zunehmenden Länge des letzten Krieges unter Beweis gestellt werden, dass die SDF durchaus in der Lage dazu sind, trotz eines an Feuerkraft und Technik weit überlegenen Feindes die Frontlinien zu stabilisieren und teilweise die militärische Initiative zu übernehmen.

Jolani und Mazlum Abdi reichen sich die Hand

Der Blick auf den Kalender verrät, dass fast ein halbes Jahr seit dem Abkommen vom 10. März vergangen ist, welches zwischen dem Generalkommandanten der SDF und Jolani in Damaskus unterzeichnet wurde. (Jolani hat mittlerweile diesen Kampfnamen, den er als Chef des syrischen Al-Qaida Ablegers HTS getragen hat, abgelegt. Mittlerweile ist er der selbsternannte syrische Übergangspräsident und nennt sich wieder nach seinem bürgerlichen Namen Ahmed al-Scharaa) 

Wie später aus Erklärungen des SDF-Generalkommandanten Mazlum Abdi hervorging, wurde das Abkommen zu diesem Zeitpunkt geschlossen, um eine weitere großflächige militärische Eskalation zu verhindern. Wenige Tage zuvor war es nämlich zu Kämpfen an der Küste gekommen, in deren Folge tausende Alawit:innen von der HTS massakriert wurden.

Logistisch soll die Zusammenkunft insbesondere von den USA ermöglicht worden sein. Als Ergebnis des Treffens wurde eine Frist bis zum Jahresende gesetzt, innerhalb derer die zwischen Jolani und Mazlum Abdi unterschriebenen acht Punkte umgesetzt werden sollten. Infolge der Gespräche wurden somit ab April die Angriffe der SNA zunehmend weniger. Auch türkische Luftschläge blieben erstmals seit Jahren des intensiven Drohnenkriegs aus.

Die Spuren der Kämpfe sind aber in der sonst so friedlich anmutenden Landschaft noch lange nicht verwischt. Der zersplitterte Stahlbeton und die Einschusslöcher in den Wänden der kleinen Gemeinde Sirrin, südlich von Kobane, kommen einer Mahnung und dem Ruf zu Wachsamkeit gleich. Bis hierhin hatte es nämlich um den letzten Jahreswechsel die SNA geschafft – bis sie wieder auf die andere Seite des Euphrats gejagt wurde.

Wenig Zeit ist ebenso vergangen seitdem die ausgebrannten Autowracks auf dem Tishrin-Staudamm zusammengestellt und das gesprungene Glas weggefegt wurde. Das Schwarz von den Granat-Explosionen konnte der wenige Regen noch nicht vom Asphalt wegwaschen. Diese Spuren sind bleibendes Zeugnis von den über 100 Tagen des Protestes, bei denen 24 Menschen getötet und über 700 teilweise schwer verletzt wurden. Nach Monaten, in denen die SNA versuchte, mit türkischer Unterstützung in die Gebiete östlich des Euphrats zu gelangen, wurde am 5. Mai der symbolische Sieg der militärischen Verteidigung und der zivilen Proteste über die dschihadistischen Angreifer erklärt.

Öl ins Feuer – Showdown in Aleppo

Jetzt haben die Angriffe der SNA auf die Verteidigungsstellungen der SDF um den Staudamm erneut begonnen. Auch weiter südlich kommt es bei der Landzunge von Dair Hafir wieder zu regelmäßigen Gefechten. Eine neue Militäroperation scheint somit nur eine Frage der Zeit zu sein, wofür auch die türkischen Transporte schwerer Waffensysteme in die Gegend zwischen Aleppo und Dair Hafir sprechen. Ganz unabhängig davon, ob der sich anbahnende Angriff einen begrenzten Umfang haben wird oder nicht, birgt er das Potenzial einer weitaus größeren Eskalation. Zum jetzigen Stand ist das neue Regime noch damit beschäftigt, zu gucken, wie weit es gehen kann, und mit Einzelangriffen die Defensivkapazitäten der SDF abzuklopfen. Konkreter wird es bei der Straße nach Dair Hafir, die vor wenigen Tagen mit Geröll zugeschüttet wurde. Ebenso bleibt die Situation der beiden kurdischen Bezirke, Sheikh Maqsoud und Ashrafiyah in der ansonsten von HTS kontrollierten Metropole Aleppo auch nach Einstellung der Gefechte gespannt.

Was war eigentlich los? Nachdem die Mehrzahl der Verbindungsstraßen in die beiden selbstverwalteten Stadtteile bereits vor einigen Tagen abgekappt und Kampfstellungen von HTS rund um diese errichtet wurden, folgten Montag Nacht, den 6. Oktober, erste schwere Gefechte. Vorausgegangen waren Proteste kurdischer und arabischer Einwohner gegen die Blockade, welche zunächst von Drohnen der HTS aufgeklärt und dann später von der neuen Anti-Riot Polizei des Regimes angegriffen wurden. Nachdem ein wahrer Regen von Steinen auf die Cops niederging, wurde scharf geschossen und Schützenpanzer und Soldaten wurden von HTS und der SNA zum Angriff herangezogen. Bis in die tiefe Nacht ging der Schlagabtausch, wobei die Banden keinen Fuß in die selbstverwalteten Stadtteile setzten konnten. Stattdessen konnten die inneren Sicherheitskräfte von Sheikh Maqsoud und Ashrafiyah zahlreiche der neuen Gefechtsstellungen einnehmen.

Als Reaktion auf den Angriff begann kurz darauf die Mobilisierung der an der Dair-Hafir-Front stationierten SDF-Spezialeinheiten. Im Falle einer anhaltenden Eskalation wäre es vermutlich zu einem Interventionsversuch in der ca. 60 Kilometer von Dair-Hafir entfernten Stadt gekommen. Bereits im vergangenen Jahr konnte ein solcher Korridor bis nach Aleppo etabliert werden. Zum jetzigen Zeitpunkt haben die Gefechte aber aufgehört, auch wenn Berichte über einen Waffenstillstand noch nicht von offizieller Seite aus bestätigt wurden. 

Warum gerade Aleppo eine so wichtige Rolle zukommt, lässt sich dadurch erklären, dass die Stadt de facto das Pilotprojekt der Umsetzung des 10. März-Abkommens darstellt. Nach einem gegenseitigen Gefangenenaustausch im April wurden ebenso gemeinsame Kontrollpunkte der beiden Sicherheitskräfte etabliert. Somit sollte eine Koexistenz aufgebaut werden, in der aber die Kontrolle über die Inneren Sicherheitskräfte bei den Räten der selbstverwalteten Bezirke verbleibt. Als Zeichen des guten Willens und im Rahmen der Vereinbarungen war vor wenigen Monaten ein öffentlichkeitswirksamer Abzug der in der Stadt stationierten Einheiten der YPG und YPJ zu sehen. Es ist absehbar, dass hier aber nichts dem Zufall überlassen wurde und die militärische Selbstverteidigungsfähigkeit davon unberührt blieb.

Versuch eines Ausblicks

In Rojava ist die Möglichkeit eines großen Krieges seit Jahren ein dauerhaftes Thema. Drohungen à la „Eines Nachts kommen wir über euch“ rufen mittlerweile nur noch ein müdes Lächeln hervor. Was auch immer kommen mag – die SDF und die Bevölkerung sind vorbereitet und ein Krieg, so schlimm auch seine Folgen wären, schafft auch immer die Möglichkeit, das Kräftegleichgewicht zu eigenen Gunsten zu verschieben. Nicht ohne Grund heißt es dieser Tage aus den Führungsebenen der SDF immer wieder, dass diese im Falle eines Kriegs selber entscheiden würden, wie er geführt werde und wo dieser ende. Darin steckt der klare Fingerzeig in Richtung Damaskus und Jolani: Weder akzeptieren wir dich noch eure sogenannte Übergangsregierung.

Noch verbleiben für die Umsetzung des 10. März-Abkommens auf dem Papier knappe drei Monate. Für die kurdische Freiheitsbewegung steht dabei fest, dass Rojava und die Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens eine rote Linie darstellen. Zur gleichen Zeit ist der türkische Staat wenig erbaut darüber, dass die SDF keine Anstalten machen, die Waffen niederzulegen oder sich bedingungslos unter das neue Verteidigungsministerium einzugliedern. Gerade deshalb, wird die Möglichkeit einer gemeinsamen HTS-Türkei Militäroperation heiß diskutiert und am Mittwoch den 8. Oktober wollen der syrische und türkische Außenminister konkret darüber beratschlagen.

Die jetzige Realität der Jolani-Herrschaft spricht Bände über die Verfasstheit der syrischen „Übergangsregierung“. Die unterschiedlichen Gruppen innerhalb der SNA wurden nämlich nur formell in das neue Verteidigungsministerium eingegliedert. Zur Realität gehört auch die Tatsache, dass die Anzahl der unter dem Befehl von Damaskus stehenden Soldaten weitaus geringer ist, als die der SNA. Diese wollen wiederum in den von ihnen kontrollierten Gebieten de facto nichts von der Befehlsgewalt Damaskus wissen und agieren nach eigenem Belieben. Bei genauerem Blick auf die Charaktere innerhalb der SNA kann sich auch der Letzte versichern, dass mit diesen Gestalten kein Gut-Kirschen-Essen ist. Vor wenigen Monaten wurde der Milizführer Abu Hatem Shaqra, der für die Hinrichtung der kurdischen Politikerin Hevrin Xelef auf offener Straße im Jahr 2019 verantwortlich ist, offiziell zum Kommandanten der 86. Division im Norden des Landes ernannt. Ebenso mit von der Partie ist ein gewisser Abu Amsha, der in den Wirren des syrischen Bürgerkriegs durch seine Verbindung zur Türkei vom Landwirt zu einem der berüchtigsten Warlords mutierte und kurz vor seiner offiziellen Eingliederung in das Ministerium die Massaker an den Alawit:innen befehligte.

Schon wieder die USA

Nicht erst die Massaker an der Küste und später an den Drus:innen im Süden des Landes haben gezeigt, wessen Geistes Kind Jolani ist. Und so hört man nicht selten auf den Straßen, dass nun der IS mit gestutztem Bart und gebügelter Krawatte die Macht übernommen hat. Der Panarabismus, der bis zum Sturz Assads die oberste Losung war, wurde damit gegen einen nationalistischen Islamismus getauscht. Besonders brisant, wie sollte es auch anders sein, war das Mitwirken Großbritanniens und der USA, welche durch NGOs bereits vor geraumer Zeit daran arbeiteten, Jolanis Ansehen in der Weltöffentlichkeit aufzupolieren. Später sollten diese inoffiziellen Organisationen um den Jahreswechsel auch den direkten Kanal für den Dialog zwischen HTS und den SDF herstellen.

Syrien ist mittlerweile wieder aus dem Blickfeld der Weltöffentlichkeit gerückt. Die nächsten Monate, komme was wolle, haben das Zeug dazu, das Machtgefüge im gesamten Mittleren Osten zu verändern. Wie mit dem Sturz des Assad-Regimes die Verbindung der „Achse des Widerstands“ zwischen dem Iran über Irak bis in den Libanon und nach Palästina gekappt wurde, so werden weitere Auseinandersetzungen zwangsläufig die Regionalmächte Israel und Türkei auf den Schirm rufen, welche seit dem 7. Oktober 2023 fleißig die Säbel rasseln lassen. In all diesem Gewirr von Machtinteressen sind es aber auch die USA, die zu guter Letzt für einen möglichen Angriff von HTS und der Türkei grünes Licht geben müssen. Wenn es nach dem US-Sonderbeauftragten für Syrien Tom Barrack ginge, der in seinem zweiten Leben Leiter eines internationalen Immobilien-Imperiums ist, dann wäre das wahrscheinlich schon längst geschehen. Klar ist, dass die USA gerne ein zentralisiertes Syrien hätten, was sich jedoch nach den Massakern schwerlich als die beste Lösung verkaufen lässt. Auch wenn die USA Jolani noch nicht gänzlich trauen, so gibt die Rückendeckung der Golfstaaten für Jolani Sicherheiten, da diese mittlerweile den gesamten Immobiliensektor Syriens unter sich aufgeteilt haben.

Die Schuld soll nun wie immer der kurdischen Freiheitsbewegung, den SDF und der Autonomen Administration zugeschoben werden, welche es dem neuen Vorzeigedemokraten Al-Jolani, der nun mit gekürztem Bart und Pomade seine Lackschuhe auf internationalem Parkett schwingen darf, nicht recht mit der Integration machen wollen. Auch wenn das Verhältnis zur Zeit ein sehr schwieriges ist, dauern die direkten Verhandlungen zwischen der SDF und HTS noch an.

„Ci dibe bila bibe“

Umgeben von vielen Feinden sind es bitterernste Bedingungen, in denen die Revolution von Rojava geschickt taktieren und gleichzeitig ihren Charakter und ihre Glaubhaftigkeit verteidigen muss. Taktiken und Strategien entstehen nämlich nie im luftleeren Raum, sondern müssen sich immer auf die reellen Verhältnisse und Möglichkeiten beziehen, was heißt, dass das Laufen auf zwei Beinen überlebensnotwendig ist. Das bedeutet, dass zum einen langfristig und parallel zur Realpolitik das eigene politische Projekt gestärkt werden muss, während es auf der anderen Seite vielleicht zu Kopfschmerzen führt, Verhandlungen mit den USA zu führen, um einen weiteren größeren Krieg zu verhindern. Und ja, mittlerweile sind die SDF zahlenmäßig die größte Armee in Syrien und die Notwendigkeit des Ausbaus der eigenen Verteidigungskapazitäten steht gerade mehr denn je auf dem Plan. Dem Zufall wird nämlich nichts überlassen, geschweige denn den Amis. Alles sieht also danach aus, dass sich das Kapitel des syrischen Bürgerkriegs nicht allzu bald schließen wird.

Langsam fallen mir meine Augen zu. Der Esel trabt immer noch vor uns. Ich zünd mir noch ’ne Kippe an. Ci dibe bila bibe – was auch immer kommen mag, es wird weitergehen.

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Wer ist Shabir?

Shabir Baloch war ein prominenter belutschischer Studentenführer, der als zentraler Informationssekretär der Baloch Students Organization–Azad (BSO-Azad) tätig war. Am 4. Oktober 2016 wurde er während einer Militäroperation in Gowarkop im Distrikt Kech in Belutschistan von pakistanischen Sicherheitskräften entführt. Seine Frau und seine Familienangehörigen wurden Zeugen der Entführung. Seitdem ist sein Verbleib unbekannt. Amnesty International veröffentlichte einen dringenden Aktionsaufruf (UA 232/16), in dem gewarnt wurde, dass Shabir ernsthaft von Folter und außergerichtlicher Hinrichtung bedroht sei. Trotz wiederholter Appelle haben die pakistanischen Behörden weder seine Inhaftierung bestätigt noch ihn vor Gericht gestellt. Seine Familie, insbesondere seine Frau Zarina und seine Schwester Seema, haben einen unermüdlichen Kampf geführt und Proteste, Sitzstreiks und Aufklärungskampagnen in Belutschistan, Karatschi und Islamabad organisiert.

Shabirs Fall ist zum Symbol für Tausende von Fällen von Verschleppungen in Belutschistan geworden, wo der Staat nicht nur Krieg gegen die Körper seiner Bevölkerung führt, sondern auch gegen ihr Gedächtnis, ihre Würde und ihren Widerstand.

Der Brief

An meinen geliebten Shabir,

ich sende dir meine Grüße. Ich kann dich nicht nach deinem Befinden fragen, denn in den Gefängnissen und Folterkammern dieses Staates geht es niemandem gut.

Shabir, seit diesem Tag, dem 4. Oktober 2016, sind die Farben unseres Lebens verblasst. Belutschistan sieht mehr denn je wie ein Kriegsgebiet aus. Jeden Tag verschwinden Menschen gewaltsam, und unzählige Leichen werden auf verlassene Straßen und in die Dunkelheit der Nacht geworfen.

Du hast bei deinen Versammlungen oft gesagt, dass der Staat die Belutschen wie Tiere behandeln würde. Damals habe ich das vielleicht nicht ernst genommen. Aber heute, wo ich diese Grausamkeit mit eigenen Augen sehe, treffen mich deine Worte jeden Tag wie ein Stich ins Herz. Ich hätte nie gedacht, dass ich, deine Schwester, dir eines Tages von diesen Umständen berichten würde. Ich habe immer geglaubt, dass du derjenige sein würdest, der mir erklärt, wie sich Sklaverei wirklich anfühlt.

Aber heute ist es meine Feder, die sich bewegt, und ich schreibe diesen Brief, um dir zu erzählen, wie sich unsere Welt verändert hat, seit du verschleppt wurdest, und wie Belutschistan brennt.

Shabir, ich bringe es nicht über mich, Ammas (Mutter) Geschichte voller Trauer und Kummer zu schreiben, also vergib mir bitte im Voraus. Sie sitzt Tag und Nacht an der Tür und hofft, dass ihr Shabir zurückkehrt, damit sie dich an ihre Brust drücken und die Jahre des Schmerzes wegwaschen kann. Sie bleibt nachts wach, als wäre auch ihr Schlaf mit dir gefangen.

Zarina, Shabir’s Ehefrau mit einem Poster: „Ich weiß nicht ob ich Shabir’s Ehefrau oder Witwe bin!“

Shabir, seit deinem Verschwinden ist das Glück aus unserem Haus gewichen. Zarina ist nicht mehr die Zarina, die du einmal kanntest. Ihr Lächeln ist verschwunden. Sie geht nicht mehr zu Zusammenkünften, sie spricht nicht mehr. Shabir, Zarina ist still geworden. Ich sage ihr immer wieder, sie solle sich erholen, neue Kleider tragen. Aber sie wird nur still und sagt:

„Ich werde mich erst schmücken, wenn mein Shabir zurückkehrt. Dann werde ich wieder eine Braut sein.“

Und als sie das sagt, laufen ihr Tränen über das Gesicht. Ich kann es nicht ertragen.

Ich habe beschlossen, dir diesen Brief zu schreiben, aber Shabir, wie kann ich neun Jahre in einem einzigen Brief zusammenfassen? Trotzdem versuche ich es.

Weißt du noch, wie wir eines Tages zu einer Kundgebung nach Karachi gefahren sind? Zarina und ich waren die ersten, die im Presseclub ankamen. Aber die Polizei war bereits da. Sobald wir ankamen, steckten sie uns in ein Fahrzeug und brachten uns zu ihrem Kontrollpunkt. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich in einen Polizeiwagen gesetzt wurde. Ich hatte schreckliche Angst; Tränen füllten meine Augen. Aber meine Angst galt nicht mir selbst. Ich dachte nur an dich, wie du wohl in ein solches Fahrzeug gezerrt, geschlagen und mit verbundenen Augen festgehalten worden sein musstest.

Aber Zarina, deine liebe Zarina, tröstete mich und sagte:

„Mach dir keine Sorgen, wir sind nur am Kontrollpunkt. Uns wird nichts passieren.“

Unser Leben besteht nun darin, uns gegenseitig zu trösten. Später wurden wir freigelassen, aber diese Momente werden uns immer im Herzen bleiben.

Shabir, der Schmerz ist so tief, dass selbst die Feder zögert, ihn zu beschreiben. Kennst du einen jungen Mann namens Zeeshan Zaheer, der für die Freilassung seines vermissten Vaters kämpfte? Eines Nachts wurde auch er gewaltsam verschleppt. Am nächsten Morgen wurde seine verstümmelte Leiche vor sein Haus geworfen, als wäre sie ein „Geschenk“. Sein Märtyrertod stürzte ganz Belutschistan in Trauer. Die Menschen strömten in alle Städte, es wurden Kundgebungen abgehalten und Kerzen angezündet. Auch wir veranstalteten unter dem Banner des BYC (Baloch Yakjehti Committee) eine Kundgebung am Hub-Kontrollpunkt.

Alle vergossen Tränen über Zeeshans Märtyrertod. Aber als wir den Hub-Checkpoint erreichten, hatte die Polizei den Presseclub bereits umzingelt. Sie versuchten, uns aufzuhalten, aber wir weigerten uns, uns zurückzuziehen, und begannen eine friedliche Kundgebung auf der Straße. Innerhalb weniger Minuten griff die Polizei an. Sie schlugen uns, traten uns, schossen auf uns und stießen uns in Fahrzeuge, wobei sie uns mit Worten beschimpften, die uns bis ins Mark erschütterten.

Shabir, ich habe mich an diesem Tag immer wieder gefragt, welches Verbrechen wir begangen hatten, dass wir geschlagen, beschimpft und gedemütigt wurden. Wir wurden zum Checkpoint gebracht.

Und dann verstand ich: Der Staat foltert uns nicht nur, weil wir unsere Stimme erheben. Er foltert uns, weil er weiß, dass wir nicht mehr unwissend sind. Er weiß, dass Aktivisten wie du, die in seinen Folterzellen eingesperrt sind, uns bewusst gemacht haben.

Der Staat kann versuchen, uns zu unterdrücken, so viel er will, aber solange wir atmen, werden wir weiterhin unsere Stimme für dich und für jeden vermissten Belutschen erheben.

Shabir, nach Zeeshans Märtyrertod, als wir zum Kontrollpunkt gebracht wurden, beschimpften und verfluchten sie uns weiter. Wir wurden wie Kriminelle eingesperrt. Stunden vergingen in erstickender Hitze, und sie gaben uns kein Wasser. Einige der jüngeren Kinder, die bei uns waren, fingen vor Angst an zu weinen.

Spät in der Nacht holten sie uns nacheinander heraus. Die Polizistinnen schlugen uns, zogen uns an den Haaren und stießen uns herum. Dann schoben sie uns wieder hinein. Wir fragten immer wieder: „Welches Verbrechen haben wir begangen? Welches Gesetz haben wir gebrochen?“ Aber statt Antworten bekamen wir nur weitere Tritte und Beleidigungen.

Zwei oder drei Stunden später ertönte plötzlich eine laute Stimme: „Steht auf, ihr werdet freigelassen. Eure Leute sind gekommen, um euch abzuholen.“ Aber Shabir, niemand empfand in diesem Moment Freude. Wir alle sahen uns geschockt und verängstigt an und fragten uns, ob es sich um eine weitere Falle handelte.

Sie brachten uns aus dem Kontrollpunkt heraus und fuhren uns in Polizeifahrzeugen weit weg. Wir dachten, wir würden freigelassen, aber stattdessen brachten sie uns ins Gadani-Gefängnis. Dort wurden wir in schmutzige, stinkende Zellen gesteckt, in denen selbst Tiere sich weigern würden zu bleiben. Der Geruch war unerträglich, überall wimmelte es von Mücken. Wir konnten die ganze Nacht nicht schlafen.

Am nächsten Morgen nahmen sie unsere Namen auf und ließen uns in Reihen stehen, als wären wir Kriminelle. Dann brachten sie uns altes Essen, das kaum genießbar war. Einige der jüngeren Mädchen konnten überhaupt nichts essen. Unsere Kleidung war von den Schlägen zerrissen, unsere Haare zerzaust, unsere Gesichter geschwollen. Aber Shabir, nichts davon hat unseren Geist gebrochen.

Wir standen vor den Gefängnisbeamten und sagten:

„Wir sind keine Kriminellen. Wir sind hier, weil wir unsere Stimme für unsere vermissten Brüder erhoben haben. Wenn Sie glauben, Sie könnten uns mit Gefängnissen zum Schweigen bringen, irren Sie sich. Wir werden unsere Stimme noch lauter erheben als zuvor.“
Nach zwei Tagen ließen sie uns plötzlich ohne Erklärung frei. Sie ließen uns mitten in der Nacht am Straßenrand stehen. Wir kamen erschöpft zu Hause an, unsere Körper waren voller Blutergüsse, aber unsere Entschlossenheit war stärker denn je.

Shabir, was ich dir sagen möchte, ist Folgendes: Der Weg, den du uns gezeigt hast, das Bewusstsein, das du uns vermittelt hast, lebt weiter. Der Staat mag uns in Kontrollpunkte, Folterzellen oder Gefängnisse stecken, aber er kann die Kette des Widerstands nicht brechen.

Shabir, erinnerst du dich, wie unsere Schwester Seema vor neun Jahren noch zu schüchtern war, um überhaupt zu sprechen? Sie konnte nicht einmal richtig Urdu sprechen. Aber heute, Shabir, steht Seema auf den Straßen von Karachi und Islamabad und trotzt dem Staat auf Urdu.

Deine Trauer hat uns stark gemacht, Shabir. Wir wachsen in unserer Trauer.

Nun beende ich diesen Brief mit der einzigen Hoffnung, dass dieser Schmerz der Trennung eines Tages ein Ende haben möge. Aber die liebevollen Erinnerungen an dich werden immer in meinem Herzen weiterleben. Und ich gebe dieses Versprechen: Solange wir atmen, wird keiner von uns aufhören, für die Verschwundenen Widerstand zu leisten.

Shabir, wir haben von Dr. Mahrang Baloch gelernt, dass Widerstand Leben ist, und in diesem bleiben wir am Leben.

Die bitteren Erinnerungen an deine Abwesenheit können niemals ausgelöscht werden. Ich kann nur eines wünschen: dass du zusammen mit allen Verschwundenen bald zurückkehrst, damit auch wir wie andere Menschen auf der Welt leben können.

Deine kleine Schwester,
Sammul

Sammul mit einem Bild ihres Bruders

Schlussbemerkung

Shabirs Geschichte ist nicht nur der Schmerz einer Familie. Es ist der Schmerz einer Nation, in der Tausende von Müttern, Ehefrauen und Schwestern weiterhin auf ihre verschwundenen Angehörigen warten. Dieser Brief, geschrieben in Liebe und Schmerz, ist auch ein Manifest des Widerstands: ein Beweis dafür, dass selbst in den dunkelsten Zellen die Erinnerung überlebt und der Kampf für die Freiheit nicht zum Schweigen gebracht werden kann.

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Jeden Monat veröffentlichen wir eine Übersetzung aus der Zeitung der Sudanesischen Kommunistischen Partei, dem Al-Maidan. Dieses mal veröffentlichen wir eine Erklärung der Sudanesischen Kommunistischen Partei, die sich auf ein Statement der Vierergruppe (USA, Ägypten, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate) bezieht, in der ein Fahrplan zur Beendigung des Krieges im Sudan, zur Bereitstellung humanitärer Hilfe und zur Regelung der politischen Lage bis hin zu einer zivilen Regierung und einer Übergangsperiode vorgestellt wurde – und zwar innerhalb von festgelegten Zeiträumen. 

Der Politischer Vorstand  der Sudanesischen Kommunistischen Partei hat die von der Vierergruppe (USA, Ägypten, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate) veröffentlichte Erklärung zur Kenntnis genommen. Diese schlägt einen Fahrplan zur Beendigung des Krieges im Sudan, zur Bereitstellung humanitärer Hilfe und zur Einleitung eines politischen Prozesses mit dem Ziel einer zivilen Regierung und einer Übergangsphase vor.

Wir begrüßen jede ernsthafte Initiative, die ein Ende dieses verheerenden Krieges ermöglicht, der unser Land zerstört und Millionen Menschen in die Flucht getrieben hat. Ebenso unterstützen wir Maßnahmen, die den ungehinderten Zugang zu humanitärer Hilfe für alle Betroffenen gewährleisten. In der Erklärung finden sich zahlreiche Punkte, die wir teilen, darunter:

  • Der Krieg im Sudan hat die schwerste humanitäre Krise der Gegenwart ausgelöst und bedroht Frieden und Sicherheit in der Region.
  • Die Wahrung der Souveränität, Einheit und territorialen Integrität des Sudan.
  • Es gibt keine militärische Lösung; der Status quo verursacht untragbares Leid und birgt schwerwiegende Risiken.
  • Humanitäre Hilfe muss schnell, sicher und ohne Hindernisse in alle Landesteile gelangen.
  • Schutz der Zivilbevölkerung nach internationalem humanitärem Recht und Verzicht auf wahllose Angriffe auf zivile Infrastruktur.
  • Die Zukunft des Sudan liegt allein in den Händen des sudanesischen Volkes – durch einen transparenten und inklusiven Übergangsprozess, frei von der Kontrolle der Kriegsparteien.
  •  Ein vorgeschlagener humanitärer Waffenstillstand von drei Monaten soll den Zugang für Hilfsgüter öffnen und in einen dauerhaften Waffenstillstand übergehen.
  •  Extremistische Gruppierungen mit Verbindungen zur Muslimbruderschaft dürfen keinen Platz in der politischen Zukunft des Sudan haben.
  • Ein Ende externer militärischer Unterstützung ist unerlässlich für eine Lösung.
  • Alle Konfliktparteien müssen zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Infrastruktur verpflichtet werden.

Gleichzeitig sehen wir uns verpflichtet, unserem Volk in dieser entscheidenden historischen Phase die folgenden Wahrheiten klarzumachen:

Erstens: Teile der Vierergruppe sowie andere regionale und internationale Akteure tragen Mitverantwortung für den Krieg. Sie hätten ihn frühzeitig beenden können, taten dies jedoch nicht – um eigene Interessen zu sichern: den Sudan als Rohstofflieferant und Absatzmarkt auszubeuten und das Volk durch Erschöpfung gefügig für faule Kompromisse zu machen. Erst das Erstarken islamistischer Kräfte, der Zustrom extremistischer Gruppen sowie die wachsenden Risiken durch iranische und Huthi-Präsenz im Roten Meer, die den internationalen Handel bedrohen, haben diese Mächte veranlasst, zu handeln – nicht etwa ein plötzliches Mitgefühl mit dem sudanesischen Volk.

Zahlreiche Initiativen seit April 2023 sind gescheitert, weil es an verbindlichen Umsetzungsmechanismen mangelte. Auch die aktuelle Erklärung der Vierergruppe droht dieses Schicksal zu teilen. Entscheidend bleibt der Widerstand und die Mobilisierung unseres Volkes durch seine politischen und sozialen Strukturen, um den Krieg zu beenden und die revolutionären Ziele zu sichern.

Zweitens: Die internationalen Kräfte, die an der Entstehung dieses Krieges mitgewirkt haben – von der fehlerhaften Verfassungsvereinbarung über die Einbindung des Militärs in die Macht bis hin zum Massaker an den Protestcamps – verfolgen bis heute das Ziel, die Dezemberrevolution und ihre Forderungen nach Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit zu liquidieren. Ein stabiler demokratischer Zivilstaat kann nur auf Grundlage der Prinzipien dieser Revolution entstehen. Jeder andere Weg führt zur Wiederholung der Krise und zur erneuten Unterordnung unter äußere Interessen.

Wir betonen erneut: Die Lösung liegt im Inneren. Die Widerstandskomitees und andere basisdemokratische Strukturen vertreten die Interessen der Bevölkerung – Verbesserung der Lebensbedingungen, gerechte Verteilung humanitärer Hilfe, Rückkehr der Vertriebenen und Geflüchteten, Wiederaufbau grundlegender Dienstleistungen wie Gesundheit, Bildung, Wasser- und Stromversorgung.

Ein umfassender und gerechter Frieden erfordert ein ziviles, demokratisches und stabiles Regierungssystem, die Entfernung der Sicherheitsapparate aus Politik und Wirtschaft sowie tiefgreifende sicherheitspolitische Maßnahmen: Auflösung der Rapid Support Forces, der bewaffneten Bewegungen und sämtlicher Milizen sowie die Schaffung einer einheitlichen, professionellen Nationalarmee unter ziviler Kontrolle. Straflosigkeit darf es nicht geben – die Verantwortlichen für Massaker, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Revolution müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Ebenso notwendig ist der Abbau der Strukturen des alten Regimes und eine grundlegende Reform des öffentlichen Dienstes.

Wir rufen unser Volk auf, geeint, standhaft und entschlossen den inneren wie äußeren Verschwörungen entgegenzutreten, die Umsetzung der positiven Punkte der Vierergruppe im Interesse des Volkes einzufordern – und darüber hinaus die glorreiche Dezemberrevolution zu vollenden.

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Der vorliegende Text ist die achte These unserer Broschüre „Ein Sturm zieht auf – Thesen zu Krieg, Imperialismus und Widerstand“. Die vollständige Broschüre mit neun weiteren Thesen ist beim Letatlin Verlag bestellbar.

Diese These ist ein Plädoyer dafür, die Kriege und gesellschaftlichen Kämpfe rund um den Globus in ihrer jeweils eigenen Farbe, ihrer eigenen Dynamik und Wahrheit zu betrachten, um ihnen gerecht werden und eine politisch und menschlich richtige Haltung einnehmen zu können. Es ist kein Plädoyer für ideologische Beliebigkeit und politische Prinzipienlosigkeit. Aber es ist ein Plädoyer gegen schablonenhafte, eindimensionale schwarz-weiß-Rasterung von vielschichtigen Situationen, in denen solche Schablonen nicht passen. Zu häufig passiert es, dass in der Bewertung einer Konfliktsituation entweder Partei für einen imperialistischen Player ergriffen oder einer demokratischen Bewegung, die um berechtigte Anliegen kämpft, in den Rücken gefallen wird. Es geht vielmehr um die Frage, welche Wege wir im 21. Jahrhundert gehen müssen – nach dem Ende der Geopolitik des Realsozialismus und unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Kämpfe, die sich nicht nur am staatlichen Paradigma orientieren –, um der komplexen Situation fragmentierter Kämpfe in einer sich herausbildenden multipolaren Weltordnung gerecht zu werden. Dabei gilt es, weder die Fehler des vergangenen Jahrhunderts zu wiederholen noch unsere sozialistischen, feministischen, antiimperialistischen und antikolonialen Prinzipien zu verraten.

Ein zentrales Problem dieser Thematik ist, dass häufig antiimperialistische Geopolitik und das legitime Interesse von Menschengruppen und gesellschaftlichen Kämpfen vor Ort in Widerspruch zueinander geraten. Wenn man so will ein Widerspruch zwischen dem Lokalen und dem Globalen; manchmal auch zwischen existentiellen Überlebensnotwendigkeiten und ideologischen Prinzipien. Dies macht klare ja/nein-, schwarz/weiß-, gut/böse-Antworten schwieriger, wie sie traditionellerweise in realsozialistischen Zeiten noch eher gegeben werden konnten, auch wenn sie schon dort nicht immer gepasst haben.

Iran

Der Jin-Jiyan-Azadî-Aufstand im Iran, welcher im September 2022 auf die Ermordung der Kurdin Jîna Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei folgte, war dem Charakter nach fortschrittlich und richtete sich gegen Frauenunterdrückung, prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse, religiösen Autoritarismus und ethnische Marginalisierung. Die Bewegung war eine heterogene und doch auf der Straße meist geeinte Masse aus Frauen, Jugendlichen, Arbeiter:innen, Gewerkschaftern und ethnischen Minderheiten, vor allem Kurd:innen und Belutsch:innen. Durch die Heterogenität und das Fehlen einer gemeinsamen Dachorganisation der Protestierenden waren die Forderungen nicht einheitlich und reichten von konservativ-religiös über liberal-demokratisch bis zu sozialistisch. Dem Wesen und der sozialen Zusammensetzung der Proteste nach, war es aber das revolutionäre Subjekt der Linken, was auf die Straße ging und für politischen Wandel kämpfte: Frauen, Jugend, Arbeiter:innen und unterdrückte Völker. Die Bewegung trug einen Klassencharakter, welcher sich gegen die herrschende Elite der Mullahs richtete. Dementsprechend fand der Aufstand auch hierzulande in der Linken viel Unterstützung.

Es gab jedoch auch Skepsis bis hin zu Ablehnung seitens eines geopolitisch fokussierten Teils der antiimperialistischen Linken. Grund waren die geopolitischen Folgen, die ein Sturz des Regimes hätte mit sich bringen können: Aufgrund des Fehlens einer starken Organisation oder Partei, die das Machtvakuum füllen würde, bestünde die Gefahr einer US-Intervention. Eine berechtigte Befürchtung, würden die USA und Israel die Chance, mit dem Mullah-Regime ihren größten geopolitischen Gegner in der Region zu beseitigen und eine für sie kontrollierbare westgebundene Regierung einzusetzen, vermutlich nicht ungenutzt lassen. Auch wurde diese Position mit dem Argument der Implikationen einer Schwächung des Iran für den palästinensischen Befreiungskampf begründet. All das ist nicht falsch. Die letzten 80 Jahre haben und auch der Juni 2025 hat nochmal gezeigt, was die USA (und Israel) im Mittleren Osten anrichten und dass wo sie intervenierten nirgends langfristige Verbesserungen für die Bevölkerung entstanden sind, was auch nie ihr Ziel war. Die Entstehung des sogenannten Islamischen Staat im Irak, die Konsolidierung der Taliban-Herrschaft in Afghanistan oder das Willkür- und Gewaltchaos in Libyen sind nur drei eindrückliche Beispiele der jüngeren Geschichte. Während also ein großer Teil der Linken das iranische Volk gegen die Mullahs unterstützte, gab es auch solche, die sich gegen einen Sturz des Regimes und damit gegen die aufständische Bewegung im Iran aussprachen, da diese den USA und Israel in die Karten spielen würde. Stellt dies zwar eine reale Gefahr dar, so ist jedoch die Schlussfolgerung, sich gegen die Befreiung der protestierenden iranischen Bevölkerung von theokratischer Unterdrückung auszusprechen, eine menschliche und gesellschaftspolitische Deformation im Namen eines eindimensionalen Antiimperialismus. Das geopolitische Staatsdenken wird hier in einer schwarz-weiß-Manier entsprechend der Formel „alles, was gegen die USA ist, ist gut und alles, was der USA nutzen könnte ist schlecht“ in einer mechanistischen und von den betroffenen Menschen entfremdeten Weise zum obersten Primat gemacht und fällt dem Kampf der Frauen, Arbeiter:innen, Jugendlichen und unterdrückten Völker im Iran in den Rücken. Gleichzeitig ist seine Argumentation relevant, da eine US-Intervention möglichst verhindert werden sollte. Das macht die Gesamtsituation im Spannungsfeld zwischen lokalem gesellschaftlichem Kampf und geopolitischem Machtgefüge widersprüchlich und kompliziert.

Ex-Sowjetrepubliken von Georgien bis Ukraine

In Georgien haben im Herbst und Winter 2024/25 erneut große Demos und Auseinandersetzungen gegen die korrupte russlandnahe Regierung stattgefunden. Auf mehrere repressive Zensurgesetze und Proteste dagegen, zuletzt das „Agentengesetz“ gegen NGOs und unabhängige Medien, folgte im Oktober 2024 eine Parlamentswahl voller Betrug und Bestechung, durch welche die Regierungspartei Georgischer Traum des Oligarchen Bidsina Iwanischwili sich an der Macht hielt. Hunderttausende protestierten wochenlang auf der Straße, es folgten massive Polizeigewalt und Festnahmewellen. Die Proteste sind Teil eines seit rund 40Jahren andauernden Ringens zwischen Russland-Anbindung und Unabhängigkeitsforderungen, die realpolitisch jedoch oft mit einer stärkeren EU-Anbindung einhergehen. Die von Korruption und Autoritarismus geprägte Politik einer reaktionären Elite, welche das Land repressiv regiert, in der Regierung Geschäfte mit russischen Partnern für die eigene Tasche macht, LGBTIQA+ unterdrückt und sich Stärke und Schutz bei Putin holt, macht es verständlich, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung raus will aus der russischen Wirtschafts- und Einflusssphäre. Viele fordern dabei, auch aus realpolitischen Gründen, einen Beitritt zur EU und stärkere Anbindung an den Westen.

In der Ukraine zeigen sich seit dem „Euro-Maidan“ ähnliche Tendenzen, wobei hier die Einflussnahme des Westens unter Führung der USA eindeutig aggressiver und auch militärisch offensiver ist. Seit dem russischen Angriff dürfte sich die antirussische Tendenz verstärkt haben. Aus westlicher Perspektive stehen wir Forderungen nach EU- und NATO-Beitritten aus unserer Position im Kampf gegen den westlichen Imperialismus meist skeptisch bis ablehnend gegenüber..

Die EU ist kein Instrument der Gerechtigkeit, die NATO schon gar nicht und wir haben vor allem vor Augen, wie westliche Staaten die Welt neokolonial dominieren, wie die herrschenden Kräfte in der EU, allen voran Deutschland, wirtschaftlich schwächere Staaten wie Griechenland, Portugal und Irland im Zuge der Finanzkrise geißelten, den Balkan ausbeuten und an der Grenze Krieg gegen Geflüchtete von Marokko über Libyen und die Türkei bis Polen führen. Aus unserer Realität sehen wir in der Anbindung an dieses Machtsystem keine Lösung. Es ist klar, dass die Mission der EU, USA und NATO nicht ist, dem georgischen oder ukrainischen Volk Frieden oder ein besseres Leben zu bringen, sondern dass dieser Machtblock eigene wirtschaftliche und geostrategische Interessenverfolgt. Die Konferenzen und Treffen1​​​​, auf denen jetzt schon die Ukraine und ihre Ressourcen unter westlichen Konzernen, Finanzakteuren und Staaten aufgeteilt werden, zeigen dies deutlich. Auch ist das, was bei Ende des Krieges von einem „demokratischen“ ukrainischen Staat noch bleibt, wohl nur noch ein zentralisiertes, autoritäres, mit Faschisten durchsetztes Regime, welches in Abhängigkeit und damit unter der Kontrolle des westlichen Imperialismus steht.

Für fortschrittlich Gesinnte in der Ukraine und in Georgien ist jedoch Russland aus der eigenen politischen Realität heraus zur Zeit der Hauptfeind. Auch ist es im Kontext des Ukrainekriegs zu heftigen Diskussionen gekommen, wieso Anarchist:innen sich dafür entscheiden, ins Militär zu gehen. Diese Entscheidung kann man kritisieren! Jedoch wird dabei oft außer Acht gelassen, dass viele Anarchist:innen und andere Menschen in der Ukraine und auch in Georgien vor Repression aus Russland und Belarus geflohen sind. Eine Besatzung durch Russland hätte ernsthafte Konsequenzen für sie. Gleichzeitig haben ukrainische Linke eine Verbindung zu ihrer Bevölkerung und ihrer Heimat, die sich gegen Russlands Angriff wehrt. Der russische Imperialismus und der Kampf gegen ihn hat für ukrainische Linke (und in Russland und Belarus) eine andere Relevanz als in Deutschland, wo wir uns zurecht vor allem auf den westlichen Imperialismus konzentrieren. Dieser regionale politische Kontext, der anders ist als der unsere, muss in der Beurteilung miteinbezogen werden.

Wir stecken nicht in den Schuhen von freiheitlich gesinnten Menschen, die in Ex-Sowjetrepubliken heute unter reaktionären, neoliberalen und korrupten Regimen russlandnaher Autokraten leben und für die eigene Emanzipation eine Annäherung an den westlichen Machtblock befürworten. Und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass in westlichen EU-Staaten zumindest weißen Staatsbürger:innen häufig mehr liberale Freiheiten gewährt werden als in Russland oder in eng an Russland gebundenen Ländern. Dies liegt nicht am „besseren“, „demokratischeren“, „menschlicheren“ Charakter Westeuropas, sondern schlicht daran, dass die Herrschenden hierzulande es sich noch leisten können und nicht unmittelbar von einem Machtverlust ihrer Clique bedroht sind. Der Autoritarismus in Russland ist historisch und aktuell auch ein Produkt der Bedrohung und Einflussnahme durch den Westen. Im Zuge der Militarisierung werden diese demokratischen Freiheiten wie bereits in These 4 ausgeführt auch hier zusammenschrumpfen und die Zustände autoritärer werden, wie im Bezug auf die palästinensische und die kurdische Bewegung bereits zu beobachten ist.

Rojava

Der Vorwurf, dass sich die kurdische Bewegung durch die Zusammenarbeit mit den USA in Syrien zum Handlanger des US-Imperialismus machen würde, ohne dabei die real- und militärpolitischen Machtverhältnisse auf dem Boden und die Realität des kurdischen Volkes, welches sich ständiger Unterdrückung und Vernichtungsversuchen von türkischer, arabischer und teils persischer Seite ausgesetzt sieht, einzubeziehen, kommt ebenfalls aus einer von den real kämpfenden Völkern abstrahierten, ideologisch-kleingeistigen und realitätsfernen schwarz-weiß-Logik. Im Krieg werden die meisten Entscheidungen nicht nach ideologischen Gesichtspunkten, sondern nach überlebensnotwendigen Sachzwängen getroffen. Die „der Feind meines Feindes ist mein Freund“-Logik mag nicht immer ins ideologische Weltbild passen, aber sie ist blutige Realität auf dem Schlachtfeld und muss anerkannt werden, statt den Kämpfenden aus sicherer Ferne selbstgerecht und überheblich den sozialistischen Status abzusprechen, wie es einige Linke in Deutschland tun. Noch dazu haben diese deutschen Linken keine Ahnung vom Mittleren Osten, den sie nicht verstehen, weil sie nur ihr kleines Einmaleins aus dem ML-Grundlagenkurs herunterbeten.

Multiple Perspektiven statt schematische Schablonen

Doch was ist die Lösung für all diese komplexen und multidimensionalen politischen Fragen?

Vorweggenommen: Es gibt keine Patentlösung, keinen Blueprint, keine immer funktionierende Formel, die auf alle vielschichtigen Situationen anwendbar ist. Wenn dem so wäre, hätten wir das Problem nicht. Ein erster Schritt auf dem Weg zu einer lösungsorientierten, gerechten, sozialistischen Haltung wäre aus westlicher Perspektive, die Komplexität und Multidimensionalität der Gesamtsituation anzuerkennen und einen bewussten Perspektivwechsel zu versuchen, um die Situation aus Sicht der betreffenden Gesellschaften, welche unter der Herrschaft eines anderen Machtblocks stehen als wir, zu begreifen. Dies ist wichtig, um nicht den Fehler zu machen, ihnen durch eine schematische Bewertung aus der Realität unserer eigenen Kampfposition heraus in ihrem Kampf in den Rücken zu fallen oder zu whitesplainen2. Dabei muss jedoch klar sein, dass unser Hauptfeind der westliche Imperialismus bleibt. Linke Irrwege, die den Westen als „kleineres Übel“ oder „fortschrittlicher“ gegen Russland, China oder Staaten des Mittleren Ostens behaupten wollen, stellen eurochauvinistische Degenerationen des Sozialismus dar. Der autoritäre Charakter von Regimen muss historisch-materialistisch3 hergeleitet und erklärt werden und stammt nicht aus einem „reaktionären Geist“ der betreffenden Nationen oder Kulturen. Wer solche Erklärungsmuster ernsthaft zu Rate zieht, beschreitet gefährliche Wege des Nationalismus, Chauvinismus, Rassismus und Imperialismus. Für uns darf es kein unüberwindbarer Widerspruch sein, dass wir primär unseren eigenen Imperialismus bekämpfen und demokratische Kräfte in anderen imperialistischen Einflusssphären primär ihren. Es gilt, die unterschiedlichen Ausgangspositionen zu berücksichtigen. Diese verschiedenen Perspektiven einnehmen zu können, ist eine Stärke und die Voraussetzung für die Überwindung imperialistischer und unterdrückerischer Politik. Eine Positionierung aufseiten der kämpfenden Völker ist zentral. In diesem dritten Weg der eigenen Kraft liegt die strategische antiimperialistische Perspektive.

Prinzipien und Realpolitik

Doch damit sind noch nicht die Widersprüche der oft zwingenden real- und machtpolitischen Erfordernisse des praktischen Kampfes aufgelöst. Unsere Position als kämpfende gesellschaftliche Kräfte ist zur Zeit an keinem Ort der Welt so stark, dass wir es uns leisten könnten, unabhängig unseren Weg zu gehen, ohne machtpolitische Allianzen und taktische Bündnisse zu schließen. Das Dilemma liegt darin, dass wir aus der materiellen Ausgangslage des Kapitalismus kommen und in ihr anfangen müssen, zu arbeiten, da es nicht möglich ist, Frieden und Sozialismus aus dem Nichts zu schaffen. Aufgrund existentieller Fragen wie gesellschaftlicher Versorgung oder Sicherheit ist es darum in vielen Situationen unumgänglich, sich realpolitischen Fragen zu stellen und auf dieser Ebene geopolitische Zugeständnisse zu machen. Wie bereits in These 6 ausgeführt, liegt die Kunst der revolutionären Politik darin, taktische Realpolitik mit dem strategischen Aufbau des eigenen Systems zu verbinden. Alle großen Revolutionen der Geschichte und Gegenwart mussten das tun. Dabei können Prinzipien und Taktik miteinander in Konflikt geraten. Sich in diesen Widersprüchen politisch clever zu bewegen, ist die revolutionäre Kunst und erfordert Kreativität und Innovation. Auch hier sind starrer Schematismus und realitätsferne Schablonen ein Hindernis. Vielmehr ist es von Nutzen, die Multidimensionalität einer Situation oder eines Konflikts und die komplexen Widersprüche in ihr anzuerkennen und gleichzeitig die Perspektive „von oben“ (Geopolitik) und „von unten“ (Bevölkerung/Gesellschaft) einnehmen zu können, um potenziell zu einer realpolitischen und doch gerechten Lösung zu gelangen. Dass dies nicht immer zufriedenstellend gelingt und man in in der Realität mitunter schmerzhafte Abstriche und Kompromisse machen wird, ist ebenfalls die Realität der Politik.

Unser Anspruch sollte dabei aber bleiben, den Interessen und Realitäten der ausgebeuteten und unterdrückten Menschen und Menschengruppen (Klassen, Geschlechter, Ethnien, Konfessionen, Individuen) gerecht zu werden und nicht nur von Staaten auszugehen. Denn mechanistische Geopolitik ohne Menschen- und menschlichkeitsbezogene Perspektive führt zu gesellschaftspolitischer Deformation. In dem Sinne sollte unsere Bewertung von anderen Kämpfen immer eine Orientierung an den demokratischen, klassenkämpferischen, sozialistischen und feministischen/antipatriarchalen Kräften vor Ort und ihren Forderungen beinhalten. Dabei dürfen wir jedoch unsere eigene Position und Aufgabe nicht vergessen und uns in einen Machtkampf zwischen imperialistischen Playern auf einer Seite hineinziehen lassen. Auf der Gegenseite sollten wir uns im Bezug auf die kämpfenden Kräfte vor Ort keine Illusion über die realpolitischen Notwendigkeiten der praktischen Politik in der echten Welt machen und weltfremden Theoriedogmen oder idealistischem Moralismus verfallen.


  1.  https://www.ukraine-wiederaufbau.at/wiederaufbau/international ↩︎
  2. Paternalistische, latent-rassistische Handlung, bei der aus der (unbewussten) selbstverständlich-arroganten Überzeugung, besser zu verstehen als die Betroffenen, Weiße Nicht-Weißen ihre Probleme erklären und ungefragt Ratschläge geben (welche häufig an der Realität vorbei gehen). ↩︎
  3. Der historische Materialismus ist die Geschichtswissenschaft, welche von Marx und Engels entwickelt wurde. Er besagt, dass die gesellschaftliche Entwicklung und die Veränderungen in der Geschichte hauptsächlich durch materielle Produktionsverhältnisse bestimmt werden. Das bedeutet, dass die Art und Weise, wie Menschen produzieren und ihre wirtschaftlichen Beziehungen organisieren, die Grundlage für die gesellschaftlichen Strukturen, politischen Systeme und Ideologien bildet. ↩︎

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Jeden Monat veröffentlichen wir eine Übersetzung aus der Zeitung der Kommunistischen Partei Sudan, dem Al-Maidan. Dieser Artikel umfasst den dritten und  vierten einer vierteiligen Serie, die sich mit der Rolle der US-Regierung und den möglichen Perspektiven und Zielen internationaler Verhandlungen beschäftigt.

Teil III

Die US-Regierung setzt ihre intensiven Bemühungen fort, um – in Abstimmung mit den direkt oder indirekt beteiligten internationalen und regionalen Akteuren – eine politische Einigung zu erreichen, die den verheerenden Krieg im Sudan beendet. Dies geschieht unter der Aufsicht des sogenannten „Vierer-Mechanismus“, der nun erweitert wurde, um Großbritannien – Gastgeber der letzten Sudan-Konferenz – und Katar einzubeziehen, das enge Beziehungen zu islamistischen Bewegungen in der Region unterhält.

Nach Katars Eintritt in diesen Prozess gab es bemerkenswerte Leaks über geheime Pendeldiplomatie hinter den Kulissen. Demnach fanden in diesem Monat in Doha geheime Treffen statt, initiiert von einem katarischen akademischen Forschungszentrum. An diesen Treffen nahmen mehrere führende Mitglieder des Nationalkongresses – dem Flügel, der Ali Karti ablehnt – sowie Vertreter der Regierungen der USA, Großbritanniens, Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate teil. Es wird vermutet, dass das Ziel dieser Gespräche darin bestand, die internen Konflikte innerhalb der islamistischen Strömung beizulegen und den Boden für ihre Beteiligung an der kommenden politischen Einigung zu bereiten – unter dem Deckmantel „nationaler Fachkräfte“.

Diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass bestimmte Persönlichkeiten wieder in exekutive Machtpositionen zurückkehren könnten – im Gegenzug für Zusicherungen, dass keine Verfahren zur Rechenschaft oder Strafverfolgung eröffnet werden. Beobachter sind der Ansicht, dass es sich dabei um einen Teil einer umfassenden politischen Einigung handelt, die als nationale Roadmap zur Beendigung des Krieges vermarktet werden soll. Andere sehen darin jedoch den Versuch, die Reihen innerhalb der islamistischen Bewegung neu zu ordnen, um ein neues Bündnis mit Teilen der militärischen Führung zu schmieden.

Diese Schritte verdeutlichen die Befürchtung der Vierergruppe, dass der sudanesische Staat kollabieren könnte, und ihr Bestreben, ihre Interessen im Land – insbesondere in der Region des Roten Meeres – zu schützen, indem sie die Lage stabilisiert und ein Abrutschen in Chaos oder eine erneute militärische Eskalation zwischen den Konfliktparteien verhindert.

Es ist jedoch offensichtlich, dass diese Bemühungen den alten Kurs reproduzieren, der bereits nach dem Sieg der Dezemberrevolution 2018 versucht wurde: eine Einigung, die zu einer formalen Zivilregierung mit neuen Gesichtern führt, gestützt auf ein Bündnis mit dem Militär und flankiert von internationaler und regionaler Unterstützung. Obwohl diese Schritte als Maßnahmen zur Beendigung des Krieges, zur Öffnung humanitärer Korridore und zur Bildung einer zivilen Übergangsregierung präsentiert werden, sind sie im Kern brüchige Lösungen, die darauf abzielen, das Bewusstsein der Massen zu trüben und die Volksbewegung daran zu hindern, ihre wahren Ziele – Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit – zu erreichen.

Teil IV

Die sudanesische Krise: Amerikanische Einigung oder systematische Zerschlagung?

Der Krieg im Sudan ist längst kein bloßer Konflikt zwischen zwei bewaffneten Lagern mehr. Er hat sich zu einer offenliegenden Bühne eines schmutzigen internationalen und regionalen Machtkampfs entwickelt, dessen Details aus fernen Hauptstädten gesteuert werden – während seine Werkzeuge vor Ort mit dem Blut der Sudanesen bezahlt werden. Das Land ist zum Schauplatz von Einflussdeals und Interessensbalancen geworden, und einige seiner politischen und militärischen Kräfte haben sich zu Stellvertretern dieser oder jener Seite gemacht – jeder bemüht, sich einen Platz auf der Landkarte nach der Zerstörung zu sichern.

Zwischen der „Dschandschawid-Regierung“ im Westen des Landes, die außer Waffen und dem Gedächtnis an Massaker keine Regierungsinstrumente besitzt, und der „Regierung von Port Sudan“, die eine zerlumpte zivile Fassade einer militärischen Herrschaft darstellt, die mit Überbleibseln des alten Regimes verbündet ist, zerreißt der Sudan zwischen zwei Herrschaftsformen ohne Legitimität, ohne Projekt und ohne Moral. Beide führen einen Existenzkampf im Auftrag ihrer ausländischen Förderer – beide bis zum Hals versunken in Abhängigkeit, Korruption und Verbrechen.

Im Hintergrund agieren die US-Regierung und die „erweiterte Vierergruppe“ als diejenigen, die die Fäden in der Hand halten – nicht um den Krieg zu beenden, sondern um die Szenerie neu zu gestalten, und zwar auf eine Weise, die ihre Interessen sichert: eine faktische Teilung des Sudan, begleitet von einer weichen Einigung, die den regionalen Akteuren ihre Hebel bewahrt und einige Täter unter dem Etikett „neue Zivilisten“ rehabilitiert. Diese jedoch, wie die Realität längst gezeigt hat, verkörpern nur ihre eigene Enttäuschung und ihre beschämende Bereitschaft, alle von der Revolution erhobenen Parolen preiszugeben.

Die jüngsten Entwicklungen zeigen zudem, wie brüchig der Konsens innerhalb des Viererkomitees selbst ist. Tiefe Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedern, ausgelöst durch direkte Interessenkonflikte mit den Kriegsparteien, traten offen zutage. So wurde das für Ende Juli geplante Treffen trotz intensiver Vorbereitungen ohne klare Begründung abgesagt. Während einige eine Ausweitung der internationalen Beteiligung befürworteten, hielten andere am engen Viererrahmen fest. Diese Spaltungen bestätigen, dass die sudanesische Lage Geisel verflochtener regionaler und internationaler Machtbalancen geworden ist – eine Geisel, deren Fesseln jeden echten Lösungsweg blockieren und die Krise weiter verkomplizieren.

Die amerikanisch-golfarabische Wette gilt nicht dem sudanesischen Volk, sondern der Fähigkeit, es durch altbewährte Werkzeuge zu unterwerfen: Milizen, die das Land mit Gewalt kontrollieren, eine faktische Herrschaft, die sich hinter regionalem Schutz verschanzt, schwache zivile Eliten, die zur Zierde eines Projekts aus Zerschlagung und fauler Einigung dienen, sowie ein internationales System, das die Rhetorik von „Frieden“ und „zivilem Übergang“ neu auflegt, nachdem es längst jede Prinzipien- oder Wertebindung aufgegeben hat.

Was hier geschieht, ist keine Lösung, sondern eine Neuauflage der Zerstörung – ein weicher, verschwörerischer Putsch mit diplomatischer Fassade, der das Ziel verfolgt, den Rest des Traums von einem Nationalstaat zu liquidieren und einen Sudan zu zementieren, der erschöpft, zerstückelt, aufgelöst und unter ausländische Vormundschaft gestellt ist, dessen Reichtümer von Botschaften und Sicherheitsfirmen verwaltet und dessen Führungen in geschlossenen Räumen bestimmt werden, in denen kein Platz für die Stimme des Volkes ist.

Doch das Volk, das die härtesten Diktaturen gestürzt hat, wird sich nicht erneut unter dem Banner einer „Einigung“ zur Schlachtbank führen lassen. Der Widerstand – trotz Vertreibung und Zerstörung – trägt immer noch seine lebendige Glut und ein Gedächtnis aus Feuer.

Dieser Deal wird nicht durchgehen – so wie auch in der Vergangenheit kein Versuch, der Revolution eine Vormundschaft aufzuzwingen, durchgegangen ist. Der einzige Weg zur Rettung führt nicht über ausländische Hauptstädte und nicht über die Deals der Stellvertreter, sondern beginnt mit der Mobilisierung der Vorhut nationaler und demokratischer Kräfte, um eine breite Volksfront zu schaffen, die ein vollständiges, radikales Veränderungsprojekt auf den Tisch legt – kein fragmentiertes –, und die die Volkssouveränität als einzige Referenz für jede Lösung, jede Legitimität und jede Zukunft wiederherstellt.

Die Alternative liegt nicht zwischen den Dschandschawid oder Port Sudan, nicht zwischen der Vierergruppe oder Unterwerfung – sondern zwischen dem Sudan, den wir wollen, und einem Sudan, der nach den Maßen der globalen und regionalen Imperialismen zugeschnitten ist.

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In der letzten Augustwoche kamen zeitweise über 1400 Menschen im Kölner Grüngürtel zusammen, um sich am Rheinmetall Entwaffnen-Camp zu beteiligen.

Eine lange und aufregende Protestwoche ist vorüber, doch der antimilitaristische Kampf geht natürlich weiter. Nach dem größten bisherigen Rheinmetall Entwaffnen-Camp sprechen wir erneut mit dem Bündnis.


Protest angekündigt, Camp verboten, gerichtlich gewonnen und dann mit Rekordzahl das Camp durchgeführt. Zahlreiche Veranstaltungen, Blockaden und Aktionen fanden statt und zum Abschluss dann ne aufgelöste Demo mit 11-Stunden-Kessel.
War gut was los in Köln letzte Woche, oder? Habt ihr mit so viel Aktion gerechnet?

Es war definitiv eine sehr aktionsreiche und erfolgreiche Woche in Köln! Wir waren uns schon vorher im Klaren darüber, wie die aktuelle Lage gerade international ist und in Deutschland. Also dass es seit dem letzten Jahr in Kiel seitens der Politik hier in Deutschland wirklich drastische Schritte gab und das an der Gesellschaft und vor allem an Jugendlichen nicht vorbeigeht. Dazu beschäftigen sich viele Gruppen und Organisationen in Deutschland mehr und mehr mit der

Aufrüstung und Militarisierung und waren so auch mehr auf dem Camp vertreten. Viele von uns wollen handeln und nicht nur erzählen – wir wollen wirklich diese Kriege stoppen.

Das wollen wir mit der Organisierung von uns allen. Und auch mit Aktionen – die Arbeiter:innen in Genua haben gezeigt, dass Aktionen nicht nur symbolisch, sondern wirklich etwas verändern können. Und genau diese Energie hat sich auf dem Camp gezeigt – mit den zahlreichen Aktionen in und um Köln. Also zusammenfassend haben wir schon damit gerechnet und schon die letzten Monate gesehen, was alles passiert gerade, aber während der Woche war es trotzdem sehr beeindruckend und hat allen viel Kraft und Mut geschenkt!

In unser aller liebsten Leitmedien liest man ja allerlei erstaunliche Horrorgeschichten und Gefahrenszenarien über die „Antimilitärparade“ und Demonstration vom Samstag.
Bei Gasflaschen auf dem Lautsprecherwagen, Massenbewaffnung und geklauten Schusswaffen – Da war ein derartiger Einsatz bestimmt gerechtfertigt, oder? Was war da eigentlich los?

Dass viele Medien Lügen über die Demo verbreiten, ist wie schon immer Teil von der Strategie uns klein machen zu wollen. Die Angst und das Wissen, dass das Camp, diese Demo und der Widerstand im Kessel das Potenzial haben Menschen in Köln und Deutschland mitzureißen und zu zeigen, dass es sehr wohl möglich ist etwas zu verändern und dass wir auf die Straße gehen müssen und können. Die Polizei hat vom Beginn der Demo gezeigt, dass sie unseren Protest stoppen will. Weil alle wissen, was für eine Kraft sich während das Camp gezeigt hat und auch, was für eine Niederlage die erfolgreichen Aktionen für die Polizei und den Staat waren.

Wir ordnen die Provokationen und diese absolut eskalierte Polizeigewalt als Racheaktion an der gesamten Woche, aber auch an dem gesamten letzten Jahr mit der aufkommenden antimilitaristischen Bewegung ein. Sie haben uns immer wieder gestoppt und sehr offensichtlich irgendwelche Gründe herangezogen, die das rechtfertigen sollten: Transpis, Fahnenstangen, Vermummung und am Ende ein Lautsprecherwagen …

Die Polizei hat mit dem Kessel, der Gewalt und der Repression gegen uns am 30. August sehr offen gezeigt, wie die Autoritarisierung des Staates immer weiter voranschreitet und auch weniger verdeckt wird. Presse und Sanis wurden festgenommen und an ihrer Arbeit gehindert. Die parlamentarische Beobachterin der Linken wurde vor laufender Kamera geschlagen und vor allem wurden hunderte junge Menschen vor dutzenden Kameras und Nachbar:innen verprügelt und das teilweise bis ins Krankenhaus. Es gab fast niemanden in diesem Kessel, der nicht verletzt war. Und das alles unter dem Vorwand von Fahnenstangen (die nicht aus Metall waren!), einem Auto mit Wunderkerzen und zwei Party-Helium-Luftballon Flaschen?? Es ist ganz eindeutig, dass das natürlich nicht die wahren Gründe waren und darüber sind wir uns sehr im Klaren. Es wurde versucht, unseren Widerstand zu brechen – das hat definitiv überhaupt nicht geklappt und es war wieder eine totale Niederlage für Polizei und Staat!

Wie waren eigentlich die Reaktionen von Anwohner:innen und Passant:innen? Kommt antimilitaristischer Protest im Stadtpark und lautstarker Widerstand im Vorgarten noch gut an?

Viele Anwohner:innen haben uns unterstützt. Uns wurden Trinkflaschen aufgefüllt und Essen gebracht und es gab sogar eine Konfettikanone für uns. Wir wurden bei der Demo und dem Kessel in unserem Eindruck bestätigt, dass in Köln unser Camp schon gut angekommen ist oder nicht explizit schlecht angekommen ist. Wir denken, dass es dafür verschiedene Gründe gibt, also dass wir uns weiterentwickelt haben, darin auch auf die Stadt einzuwirken, in der unser Camp ist, aber auch, dass die Menschen in der Stadt genauso verärgert sind über die Millionen, die für die Bundeswehr ausgegeben werden oder die Wehrpflicht oder dass Hunderte Menschen, die gegen Krieg protestieren in ihrer Straße komplett verprügelt werden. Wir wissen, es ist noch ein Weg vor uns, noch mehr unseren Protest in Verbindung zu jeder Person in der Stadt oder Region, wo wir sind und leben mitzunehmen. Aber wir denken auch, dass wir auf einem guten Weg dahin sind und das hat Köln gezeigt.

Die Bilder aus dem stundenlangen Kessel waren neben der brutalen Vorgehensweise der knüppelnden Staatsmacht sehr beeindruckend. Gegenüber den Hundertschaften an moralisch entleerten Zweibeinern in Kampfmontur sangen und riefen die eingekesselten Aktivisten stundenlang ohne Pause.
Was sind eure Eindrücke aus dem Kessel? Wie konnte die Stimmung so gehalten werden und was bringt das für die Zukunft mit?

Der Kessel war auf die eine Art und Weise definitiv ein weiterer Erfolg und wirklich historisches Erlebnis für alle! So verprügelt zu werden, mit so einem Aufgebot von Polizisten und Provokationen konfrontiert zu sein und trotzdem niemals aufzugeben und sich nicht darauf einzulassen, ist einfach nur beeindruckend. Wir haben es geschafft, immer wieder uns darauf zu konzentrieren, warum wir auf der Straße sind und warum diese Gewalt so passiert, wie sie passiert ist.

Durch unsere Rufe, Gesänge und Tänze haben die Menschen im Kessel gezeigt, was für einen Willen wir haben, um für Freiheit und Frieden zu kämpfen und dass wir das mit viel Moral machen. Und dass uns eine Polizeikette nicht trennen kann: Denn nicht nur der Kessel war beeindruckend: Auch die Menschen, die 12 Stunden lang danebenstanden und zusammen mit den Menschen gesungen und gerufen haben. Die Sanis, die durchgearbeitet haben, und die Presse, die solidarisch durchgehend die Kamera auf eskalierende Polizisten und rufende Menschen im Kessel gerichtet hat um diese Momente festzuhalten.

Wir alle waren eine Einheit und das ist etwas sehr Besonderes und Das haben alle gespürt! Aus diesen 12 Stunden haben wir nicht nur Kraft, sondern auch Hoffnung für die kommende Zeit gewonnen und wir haben der Welt und auch uns selber gezeigt, zu was wir fähig sind, wenn wir zusammenhalten! Diesen Kessel und die Stimmung kann man echt nicht in Worte fassen, da empfiehlt es sich auf jeden Fall, sich Videos und Bilder anzuschauen und nicht nur auf die Polizeigewalt zu schauen (mit der sich definitiv befasst werden muss, was wir auch machen).

Es ist einfach schön und inspirierend, im Nachhinein die Bilder und Videos zu schauen. von den tanzenden, hüpfenden, singenden und rufenden Aktivist:innen im Kessel und am Rand zu sehen. Das kann echt vielen die Inspiration und den richtigen Schubs gegeben haben, sich uns anzuschließen und weiter auf die Straße zu gehen. Und vor allem zu merken: Wir können den Krieg stoppen!


Checkt auch unser ausführliches Gespräch mit Mila vom Rheinmetall Entwaffnen Bündnis aus, welches direkt vor dem Camp aufgenommen wurde. Unten geht es direkt zum Videointerview.

Außerdem haben wir auf dem Camp unsere Broschüre „Ein Sturm zieht auf – Thesen zu Krieg, Imperialismus und Widerstand“ verteilt. Diese könnt ihr jetzt hier beim tollen letatlin Verlag bestellen.

Lasst uns gemeinsam das Feuer des Widerstandes vom Rheinmetall Entwaffnen Camp weitertragen! Krieg dem Krieg!

Bilder: eigene

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Von Ruzhn, Belutschische politische Aktivistin

Zwischen dem 9. und 11. Juli 2025 startete die Baloch Liberation Front (BLF) Operation Baam, eine koordinierte, landesweite Militärkampagne im besetzten Belutschistan. In nur 72 Stunden wurden über 84 Anschläge ausgeführt, was sie zur größten und synchronisiertesten Offensive der BLF bis heute macht. „Baam“ bedeutet Morgendämmerung auf Balochi und symbolisierte nicht nur eine taktische Eskalation, sondern den Beginn eines neuen strategischen Kapitels im belutschischen nationalen Befreiungskampf.

Der Kontext: Belutschistan unter Besatzung

Belutschistan, die größte Provinz Pakistans nach Fläche und Bodenschätzen, befindet sich seit 1948 in militärischer Besatzung. Trotz geo-strategischer Bedeutung und umfangreicher mineralischer Ressourcen sehen sich die belutschischen Menschen politischer Marginalisierung, wirtschaftlicher Ausbeutung und einer brutalen Counterinsurgency-Kampagne ausgesetzt, geführt von Pakistans Militär und Geheimdiensten.

Der belutschische Widerstand, sowohl bewaffnet als auch gewaltfrei, besteht seit Jahrzehnten. Die Baloch Liberation Front gilt als eine der wichtigsten bewaffneten Formationen, die gegen die pakistanische Herrschaft kämpfen, und operiert vornehmlich in den südlichen und zentralen Regionen Belutschistans.

Was machte Operation Baam anders?

Im Gegensatz zu früheren Guerilla-Aktionen stand Operation Baam für eine High-Level mehrfronten Kampagne. Die BLF behauptet, dass bei der Operation über 50 pakistanischen Militär- und Geheimdienstmitarbeitern getötet wurden, während 51 weitere verletzt wurden. Neun Geheimdienstler sollen an einer Checkpoint-Position in Musakhel gefangen genommen und hingerichtet worden sein.

Wesentliche Merkmale der Operation umfassen:

  • 84 gleichzeitige Angriffe in mehreren Distrikten, darunter Kech, Awaran, Kohlu, Kalat und Dera Bugti.
  • Zerstörung militärischer und Überwachungsinfrastruktur, darunter 7 Mobilfunktürme und 5 Drohnen.
  • Beschlagnahme von Waffen und Dokumenten aus pakistanischen Armeelagern und Konvois.
  • Einrichtung von 22 temporären Kontrollpunkten, um kurzfristige Kontrolle über feindliches Territorium zu behaupten.
  • Koordination über unwegsames Gelände, von der Makran-Küste bis zu den Sulaiman-Bergen.

Das Ziel war deutlich: Militärische Mobilität lähmen, Überwachungskapazitäten zerstören und operative befreite Zonen schaffen. Dies markierte eine doktrinäre Verschiebung von taktischem Stören hin zu koordinierter Störung und psychologischer Dominanz.

Psychologische und politische Kriegsführung

Über den militärischen Erfolg hinaus hatte die Operation Baam ein schweres symbolisches Gewicht. Sie zeigte die Fähigkeit der BLF, den Mythos der Staatsskontrolle herauszufordern und direkt die Infrastruktur der Besatzung anzugreifen. Die Operation war auch eine politische Botschaft an den pakistanischen Staat, an die belutschische Bevölkerung und an die Welt: Der Widerstand ist nicht zerbrochen; er entwickelt sich weiter.

Sie erfolgte zu einer Zeit, in der urbaner belutschischer Aktivismus unter der Führung von Frauen, Studenten und Familien der Verschwundenen zunahm. Operation Baam bildete eine Brücke zwischen Bergen und Städten, Waffen und Stimmen, in einer einheitlichen Erzählung des Widerstands.

Baam im Kontext eines wachsenden Widerstands

Operation Baam brach nicht einfach isoliert aus; sie war die schärfste Klinge einer breiteren Eskalation im belutschischen Befreiungskampf.

Laut einem jüngsten Bericht des belutschischen Innenministeriums verzeichnete die Provinz zwischen dem 1. Januar und dem 11. Juli 2025 501 bewaffnete Vorfälle, die 257 Todesopfer und 492 Verletzte forderten. Von diesen richteten sich 332 Angriffe speziell gegen Staatstruppen, sie töteten 133 Soldaten und verletzten 338. Tötungen von Siedlern sollen im Vergleich zu 2024 verdoppelt worden sein, mit 52 Toten, die bei 14 Angriffen getötet wurden – eine Zahl, die der Staat nutzt, um die Befreiungsbewegung zu diskreditieren.

Die Allianz der bewaffneten Gruppen der Belutschen unter der Führung von Baloch Raaji Aajoi Sangar (BRAS), darunter die BLA und die BLF, hat jedoch die Darstellung des Staates zurückgewiesen. In ihren Erklärungen warf die BRAS dem pakistanischen Militär vor, absichtlich Siedler und nicht-lokale Arbeitskräfte in militarisierten Zonen anzusiedeln, um Zustimmung für die Besatzung zu erzeugen. Sie behaupten, dass staatliche Streitkräfte, Geheimdienstmitarbeiter und die Infrastruktur der Rohstoffindustrie ihre primären Ziele seien.

In ihren eigenen Halbjahresberichten:
•    Die BLA gab 284 Angriffe an, bei denen 724 feindliche Soldaten getötet und 373 verletzt worden seien.
•    Die BLF meldete 302 Angriffe, bei denen 221 Feinde getötet und über 148 verletzt worden seien.
•    Zusammen behaupten die beiden Gruppen, 151 Waffen beschlagnahmt, dutzende Fahrzeuge zerstört und kurzzeitig die Kontrolle über Militärposten übernommen zu haben.
•    53 Kämpfer wurden getötet – 29 von der BLA, 17 von der BLF und 7 Selbstmordattentäter.

Unabhängig davon, ob man den staatlichen Daten oder den Kommuniqués der Widerstandgruppen Glauben schenkt, bleibt eine Wahrheit bestehen: Belutschistan befindet sich in einem Zustand des eskalierenden Kampfes, nicht nur in einer bloßen Sicherheitskrise.

Eine Verschiebung des Gleichgewichts

Die Operation Baam war keine einmalige Machtdemonstration, sondern eine Erklärung der Ausdauer, der Leistungsfähigkeit und der Ausrichtung der Bewegung. Sie signalisierte, dass die Belochistan Liberation Front und die breitere Unabhängigkeitsbewegung sich nicht mehr auf reaktive Verteidigung beschränken, sondern in eine Phase strategischer Durchsetzung eingetreten sind.

Für den Staat war es ein Schlag gegen die Illusion der Kontrolle. Für das Volk der Belutschen war es eine Erinnerung daran, dass der Widerstand lebendig ist. Und für die Welt sollte es ein Weckruf sein: Belutschistan ist nicht nur eine vergessene Peripherie, sondern ein Schlachtfeld für Würde, Souveränität und das Recht auf Selbstbestimmung.

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Der vorliegende Text ist die dritte These unserer Broschüre „Ein Sturm zieht auf – Thesen zu Krieg, Imperialismus und Widerstand“. Die vollständige Broschüre mit neun weiteren Thesen ist beim Letatlin Verlag bestellbar.

Vom Irak über Jugoslawien, Afghanistan, nochmal Irak, Libyen, Ukraine, immer wieder Palästina und zuletzt Iran – wenn der Westen Krieg führt, dann geschieht das nie aus unmoralischen Motiven! Wenn der Westen Krieg führt, dann nur weil er freiheitliche Werte, Zivilisation, Demokratie und internationale Sicherheit verteidigen muss gegen die Barbarei der Anderen, welche diabolische Eigenschaften und grundlos böse Absichten haben. Wir sind die Guten und führen Krieg gegen das Böse.1 Dieses Narrativ ist in allen Kriegseinsätzen des Westens der letzten 35 Jahre mehr oder weniger dasselbe gewesen.2 Praktischerweise deckt sich das Böse dabei rein zufällig immer mit den geopolitischen Gegnern des Westens und die Regionen, in denen Krieg geführt wird, mit westlichen Wirtschaftsinteressen an Rohstoffvorkommen und Handelsrouten.

Im herrschenden Diskurs des Westens wurde „Terrorismus“3 dabei zum Synonym für „das Böse“, insbesondere im Mittleren Osten. Gemeint sind alle (teils durchaus reaktionären) Staaten und Kräfte, die der westlichen Hegemonie im Mittleren Osten, seiner Unterwerfung, Durchkapitalisierung und Eingliederung in den US-geführten Machtblock, entgegenstehen.

Narrative nach 9/11

Ein prägender Zeitpunkt in der Geschichte des „Krieg gegen den Terror“ war der 11. September 2001. Der westliche Imperialismus hat nach diesem Tag eine neue Phase eingeläutet und eine Großoffensive im Mittleren Osten begonnen. Eine US-UK-geführte Militärkoalition begann einen jahrelangen Zerstörungs- und Besatzungsfeldzug erst in Afghanistan, dann im Irak. Offiziell erklärtes Ziel war, die Drahtzieher und Unterstützer von 9/11 zu vernichten, internationale Sicherheit herzustellen und dem Mittleren Osten Freiheit und Demokratie zu bringen. Diese Kriege schadeten jedoch vor allem der Zivilbevölkerung. Zwischen 900.000 und 1,3 Millionen Menschen fielen dem Terror des „Krieg gegen den Terror“ in Irak und Afghanistan zum Opfer – die meisten davon Zivilist:innen.4 Die „Freiheitsmission“5 hinterließ Instabilität in der Region. Die vom US-geführten Westen angestrebten regime changes und ein stabiles nation / state building nach westlichem Vorbild mit Anbindung an das westliche System haben nicht funktioniert. Der Irak ist ein instabiler Staat und Gruppen wie der sogenannte Islamische Staat sind in den Gefängnissen und Foltercamps der US-Besatzung entstanden und sorgen bis heute für große Probleme. Al-Qaida konnte nicht zerschlagen werden und eine ihrer Abspaltungen stellt heute die syrische Regierung. In Afghanistan haben mit Abzug der US-Truppen nach 20 Jahren die Taliban umgehend wieder die Macht übernommen und sitzen fester im Sattel als zuvor. Libyen, welches die NATO 2011 bombardierte, um den antiwestlichen Führer Muammar Gaddafi zu stürzen, versinkt bis heute in Gewalt, Chaos und Willkür, worunter vor allem die Gesellschaft und die vielen Geflüchteten leiden. Die Kriege führten zu massiven humanitären Katastrophen und dienten nicht dem Schutz der Menschen, weder im Mittleren Osten noch im Westen, sondern der Aufrechterhaltung globaler Machtstrukturen. Die realen Interessen der USA in Afghanistan (welches sowohl an China als auch den Einflussbereich Russland angrenzt) und im Irak (der reich an Öl und dessen Kontrolle im Mittleren Osten von zentraler geopolitischer Bedeutung ist) hatten mit Kampf für Demokratie und Menschenrechten von Anfang an nichts zu tun.

Kriege, die unter dem Vorwand geführt werden, den Terrorismus zu bekämpfen, sind in Wirklichkeit Kriege um geopolitische Kontrolle, Ressourcen und die Durchsetzung imperialer Interessen. Durch die Erzählung des „Terrorismus“ und des „Bösen“ wurden und werden militärische Angriffe auf politische Gegner-Staaten gerechtfertigt sowie antiimperiale und antikoloniale Bewegungen delegitimiert6. Im Bezug auf Israels Krieg gegen Palästina wird die Erzählung der „Zivilisation gegen die Barbarei“ bereits seit Langem verwendet. Spätestens jedoch seit dem 7. Oktober wird der palästinensische Widerstand delegitimiert, indem er als islamistisch und barbarisch der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ gegenübergestellt wird. Die palästinensische Gesellschaft wird generalisiert als rückständig und islamistisch dargestellt.7 So wird ein Genozid an zehntausenden Zivilist:innen durch einen vermeintlich „zivilisierten“ Staat als notwendiges Übel im „Kampf gegen die terroristische Hamas“ gerechtfertigt.8 Mit ähnlichen Narrativen konnte Israel als enger US- und NATO-Verbündeter im Nahen Osten die letzten Jahrzehnte Angriffe und Besatzungen im Libanon, Syrien, Iran und dem Jemen durchführen.

Das ultimative Böse als akute Bedrohung

Auffällig ist bei all dem, dass immer wieder massive Bedrohungsszenarien heraufbeschworen wurden, um Kriegseinsätze zu begründen, die offensichtlich einen ganz anderen, nämlich geopolitischen Hintergrund hatten: Die Massenvernichtungswaffen im Irak, die sich als Lüge herausstellten, die Bezeichnung Saddam Husseins als „Hitlers Wiedergänger“, der die Vernichtung der Juden vollenden wolle, die Aussage „Nie wieder Auschwitz“ des grünen Außenministers Fischer zur Legitimation des ersten deutschen Kriegseinsatzes nach 1945 in Jugoslawien, die angebliche Atombombe des Iran im Juni 2025 und das ständig angeblich in seiner Existenz bedrohte Israel: Immer wieder wird mit Superlativen, erfundenen Bedrohungen wie im Irak oder übertriebenen Szenarien wie im Iran die Öffentlichkeit in Angst versetzt, aufgehetzt und damit präventive Militäraktionen, Angriffskriege, ja Völkermorde gerechtfertigt. Die Information, der öffentliche Diskurs, die Medien, die Meinung und Stimmung im eigenen Land, der „Heimatfront“ sind empfindlich wichtig für die Herrschenden wenn sie Krieg führen wollen; darum spielt das Narrativ der Selbstverteidigung gegen einen absolut bösen Feind, der uns akut bedroht, eine zentrale Rolle – sozusagen als „rechtfertigender Notstand“.

Wir schreiben das nicht, weil wir denken, dass die Beurteilung der Kriege in Irak oder Afghanistan in der deutschen Linken und Gesellschaft sonderlich kontroverse Themen sind (mit Ausnahme des Genozids in Palästina). Wir schreiben das, weil die Logiken und Dynamiken hinter diesen Erfahrungen nicht tot sind und wir in der deutschen Aufrüstung und Kriegsvorbereitung gerade ein Wiederaufleben dieser Narrative sehen und die Haltung einiger Linker dazu bei uns große Fragezeichen auslöst.

Ukraine, Russland und die deutsche Militarisierung

In der Linken in Deutschland sind in den letzten Jahren seit Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine vermehrt verwirrte Aussagen zur stattfindenden Militarisierung und eine fragwürdige Positionierung zum eigenen imperialistischen Staat zu beobachten. Konkret zur Involviertheit des deutschen Staats wie z.B. Waffenlieferungen haben sich mitunter diametrale Positionen gebildet. Das Narrativ „Wir sind die Guten und führen Krieg gegen das Böse“ taucht dabei auch in der Linken wieder auf. Eine Analyse der zugrundeliegenden Geschichte in der Ukraine, der russischen, europäischen und US-amerikanischen Interessen und der materiellen Prozesse, die zu dieser Konfrontation geführt haben, bleibt häufig aus. Solche Analysen müssen aber stattfinden, wenn man sich als Linke nicht einfach stumpf der imperialistischen Staatspolitik und ihrer Propaganda der „Verteidigung der Freiheit“ ergeben will:

Die geopolitische Situation in der Ukraine

In der Ukraine treffen die Interessen dreier imperialistischer Blöcke aufeinander: Erstens die EU, welche eine wirtschaftliche Osterweiterung will und aufgrund des Interesses an der Ukraine als Wirtschaftsraum für billige Arbeitskräfte und neue Absatzmärkte von dieser forderte, die Eigenständigkeit zwischen den Lagern aufzugeben und sich dem europäischen Macht- und Wirtschaftsblock anzuschließen. Zweitens die Amerikaner, die geostrategische Interessen an der Ukraine in ihrer Expansion gen Osten haben. Und drittens das russische imperiale Interesse an der Ausweitung bzw. Aufrechterhaltung des eigenen wirtschaftlichen und politischen Zugriffsbereichs und der Verhinderung der NATO- und EU-Osterweiterung. Zugrunde liegen allen drei Machtblöcken, egal wie sie ihre Politik ideologisch rahmen, dieselben Interessen: wirtschaftliche. Es geht um die Bodenschätze im Donbass, Absatzmärkte und Arbeitskräfte, sowie den geostrategischen Standort – um die Expansion des eigenen Imperiums. Diese Interessen prallen aufeinander und dadurch ist die Ukraine seit spätestens 2014 zum Spielball zwischen westlichen und östlichen Interessen geworden.

Viele Ukrainer:innen wollten vor dem russischen Angriffskrieg ein Zwischenstaat bleiben: In der EU arbeiten können, aber Güter aus Russland importieren, die dann bezahlbar wären. Die EU aber wollte, dass Ukrainer:innen billig für uns arbeiten und gleichzeitig unsere teuren Güter kaufen. Und Russland wollte das Gleiche andersherum. In den USA gab es in den letzten Jahren widersprüchliche Ansätze der Ukraine-Politik, aber im Grundlegenden sind sie an der Expansion ihrer Hegemonie gegen Russland, China und den Mittleren Osten interessiert. Eine ukrainische Neutralität wurde von keiner beteiligten Seite akzeptiert. Die EU hat bis 2013/2014 versucht, durch Scheckbuch-Politik, dem Angebot finanzieller „Hilfe“ und einem neoliberalen Assoziierungsabkommen die Ukraine unter ihre Kontrolle zu bringen und wirtschaftlich zu unterwerfen, während Russland die Ausschaltung seines Einflusses im Nachbarland hinnehmen und sein Interesse abmelden sollte. Vielleicht hat der Westen, insbesondere die EU, nicht damit gerechnet, dass es so blutig wird. Fakt ist, dass Putin zum militärischen Angriff übergegangen ist und jetzt einen Krieg zur Unterwerfung der Ukraine seinerseits und gegen die Expansion des westlichen Machtblocks führt. Viele westliche Staaten und Konzerne werfen seitdem verstärkt Geld, Waffen und Expertise auf das Schlachtfeld, um am Krieg und Wiederaufbau zu verdienen, den politischen und wirtschaftlichen Zugriff auf die Ukraine nicht zu verlieren und ihre jeweiligen Machtansprüche zu behaupten.

Beide Seiten werfen sich in ihren Narrativen gegenseitig Faschismus vor. Die Wahrheit ist, dass beide Seiten (auf ukrainischer Seite die NATO) imperialistisch sind und zur Durchsetzung ihrer Interessen in Teilen faschistische Streitkräfte unterhalten. Die Interessen der US-geführten NATO und Russlands mit China als Verbündetem sind nicht unterschiedlich, nur entgegengesetzt. Das Gerede von Freiheit gegen Diktatur oder Menschenrechte gegen Barbarei ist moralische Heuchelei, die dadurch funktioniert, dass Russland als erstes den Schritt vom Wirtschafts- zum militärischen Krieg gegangen ist. In anderen Fällen hat der Westen das Gleiche getan wie oben bereits ausgeführt. Putin ist nicht der neue Hitler. Er vertritt sein imperiales Interesse mit militärischen Mitteln, so wie es andere imperialistische Staaten tun. Der russische Angriffskrieg ist völkerrechtlich illegal, moralisch zu verurteilen und die Ukraine hat ein legitimes Selbstverteidigungsrecht. Ihre Tragödie ist aber, dass sie Schauplatz eines imperialistischen Stellvertreterkriegs geworden ist, in dem sie als Schlachtfeld zur Austragung höherer, äußerer Interessen genutzt wird. Es ist nicht gerecht, dass auf Kosten ihres Landes, ihrer Gesellschaft und ihrer Leben ein blutiger, brutaler Machtkampf geführt wird. Es gibt in diesem Krieg jedoch für die Bevölkerung nichts mehr zu gewinnen, genau so wenig für demokratische und fortschrittliche Kräfte. Dafür ist es gewissermaßen zu spät. Deshalb muss ein Waffenstillstand, diplomatische Verhandlungen und dauerhafter Frieden in einer neutralen, demilitarisierten und kooperativen Ukraine das Ziel sein und nicht die ewige Weiterführung des Kriegs. Dass neben Russland auch die westlichen Staaten weiter auf Krieg, Waffenlieferungen und Aufrüstung setzen, liegt an ihren eigenen Interessen in der Ukraine und nicht daran, dass sie das ukrainische Volk oder Menschenrechte interessierten.

Westliche Freiheit vs. russischer Autoritarismus?

Das Argument, was oft für Waffenlieferungen an die Ukraine und auch Aufrüstung und Militarisierung in Deutschland angeführt wird, ist ein angeblich drohender russischer Generalangriff gegen die EU und die NATO, um weitere Länder zu besetzen und Putins Autoritarismus mithilfe prorussischer Kräfte auf andere europäische Gebiete auszuweiten. Unser jetziger Staat sei der bessere und wenn wir uns unsere Freiheit vor einer russischen Diktatur bewahren wollten, müssten wir uns für einen Angriff rüsten. Wie wahrscheinlich all das ist und wie viel westliche Propaganda in diesem Szenario steckt, sei an dieser Stelle zweifelnd dahin gestellt.

Es stimmt aber, dass die Russische Föderation aktuell in vielen Teilen eine autoritärere und reaktionärere Innenpolitik verfolgt als der deutsche Staat. Bürgerliche Grundrechte sind in Deutschland noch eher gültig als in Russland, wenn auch mit Einschränkungen und in ihrer Gänze meist nur für den unkritischen Mainstream der weißen Staatsbürger:innen. Angesichts der brutalen Verfolgung von Anarchist:innen und politischen Oppositionellen und der Unterdrückung von LGBTIQA+ in Russland befinden wir uns in Deutschland aber trotzdem noch in einer verglichen komfortableren Lage. Das westliche Narrativ von der Verteidigung des „Fortschritts“ oder der „Zivilisation“ gegenüber dem „Rückständigen“ bleibt jedoch eine falsche Dichotomie.

Rechtsruck und Militarisierung im Westen

Die Repression gegen die Palästina-Proteste und der zunehmende Rechtsruck der Staatspolitik zeigt das Potential der autoritären Entwicklung auch in Deutschland auf. Auch die Faschisierung in den USA, der ICE-Terror, die Willkür, die sozialen Kürzungen, die Verfolgung politischer Oppositioneller und die weiter zunehmenden Angriffe auf die Rechte von Frauen und LGBTIQA+ zeigen, dass wir uns nicht in einem demokratischeren, progressiveren, sichereren Machtblock gegenüber Russlands Autoritarismus wähnen dürfen, sondern solche Zustände auch im Westen und in Deutschland möglich sind und dies einzig eine Frage der politischen Kräfteverhältnisse ist. Was in den USA gerade an faschistischem Umbau passiert, ist eine Warnung, was uns auch in Deutschland bevorsteht. Angriffe auf die Rechte von Frauen, LGBTIQA+, Migrant:innen, politischen Oppositionellen, Marginalisierten und Arbeiter:innen werden von der CDU-geführten Regierung schon heute durchgeführt oder vorbereitet. Merz ist dabei gerade so viel Trump wie es in Deutschland aktuell möglich ist. Zu Schweigen davon, was uns im Zuge des aufsteigenden neuen deutschen Militarismus noch alles an autoritärer Innenpolitik und sozialem Kahlschlag bevorsteht. Rechtsruck und Faschisierung sind nichts, was von außen kommt. Der Rechtsruck in der deutschen Staatspolitik wird dabei von denselben Kräften vollzogen, welche aktiv und aggressiv auf Militarisierung drängen. Wer also Militarisierung und Krieg gegen Russland aus „progressiven“ Gründen befürwortet, macht sich mit genau denen gemein, die Rechtsruck und Autoritarisierung in Deutschland vorantreiben.

Eine Angst, aus der teilweise Betroffene eine deutsche Militarisierung befürworten, ist ein russischer Faschismus, welcher die homo- und transfeindlichen Zustände aus Russland in weitere Länder expandiert. Ängste vor Verfolgung sollten ernst genommen und nicht einfach abgetan werden! Dem deutschen Staat geht es aber nicht darum, Rechte von Queers in der Ukraine zu verteidigen. Er hat rein machtpolitische und ökonomische Interessen und wird diese in Zukunft auch zusammen mit einem von Neonazis durchsetzen ukrainischen Staat umsetzen, welche sicher nicht für die Rechte queerer Menschen eintreten werden. Der Kampf für Feminismus, gegen Homo- und Transfeindlichkeit ist ein integraler Bestandteil unseres Kampfes und muss auf der gesellschaftlichen und staatspolitischen Ebene geführt werden. Wer aber ernsthaft glaubt, dass eine Verbesserung der Situation unterdrückter Geschlechter und Sexualitäten durch Krieg, Aufrüstung, Militarismus in der Gesellschaft und imperialistische Staatspolitik erreicht wird, an dessen politischer Analysefähigkeit sei an dieser Stelle stark gezweifelt.9 Wer den deutschen Militarismus unterstützt, kriegt den Krieg und Autoritarismus, den er bekämpfen will und das ganz ohne russische Besatzung. Die neokoloniale Ökonomie10, die Unterstützung des Genozids in Palästina und der Krieg der EU gegen Geflüchtete zeigen das reaktionäre Potential der liberalen imperialistischen Staaten, die ihren Liberalismus nur nach innen und auch nur solange es in ihrem Interesse ist und sie es sich leisten können, gelten lassen.

Die vermeintlich alternativlose Wahl zwischen einer liberalen Kriegsunterstützung Deutschlands oder der Unterwerfung unter Putin ist also eine falsche Gegenüberstellung. Das „kleinere Übel“ ist ein analytischer Fehler. Wir sind nicht die Guten. Wir sind nicht das kleinere Übel, das man „verteidigen“ muss. Wer hat uns eigentlich angegriffen? Der Westen und auch Deutschland hat maßgeblich mit zu diesem Krieg und der Konfrontation beigetragen und drängt selbst auf imperialistischen Expansionskurs.

Antisystemische Opposition statt „freien Westen verteidigen“

Es ist nicht die Aufgabe von Sozialist:innen, aus realpolitischem Defätismus imperialistische Staatspolitik zu machen. Wer in dieser Logik argumentiert, weil er oder sie keine Analyse der wirtschaftlichen, machtpolitischen und historischen Gründe der Verhältnisse macht, landet früher oder später bei einem Schulterschluss mit dem deutschen Imperialismus, auch wenn die Ursprungsintention vielleicht Mitgefühl mit den Ukrainer:innen oder Sorge um die von Putin Unterdrückten ist. Aber diese Schlussfolgerung wird nicht zu weniger sondern mehr von allem führen, was wir bekämpfen: Krieg, patriarchale Gewalt, Gleichschaltung, Armut, Rassismus, Nationalismus, Demokratieabbau, soziale Kürzungen. Wer also so weit nach rechts rückt, dass er in einer Querfront mit der eigenen herrschenden Klasse für deren Kriegspolitik eintritt, muss sich mit Recht die Frage gefallen lassen, ob er oder sie Sozialist:in oder einfach deutsche:r Liberale:r ist. Wessen Plan für die nächsten Jahre ernsthaft eine Unterstützung der deutschen Militarisierung im Rahmen einer regressiven nationalen Realpolitik „gegen Russland“ ist, dem sei nahegelegt, ob er oder sie nicht vielleicht direkt zur SPD oder den Grünen gehen sollte – die sind diesen Weg wenigstens schon konsequent zu Ende gegangen.

Der Weg eines wirklichen Kampfes gegen Faschismus und die Unterdrückung von Frauen und LGBTIQA+, Migrant:innen, Geflüchteten, allen Marginalisierten und der gesamten Arbeiter:innenklasse führt nicht über die Unterstützung der Militarisierung eines imperialistischen Staates auf Kriegskurs, sondern über die Stärkung demokratischer, antiimperialistischer Kräfte in Staat und Gesellschaft und das Eintreten für Frieden. Die Aufgabe von Sozialist:innen ist eine Verhinderung weiterer Eskalation und autoritärer Zuspitzung, um die Möglichkeiten demokratischer Politik zu stärken, wahre Alternativen zum imperialistischen System zu schaffen. In Kriegsregimen werden die Bedingungen brutaler, prekärer, reaktionärer als in Friedenszeiten und die Spielräume für politische Opposition, gesellschaftliche Gegenmacht und demokratische Politik schrumpfen. Die lohnabhängige Gesellschaft hat dabei nichts zu gewinnen. Die Perspektive liegt in der Erhaltung und Erweiterung der Spielräume für gesellschaftsdemokratische und klassenkämpferische Politik. Die antifaschistische und sozialistische Strategie führt über das Eintreten für Verhandlungen, Frieden und antiimperialistische Selbstbestimmung.11

1 Merkmale von Kriegspropaganda analysiert u.a. Anne Morelli in „Die Prinzipien der Kriegspropaganda“ (2004)

2 Das Schema ist nicht neu: In der antikommunistischen Hysterie des Kalten Kriegs und den westlichen Kriegen gegen antikoloniale Befreiungsbewegungen wie in Vietnam zeichnete die imperialistische Propaganda ähnliche Bilder. Dies geht meist mit einer rassistischen Erzählung einher. Auch die europäische Arbeiter:innenbewegung wurde teils unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung kriminalisiert. Die Dämonisierung des Gegners zur Rechtfertigung der eigenen Kriegshandlung und Täuschung über die wahren eigenen Motive ist vermutlich so alt wie der Krieg selbst.

3 Die Begriffe Terror und Terrorismus müssen kritisch betrachtet werden, da sie nahezu immer interessengeleitet verwendet werden und dabei kolonial aufgeladen sind und repressiv wirken sollen. Im Westen werden sie vor allem für nicht-weiße Menschen / Organisationen und politisch Widerständige verwendet.

4 https://www.brown.edu/news/2021-09-01/costsofwar

https://www.bundeswehr-journal.de/2015/rund-13-millionen-tote-durch-krieg-gegen-den-terror

5 Enduring Freedom („dauerhafte Freiheit“), Name der Militäroperation in Afghanistan 2001

6 Die rassistisch-koloniale Logik macht oft keinen grundlegenden Unterschied zwischen islamistisch, sozialistisch oder einfach anti-westlich/nationalistisch, sondern behandelt alle aus kolonisierten Ländern stammenden Widerstände als Terroristen/Barbaren. Deutlich wird das z.B. auch an den Kategorien, in denen der deutsche Verfassungsschutz arbeitet: In dessen jährlichem Bericht wird unter „Ausländerkriminalität“ bzw. ausländischer Terrorismus alles nicht als deutsch/westlich definierte von der PKK bis zum IS zusammengefasst, unabhängig von Zielen oder Ideologie.

7 Dieses Narrativ ist eine Kontinuität aus der Kolonialzeit. Damals wurden die Verbrechen der Kolonialmächte legitimiert, indem die Kolonisierten als „primitiv“ und „barbarisch“ gekennzeichnet wurden. Daraus wurde das Weltbild des biologischen Rassismus geprägt, welches Kolonisierte in Zusammenhang mit der Natur setzte und einen hierarchischen Gegensatz zwischen „Natur“ und „Kultur“ aufmachte. Zwar wird diese Form des Rassismus heute für wissenschaftlich überholt erklärt und Begriffe wie „Rasse“ offiziell nicht mehr verwendet, jedoch zeigt sich an der Dynamik, das „Zivilisierte“ dem „Barbarischen“ zur Rechtfertigung westlicher Krieg gegenüberzustellen seine Kontinuität.

8 Im UN-Bericht „From economy of occupation to economy of genocide“ der UN-Sonderbeauftragten für Palästina Francesca Albanese werden auch hier die ökonomischen Interessen hinter dem „Krieg gegen den Terror“ in Gaza beleuchtet (https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/hrbodies/hrcouncil/sessions-regular/session59/advance-version/a-hrc-59-23-aev.pdf).

9 siehe These 2

10 Mehr zur Kolonialismus-Frage in These 9

11 Mehr zu Widerstand und Perspektiven in der zentralen 6. These

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Übersetzung aus dem Al-Maidan

Jeden Monat veröffentlichen wir eine Übersetzung aus der Zeitung der Kommunistischen Partei Sudan, dem Al-Maidan. Dieser Artikel umfasst die ersten zwei Teile einer vierteiligen Serie, die sich mit der Rolle der US-Regierung und den möglichen Perspektiven und Zielen internationaler Verhandlungen beschäftigt.

Teil I

Als Donald Trump das Amt des US-Präsidenten übernahm, befand sich die Welt unter dem Druck dreier Kriege mit regionalem Charakter und globalen Dimensionen.

Der Ukraine-Krieg, der als militärisches Eingreifen Russlands zur Annexion von Teilen des ukrainischen Territoriums begann, entwickelte sich zu einem regionalen und internationalen Konflikt zwischen Russland und der NATO.

Der katastrophale Krieg im Sudan brach aus, nachdem alle Versuche der Deeskalation und der Einigung durch Vermittlung und internationale Interventionen gescheitert waren. Beide Konfliktparteien streben nun danach, weitere Vorteile zu erlangen, um sie als Verhandlungsmasse zu nutzen – insbesondere angesichts erster Anzeichen für eine mögliche Lösung, die sich nach der Wahl Trumps abzuzeichnen beginnen.

Und da ist natürlich der von den USA unterstützte israelische Krieg gegen die Völker des Nahen Ostens, der sich von Gaza und den besetzten Gebieten bis nach Syrien, Libanon, Irak, Jemen und sogar in den Iran erstreckt.

Es scheint, dass das amerikanische Projekt in Bezug auf die Ukraine in eine Sackgasse geraten ist. Im Nahen Osten hingegen arbeitet Washington intensiv daran, Lösungen zu finden, die die US-Interessen sichern und ihre Rolle in der Region festigen – mit dem Ziel, Israel als zentralen politischen und wirtschaftlichen Partner in jedem zukünftigen Projekt zu verankern.

Der Krieg im Sudan hingegen stagniert, während Land und Bevölkerung weiterhin den Preis des Konflikts zahlen – in Form von Blutvergießen, der Zerstörung der Infrastruktur und steigender Zahlen an Toten und Inhaftierten. Auf regionaler und internationaler Ebene geraten die Vermittlungsbemühungen ins Stocken, da die Lage immer komplexer wird. Seit dem Scheitern der Londoner Konferenz, ein Waffenstillstandsabkommen zu erreichen und humanitäre Hilfe zu ermöglichen – was vor allem auf die Verweigerungshaltung der Regierungen von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien zurückzuführen ist – werden derzeit ernsthafte Versuche unternommen, das sogenannte “Quartett” (USA, Saudi-Arabien, VAE und Ägypten) wiederzubeleben, um eine Lösung zu finden, die die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt und den lokalen Verbündeten einige ihrer Forderungen erfüllt.

Berichten zufolge war ein Treffen des Quartetts am 20. Juli in Washington geplant, um Spannungen zwischen den regionalen Akteuren abzubauen. Doch es scheint, dass die Regierungen von Ägypten, Saudi-Arabien und den Emiraten weiterhin unbeweglich auf ihren Positionen verharren, was die US-Regierung dazu veranlasste, das Treffen auf Ende des Monats zu verschieben.

Diese Verschiebung – begleitet von Streitigkeiten um den “sudanesischen Kuchen” – wirkt sich negativ auf das Land aus. Die Krise verschärft sich, der Hunger und die Krankheiten nehmen zu, und die Wellen von Vertreibung und Flucht erreichen ein nie dagewesenes Ausmaß.

Inmitten dieses medialen Lärms und der diplomatischen Bewegungen unter amerikanischer Führung bleiben die entscheidenden Fragen auf den Lippen der Bevölkerung:

Gibt es am Horizont eine reale Hoffnung auf eine Lösung, die dem Krieg ein Ende setzt? Oder handelt es sich lediglich um Manöver, die zu brüchigen Lösungen führen – wie jene, die das Volk schon erlebt hat und die nur eine noch tragischere Rückkehr des Krieges mit sich brachten?

Offensichtlich stellen die Differenzen innerhalb des Quartetts einen Hauptfaktor für die Verlängerung des Krieges dar. Beobachter weisen auf intensive Versuche hin, eine Einigung über die zukünftige Führung der Armee nach einer möglichen Lösung zu erzielen. Gleichzeitig versuchen die Muslimbrüder und ihre Verbündeten, die Lage auszunutzen, indem sie neue Gesichter und Führungspersonen an die Spitze der Militärinstitution bringen…

Teil II

Im ersten Teil gingen wir auf die regionale und internationale Lage sowie auf die Komplexität und die Differenzen zwischen den Akteuren ein, die unter der Schirmherrschaft der US-Administration versuchen, den Krieg zu beenden. Dabei wird ein grundsätzlicher Konflikt zwischen dieser Administration und der ägyptischen Regierung hinsichtlich der Zukunft der derzeitigen Führung der sudanesischen Armee nach dem Ende des Krieges und dem Beginn eines politischen Ausgleichs deutlich.

Kairo besteht darauf, dass die derzeitige Militärführung auch nach dem Krieg im Amt bleibt, aus Angst, dass diese Führungspersonen mit Sanktionen belegt werden könnten. Der Schutz al-Burhans, die Gewährleistung seiner Straffreiheit, die Verhinderung seiner Ausgrenzung aus dem politischen Prozess sowie die Ablehnung einer gegen Ägypten gerichteten oder unabhängigen Regierung – all das ist für die ägyptische Regierung inakzeptabel.

In diesem Zusammenhang wird über Aktivitäten der Muslimbruderschaft und ihrer Führungsfiguren in der türkischen Hauptstadt berichtet, die darauf abzielen, ihren Einfluss innerhalb der Armee durch das Einsetzen alternativer Führungspersonen zu wahren, welche das Vertrauen der Karti-Gruppe und ihrer Verbündeten genießen. Natürlich spielen auch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate eine wichtige Rolle, insbesondere im Hinblick auf ihre Zustimmung zu einer künftigen Einigung. Beide Länder sind bestrebt, ihre wirtschaftlichen Interessen zu schützen – sei es durch die Kontrolle über fruchtbares Ackerland, Viehbestände oder wertvolle Bodenschätze wie Gold.

Die Lage im Sudan wird zusätzlich dadurch kompliziert, dass Russland seine Haltung geändert hat – von der Unterstützung der Rapid Support Forces (RSF) hin zur Unterstützung der Autorität von Port Sudan. Dies geschieht im Bestreben Moskaus, Militärbasen an der Küste des Roten Meeres zu errichten. Gleichzeitig ist auf die militärische und politische Unterstützung Irans für die Autorität in Port Sudan sowie für mit dem politischen Islam verbundene Milizen hinzuweisen – ebenso auf die türkische Unterstützung für die Macht der hohen Offiziere und Ankaras Interesse, seinen Verbündeten, die Dbeiba-Regierung in Libyen, zu schützen.

Im Inneren unterstützen die Gruppen des politischen Islam – einzeln oder gemeinsam – die Autorität von Port Sudan. Dagegen neigen die von der „Tagaddum“-Plattform abgespaltenen politischen Gruppen zur Unterstützung der RSF-Miliz sowie der SPLM-N (al-Hilu-Flügel), die auch als „Gruppe der Gründung“ bekannt ist.

Besonders hervorzuheben sind politische Gruppen mit Stammesbindungen zur Region Darfur, wie etwa Burhan Nasser, der ehemalige Vorsitzende der Umma-Partei. Innerhalb der „Samud“-Plattform gibt es interne Spannungen, und ihre Beziehungen zu regionalen Regierungen wie den VAE werfen viele Fragen auf.

Alle Akteure streben danach, bei den für Ende Juli in Washington geplanten Gesprächen stark vertreten zu sein. Die regionalen wie auch lokalen Kräfte erwarten sich von einer möglichen Einigung einen Platz am Verhandlungstisch – als sogenannte „zivile Kräfte“ – der ihnen eine Rolle in der Nachkriegsordnung sichern könnte.

In diesem Zusammenhang sehen einige Beobachter in einem Waffenstillstand und der Möglichkeit, sichere Korridore unter internationaler oder regionaler Aufsicht für humanitäre Hilfe zu öffnen, einen ersten Schritt hin zu einem diplomatischen Erfolg. Dies könnte das Washingtoner Treffen vorbereiten und die Chancen auf eine Einigung erhöhen, die dem Sudan eine neue Realität aufzwingt – eine Machtteilung zwischen neuen Gesichtern der Konfliktparteien und zivilen Repräsentanten, die das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft – sprich der US-Administration – genießen, innerhalb einer von den USA unterstützten Zivilregierung.

Ziel dieser Art von Einigung ist es, die Akten der Verbrechen und Verstöße zu schließen – ähnlich wie im Rahmenabkommen – unter Berücksichtigung des militärisch-zivilen Kräfteverhältnisses vor Ort. Das Hauptziel ist ein Waffenstillstand oder eine vorübergehende Beruhigung, die dazu dient, die widerständige Bevölkerung und ihre national-demokratischen Kräfte zu betäuben, die wahre Opposition zu spalten und einige ihrer Teile an den Verhandlungstisch – also in den Verrat – zu ziehen: eine Neuauflage des Szenarios von April 2019.

Fortsetzung folgt.

Bild: Public_Domain_Photography (pixabay.com)

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Ob in der Zeitung, bei Insta oder im Fernsehen, in diesen Tagen kommt man um einen Namen nicht mehr herum: Ole Nymoen. Der will nämlich nicht für Deutschland in den Krieg ziehen und eckt damit gerade richtig an.
Während die Kriegstrommeln bei Lanz und Maischberger spätestens seit der «Zeitenwende» verlässlich im Takte schwingen und wir drei Jahre lang den moralischen Melodien von Westliche-Werte-Annalena und Kriegsminister Boris lauschen durften, erleben wir plötzlich erfrischend abwechslungsreiche Töne in Deutschlands Talkshows und den Feuilletonseiten. Plötzlich hören wir eine fast trotzige Oppositionsstimme zu den olivgrünen Kriegstreiber:innen und transatlantischen Friedensaufrüster:innen/Rüstungspazifist:innen. 

Da sitzt plötzlich der Ole Nymoen, den meisten wohl bekannt aus dem Podcast „Wohlstand für Alle“, und verteidigt konsequent, teilweise auch gegen das Publikum, seine Ablehnung gegenüber Wehrpflicht und Kriegstreiberei.


Ich, für Deutschland kämpfen? Never!

Vergangenen Sommer löste er damit fast schon einen kleinen Skandal aus, als er sich in der ZEIT mit einem Kommentar zu Wort meldete – inmitten der aufflammenden Debatte über die dringende Notwendigkeit einer Wehrpflicht. In Windeseile kassierte der gescholtene „Lumpenpazifist“ viel Hass und Gegenrede, sodass er es für sinnvoll erachtete, seine damalige Argumentation nun in einem Buch vertieft darzustellen.

In „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“ begründet Ole Nymoen in leicht verständlicher Sprache, warum er nicht in den Krieg ziehen (und sterben) möchte – nicht im Falle einer kommenden Wehrpflicht und erst recht nicht für einen Nationalstaat wie Deutschland.

Zackbum. Da ist er nun also. Der eigentlich gar nicht mal sooo heiße Hottake. Im Moment ist er aber dann doch eben heiß diskutiert, sind doch all die Lumpenpazifist:innen und wohlstandsverwahrlosten Gen Z-Bengels ein Dorn im Auge der kriegstreibenden Klasse.

Mein Leben ist mir mehr Wert als die Freiheit, die nicht meine ist.

Doch warum hat der Ole denn so ein Problem mit der Wehrpflicht, dass er „lieber in Unfreiheit“ leben möchte als für Freiheit zu sterben 

Nun, treffend stellt er heraus, dass es nicht „sein“ Staat ist: „Ich möchte nicht für mein Land kämpfen, denn was heißt das überhaupt: «mein Land»? Das Possessivpronomen «mein» suggeriert, ich würde eigenes Land besitzen oder hätte zumindest den Ort meiner Herkunft selbst gewählt. Nichts davon ist der Fall: Weder verfüge ich über einen einzigen Quadratmeter dieses Landes selbst noch habe ich es mir als meine Heimat ausgesucht.“ (S. 113)

Um wessen Freiheit geht’s hier eigentlich?

„Der Staat ist also kein nützlicher Diener des Volkes, sondern umgekehrt: Das Volk ist dem Staat und seinen Zielen ausgeliefert.“ (S. 62)

Für Ole Nymoen ist also klar, dass es nicht seine Interessen sind, die mit einer Wehrpflicht verteidigt werden sollten. Denn „Staaten sind […] Herrschaftskonstrukte, deren Existenz für die Untertanen alles andere als funktional ist. Der Staat ist kein Dienstleister am Volk, der gnädigerweise Sicherheit und andere Wohltaten gewährt, sondern spannt umgekehrt seine Bürger für die eigenen Zwecke ein, von denen sie oftmals wenig haben.“  Hier sieht es Ole Nymoen wie Karl Marx:“Staatsbürger zu sein, ist kein Glück, sondern ein Pech.“ (S. 59)

Damit macht er natürlich einen guten, richtigen und wichtigen Punkt, der immer wieder hochgeholt wird, wenn das nationale „Wir-Gefühl“ der demokratischen Gemeinschaft gepusht werden soll. „Wir sind Papst; Wir sind Weltmeister; Wir sind sogar Exportweltmeister.“ Bei dem beschworenen „Wir“, welches nun ein „Wir müssen uns verteidigen“ ist, geht es niemals um eine solidarische, humanistische Gesellschaft. Es geht immer nur um die Legitimierung einer Politik, die eigentlich nicht im Interesse der Gesellschaft ist. Wir sollen verdammt nochmal den Gürtel enger schnallen, damit sich „unsere deutschen Kriegskassen“ füllen. Und beim Duschen gefälligst sparen, um als „einer von 80 Millionen für den Energiewechsel“ zu sorgen. Wir sollen teurere Lebensmittel akzeptieren und zum Freiheitsdienst antreten, damit „unsere Freiheit“ beschützt wird. Cleverer Schachzug, um die Verantwortung von Vater Staat auf die Gesellschaft zu projizieren.

Unser Krieg ist doch kein Krieg!

Ole Nymoen geht auch auf die verzerrte Darstellung und die Debatte darüber ein, welche Rolle Deutschland im Kriegsgeschehen eigentlich einnimmt. Denn selbstverständlich will in Deutschland niemand Krieg, gottbewahre ! Sowieso wird Krieg in der Regel nicht als Angriff, sondern vielmehr als ein notwendiger Akt der Verteidigung benannt, da „es sich um ein reines Defensivmanöver handele, das ihm [dem Staat] vom Rest der Staatenwelt aufgezwungen wurde.“ (S. 35)

Die Logik ist bekannt. 2022 begann Russland keinen Angriffskrieg, sondern eine „militärische Spezialoperation“; türkische Bombardements gegen Kurden in Nordsyrien sind immer nur „Terrorabwehr“, und die USA als „Weltpolizei“ waren ja sowieso immer wieder gezwungen, in aller Welt militärisch „zu intervenieren“. Deutschland hat die „Freiheit am Hindukusch verteidigt“ und auch jetzt geht es Baerbock und Konsorten sowie nur um die „Verteidigung westlicher Werte“ – nur jetzt halt auch mit Wehrpflicht und Waffenlieferung. Aber bloß nicht mit Kriegsbeteiligung.

Dass der aktuelle Aufrüstungskurs sehr wohl in einer aktiven Kriegsbeteiligung aufgeht, ist in verschiedenen Publikationen und Planspiele staatstreuer Thinkthanks sichtbar: Während 2013 schon von „Neuer Macht und neuer Verantwortung“ in der deutschen Außenpolitik gesprochen wurde, wurde im „Grünbuch ZMZ 4.0“ die Rolle als logistische Drehscheibe Anfang des Jahres exakt berechnet und durchgespielt.

Sind wir nicht alle ein wenig Schwarz-Rot-Gold?

Für die notwendige Rückendeckung an der Heimatfront braucht es eben eine andere Erzählung: „Wenn die Rede davon ist, dass der Staat Y «sich selbst» verteidige, wird genau diese Unterscheidung zwischen Volk und Führung verwischt“ (S. 42) und der Gesellschaft der jeweiligen Staaten wird suggeriert, die Verteidigung von Nationalstaat und Bürger:in sei das selbe: ,,Dass jeder Staat seine eigene Klassengesellschaft verwaltet, wird gern kaschiert in nationalistischen Formulierungen von «unserem Wohlstand», « unseren Steuergeldern» oder «unseren Grenzen». Das nationale «Wir», das heraufbeschworen wird, ist eine verlogene Fiktion: Erweckt werden soll der Eindruck, dass der Nationalstaat ein gemeinsames Projekt sei, das nur zum Nutzen der Bürger ins Leben gerufen wurde – auch wenn das Gegenteil der Fall ist. “ (S. 82)

Die Peitsche für diese entlarvende Argumentation holte er sich bei einem Late-Night-Auftritt, so treffend wie ehrlich, von der deutsch-ukrainischen Maria Weisband (natürlich ist sie eine Grüne) :

,,Das, was mich an deiner Argumentation stört, Ole, ist, dass du keinerlei Ownership an der Gesellschaft zu haben scheinst. Ich hab das Gefühl, du bist Anarchist und das finde ich absolut sympathisch, da viben wir, aber ich glaube, gerade aus so einer Perspektive heraus habe ich eine Ownership. Der Staat ist nicht etwas Externes, der nur dabei ist, mich zu unterdrücken, sondern diese Gesellschaft ist grundsätzlich etwas, das ich mitgestalte.“ Als wollte die Grünen-Politikerin alles untersteichen,was Ole sagt.

Doch der bennnt sehr gut, dass es nicht, wie so häufig es auch konstruiert wird, das gleiche ist, seine Familie auf der Straße gegen einen direkten Angriff oder einen Nationalstaat an einer anderen Landesgrenze zu verteidigen: „Während bei einer Gewalttat zwischen Privatpersonen die angegriffene Seite tatsächlich sich selbst verteidigt, also mit eigener Gewalt das eigene Leben schützt, ist es beim Staat anders. Wo dieser angegriffen wird, verteidigen sich die Staatschefs bekanntlich nicht selbst, sondern entsenden Dritte zum Schutz der eigenen Souveränität“(S. 41)

Ein Denkansatz ohne Lösungsperspektive

Im letzten Kapitel geht Ole Nymoen noch auf einzelne Kommentare ein und damit auch auf den Vorwurf, dass seine Argumentation eine Ich-zentrierte ist. Dem entgegnet er überraschend: „menschliches Wir, soziales Miteinander [ist] für mich die wohl stärkste Triebfeder meiner publizistischen Arbeit“. (S. 127) 

Diese Motivation soll ihm auch nicht abgesprochen werden. Doch es ist tatsächlich schade, dass es Ole Nymoen dabei bestehen lässt, keine Perspektive für einen gesellschaftlichen Umgang mit der zunehmenden Militarisierung darzustellen und lediglich einen theoretichen Denkansatz zu bieten: „Dieses Buch liefert keine politischen Lösungen“ (S. 22).  Seine Argumentation zur Ablehnung der Wehrpflicht und seiner Antikriegshaltung basiert vor allem auf der materialistischen Haltung heraus, er sei nicht bereit, für den Staat zu sterben: ,,Ich will nicht in Schützengräben liegen, in ständiger Furcht, von Bomben oder Granaten zerfetzt zu werden.“(S. 114)

Zwar macht er klar, dass er nicht einfach nur ein hippiesker Pazifist ist und es daher ,,eine Menge [gibt], wofür [er] zu kämpfen bereit wäre“ (S. 130). Doch dieser Teil bleibt nur vier Seiten lang und liest sich wie die Beschreibung einer fernen, gar unrealistischen Utopie eines „modernen Sozialismus“. Es ist alles in allem aber doch sehr unkonkret.

Damit erfüllt er nicht nur das Klischee des „Anti-Alles-Linken“. Er verpasst auch die Gelegenheit zu argumentieren, warum es kollektive Gründe der Arbeiterklasse und der gesamten Gesellschaft gibt, nicht für die Nationalstaaten als Kanonenfutter sterben zu wollen und somit den Krieg zu verraten.

Ole Nymoen will keine Verantwortung für den Staat übernehmen, verständlich. Doch es scheint so, als wolle er dies auch nicht für die Gesellschaft tun.

Wofür wollen wir denn kämpfen ?

Natürlich bietet das Buch eine authentische Perspektive, indem es den Reflex aufgreift, die eigene Wehrbereitschaft“ zu hinterfragen. Wer kennt den Gedanken „Ich will nicht sterben“ nicht oder hat die Frage „Wofür bin ich bereit zu kämpfen?“ nicht schon mal gestellt? Das ist sicherlich auch ein Grund, warum sich das Buch in kürzester Zeit gut verkaufte und zum Spiegel-Bestseller wurde. Doch gerade in einer Zeit, in der es der linken Bewegung oftmals an Orientierung fehlt, sollte die Frage, wie wir den Krieg gemeinsam verraten oder gar verhindern können, tiefer diskutiert werden. Dass dies nicht nur die Aufgabe von Podcaster:innen oder Autor:innen ist, sollte klar sein. Doch für Ole scheint es ebenso absolut zu sein, dass der Krieg kommen wird und nicht verhinderbar ist, also auch, dass er sich aus dem Staub machen wird.

Dennoch schafft es Ole Nymoen mit dem Werk nicht ausreichend, eine Perspektive für eine zeitgemäße und junge Friedensbewegung, die über ein inidviduelles Desertieren hinausgeht, zu schaffen. Dass es hierfür das Potential gibt, zeigen die zunehmenden Diskusionen über Wehrpflicht und Krieg in der Bahn oder auf den Schulhöfen. Über die Notwendigkeit einer widerständigen Gesellschaft gegen die Kriegstreiberei müssen wir an dieser Stelle gar nicht erst sprechen. 

Im ersten Teil des Buches „Über den Sinn des Krieges“ versucht sich Ole Nymoen an einer niedrigschwelligen Erläuterung des imperialistischen Charakters des Nationalstaates, ackert sich dabei an Lenins Imperialismustheorie ab und bleibt dennoch uneindeutig. Der Versuch, linke Imperialismustheorie in den Mainstream zu bringen, ist lobenswert, doch hier besticht das Buch weniger durch eine treffende Imperialismusanalyse, sondern vielmehr durch verständliche Sprache. 

Auch in der Unterscheidung zwischen konventionellen und Vernichtungskriegen erscheint die Argumentation zeitweise schwammig. So argumentiert Nymoen, dass im Falle eines Vernichtungskriegs die Auslöschung der Staatsmacht und die des Volkes zusammenschmelzen und so militärische Gegenwehr notwendig ist.“ (S.93)  Wann dies zutrifft und was es für Konsequenzen hätte, benennt er aber nicht.

Ein Buch, das den Zeitgeist trifft

Im Grunde ist es ein Buch, mit dem man nicht überrascht wird. Es ist das drinnen, was drauf steht. Nun ist es zugegebenermaßen auch nicht leicht, in 144 Seiten ein ideologisches Manifest zu schreiben. Das kleine tarnfarbende Buch ist auch wirklich nicht zu einem geworden. Es ist kein Buch für den nächsten Lesekreis der Kritischen-Hochschul-Theoretiker oder das nächste Imperialismus-Podium.

Es ist vielmehr ein Buch, bei dem man nur hoffen kann, dass es den vielen Jugendlichen in der Schule in die Hände fällt, bevor der Jugendoffizier den Geounterricht übernimmt. Ein Buch für den kleinen Bruder, der die Idee, bei der Bundeswehr Mechatroniker zu werden, eigentlich ganz cool findet. Ein Buch für den schwierigen Onkel, mit dem du dich schon zweimal über die Wehrpflicht gestritten hast, ohne auch nur ein Argument auszutauschen.

Es ist ein Buch, das mit all den Lücken trotzdem seinen Zweck erfüllt und die Chance hergibt, den so notwendigen gesellschaftlichen Diskurs über die Militarisierung der Bevölkerung und die Debatte über Wehrpflicht, Wehrdienst und Freiwilligenjahr zu beeinflussen. Und es ist offensichtlich ein Buch, das im Moment ausreicht, um die ganzen Panzer-Pazifisten und NATO-Stiefellecker à la Bosetti und Schröder mal auf die Palme zu bringen und das nebenbei Schlagwörter wie Imperialismus, Nationalstaat und Klassenwiderspruch im breiteren Diskurs salonfähig macht.

Dafür kann man Germanys Next Putintroll Ole Nymoen auch einfach mal danken.

„Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde – Gegen die Kriegstüchtigkeit“ von Ole Nymoen ist am 11.03.2025 bei rowohlt erschienen. 

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Die Kriegsvorbereitungen in Deutschland laufen auf Hochtouren. Spätestens seit den aktuellen Diskussionen um aberwitzige Aufrüstungsprogramme in der BRD im Umfang von bis zu 900 Milliarden Euro, den deutsch-europäischen Bestrebungen endlich wieder Weltmacht zu werden und aus dem Schatten der USA heraus zu treten und den Diskussionen um einen direkten Krieg gegen Russland im Jahr 2029 ist das auch bei weiten Teilen der Bevölkerung angekommen. Nicht umsonst spielte das Thema bei Landtagswahlen im letzten Jahr eine große Rolle, sorgte unter anderem für den Einzug des Bündnis Sahra Wagenknecht in verschiedene Parlamente und auch bei den diesjährigen Bundestagswahlen war das Thema Krieg weit oben bei den Sorgen der Wähler*innen.

Das „Zukunftsforum öffentliche Sicherheit e.V.“ (ZOES e.V.), ein staatseigener, parteiübergreifender Thinktank der regelmäßig Denkschriften zur aktuellen Sicherheitsarchitektur und -lage in der BRD veröffentlicht, hat passend zur zunehmend militarisierten öffentlichen Meinung das „Grünbuch zivil-militärische Zusammenarbeit 4.0“ vorgelegt. Dort wird mit dem, freilich rein fiktiven, Szenario eines Truppenaufmarsches der NATO an der Ostflanke im Jahr 2030 geplant und daran die Herausforderungen für die bundesdeutsche Gesellschaft als Unterstützer:innen der Bundeswehr und der Gaststreitkräfte aus den NATO-Staaten diskutiert. Vor allem die Bereiche Gesundheitsversorgung, (kritische) Infrastruktur, Verwaltung und innere Sicherheit bekommen von den Verfasser:innen besondere Aufmerksamkeit.

Das Grünbuch analysiert die Ausgangslage für einen solchen Aufmarsch und seine Schwierigkeiten und soll Handlungsempfehlungen für die zukünftigen Regierenden zum Schließen vermeintlicher Lücken in der Sicherheitsarchitektur der BRD geben.

Die Zusammensetzung des Vorstands und die politische Linie seiner Publikationen zeigt den politischen Auftrag des „Zukunftsforums“: Neben Mitgliedern der Regierung sitzen Vertreter:innen der (Sicherheits-)Wirtschaft und ehemalige Militärs zusammen und erarbeiten Lösungen im Sinne einer möglichst umfassenden sozialen Kontrolle der Gesellschaft durch den Staat und seine Institutionen.

Gesundheitsversorgung

„Die zuverlässige Versorgung mit Leistungen des Gesundheitswesens ist für Militärangehörige und die Zivilbevölkerung ein wichtiger Faktor für deren Moral und Resilienz in Krisen und Konfliktfällen.“ (Grünbuch ZMZ 4.0, S. 32) – mit diesem Satz beginnt der Abschnitt zur Gesundheitsversorgung von Militär und Gesellschaft im Kriegsfall. Dass schon heute in Bezug auf die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, sowohl notfallmedizinisch als auch hausärztlich, ein gravierender Mangel in der BRD herrscht ist den Autor*innen durchaus bewusst und wird auch im Folgenden benannt, die Analyse der Gründe freilich werden außen vor gelassen. Stattdessen kommt dieser Mangellage die Aufmerksamkeit der Autor*innen nur aus einer militärischen Logik zu: wie kann eine Gesundheitsversorgung von Bundeswehr und Verbündeten im Kriegsfall garantiert werden? Wie kann der Bevölkerung vermittelt werden, dass die Versorgung verwundeter Soldat*innen Vorrang hat? Wie kann medizinisches Personal in der Versorgung Kriegsverletzter geschult werden?

Statt auf Versorgungslücken im Gesundheitssystem im Rahmen von Kriegsvorbereitungen zu verweisen, wäre eine ausreichende Finanzierung durch die öffentliche Hand unter demokratischer Kontrolle der Gesellschaft für die Bevölkerung eine dringende Notwendigkeit. Die Privatisierung der Krankenhäuser und ein elitäres Studiensystem im Bereich Medizin hat zu einer massiven Versorgungslücke geführt und das ist nicht erst seit der Corona-Pandemie offensichtlich. Der Verweis auf die Kapazitäten der USA im militärmedizinischen Bereich schaffen dabei weiterhin falsche Anreize. Schulungen medizinischen Personals sollten immer dem Wohle aller und auch international zugute kommen, dem sind Mediziner*innen weltweit schließlich verpflichtet. Statt das Training für die Versorgung von Kriegsverletzungen sollten die Bemühungen für dauerhaften Frieden und Abrüstung an erster Stelle stehen. Die Überlegungen, zivile Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz unter militärisches Kommando zu stellen, laufen außerdem den Grundsätzen der Hilfsorganisationen zuwider, wonach sie allen im Krieg versehrten Hilfe zukommen lassen müssen, nicht nur der jeweils „eigenen“ Seite.

Abschließend ist es an Dreistigkeit nicht mehr zu überbieten, wenn die Verfasser*innen den Regierenden zielgruppenspezifische Kommunikationsstrategien nahe legen um die Bevölkerung in ihrer Breite auf eine Mangellage im Kriegsfall vorzubereiten. Wie das aussehen könnte?: „Leider müssen wir Ihnen mitteilen dass ihre Mutter verstorben ist, das Bett ist für Soldat*innen reserviert die schnell gesund werden müssen um weiter zu kämpfen, aber Sie können stolz sein denn so haben sie einen Beitrag zur glaubhaften Abschreckung unsere gemeinsamen Feinde gemacht.“ Solche Kalkulationen mit Bereichen der allgemeinen Daseinsvorsorge sind in Zeiten in denen bereits eine akute Mangellage besteht mehr als zynisch und zeigen welches Geistes Kind die Autor*innen sind.

Innere Sicherheit

„Ein breit geführter gesellschaftlicher Diskurs über die Gefahren extremistischer Bestrebungen sowie eine erhöhte Sensibilität aufgeklärter Bürgerinnen und Bürger angesichts potenzieller Bedrohungen sind essenzielle Bestandteile einer wehrhaften Demokratie.“ (Grünbuch ZMZ 4.0, S.39).

Die herrschende Klasse geht, völlig zurecht, davon aus, dass im Falle eines umfassenden Krieges der Unmut in der Bevölkerung gegen die Kriegspolitik und die Präsenz des Militärs in den Straßen, samt Einschränkungen des öffentlichen Lebens, zu vermehrten Aktionen und Demonstrationen gegen den Krieg führen wird. Um diesem Problem vorzubeugen empfehlen die Autor*innen vor allem zweierlei: zum einen eine breit angelegte Kommunikationskampagne die auf eine formierte Gesellschaft abzielt („aufgeklärte Bürger*innen“), dass bedeutet allen soll klar sein wo der Feind im Inneren (links) und im Äußeren (Feinde des Wertewestens) steht, damit der Unmut über Mangellage und autoritäre Maßnahmen sich dementsprechend entladen kann.

Wenn das allerdings nicht ausreicht muss es dann eben doch die harte Hand des Staates richten gegen alle die den öffentlichen Frieden, also Truppen- und Materialtransport an die Front über öffentliche Infrastruktur oder die Einberufung Wehrpflichtiger, stören. Deshalb soll parallel zur Homogenisierung der öffentlichen Meinung wie wir es schon im Rahmen des Krieges in Gaza oder der Ukraine bestaunen durften die sogenannten Sicherheitsbehörden massiv aufgerüstet werden. Das bedeutet mehr Befugnisse für den skandalumwitterten Verfassungsschutz samt partieller Aufhebung des Trennungsgebots zwischen Geheimdiensten und Polizeien zur „besseren Informationsweitergabe“, eine Aufstockung der Kapazitäten der (Bundes-)Polizei samt erhöhter Präsenz auf den Straßen und der Einsatz des Militärs zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben. Proteste dagegen begegnen den Autor*innen dabei immer nur als Folge einer Einflussnahme von außen, dass die Menschen schon jetzt von maroder Infrastruktur, Repression und eingeschränkter Versorgung die Schnauze voll haben kommt in einer „formierten Gesellschaft“ eben nicht vor.

Fazit und Ausblick

Die Probleme der Gesellschaft, wie die Unterfinanzierung von Bereichen des Allgemeinwohls, aus der Perspektive des Militärs und des Krieges zu analysieren, instrumentalisiert die realen Ängste der Menschen. Es verstellt den Blick auf die Ursachen, nämlich das kapitalistische Wirtschaftssystem und die imperialistische Politik der herrschenden Klasse. Nach einem durch Profitlogik kaputtgesparten Gesundheitssystem oder maroder Infrastruktur durch gekürzte öffentliche Ausgaben fragt dann keiner mehr. Diese Probleme unter denen die Bevölkerung seit Jahren und Jahrzehnten leidet werden von den Verfasser*innen im eigenen Interesse analysiert und sollen im Interesse der Herrschenden und auf Kosten der Allgemeinheit gleichsam gelöst werden. Die bedarfsgerechte und langfristige Deckung der Grundbedürfnisse der Gesellschaft in den Bereichen öffentliche Daseinsvorsorge, Nahrung oder Wohnraum kommt dabei nicht vor, kriegstüchtig muss das Land sein und die Menschen sind dabei nur Objekt von Kommunikatiionsstrategien und Risikokalkulationen.

Um einen Krieg zu verhindern müssen die Grundlagen der kriegerischen Auseinandersetzungen in einem multipolaren Weltsystem beseitigt werden: die Konkurrenz der Monopole und der sie vertretenden Nationalstaaten um Rohstoffe, Handels- und Energierouten. Die Kriege der herrschenden Klasse gehen immer zu Lasten der Allgemeinheit und sind nur möglich durch die Mobilisierung reaktionärer Denk- und Verhaltensmuster. Um einer Militarisierung im Hier und Jetzt Einhalt zu gebieten braucht es eine Offensive gegen Wehrpflicht und Sondervermögen, für einen Ausbau diplomatischer Bemühungen um eine atomare Auseinandersetzung zu verhindern und ein Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge in den Bereichen Zivilschutz, Ernährung und Wohnen um rechten Einstellungen den Boden zu entziehen. Die Linke in Deutschland darf nicht wieder den Fehler machen und in das Kriegsgeheul der Herrschenden einstimmen, wenn sie sich als glaubhafte Alternative präsentieren will sondern muss die Kriegsvorbereitungen denunzieren und angreifen denn ihre Kriege sind nicht unsere Kriege, ihr Frieden nicht unser Frieden!

Foto: Twitter/ThatSimplePanda

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Interview mit Peter Egger, Mitglied des Bund der Kommunist:innen, über Folklore am Arbeiter*innenkampftag, den DGB auf der Revolutionären-1.-Mai-Demo und die Notwendigkeit, die Systemfrage zu stellen. Das Gespräch führte Casia Strachna

Der Bund der Kommunist*innen gehört als Teil des Bündnisses „Nicht auf unserem Rücken“ zu den Organisator*innen der Revolutionären 1. Mai Demo in Berlin. Ist das nicht mittlerweile eher überholte linke Folklore?

So leichtfertig sollte man die Bedeutung der Demonstration nicht abtun: Sie gehört immer noch zu den größten regelmäßig stattfindenden Demonstrationen in Deutschland. Sie ist zehnmal größer als die Demo des DGB, die vormittags stattfindet und hinter der ein ganzer Gewerkschaftsapparat steht. Und sonst wird man dem Tag, dessen Tradition eine wichtige, nicht nur symbolische Bedeutung für die Arbeiter:innenklasse hat, auch nicht gerecht. Es geht um die Rechte der Arbeiter:innen und Ausgebeuteten. Es geht darum, sich zu wehren, grade in Zeiten von Wirtschaftskrise und nationalistischem Kriegstaumel. Wie kann das überholt sein? Natürlich bleibt es wichtig, genau diese Demonstration weiter zu führen.

Aber ähnelt es mittlerweile nicht eher einem Schaulaufen für Touris und die Leute kommen eigentlich nur noch, weil sie alten Kreuzberger Glamour erwarten? Konkret frage ich mich: Ist es die Arbeiter:innenklasse, die am Arbeiter:innenkampftag um 18 Uhr mit der Revolutionären-1.-Mai-Demo durch Neukölln und Kreuzberg ziehen wird?

Auch, na klar. Vermutlich nehmen an der revolutionären Demo mehr Arbeiter:innen teil, als an den meisten anderen Demonstrationen. Klar sind die Leute durchschnittlich eher jünger als bei der DGB-Demo, viele gehen halt noch zur Schule oder studieren. Dennoch sind sie Teil der Klasse und werden spätestens nach ihrer Ausbildung ebenso in den kapitalistischen Verwertungsfleischwolf geworfen wie die von uns, die arbeiten. Und natürlich kommen sie auch, weil wir eben die Klassenwidersprüche aufzeigen und Lösungen dafür anbieten.

Und wie sind die Lösungen?

Brot, Frieden und Sozialismus: Die Verteilungskämpfe um knappe Ressourcen dürfen nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Wir müssen dafür sorgen, dass nicht diejenigen, die eh schon wenig haben, nun auch noch am meisten unter der Inflation leiden. Konkret muss es also um höhere Löhne gehen, vor allem um bessere Tarifabschlüsse. Wir haben jetzt einen Verlust unserer Kaufkraft und brauchen auch jetzt mehr Geld, nicht erst in einem Jahr höhere Löhne. Es geht um Frieden in der Ukraine – aber auch im Jemen, Libyen, Afghanistan und überall. Das massenhafte Abschlachten der Armen für die Profitinteressen der Reichen muss ein Ende finden. Sofort.
Wir müssen über Aufrüstung reden, wofür Geld im Überfluss vorhanden ist und das gegenüberstellen zu allem, wofür angeblich kein Geld da ist, wie Schulen, Kitas, bezahlbarer Wohnraum, faire Löhne, die Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen.

Aber bekommt man das nicht besser hin im Schulterschluss mit den anderen Teilen der Arbeiter*innenklasse, konkret also dem DGB?

Der DGB kann natürlich gerne bei uns mitlaufen, wenn er sich hinter die Forderungen eines Revolutionären 1. Mai stellt. Wir werden ja auch vormittags auf der DGB-Demo mitgehen. Ob da jetzt alle 20.000 kommen werden, die abends zu uns kommen? Wahrscheinlich eher nicht, aber der organisierte Teil ist da.

Wie ist denn die Perspektive über den 1. Mai, über den hohen Feiertag hinaus? Wie geht es am 2. Mai weiter?

Unser Fokus liegt auf der Arbeit in und um unsere Kiezläden, der Roten Lilly in Neukölln, der Kommune65 im Wedding und dem Café Wostok in Lichtenberg, also konkret in der Stadtteilarbeit unserer Stadtteilkomitees. Da haben wir einen Einfluss auf den Kiez und bauen eine Linke von unten auf. Nachdem traditionelle Gruppen wie FelS, Avanti und ALB in der Interventionistischen Linken aufgegangen sind, haben deren Vertreter*innen leider faktisch überhaupt keine Vernetzung mehr in der Klasse, die meisten anderen postautonomen Gruppen sind in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Uns geht es um revolutionäre Stadtteilarbeit. Wir organisieren unsere Nachbarschaft. Bei uns gibt es Sozialberatung, Hilfe bei Problemen mit dem Vermieter, Sprachschulen, Veranstaltungen, Lebensmittelausgaben, Kiezkantinen und machmal sogar Kino. Natürlich ist die Resonanz jeweils unterschiedlich, aber es stößt in jedem Fall auf Interesse. Auffällig dabei ist, dass eine klare kommunistische Perspektive im Kiez ankommt.

Woran machst du das fest?

Naja, man merkt ja schon, dass etliche Leute einerseits nachfragen, und andererseits auch klare Positionen einfordern und wir verstecken unsere Gesinnung ja auch nicht. Die Leute lassen sich nicht mit hohlen Phrasen abspeisen und der Behauptung, dass man nur einzelne Stellschrauben oder einzelne Gesetze ändern müsste, und dann ginge es ihnen besser. Die Menschen werden im Wortsinne radikaler, gehen an die Wurzel der Probleme und wollen grundlegende Veränderungen. Ja, das ist natürlich die Systemfrage und es ergibt keinen Sinn so zu tun, als würde man diese Systemfrage nicht stellen, nur um gefälliger zu sein.

Revolutionäre 1. Mai Demonstration in Berlin 17:00 U-Boddinstraße
„Brot, Frieden, Sozialismus – Ihre Krise nicht auf unserem Rücken!“

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Seit knapp zwei Monaten greift der faschistische türkische Staat wieder großflächig Gebiete in Rojava an. Diese erneute militärische Operation mit dem Namen „Klauenschwert“ zeichnet sich dabei vor allem durch wahllose Angriffe auf zivile Infrastruktur aus, der revolutionäre Geist Rojavas soll mit allen Mitteln des Spezialkrieges gebrochen werden. Drohnen-Attentate, Flugzeugangriffe und Großflächenbombardements sind in Rojava unlängst wieder zum Alltag geworden. Überdies hat Erdoğan mehrmals mit einer Bodenoffensive bis tief in die Gebiete der Autonomen Selbstverwaltung gedroht. Wir haben mit Kämpferinnen von YPJ-International über ihre Einschätzung der Lage, ihre Gründe vor Ort zu sein und ihren Appell an uns Linke in Deutschland gesprochen. YPJ-International ist eine Einheit aus Frauen und umfasst internationalistische Freiwillige aus verschiedenen Ländern der Welt und ist strukturell an die vielfältigen Verteidigungseinheiten Rojavas angebunden. Das Interview entstand im Dezember 2022.

Warum habt ihr euch entschieden, Teil von YPJ-International zu werden? Werdet ihr auch in Zukunft dort bleiben?

Zunächst wollen wir euch erst einmal für euer Interesse und eure Fragen danken. Es ist wichtig, insbesondere in Zeiten des intensivierten Angriffs miteinander im Austausch zu bleiben und internationalistische Perspektiven aufzubauen.
Die Gründe, sich den Frauenverteidigungseinheiten YPJ anzuschließen, sind vielfältig und oft auch mit persönlichen Erfahrungen verknüpft. Dennoch lässt sich feststellen, dass viele von uns mit dem Leben innerhalb der durch Kapitalismus, Patriarchat und Staat zersetzten Gesellschaft nicht mehr einverstanden waren. In unserer Suche nach Alternativen schien uns die Revolution in Rojava Antworten zu bieten. Viele von uns haben bereits vorher die Analysen von Abdullah Öcalan gelesen und wollten an den Ort, wo nach seinen Ideen eine Revolution entsteht. Insbesondere als Frau liegt es oft nicht nahe sich einer bewaffneten Einheit anzuschließen. Zu groß die Zweifel am eigenen Können, zu fremd das Bild der kämpfenden Frau – auch wenn wir es mit Bewunderung auf Fotos wahrnehmen. Doch wir haben den Schritt gewagt und keine von uns hat ihn bisher bereut. Im Gegenteil, wir lernen uns selbst, die Revolution und den Befreiungskampf der Frauen täglich besser kennen und sind ein Teil davon geworden. Es ist wichtig zu verstehen, dass wir nicht in erster Linie hier sind, weil die Verteidigungseinheiten auf unsere Unterstützung angewiesen wären. Wir sind hier, weil wir ein Teil der Revolution, ein Teil der Antwort auf den faschistischen Angriff und ein Teil der Hoffnung auf eine freie Welt sein wollen. Einige von uns werden irgendwann in ihre Heimat zurückkehren und dort weiter für die Revolution kämpfen, doch aktuell sehen wir uns einer Offensive entgegen, die keine von uns ans Zurückkehren denken lässt. Wir haben dafür trainiert und uns vorbereitet, an der Seite der Freund*innen, Genoss*innen und der Menschen Nord- und Ostsyriens gegen den türkischen Faschismus Widerstand zu leisten.

Wie bewältigt ihr euren Alltag, euer Leben in der Gemeinschaft in der aktuellen Situation? Hat sich etwas grundlegend verändert? Wie ist eure Stimmung?

Der türkische Staat greift insbesondere die Infrastruktur, also Gas-, Strom-, Wasser- und Kraftstoffanlagen an. Das wirkt sich auf alle, die hier in Nord- und Ostsyrien leben, aus. Als militärische Einheit sind wir auf eine mögliche Bodeninvasion vorbereitet. Es war seit langer Zeit davon auszugehen, dass wir uns eines Tages erneuten Invasionsbestrebungen gegenüber sehen werden und die Revolution verteidigen müssen. Wir müssen jedoch feststellen, dass Rojava auch vor dem 19. November im Kriegszustand war, wenn auch in einem Krieg niederer Intensität. Einige Freundinnen sind nun an die Front gegangen, andere konzentrieren sich auf medizinische Notversorgung oder Pressearbeiten. In einer Situation wie dieser steigt natürlich das Arbeitslevel nochmal an und es entsteht auch mal Stress. Aber durch unsere Prinzipien und eine gemeinsame Planung und Bewältigung des Alltags können wir uns immer gegenseitig unterstützen und aufeinander achten. Die Stimmung ist kämpferisch.


Was bereitet euch am meisten Sorge und was sind eure Ängste? Was gibt euch Hoffnung und Moral?

Niemand von uns will Krieg, denn Krieg bedeutet immer Leiden, insbesondere für die Bevölkerung. Doch im Falle eines Angriffes, wie diesem, sind wir bereit die Revolution und die befreiten Gebiete zu verteidigen – bis zum letzten Blutstropfen. Wir können auf unsere eigene Stärke und ebenso auf die Freundinnen neben uns vertrauen. Das gibt uns Mut. Hoffnung ist kein sich ohne dein Zutun einstellender Zustand. Hoffnung ist immer eine Entscheidung. Solange wir also hoffen, solange kämpfen wir und solange lassen wir nicht zu, dass das faschistische System Angst in unseren Herzen sät. Das System des Nationalstaats hat uns gelehrt, dass es keine Alternative gäbe und dass wir nichts an all dem Leid, der Gewalt und Unterdrückung ändern könnten. Also ist Hoffnung auch Widerstand gegen eine Lüge, die dir Fesseln anlegt und dich zum Stillstand bringt.

Wie schätzt ihr die aktuelle Lage vor Ort ein und die Androhung des türkisch-faschistischen Staates von einem erneuten Einsatz von Bodentruppen? Denkt ihr, dass es dieses Mal um den Fortbestand oder die Zerschlagung der Revolution geht?

Wir nehmen die Androhung einer erneuten Invasion durchaus ernst und bereiten uns darauf vor. Die Angriffe des türkischen Staates sind nicht als bloße Landbesetzungsversuche zu werten. Es geht um einen Genozid, um die Vernichtung des kurdischen Volkes sowie all der Menschen, die hier in Frieden und Freiheit nach dem Paradigma des demokratischen Konföderalismus leben wollen. Wir befinden uns in einer Phase des Kampfes um das Sein oder Nicht-Sein. Nachdem Erdoğan in den Bergen Kurdistans empfindliche Rückschläge erlitt, scheint er es nun erneut in Rojava probieren zu wollen. Es gibt für ihn nur die Möglichkeit des Krieges, eine andere Lösung käme ebenso seiner Vernichtung gleich wie eine militärische Niederlage. Der heldenhafte Widerstand der Freundinnen und Freunde in den Bergen Kurdistans hat ihn noch mehr in die Enge getrieben. Die vielfältigen grausamen und völkerrechtswidrigen Mittel, zu denen er vergeblich greift, um den Widerstand zu brechen, zeigen wozu er bereit ist. In Nord- und Ostsyrien greift der türkische Staat insbesondere auf islamistische Schläferzellen und Söldnertruppen zurück. Damit verfolgt er die Strategie, die Revolution an möglichst vielen Fronten anzugreifen und zu schwächen. Es wurden in den letzten Wochen sowohl gezielt Sicherheitskräfte, die für die Bewachung IS-Gefangener zuständig waren, bombardiert als auch sogenannte IS-Schläferzellen aktiviert.

Wie schätzt ihr die Drohnenangriffe auf Vertreter*innen der Internationalen Anti-IS Koalition und die ausbleibenden Reaktionen der internationalen Staatengemeinschaft ein?

Es ist nicht möglich für den türkischen Staat in den syrischen Luftraum einzudringen, ohne dass die Koalitionsmächte und Russland davon erfahren. Die Angriffe waren abgesprochen und zielten darauf, unsere Kräfte vor Ort zu treffen. Gerade hier zeigt sich das Gesicht unseres wahren Feindes – des Systems des kapitalistischen, imperialistischen Nationalstaats. Die Türkei ist ein wichtiger Teil dieses Systems, wohingegen die Revolution eine Bedrohung für dieses darstellt. Dementsprechend wollen wir nicht auf direkte Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft bauen. Doch sollte der Welt bewusst sein, dass mit den Angriffen des türkischen Staates auch der weltweit gefürchtete Islamische Staat, der durch unsere Verteidigungseinheiten besiegt wurde, wieder erstarkt. Immer noch sind zehntausende IS-Terroristen und Terroristinnen in unseren Händen, unter ihnen auch Tausende aus Europa und den USA. Eine unserer Missionen gegen Untergrundbewegungen des IS mussten wir bereits auf Grund der Angriffe stoppen. Sollte die Situation sich zuspitzen, wird es immer schwerer werden all die Gefangenen sicher zu verwahren.

Wie bewertet ihr die Aussage der deutschen Innenministerin Nancy Faeser (SPD), fest an der Seite der Türkei im „Kampf gegen Terrorismus“ zu stehen und die Rolle Deutschlands im Krieg gegen die Revolution von Rojava generell?

Der deutsche Staat und der türkische Staat sind historisch eng miteinander verbunden. Die beiden Staaten verfügten immer über weitgehende diplomatische, wirtschaftliche, militärische aber auch ideelle Verbindungen. Das türkische Militär wurde maßgeblich durch deutsche Soldaten ausgebildet und die Waffenindustrie mit deutscher Unterstützung aufgebaut. Mustafa Kemal Atatürk galt Hitler als großes Vorbild. Der Aufstand von Dersim 1937 wurde durch deutsches Giftgas niedergeschlagen. Heute wird Cyanwasserstoff (Blausäure, Anmerk. d. R.) gegen die Guerilla eingesetzt. In Deutschland ist diese Chemikalie besser bekannt unter dem Namen Zyklon B. Auch in dem Kampf gegen das kurdische Volk und die Befreiungsphilosophie Öcalans stand die BRD immer an der Seite des türkischen Staates. Als Innenministerin erhält die Sozialdemokratin Nancy Faeser eine Politik der Verfolgung und Kriminalisierung kurdischer und internationalistischer Kämpfe aufrecht. Die Arbeiterpartei PKK und ihr Vorsitzender Abdullah Öcalan werden als terroristisch eingestuft. Die Solidaritätsbewegung Rojavas als auch Gruppen, die das System des demokratischen Konföderalismus als ihre Grundlage betrachten, werden Repressalien ausgesetzt. Der erste Bericht der Tagesschau zu den türkischen Angriffen war mit Aufnahmen aus dem türkischen Verteidigungsministerium gespickt. Dabei wurde gezeigt, wie Drohnen 12 Zivilist*innen ermordeten. Kurzum: Machen wir uns nichts vor, der türkische und der deutsche Staat bilden eine Einheit und sind Feinde unserer Befreiungskämpfe. Doch umso mehr müssen wir uns bewusst werden, dass auch die revolutionären und widerständigen Kämpfe der kurdischen und türkischen Menschen mit denen in Deutschland verbunden sind. Nur wenn wir unsere Bewegung als eine gemeinsame internationalistische Revolution begreifen, können wir uns erfolgreich wehren.

Wie beurteilt ihr die aktuelle Kriegssituation hinsichtlich der Angriffe und des Widerstands in Rojhlat (Ostkurdistan) und dem Iran?

Der Widerstand in Rojhilat und dem Iran zeigt uns, dass die Revolution der Frauen im 21. Jahrhundert nicht mehr aufzuhalten ist. Dass der Slogan „Jin, Jiyan, Azadî“ dabei weltweit an Stärke gewann und Frauen dazu ermutigte gegen ihre Fesseln anzukämpfen, zeigt erneut, dass die Revolution in Kurdistan nicht nur für das kurdische Volk oder den Mittleren Osten eine entscheidende Rolle einnimmt. Diese Revolution ist eine Internationalistische, was bedeutet, dass ihre Philosophie auf der gesamten Welt Perspektiven auf eine Befreiung von Unterdrückung ermöglicht.

Nehmt ihr einen Unterschied in der Motivation/ Kraft/ Moral der Bewegung wahr im Vergleich zu 20152018 oder 2019?

Nach dem Besatzungsangriff gegen Serêkaniyê und Gire Spî intensivierte der türkische Staat Drohnenangriffe, die gezielt führende Personen der Revolution töteten. Allein in diesem Jahr sind mindestens acht YPJ-Kämpferinnen, darunter erfahrende Kommandantinnen, im Kampf gegen den IS durch Drohnenangriffe getötet worden. Außerdem wurden wichtige Vertrauenspersonen, Politiker*innen und Menschen mit gesellschaftlichen Aufgaben aus den zivilen Gebieten gezielt exekutiert. Erdoğan will der Gesellschaft dadurch gezielt ihre Vorreiter*innen nehmen. Die Ausweitung der angewandten Kriegsmethoden macht sich bemerkbar. Im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren mussten wir uns auf die neue Art der Angriffe einstellen und dementsprechend andere Vorkehrungen treffen. Was dem türkischen Staat jedoch bis heute nicht gelungen ist, ist mit diesen Methoden die Bevölkerung von der Revolution zu entfernen. Im Gegenteil, als die Angriffe seit dem 19. November intensiviert wurden, sind viele ehemalige YPG- und YPJ-Kämpferinnen, die aus unterschiedlichen Gründen die militärischen Einheiten verlassen hatten, wieder zurückgekommen. Das politische Verständnis innerhalb der Bevölkerung über das Ziel dieser Methoden, ist sehr hoch und noch höher ist die Entschlossenheit, sie ins Leere laufen zu lassen. Der Fortschritt in der Organisierung der Zivilgesellschaft, im Vergleich zu den Jahren zuvor, ist spürbar. Kommunen, Räte, Initiativen und Vereine geben täglich Erklärungen ab, die ihre Verbundenheit mit den YPJ/YPG und SDF (Syrian Democratic Forces, Anmerk. d. R.) ausdrücken. 
Gerade dadurch, dass die Angriffe so stark gegen die Bevölkerung gerichtet werden, entwickelt sich dort ein ungemeiner Kampfgeist und Wille. Über die Jahre haben wir an Erfahrung gewonnen, die wir teils schmerzlich bezahlen mussten, etwa mit dem Verlust Efrîns und Serêkaniyês. Insbesondere im Kampf innerhalb der Städte gegen eine gut ausgestattete NATO-Armee mit dschihadistischer Unterstützung am Boden haben wir uns weiterentwickelt. Es wurde aus Fehlern und Kritiken gelernt, so dass sich nun besser auf die aktuelle Lage angepasst werden kann.

Nehmt ihr die Proteste in Deutschland gegen die Angriffe auf Kurdistan wahr?

Auf jeden Fall. Die weltweiten Proteste werden in den Abendnachrichten im kurdischen Fernsehen gezeigt. Es gibt uns sehr viel Hoffnung und Stärke unsere Freund*innen und Genoss*innen Zuhause zu sehen. Manchmal erschreckt es uns aber auch, wenn z.B. in Berlin nur etwa 20 Personen an einer Kundgebung teilnehmen. Dennoch, jede Aktion ist ein Ausdruck der Solidarität und ebenso ein Teil des Kampfes, wie unsere Arbeiten hier vor Ort.

Was wollt ihr den linken, feministischen Kräften in Deutschland sagen? Was kann aus eurer Sicht hier in den Zentren der Rüstung gegen den Krieg getan werden?

Wie bereits oben erwähnt, freuen wir uns über jegliche Form von solidarischen Aktionen. Doch Internationalismus bedeutet nicht fremde Kämpfe zu unterstützen, sondern vielmehr sich als Teil des Kampfes, als Teil eines revolutionären Prozesses zu begreifen, unabhängig davon, wo man sich gerade befindet. Deswegen ist es wichtig, sich mit der Idee, der Philosophie dieser Revolution auseinander zu setzen, eine eigene militante Persönlichkeit aufzubauen und sich, insbesondere als Frauen gemeinsam zu organisieren. Statt uns zu spalten, Hoffnungslosigkeit zu verbreiten und im Individualismus zu versinken, müssen wir insbesondere in Deutschland wieder eine kämpferische Bewegung werden, die um ihre Geschichte weiß und Antworten auf die Probleme der Gesellschaft geben kann. Wie Şehîd Bager Nûjiyan sagte: „Den härtesten Kampf führst du immer gegen dich selbst.“

Auch wollen wir dazu aufrufen, nach Rojava zu kommen und sich uns hier anzuschließen, um zu lernen und gemeinsam zu wachsen. Neben den Verteidigungseinheiten könnt ihr euch auch an Arbeiten in der Jugend, Gesellschaft, Jineolojî sowie an Frauen-, Kultur-, Presse- und Gesundheitsarbeiten beteiligen. Gerade wegen der engen Verbundenheit zwischen dem deutschen und den türkischen Staat ist es notwendig, dass die Komplizenschaft mit dem faschistischen AKP-MHP Regime der Türkei aufgedeckt wird. Wir glauben, dass es viele verschiedene Formen gibt dies zu tun und appellieren an euch, jetzt den Druck von unten und auf der Straße zu verstärken. Wir wissen, dass der türkische Staat den Zeitpunkt für die aktuelle Operation gegen Rojava nicht zufällig gewählt hat. Fussball-WM und der Krieg in der Ukraine sind für Erdoğan gute Ablenkungsmöglichkeiten. Auch haben wir beobachtet, dass den Angriffen hier nicht die nötige Aufmerksamkeit in der BRD zukommt. Wir glauben, dass es die dringende Aufgabe einer sich als internationalistisch verstehenden Linken in Deutschland sein muss, der Bevölkerung ins Gedächtnis zu rufen, was hier gerade passiert und entsprechende Personen in Wirtschaft und Politik dafür zur Verantwortung zu ziehen. Genauso wie die Verteidigungseinheiten der YPJ/YPG alles geben, um das historisch einmalige revolutionäre Projekt staatenloser Radikaldemokratie als Wert der ganzen Menschheit zu verteidigen, müssen Linke in Deutschland ihrer Verantwortung nachkommen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um den Krieg zu stoppen. Wir glauben, dass die Möglichkeiten hierfür noch lange nicht ausgeschöpft sind. Zudem kommt es aktuell wieder zu einer verstärkten Reorganisierung des Islamischen Staats. Leider beobachten wir, dass in Europa islamistische Gruppen nach wie vor kaum als Gegner im antifaschistischen Kampf verstanden werden und es immense Schwachstellen in Bezug auf Recherche, Aufklärung und Aktionen gibt. Es muss uns bewusst sein, dass der IS in Europa sowohl massenhaft Ressourcen sammelt, als auch Kämpfer rekrutiert. Die Menschen hier vor Ort sind bereit, ihr Leben für die Verteidigung der Frauenrevolution aufs Spiel zu setzen. Wir erwarten daher, dass unsere Genoss*innen in der BRD die Wichtigkeit von Rojava verstehen und ihr Handeln als eine historische Verantwortung begreifen, vor allem all denjenigen gegenüber, die ihr Leben für den Traum einer freien Gesellschaft gegeben haben.

Şehîd namirin

#Gastbeitrag AK36

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Gastbeitrag von WJAS

Seit dem 19.11.2022 greift die türkische Regierung erneut die selbstverwalteten Gebiete in Nord- und Ostsyrien mit Artillerie, Drohnen und Luftschlägen an. Es ist das erste Mal, dass die militärischen Angriffe der Türkei das gesamte selbstverwaltete Gebiet auf einmal betreffen und dass flächendeckend zivile Ziele und kritische Infrastruktur attackiert werden. Präsident Erdogan droht zudem offen mit einer Bodenoffensive. 

Wir – das Europa Komitee der Stiftung der Freien Frau in Syrien (Weqfa Jina Azad a Sûrî, kurz: WJAS) – sind mit unseren Partnerinnen der Stiftung WJAS in Nord- und Ostsyrien durch Videocalls und Messenger-Nachrichten in Kontakt und verfolgen wütend, entsetzt aber auch beeindruckt von der Stärke der Frauen und der kurdischen Bewegung, das Geschehen vor Ort und den Widerstand der Menschen. 

Berichte aus erster Hand 

Wir sprechen mit S., die die Stiftungsarbeiten von Qamişlo aus koordiniert. „Die Arbeiten gehen trotz massiver militärischer Anschläge weiter, wo immer es möglich ist“, berichtet sie.

„Weil zunehmend zivile Strukturen wie Schulen, Krankenhäuser, Elektrizitätswerke etc. angegriffen werden, ist die Lage besonders gefährlich und die Gebäude der Stiftung werden nur noch wenig genutzt, da sie potentielle Angriffsziele darstellen. Stattdessen wird die Arbeit nach draußen verlagert und dezentralisiert.“ 

Sie erzählt, dass einige Projekte in den Gegenden liegen, die direkt unter Beschuss stehen. Im Al Hol und im Roj-Camp beispielsweise, mussten die Arbeiten temporär ausgesetzt werden, aktuell laufen sie bereits weiter (Stand: 11 Dez. 2022). In Kobanê mussten aus dem Waisenhaus, das dort von der Stiftung betrieben wird, 30 Kinder evakuiert werden. Die mobile Klinik, ein gemeinschaftliches Projekt der Stiftung und der Städtepartnerschaft Friedrichshain-Kreuzberg – Dêrik e.V., die in den Dörfern um Derik herum eine medizinische Basisversorgung für Frauen und Kinder anbietet, musste ebenfalls vorübergehend ihre Arbeit einstellen.

Direkte Arbeit mit der Zivilbevölkerung und das Nothilfeprojekt

S. berichtet konzentriert über das Nothilfeprojekt, das vor einigen Monaten ins Leben gerufen wurde. Es wurde bereits im Vorfeld begonnen, Ersthelfer*innen in medizinischen Sofortmaßnahmen zu schulen, damit sie im Angriffsfall verletzten Menschen Erste Hilfe leisten können, denn es gibt überall zu wenig medizinisches Personal. Zu den Lerninhalten gehören Kenntnisse über Brandwunden, Giftgasinhalation und diverse andere Verletzungen. In einigen Orten des Landes wurden Keller vorbereitet und mit Schlafplätzen, Lebensmitteln, Heizmaterialien und medizinischem Material ausgestattet, um so Schutzräume für die Bevölkerung und die Arbeiten der Stiftung zu schaffen.

Die direkte Arbeit mit der Zivilbevölkerung, die ohne Pause und auch unter Kriegsbedingungen weitergeht, beinhaltet zwei Aspekte, erläutert S.: 

  1. Den ideologischen Aspekt: durch Gespräche und Ermutigung aber auch durch das Vorleben vom „weiter machen und nicht aufgeben“ den Menschen beizustehen, die bleiben und ihr Land beschützen wollen oder nicht fliehen können. Dass die Menschen in ihren Städten und in ihren Häusern bleiben, ist ein Akt des Widerstandes, denn eins der Ziele der türkischen Angriffe ist, dass die Menschen ihre Häuser verlassen und so Platz für die türkischen Besatzer und ihre dschihadistischen Milizen zu schaffen.
  1. Den praktischen Aspekt: durch die Ausbildung von Ersthelfer*innen wird den Menschen die Möglichkeit gegeben, in der bedrohlichen Kriegssituation aktiv zu werden und selbst etwas tun zu können, anstatt nur ohnmächtig zuschauen zu müssen. Durch die Bereitstellung und Ausstattung der Keller wird ein Schutzraum zur Verfügung gestellt.

Kritische Infrastruktur und zivile Ziele werden bewusst zerstört

Während unsere Partnerin über ihre Arbeiten mit der Stiftung berichtet, wird es bei ihr im Hintergrund plötzlich dunkel – Stromausfall. Die türkische Regierung bombardiert gezielt Elektrizitätswerke und Stromleitungen, um die zivile Bevölkerung vom Leben abzuschneiden und zum Verlassen ihrer Häuser zu zwingen. Weitere kritische Infrastruktur wird gezielt vernichtet, um den Menschen die Hoffnung zu rauben und den Widerstand zu brechen: Kliniken, Schulen, Getreidesilos, Ölfelder, Kraftwerke, Wasserleitungen. „Doch das ist nicht alles“, erzählt uns S., „Es werden gezielt Camps und Gefängnisse bombardiert, in denen IS-Kämpfer inhaftiert sind. Diesen wird so zur Flucht verholfen. Wir werden also nicht nur durch die Angriffe der türkischen Regierung, sondern auch durch befreite IS-Kämpfer bedroht!“. 

Die Arbeit in den Gesundheitsstrukturen ist gefährlich geworden

Ein weiteres Gespräch führen wir mit M., einer Mitarbeiterin der Stiftung, die in den Gesundheitsstrukturen aktiv ist. Sie arbeitet seit 30 Jahren als Hebamme, koordiniert zudem die Gesundheitsarbeiten der Stiftung, führt Ausbildungen durch und hält Vorträge zu medizinischen Themen. Die aktuellen Kriegshandlungen, insbesondere die Luftschläge belasten sie und ihre Arbeit im Gesundheitssektor sehr. „Das schlimmste ist“, berichtet M, „dass es zum Alltag und zur Selbstverständlichkeit geworden ist, täglich die Zielscheibe von tödlichen Angriffen des türkischen Regimes zu sein.“ Sie vergleicht die andauernden Angriffe mit einem Regen von Bomben der nicht aufhört und der, anders als ein normaler Regen, mit Tod und Trauer von Zivilisten endet. Ihr Alltag und ihre Arbeitsbedingungen sind schwierig geworden. „Die Wege zu den verschiedenen Einrichtungen sind gefährlich, die Straßen sind zum Teil gesperrt, es wurden Autos in die Luft gesprengt, die Sicherheit auf den Straßen ist nicht gewährleistet.“, berichtet M. Trotzdem arbeitet sie an 7 Tagen der Woche – denn Geburten und Notfälle nehmen auf Ausnahmesituationen keine Rücksicht und sie wird gebraucht – jetzt mehr denn je. 

Wir sind beeindruckt von ihrer Ausdauer. „Guckt mal“, sagt sie, „seit 2011 leben wir hier in andauernden Kriegsbedingungen. Und trotzdem haben wir die Hoffnung nicht verloren. Wir wollen hier in unseren Häusern bleiben und weiter in unseren Projekten arbeiten!“. Daher haben sie sich vorbereitet, Medikamente und Materialien gekauft, Keller angemietet. So können Projekte weiterlaufen und Einrichtungen, wie z.B. die von der Stiftung betriebenen Polikliniken weiterhin Patient*innen behandeln. Aber die Vorräte werden nicht ewig reichen. Es ist in der aktuellen Situation schwierig Medikamente zu bekommen und diese sind teuer geworden. Deshalb ist es wichtig die Vorräte jetzt so aufzustocken, dass sie bis Ende des Jahres reichen.

Wir müssen den politischen Druck auf die internationale Gemeinschaft erhöhen 

„Was können wir tun?“, fragen wir unsere Partnerinnen von der Stiftung. S. lächelt. Ihr ist es wichtig, dass die Menschen in der Welt erfahren, was in Nord-Ost-Syrien passiert und welchen Kampf insbesondere die Frauenorganisationen dort führen. Die Proteste in Europa stellen für sie und für die gesamte Bevölkerung eine wichtige moralische Unterstützung dar. Sie wünschen sich zudem politischen Druck auf die europäischen Regierungen, damit diese sich entschieden gegen den türkischen Überfall wenden. Dieser Krieg muss sofort beendet werden, damit die Menschen in Nord- und Ostsyrien wieder in Frieden leben können!

Außerdem benötigt die Stiftung dringend finanzielle Unterstützung, um die verschiedenen Projekte, insbesondere das Nothilfeprojekt, weiter durchführen zu können. Neben medizinischen Materialien, Medikamenten und Nahrungsmitteln sind besonders warme Kleidung, Decken und Heizmaterial für die Öfen unbedingt notwendig, denn es ist Winter und die Menschen sind zum Teil von lebenswichtiger Versorgung abgeschnitten. 

Wir bleiben mit den Frauen der Stiftung in Kontakt und werden weiterhin berichten und protestieren! Wenn ihr unsere Arbeit und die Frauen in Nord- und Ostsyrien konkret unterstützen wollt, könnt ihr spenden, Flyer verteilen, Veranstaltungen organisieren und eigene Ideen umsetzen!

Kurdistan Hilfe e.V.
Stichwort: WJAS
Bank: Hamburger Sparkasse
IBAN: DE40 2005 0550 1049 2227 04
BIC: HASPDEHHXXX 

Foto: WJAS

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Krieg ist ein Geschäft. Im Krieg in erster Linie für den Militärisch-Industriellen-Komplex, der ganz traditionell die Werkzeuge zum Töten und Sterben fabriziert und die Energiekonzerne, ohne deren Erzeugnisse diese Werkzeuge nicht ihrem Zweck zugeführt werden können. Sie wurden produziert, nun müssen sie „konsumiert“ werden, und mit ihnen die für fremde Interessen von beiden Seiten auf die Schlachtbank geführten Proletariermassen.

Und was ist nach dem Krieg? Wenn die schöpferische Zerstörung der Artilleriegranaten ihr vorläufiges Ende gefunden hat, kommen andere Kapitalfraktionen zum Zug, je nachdem, wer gewonnen hat. Die Planungen für den großen Wiederaufbau beginnen natürlich lange vor dem Schweigen des Mündungsfeuers – man möchte ja wissen, ob sich die Investitionen lohnen.

Dass Krieg und Wiederaufbau keine Taten selbstloser Helfer sind, die aus Mitleid mit der im Krieg versehrten Nation handeln, wer würde es leugnen, wenn es um Russland geht? Kaum jemand hierzulande frisst die Propaganda, es ginge etwa bei der Annexion des Donbass um eine Schutzmaßnahme für das geschundene ukrainische Brudervolk. Und jeder würde unterschreiben, dass sich die Privatarmee Prigozhins nicht aus Altruismus die ostukrainischen Minen unter den Nagel reißen wird, wie sie es mit denen im Sudan oder der Zentralafrikanischen Republik getan haben.

Aber der Westen? Da neigt man, zumindest in der veröffentlichten Meinung, zu einem gütigeren Blick. Doch warum eigentlich?

Kalte, harte Interessen“

Zumindest in den USA, wo die Bevölkerung es mehr gewohnt ist, spricht man ganz offen aus, dass Kriege nicht aus Nächstenliebe geführt werden: „Unsere Unterstützung“, gemeint war für die Ukraine, „ist moralisch gerechtfertigt. Aber sie dient auch kalten, harten amerikanischen Interessen“, erklärte Mitch McConell anlässlich des Besuches des ukrainischen Präsidenten in den USA. Die Waffenhilfe, so der prominente Republikaner, sei nicht nur ein politisches, sondern auch ein „ökonomisches Investment“ – schließlich helfe sie „die Kapazitäten unserer Verteidigungsindustrie zu erhöhen und trägt so zu einer Industrie bei, die gutbezahlte amerikanische Jobs zur Verfügung stellt.“

Mit Blick auf die Kritiker der US-Hilfe listet auch das einflussreiche „Center for Strategic & International Studies“ unter dem Titel „US-Hilfe für die Ukraine: Ein Investment, dessen Ertrag die Kosten bei weitem übersteigt“ auf, welchen Nutzen man sich in Washington vom Eingreifen im Osten versprechen darf: „Sich auf das Preisschild der Hilfe zu fokussieren, anstatt auf den Wert dessen, was mit ihr erkauft wird, vernachlässigt den Fakt, dass der Krieg in der Ukraine das Äquivalent eines Stellvertreterkrieges gegen Russland geworden ist, und zwar ein solcher, der ohne tote US-Soldaten geführt werden kann und zugleich die meisten Demokratien der Welt hinter einem gemeinsamen Ziel vereinigt (…)“.

Die geopolitische Schwächung Russlands sowie die Stärkung der Dominanz der USA über die eigenen westlichen „Partner“ sind ein erklärtes Ziel US-amerikanischer Ukraine-Politik. Dieselben Thesen, werden sie hierzulande von Kritikern der NATO formuliert, gelten als Ketzerei und Grund für den Ausschluss aus dem massenmedialen „Diskurs“. In Washington sind sie common sense – und zwar bei den Befürwortern des Krieges.

Proxy War

Den „kalten, harten Interessen“ entsprechend ist auch die Form der Ukraine-“Hilfe“ gestaltet. Es handelt sich ja keineswegs um Geschenke, wie eine vom Hurrapatriotismus berauschte links- bis rechtsliberale Mittelschicht zu glauben scheint. Nehmen wir den „Ukraine Democracy Defense Lend-Lease Act“, der die Grundlage für einen großen Teil der militärischen „Hilfen“ der USA bildet. Wie schon der Titel des Gesetzes besagt, handelt es sich nicht um Schenkungen, sondern um Leih- und Pachtgaben. Insofern heißt es auch im Gesetzestext: „Bedingung: Jedes Darlehen oder Leasing von Verteidigungsartikeln an die Regierung der Ukraine gemäß Absatz (1) unterliegt allen anwendbaren Gesetzen zur Rückgabe und Erstattung und Rückzahlung für Verteidigungsartikel, die an ausländische Regierungen verliehen oder verpachtet wurden.“ Auch die EU-Finanzhilfen sind Kredite. Die Konditionen sehen, wie könnte es anderes sein, ihre Rückzahlung vor. Im Falle der Milliardengelder aus Brüssel ab dem Jahr 2033. Dazu kommen Anleihen aus dem US-dominierten Internationalen Währungsfonds – berüchtigt für ihre Konditionen. Und auch die Weltbank darf nicht fehlen. Zusätzlich hat sich die Ukraine bei privaten und institutionellen Anlegern per Kriegsanleihe Liquidität besorgt – hier mit ganz uneigennützigen Zinssätzen von 11 Prozent.

Kapitalistische Staaten und Finanzkonzerne sind nicht Mutter Theresa. Ihre „Hilfe“ hat einen Preis und sie haben Interessen, die sie per „Hilfe“ durchsetzen wollen. Im Falle der Ukraine werden die angesichts der zunehmenden Gleichgültigkeit bis Kriegsbegeisterung der „kritischen“ liberalen Öffentlichkeit gar nicht mehr groß verschleiert. Unter dem Titel „Russland liegt richtig: Die USA führen einen Stellvertreter-Krieg in der Ukraine“ schreibt der US-amerikanische Außenpolitik-Experte Hal Brands in der Washington Post: „Der Schlüssel für diese Strategie ist es, einen entschlossenen lokalen Partner zu finden – einen Stellvertreter, der willens ist, das Sterben und Töten zu übernehmen – und ihn dann mit Waffen, Geld und Geheimdienstinformationen zu beladen, die er braucht, um einem verletzbaren Feind schwere Schläge zuzufügen. Genau das tun Washington und seine Verbündeten heute mit Russland.“

In einer Kostenanalyse der „Investitionen“ in der Ukraine schreibt das Washingtoner Center for European Policy Analysis: „Die Unterstützung (für die Ukraine, P.S.) beträgt 5,6 % des US Verteidigungsbudgets. Aber Russland ist ein Hauptgegner der USA, ein Top-Level-Rivale nicht weit hinter China und die Nummer eins als strategischer Herausforderer. In kalten, geopolitischen Worten: Dieser Krieg ermöglicht eine erstklassige Gelegenheit für die USA, Russlands konventionelle Verteidigungskraft zu schwächen und abzutragen – ohne Soldaten am Boden und mit geringem Risiko für US-amerikanische Leben.“ Die Schlussfolgerung ist logisch: „Das US-Militär kann vernünftigerweise wollen, dass Russland fortfährt, Truppen in die Ukraine zu schicken, damit sie dort vernichtet werden.“

Schlacht um den Energiemarkt

CEPA schneidet in seiner Rechnung eine weiteres wichtiges Schlachtfeld an – und das liegt nicht nur in der Ukraine. Der russische Einmarsch hat die Gelegenheit eröffnet, den europäischen Energiemarkt neu auszurichten. In den Worten des Think Tanks: „Der Krieg in der Ukraine bestärkt und beschleunigt die Neuausrichtung der Energie in Europa, aber auch die europäische Diversifikation weg von russischen Energiequellen. Europa ist verzweifelt auf der Suche nach alternativen Quellen für Energie und Flüssiggas aus den USA erweist sich als der offensichtliche Gewinner dieser Entwicklung.“

Die Konkurrenz um Europas Energiemärkte ist keine 2022 plötzlich aufgekommene Neuerung, die „Erpressbarkeit“ Europas, um es in den Worten der Führungsmacht des Westens auszudrücken, war den USA schon lange vorher ein Dorn im Auge. Der Krieg bot die Gelegenheit, diese insbesondere für Deutschland geltende Anomalie zu beseitigen. „Was den Energiesektor betrifft, hat Putins genozidale Invasion endlich ein zutiefst zurückhaltendes Europa gezwungen, seine schwächende Abhängigkeit von russischem Öl und Gas anzugehen. (…) Es sieht nun so aus, dass die Ära der korrupten Energiekooperation mit dem Kreml einem Ende zugeht, zumindest in Europa“, jubelt das Atlantic Council.

Für die USA ergeben sich hier drei strategisch bedeutende Effekte: Dem Teil der europäischen herrschenden Klassen, der auf ein zumindest teilweises Bündnis mit Russland setzte, um die Eigenständigkeit der eigenen Nationen gegenüber den USA stärker zu betonen, wurde ein Riegel vorgeschoben; die europäischen Energiemärkte sind nun offen für Importe aus den USA; und ganz nebenbei steigt die Wettbewerbsfähigkeit um Ansiedlung von Industrie durch die zu Europa vergleichsweise niedrigeren Energiepreise in den USA.

Investorenparadies Ukraine

Es ist aber keineswegs so, dass die führenden europäischen Nationen ihre Ukraine-Politik alleine nach dem Gusto des Big Brother aus Washington ausrichten. Auch in Brüssel, Berlin und Paris verspricht man sich einiges von einem Sieg in der Ukraine. Nach vollzogenem Triumph über die Invasoren soll sich das Leid der für europäische Werte in den Schützengräben Verschütteten auch für die Investoren lohnen.

Die Rede ist immer häufiger von einem „Marshall-Plan“ für die Ukraine, bei dem – stellvertretend für den Westen insgesamt – die europäischen Nationen die führende Rolle spielen sollen. „Die Europäische Union steht in der Verantwortung und sie hat auch ein strategisches Interesse daran, beim Wiederaufbau der Ukraine die Führungsrolle zu übernehmen“, ließ EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon vergangenes Jahr verlauten.

Alles in allem geht es dabei um eine kapitalistische „Modernisierung“ der Ukraine, ihre Einbindung in die Europäische Union und die Ausrichtung ihrer Ökonomie entlang der „westlichen Wertevorstellungen“. Das betrifft alle Sektoren der ukrainischen Volkswirtschaft. Diese sei, so Patricia Cohen in der New York Times, in allen Bereichen zu post-sowjetisch – von der Infrastruktur bis zu den Lieferketten. „Der Mangel an Integration (in westliche Lieferketten, P.S.) besteht in allen Sektoren. Teile für alles mögliche, vom Nuklearreaktor bis zum Kühlschrank, die vorher aus Russland kamen, werden nun anderswoher geliefert werden müssen.“

Es ist aber nicht nur die Hardware. Mehr als das, mangle es an einer „modernen, demokratischen Marktökonomie“, erreichbar durch eine „radikale Deregulierung der Ökonomie“, wie Cohen aus einem Strategiepapier des Londoner Center for Economiv Policy Research entnimmt. Die Autoren dieses Papiers machen keinen Hehl aus ihren neoliberalen Ambitionen: Die Ukraine muss an die EU-Märkte angeschlossen werden; die Bedingungen für ausländisches Kapital müssen attraktiv für Investoren gestaltet werden; die Arbeitsmärkte sind für das Kapital so „flexibel“ wie möglich zu gestalten. Anknüpfend an das von der Selenksy-Regierung bereits in Kriegszeiten beschlossene arbeiterfeindliche Paket von Maßnahmen, soll den Arbeitern auch im Frieden Gegenwehr versagt bleiben: „Flexiblere Arbeitsverträge sollten erlaubt werden, um die schnelle Verlagerung von Arbeitskraft zu sichern, was eine Fortsetzung der in Kriegszeiten begonnenen Praxis wäre.“ Die ganze Volkswirtschaft soll ausgerichtet werden auf die Bedürfnisse von ausländischem Kapital, denn: „Das Fundament des Erfolgs der Ukraine in einer langen Perspektive liegt darin, ausländisches Kapital anzuziehen.“

In den Startlöchern

Diese Aussichten animieren private Investoren schon vor Ende des Kriegs. Die Financial Times versammelt in einem Artikel Stimmen aus dem Kapital-Milieu. „Wir müssen hoffen und uns vorbereiten“, wird die Investment-Direktorin des Equity-Funds Skagen zitiert. „Es kann schwierig sein, über Investitionen in einer so tragischen Situation nachzudenken, aber für Active Value Investoren wird ein positives Ergebnis des Krieges viele Möglichkeiten eröffnen. Wir müssen eher früher handeln als später.“

Die Bewegung des Geldes, so ein anderer Manager, folge dabei der Bewegung der Front: „Es wird ein Hin-und-Her geben. (…) Wir haben gesehen, wie Investoreninteressen Fahrt aufnahmen, als das ukrainische Militär Fortschritte machte, dann pausierten oder zurückgingen, als die Infrastrukturattacken der Russen signifikant zunahmen. (…) Ich vermute, Investoren werden mit dem Risiko so umgehen, dass sie zunächst in der Westukraine investieren und dann in die Mitte und nach Osten vorrücken.“

In etwa entspricht das auch den Vorstellungen der deutschen Kapitalverbände, die ihre Wünsche in einem Papier des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft unter dem Titel „Rebuild Ukraine“ dargelegt haben. Auch hier geht es um die Schaffung optimaler Bedingungen für Fremdkapital, denn: „Keine zentralisierte Kontrolle wird je zu wirklich komfortablen Bedingungen für private Investoren führen.“ Die „Hilfe“, man lässt da keine Zweifel, sei keine Einbahnstraße. Die ukrainische Regierung müsse „regulatorische und bürokratische Hürden für Investments eliminieren“ – der Fachjargon für die uneingeschränkte Übergabe des Landes an ausländisches Kapital. Eine „Blankovollmacht“ für die Ukraine werde es nicht geben, es sei an der ukrainischen Regierung, „wahrhaftig eine Privatwirtschaft zu bestärken“.

Zur „Beratung“ der Ukraine schlägt man einen „Koordinationsstab“ aus deutschen und europäischen Regierungsvertretern vor, der ein wenig an die „EU-Troika“ für Griechenland erinnert, und für die Entwicklung einer „förderlichen Umgebung für eine dynamische und starke Privatwirtschaft“ sorgen soll.

Das Hauptziel: Die Ukraine muss das „Vertrauen von deutschen und anderen westlichen Firmen (wieder-)gewinnen“, um Ausländische Direktinvestitionen (FDI) anzuziehen. Zur Erinnerung: Neben arms lenght contracts sind FDI das Hauptmittel zur Einbindung schwächerer Nationen in die globalen Warenketten mit dem Zweck des Transfers von im abhängigen Land produzierten Mehrwert in die Metropolen. Kurz: Es geht, kaum versteckt im technokratischen Jargon kapitalistischer Wirtschaftsstrategen, um eine Einbindung der Ukraine in das Weltmarktregime des Westens.

Kornkammer der Multinationalen

An einem konkreten Beispiel: Der Ostausschuss hebt den agroindustriellen Sektor hervor, der in der Ukraine aufgrund der fruchtbaren Böden besonders ausgeprägt ist und lobt die bereits begonnene Landreform als besonders „vielversprechend“ hervor. Worum geht es bei dieser Landreform? Mit der Niederlage der Sowjetunion zerfiel das System an kollektiver Landwirtschaft und Schritt für Schritt entwickelte sich in der Ukraine eine von Oligarchen und multinationalen Unternehmen dominierte Landwirtschaft. Ein 2001 beschlossenes Moratorium mit starken Einschränkungen zum Landverkauf sollte den Prozess der wilden Oligarchisierung aufhalten.

Dieses Gesetz setzte die Selensky-Regierung außer Kraft – übrigens gegen den Willen von zwei Drittel der ukrainischen Bevölkerung. „Das große Risiko ist doch, dass nicht nur große ukrainische Firmen das Land aufkaufen, sondern auch ausländische Konzerne. Und dann wiederholt sich hier das, was in Argentinien passiert ist: Die Argentinier haben kein Land mehr, und alles ist in der Hand von zwei oder drei US-Konzernen“, zitiert Deutsche Welle einen ukrainischen Winzer.

Das dürfte nicht unbegründet sein. Auch die Weltbank, die diese „Öffnung“ des Marktes der Ukraine unterstützt, erwartet, dass kleinere, weniger produktive Landwirte und Bauern aus dem Markt gedrängt werden zugunsten von Großproduzenten.

Lohnendes Investment

Sieht man sich die Gesamtkonstellation des Krieges in der Ukraine an, erweist sich die „Hilfe“ aus dem Westen als ein auf vielen Ebenen vielversprechendes Investment. Begann Russland seinen Krieg, um sich als durchaus konkurrenzfähige Großmacht zu den USA unter Beweis zu stellen, sieht es sich nach einem Jahr im Schützengraben des Abnutzungskriegs an seinen Platz verwiesen. Die USA können verbuchen, den Teil der europäischen Bourgeoisie, der sich zuvor von der westlichen Hegemonialmacht unabhängiger aufs Weltparkett begeben wollte, zurück in den Schoß der transatlantischen Sicherheitsarchitektur geholt zu haben. Russland ist – vorläufig zementiert durch die mysteriöse Sprengung seiner Pipelines – vom europäischen Energiemarkt zumindest teilweise verdrängt. Und die Ukraine wird, um ihre im Krieg entstandene Schuld begleichen zu können, sich als würdiger Gastgeber ausländischer Investoren erweisen müssen.

Die in diversen Krisen der europäischen Peripherie erprobten Mittel werden in einer Nachkriegsukraine, sollte der Krieg zugunsten des Westens ausgehen, ihre Anwendung finden und das Land zu einem ebenso würdigen „Partner“ Deutschlands machen, wie zuvor die Troika es bei Griechenland tat. Der schon in der Regierung Juschtschenko begonnene, am Maidan revolutionär durchgekämpfte und nun mit der Lieferung von HIMARS und Marder besiegelte Weg gen Westen wird seinen Abchluss im Kapitalfluss finden, der sich über die Einschlaglöcher und Ruinen ergießt. Ein emerging market wird geboren.

# Titelbild:

PS: Man muss es ja heute stets betonen: Dies mag ein antiwestlicher Text sein, ein „pro-russischer“ ist es nicht. Sein allgemeiner politischer Rahmen ist diese Position: https://lowerclassmag.com/2022/07/09/die-linke-und-die-ukraine-dem-krieg-den-krieg-erklaeren/

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Fast genau zehn Jahre nach dem Attentat auf drei Genoss:innen der kurdischen Freiheitsbewegung 2013 in Paris kam es am 23. Dezember zu einem erneuten Mordangriff auf Kurd:innen.

Hubert Maulhofer sprach mit Konstantin von der internationalen Kampagne „Defend Kurdistan“ über das Geschehene und die Hintergründe.

Kannst du uns kurz etwas zur aktuellen Situation und dem Attentat des 23. Dezember geben?

Am 23. Dezember kam es mitten am Tag im Stadtzentrum von Paris, dort wo sich das kurdische Kulturzentrum „Ahmet Kaya“ befindet, zu einem blutigen Attentat. Der Täter schoss auf mehrere Menschen, die sich vor dem Kulturzentrum und in einem anliegenden Restaurant und Friseursalon befanden.

Drei Menschen sind dabei getötet worden, weitere teilweise schwer verletzt. Der Angreifer konnte durch den Mut einiger Menschen schließlich überwältigt werden, noch bevor die Polizei eintraf. Im Zuge dieses Anschlags kam es zu wütenden Protesten in ganz Europa, die dieses Attentat als eine Folge der anti-kurdischen Politik anprangern, welche sich immer weiter zuspitzt. Am 24. Dezember fand eine Großdemonstration in Paris statt. Die Demonstrationen wurden mehrfach von der französischen Polizei angegriffen und es kam zu Straßenschlachten.

In der kurdischen Community und in internationalistischen Zusammenhängen wird aktuell über eine Verbindung des Täters zum türkischen Staat bzw. dessen Geheimdienst MIT diskutiert und eine Parallele zu den Mordanschlägen von 2013 auf drei Genoss:innen in Paris gezogen. Was kannst du uns dazu sagen?

Wir sehen, dass dieses Attentat sich einreiht in eine anti-kurdische Politik. Von der Türkei und Nordkurdistan, wo tausende Menschen der Oppositionspartei HDP verhaftet werden, über die Giftgas-Angriffe der türkischen Armee in Südkurdistan bis zu den Angriffen auf Nord-Ost-Syrien, Rojava und die autonome Selbstverwaltung, bei denen gezielt zivile und lebensnotwendige Infrastruktur zerbombt wurde.

Auch in Europa existiert eine anti-kurdische Politik in Form der Kriminalisierung der kurdischen Freiheitsbewegung und ihrer Unterstützer:innen. Die Repression durch europäische Staaten wie die BRD und Frankreich nimmt immer weiter zu. Einen Tag vor dem Attentat in Paris wurde beispielsweise in Nürnberg ein Genosse inhaftiert, das dortige kurdische Kulturzentrum durchsucht. Diese Politik ermöglicht ein Klima, in welchem Anschläge, wie der von Paris, stattfinden können. Gleichzeitig sehen wir aber auch eine Kontinuität in diesem Attentat zu der Ermordung der Genossinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez die im gleichen Stadtteil 2013 durch einen Agenten des türkischen Geheimdienstes ermordet wurden. Das Attentat jetzt fand zudem zu einem Zeitpunkt statt, in dem das jährliche Gedenken für die 2013 ermordeten Genossinnen im Pariser Kulturzentrum stattfanden. Wir werten den Angriff daher als einen gezielten Anschlag.

Was wissen wir über den Täter?

Es handelt sich um einen 69-jährigen Mann. Er hat bereits in der Vergangenheit Geflüchtete in einem Camp mit einem Schwert angegriffen und saß deshalb im Gefängnis. Er wurde aber vor elf Tagen aus dem Gefängnis entlassen. Die Tatsache, dass das Attentat in Paris in dem von mir oben angeführten Kontext stattfindet, und auch die Tatsache, dass er diese Tat mitten am Tag in einer Stadt wie Paris durchführen konnte, zeigt entgegen den Aussagen vieler bürgerlicher Medien, dass es sich hierbei nicht um eine Einzeltat handelt. Es geht um einen rassistischen, anti-kurdischen Mord. Das war ein gezielter Angriff auf die Aktivitäten der kurdischen Freiheitsbewegung in Europa. Wir sehen den türkischen Staat in der Verantwortung für diesen Mord.

Wir glauben, dass der französische Staat erneut „ein Auge zugedrückt“ hat, so ein Anschlag findet nicht einfach so statt. Der französische Staat hat kein Interesse daran, gegen die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes in Frankreich vorzugehen. Die mangelnde Aufklärung im Rahmen der Ermordung der drei Genossinnen 2013 bekräftigt dies und unsere Annahme, dass der 23. Dezember 2022 die Fortführung des Jahres 2013 ist.

Was wissen wir über die ermordeten Genoss:innen?

Bei den Gefallenen handelt es sich um Emine Kara, M. Şirin Aydın und Abdurrahman Kızıl.

Emine Kara war eine Genossin die aktiv in der kurdischen Frauenbewegung war und sich bereits seit 1989 in der Bewegung engagierte. In den Bergen und an vielen Orten in Kurdistan war sie aktiv und hat vor allem auch in Rojava eine große Rolle beim Aufbau der dortigen Selbstverwaltung gespielt. Sie half aktiv mit bei der Unterstützung der Jesid:innen nach den Massakern des sogenannten Islamischen Staats im Schengal. 2019 ist sie nach Europa gegangen, hat vor allem in Frankreich gewirkt und war aktiver teil des Vorbereitungskomitees für die Gedenkdemonstration an Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez in Paris.

Abdurrahman Kızıl war ein heimatverbundener Kurde, der sich in der Diaspora aktiv für die Rechte des kurdischen Volkes eingesetzt und an der demokratischen Gesellschaftsföderation in Frankreich beteiligt hat.

M. Şirin Aydın war ein kurdischer Musiker. Er war in der Diaspora bekannt für seine Lieder und ein Symbol der Vielfalt des Widerstands und der kurdischen Kultur.

Wie geht es jetzt weiter?

Der kurdische Dachverband in Europa „KCDK-E“ hat den Ausnahmezustand ausgerufen. Am 24. Dezember fand daraufhin in Paris eine erste Großdemonstration statt, auch Busse aus Deutschland sind angereist.

Gleichzeitig wird es in den kommenden Tagen überall in Europa zu Aktionen kommen. Die Hauptproteste werden jedoch vorerst in Frankreich und Paris stattfinden, um eine Verschleppung des Falls durch den französischen Staat zu verhindern.

Auch viele internationalistische Kräfte haben sich bereits solidarisiert und ihre Unterstützung ausgedrückt. Es ist an der Zeit, dass all diejenigen die hinter dem kurdischen Volk, der kurdischen Freiheitsbewegung und der Revolution stehen, für all diejenigen, die den türkischen Faschismus, seine europäischen Unterstützer und den Imperialismus bekämpfen, auf die Straße gehen und zur Aktion schreiten. Gerade jetzt in der Weihnachtszeit ist es wichtig, diese Geschehnisse nicht aus den Augen zu verlieren.

Update: Alle sind eingeladen nach Paris zu kommen und ihre Solidarität auszudrücken. Es gibt eine ständige Mahnwache vor dem Ahmet Kaya Kulturzentrum. Es wird aufgerufen überall dezentral Aktionen zu organisieren, um die Trauer und Wut zum Ausdruck zu bringen. Es wird eine große Beerdigung und Verabschiedung der Leichname in Paris geben. Alle sind aufgerufen und eingeladen daran teilzunehmen, allerdings ist noch unklar, wann die Leichname freigegeben werden. Sollte das vor dem 07.01.2023 passieren, wird für den 07.01. zu dezentralen Aktionen aufgerufen. Ansonsten wird am 07.01.2023 in Paris die alljährliche Gedenkdemonstration für Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez stattfinden. Wir rufen alle jetzt dazu auf an dieser Demonstration teilzunehmen und den nun sechs in Paris ermordeten Genoss:innen zu Gedenken.

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Die Fenster beben, der Boden bebt, ich höre meinen Namen, gefolgt von einigen kurdischen Wörtern. Ein weiterer Knall. Ich kann das stechende Geräusch des Flugzeugs, das über unsere Köpfe hinweg fliegt, förmlich spüren. Wie eine Spinne wandert es über meinen Rücken.

Die Fenster beben, der Boden bebt, die dritte Rakete schlägt ein. Auf meinen Namen folgt der Befehl, mich schnell auf den Boden zu legen. Von unten kommen Kinderschreie. Das Nötigste passt in die Jackentasche und ich trage nur meine Kamera. Mich ärgert es, dass ich keinen zusätzlichen Akku habe. Ich fühle mich unbeholfen: Warum denke ich in diesem schrecklichen Moment ausgerechnet daran?

Die Großmutter der Familie kontrolliert die Stimmung, hält die kollektive Angst im Zaum. Wir sind im sichersten und heißesten Raum, etwa 14 Personen. Die meisten Kinder schlafen, außer Armanc, der mit verschränkten Händen und zitternd auf den Beinen seiner Mutter liegt. Die Großmutter betet. Dann blickt sie mit offenen Händen auf und sagt: „Erdogan, warum tust du uns das an? Was haben wir getan? Kurd*innen zu sein? Wir haben Kinder! Was haben wir getan? Wir haben doch nur jeden Tag unsere Mahlzeiten zubereitet und versucht zu leben?“

Muhamed, der Vater einiger Kinder, sucht auf seinem Handy nach Informationen. „Es scheint, dass nicht nur Kobanê, sondern auch andere Städte gleichzeitig angegriffen werden“, sagt er und liest ihre Namen vor: „Derik, Ain Digna, Ayn Al Arab, Tal Rifat, Malikiyah, Şehba, Zirgan“. Außerdem wurden auch weitere Gebiete, außerhalb von Nordostysyrien, die aber für die kurdische Bewegung seit 40 Jahren große Bedeutung haben, getroffen. Zum Beispiel das Qandil-Gebirge und weitere Orte im kurdischen Nordirak.

Der Morgen des 20. November begann mit einem Tweet des türkischen Verteidigungsministers Hulusi Akar, der bekannt gab, dass die Operation „Klaue und Schwert“ erfolgreich durchgeführt wurde. Es seien mehr als 80 Ziele im Nordirak und im Gebiet der autonomen Selbstverwaltung von Nordostsyrien angegriffen worden. Die Angriffe in Nordsyrien breiteten sich von Derik, der irakisch-türkisch-syrischen Grenze, bis zum Bezirk Şehba aus, 40 Kilometer von der Stadt Aleppo entfernt. Der gesamte Luftraum in diesem Gebiet wird von den Vereinigten Staaten und Russland kontrolliert, was darauf hindeutet, dass beide Länder grünes Licht für den Angriff geben haben oder wegschauten.

In Kobanê war eines der Angriffsziele ein Corona-Krankenhaus. Am nächsten Morgen suchten Journalist*innen die Trümmer auf und die Türkei grifft wieder an. Ein Reporter wurde verletzt. In der nordsyrischen Stadt Derik wurden in der gleichen Nacht zwei Wachen eines Kraftwerks getötet. Als Menschen kamen, um zu helfen, darunter Krankenschwestern und Journalisten, griff die Türkei erneut mit Kampfflugzeugen und Drohnen an. Es starben zehn weitere Menschen. Ein halbes Dutzend wurde verletzt.

Dieses Doppelangriffe werden durch das Genfer Abkommen verboten: Wenn ein Ort bombardiert wird und Menschen zur Hilfe eilen dürfen diese nicht wieder bombardiert werden. Laut der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden innerhalb der ersten zwei Angriffstage allein in Nordsyrien mindestens 31 Menschen getötet.

In der Nacht werden von der Familie, bei der ich zu Besuch bin, viele Anrufe getätigt. Man versucht herauszufinden, wie es anderen Familienangehörigen geht und ob sie neue Informationen haben. Die Großmutter ist in einer WhatsApp-Gruppe von Verwandten von Gefallenen, die während dieses seit zu vielen Jahren andauernden Konflikts starben. Sie verlor selbst zwei ihrer Kinder: Eines davon starb, als es die vom Islamischen Staat hinterlassenen Minen entschärfte. „Ich hoffe, es gibt keine Toten“, murmelt die betagte Frau vor sich hin.

„Bisher gab es hier vor allem türkische Drohnen. Man hat sie erst bei der Explosion gehört oder am nächsten Tag davon erfahren. Jetzt sind die Flugzeuge zurück, da muss etwas passiert sein“, erklärt Muhamed. Die App „Syria live map“ zeigt an, dass die von Russland kontrollierte Flugzone freigegeben ist. Dazu gehört auch der Luftraum über Kobanê, wo wir uns aufhalten. Als die Luftangriffe begannen, twitterte Minister Akar, dass die „Stunde des jüngsten Gerichts“ gekommen sei, zusammen mit Bildern eines startenden Kampfjets und einer Explosion. „Zeit um Rechenschaft abzulegen! Diese Schurken bezahlen für ihre verräterischen Angriffe“, schrieb er in einem anderen Tweet.

13. November in Istanbul. Eine Frau sitzt um 15:40 Uhr auf einer Bank auf der Istiklal Caddesi. Sie bleibt 40 Minuten an Ort und Stelle, steht auf, geht hinaus und wenige Minuten später explodiert eine Bombe, bei der sechs getötet und 81 verletzt werden. Keine terroristische Gruppe übernimmt die Verantwortung für den Angriff. Am nächsten Tag behauptet Innenminister Süleyman Soylu, die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) trage die Verantwortung für den Anschlag. Er gibt außerdem die Festnahme des mutmaßlichen Terroristen und 50 weiterer Personen bekannt. Soylu behauptet, der Angriff sei von der Stadt Kobanê koordiniert worden. Die aktuellen türkischen Angriffe auf Nordostsyrien werden so von Ankara als Reaktion auf den Angriff in Istanbul gerechtfertigt.

Aber die Invasion war schon lange vorher geplant. Seit Frühjahr 2022 versucht Erdogan, in das Gebiet einzudringen, das er heute angreift. Bisher hat ihm die Zustimmung der USA und Russlands gefehlt. Hinsichtlich des Anschlags in Istanbul gibt es noch keine eindeutigen Beweise, wer ihn ausgeführt hat, aber Ankara beschuldigt weiterhin die PKK und die nordsyrische YPG. Das Attentat dient der Türkei als Vorwand, um neue Angriffe zu starten.

Dass der Beginn der Invasion auf den Beginn der Weltmeisterschaft in Katar fällt, scheint keine Zufall zu sein. Es gibt viele Beispiele dafür, dass Gräueltaten in Zeiten passieren, in denen sich die Aufmerksamkeit der Welt auf die Weltmeisterschaft konzentriert.

Knapp sieben Monate sind es noch bis zu den Präsidentschaftswahlen in der Türkei, die für Erdogan zur schwierigsten Wahl seiner gesamten politischen Laufbahn geworden ist: Sein Land befindet sich in den letzten Jahren in extrem schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen. Erdogan weiß, dass die türkische Wählerschaft mit Nationalismus und Kriegskampagnen liebäugelt und er ist sich darüber im Klaren, dass das das Einzige ist, was ihn an der Macht halten könnte.

Die Opposition, die sich aus sechs Parteien mit mehr oder weniger nationalistischem Charakter zusammensetzt, ist ebenfalls ein entschiedener Verteidiger einer „starken Hand“ gegen die Kurd*innen. Erdogan erklärte: „Wir beschränken uns nicht auf einen Luftangriff, wir werden uns mit dem Verteidigungsministerium und den Militärkommandeuren beratschlagen, inwiefern wir unsere Bodentruppen einsetzen. Dann werden wir sehen, wie es weitergeht.“

Seit 2016 ist die Türkei dreimal in Nordostsyrien einmarschiert und hat hunderte Kilometer Territorium von der autonomen Selbstverwaltung besetzt. Jetzt droht Erdogan wieder in ein Gebiet einzudringen, in dem sowohl die Vereinigten Staaten als auch Russland militärisch präsent sind. Dieser Modus Operandi ist der türkischen Regierung bestens bekannt: Angriff auf die Kurden, wenn die Popularitätswerte sinken, und das Versprechen, das Osmanische Reich wieder aufzubauen.

Ein paar Tage nach der Bombennacht in Kobanê nehmen die Angriffe im Gebiet der autonomen Selbstverwaltung Flächendecken zu. Erdogan erklärte in einem Fernsehinterview: „Seit einigen Tagen sind wir mit unseren Flugzeugen, Bomben und Drohnen den Terroristen auf der Spur. So Gott will, werden wir sie bald alle mit unseren Panzern, Artillerie und Soldaten ausrotten.“ Zur gleichen Zeit bombardierte eine türkische Drohne nördlich der Stadt Haseke einen Stützpunkt der internationalen Koalition gegen den IS und der Anti-Terrorismus-Einheiten YAT.

Erdogans angeblicher „Kampf gegen den Terror“ bedroht erneut das Leben von fünf Millionen Menschen, die seit 10 Jahren autonom leben und inmitten des Krieges Tage des Friedens suchen, die ihnen immer verweigert wurden.

Autor*innen: Mauricio Centurión und Ariadna Masmitjà

Titelbild: Türkischer Luftangriff auf Zirgan vom 3.12.22

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Die Türkei führt seit Tagen erneut eine großangelegte Militäroperation gegen die befreiten Gebiete der Selbstverwaltung in Nord-Ost-Syrien und Rojava. Zur aktuellen Lage und den politischen Hintergründen sprach Hubert Maulhofer mit Şoreş Ronahî, Mitglied der Internationalistischen Kommune in Rojava und der Kampagne Riseup4Rojava.

Vielleicht kannst du zu Beginn kurz erzählen, was seit dem begonnen Angriff der Türkei am vergangenen Sonntag in Rojava passiert ist?

In der Nacht vom 19. auf den 20. November hat die türkische Besatzungsarmee mit massiven Luftangriffen und Bombardements des gesamten Grenzgebiets, sowie Angriffen bis tief hinein ins Landesinnere, begonnen.

Diese Angriffe setzen sich bis zu diesem Moment fort. Es gibt ununterbrochene Angriffe mit Kampfjets, Drohnen und Hubschraubern. Getroffen wurden militärische Ziele der Genoss:innen der YPG, der YPJ und der SDF. Aber auch viele zivile Orte wurden angegriffen, beispielsweise das Stadtzentrum von Kobane und Qamislo.

Vor allem in den letzten zwei Tagen wurde begonnen fokussiert die zivile und ökonomische Infrastruktur anzugreifen. Also Ölfelder, Stromversorgung, Gasversorgung und Wasserversorgung. Krankenhäuser und Kliniken, sowie Schulen wurden bombardiert. So wie es aktuell aussieht ist nicht mit einer Entspannung der Lage zu rechnen.

Trotz dieser massiven Angriffe, der Schäden und der gefallenen Freunde und Freundinnen ist die Moral in der Bevölkerung hoch. Das Volk leistet Widerstand, ist auf der Straße und kämpft gegen diese Angriffe.

Als Kampagne „RiseUp4Rojava“ habt ihr regelmäßig daraufhin gewiesen das Rojava in einem permanenten Kriegszustand ist. Wurde die Strategie der Türkei, einer Kriegsführung niedriger Intensität, jetzt zu einer Kriegsführung hoher Intensität gewandelt?

Das was gerade passiert ist eine neue Eskalationsstufe. Aber wir müssen klar herausstellen, dass es sich nicht um einen neuen Beginn des Krieges handelt. In den letzten drei Jahren, nach der Besatzung von Serekaniyê und Gîrê Spî 2019, herrschte kein Frieden. Die Region befindet sich konstant im Krieg. Insbesondere an den Frontlinien gab es täglich Angriffe. Der Krieg gegen Rojava wird und wurde aber nicht nur militärisch sondern auch auf allen anderen Ebenen weiter geführt. Medial, ökonomisch, politisch wurde Druck auf die Bevölkerung ausgeübt, beispielsweise durch das Kappen der Wasserversorgung und das gezielte Ermorden von Schlüsselfiguren der Revolution.

Der Krieg des türkischen Staats gegen die kurdische Freiheitsbewegung erstreckt sich ja nicht lediglich auf die befreiten Gebiete Nord-Ost-Syriens. Auch in den Bergen Südkurdistans herrscht Krieg, innerhalb der Türkei kommt es zu massiver Repression. Wie hängt all das miteinander zusammen?

Der Krieg in Rojava darf nicht getrennt betrachtet werden von den Entwicklungen der gesamten Region. Der Krieg ist alltäglich in Nordkurdistan, in Südkurdistan, in Ostkurdistan, in Rojava. Die gesamte Region ist in Bewegung. Ein Krieg in Rojava, ein Krieg in Südkurdistan, ein Volksaufstand in Ostkurdistan und dem gesamten Iran. Das kurdische Volk, in allen vier Teilen Kurdistans unterdrückt und kolonisiert, mit brutalster Repression und Vernichtungspolitik konfrontiert, steht auf.

Innenpolitisch ist die Position des Erdogan-Regimes nicht gefestigt. Die ökonomische Krise in der Türkei ist enorm. Die sozial-politische Krise in der Türkei hat sich massiv verschärft. Im Zusammenhang mit den Wahlen im kommenden Jahr befindet sich Erdogan unter extremen Druck, er versucht das eigene Überleben durch den Krieg zu sichern. Der erwünschte Erfolg durch den Krieg gegen die Guerillakräfte der PKK in den Bergen Südkurdistans ist nicht eingetreten. Im Gegenteil, an bestimmten Stellen konnte die Türkei zwar einige Geländegewinne verzeichnen, aber nur unter extremen Verlusten in den Reihen der türkischen Armee und dem Nutzen von allem was sie zur Verfügung stehen haben, inklusive dem massiven Gebrauch von Giftgas.

In der Türkei konnte die Opposition der HDP trotz massiver Inhaftierungen, Repression und Verleumdungen nicht mundtot gemacht werden. Die Unterstützung der Bevölkerung gegenüber dem Freiheitskampf konnte nicht gebrochen werden.

Die aktuellen Angriffe auf Rojava jetzt sind ein weiterer verzweifelter Versuch des Erdogan-Regimes sich selbst am Leben zu erhalten.

Wachsende Verwerfungen auf internationaler Ebene, innenpolitischer Druck der Opposition, eine gigantische Inflation, ein Krieg der Millionen Dollar und das Leben türkischer Soldaten fordert. Es scheint manchmal so, dass sich Erdogan und sein Staatsapparat in ihren Großmachtsphantasien beginnen zu übernehmen…

Das kann man definitiv so sagen. Ich meinte ja schon, dass es sich mit der Kriegsführung um einen Versuch handelt, an der Macht zu bleiben und den eigenen Absturz zu verhindern. Nichtsdestotrotz darf man die Türkei nicht unterschätzen. Sie verfügt über die zweitgrößte NATO-Armee. Erdogan hat es in der Vergangenheit immer wieder geschafft in den Krisen zwischen verschiedenen Interessen zu manövrieren und sich die Unterstützung für seine Politik national wie international zu sichern.

Aber das was gerade passiert ist kein Zeichen der Stärke des Regimes, sondern ein Ausdruck der Schwäche und der innenpolitischen Krise.

Vor den Wahlen 2023 versucht Erdogan nun über das Mittel des Krieges auch die Opposition erneut mundtot zu machen und auf Linie zu bringen. Mann muss sagen, dass ihm dies, abseits der HDP, auch gelungen ist. Wie sich das jedoch in den kommenden Monaten weiterentwickelt bleibt abzuwarten. Denn in diesem Kontext wird der Widerstand und der Kampf der kurdischen Freiheitsbewegung und der Bevölkerung, sowie der Verlauf des Krieges einen entscheidende Rolle spielen.

Was für ein Interesse haben die beiden in Syrien präsenten Weltmächte USA und Russland in der aktuellen Lage? Nach Außen positionieren sich beide Seiten ja vermeintlich gegen eine größere Militäroperation.

Der Krieg der Türkei gegen die kurdische Bewegung, in allen Teilen Kurdistans, könnten nicht ohne die Unterstützung der USA funktionieren. Im Fall von Rojava hat Russland teilweise eine ähnliche Rolle inne.

Die Besatzung von Êfrîn, Sêrêkaniyê und Gîrê Spî wäre ohne die Zustimmung Russlands und der USA nicht möglich gewesen.

Der Krieg in Südkurdistan wäre nicht möglich, jedenfalls nicht in dieser Intensität, ohne die Zustimmung der USA und der NATO.

Die AKP Erdogans, als ein Projekt des vermeintlich moderaten politischen Islams, welches die sunnitischen Kräfte in der Region bündeln soll für die Interessen der westlichen Staaten, ist für die USA ein strategischer Partner. Das schon seit dem Kalten Krieg und als zentraler Teil des sogenannten „Greater Middle East Projects“. In diesen strategischen

Planungen der NATO bezogen auf den mittleren Osten ist die kurdische Freiheitsbewegung ein großes Problem. Dementsprechend lies man stets der Türkei auch in ihrem Vernichtungswillen indirekt und direkt freie Hand und unterstützte sie. Das ist eine Realität seit dem Beginn des Freiheitskampfes in Kurdistan.

Das heißt es gibt Überschneidungen in den Interessen der Türkei und den USA. Es mag unterschiedliche Formen geben wie man gedenkt diese Politik umzusetzen. Vernichtungspolitik als Mittel der Türkei einerseits und Integration-Assimilation-Korruption als Mittel der USA andererseits, um in Rojava eine weitere KDP [Anm. d. Red.: Regierungspartei in Südkurdistan die mit der Türkei kollaboriert] wie in Südkurdistan aufzubauen. Der Inhalt, die Vernichtung der Freiheitsbewegung, bleibt jedoch der gleiche.

Auch für Russland ist die Türkei ein wichtiger Partner. Ökonomisch ist die Türkei ein wichtiger Handelspartner geworden. Russland hat stets über die Türkei versucht Einfluss auf die NATO zu nehmen, Widersprüche innerhalb der NATO zu verschärfen.

Durch die verstärkte Konfrontation der NATO mit Russland im Rahmen des Ukrainekriegs und die Restrukturierung der NATO, spielt die Türkei in der NATO eine wichtige Rolle.

Wenn wir als Internationalist:innen nicht an die Nationalstaaten appellieren, da wir wissen, dass von Ihnen nichts zu erwarten ist, was ist zu tun? Was ist euer Aufruf als Kampagne RiseUp4Rojava?

Vor einigen Tagen haben wir den sogenannten „Tag X“ ausgerufen.

Wir müssen sehen, dass, unabhängig davon ob es aktuell zu einer Bodenoffensive kommt oder nicht, Rojava sich im Krieg befindet. Die Revolution ist gefährdet.

Der Wille zum Sieg und Kampf gegen den türkischen Faschismus in der Bevölkerung ist groß, aber es braucht jetzt Internationale Solidarität.

Das was in Rojava in den vergangenen zehn Jahren aufgebaut wurde ist gefährdet. Die kurdische Freiheitsbewegung führt seit Jahrzehnten einen Kampf für Demokratie, Frauenbefreiung und ökologisches Wirtschaften.

Sie ist ein Beispiel dafür, wie konsequent gekämpft werden kann. Sie zeigt wie mit erhobenen Kopf den größten Schwierigkeiten getrotzt werden kann und bei allen Widersprüchen und Schwierigkeiten an der eigenen politischen Linie festgehalten werden kann. Für uns Internationalist:innen spielt diese Revolution auch gerade deshalb eine wichtige Rolle, weil sie zeigt, dass ein anderes Leben möglich ist, eine gesellschaftliche Alternative möglich ist. Die Front gegen den Faschismus muss international organisiert sein. Eine Niederlage Rojavas hätte massive Auswirkungen auf die revolutionären Kräfte weltweit, der Erfolg jedoch genauso.

Überall dort wo wir sind, wo wir leben und arbeiten, muss der türkische Faschismus angegriffen werden. Wir müssen unsere Solidarität mit dem Widerstand Kurdistans auf die Straße tragen. Wir sagen, jede Aktion und Beteiligung ist erwünscht. Von kleinen symbolischen Aktionen, über Massendemonstrationen und Blockaden. Einerseits haben diese Aktionen natürlich den Effekt Druck auf den deutschen Staat aufzubauen. Andererseits dürfen wir nicht die Wirkung unterschätzen, die diese Aktionen hier in Rojava haben. Sie gegeben Kraft und Mut weiterzukämpfen. Wenn du im Kampf bist und siehst, dass überall auf der Welt Menschen hinter dir stehen und sich auch als Teil dieses Kampfes sehen, das ist unbeschreiblich.

Unser Aufruf ist an alle: Geht auf die Straße, organisiert euch. Lasst diejenigen die dachten sie verdienen sich eine goldene Nase an diesem Vernichtungskrieg, es bereuen. Sorgt dafür, dass diejenigen die diese Vernichtungspolitik unterstützen, es bereuen werden.

#Titelbild: Trümmer der Pressestelle der YPG in Qerecox nach der Bombardierung durch die Türkei 2017

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Ob in der Zeitung, bei Insta oder im Fernsehen, in diesen Tagen kommt man um einen Namen nicht mehr herum: […]