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Der vorliegende Text ist die achte These unserer Broschüre „Ein Sturm zieht auf – Thesen zu Krieg, Imperialismus und Widerstand“. Die vollständige Broschüre mit neun weiteren Thesen ist beim Letatlin Verlag bestellbar.



Wir wollen gegen den imperialistischen Krieg kämpfen. Dafür brauchen wir praktische Konzepte für hier und heute, für die aktuelle Situation der Gesellschaft und der Linken in Deutschland. Nicht abstrakt, sondern konkret; nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch; nicht utopisch, sondern realpolitisch; nicht nostalgisch, sondern im Hier und Jetzt. Im Folgenden wollen wir Vorschläge praktischer Organisierungs- und Handlungsansätze machen, mit denen wir beginnen können, unsere Seite zu organisieren und aufzubauen. Mit unserer Seite meinen wir die anti-imperialistisch-sozialistische Linke und alle Teile der Gesellschaft, die für eine Antikriegsbewegung gewonnen werden können, insbesondere die prekarisierte lohnabhängige Klasse. 

Verantwortliche und Profiteure als Hauptfeinde anvisieren

Es macht Sinn, konkrete Ziele und Schwerpunkte zu setzen, auf die man seine Arbeit konzentriert und bestimmte Akteure und Personen als Hauptfeinde ins Auge zu fassen. Die Verstrickungen des Imperialismus sind komplex und die herrschende Klasse in Deutschland und international besteht aus vielen unterschiedlichen Akteuren, denen wir nicht allen die gleiche Aufmerksamkeit zukommen lassen können, aber es gibt klare Verantwortliche und große Profiteure der Kriegspolitik in Deutschland und diese sollten wir zu Hassfiguren machen. Das deutsche Kapital und der Imperialismus haben Gesichter, die wir in der Öffentlichkeit adressieren sollten. Die Hauptadressaten unseres Widerstandes sind Akteure des militärisch-industriellen Komplexes – Rüstungsindustrie, NATO und politische Verantwortungsträger des Staats. Figuren wie Merz, Pistorius, Papperger und ähnliche sind objektiv die Hauptakteure des Krieges der deutschen Politik und Wirtschaft und eignen sich als Charaktere hervorragend, um Hassobjekte zu werden. Durch Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit müssen die Machenschaften der NATO, Politiker und Konzerne aufgedeckt werden und der schamlose Profit am Töten und Sterben bei gleichzeitigem Zusammenkürzen des Sozialstaats skandalisiert werden. Dabei können wir viele Anknüpfungspunkte nutzen: Den wirtschaftlichen Boom der Rüstungsindustrie mit steigenden Lebenshaltungskosten in Verbindung setzen oder die Notwendigkeit von neuen Panzerfabriken bei gleichzeitiger Schließung von Krankenhäusern hinterfragen. Es ist ja nicht zu leugnen, es reicht ein Blick auf die nüchternen Zahlen, um festzustellen dass Armin Papperger (CEO von Rheinmetall), Oliver Dörre (CEO der Hensoldt AG), Oliver Burkhard (CEO von ThyssenKrupp Marine Systems), Jean-Paul Alary (CEO von KNDS) und andere Angehörige des militärisch-industriellen Komplexes jährlich neue Rekordgewinne einstreichen und zeitgleich für die gemeine Bevölkerung alles teurer wird und Lohnsteigerungen für Arbeiter:innen wenn überhaupt gerade so einen Inflationsausgleich bringen. Widerstand gegen den Kriegskurs ist eine gesellschaftliche Konfrontationssituation und es ist dafür wichtig, klar zu identifizieren, wer Gegner ist und wer nicht. Gegen wen kämpft man, wen erklärt man zum Feind? Macht es Sinn, dass Sozialist:innen sich auf das opportunistische Verhalten der Linkspartei einschießen und hauptsächlich auf ihr herum hacken oder sind die Hauptfeinde bei aller berechtigten Wut über die Linkspartei nicht doch andere? Als weiteren Arbeitsschwerpunkt schlagen wir das Gesundheitssystem vor, natürlich nicht als Feind, sondern als strategisches, systemrelevantes Feld, welches stark mit dem Krieg in Berührung kommen wird und in welchem die Chancen, Möglichkeiten und Sympathien für eine Kritik an der herrschenden Politik, alternative Vorschläge und widerständige Handlungen aus unserer Sicht vielversprechend sind – und das auch nicht erst seit der Pandemie oder im Krieg.

Klassenfrage stellen und sozialistische Alternativen benennen

Die Antwort und Strategie gegen Militarisierung und Imperialismus, die – wie in These 4 ausgeführt – eine Verschärfung des Klassenkampfes von oben durch Autoritarisierung und Prekarisierung der Verhältnisse darstellen, muss Klassenkampf von unten sein. Das heißt: das aktive und bewusste Stellen sozialer, ökonomischer und politischer Macht- und Verteilungsfragen – im Kern die Frage nach dem Eigentum und der Verfügung über die gesellschaftlichen Produktionsmittel. So hoch gegriffen oder fern das auch klingen mag, so simpel ist es eigentlich. Wenn der Charakter des Kapitalismus so deutlich und offen zutage tritt wie jetzt gerade und für Viele in der Gesellschaft evident oder naheliegend wird, dass diese Politik ungerecht ist und sie dabei die Verlierer sind – wegen der Kürzungen und weil sie bald vielleicht in einem Krieg sterben sollen – dann muss unsere Antwort darauf ausnahmsweise klar und simpel sein: Das Eigentum der herrschenden Klasse und ihre Interessenpolitik infrage stellen und gerechte, realpolitische Gegenmaßnahmen in den Raum stellen.

Damit meinen wir nicht eine realitätsferne radikalistische Forderung nach der sofortigen bewaffneten Revolution. Dafür hätte unsere Bewegung bei Weitem nicht die Stärke und wir sollten uns dessen bewusst sein und für den Erfolg unserer Politik und die Glaubwürdigkeit bei den Menschen realistisch und langfristig denken. Worum es jetzt geht, ist antikapitalistische Aufklärung, Alternativen vorschlagen, Widerstandsformen entwickeln und die Schaffung erster organisatorischer Ansätze, das Legen von Grundsteinen für eine antimilitaristische Bewegung der ausgebeuteten Klasse. Dafür eignet sich die aktuelle Kriegspolitik; die Frage von Krieg und Frieden sollte mit der Klassen-, Verteilungs-, Eigentums- und Demokratiefrage verbunden werden.

Widerstandsformen gegen Krieg und Militarisierung müssen mit der sozialen Frage und Vorschlägen einer alternativen Sicherheitspolitik1 verbunden werden, um für die Gesellschaft eine ernstzunehmende Stimme zu sein, die nicht als weltfremde oder gar unverantwortliche Träumerei erscheint, sondern der man zuhören und folgen möchte.

Strategie der „Revolutionären Realpolitik“

Für eine ernsthafte sozialistische politische Kraft ist entscheidend, dass diese nicht nur utopistische Traumschlösser malt, abstrakte Ideale predigt und damit den Menschen vermittelt, wie schön und gleichzeitig unerreichbar und weltfremd ihre Ziele sind, sondern dass man praktisch umsetzbare Maßnahmen auf politisch realisierbarem Weg in verständlicher Sprache als Meilensteine und Wegmarker in Aussicht stellt. Dabei gilt es, auch die real existierenden systemischen Strukturen zu nutzen, da diese meist die größte Sichtbarkeit, wie auch die legale Möglichkeit der (Gegen)Machtausübung bieten. Frei nach Rosa Luxemburg also das Konzept der Revolutionären Realpolitik2. Auch Lenin plädierte als guter Politiker, Realist und Materialist in seiner Broschüre ‚Der linke Radikalismus’3 für die Arbeit der Revolutionäre in den reformistischen Parteien und Gewerkschaften, solange man nicht eigene Strukturen mit der nötigen Stärke und Massenanhang habe, da das radikalistische Sich-Abgrenzen der Revolutionäre von allem „Nicht-Revolutionären“ nur zur Selbstisolation und Entfremdung von den Massen führt. Dabei ist es jedoch wichtig, sich über die Machtverhältnisse und die begrenzten Möglichkeiten im Rahmen des DGB oder der Linkspartei bewusst zu sein und deswegen die Arbeit in und mit diesen Organisationen nicht als die alleinige Strategie, sondern als Teil einer sozialistischen Gesamtstrategie zu handhaben. Die Strategie der Revolutionären Realpolitik muss also staatliche Politik und den Aufbau eigener Strukturen, inner- und außersystemische Elemente in einer Bewegung gegen den Krieg miteinander verbinden. Rosa Luxemburg sah darin keinen Widerspruch, sondern eine Wechselwirkung. Wir sollten das auch tun.

Linkspartei und DGB

Im Unterschied zur Zeit des 1. Weltkriegs gibt es heute keine große Arbeiter:innenbewegung in Deutschland. Jedoch sind die systemischen Organisationen, welche noch am ehesten die Inhalte und Mitgliederstärke dafür haben, die Linkspartei, die SPD und die verschiedenen Gewerkschaften des DGB. So unbefriedigend deren Dynamiken auch sind, werden wir in den nächsten Monaten weder eine neue Partei noch eine Gewerkschaft mit revolutionärem Programm und Massenanhang aus dem Hut zaubern. Natürlich macht Verrat – wie etwa das opportunistische Verhalten der Linken-Länderspitzen von Bremen und Mecklenburg-Vorpommern bei der Bundesratsabstimmung über das 500-Milliarden-Paket, das Verschieben der Gaza-Demo der Linkspartei mitten im Genozid auf nach der Sommerpause oder die ständigen Deals der Gewerkschaftsspitzen mit den Konzernbossen – wütend und desillusioniert. Aber es bringt nichts, sich danach monatelang nur in Artikeln darüber zu zerreißen, wie reformistisch diese Partei und diese Gewerkschaften sind, ohne funktionierende Alternativvorschläge zu machen. Es gilt vielmehr, eine Bewegung zu schaffen, die die Kraft hat, den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen und den nötigen Druck auszuüben, sodass sich opportunistische Abgeordnete dreimal überlegen, ob sie wissentlich gegen den Willen ihrer Basis und einer starken Bewegung stimmen. Das Ziel wäre dabei, die Linkspartei von einer schwankend-opportunistischen Partei, die zum politischen Establishment dazugehören will, durch Druck von unten in eine antagonistische parlamentarische Rolle gegen den Kriegskurs zu zwingen. Wichtig ist dabei die Rolle, die revolutionäre Kräfte haben.

Unsere Aufgabe ist es nicht, in der Hoffnung auf Regierungsbeteiligung Merz und Spahn in den Arsch zu kriechen oder für einen guten Posten in der Gewerkschaft die Sozialpartnerschaft mit den Arbeitgebern zu suchen. Unsere Aufgabe ist es, immer auf Seiten der unteren Klassen und Unterdrückten zu stehen, die Basis zu radikalisieren und in den Organisationen Druck zu machen, um sie in eine sozialistische und antiimperialistische Richtung zu drängen. Dafür sollte man auch den vorgegebenen Rahmen der Parteistrategie oder des restriktiven deutschen Gewerkschafts- und Streikrechts infrage stellen und wenn möglich brechen. Damit erreicht man eine lebendige politische Bewegung, die gesellschaftlich wahrgenommen wird, ihren eigenen Willen unabhängig von opportunistischen Führungsebenen ausdrückt und das Potenzial hat, Wirkungsmacht zu entfalten. Die Formel ist sozusagen ein Zusammenwirken aus Systempolitik und dem Aufbau einer eigenen gesellschaftlichen Kraft. Sozialist:innen sollten sich aber auch außerhalb dieser Organisationen organisieren, um die Arbeit in ihnen reflektieren und planen zu können. Dieser Punkt und dass die Linkspartei oder der DGB nur begrenztes Widerstandspotenzial und Handlungsspielraum bergen und wir uns nicht auf diese Organisationen verlassen oder unsere Kraft allein mit der Arbeit in ihnen verausgaben dürfen, führt uns zu dem Punkt der außerparlamentarischen Organisierung antiimperialistischer, sozialistischer Kräfte sowie demokratischer, gesellschaftlicher Verbündeter, die gegen den Krieg sind.

Eine Rätestruktur für die Antikriegsbewegung

Was heißt Organisierung? Organisierung heißt, Kräfte zu bündeln. Eine gemeinsame organisatorische Form, die ermöglicht, die Kraft des Handelns unterschiedlicher Einzelakteure, Gruppen und Strukturen auf der Grundlage eines gemeinsamen Programms in die gleiche Richtung zu kanalisieren und damit größtmögliche Kraft und (Gegen)Macht zu entfalten.

Für die sozialistische und antiimperialistische Linke in Deutschland ist das Rheinmetall Entwaffnen-Camp ein Raum, an dem seit 7 Jahren zusammengekommen wird; darüber hinaus bestehen verschiedene internationalistische, antiimperialistische, kommunistische, sozialistische, anarchistische Netzwerke, Kampagnen und Zusammenhänge in unterschiedlichen Konstellationen. In den letzten Jahren hat sich in Deutschland dabei ein bestimmtes Spektrum zusammengefunden und vergrößert, was sozialistische und antiimperialistische Grundsätze wieder zur selbstverständlichen Grundlage ihrer Politik nimmt. Insbesondere auf den letzten beiden RME-Camps hat sich dieses gezeigt. Wir denken, dass das Potenzial hat, ausgebaut zu werden. Wir denken es braucht eine über das jährliche RME-Camp hinausgehende, kontinuierlich kooperierende Arbeit linker Strukturen, um eine wirkmächtige Kraft gegen die Militarisierung zu werden. Zunächst kann das ein Antikriegsbündnis sein, was kontinuierlich arbeitet und sich aus den schon bestehenden Bekanntschaften und politischen Vernetzungen zusammensetzt. Dies sollte aber nicht das Ziel oder das Ende sein, sondern erst der Anfang, sozusagen ein Aufbaukomitee.

Das Ziel könnte ein Bundesweiter Friedensrat sein und regionale, lokale Komitees in den Städten und Landkreisen, aus denen gewählte Delegierte die Bundesebene der Räte bilden.

Dieser Struktur sollte ein inhaltliches Programm, ein verschriftlichter antiimperialistischer (Minimal)Konsens zugrunde liegen, dessen gemeinsame Anerkennung die Grundlage der Zusammenarbeit bildet. Denn das Ziel einer solchen Rätestruktur sollte die Einbindung breiterer gesellschaftlicher Teile sein als es das Rheinmetall Entwaffnen-Camp und die meisten linksradikalen Strukturen schaffen. Wir sollten über die Szene hinaus denken und uns Mühe geben, statt nur der üblichen verdächtigen linken Kleingruppen ein breiteres Spektrum an klassenkämpferischen, demokratischen, friedenspolitischen, gesellschaftlichen, kulturellen, ökologischen, religiösen Gruppen, Initiativen, Communities und Einzelpersonen einzubinden. Das kann von sozialistischen Gruppen, Gewerkschaften, Jugendverbänden und politischen Exilgruppen über Nachbarschaftsinitiativen, die Linksjugend, die Naturfreunde, Kulturvereine, die evangelische Gemeinde oder Stadtteilgruppen bis zum kurdischen Verein und Refugee-Gruppen theoretisch jede:r sein, der:die sich auf die gemeinsame inhaltliche Grundlage stellen kann.

An manchen Orten kann dabei vielleicht sogar an Überbleibsel der Friedensbewegung der 80er-Jahre angeknüpft oder mit ihren Akteuren zusammen gearbeitet werden. Es bietet das Potenzial, weit über das eigene Mitglieder- und Sympathisant:innenklientel hinaus zu wirken, einer Antikriegsbewegung organisatorisch zur Entstehung zu verhelfen und ihr eine zumindest in Teilen linke, sozialistische Prägung zu geben. Ein gesellschaftlicher Charakter und kein neues Szene-Selbstbespaßungsbündnis sollte dabei das klare Ziel sein. Dafür ist es jedoch wichtig, dass wir in der Lage zu demokratischen Auseinandersetzungen und Kompromissen mit Kräften sind, die keine Kommunist:innen oder Revolutionär:innen sind, weswegen das Grundlagenpapier eines Antikriegsrates kein kommunistisches Maximalprogramm sein kann. Es kann und sollte aber soziale Forderungen und antiimperialistische Inhalte wie die Verurteilung des israelischen Kriegs in Palästina oder auch des russischen Angriffs auf die Ukraine voraussetzen, um lähmenden Diskussionen zuvor zu kommen und eine inhaltlich richtige Grundlage zu schaffen, indem es gewisse Prinzipien festlegt und somit gewährleistet, dass die Stoßrichtung gegen Imperialismus, für Frieden und soziale Gerechtigkeit bleibt. Es geht um demokratische Politik und den Aufbau einer Bewegung mit verschiedenen gesellschaftlichen Kräften, die ein grundsätzliches Interesse an Frieden und sozialer Gerechtigkeit teilen. Das wirkt als Vorstellung und Zielsetzung vielleicht zu groß und schön, als dass es realistisch sein könnte, aber das Potenzial ist da. Zur Umsetzung ist es nur nötig, dass Sozialist:innen es schaffen, aus ihren eigenen festgefahrenen Dynamiken heraus zu kommen, die sektiererische Mentalität zu überwinden und auf andere Menschen zuzugehen, mit ihnen zu reden, ihnen zuzuhören und sich an der praktischen Organisierungsarbeit zu versuchen.

Ohne größenwahnsinnig oder illusorisch zu werden, ist eine solche Rätestruktur natürlich, wenn auch nicht in ihrer Größe und Wirkmacht so doch in ihrer Idee, eine Hommage an die Arbeiter- und Soldatenräte am Ende des 1. Weltkrieges. Wir halten es für ein richtiges Organisierungskonzept der Selbstermächtigung; die Kunst und Aufgabe der Arbeit dieser Räte/Komitees wäre es, ihre Praxis so zu gestalten, dass die Räte zu lokalen Räumen des Zusammenkommens, der Diskussion und der Organisierung von Aufklärung und Widerstand werden können. Wir können dabei auf die geschichtlichen Erfahrungen in Deutschland mit einer aus der Ablehnung des imperialistischen Krieges entstandenen Rätestruktur verweisen – von der Bayerischen bis zur Bremer Räterepublik, der Roten Ruhrarmee und den Arbeiter- und Soldatenräten ganz Deutschlands. Gleichzeitig proben wir darin zusammen mit den Krieg ablehnenden Elementen der Bevölkerung Volksdemokratie und Selbstorganisation, was für die Arbeiter:innenklasse in Deutschland und auch für sozialistische Revolutionäre wertvolle, bildende politische Erfahrungen wären, auf denen in der Zukunft aufgebaut werden kann.

Ob mit oder ohne eine solche Rätestruktur, die nur ein Vorschlag unter vielen Möglichkeiten organisierter und koordinierter Vernetzung und Widerstandes antimilitaristischer Kräfte ist, gibt es ein breites Feld an Handlungsansätzen, welche lokal und zentral verwirklicht werden können.

Verschiedene Widerstandsformen als Mosaik der Bewegung

1. Aufklärung und Volksdemokratie

Ein zentrales Arbeitsfeld ist die öffentliche Aufklärung und Agitation. Was heißt Agitation? Agitation muss nicht durch einen Vollzeit-Parteikader geschehen, der vor den Toren der Fabrikhallen die Arbeiter:innen zum Streik aufruft, sondern ist im Prinzip jede politische Diskussion, die wir im Alltag führen – in der Supermarktschlange, mit der Nachbarin, unseren Eltern, Arbeitskolleg:innen oder Freund:innen. Dabei geht es darum, unsere Analysen und Narrative zu den Gründen der zunehmenden Militarisierung sowie unsere Vorschläge für alternative Wege zu verbreiten – und sie in den Köpfen der Menschen zu verankern. Dafür sollten Veranstaltungen organisiert werden – an Schulen, Universitäten und mit Gemeinschaften und Verbänden, aber auch in der Öffentlichkeit. Angesichts der Brisanz des Themas, welches vielen wenn nicht allen Menschen Sorge bereitet, kann es fruchtbar sein, Veranstaltungen und Diskussionen über den Krieg auf öffentlichen Plätzen im Stadtteil zu organisieren. Dabei sind Sprache und Ästhetik wichtig (wie bei allem, was wir tun). Es kommt sowohl darauf an, was wir sagen, als auch wie wir es sagen. Die klassischen Kundgebungen linker Gruppen mit 10 Teilnehmenden und 20 Fahnen sind wenig attraktiv, sowohl vom Aussehen, als häufig auch von der Sprache. Wir sollten davon absehen, einfach nur linke Parolen zu rufen, Phrasen ins Mikrophon zu dreschen und dabei alle -Ismen, die wir ablehnen, aneinanderzureihen. Es sollten fundierte inhaltliche Vorträge und (Podiums)Diskussionen sein, die in verständlicher Sprache stattfinden, aber eben auch eine tiefere Analyse liefern. Denn häufig sind linksradikale Traditionsphrasen gar kein Ausdruck von Stärke, sondern nur davon, selbst unzureichende Antworten auf die praktischen, realen politischen Probleme der Zeit zu haben.

Sowohl die Analysen als auch alternative Perspektiven müssen wir uns erarbeiten und darlegen. Wenn man das weiterdenkt, kann man auf Elemente der Volksdemokratie hoffen, die aus solchen lokalen Versammlungen und Räten entstehen – ein wünschenswertes Szenario, das eine Antikriegsbewegung im Stil der Platzbesetzungsbewegungen nach der Finanzkrise 2008/2011, wie Occupy Wall Street in den USA, 15M in Spanien, den Gezi-Park in der Türkei oder den Tahrir-Platz in Ägypten hervorbringen könnte.

2. Arbeit und Streik

Falls Deutschland 2029 tatsächlich offen in einen Krieg eintritt, sollte eine Gesamtstrategie von Linkspartei, Gewerkschaften und außerparlamentarischer Bewegung auf einen Generalstreik hinarbeiten. Auch zuvor sind Betriebsstreiks, Reproduktionsstreiks und Schul- und Universitätsstreiks wirksame Mittel, um Menschen zu mobilisieren und den Protest auszuweiten. Das restriktive deutsche Streikrecht verbietet jedoch den politischen Streik, auch den Generalstreik, weswegen die Herausforderung wäre, diese Regeln zu durchbrechen und Menschen aus der Arbeiter:innenklasse an verschiedenen Punkten dazu zu bringen, sich selbst zu ermächtigen. Streiks in Betrieben und Branchen werden durch Arbeit in und mit Gewerkschaften möglich, Schul- und Universitätsstreiks durch gezielte Jugendarbeit an und um die Orte der Bildung und Erziehung.Das Thema der Arbeitsplätze in der kriegsrelevanten Industrie muss hierbei berücksichtigt werden! Man kann schlecht Arbeiter:innen bei VW für eine Antikriegsposition gewinnen, wenn man ihnen in Aussicht stellt, dafür ihre Jobs zu verlieren. Auch hier sind Aufklärungs- und Diskussionsveranstaltungen mithilfe der Gewerkschaft ein Mittel, ins Gespräch zu kommen, um Überzeugungsarbeit zu leisten. Dafür muss man natürlich überzeugende Vorschläge einer Konversion von Rüstungs- und fossiler Produktion in gesellschaftlich notwendige und nachhaltige Güter haben. Das sind Themen, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Eine Veränderung ohne den Willen der politischen Verantwortlichen, Geld und Ressourcen ins Gesundheits-, Transport- und nachhaltige Energiesystem zu investieren, wird nicht einfach werden. Aber genau diese Bruchstellen gilt es weiter aufzumachen und Arbeiter:innen der vom Krieg erst mal profitierenden Industrien alternative Vorschläge für die Zukunft anzubieten, wenn auch sie die Folgen des Krieges nicht mittragen und verantworten möchten.

Einen sehr zentralen Platz in jeder Gesellschaft und besonders in einer Gesellschaft im Krieg nimmt das Gesundheitswesen ein. Die Menschen, die hier arbeiten, werden vorrangig mit den unmittelbaren Folgen des Krieges in Berührung kommen ohne selbst Soldat zu sein. Am Gesundheitssystem zeigt sich schon in Friedenszeiten und nicht erst seit der Pandemie die Ungerechtigkeit der Zwei-Klassen-Medizin und die katastrophalen Arbeitsbedingungen und Zustände des Kapitalismus, der auf Kosten des Lebens und der Gesundheit der Menschen Profit macht. Menschen, die hier arbeiten, werden die Auswirkungen des Krieges auf die Bevölkerung, auf Soldaten wie Zivilist:innen in seinen Abgründen zu sehen bekommen. Das ist eine Chance, Arbeiter:innen des Gesundheitswesens gegen den Krieg zu mobilisieren und im Kriegsfall Kontakt zu verwundeten Soldat:innen und Zivilist:innen herzustellen – eine politisch wichtige Position.

3. Jugend- und Studierendenbewegung

Jugendliche und Studierende werden einen zentralen Platz in einer antimilitaristischen Bewegung einnehmen. Die junge Generation bringt dabei einiges mit, auf was aufgebaut und was ausgeweitet und weiterentwickelt werden kann. Erst letztes Jahr sahen wir gegen den Genozid in Palästina die vielleicht größte globale studentisch-geprägte Antikriegsbewegung seit dem Vietnamkrieg. Die Protestcamps und Uni-Besetzungen, welche sich im April 2024 von der Columbia University in New York ausgehend innerhalb weniger Tage in den USA und dann in wenigen Wochen wie ein Lauffeuer über die Welt verbreiteten, entfachten eine neue junge Protestbewegung in Solidarität mit dem palästinensischen Volk und zeigten das Potenzial der jungen Generation. Die Proteste und Besetzungen waren von den USA bis in den Irak, von Indien bis Australien, Deutschland bis Japan und Brasilien bis nach Indonesien ein weltweites Phänomen, reihten sich damit ein in die Anti-Vietnamkriegsproteste der 1960er- und die Anti-Apartheid-Bewegung der 1980er-Jahre und zeigte, dass die Campus leben. Die Camps und besetzen Räume waren Orte kollektiver Diskussion, Bildung, Politisierung, Radikalisierung, Professionalisierung und praktischen Widerstands. Angriffen von Nazis, Zionisten und Cops ausgesetzt, im Nachhinein mit Repression wie Exmatrikulation, Aberkennung von Stipendien oder Abschiebung ausländischer Studierender aus den USA überzogen, hat hier ein Teil der aktuellen Generation Studierender für internationale Solidarität mit Palästina und antikolonialen Widerstand ihre bürgerliche Karriere, ihre Freiheit und körperliche Unversehrtheit in die Waagschale geworfen. Das ist nicht geringzuschätzen! Universitäten als Orte der Kritik und Studierende als politisierte Subjekte sind für den Widerstand gegen den deutschen Imperialismus zentral. Sie können Proteste organisieren, in die Bewegung wirken, eine Generation prägen, den öffentlichen Diskurs beeinflussen und durch Druck auf Universitäten deren Unterstützung des Krieges beenden – und so dem deutschen Imperialismus in den Rücken fallen. Beispiele wie die weltweite Schüler:innenbewegung Fridays for Future, die erst vor wenigen Jahren für ein Anliegen der Zukunft und sozialen Gerechtigkeit Millionen mobilisierte, zeigen, wie groß das Potenzial junger Menschen ist. Dieses Potenzial gilt es nicht nur bei Studierenden und Schüler:innen, sondern auch bei Auszubildenden zu entfalten, indem sie gezielt in Widerstandsformen am Arbeitsplatz und darüber hinaus einbezogen werden – denn auch sie wären als junge Generation von einem kommenden Krieg besonders betroffen.

4. Räume und Orte des organisierten Widerstands

Für die Ansprechbarkeit, Sichtbarkeit und als Anlaufstelle für Diskussion ist es wichtig, feste Orte zu haben, an die Menschen gehen können. Dort können Büros zur Unterstützung bei der Wehrdienstverweigerung eingerichtet werden, Menschen ihre Sorgen mit anderen besprechen, von der Front kommende Soldat:innen ihre Erfahrungen mitteilen oder Menschen, die sich bei der Antikriegsarbeit einbringen möchten, Anschluss finden. Die persönliche Begegnung und der kollektive Raum des Austauschs, der Reflektion und Organisierung wird für die Gesellschaft und eine Antikriegsbewegung wenn es erst mal so weit ist extrem wichtig sein.

5. Aktionen und Mobilisierungen

Demonstrationen, Blockaden, Kampagnen, Besetzungen, Camps und ziviler Ungehorsam sind wichtige Widerstandsformen, die die Größe einer Bewegung sichtbar machen können, die Profiteure und Verantwortlichen des Krieges öffentlichkeitswirksam anprangern und symbolischen wie effektiven Schaden an der Kriegsmaschinerie anrichten können. Größer angelegte Aktionen und Kampagnen, teils verbunden mit militanten Angriffen, wie von Palestine Action und Shut Elbit Down in Großbritannien oder auch im Kontext der Soulèvement de la terre-Klimaproteste in Frankreich sind vor allem erfolgreich, wenn verschiedene Aktionsformen ineinandergreifen greifen; je breiter die Kampagne stattfindet, desto mehr Aufmerksamkeit. Camps und Besetzungen – wie die bereits erwähnten Unibesetzungen in Solidarität mit Palästina oder das jährliche „Rheinmetall Entwaffnen“-Camp – sind Orte, an denen kollektiver Austausch ermöglicht, öffentlicher Druck erzeugt und koordinierte Aktionen umgesetzt werden können. Solche eher aktivistisch orientierten Formen des Widerstands sind aufgrund des nötigen hohen Commitments vielen Teilen der arbeitenden Bevölkerung nicht auf Dauer möglich, weswegen Eventmobilisierungen und dauerhafte Camps und Besetzungen nicht die einzige Strategie sein können. Demonstrationen, ziviler Ungehorsam und Blockaden bis hin zu direkten Aktionen bilden trotzdem einen wichtigen öffentlichkeitswirksamen Teil des antimilitaristischen Widerstands. Vielleicht überlässt die sozialistische, antiimperialistische Linke und ein eventuell entstehender Bundesweiter Antikriegsrat es das nächste Mal nicht Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht, eine große Antikriegsdemonstration in Berlin zu organisieren, auf der allerlei wirre Sachen gesagt werden, sondern organisiert diese zusammen mit demokratischen Verbündeten selbst und prägt sie mit einer fundiert linken Ausrichtung.

6. Militanz und Sabotage

Die militante Linke in Deutschland hat nicht die Stärke, die Bundeswehr durch großflächige Sabotage kriegsuntauglich zu machen. Der Versuch dessen kann also nicht die Strategie sein. Nichtsdestotrotz sind militante Angriffe und Sabotageakte gegen den Kriegsapparat wichtige Zeichen. Werden sie mit Feingefühl gesetzt, können sie eine Bewegung radikalisieren, stärken und in einzelnen Fällen tatsächlich wie Sand im Getriebe oder ein Schraubenschlüssel zwischen Zahnrädern wirken. So lassen sich punktuell Verzögerungen im Ablauf einzelner Teile der Kriegsmaschine erreichen. Wir sollten uns bewusst sein, dass die militante Linke aktuell nicht die Stärke hat, den Krieg kriegsentscheidend mit militanten oder militärischen Mitteln zu bekämpfen, jedoch ist jede direkte Aktion, jeder militante Sachschaden ein willkommenes Symbol des Widerstands.

7. Kulturkampf

Der Kampf um die Gesellschaft, um die Köpfe und die Jugend ist auch ein kultureller Kampf. Es ist auch eine Frage dessen, ob es geschafft werden kann, eine erfolgreiche Antikriegskultur der hegemonialen und immer aggressiveren militaristischen Kultur entgegen zu setzen. Dazu gehören natürlich sämtliche Bereiche der Kultur von Musik über Filme bis Social Media; worum es dabei im Kern aber geht, ist das Schaffen einer anderen Mentalität als der militaristischen – einer Kultur, in der es uncool ist, für Deutschland und die Profite der Reichen kämpfen zu wollen und in der es cool ist, Antimilitarist oder Antiimperialistin zu sein, dieses System abzulehnen, gegen den Staat zu sein, Wehrdienst zu verweigern, Widerstand gegen den Krieg zu leisten, solidarisch mit anderen Völkern zu sein und gegen die Politik der Herrschenden auf die Straße zu gehen. Während der 68er-Bewegung und den Anti-Vietnamkrieg-Protesten hat das funktioniert. Im 21. Jahrhundert sähe das sicherlich anders aus, aber das Prinzip einer angesagten widerständigen Gegenkultur bleibt das Gleiche. Diese muss und sollte keinen hippiesken Charakter haben, sondern einen klassenbewussten und antiimperialistischen Zeitgeist gegen die Ausbeuter und Kriegstreiber prägen.

Gesellschaftlichen Widerstand fördern

Im Kleinen formiert sich hier und da schon gesellschaftlicher Widerstand in verschiedenen Formen: Drei Münchener Straßenbahnfahrer gingen in die Öffentlichkeit, indem sie sich weigerten, Bundeswehr-Werbung durch die Stadt zu befördern.4 In Hamburg wurde Sabotage an einem Kriegsschiff durch Metallspäne im Antrieb verübt.5 Gute Beispiele für direkten Widerstand sind natürlich auch die Hafenarbeiter:innen von Genua6, Marseille7 und Athen8, die Waffenlieferungen an Israel und Saudi-Arabien blockierten. Jede:r Rheinmetall-Mitarbeiter:in, jede:r VW-Arbeiter:in, der:die bald Panzerteile schrauben muss und seine:ihre Arbeit niederlegt ist wichtig! Jede Bäckerei, die keine Bundeswehr-Werbung auf ihren Brottüten zulässt, entzieht sich der Kriegspropaganda. Jede dieser ungehorsamen Aktionen ist wertvoll und ein kleiner aber nicht zu vernachlässigender Schritt hin zu einem gesellschaftlichen Widerstand. Es ist unsere Aufgabe, auf widerständige Arbeiter:innen zuzugehen und ihre Aktionen praktisch zu unterstützen.

Haltung zu Bundeswehr,Wehrdienst und Soldat:innen

Zum jetzigen Zeitpunkt sollten wir angesichts der nach wie vor verbreiteten Ablehnung von Krieg und Wehrpflicht in der Gesellschaft diese Haltung unterstützen und dem deutschen Staat die Kriegstüchtigkeit erschweren, indem wir dafür sorgen, dass er nicht genügend Soldat:innen rekrutiert. Solange die Wehrpflicht nicht vollständig wieder eingeführt ist, gilt es, sie abzulehnen und zu verhindern, dass große Teile der jungen Generation in der Armee militaristisch indoktriniert werden und potenziell in einem Schützengraben in Osteuropa sterben müssen. Die Verweigerung des Wehrdienstes ist für uns aber keine allgemeine Position, sondern eine, die zum jetzigen Zeitpunkt politisch Sinn macht. Die Frage Verweigerung oder Wahrnehmung des Wehrdienstes leitet sich taktischaus den konkreten Umständen der Gesellschaft und dem Charakter der Bundeswehr ab und ordnet sich der Strategie des Widerstands unter. In einem Szenario, in dem sich ein großer Teil der jungen männlichen Bevölkerung in der Armee befindet, wäre dies für Sozialist:innen ein zentrales gesellschaftliches Arbeitsfeld. In diesem Fall müssten wir unsere Notwendigkeiten und Möglichkeiten der politischen Arbeit innerhalb und außerhalb der Armee neu bestimmen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Bundeswehr eine professionelle Berufsarmee und vermutlich wird sich das auch nicht so schnell ändern, da auch neue Wehrdienstleistende vermutlich vor allem zweitrangige Aufgaben hinter der Front ausführen würden, wie Wache halten, Transporte durchführen und Latrinen putzen. Sollte die Bundeswehr über die Jahre aber durch eine Masse halbprofessioneller Eingezogener den Charakter einer Volksarmee bekommen, müssten wir unsere Strategie, die Notwendigkeiten und Möglichkeiten des Widerstands im Bezug auf die Armee neu ausrichten. Wir stehen nicht für einen unpolitischen Pazifismus, sondern vertreten ein taktisches Verhältnis zur Armee, welches sich aus den Bedingungen und Kräfteverhältnissen des Antikriegswiderstands und Klassenkampfes ableitet.

Ein anderer Aspekt bezüglich des Themas Militär ist die Arbeit mit (Ex)Soldat:innen, die sich als solche an der Antikriegsarbeit beteiligen wollen. Soldat:innen, die die Gräuel des Kriegs und die Sinnlosigkeit des Tötens und Sterbens erlebt haben, können ihre Sicht auf die Kriegspolitik des Staates ändern. Am Beispiel der Anti-Vietnamkriegsbewegung in den USA sieht man, dass sie mitunter eine entscheidende Rolle spielen können, denn diese war unter anderem deshalb erfolgreich, weil Veteranen und (Ex-)Soldaten an ihr teilnahmen und teils große Protestmärsche anführten, was gesellschaftlichen Eindruck machte. Soldat:innen sind auch darum nicht verallgemeinert nur als Feinde zu betrachten, sondern müssen auch als politische Subjekte gesehen werden, die es wenn möglich zu gewinnen gilt.

Greifbare Realpolitik: Konkrete Forderungen​​​​​​​ und Konzepte

Um von den Menschen ernst genommen zu werden, braucht es auch kurz- und mittelfristig umsetzbare realpolitische Perspektiven. Es ist wichtig, dass wir nicht als pazifistische Hippies und realitätsferne Träumer wahrgenommen werden, weil wir nur in abstrakten Phrasen und utopischen Wünschen sprechen, sondern für die Leute nachvollziehbare, praktikable und greifbare Konzepte zur Lösung der imperialistischen Krise anbieten können. Aufbauend auf den Analysen aus These 5 halten wir es für aussichtsreich, in den Diskussionen nicht bei einem moralischen „Krieg ist schlecht“ stehen zu bleiben, ohne Alternativen für die aktuelle politische Lage vorzuschlagen, sondern ruhig mit unseren Analysen der Ursachen von Krieg und Imperialismus und Vorschlägen für alternative gesellschaftliche Wirtschafts- und Organisierungsformen wie Vergesellschaftung und Demokratisierung großer Industrien und wichtiger Infrastruktur verbunden mit internationaler Abrüstung und Kooperation selbstbewusst in den Raum zu stellen. Nicht weil wir diese damit schon heute umsetzen könnten, aber als Perspektiven, über die Leute nachdenken können und um zu zeigen, dass wir reale Konzeptvorschläge haben, die rechtlich, politisch, wirtschaftlich und materiell funktionieren können.

Dies können wir mit realpolitischen Forderungen populistisch untermauern. Zum Beispiel: Statt den Soldatensold um 80 % zu erhöhen, sollte der Lohn von Krankenpfleger:innen, Lehrer:innen, Kindergärtner:innen, Sozialarbeiter:innen, Verkäufer:innen sowie Bus- und Bahnfahrer:innen jeweils um 15 % steigen. Statt 80.000 neue Soldat:innen für die Bundeswehr zu rekrutieren, sollten 80.000 Arbeiter:innen für das Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen zu besseren Bedingungen ausgebildet werden. Statt private, profitorientierte Rüstungsunternehmen weiter zu fördern, fordern wir ihre Enteignung, Vergesellschaftung und demokratische Kontrolle sowie die Umstellung auf die Produktion ziviler Güter.

Wir können und wollen an dieser Stelle nicht ein vollständiges Programm, inklusive Durchrechnung des Staatshaushalts aufstellen, da das ein Prozess der Diskussion aller beteiligten Kräfte sein muss. Aber mit solchen realpolitisch umsetzbaren Maßnahmen müssen wir uns beschäftigen und sie propagieren, um mittels konkreter Forderungen unsere Prinzipien und Inhalte als Alternative zu Aufrüstung und Kürzungen und gleichzeitig politische Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit zu vermitteln. Dazu gehören auch realpolitische Forderungen und Konzepte einer linken Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik.9

Im und nach dem Krieg

Die Vorschläge und Überlegungen in dieser These zielen bisher vor allem auf die Verhinderung des Krieges ab und gehen von der Möglichkeit dessen aus. Das sollte auch erst einmal das ins Auge gefasste Ziel bleiben. Jedoch sind die praktischen Vorschläge zur Vernetzung, inhaltlichen Auseinandersetzung und Aufbau von Strukturen auch darüber hinaus relevant. Denn auch wenn ein Krieg losbricht, ist der Widerstand nicht vorbei, geht in gewisser Weise gerade erst richtig los und wird umso stärker geleistet werden müssen. Und auch für eine Zeit nach dem Krieg, nach dem großen Sturm, was auch immer dann passiert sein wird und wie auch immer die Welt aussieht, ist eine solche jetzt schon begonnene Widerstands- und Aufbauarbeit relevant. Denn mit dem Krieg werden auch die gesellschaftlichen Widersprüche und Auseinandersetzungen potenziell schärfer. Am Ende des Ersten Weltkriegs kam es in Russland zur Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und in anderen Ländern zu weiteren Aufständen und Revolutionsversuchen. Die Situation war auch durch das Elend des imperialistischen Kriegs reif geworden, der neben dem Kampf zwischen den Gesellschaften immer auch ein Krieg innerhalb der Gesellschaft ist. Wir sollten also unsere Aufgaben ernst nehmen und uns für die Auseinandersetzungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte gut aufstellen.

Notwendige Selbstkritik sozialistischer Kräfte

Dem Aufbau einer effektiven sozialistisch-antiimperialistischen Organisierung stehen häufig nicht nur der Staat, sondern auch wir selbst im Weg. Die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen sozialistischen Akteuren in Deutschland hat häufig eher einen Konkurrenz-Charakter, als dass sie der gemeinsamen Sache dient. Wir brauchen keine unnötigen Szenediskussionen, die nur auf Rechthaberei zielen und sich im Kern darum drehen, wer vermeintlich der größte Leninist ist, sondern wir brauchen eine gemeinsame inhaltliche Grundlage und darauf aufbauend eine breite sozialistische Kraft, die ihren Fokus nach vorne und auf gemeinsame Ziele richtet, anstatt gegeneinander und uns selbst. Wir können uns die Zersplitterung nicht mehr leisten, angesichts der Bedrohungslage ist das unverantwortlich. Innersozialistische Grabenkämpfe müssen aufhören. Damit meinen wir nicht den „Israel-Palästina-Konflikt“, in welchem unsere Haltung klar sein sollte (Spoiler: Gegen Genozid und Kolonialismus), sondern dass es im Alltagsgeschäft vieler sozialistischer Kleingruppen in Deutschland zu wenig um die übergeordnete Sache geht und zu viel um die gegenseitige Abwerbung von Mitgliedern, Recht haben (z.B. die Klärung, ob der Revisionismus der Sowjetunion auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 oder schon früher angefangen hat), Theorie-Mackerei wer am revolutionärsten ist und gegenseitiges Beschmeißen mit Wörtern, die außerhalb der kommunistischen Bubble kein Mensch versteht. Was endlich wieder im Fokus stehen muss, sind die gemeinsamen Ziele: Das gesellschaftliche Wohl, die Zukunft des Landes und der Welt, die Menschen um uns herum und an anderen Orten der Welt, die unter Imperialismus und Krieg leiden. Das sollten unsere Werte und Orientierung sein. Nur so können wir ernst genommen werden. Und nur so können wir uns selbst ernst nehmen. Der sektiererische Selbstreferenzialismus muss hinter uns bleiben, um in den kommenden größten gesellschaftlichen Klassenkämpfe und militärischen Kriegen der letzten Jahrzehnte unser Profil und unsere Haltung unter Beweis zu stellen und die Leute dazu zu bringen, uns, unserem System, unseren Ideen zu vertrauen. Das heißt nicht, dass keine inhaltlichen Debatten geführt werden können und sollten, aber mit dem Ziel des Aufbaus einer gesellschaftlichen Kraft und politischer Macht und nicht, um recht zu haben und dafür im roten Kleinkrieg jede gesellschaftliche Sympathie zu verlieren.

Für ein sozialistisches Bündnis und den Aufbau einer gesellschaftlichen Antikriegsbewegung!

Wir müssen Events wie das Rheinmetall Entwaffnen-Camp als Orte des Zusammenkommens verstehen und dazu nutzen, Bündnisse zu schmieden und eine verbindliche, kontinuierlich arbeitende Struktur gegen die imperialistische Zuspitzung und den Kriegskurs aufzubauen. Wir müssen als revolutionäre Kräfte den Austausch suchen und gemeinsam an Strategien gegen den Krieg arbeiten. Dabei sollten Pragmatismus und Kooperation die Grundlage sein; keine Struktur und keine Theorieschule hat den fertigen Weg zu bieten, sondern muss in eine Aushandlung mit anderen gehen. Dafür wird es verschiedene Kräfte und Wege brauchen, welche ineinander greifen können, anstatt sich gegenseitig in Konkurrenz zu setzen. Wenn die Herrschenden und die Kriegstreiber davon sprechen, bis 2029 kriegstüchtig zu sein, müssen wir uns organisiert dagegen stellen. Nicht gegen die Gesellschaft, sondern in der Gesellschaft gegen die Kriegsmaschinerie…


Auf dem Sozialismus zu beharren,

heißt auf der Menschlichkeit zu beharren.“

Abdullah Öcalan


  1. Mehr zu linker Sicherheits-, Militär- und Außenpolitik in These 7 ↩︎
  2. https://zeitschrift-luxemburg.de/abc/revolutionaere-realpolitik/ ↩︎
  3. https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1920/linksrad/ ↩︎
  4. https://www.br.de/nachrichten/bayern/bundeswehr-werbung-sei-kriegsdienst-tramfahrer-verweigern-arbeit ↩︎
  5. https://nachrichten.ostfriesischer-kurier.de/nachrichten/sabotageversuch-auf-korvette-emden-verhindert-7006.html ↩︎
  6. https://www.labournet.de/internationales/italien/gewerkschaften-italien/dass-wir-in-genua-die-waffenlieferung-an-saudi-arabien-bestreikt-haben-entspricht-der-tradition-das-haben-wir-auch-schon-bei-lieferungen-fuer-den-krieg-gegen-vietnam-und-gegen-den-irak-gema/ ↩︎
  7. https://www.klassegegenklasse.org/franzoesische-hafenarbeiterinnen-verweigern-erneut-verlad-von-ruestungsguetern-fuer-israel/ ↩︎
  8. https://www.middleeastmonitor.com/20250717-hundreds-of-greeks-gather-at-piraeus-port-to-block-military-shipment-to-israel/ ↩︎
  9. Mehr dazu in These 7 ↩︎

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Zu Gast in der Kommunistenkneipe haben wir über unsere Broschüre „Ein Sturm zieht auf. Thesen zu Krieg, Imperialismus und Widerstand“ gesprochen. Im Podcast wurden die zentralen Thesen der Broschüre vorgestellt. Neben Grundlagen eines sozialistischen Verständnisses von Krieg und Imperialismus als zwangsläufige Gesichter des Kapitalismus und die Auswirkungen der Militarisierung auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, geht es dabei vor allem um die Strategien einer neuen Antikriegsbewegung und welche Rolle sozialistische und kommunistische Kräfte darin spielen sollten. Die Vorschläge unserer Broschüre sind dabei konkrete und praxisnahe Ideen, die zur Diskussion anregen sollen und der gesamten antimilitaristischen Bewegung Anhaltspunkte für eine neue gesellschaftsfähige Praxis zu finden.

Die ganze Broschüre könnt ihr hier bestellen.

Hört den Podacst, lest die Broschüre, diskutiert die Thesen und lasst uns die Militarisierung samt ihrer kapitalistischen Grundlagen stoppen.

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Jeden Monat veröffentlichen wir eine Übersetzung aus dem Al-Maidan, der Zeitung der Kommunistischen Partei Sudan. Dieses Mal beschäftigt sich der Text mit den Bestrebungen der USA, eine vermeintliche ‚Lösung‘ der Krise im Sudan zu erreichen und welche Interessen hinter diesen Bestrebungen eigentlich stehen. Zur besseren Verständlichkeit haben wir einige Anmerkungen eingefügt, für mehr Kontextwissen empfiehlt es sich aber, auch unsere Einführungstexte zum Sudan für eine deutsche Leserschaft zu lesen.


Der Besuch des saudi-arabischen Kronprinzen im Weißen Haus, direkt nach der Abstimmung über das US-Projekt im Zusammenhang mit dem Völkermordkrieg in Gaza1, bestätigt, dass die Golfstaaten und Ägypten begonnen haben, sich aktiv in den amerikanischen Plan einzubringen. Dieser zielt darauf ab, die Region im Sinne des sogenannten „Soft Landing“ neu zu gestalten – also die amerikanische Hegemonie im Nahen Osten zu festigen und das Bündnis zwischen Washington, den arabischen Regimen und dem zionistischen Gebilde zu vertiefen.

Vor diesem Hintergrund erhält die amerikanische Aktivität im Zusammenhang mit dem katastrophalen Krieg im Sudan ihre klare politische Bedeutung. Der amerikanische Imperialismus und seine regionalen Verbündeten – Saudi-Arabien, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate – mögen unterschiedliche unmittelbare Interessen haben, doch sie bewegen sich alle auf ein gemeinsames Ziel zu: Den Prozess des radikalen Wandels im Sudan zu ersticken und ein abhängiges ziviles Regime durchzusetzen, das die amerikanischen Interessen und danach die Interessen der drei Hauptstädte (Anm. d. Red.: gemeint sind hier die drei Regionalmächte Saudi-Arabien, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate) sichert.

Seit dem Ausbruch des Krieges hat die US-Regierung nicht aufgehört, fortlaufende Erklärungen abzugeben und Verhandlungsrunden abzuhalten. Von Dschidda über die Schweiz bis zu den Treffen der „Quartett-Gruppe“ in New York, wurde Schritte getan, deren Kern unverkennbar ist: Die Krise zu verwalten, nicht zu lösen, und ihre Entwicklung so zu steuern, dass sie der amerikanischen Strategie in der Region dient. Den Höhepunkt dieser Farce bildete die Behauptung des US-Präsidenten, er werde sich um die sudanesische Krise „kümmern“. Dabei stützt er sich auf  „Informationen“ und „Appelle“ des saudi-arabischen Kronprinzen und seine Rede ist voll von politischer Heuchelei und der Ausbeutung des sudanesischen Leids. Noch deutlicher wird die Absicht in der ständigen Rede über „seltene Mineralien“ – ein Ausdruck, der keiner Erklärung bedarf. Gemeint sind nicht nur mineralische Reichtümer, sondern auch die strategische Lage des Sudan, dessen fruchtbare Agrarflächen sowie Wasser- und Tierressourcen, die zusammen einen der wesentlichen Antriebe hinter dieser amerikanisch-saudischen Aktivität darstellen.

So zeigt sich, dass der Preis der vorgeschlagenen amerikanischen Einigung bereits im Voraus bezahlt wurde – und zwar aus den Reichtümern des Sudan.

Parallel dazu intensivierten sich die regionalen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Sudan durch Shuttle-Besuche des ägyptischen Geheimdienstchefs, gefolgt vom Außenminister. Dies stellt einen klaren Versuch dar, Druck auf al-Burhan und seine Clique auszuüben, damit sie die amerikanische Initiative akzeptieren (Anm. d. Red.: al-Burhan ist militärischer Kommandeur und der de facto Regierungschef des Sudan). Auf der anderen Seite zögerte die Führung der Rapid Support Forces nicht, ihre sofortige Zustimmung zu derselben Initiative zu erklären. Das ist ein offener Ausdruck dafür, wie sehr sich die regionalen Kräfte hinter dem internationalen Plan versammeln, der gerade für unser Land arrangiert wird.

Wir haben immer wieder betont, dass der Krieg nicht nur ein interner Konflikt ist, sondern ein regionaler, internationaler und imperialistischer Plan, der darauf abzielt, den sudanesischen Staat zu schwächen, ein Umfeld für Zerfall und Teilung zu schaffen, die Reichtümer des Landes auszubluten zu lassen und die nationale Souveränität zu verletzen. Eben das findet unter der Beteiligung innerer Kräfte statt, welche die Dezemberrevolution seit ihren ersten Tagen und bis heute bekämpft haben. (Anm. d. Red: Im Dezember 2018 brachen landesweite Proteste aus, die in den Sturz des langjährigen Diktators al-Bashir mündeten)

Die Zerschlagung der Verschwörung gegen Sudan und seine Revolution beginnt mit der Vereinigung und Organisierung der revolutionären Kräfte. Das Instrument der Massen dafür wird die basisdemokratische Volksfront sein. Die Volksfront muss ihren Kampf für die Beendigung des Krieges intensivieren, den revolutionären Weg wiederherstellen und das Kapitel der Kriege und Milizen ein für allemal schließen. 

  1. https://perspektiven-global.de/der-strategische-webstuhl-saudi-arabien-in-ein-us-israel-rahmenwerk-einweben/ ↩︎
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Am 05. Dezember wollen in 90 deutschen Städten Schüler:innen gegen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht protestieren. Wie schon bei Fridays for Future wird dazu aufgerufen, die Schule zu bestreiken und stattdessen auf die Straße zu gehen.

Wir sprechen mit Ronja über den anstehenden Schulstreik gegen die Wehrpflicht.


Kannst du dich der Leserschaft einmal selbst kurz vorstellen?

Ich bin Ronja. Ich bin Auszubildende und Mitorganisatorin des Schulstreiks in Berlin. Früher war ich auch bei Fridays for Future bei den Schulstreiks aktiv, deshalb kenne ich mich mit dem Thema aus.

Wie kam es denn dazu, dass sich das Bündnis geschlossen hat und wer ist alles in diesem Bündnis vertreten?

Schulstreik gegen Wehrpflicht ist eine Initiative von aktiven Schüler:innen. Angefangen hat alles mit einem bundesweiten Aufruf, Streikkomitees zu gründen. Diese Streikkomitees bestehen größtenteils aus aktiven Schüler:innen. Teilweise werden sie aber auch von Jugendorganisationen und Friedensorganisationen, wie Fridays For Future, der Grünen Jugend, den Jusos und der SDAJ unterstützt. Hier in Berlin ist mit Pax Christi auch eine christliche Organisation dabei. Gewerkschaftsjugenden, vor allem der GEW, die viele friedenspolitische Beschlüsse gemacht haben und die Verdi Jugend unterstützen auch lokal den Streik. Wer am Start ist, ist von Ort zu Ort sehr unterschiedlich. Die Inhalte der Komitees werden aber vor allem von den aktiven Schüler:innen bestimmt, auf Grundlage des Minimalkonsenses gegen die Wehrpflicht und alle anderen Zwangsdienste. So etwas wie Vorgaben einzelner Organisationen gibt es also nicht.

Die Schulstreiks am 5.12. werden ja dezentral von Komitees vorbereitet. Wie können wir uns die konkrete Arbeitsweise vorstellen?

Man stellt sich es viel komplizierter vor als es eigentlich ist. Es reicht schon, wenn sich drei Schüler:innen als Streikkomitee zusammentun. Als Nächstes schaut man, wie man weitere Menschen organisiert und seine Mitschüler:innen überzeugen kann. In Berlin treffen wir uns beispielsweise zweimal die Woche. In den Treffen werden dann viele unterschiedliche Aktionen vorbereitet. Die Treffen sollen dabei so gestaltet werden, dass sie für alle Teilnehmenden gewinnbringend sind. Das heißt, dass ein Raum entstehen soll, wo geschaut wird, was an den Schulen gebraucht wird. Ebenso wird darüber geredet, welche Argumente gut ankommen, wie man gut ins Gespräch kommt und wie man eben weitere Menschen für die Teilnahme überzeugen kann.

Vor allem ist es wichtig, Mitstreiter:innen zu finden. Das können einfach Freunde, Menschen von anderen Schulen oder Schülervertreter:innen sein. Ebenso ist ein Social-Media-Account wichtig, damit auch weitere Menschen von dem Streik erfahren. Gut ist es auch mit den Schülervertretungen, auch auf Bezirks- und Stadtebene ins Gespräch zu kommen und mit denen abzuklären, wie man mit Plakaten und Flyern an den Schulen zum Streik einladen kann.

Ganz konkret, was sind eure Erwartungen an den Streik am 5. Dezember?

Bei dem ersten Treffen des Streikkomitees in Berlin waren wir zu dritt. Die bundesweite Aufmerksamkeit, die es super schnell gab, hat dazu geführt, dass in kurzer Zeit über 100 Menschen in unsere Whatsapp Gruppe gekommen sind. Davon sind größtenteils Schüler:innen, aber auch einige Elternteile, die den Streik mit unterstützen wollen. Anders als es beispielsweise damals bei Fridays for Future war, hat es sehr wenig Anlaufzeit gebraucht. Das kann man auch daran sehen, dass wir den ersten Aufruf für den bundesweiten Streik erst im Oktober veröffentlicht haben.

Nun gibt es in über 90 Städten bereits Streikkomitees und das ist total beeindruckend. In den meisten Städten wird es am 5. Dezember Schulstreiks geben. In anderen Städten, wo es noch keine Streikkomitees an den Schulen gibt, werden Demonstrationen organisiert. In Berlin haben wir beispielsweise 12 Uhr einen Schulstreik und um 16 Uhr eine Demonstration von einem breiteren Bündnis. Im Anschluss wird es noch ein offenes Treffen für alle Interessierten geben.

Wie viele Leute aber tatsächlich auf die Straße gehen werden, ist noch nicht absehbar, da alles so unfassbar schnell ging. Es ist aber gut möglich, dass tausende, wenn nicht gar zehntausend Menschen, dabei sein werden. Dann schauen wir mal, wie die Politik reagieren wird.

Warum sollten denn auch Menschen mit streiken, auf die sich die Musterungspflicht nicht bezieht?

Das Thema Wehrpflicht betrifft uns alle. Auch wenn im aktuellen Vorschlag der Musterungspflicht nur die Jugendlichen ab dem Jahrgang 2008 betroffen sind, gibt es schon jetzt Spekulationen, diese Pflicht auf Ältere und sogar auf Frauen auszuweiten. Wenn es dazu kommen sollte, dass die Bundeswehr mit dem freiwilligen Wehrdienst nicht auf ihre Wunschzahlen kommt, dann wird es ja konkret um die Wehrpflicht gehen. Das ist sehr wahrscheinlich.

Alle von uns haben aber jetzt schon Menschen in unserem Umfeld, die es ganz konkret betrifft. Wir sollten deshalb geschlossen zeigen, dass wir insgesamt auf die Militarisierung der Gesellschaft keinen Bock haben, während wiederum alles kaputtgespart und Jugendlichen überhaupt keine Zukunftsperspektive geboten wird. Oft steht dann bei uns in den Kommentaren auf Instagram „ihr Wohlstandsverwahrlosten“ und „es hat mir damals auch nicht geschadet den Wehrdienst zu leisten“. Wir müssen den Menschen begreifbar machen, in wessen Interesse das ist, was gerade passiert. Brauchen wir wirklich mehr Menschen im Militär und viel mehr Geld für Waffen und Aufrüstung? Das ist kein Konflikt von Alt und Jung, sondern von Arm und Reich.

Hattet ihr denn vorher schon eine Verankerung an den Schulen?

Was wir sehen ist, dass sich überwiegend Schüler:innen zusammenschließen, die vorher noch nicht politisiert und organisiert waren. Das heißt, dass es nicht unbedingt notwendig ist, bereits zuvor anpolitisierte Schüler:innen zu kennen. Das Thema Wehrpflicht beschäftigt viele und macht viele wütend. Das führt natürlich zu Aktionsbereitschaft. Als wir uns überlegt hatten, Streikkomitees zu gründen, waren wir wirklich nicht so optimistisch, dass das alles so groß wird. Man sieht also, dass es sich bei der Wehrpflicht um ein anknüpfungsfähiges Thema handelt, auch bei Menschen außerhalb des bereits vorhandenen politischen Spektrums. Es geht den Schüler:innen eben sehr nahe und dieser krasse Einschnitt in die Freiheitsrechte dieser jungen Leute betrifft alle.

Habt ihr auch Kontakt zu Lehrkräften oder den Schülervertretungen und wie fallen denn die Reaktionen von den Schulen insgesamt aus?

Die Reaktionen fallen total unterschiedlich aus. In vielen Streikkomitees sind Schülersprecher:innen und Menschen aus den Schülervertretungen. Das sind ja oft auch die Leute, die sich schon vorher für andere Schüler:innen eingesetzt haben. Auch in Berlin gibt es mehrere Schülersprecher:innen in den Streikkomitees. Bei Direktor:innen ist es natürlich schwierig. Zum einen können sie nicht offen für die Streiks aufrufen und meistens ist ihre Reaktion eher verhalten. Es gab aber auch Fälle, wo das Flyern an den Schulen verboten wurde. Teilweise gab es jetzt von Schulleitungen die Androhung, den Schüler:innen für den Tag die Note 6 einzutragen und in Hamburg musste ein Streikkomitee aufgelöst werden. Natürlich gibt es aber auch Lehrkräfte, die sagen, dass wir die Wehrpflicht brauchen.

Was extrem cool ist, ist, dass uns in Berlin die Bildungsgewerkschaft-GEW unterstützt und dazu aufruft, den Streik zu unterstützen. Hoffentlich werden uns alle Lehrer:innen, die selbst in der GEW sind, unterstützen und dafür sorgen, dass vielleicht die Fehlstunden nicht aufgeschrieben werden. Und eben die Gründe dafür aus der Welt zu schaffen, warum manche nicht zum Streik gehen.

Auch wenn etwas wie Repression passieren sollte, ist es das wichtigste, dass man nicht alleine damit ist und man Unterstützung bekommt. Der beste Schutz ist es aber, wenn tausende Schüler:innen mit auf die Straßen gehen und viele Organisationen zum Streik aufrufen. Repression wird dann unwahrscheinlicher, da man nicht so leicht vereinzelt oder eingeschüchtert werden kann, ob von der Schulleitung oder auch von der Polizei. Schüler:innen sollen keine Angst davor haben, sich im Falle von Einschüchterungen dagegen zu wehren und zu sagen „das lasse ich nicht auf mir sitzen, ich mache das öffentlich“.

Wie soll es nach dem Streik für das Bündnis weitergehen?

Das Beste wäre natürlich, wenn die Politik sagt, wir lassen dieses Wehrdienstmodernisierungsgesetz einfach mal sein und das Geld stattdessen in die Schulbildung investieren. Dann könnte es vielleicht wirklich mal gleiche Möglichkeiten und Bedingungen für alle geben, die nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Das ist aber sehr utopisch.

Schon jetzt arbeiten wir eng mit der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen) zusammen. Wir überlegen schon und lassen rechtlich prüfen, ob die Musterung verweigert oder herausgezögert werden kann. In Berlin wollen wir bei den offenen Treffen konkrete Beratung zur Wehrdienstverweigerung zusammen mit der DFG-VK anbieten.

Die Wehrpflicht ist nicht vom Tisch und wird in den nächsten Jahren zum Thema werden, wenn nicht genügend Menschen freiwillig zur Bundeswehr gehen. Wir wollen den Menschen zeigen, dass, auch wenn dieses Wehrdienstgesetz beschlossen wird, sie nicht verzweifeln sollen. Es gibt auch dann noch Möglichkeiten, wie die persönliche Verweigerung. Wenn man genügend Menschen dazu bekommen sollte, den Wehrdienst zu verweigern, ist das natürlich auch ein starkes Signal, dass wir uns nicht instrumentalisieren und zum Militär zwingen lassen. Ob wir dann weiter Schulstreiks wählen oder andere Aktionen machen, ist noch nicht ganz klar. So oder so gilt aber, dass wir uns weiter vernetzen müssen, um der Jugend eine Stimme zu geben und dann, wenn es Einschränkungen bei den Freiheitsrechten von Jugendlichen gibt, dagegen auf die Straße gehen und laut sind.

Aber erstmal heißt es, am 5. Dezember auf die Straße zu gehen, ob Schüler:in, Lehrer:in oder Eltern! Es geht um unsere Zukunft, um die Zukunft von all den Jugendlichen in diesem Land.

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Wo also der „Krieg die bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ ist, wie der dieser Tage wieder viel zitierte Clausewitz festhielt, da ist ein Ende eines Kriegs in Form von Waffengewalt das Zurückkehren auf das politische Parkett. Wenn Krieg immer zur Erzwingung des Willens der kriegsführenden Partei(en) geführt wird, fragt sich, wessen Wille gesiegt haben wird, wenn es tatsächlich zur Umsetzung des „Friedensplans“ in der Ukraine kommen wird, der dieser Tage verhandelt wird.

Krieg fällt nicht vom Himmel. Er hat immer eine Vorgeschichte und ist an einen ganz konkreten Zweck gebunden.  Wenn es also die politischen Mittel nicht mehr bringen, so stellt sich die Frage, ob Krieg stattdessen ein lohnenswertes Risiko zur Umsetzung jener Ziele darstellen würde. Für diejenigen, welche die Rede Putins auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007 noch vor Augen haben, dürfte sich diese Frage bereits damals gestellt haben. So äußerte Putin, dessen Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mehr und mehr in die Einkreisung der NATO geriet: „Aber was ist eigentlich eine monopolare Welt? Wie man diesen Terminus auch schmückt, am Ende bedeutet er praktisch nur eines: Es gibt ein Zentrum der Macht, ein Zentrum der Stärke, ein Entscheidungs-Zentrum“1.

Dass die nach 1991 eingesetzte NATO-Osterweiterung und die ökonomisch-militärische Erschließung der einstigen Sowjet-Republik Ukraine im Kreml auf wenig Zuspruch stieß, verwundert wenig. Wie der US-Stratege und damalige Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jimmy Caters, Zbigniew Brzeziński, in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ 1999 feststellte, sei Russland ohne die Ukraine nämlich kein eurasisches Reich mehr. Der Georgien-Krieg 2008, bei dem Russland damals auf einen durch die US-Außenpolitik unterstützten Angriff der georgischen Armee auf die autonome Republik Südossetien, selbst mit einem Einmarsch in Georgien antwortete, war das erste Vorspiel der wenige Jahre später auflodernden Kämpfe im (noch) ostukrainischen Donbass.

Die Ukraine in der Defensive

Über dreieinhalb Jahre ist es her, dass die russische Armee aus Donezk und Luhansk, sowie aus Belarus, in die Ukraine einrückte. So dumm wie Putin und sein Generalstab von westlichen Medien über diese Zeitspanne verkauft worden sind, so trifft zumindest zu, dass die Führung in Moskau von einem schnellen militärischen Sieg ausgegangen sein dürfte. Davon, dass sich nach dem russischen Anschluss der Insel Krim und dem 2014 begonnenen Krieg im Donbass die Verhältnisse und der Zuspruch zu Russlands Ukraine-Politik grundlegend geändert hatten, wollte man im Kreml nichts wissen. Auch wenn es gerade in den letzten Kriegsjahren nur im Schneckentempo an der Front voranging, so war der Einsatz von Mensch und Maschine in den Fleischwölfen von Bachmut, Awdijiwka und Wuhledar umso größer. Was Symbolträchtigkeit für den einen heißt, bedeutet für den anderen Einkesselung, Aufreibung und im Todesfalle „Schadensersatz“2 für die Familie. Nach den unerwarteten Durchbrüchen der Ukraine in der Region Charkiw im Sommer 2022, welche durch den kontinuierlichen Fluss an Waffen aus NATO-Beständen und Geheimdienstinformationen ermöglicht wurden, konnte Russland bis heute die militärische Initiative übernehmen. Nachdem sich über die ersten Kriegsjahre hinweg westliche Medien à la „jeder Schuss ein Russ“ über die enorm hohen Verluste der russischen Armee freuten, so schweigsam wurden sie mit der zunehmenden Gewissheit, dass der Nachschub an Soldaten bei den über 140 Millionen Einwohner:innen, die das Land vorweist, nicht so schnell versiegen würde.

Sterben für die PR

Trotz der großzügigen Waffenlieferungen des Westens und der damit entstandenen Erwartungshaltung, dadurch den Russen aus dem Land fegen zu können, blieb die große militärische Kehrtwende aus. Stattdessen konnte man bei der vom Westen herbeigesehnten Gegenoffensive der Ukraine 2023 Tag für Tag Bilder von neuen amerikanischen Abrams-Panzern und deutschen Leoparden sehen, die es gerade so bis zu den ersten Panzersperren schafften und dann mit einem mehrere Millionen Euro teuren Puff und Peng den Dienst quittierten. Was zählte war auch viel mehr, dass den selbsternannten Freunden der Ukraine ein Spektakel geboten werden konnte, denn mit jeder Waffenlieferung nach Kiew stieg gleichsam die Bringpflicht, auch wenn Unterfangen wie die besagte Gegenoffensive, sowie der ukrainische Vorstoß auf das russische Kursk 2024, bereits zu Beginn wenig reelle Erfolgsaussichten gehabt haben dürften. Was zählte, war eben der Medienrummel, war das symbolhafte Halten von Stellungen für die PR, wie in der Kleinstadt Wuhledar, in der verzweifelte ukrainische Kämpfer in Videobotschaften den Abzugsbefehl aus der Umzingelung von ihrer eigenen Kommandantur forderten.

In 28 Punkten zum Frieden? 

Über die Rückeroberung des Donbass und der Insel Krim, redet heute keiner. Neben der militärischen Situation hat zudem der Präsidentenwechsel im Weißen Haus unverkennbar seine Spuren hinterlassen. Bereits vor seinem offiziellen Amtsantritt hatte Donald Trump angekündigt, den Ukrainekrieg in 24 Stunden zu beenden. Auch wenn die Artilleriegranaten weiterhin über den Donbass pfeifen, ist klar, dass eine Weiterführung des Ukrainekriegs nicht den US-amerikanischen Interessen entspricht. Immer mehr rückt stattdessen die Feindschaft zur Volksrepublik China in den Fokus und fordert in Erwartung des da Kommenden den Aufbau militärischer Kapazitäten. Einen Monat nach dem offiziellen Amtsantritt Trumps kam es folglich vor laufenden Kameras zu einem Streit zwischen Selenskyj und Trump, der klarstellte: „Sie werden entweder einen Deal machen, oder wir sind raus“3.

Ohne die US-amerikanische Unterstützung scheint es nicht zu gehen und mittlerweile ist auch der Stuhl des Präsidenten Selenskyj, durch die Aufdeckung eines Korruptionsskandals in seinem engsten Umfeld, vor etwa zwei Wochen, mächtig am Wackeln. Denkbar ungünstig für die Ukraine möchte man meinen. Ein Blick auf das Stimmungsbild4 der Menschen verrät aber, dass sich mittlerweile die deutliche Mehrheit der Ukrainer:innen ein rasches Kriegsende durch Verhandlungen wünscht, was gerade dadurch greifbarer wird.

Der vorgebrachte Friedensplan scheint das nun in greifbare Nähe zu bringen und ist so konkret, wie es in den letzten dreieinhalb Jahren bei keiner anderen Initiative zur Beilegung des Kriegs der Fall war. Lange ließen die ersten Unmutsbekundungen aus der Europäischen Union aber nicht auf sich warten. Gerade in Deutschland regte sich Widerstand gegen die vorgesehene festgelegte Maximalgröße für das ukrainische Militär. Diese würde nämlich schlichtweg einen kleineren Absatzmarkt für deutsche Rüstungsgüter bedeuten. Wie schade, haben doch Pistorius und Scholz selbst den ersten Spatenstich bei dem Bau der neuen Rheinmetall-Fabrik 2024 in Unterlüß gesetzt. Ebenso zeigte sich die EU nicht einverstanden mit den US-amerikanischen Plänen, mit eingefrorenen russischen Vermögenswerten in Höhe von 200 Milliarden5 $, durch die USA durchgeführte Wiederaufbauprojekte in der Ukraine zu bezahlen. Stattdessen würde die EU das Geld viel lieber für den Ausbau der eigenen Rüstungsindustrie nutzen. 

Für die Ukraine selbst stellen die geforderten Gebietsabtretungen wohl den schmerzhaftesten Punkt dar. Konkret waren nämlich die Übergabe der Donbass-Regionen Luhansk und Donezk sowie das Einfrieren der Frontlinien im Süden der Ukraine als auch die offizielle Abtretung der Insel Krim im Plan vorgesehen. Währenddessen läuft die Uhr weiter zugunsten Russlands. Was diese wiederum von der europäischen Einmischung halten, drückte der russische Außenminister Lavrov am Dienstag deutlich aus: „Europa hat seine Chance zur Lösung der Krise in der Ukraine beizutragen vertan“. „Jedes Mal“, so Lavrov6, „wenn langfristige Vereinbarungen erzielt wurden, wurden diese gebrochen“, womit die gescheiterten Minsker Abkommen zur Beilegung des Kriegs in der Ostukraine 2014 gemeint waren. 


Die Zahlen der Toten auf beiden Seiten variieren stark, je nachdem, wen man fragt und für wen welche Propaganda dienlich ist. Dennoch wird ersichtlich, wie hoch der gezahlte menschliche Preis ist, wenn von insgesamt 323.000 Toten Stand Juli 20257 die Rede ist. Mit Preis ist dabei nicht der Preis gemeint, den ein Selenskyj oder ein Putin zahlen mussten, wissen doch beide Millionäre ihre Schäfchen im Trockenen. Der Preis wird nämlich von denen bezahlt, die unter den wehenden Flaggen von Nationalismus und Chauvinismus freiwillig in den Krieg ziehen und dabei Verhältnisse verteidigen, in denen sie selbst nichts zu gewinnen haben. Damit sind diejenigen gemeint, welche von sogenannten „Hundefängern“ auf der Straße gegen ihren eigenen Willen zwangsrekrutiert und an die Front geschickt werden.8 Darunter fallen die, die einer langen Haftstrafe entgehen wollen und die Front dem Knast vorziehen9, wie auch diejenigen, die als Teil ethnischer Minderheiten als erstes verheizt werden. Wenn es jetzt also zur Umsetzung des „Friedensplans“ kommt, wie auch immer er am Ende konkret aussehen mag, dann kehren ein Selenskyj und ein Putin auf das Parkett der Politik zurück, auf dem der Krieg fortgesetzt wird, nur eben mit anderen Mitteln. Ein tatsächlicher Frieden wird aber lange noch nicht hergestellt sein. Unter dem Vorzeichen der Militarisierung Deutschlands und der EU, welche bereits gedanklich einen Krieg mit Russland in wenigen Jahren durchspielen, drängt sich aber jetzt schon die Frage auf, wie dauerhaft ein Schweigen der Waffen wäre. 

  1. http://www.kuehler-kopf.de/documents/Putin-Rede_Sicherheitskonferenz_2007-02-14.pdf ↩︎
  2. https://www.fr.de/wirtschaft/putin-zahlt-millionen-entschaedigung-an-kriegsopfer-russlands-aermste-regionen-profitieren-zr-93662154.html ↩︎
  3. https://www.zdfheute.de/politik/ausland/selenskyj-trump-treffen-weisses-haus-ukraine-krieg-russland-100.html ↩︎
  4. https://cdn.prod.website-files.com/685c279caf66f4023ad2cab4/68b00466250e3d7f8f53ac32_RG_UA_Monitoring_1600_CATI_0822025.pdf ↩︎
  5. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wie-russisches-vermoegen-in-der-eu-genutzt-werden-kann-110787812.html ↩︎
  6. https://de.rt.com/kurzclips/video/262922-lawrow-europa-hat-chance-fuer/ ↩︎
  7. https://www.fr.de/politik/verluste-fuer-russland-im-ukraine-krieg-zahlen-und-daten-im-ueberblick-zr-94041728.html ↩︎
  8. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/krieg-in-der-ukraine-einberufungsbehoerde-100.html ↩︎
  9. https://www.fr.de/politik/putin-krieg-ukraine-rekrutierung-tausende-gefangene-soldaten-wagner-zr-92638365.html ↩︎

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„Im Ernstfall bestimmt der Staat, wer wo arbeitet“

trällerte die Frankfurter Allgemeine nach dem NATO-Übungsmanöver in Hamburg vergangenen September. In der Hansestadt probten nicht nur Soldatinnen und Soldaten, wie sie vom Kriegsschiff auf den Panzer Richtung Osten umsatteln können, sondern auch die Agentur für Arbeit hatte in den späten Sommertagen mächtig zu tun.

Konkret würde dies bedeutet, dass die Agentur für Arbeit einem Friseur schreiben könnte, der einen LKW-Führerschein besitzt, dass dieser doch bitte seine Schere niederlegen solle, um Nachschub an die Ostfront zu kutschieren. Andersherum ist es der Agentur ebenfalls möglich, einen Bäcker oder auch Pflegepersonal davon abzuhalten, ihren Beruf niederzulegen, sobald dieser als kriegsrelevant eingestuft wird. Andernfalls droht eine Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Haft.

Grundlage für dieses Herumkommandieren bietet das „Arbeitssicherstellungsgesetz“ welches im Zuge der 1968 erlassenen Notstandsgesetze eingeführt wurde. Das Gesetz kann wie die anderen Notstandsgesetze nach der Ausrufung des Spannungs- oder Verteidigungsfall durch eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag in Kraft treten und weitreichende Grundrechtseinschränkungen durchführen. In diesem Fall das Recht auf die freie Berufswahl.

Die Diskussion um die Einführung der Notstandsgesetze brachten alleine am 11. Mai 1968 noch über 40.000 Menschen auf die Straße, die mit einem Sternmarsch auf Bonn ihre Ablehnung für die weitreichenden Grundrechtseinschränkungen ausdrückten. Unter der Parole „Und sie üben wieder fleißig für ein neues 33“ warnten damals Verbände aus Student:innen, Arbeiter:innen, Gewerkschaften, Kirchen und diverse zivilgesellschaftliche Organisationen vor einer Wiederholung der in der Weimarer Verfassung festgeschrieben Notstandsverordnung. Diese war die Grundlage für die von Paul von Hindenburg 1933 erlassenen „Reichstagsbrandverordnung“ und ebnete auf rechtlicher Ebene den Aufstieg der Nationalsozialisten.

Heute ist jedoch von Empörungen über weitreichende Grundrechtseinschränkungen wenig zu hören. Die Corona-Pandemie, die mit ihren Ausgangssperren und Regeln wie Nicht-auf-einer-Parkbank-sitzen, hat wohl neben der Kriegspropaganda-Beschallung, ihr Übriges getan. Man hat sich gewöhnt.

Erst vor kurzem hatte der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter im Drohnen-Wahn die Ausrufung des Spannungsfalls gefordert. Viele dürften nicht einmal wissen, was das überhaupt bedeutet, geschweige denn, welche Grundrechtseinschränkungen damit einhergehen würden. Dass dieser sehr bald ausgerufen wird, gilt es zu bezweifeln. Aber es ist und bleibt ein gut bewährter Politikstil, alles schon mal vorab in den Raum zu werfen, damit wenn es dann, wenn es darauf ankommt, doch irgendwie schon mal alle gehört haben. Man gewöhnt sich eben.

Theoretisch könnte die Bundesregierung, wenn der Spannungsfall ausgerufen wird, direkt vorschreiben, wer wo zu arbeiten hat. Auf eine Weise tut sie das schon, Stichwort neue Grundsicherung, nur wäre dies eben nochmal weitreichender. Neben der sofort greifenden Wehrpflicht und der Ausweitung der Befugnisse der Bundeswehr im Inneren durch das Notstandsgesetz ermöglicht das Arbeitssicherstellungsgesetz die Zwangsverpflichtung von Frauen und Männern in die für den Krieg dienlichen Berufen. Frauen dürfen, nachdem zwischen 18 und 55 Jahren in „zivilen Sanitäts- oder Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation“ eingesetzt werden, während für Männer auch der Zwang zum Dienst an der Waffe gilt.

Auch die Ampelregierung hat sich noch kurz vor ihrer Abdankung mächtig ins Zeug gelegt, um möglichst viele Berufe unter dem Arbeitssicherungsgesetz fassen zu können. So brachte Ende Oktober 2024 der ehemalige und aktuelle Kriegsminister Boris Pistorius, das „Gesetz zur weiteren Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft und zur Änderung von Vorschriften für die Bundeswehr“ ein. Ende Februar wurde es mit der Unterschrift von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besiegelt. Neben vielen Anreizen, die eine Beschäftigung bei der Bundeswehr oder gleich der Stationierung in Litauen attraktiver machen sollen, wurde auch das Arbeitssicherungsgesetz ausgeweitet. Die Änderungen umfassen insbesondere die Erweiterung des Gesetztes auf weitere Berufsgruppen. So können nun zum Beispiel auch Forschungseinrichtungen die, Forschung betreiben, die das Militär für ihre Kriegsmaschine nutzen wollen, zur Weiterführung ihrer Arbeit gezwungen werden.

Mit der erneuten Ausweitung des Gesetztes folgt die Bundesregierung einem guten Ratschlag der Denkfabrik German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS). Diese forderte bereits in einem im Juni letzten Jahres veröffentlichten Papier, dass man die Berufsgruppe ausweiten soll, auf die das Arbeitssicherstellungsgesetz angewendet werden könne. „Gerade in der Drehscheibenfunktion Deutschlands könnte das ASG eine wichtige Bedeutung bekommen“, unterstrich die Denkfabrik. Zudem empfiehlt sie gleich einmal die Abläufe der Einsetzung des Arbeitssicherstellungsgesetzes auch in Friedenszeiten zu proben. Ein gutes Jahr später wurde dieser Ratschlag in Hamburg gehorsam befolgt.

Damit an der Heimatfront alles glattläuft, der Nachschub sichergestellt ist und die Profite weiterhin eingefahren werden, soll die Regierung in Krisenzeiten die gesamte Bevölkerung an ihre Plätze verweisen können. Der Arbeitszwang reicht weit über die Wehrpflicht hinaus. Aber Obacht es gilt nicht für alle: Ausgenommen sind selbstredend, neben körperlich eingeschränkten Menschen, „Mitglieder der obersten Verfassungsorgane des Bundes“. Irgendwer muss ja noch im Bundestag, im Bundesrat oder im einberufenen gemeinsamen Ausschuss sitzen und Kommandos an Bäcker Willi von nebenan und den 19-jährigen Lukas an der Ostfront verteilen.

Foto: Stefan Brending

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Hintergründe und Kontinuität der Aufstandsbekämpfung: Von der Wiederbewaffnung der BRD hin zum „Bollwerk Bärlin“

Während der CDU-Außenpolitiker Roderich Kieserwetter Mittwoch vergangener Woche bei Maischberger erneut seine Forderung „den Spannungsfall auszurufen“ bekräftigte, hat das Wachbataillon der Bundeswehr in Berlin schon einmal mit der notwendigen Vorbereitung begonnen. Seit Montag proben rund 1000 Soldaten den infanteristischen Kampf in der Hauptstadt. Neben dem Schutz „verteidigungswichtiger Infrastruktur sowie von Einrichtungen der Bundesregierung“ werden im Rahmen der Übung auch „militärische Maßnahmen gegen irreguläre Kräfte trainiert“, heißt es auf der Website der Bundeswehr.

„Schüsse hallen durch die Tunnel, Soldaten brüllen Kommandos, Verletzte schreien um Hilfe“ beschreibt der Berliner Kurier die Atmosphäre, als die Truppe in der Nacht auf Dienstag die Erstürmung des Berliner U-Bahnhofes Jungfernheide einstudierte. Dass es bei dem Praxistraining mit dem komisch anmutenden Namen „Bollwerk Bärlin III“ nicht unbedingt nur um die Bekämpfung von ins Regierungsviertel eingefallenen Russenpanzern geht, ist kein Geheimnis. „Irreguläre Kräfte greifen an, Verkehrswege müssen freigekämpft, Kameraden evakuiert, Saboteure festgesetzt werden“, schildert das Berliner Boulevardblatt mitreißend das Übungsszenario. Man übe „jetzt hier tatsächlich das scharfe Ende, den Spannungs- und Verteidigungsfall“, zitiert der Berliner Kurier den Kommandeur des Wachbataillons Maik Teichgräber.

Von Tim Krüger


Bollwerk Bärlin: Vorbereitung auf den Spannungsfall

Neben der U7 und dem ehemaligen Chemiewerk Rüdersdorf im Osten von Berlin wird bis zum 21. November auch in der so genannten „Fighting City“ in Ruhleben – einem Trainingsgelände der Berliner Polizei – fleißig gerobbt, erstürmt und gefeuert. „Die anhaltend angespannte sicherheitspolitische Lage in Europa“ mache „realitätsnahe Übungsszenarien erforderlich“. Doch „Bollwerk Bärlin“ ist kein Einzelfall. Die Aktivitäten des Berliner Wachbataillons reihen sich in eine ganze Serie von Manövern und Übungen ein, in welchen die Bundeswehr, oft auch in Kooperation mit der Polizei, den Einsatz gegen „militärisch bewaffnete Aufständische“, „Terroristen“ und manchmal sogar unbewaffnete Demonstranten erlernen soll.

Seitdem das Bundesverfassungsgericht im Juli 2012 den Einsatz der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr im Inneren bei „Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes“ bestätigte, testen die deutschen Streitkräfte nicht nur verstärkt ihre Fähigkeiten im Häuserkampf. Der Einsatz im Inneren wird zunehmend diskutiert, wobei die unklare Definition von „Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes“ gefährlich dehnbar ist.

Einführung der Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte

Bereits vor dem Urteil wurde im Juni 2012 in Bremen die erste Kompanie der so genannten Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte, kurz RSUKr, in den Dienst gestellt. Die 2012 und 2013 aufgestellten Reserveverbände sollten die aktive Truppe bei Maßnahmen des „Heimatschutzes“ unterstützen. Im Falle des „Inneren Notstandes“, des Spannungs- und Verteidigungsfalles, können die Reservisten neben der Absicherung militärischer Anlagen auch im Rahmen der Amtshilfe zur Unterstützung der Polizei beim Schutz ziviler Objekte, kritischer Infrastruktur oder eben auch bei der Bekämpfung organisierter und bewaffneter Aufständischer herangezogen werden. Die ehemaligen RSUKr sind heute in der Heimatschutzdivision zusammengefasst. Seit dem 1. April 2025 wurden die ehemals den Landeskommandos unterstellten Kompanien und Regimenter der zentralen Führung des Kommandos Heer unterstellt. Dies ist ein zentraler Teil der Umstrukturierung der Armee, bei der nun eine zentrale Leitung effektiver

Das deutsche Grundgesetz von 1949 sah zumindest auf dem Papier einen zaghaften Bruch mit der blutigen Geschichte des deutschen Militarismus vor. So umfasst der Originaltext noch keine Paragrafen, welche die Wiederaufstellung deutscher Streitkräfte betroffen hätten. Erst am 19. März 1956 wurde mit dem Artikel 87a GG die verfassungsmäßige Grundlage für die Wiederbewaffnung Westdeutschlands gelegt. Dabei handelte es sich um den juristischen Vollzug bereits geschaffener Tatsachen. Die Wiederaufstellung einer „neuen Wehrmacht“, wie es damals im bundesdeutschen Diskurs noch hieß, war nicht nur spätestens seit dem NATO-Beitritt der BRD am 6. Mai 1955 beschlossene Sache, sondern mit der Gründung der Bundeswehr am 12. November 1955, schon vor der Schaffung der gesetzlichen Grundlage, Fakt. Auch die damalige Wiederaufrüstung wurde nur gegen jahrelangen erbitterten zivilgesellschaftlichen Widerstand, vor allem auch aus der jungen Generation, regelrecht durchgeprügelt.

Grundlagen der heutigen Militarisierung – Die Armee im Inneren?

Das Verbot der Freien Deutschen Jugend im Jahre 1951, sowie das rabiate Vorgehen der westdeutschen Polizei gegen Friedensdemonstrationen, sind dabei nur einzelne Beispiele des gesamten Repertoires der Repression, die gegen die breite gesellschaftliche Antikriegsbewegung in den frühen 1950er Jahren ins Feld geführt wurde. So wurde am 11. Mai 1952 der junge Kommunist Phillip Müller hinterrücks erschossen und zwei weitere Antimilitaristen durch Polizeikugeln schwer verletzt, als die Sicherheitskräfte eine Massendemonstration der „Friedenskarawane der Jugend“ in Essen auseinanderknüppelten. Auch das Verbot einer geplanten Volksbefragungsaktion gegen die Remilitarisierung 1951 zeigt deutlich, mit welcher Vehemenz die Behörden auch gegen friedlichen Aktivismus vorgehen können, wenn dieser den Grundlagen staatlicher Politik zu gefährlich wird. Die dennoch durchgeführte Volksbefragung, bei welcher sich über neun Millionen Deutsche gegen die Wiederbewaffnung aussprachen, wurde zum Anlass für ein Hochverratsverfahren gegen die KPD und gipfelte in der Verhaftung von über 7000 Aktivistinnen und Aktivisten der Kampagne.

Doch selbst damals beschränkte die damalige Wehrverfassung von 1956 den Auftrag der Truppe einzig und allein auf die Landesverteidigung. Ein Einsatz im Innern wurde ausgeschlossen. Erst die Notstandsgesetze und die damit einhergehende Verfassungsänderung 1968 erlaubten ausdrücklich den Einsatz der Streitkräfte im Verteidigungs- und Spannungsfall und die Amtshilfe der Bundeswehr zur Unterstützung von Polizei und Bundesgrenzschutz, „zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung“. 2006 entschied das Bundesverfassungsgericht, im Rahmen der Amtshilfe keine militärischen Waffen, sondern nur Einsatzmittel, welche das Polizeigesetz des betreffenden Bundeslandes für die Polizeikräfte vorsieht, zu erlauben.  Im Regelfall also Pistole, Maschinenpistole und Gewehre sowie Schlagstock und Pfefferspray. Was wie eine beruhigende Einschränkung des Einsatzes militärischer Gewalt anmutet, muss nachträglich als die ausdrückliche Bestätigung des Einsatzes der Bundeswehr als „Hilfspolizei“ gewertet werden.

Das Gericht leistete damit einen entscheidenden Beitrag, zur weiteren Erosion der strikten Trennung der Aufgaben von Militär und Polizei.  Mit der Entscheidung von 2012 gestattete das BVerfG nunmehr auch die Verwendung militärischer Waffen unter bestimmten Voraussetzungen. Die zahlreichen seitdem abgehaltenen Übungen und Manöver von Polizei und Bundeswehr führten über die Zeit auch zu einer Art Gewöhnungseffekt. Als im Februar 2017 die erste Übung dieser Art mit dem GETEX (Gemeinsame Terrorismusabwehr-Exercise)stattfand, die die Zusammenarbeit und Kommunikationsabläufe zwischen Armee und Polizei optimieren sollte, hagelte es teils heftige Kritik. Selbst die Deutsche Welle kommentierte das Training, mit Blick auf die unrühmliche Geschichte deutscher Armeen im Kampf gegen die eigene Bevölkerung, als „kontrollierten Tabubruch“. Mittlerweile jedoch nimmt die Öffentlichkeit von den vielen kleinen Übungen kaum noch Notiz, von wirklicher Empörung ganz zu schweigen. So jagten im Sommer 2023 mehr als hundert Einsatzkräfte der bayerischen Polizei und der Bundeswehr im Rahmen der Übung AlpenTEX, Kalaschnikow schwingende Terroristen durch die idyllische Kulisse der Allgäuer Alpen. Die Realitätsnähe eines Terrorangriffs im alpinen Raum bleibt zwar fraglich, für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, das mit Personal der Übung beiwohnte, war es aber „besonders interessant, diese Art der zivil-militärischen Zusammenarbeit in der ‚Realität‘ zu beobachten.“

Normalisierung der militärischen Präsenz im urbanen Raum

Auch beim Manöver „Red Storm Bravo“ im September in Hamburg probten 500 Soldaten die Verlegung vom Schiff auf motorisierte Fahrzeuge, wobei die Koordination mit Polizei, Feuerwehr, dem Technischen Hilfswerk sowie Unternehmen wie Airbus und Blohm+Voss im Mittelpunkt stand. Auch Reservisten waren beteiligt, durften jedoch nicht im Kampfeinsatz agieren, sondern als Antikriegsdemonstranten auftreten. Videoaufnahmen zeigen Demonstranten, die einem gepanzerten Armeekonvoi den Weg versperren, während die Bundespolizei diesen räumt. Schließlich dürfe die Bundeswehr ja nicht gegen Demonstranten zum Einsatz kommen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012 hält zumindest auf dem Papier fest, dass militärische Mittel nicht zur Abwehr von Gefahren, „die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen“, genutzt werden dürften. Dass man im Einzelfall bei der zivil-militärischen Zusammenarbeit aber nicht zu zimperlich ist, wurde bereits 2007 beim G8-Gipfel in Heiligendamm unter Beweis gestellt, als 2500 Soldaten und Kampfflugzeuge eingesetzt wurden. Auch wenn es in Heiligendamm nicht um den direkten physischen Einsatz gegen Protestierende, sondern lediglich um Aufklärung und Abschreckung ging, so zeigt das Vorgehen der Behörden, wie dehnbar die Grauzone ist.

Auch beim G20-Gipfel 2017 stand die Bundeswehr der Polizei mit Amtshilfe zur Seite. So wurden nicht nur Experten zum Aufspüren biologischer oder chemischer Kampfstoffe, ein Boot zur potentiellen Evakuierung der Staatsgäste aus der Elbphilharmonie, drei Hubschrauber, zwei Unterwasserdrohnen sowie mehrere Abfangjäger bereitgestellt, sondern zwei Eurofighter sowie ein Tankflugzeug kamen auch tatsächlich zur Überwachung des Luftraums über Hamburg zum Einsatz. 

Und auch während der Coronapandemie war das deutsche Militär auf Amtshilfegesuch im Einsatz. Ab April 2020 stellte die Bundeswehr 32 000 Soldatinnen und Soldaten als Einsatzkontingent „Hilfeleistung Corona“ präventiv in Bereitschaft.

Was sich heute vor unseren Augen abspielt, sind nicht nur einzelne unzusammenhängende Ereignisse oder bloße spontane Reaktionen auf eine verschärfte weltpolitische Lage. Die Umstrukturierung der Streitkräfte, die immer engere Verzahnung von Polizei und Militär und die Ausdehnung rechtlicher Befugnisse sind allesamt Teil eines nicht erst seit gestern laufenden Prozesses, aber diese Entwicklung hat mit der 2022 ausgerufenen Zeitenwende und dem in der Gesellschaft geschürten Klima von Panik und Angst in rasantem Tempo an Fahrt aufgenommen. 

Der seit Jahrzehnten vorangetriebene autoritäre Staatsumbau und die Angriffe auf politische Rechte und soziale Errungenschaften sind Folgen der weltweit eskalierenden Konkurrenz um Einflussphären, Rohstoffe und Handelsrouten. Wenn im globalen Kräftefeld keine Entspannung zu erwarten ist und sich alle Parteien auf eine verschärfte militärische Konfrontation vorbereiten, wird auch in Deutschland der Ton rauer werden.

Irgendwo zwischen Frieden und Krieg

Wenn heute gebetsmühlenartig die Drohkulisse „hybrider Kriegsführung“ heraufbeschworen wird und sogar Bundeskanzler Friedrich Merz Ende September verkündete, „wir“ befänden uns zwar noch „nicht im Krieg, aber wir leben auch nicht mehr im Frieden“, dann dient die damit gewollte Verunsicherung der Bevölkerung auch zuallererst der Rechtfertigung der weiteren Schritte. Die Ausrufung des Spannungsfalls und die damit einhergehende weitgehende Aussetzung der verfassungsmäßigen Ordnung, wie es mancher Hitzkopf in der Debatte heute schon lautstark fordert, dürfte wohl auch für die kommenden Monate kein realistisches Szenario sein. Und doch bedarf die laufende Zuspitzung der Debatte, aber auch die zunehmend normaler werdenden Bewegungen der Streitkräfte im urbanen Raum, mehr als einer kritischen Einordnung von Seiten der antimilitaristischen Bewegung.

Denn dass es bei all den Übungen nicht nur darum geht, die Bevölkerung durch sichtbare Präsenz an den schleichenden Ausnahmezustand zu gewöhnen, sondern auch ganz konkret dafür geübt wird, im Falle des Krieges an der Heimatfront für Ruhe und Ordnung zu sorgen, ist in Anbetracht der in aller Öffentlichkeit dargebotenen Übungsszenarien zumindest keine an den Haaren herbeigezogene Verschwörungstheorie.

Wenn Christoph Hüber, der stellvertretende Abteilungsleiter für Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz im Bundesinnenministerium, Anfang dieses Jahres bei einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik freimütig von sich gab, dass „die Polizeien […] im Spannungsfall schon alle Hände voll zu tun haben“ werden, „weil nicht sicher ist, dass die Bevölkerung friedlich bleibt“, und es „zu Ausschreitungen kommen“ könne, lässt sich vermuten, wohin die Reise geht:

Sie übten sich fleißig im Schießen,

Und sprachen laut vom Feind,

Und zeigten wild über die Grenze

Und uns haben sie gemeint.“

Das Lied vom Klassenfeind, Bertolt Brecht

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Satellitenbilder aus al-Fasher zeigen Unvorstellbares: Berge von Leichen und verfärbte Flecken auf der Erde, die auf Blutspuren hindeuten, so groß, dass sie sogar aus dem Weltraum sichtbar sind. Während die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) ihren Griff um Darfurs letztes großes urbanes Zentrum verstärken, dokumentieren Videoaufnahmen Massenhinrichtungen, Massenverhaftungen und systematische Zerstörung. Forscher vergleichen die Gräueltaten mit den ersten Stunden des Völkermords in Ruanda. (Anmerkung der Redaktion: 1994 begonnender Völkermord an den Hutsi und Oppositionellen in Ruanda, der 100 Tage andauerte und bei dem UN Kräfte abzog) Doch trotz aller Verurteilungen und ernsten Bedenken bleibt die internationale Reaktion paralysiert, sodass Hunderttausende Zivilisten in einem Schlachtfeld gefangen sind, aus dem es kein Entkommen gibt.

Ein Gastbeitrag von Osama Abuzaid Forscher, Analyst und Entwicklungsexperte


Der Weg zum Zusammenbruch einer Nation

Die Schlacht um al-Fasher ist der verheerende Höhepunkt des Krieges im Sudan, eines Konflikts, der im April 2023 durch einen Machtkampf zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) und den RSF ausgelöst wurde. Der Kernstreit drehte sich um die Integration der RSF in die nationale Armee und die Frage, welche Gruppe letztendlich die Führung übernehmen würde.

Die RSF selbst ist ein Produkt des Konflikts und ging aus der berüchtigten Janjaweed-Miliz hervor, die während des Darfur-Konflikts (Anmerkung Redaktion: In Darfur kam es zur Gründung bewaffneter Gruppen, gegen die Verarmung und Marginalisierung der Region Dafur. Die Regierung ging zusammen mit arabischer Janjaweed Miliz, aus der später die RSF hervorging, brutal gegen die Bevölkerung Darfurs vor. Genocide Alert spricht von dem „ersten Genozid des 21. Jahrhundert“) ab 2003 sudanesische Zivilisten brutal unterdrückte – ein Konflikt, in dem Hunderttausende getötet und Millionen vertrieben wurden und Menschenrechtsorganisationen Vorwürfe des Völkermords erhoben. Die RSF wurde 2013 vom ehemaligen Präsidenten Omar al-Bashir institutionalisiert und gewann bis 2017 als unabhängige Sicherheitskraft an Macht. Nachdem sie 2019 zum Sturz von al-Bashir beigetragen hatten, verbündeten sich die RSF und die SAF, um 2021 einen Staatsstreich zu inszenieren und die zivile Übergangsregierung zu stürzen. Diese fragile Partnerschaft zerbrach zwei Jahre später und stürzte das Land in einen Krieg, der seitdem Zehntausende Menschenleben gekostet und über 12 Millionen Menschen vertrieben hat, was zur schwersten humanitären Krise der Welt geführt hat.

Eine Stadt unter Belagerung und Gräueltaten

Die RSF übernahm am 27. Oktober 2025 nach einer über 500 Tage andauernden Belagerung die Kontrolle über al-Fasher, die Hauptstadt von Nord-Darfur. Als letztes großes städtisches Zentrum in Darfur, das sich gegen die paramilitärische Gruppe zur Wehr setzte, führte seine Einnahme zu einer faktischen Teilung des Sudan zwischen den von der SAF und der RSF kontrollierten Teilen. Der sudanesische Armeechef General al-Burhan bestätigte den Rückzug und erklärte, seine Soldaten hätten sich zurückgezogen, „um die Bürger und den Rest der Stadt vor der Zerstörung zu bewahren“, nachdem es seiner Aussage zufolge zu „systematischen Morden an Zivilisten“ durch die RSF gekommen war.

In den Tagen nach der Übernahme kamen schreckliche Beweise für Massengräuel ans Licht. Das Ausmaß der Gewalt wird durch erschütternde Statistiken verdeutlicht: Schätzungsweise 1.500 bis 2.000 Zivilisten wurden getötet, bei einem verheerenden Massaker in einem Krankenhaus kamen über 460 Menschen ums Leben, und mehr als 26.000 Menschen wurden innerhalb von nur 48 Stunden vertrieben, während über 177.000 in der Stadt gefangen blieben.

Einige der beunruhigenden Beweise wurde von den Tätern selbst dokumentiert.

Das UN-Menschenrechtsbüro berichtete von „Standrechtsexekutionen von Zivilisten, die versuchten, vor den Angriffen zu fliehen”. Von der Verifizierungsagentur Sanad von Al Jazeera überprüfte Videos zeigten RSF-Kämpfer, die Menschen hinrichteten und folterten – ein grausames Muster, bei dem die Mitglieder häufig ihre eigenen Gräueltaten aufzeichnen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte sich „entsetzt und zutiefst schockiert” über die Ermordung von 460 Patienten und Mitpatienten im saudischen Entbindungskrankenhaus. Diese Einrichtung, das einzige teilweise funktionierende Krankenhaus in al-Fasher, war nur wenige Tage zuvor zum vierten Mal innerhalb eines Monats angegriffen worden. Zusätzlich zu dem Massaker wurden sechs Mitarbeiter des Gesundheitswesens entführt.

Forscher des Humanitarian Research Lab der Yale University lieferten einige der überzeugendsten Beweise. Ihre Analyse von Satellitenbildern und Fernerkundungsdaten kam zu dem Schluss, dass Objektansammlungen und Verfärbungen des Bodens Hinweise auf menschliche Leichen und Blutlachen sind. Der Geschäftsführer des Labors, Nathaniel Raymond, zeigte sich zutiefst schockiert und erklärte, dass „das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Morde, die derzeit begangen werden, mit nichts zu vergleichen sind, was ich in einem Vierteljahrhundert meiner Arbeit gesehen habe“.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) berichtete, dass innerhalb von nur zwei Tagen über 26.000 Menschen aus al-Fasher flohen, die meisten zu Fuß in Richtung des 70 km entfernten Tawila. Viele kamen „dehydriert, verletzt und traumatisiert“ an. Unterdessen berichteten Menschenrechtsgruppen, dass die RSF Hunderte von Menschen festhielt, wobei es zahlreiche Berichte über sexuelle Gewalt gegen Frauen gab.

Globale Gleichgültigkeit

Die internationale Gemeinschaft hat mit weit verbreiteter Verurteilung reagiert, jedoch ohne konkrete Maßnahmen zu ergreifen.

Der UN-Generalsekretär und das UN-Menschenrechtsbüro haben die Gräueltaten und die „Standrechtlichen Hinrichtungen“ verurteilt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat insbesondere den Angriff auf die saudische Entbindungsklinik angeprangert und „den Schutz aller Gesundheitsfachkräfte und Zivilisten gemäß dem Völkerrecht“ gefordert. UNICEF-Chefin Catherine Russell hob das extreme Risiko für Kinder hervor und erklärte: „Kein Kind ist sicher.” Sie forderte einen sofortigen Waffenstillstand.

Das US-Außenministerium hatte zuvor erklärt, dass die RSF in Darfur Völkermord begehe. Trotz dieser deutlichen Einstufung beschränkten sich die konkreten Konsequenzen auf die Unterstützung gescheiterter Friedensgespräche. Auch die Beteiligung der Afrikanischen Union an den Verhandlungen konnte die Gewalt nicht eindämmen.

Katastrophale menschliche Opfer

Die menschlichen Kosten sind erschütternd. Vor dem letzten Angriff hatten etwa 1,2 Millionen Menschen in al-Fasher eine brutale 500-tägige Belagerung erdulden müssen und waren gezwungen, sich von Tierfutter zu ernähren, da die RSF die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten blockierte. Als die RSF ihren letzten Angriff startete, waren schätzungsweise 177.000 bis 200.000 Zivilisten eingeschlossen, darunter 130.000 Kinder, die unter akuter Nahrungsmittelknappheit, einer Kommunikationssperre und der Ausbreitung von Krankheiten wie Cholera litten.

Während die Welt die systematische Zerstörung von al-Fasher beobachtet, war die Kluft zwischen diplomatischer Verurteilung und tatsächlichen Maßnahmen noch nie so groß und tödlich wie heute. Die schrecklichen Beweise, die auf Video und aus dem Weltraum festgehalten wurden, lassen keinen Raum für Leugnungen: Dies ist eine Kampagne des Grauens und der Massenmorde, die sich in Echtzeit abspielt. Dennoch übt die internationale Gemeinschaft ihre Humanität lediglich auf dem Papier aus. Sie verliert sich in gescheiterten Friedensbemühungen und gibt besorgte Erklärungen ab, während Zivilisten in Krankenhäusern hingerichtet, auf der Flucht erschossen und in Massenhaftanstalten verschwinden. Die Menschen in al-Fasher lernen die grausamen Wirkungsweisen der globalen Gleichgültigkeit kennen: Verurteilungen ohne Konsequenzen bleiben nur Worte und ihre Leben werden in der internationalen Geopolitik als akzeptabler Preis angesehen. Wie ein sudanesischer Aktivist eindringlich warnte, ist dies „unser Srebrenica-Moment“. Wenn niemand eingreift, wird es niemanden mehr geben, den man retten kann.

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Einen Tag nach dem 70. ‚Jubiläum‘ der Bundeswehr kam der Knall: Die Einigung zum neuen Wehrdienst steht. Schallendes Geklapper kommt aus den Gräbern der Nazis, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf Geheiß der USA die Bundeswehr aufgebaut hatten. Deutschlands zentrale Lage in Europa und der Zugang zur Nord- und Ostsee sind dabei nur die geografischen Bedingungen, welche einen Großmachtswahn schürten, der auch nach den beiden Weltkriegen nie erlosch.


Heute heißt es offen von der Bundesregierung, dass die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee Europas umgebaut werden soll. Seit der Gründung der Bundeswehr am 12. November 1955 sind 70 Jahre vergangen. Der Ruf wurde aufpoliert, so wie die alten Karabiner vom Wachbatallion, die einst auf Elsass und Schlesien zielten und jetzt in den regnerischen Himmel Berlins zum großen Hurra gestreckt werden. Mittlerweile befinden sich auch zahlreiche Migrant:innen in der Truppe. Auch der regenbogenfarbene Flecktarn wirbt mittlerweile für Diversität im Schützengraben, während Anton Hofreiter von der einstigen Friedenspartei, den Grünen, die Mähne im militärischen Takt der Snaredrums schwingt.

Doch heißt es immerfort von allen Seiten, dass das Heer noch nicht bereit für den Marschbefehl sei. Heute würden, so Kriegsminister Boris Pistorius, noch rund 80.000 Soldaten für die von ihm geforderte Kriegstüchtigkeit fehlen. Bis 2029 solle das Land bereit für den Showdown a.k.a. Krieg sein. Dazu, so stellte Pistorius im vergangenen Jahr fest, müsse man „durchhaltefähig und aufwuchsfähig“ werden. Schon damals ließen diese Worte aufhorchen, waren sie doch schon der eindeutige Fingerzeig in Richtung eines neuen Wehrdienstes, der jetzt in eine vorläufige Form gegossen wurde.

Wie die Resilienz geschmiedet wurde

Nun kommt die Forderung nach einer neuen Mobilmachung nicht von ungefähr – die Worte „Kriegstüchtigkeit, Resilienz und Wehrhaftigkeit“ haben schon weit vor Beginn des Ukrainekriegs eine neue Hochkonjunktur erfahren. Gleichermaßen wurde damit die Bevölkerung häppchenweise auf den neuen Kurs der Bundesrepublik eingeschworen. Wir seien bereits jetzt Teil eines hybriden Krieges, schallt es von den Rednerpulten. Desinformation, Destabilisierende russische Aktivitäten, Drohnen über Flughäfen und der Feind hört mit, wie es in den Jahren des Zweiten Weltkriegs zur Bekämpfung des Feindes im Inneren hieß. So kommt es nicht überraschend, dass am Ende dieser Fahnenstange heute die Wiedereinführung der Wehrpflicht steht.

Die Katze ist also aus dem Sack. Nach Monaten haben sich CDU und SPD geeinigt: Ab Januar 2026 wird allen ab 2008 geborenen Jugendlichen ein Fragebogen zugeschickt. Verpflichtend ist das Ausfüllen jedoch nur für die jungen Männer. Also: Wie viel Kilo drückst du auf der Bank, welchen Schulabschluss hast du und wie sieht’s denn nun aus mit dem Wehrdienst? Bock? Nein! Das darf man ja wohl noch fragen. Die Empörung und der Protest auf den Straßen halten sich bisher in Grenzen, steht ja noch die betonte Freiwilligkeit des Wehrdienstes im Vordergrund. Von Wehrpflicht soll nämlich noch gar nicht die Rede sein, auch wenn schon klar abzusehen ist, dass das Anwachsen des aktiven Heeres um weitere 80.000 Soldat:innen auf 240.000 aller Voraussicht nach nicht mit dem Versprechen nach 2000€ Besoldung netto im Monat zu machen ist.

Nach Phase 1, dem verpflichtenden Fragebogen, setzt ab dem 1. Juli 2027 Phase 2 ein. Von da an wird nämlich ein ganzer Jahrgang verpflichtend gemustert. Auf Herz und Nieren sollen die circa 300.000 Unglücklichen überprüft werden, ob sie den Anforderungen des kalten russischen Winters gewachsen sind. Schließlich sollen sie ja nicht im Schnee stecken bleiben, wie einst die Unternehmung Barbarossa, die 1941 vor Moskau von den Soviet-Armeen aufgerieben wurde. 

Ob du richtig stehst, siehst du wenn das Licht angeht.

Wie es von der Bundesregierung heißt, bleibt der freiwillige Wehrdienst als „besonderes staatsbürgerliches Engagement“ eben bis zu dem Punkt erhalten, wo die „besondere staatsbürgerliche Pflicht“, nämlich der verpflichtende Wehrdienst, greift. 

Der sogenannte Spannungsfall geistert nun auch schon seit einigen Monaten durch den politischen Sprachgebrauch. Einmal eingetreten würde er automatisch zum Einzug aller jungen Männer einer Generation führen. Der Spannungsfall stellt dabei die Vorstufe des Verteidigungsfalls dar, und muss mit einer 2/3- Mehrheit im Parlament beschlossen werden. Gemeint ist mit Spannungsfall eine „schwere außenpolitische Konfliktsituation“, die weder Frieden noch Krieg darstellen soll und erst einmal eine vollumfängliche Mobilisierung ermöglicht. Dabei geht es nicht nur um den Gang zur Waffe, sondern auch um das zwangweise Einsetzen von medizinischem Personal im militärischen Bereich, die Entscheidung, dass leicht verletzte Soldaten vor zivilen medizinischen Notfällen zu behandeln werden, oder auch die verpflichtende Herstellung von Rüstungsgüter durch zivile Unternehmen.

Nun aber nochmal ein paar Schritte zurück. Bis zum sogenannten Spannungsfall – und jetzt kommt wieder die Salami ins Spiel, die uns „eins nach dem anderen“ sagt, – behält sich Boris das Recht vor, die Lostrommel aus der Feldtasche zu holen. Falls die geplanten Zahlen der freiwilligen Beitritte ab 2027 nicht reichen sollten, werden die Glücklichen per Zufall bestimmt werden, die für 2000€ im Monat unter dem Trommelfeuer des Russen doch eigentlich einen Freudentanz darüber aufführen sollten, einen verhältnismäßig zukunftssicheren Job zugewiesen bekommen zu haben. Für die freiwilligen Heranwachsenden, die sich für die Bundeswehr entscheiden sollten, winkt gar schon jetzt der Gratis-Führerschein. Brauchen wird es aber auch mehr als gute Fahrkünste, wenn ein Eigeninteresse daran besteht, nicht schon auf dem Weg zur Front von dutzenden FPV-Drohnen pulverisiert zu werden.

Auch wenn der Wehrdienst laut dem Grundgesetz nur für Männer gilt, spielen Frauen eine entscheidende Rolle in der Rechnung. Frauen können ebenso im Spannungs- und Verteidigungsfall durch Zwang für die Arbeit hinter den Frontlinien, beispielsweise in Sanitätseinrichtungen, verpflichtet werden. Die Rolle als Geburtenmaschinen für zukünftige Generationen ist der Kriegslogik ebenso immanent wie die Gewissheit, dass nunmal nicht alle unversehrt von der Front zurückkommen werden und Krieg ganze Generationen Jugendlicher vernichtet.

Was tun Herr General?

Schonmal vorweg: Das Verhältnis von Revolutionär:innen zur Armee kann kein statisches sein, sondern muss reelle Chancen zur Kenntnis nehmen und bei bestehenden Widersprüchen ansetzen. Doch was heißt das konkret? Solange die Armee noch den Charakter einer professionalisierten Berufsarmee besitzt, deren Angehörige ideologisch getrimmt sind, ist die kollektive Wehrdienstverweigerung das Gebot der Stunde. Wer aus „Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert“, der könne auch einen Ersatzdienst ableisten, steht im Grundgesetz geschrieben. Innerhalb einer reinen Berufsarmee, wie es noch bei der Bundeswehr der Fall ist, sind nämlich die politischen Möglichkeiten begrenzt. Nicht umsonst gehört es zu den Kernaufgaben des Militärische Abschirmdienstes (MAD), im Vorfeld zwischen tauglichen Gehorsamen und unzuverlässigen Elementen, sprich Linken und anderen Subversiven, zu unterscheiden und die Spreu vom Weizen zu trennen.

Nichtsdestotrotz muss sich ein taktisches Verhältnis zur Armee entwickeln, welches nicht nur von blauäugigem Pazifismus gezeichnet ist und mehr kann als ein „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“. Auch wenn sicherlich die Überzeugungen, auf deren Grundlage wir unsere Taktiken und Strategien definieren, einen zutiefst humanistischen Charakter haben, müssen wir dort sein, wo Reibung besteht und wo es zu Widersprüchen kommt. Nicht ohne Grund war für die Kommunistischen Parteien in der 3. Internationalen die Devise, Zellen in den jeweiligen Armeen zu gründen, zu Agitieren und dadurch für ein rasches Ende des Kriegs zu arbeiten. Entsprechend der Erfahrungen der Oktoberrevolution in Russland waren es diejenigen, welche das Elend des Krieges unmittelbar vor dem eigenen Auge hatten, bei denen der Ruf nach einem proletarischen Internationalismus auf furchtbaren Boden fiel.

So zogen zum Ende des 1. Weltkriegs Agitatoren mit dem Wort des Kommunismus auf den Lippen durch die Schützengräben und Kolonnen von Soldaten strömten von der Front mit roten Fahnen in Ihre Heimatstädte und fanden sich in Arbeiter- und Soldatenräten zusammen. Auch in Deutschland wurde der Auslaufbefehl von den Kieler Matrosen verweigert und leitete die Novemberrevolution in ein, in deren Folge die Soldaten eine maßgebliche Rolle bei der Ausrufung und Verteidigung der Räterepubliken spielten. Die Waffen, einmal in den Händen des Proletariats, wurden nicht etwa weggeworfen, sondern mit einem neuen Selbstbewusstsein gegen die eigenen Herren gekehrt.

Auch wenn sich die Geschichte sicherlich nicht in genau der selben Form wiederholen wird, so bleiben doch die dem Krieg zugrunde liegenden Widersprüche die selben. Die Parole der Arbeiter:innenbewegung vor dem zweiten Weltkrieg „Krieg ist für die Reichen, die Armen werden Leichen“ hat nichts an Aktualität eingebüßt. Und so werden es auch bei den kommenden Kriegen die Ausgebeuteten, die Prolet:innen und die Marginalisierten sein, die weiterhin auf dem Boden die Grenzen für Kapitalinteressen abstecken müssen, welche nicht die ihren sind. Braucht es aber überhaupt erst einen Krieg, um zu erkennen, dass die eigentlichen Feinde der Klasse nicht auf der anderen Seite im Schützengraben liegen? Oder kommt es nicht gar im Krieg, wie es in der Ukraine und Russland der Fall ist, ohne eine wirkungsmächtige revolutionäre Organisation, statt zu einem proletarischen Internationalismus zu einem schwellenden Nationalismus, auf dessen Boden die Zärtlichkeit der Völker so bald keine Blüten mehr tragen wird.

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Jeden Monat veröffentlichen wir eine Übersetzung aus der Zeitung der Kommunistischen Partei Sudan, dem Al-Maidan. Dieser Artikel ist eine aktuelle Veröffentlichung zu den Massakern der RSF in Bara und El Fasher.  

Unsere Partei steht klar und entschieden gegen die entsetzlichen Massaker, die an Zivilist:innen in den Städten El Fasher und Bara sowie in anderen Gebieten von Kordofan und Darfur begangen werden – eine Haltung, die keinerlei Zweideutigkeit oder Rechtfertigung duldet.

Die Rapid Support Forces setzen ihre systematische Gewalt gegen unbewaffnete Zivilist:innen fort: Feldhinrichtungen, willkürliche Verhaftungen, Plünderungen und Zerstörung von Eigentum, Massenvertreibungen und das Erzwingen der Flucht der Bewohner:innen – und mehr, wie durch Berichte der Vereinten Nationen, Menschenrechtsorganisationen und der Medien dokumentiert und bestätigt wurde.

Diese höllische, systematische Gewalt ist das Ergebnis all der Kriege, die unser Land durchlitten hat – geprägt von Barbarei und dem Versagen, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Straflosigkeit war niemals die Ausnahme, sondern einer der Hauptgründe für die Wiederholung dieser Verbrechen. Das die Täter nicht zur Verantwortung gezogen wurden hat ein Umfeld geschaffen, das die Rückkehr von Kriegsverbrechen und Völkermord gegen die Bevölkerung von Städten und Dörfern ermöglicht, sobald sich die Kräfte des Regimes zurückziehen – wie in Bara und El Fasher zu beobachten ist.

Was wir heute erleben, ist eine Fortsetzung jener Politik, die seit den ersten Massakern in Darfur etabliert ist. Daher erfordert die Konfrontation mit diesen Verbrechen sofortige und entschlossene Rechenschaft für alle, die die Befehle erteilt oder ausgeführt haben.

Wir betonen außerdem, dass das Versäumnis, unbewaffnete Zivilist:innen zu schützen, und der Rückzug der Armee aus der standhaften Stadt El Fasher über Monate hinweg angesichts der Dschandschawid-Milizen, ein unverantwortlicher Akt ist, der Verurteilung und Rechenschaft erfordert. Die wichtigste Aufgabe der Armee besteht darin, die Bürger:innen und das Heimatland zu schützen – nicht sich selbst.

Wir in der Sudanesischen Kommunistischen Partei bekräftigen stets, dass das, was geschieht, kein bloßer militärischer Machtkampf ist. Es handelt sich vielmehr um eine komplexe Auseinandersetzung zwischen den parasitären Flügeln des Kapitalismus im Land um Macht und Ressourcen. Diese Kräfte haben ihren Reichtum und ihre Privilegien durch Korruption und die Ausnutzung der Macht zur Plünderung der Ressourcen angehäuft und nutzen bewaffnete Konflikte und Terror, um ihre Herrschaft zu festigen.

Gleichzeitig ist der Krieg ein regionales, internationales und imperialistisches Komplott, das darauf abzielt, den sudanesischen Staat zu schwächen und Bedingungen für Zersetzung und Spaltung zu schaffen – mit dem Ziel, die Fähigkeiten des Volkes, den Reichtum des Landes und die nationale Souveränität zu untergraben. Diese politische und wirtschaftliche Dimension des Konflikts (lokal, regional und international) legt der internationalen Gemeinschaft eine doppelte Verantwortung auf: sofort zu handeln, um diesen Krieg und diese Massaker zu beenden.

Wir, die Sudanesische Kommunistische Partei, rufen die Völker der Welt und ihre demokratischen Organisationen – an erster Stelle die kommunistischen und Arbeiterparteien –, ebenso wie Menschenrechtsorganisationen und das Gewissen der gesamten Welt, zur internationalen Solidarität mit dem sudanesischen Volk auf, das allein und standhaft einem brutalen Krieg entgegentritt, der nun in sein drittes Jahr geht – ohne Aussicht auf eine Lösung oder ein Ende.

Wir rufen zu weltweiten Volksbewegungen auf – auf den Straßen, in den Zeitungen, in den sozialen Medien oder auf andere Weise –, um den sofortigen Stopp des Krieges im Sudan und die Solidarität mit unserem Volk zu fordern.

Wir fordern außerdem, dass „weiche Erklärungen“ und formelle Appelle in praktische Schritte umgesetzt werden, um Zivilist:innen zu schützen, humanitäre Korridore zu öffnen, Hilfe zu leisten und neutrale, unabhängige Untersuchungen aller Kriegsverbrechen in unserem Land durchzuführen. Die Kritik und Verurteilungen internationaler und menschenrechtlicher Institutionen müssen durch konkrete Maßnahmen ergänzt werden: durch politische, wirtschaftliche und diplomatische Sanktionen gegen die Täter, durch ein Verbot des Waffenexports und der logistischen Unterstützung für die Verbrecher und durch die Überweisung der Verbrechen an unabhängige internationale und nationale Justizorgane.

Wir fordern außerdem:

  1. Einen sofortigen Waffenstillstand, die Ausrufung einer humanitären Waffenruhe und die vollständige Öffnung humanitärer Korridore nach El Fasher sowie in andere Gebiete von Darfur, Bara und ganz Nord- und Südkordofan – mit dem Schutz der Hilfskonvois.
  2. Eine rasche, unabhängige und transparente internationale Untersuchung der Kriegsverbrechen und die Rechenschaft aller, die diese begangen, angeordnet oder dazu beigetragen haben.
  3. Dringendes Handeln der Völker der Welt, ihrer demokratischen Kräfte und Menschenrechtsorganisationen, um Staaten und internationale Institutionen unter Druck zu setzen, jegliche Unterstützung oder politische bzw. militärische Komplizenschaft mit den Verantwortlichen der Verbrechen zu beenden.

Gleichzeitig rufen wir die Avantgarde unseres Volkes, die Kräfte der Volksmobilisierung und die demokratischen Kräfte auf, ihre Reihen zu vereinen, den friedlichen Massenkampf zu intensivieren und politische Initiativen zu entwickeln, die darauf abzielen, den Krieg zu beenden, die Macht von den De-facto-Regierungen in Port Sudan und Nyala zu entreißen und auf den Weg der Revolution zurückzukehren, um einen zivilen, demokratischen Staat aufzubauen, der die Menschenrechte schützt und soziale Gerechtigkeit verwirklicht.

  • Wir werden nicht zulassen, dass die Zeugnisse der Opfer in bloßen Beileidserklärungen ohne Konsequenzen begraben werden. Das Blut schreit nach Gerechtigkeit – nach echtem Schutz und Rechenschaft.
  • Stoppt das Töten. Öffnet die Korridore für Hilfe. Bringt die Täter vor Gericht.
  • Gerechtigkeit für die Opfer – und Freiheit und Frieden für das Volk des Sudan.

Sudanesische Kommunistische Partei

29. Oktober 2025

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Ein Esel läuft ganz gemächlich vor unserem zerbeulten Hyundai mit den schwarz getönten Scheiben. Unsere viel zu leise Hupe stört das Getier nicht und so geht es störrisch weiter, mitten auf der Fahrbahn. Gegenverkehr kommt keiner und eilig haben wir es auch nicht. Also lassen wir die Scheiben runter, drehen die Klima-Anlage aus und zünden uns eine Zigarette an. Rote Gauloises. So paffen wir vor uns hin, während die Sonne allmählich ihren Zenit erreicht haben dürfte. Den Esel scheinen die knapp 50 Grad nicht zu stören. Er setzt gemächlich einen Huf vor den anderen, bis das Bild langsam verblasst.

Das Aufwachen bringt die Erkenntnis mit sich, dass ich Nord- und Ostsyrien mittlerweile mit Berlin getauscht habe. Statt frisch gemolkener Kuhmilch und selbstgemachtem Joghurt ergießt sich zum Frühstück der letzte Schluck Hafermilch in die Kaffeetasse. Der durchdringende Blick auf den Kaffeesatz bringt mir heute keine Erkenntnis über die Zukunft, also dann schauen wir mal, was die Fakten sagen.

Von Ulrich Weber

Eine neue Realität in Syrien

Nur wenige hundert Kilometer vom kaputtgebombten Gaza entfernt sprechen auch an den Frontlinien in der Nähe des Euphrats wieder die Waffen. Nachdem seit April dieses Jahres vermeintliche Ruhe über der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens eingekehrt war, sind nun wieder Bilder von Grad-Raketenwerfern zu sehen, die in das Dunkel der Nacht ihre Raketen spucken.

Zeitgleich zu dem Vorstoß von HTS, dem syrischen Al-Qaida-Ableger, auf Damaskus griff die an der Seite der HTS kämpfende „Syrische Nationalarmee“ (SNA) die selbstverwalteten Gebiete Nord- und Ostsyriens an. Nach Monaten schwerster Gefechte und dem Rückzug der „Befreiungskräfte Afrins“ (HRE) aus der Region Shehba und schlussendlich der SDF aus der Großstadt Minbic verlagerte sich die Front zunehmend auf die natürliche Verteidigungslinie des Euphrat-Flusses. Zehntausende Islamisten und sämtliche türkische Kriegstechnik aus NATO-Beständen wurden von da an zur Frontlinie geworfen. Trotz der absoluten türkischen Lufthoheit konnten die Landzunge um Dair Hafir, der Tishrin-Staudamm und die Qerecozax-Brücke als die wichtigsten Verteidigungspunkte gehalten werden.

Alsbald wurde man Zeuge von den neuen militärischen Kapazitäten der SDF. Gerade an Tagen mit geschlossener Wolkendecke, an denen die türkischen Kampfdrohnen quasi blind waren, mussten die Islamisten schwere Schläge einstecken. In dutzenden von den SDF veröffentlichten Videos war zu bestaunen, wie kleine FPV-Drohnen im feindlichen Hinterland Jagd auf türkische Radarsysteme, Panzer und verschanzte Bandenmitglieder machten und mit einem kleinen Puff und Peng millionenschwere Kriegstechnik zerstörten. An den meisten Frontlinien war es also die Fähigkeit, auf Distanz kämpfen zu können, welche im Gegensatz zu vergangenen Kriegen die Entscheidung über Sieg oder Niederlage herbeiführte. Somit war aber auch unter den Gefallenen der SDF fast niemand mehr, der durch direkten Feindkontakt, sprich durch eine Kugel, gefallen ist.

Trotz der schweren Schläge, die ohne Zweifel durch den Rückzug aus Shehba und den militärischen Fall Minbics eingesteckt wurden, konnte mit der zunehmenden Länge des letzten Krieges unter Beweis gestellt werden, dass die SDF durchaus in der Lage dazu sind, trotz eines an Feuerkraft und Technik weit überlegenen Feindes die Frontlinien zu stabilisieren und teilweise die militärische Initiative zu übernehmen.

Jolani und Mazlum Abdi reichen sich die Hand

Der Blick auf den Kalender verrät, dass fast ein halbes Jahr seit dem Abkommen vom 10. März vergangen ist, welches zwischen dem Generalkommandanten der SDF und Jolani in Damaskus unterzeichnet wurde. (Jolani hat mittlerweile diesen Kampfnamen, den er als Chef des syrischen Al-Qaida Ablegers HTS getragen hat, abgelegt. Mittlerweile ist er der selbsternannte syrische Übergangspräsident und nennt sich wieder nach seinem bürgerlichen Namen Ahmed al-Scharaa) 

Wie später aus Erklärungen des SDF-Generalkommandanten Mazlum Abdi hervorging, wurde das Abkommen zu diesem Zeitpunkt geschlossen, um eine weitere großflächige militärische Eskalation zu verhindern. Wenige Tage zuvor war es nämlich zu Kämpfen an der Küste gekommen, in deren Folge tausende Alawit:innen von der HTS massakriert wurden.

Logistisch soll die Zusammenkunft insbesondere von den USA ermöglicht worden sein. Als Ergebnis des Treffens wurde eine Frist bis zum Jahresende gesetzt, innerhalb derer die zwischen Jolani und Mazlum Abdi unterschriebenen acht Punkte umgesetzt werden sollten. Infolge der Gespräche wurden somit ab April die Angriffe der SNA zunehmend weniger. Auch türkische Luftschläge blieben erstmals seit Jahren des intensiven Drohnenkriegs aus.

Die Spuren der Kämpfe sind aber in der sonst so friedlich anmutenden Landschaft noch lange nicht verwischt. Der zersplitterte Stahlbeton und die Einschusslöcher in den Wänden der kleinen Gemeinde Sirrin, südlich von Kobane, kommen einer Mahnung und dem Ruf zu Wachsamkeit gleich. Bis hierhin hatte es nämlich um den letzten Jahreswechsel die SNA geschafft – bis sie wieder auf die andere Seite des Euphrats gejagt wurde.

Wenig Zeit ist ebenso vergangen seitdem die ausgebrannten Autowracks auf dem Tishrin-Staudamm zusammengestellt und das gesprungene Glas weggefegt wurde. Das Schwarz von den Granat-Explosionen konnte der wenige Regen noch nicht vom Asphalt wegwaschen. Diese Spuren sind bleibendes Zeugnis von den über 100 Tagen des Protestes, bei denen 24 Menschen getötet und über 700 teilweise schwer verletzt wurden. Nach Monaten, in denen die SNA versuchte, mit türkischer Unterstützung in die Gebiete östlich des Euphrats zu gelangen, wurde am 5. Mai der symbolische Sieg der militärischen Verteidigung und der zivilen Proteste über die dschihadistischen Angreifer erklärt.

Öl ins Feuer – Showdown in Aleppo

Jetzt haben die Angriffe der SNA auf die Verteidigungsstellungen der SDF um den Staudamm erneut begonnen. Auch weiter südlich kommt es bei der Landzunge von Dair Hafir wieder zu regelmäßigen Gefechten. Eine neue Militäroperation scheint somit nur eine Frage der Zeit zu sein, wofür auch die türkischen Transporte schwerer Waffensysteme in die Gegend zwischen Aleppo und Dair Hafir sprechen. Ganz unabhängig davon, ob der sich anbahnende Angriff einen begrenzten Umfang haben wird oder nicht, birgt er das Potenzial einer weitaus größeren Eskalation. Zum jetzigen Stand ist das neue Regime noch damit beschäftigt, zu gucken, wie weit es gehen kann, und mit Einzelangriffen die Defensivkapazitäten der SDF abzuklopfen. Konkreter wird es bei der Straße nach Dair Hafir, die vor wenigen Tagen mit Geröll zugeschüttet wurde. Ebenso bleibt die Situation der beiden kurdischen Bezirke, Sheikh Maqsoud und Ashrafiyah in der ansonsten von HTS kontrollierten Metropole Aleppo auch nach Einstellung der Gefechte gespannt.

Was war eigentlich los? Nachdem die Mehrzahl der Verbindungsstraßen in die beiden selbstverwalteten Stadtteile bereits vor einigen Tagen abgekappt und Kampfstellungen von HTS rund um diese errichtet wurden, folgten Montag Nacht, den 6. Oktober, erste schwere Gefechte. Vorausgegangen waren Proteste kurdischer und arabischer Einwohner gegen die Blockade, welche zunächst von Drohnen der HTS aufgeklärt und dann später von der neuen Anti-Riot Polizei des Regimes angegriffen wurden. Nachdem ein wahrer Regen von Steinen auf die Cops niederging, wurde scharf geschossen und Schützenpanzer und Soldaten wurden von HTS und der SNA zum Angriff herangezogen. Bis in die tiefe Nacht ging der Schlagabtausch, wobei die Banden keinen Fuß in die selbstverwalteten Stadtteile setzten konnten. Stattdessen konnten die inneren Sicherheitskräfte von Sheikh Maqsoud und Ashrafiyah zahlreiche der neuen Gefechtsstellungen einnehmen.

Als Reaktion auf den Angriff begann kurz darauf die Mobilisierung der an der Dair-Hafir-Front stationierten SDF-Spezialeinheiten. Im Falle einer anhaltenden Eskalation wäre es vermutlich zu einem Interventionsversuch in der ca. 60 Kilometer von Dair-Hafir entfernten Stadt gekommen. Bereits im vergangenen Jahr konnte ein solcher Korridor bis nach Aleppo etabliert werden. Zum jetzigen Zeitpunkt haben die Gefechte aber aufgehört, auch wenn Berichte über einen Waffenstillstand noch nicht von offizieller Seite aus bestätigt wurden. 

Warum gerade Aleppo eine so wichtige Rolle zukommt, lässt sich dadurch erklären, dass die Stadt de facto das Pilotprojekt der Umsetzung des 10. März-Abkommens darstellt. Nach einem gegenseitigen Gefangenenaustausch im April wurden ebenso gemeinsame Kontrollpunkte der beiden Sicherheitskräfte etabliert. Somit sollte eine Koexistenz aufgebaut werden, in der aber die Kontrolle über die Inneren Sicherheitskräfte bei den Räten der selbstverwalteten Bezirke verbleibt. Als Zeichen des guten Willens und im Rahmen der Vereinbarungen war vor wenigen Monaten ein öffentlichkeitswirksamer Abzug der in der Stadt stationierten Einheiten der YPG und YPJ zu sehen. Es ist absehbar, dass hier aber nichts dem Zufall überlassen wurde und die militärische Selbstverteidigungsfähigkeit davon unberührt blieb.

Versuch eines Ausblicks

In Rojava ist die Möglichkeit eines großen Krieges seit Jahren ein dauerhaftes Thema. Drohungen à la „Eines Nachts kommen wir über euch“ rufen mittlerweile nur noch ein müdes Lächeln hervor. Was auch immer kommen mag – die SDF und die Bevölkerung sind vorbereitet und ein Krieg, so schlimm auch seine Folgen wären, schafft auch immer die Möglichkeit, das Kräftegleichgewicht zu eigenen Gunsten zu verschieben. Nicht ohne Grund heißt es dieser Tage aus den Führungsebenen der SDF immer wieder, dass diese im Falle eines Kriegs selber entscheiden würden, wie er geführt werde und wo dieser ende. Darin steckt der klare Fingerzeig in Richtung Damaskus und Jolani: Weder akzeptieren wir dich noch eure sogenannte Übergangsregierung.

Noch verbleiben für die Umsetzung des 10. März-Abkommens auf dem Papier knappe drei Monate. Für die kurdische Freiheitsbewegung steht dabei fest, dass Rojava und die Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens eine rote Linie darstellen. Zur gleichen Zeit ist der türkische Staat wenig erbaut darüber, dass die SDF keine Anstalten machen, die Waffen niederzulegen oder sich bedingungslos unter das neue Verteidigungsministerium einzugliedern. Gerade deshalb, wird die Möglichkeit einer gemeinsamen HTS-Türkei Militäroperation heiß diskutiert und am Mittwoch den 8. Oktober wollen der syrische und türkische Außenminister konkret darüber beratschlagen.

Die jetzige Realität der Jolani-Herrschaft spricht Bände über die Verfasstheit der syrischen „Übergangsregierung“. Die unterschiedlichen Gruppen innerhalb der SNA wurden nämlich nur formell in das neue Verteidigungsministerium eingegliedert. Zur Realität gehört auch die Tatsache, dass die Anzahl der unter dem Befehl von Damaskus stehenden Soldaten weitaus geringer ist, als die der SNA. Diese wollen wiederum in den von ihnen kontrollierten Gebieten de facto nichts von der Befehlsgewalt Damaskus wissen und agieren nach eigenem Belieben. Bei genauerem Blick auf die Charaktere innerhalb der SNA kann sich auch der Letzte versichern, dass mit diesen Gestalten kein Gut-Kirschen-Essen ist. Vor wenigen Monaten wurde der Milizführer Abu Hatem Shaqra, der für die Hinrichtung der kurdischen Politikerin Hevrin Xelef auf offener Straße im Jahr 2019 verantwortlich ist, offiziell zum Kommandanten der 86. Division im Norden des Landes ernannt. Ebenso mit von der Partie ist ein gewisser Abu Amsha, der in den Wirren des syrischen Bürgerkriegs durch seine Verbindung zur Türkei vom Landwirt zu einem der berüchtigsten Warlords mutierte und kurz vor seiner offiziellen Eingliederung in das Ministerium die Massaker an den Alawit:innen befehligte.

Schon wieder die USA

Nicht erst die Massaker an der Küste und später an den Drus:innen im Süden des Landes haben gezeigt, wessen Geistes Kind Jolani ist. Und so hört man nicht selten auf den Straßen, dass nun der IS mit gestutztem Bart und gebügelter Krawatte die Macht übernommen hat. Der Panarabismus, der bis zum Sturz Assads die oberste Losung war, wurde damit gegen einen nationalistischen Islamismus getauscht. Besonders brisant, wie sollte es auch anders sein, war das Mitwirken Großbritanniens und der USA, welche durch NGOs bereits vor geraumer Zeit daran arbeiteten, Jolanis Ansehen in der Weltöffentlichkeit aufzupolieren. Später sollten diese inoffiziellen Organisationen um den Jahreswechsel auch den direkten Kanal für den Dialog zwischen HTS und den SDF herstellen.

Syrien ist mittlerweile wieder aus dem Blickfeld der Weltöffentlichkeit gerückt. Die nächsten Monate, komme was wolle, haben das Zeug dazu, das Machtgefüge im gesamten Mittleren Osten zu verändern. Wie mit dem Sturz des Assad-Regimes die Verbindung der „Achse des Widerstands“ zwischen dem Iran über Irak bis in den Libanon und nach Palästina gekappt wurde, so werden weitere Auseinandersetzungen zwangsläufig die Regionalmächte Israel und Türkei auf den Schirm rufen, welche seit dem 7. Oktober 2023 fleißig die Säbel rasseln lassen. In all diesem Gewirr von Machtinteressen sind es aber auch die USA, die zu guter Letzt für einen möglichen Angriff von HTS und der Türkei grünes Licht geben müssen. Wenn es nach dem US-Sonderbeauftragten für Syrien Tom Barrack ginge, der in seinem zweiten Leben Leiter eines internationalen Immobilien-Imperiums ist, dann wäre das wahrscheinlich schon längst geschehen. Klar ist, dass die USA gerne ein zentralisiertes Syrien hätten, was sich jedoch nach den Massakern schwerlich als die beste Lösung verkaufen lässt. Auch wenn die USA Jolani noch nicht gänzlich trauen, so gibt die Rückendeckung der Golfstaaten für Jolani Sicherheiten, da diese mittlerweile den gesamten Immobiliensektor Syriens unter sich aufgeteilt haben.

Die Schuld soll nun wie immer der kurdischen Freiheitsbewegung, den SDF und der Autonomen Administration zugeschoben werden, welche es dem neuen Vorzeigedemokraten Al-Jolani, der nun mit gekürztem Bart und Pomade seine Lackschuhe auf internationalem Parkett schwingen darf, nicht recht mit der Integration machen wollen. Auch wenn das Verhältnis zur Zeit ein sehr schwieriges ist, dauern die direkten Verhandlungen zwischen der SDF und HTS noch an.

„Ci dibe bila bibe“

Umgeben von vielen Feinden sind es bitterernste Bedingungen, in denen die Revolution von Rojava geschickt taktieren und gleichzeitig ihren Charakter und ihre Glaubhaftigkeit verteidigen muss. Taktiken und Strategien entstehen nämlich nie im luftleeren Raum, sondern müssen sich immer auf die reellen Verhältnisse und Möglichkeiten beziehen, was heißt, dass das Laufen auf zwei Beinen überlebensnotwendig ist. Das bedeutet, dass zum einen langfristig und parallel zur Realpolitik das eigene politische Projekt gestärkt werden muss, während es auf der anderen Seite vielleicht zu Kopfschmerzen führt, Verhandlungen mit den USA zu führen, um einen weiteren größeren Krieg zu verhindern. Und ja, mittlerweile sind die SDF zahlenmäßig die größte Armee in Syrien und die Notwendigkeit des Ausbaus der eigenen Verteidigungskapazitäten steht gerade mehr denn je auf dem Plan. Dem Zufall wird nämlich nichts überlassen, geschweige denn den Amis. Alles sieht also danach aus, dass sich das Kapitel des syrischen Bürgerkriegs nicht allzu bald schließen wird.

Langsam fallen mir meine Augen zu. Der Esel trabt immer noch vor uns. Ich zünd mir noch ’ne Kippe an. Ci dibe bila bibe – was auch immer kommen mag, es wird weitergehen.

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Wer ist Shabir?

Shabir Baloch war ein prominenter belutschischer Studentenführer, der als zentraler Informationssekretär der Baloch Students Organization–Azad (BSO-Azad) tätig war. Am 4. Oktober 2016 wurde er während einer Militäroperation in Gowarkop im Distrikt Kech in Belutschistan von pakistanischen Sicherheitskräften entführt. Seine Frau und seine Familienangehörigen wurden Zeugen der Entführung. Seitdem ist sein Verbleib unbekannt. Amnesty International veröffentlichte einen dringenden Aktionsaufruf (UA 232/16), in dem gewarnt wurde, dass Shabir ernsthaft von Folter und außergerichtlicher Hinrichtung bedroht sei. Trotz wiederholter Appelle haben die pakistanischen Behörden weder seine Inhaftierung bestätigt noch ihn vor Gericht gestellt. Seine Familie, insbesondere seine Frau Zarina und seine Schwester Seema, haben einen unermüdlichen Kampf geführt und Proteste, Sitzstreiks und Aufklärungskampagnen in Belutschistan, Karatschi und Islamabad organisiert.

Shabirs Fall ist zum Symbol für Tausende von Fällen von Verschleppungen in Belutschistan geworden, wo der Staat nicht nur Krieg gegen die Körper seiner Bevölkerung führt, sondern auch gegen ihr Gedächtnis, ihre Würde und ihren Widerstand.

Der Brief

An meinen geliebten Shabir,

ich sende dir meine Grüße. Ich kann dich nicht nach deinem Befinden fragen, denn in den Gefängnissen und Folterkammern dieses Staates geht es niemandem gut.

Shabir, seit diesem Tag, dem 4. Oktober 2016, sind die Farben unseres Lebens verblasst. Belutschistan sieht mehr denn je wie ein Kriegsgebiet aus. Jeden Tag verschwinden Menschen gewaltsam, und unzählige Leichen werden auf verlassene Straßen und in die Dunkelheit der Nacht geworfen.

Du hast bei deinen Versammlungen oft gesagt, dass der Staat die Belutschen wie Tiere behandeln würde. Damals habe ich das vielleicht nicht ernst genommen. Aber heute, wo ich diese Grausamkeit mit eigenen Augen sehe, treffen mich deine Worte jeden Tag wie ein Stich ins Herz. Ich hätte nie gedacht, dass ich, deine Schwester, dir eines Tages von diesen Umständen berichten würde. Ich habe immer geglaubt, dass du derjenige sein würdest, der mir erklärt, wie sich Sklaverei wirklich anfühlt.

Aber heute ist es meine Feder, die sich bewegt, und ich schreibe diesen Brief, um dir zu erzählen, wie sich unsere Welt verändert hat, seit du verschleppt wurdest, und wie Belutschistan brennt.

Shabir, ich bringe es nicht über mich, Ammas (Mutter) Geschichte voller Trauer und Kummer zu schreiben, also vergib mir bitte im Voraus. Sie sitzt Tag und Nacht an der Tür und hofft, dass ihr Shabir zurückkehrt, damit sie dich an ihre Brust drücken und die Jahre des Schmerzes wegwaschen kann. Sie bleibt nachts wach, als wäre auch ihr Schlaf mit dir gefangen.

Zarina, Shabir’s Ehefrau mit einem Poster: „Ich weiß nicht ob ich Shabir’s Ehefrau oder Witwe bin!“

Shabir, seit deinem Verschwinden ist das Glück aus unserem Haus gewichen. Zarina ist nicht mehr die Zarina, die du einmal kanntest. Ihr Lächeln ist verschwunden. Sie geht nicht mehr zu Zusammenkünften, sie spricht nicht mehr. Shabir, Zarina ist still geworden. Ich sage ihr immer wieder, sie solle sich erholen, neue Kleider tragen. Aber sie wird nur still und sagt:

„Ich werde mich erst schmücken, wenn mein Shabir zurückkehrt. Dann werde ich wieder eine Braut sein.“

Und als sie das sagt, laufen ihr Tränen über das Gesicht. Ich kann es nicht ertragen.

Ich habe beschlossen, dir diesen Brief zu schreiben, aber Shabir, wie kann ich neun Jahre in einem einzigen Brief zusammenfassen? Trotzdem versuche ich es.

Weißt du noch, wie wir eines Tages zu einer Kundgebung nach Karachi gefahren sind? Zarina und ich waren die ersten, die im Presseclub ankamen. Aber die Polizei war bereits da. Sobald wir ankamen, steckten sie uns in ein Fahrzeug und brachten uns zu ihrem Kontrollpunkt. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich in einen Polizeiwagen gesetzt wurde. Ich hatte schreckliche Angst; Tränen füllten meine Augen. Aber meine Angst galt nicht mir selbst. Ich dachte nur an dich, wie du wohl in ein solches Fahrzeug gezerrt, geschlagen und mit verbundenen Augen festgehalten worden sein musstest.

Aber Zarina, deine liebe Zarina, tröstete mich und sagte:

„Mach dir keine Sorgen, wir sind nur am Kontrollpunkt. Uns wird nichts passieren.“

Unser Leben besteht nun darin, uns gegenseitig zu trösten. Später wurden wir freigelassen, aber diese Momente werden uns immer im Herzen bleiben.

Shabir, der Schmerz ist so tief, dass selbst die Feder zögert, ihn zu beschreiben. Kennst du einen jungen Mann namens Zeeshan Zaheer, der für die Freilassung seines vermissten Vaters kämpfte? Eines Nachts wurde auch er gewaltsam verschleppt. Am nächsten Morgen wurde seine verstümmelte Leiche vor sein Haus geworfen, als wäre sie ein „Geschenk“. Sein Märtyrertod stürzte ganz Belutschistan in Trauer. Die Menschen strömten in alle Städte, es wurden Kundgebungen abgehalten und Kerzen angezündet. Auch wir veranstalteten unter dem Banner des BYC (Baloch Yakjehti Committee) eine Kundgebung am Hub-Kontrollpunkt.

Alle vergossen Tränen über Zeeshans Märtyrertod. Aber als wir den Hub-Checkpoint erreichten, hatte die Polizei den Presseclub bereits umzingelt. Sie versuchten, uns aufzuhalten, aber wir weigerten uns, uns zurückzuziehen, und begannen eine friedliche Kundgebung auf der Straße. Innerhalb weniger Minuten griff die Polizei an. Sie schlugen uns, traten uns, schossen auf uns und stießen uns in Fahrzeuge, wobei sie uns mit Worten beschimpften, die uns bis ins Mark erschütterten.

Shabir, ich habe mich an diesem Tag immer wieder gefragt, welches Verbrechen wir begangen hatten, dass wir geschlagen, beschimpft und gedemütigt wurden. Wir wurden zum Checkpoint gebracht.

Und dann verstand ich: Der Staat foltert uns nicht nur, weil wir unsere Stimme erheben. Er foltert uns, weil er weiß, dass wir nicht mehr unwissend sind. Er weiß, dass Aktivisten wie du, die in seinen Folterzellen eingesperrt sind, uns bewusst gemacht haben.

Der Staat kann versuchen, uns zu unterdrücken, so viel er will, aber solange wir atmen, werden wir weiterhin unsere Stimme für dich und für jeden vermissten Belutschen erheben.

Shabir, nach Zeeshans Märtyrertod, als wir zum Kontrollpunkt gebracht wurden, beschimpften und verfluchten sie uns weiter. Wir wurden wie Kriminelle eingesperrt. Stunden vergingen in erstickender Hitze, und sie gaben uns kein Wasser. Einige der jüngeren Kinder, die bei uns waren, fingen vor Angst an zu weinen.

Spät in der Nacht holten sie uns nacheinander heraus. Die Polizistinnen schlugen uns, zogen uns an den Haaren und stießen uns herum. Dann schoben sie uns wieder hinein. Wir fragten immer wieder: „Welches Verbrechen haben wir begangen? Welches Gesetz haben wir gebrochen?“ Aber statt Antworten bekamen wir nur weitere Tritte und Beleidigungen.

Zwei oder drei Stunden später ertönte plötzlich eine laute Stimme: „Steht auf, ihr werdet freigelassen. Eure Leute sind gekommen, um euch abzuholen.“ Aber Shabir, niemand empfand in diesem Moment Freude. Wir alle sahen uns geschockt und verängstigt an und fragten uns, ob es sich um eine weitere Falle handelte.

Sie brachten uns aus dem Kontrollpunkt heraus und fuhren uns in Polizeifahrzeugen weit weg. Wir dachten, wir würden freigelassen, aber stattdessen brachten sie uns ins Gadani-Gefängnis. Dort wurden wir in schmutzige, stinkende Zellen gesteckt, in denen selbst Tiere sich weigern würden zu bleiben. Der Geruch war unerträglich, überall wimmelte es von Mücken. Wir konnten die ganze Nacht nicht schlafen.

Am nächsten Morgen nahmen sie unsere Namen auf und ließen uns in Reihen stehen, als wären wir Kriminelle. Dann brachten sie uns altes Essen, das kaum genießbar war. Einige der jüngeren Mädchen konnten überhaupt nichts essen. Unsere Kleidung war von den Schlägen zerrissen, unsere Haare zerzaust, unsere Gesichter geschwollen. Aber Shabir, nichts davon hat unseren Geist gebrochen.

Wir standen vor den Gefängnisbeamten und sagten:

„Wir sind keine Kriminellen. Wir sind hier, weil wir unsere Stimme für unsere vermissten Brüder erhoben haben. Wenn Sie glauben, Sie könnten uns mit Gefängnissen zum Schweigen bringen, irren Sie sich. Wir werden unsere Stimme noch lauter erheben als zuvor.“
Nach zwei Tagen ließen sie uns plötzlich ohne Erklärung frei. Sie ließen uns mitten in der Nacht am Straßenrand stehen. Wir kamen erschöpft zu Hause an, unsere Körper waren voller Blutergüsse, aber unsere Entschlossenheit war stärker denn je.

Shabir, was ich dir sagen möchte, ist Folgendes: Der Weg, den du uns gezeigt hast, das Bewusstsein, das du uns vermittelt hast, lebt weiter. Der Staat mag uns in Kontrollpunkte, Folterzellen oder Gefängnisse stecken, aber er kann die Kette des Widerstands nicht brechen.

Shabir, erinnerst du dich, wie unsere Schwester Seema vor neun Jahren noch zu schüchtern war, um überhaupt zu sprechen? Sie konnte nicht einmal richtig Urdu sprechen. Aber heute, Shabir, steht Seema auf den Straßen von Karachi und Islamabad und trotzt dem Staat auf Urdu.

Deine Trauer hat uns stark gemacht, Shabir. Wir wachsen in unserer Trauer.

Nun beende ich diesen Brief mit der einzigen Hoffnung, dass dieser Schmerz der Trennung eines Tages ein Ende haben möge. Aber die liebevollen Erinnerungen an dich werden immer in meinem Herzen weiterleben. Und ich gebe dieses Versprechen: Solange wir atmen, wird keiner von uns aufhören, für die Verschwundenen Widerstand zu leisten.

Shabir, wir haben von Dr. Mahrang Baloch gelernt, dass Widerstand Leben ist, und in diesem bleiben wir am Leben.

Die bitteren Erinnerungen an deine Abwesenheit können niemals ausgelöscht werden. Ich kann nur eines wünschen: dass du zusammen mit allen Verschwundenen bald zurückkehrst, damit auch wir wie andere Menschen auf der Welt leben können.

Deine kleine Schwester,
Sammul

Sammul mit einem Bild ihres Bruders

Schlussbemerkung

Shabirs Geschichte ist nicht nur der Schmerz einer Familie. Es ist der Schmerz einer Nation, in der Tausende von Müttern, Ehefrauen und Schwestern weiterhin auf ihre verschwundenen Angehörigen warten. Dieser Brief, geschrieben in Liebe und Schmerz, ist auch ein Manifest des Widerstands: ein Beweis dafür, dass selbst in den dunkelsten Zellen die Erinnerung überlebt und der Kampf für die Freiheit nicht zum Schweigen gebracht werden kann.

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Jeden Monat veröffentlichen wir eine Übersetzung aus der Zeitung der Sudanesischen Kommunistischen Partei, dem Al-Maidan. Dieses mal veröffentlichen wir eine Erklärung der Sudanesischen Kommunistischen Partei, die sich auf ein Statement der Vierergruppe (USA, Ägypten, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate) bezieht, in der ein Fahrplan zur Beendigung des Krieges im Sudan, zur Bereitstellung humanitärer Hilfe und zur Regelung der politischen Lage bis hin zu einer zivilen Regierung und einer Übergangsperiode vorgestellt wurde – und zwar innerhalb von festgelegten Zeiträumen. 

Der Politischer Vorstand  der Sudanesischen Kommunistischen Partei hat die von der Vierergruppe (USA, Ägypten, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate) veröffentlichte Erklärung zur Kenntnis genommen. Diese schlägt einen Fahrplan zur Beendigung des Krieges im Sudan, zur Bereitstellung humanitärer Hilfe und zur Einleitung eines politischen Prozesses mit dem Ziel einer zivilen Regierung und einer Übergangsphase vor.

Wir begrüßen jede ernsthafte Initiative, die ein Ende dieses verheerenden Krieges ermöglicht, der unser Land zerstört und Millionen Menschen in die Flucht getrieben hat. Ebenso unterstützen wir Maßnahmen, die den ungehinderten Zugang zu humanitärer Hilfe für alle Betroffenen gewährleisten. In der Erklärung finden sich zahlreiche Punkte, die wir teilen, darunter:

  • Der Krieg im Sudan hat die schwerste humanitäre Krise der Gegenwart ausgelöst und bedroht Frieden und Sicherheit in der Region.
  • Die Wahrung der Souveränität, Einheit und territorialen Integrität des Sudan.
  • Es gibt keine militärische Lösung; der Status quo verursacht untragbares Leid und birgt schwerwiegende Risiken.
  • Humanitäre Hilfe muss schnell, sicher und ohne Hindernisse in alle Landesteile gelangen.
  • Schutz der Zivilbevölkerung nach internationalem humanitärem Recht und Verzicht auf wahllose Angriffe auf zivile Infrastruktur.
  • Die Zukunft des Sudan liegt allein in den Händen des sudanesischen Volkes – durch einen transparenten und inklusiven Übergangsprozess, frei von der Kontrolle der Kriegsparteien.
  •  Ein vorgeschlagener humanitärer Waffenstillstand von drei Monaten soll den Zugang für Hilfsgüter öffnen und in einen dauerhaften Waffenstillstand übergehen.
  •  Extremistische Gruppierungen mit Verbindungen zur Muslimbruderschaft dürfen keinen Platz in der politischen Zukunft des Sudan haben.
  • Ein Ende externer militärischer Unterstützung ist unerlässlich für eine Lösung.
  • Alle Konfliktparteien müssen zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Infrastruktur verpflichtet werden.

Gleichzeitig sehen wir uns verpflichtet, unserem Volk in dieser entscheidenden historischen Phase die folgenden Wahrheiten klarzumachen:

Erstens: Teile der Vierergruppe sowie andere regionale und internationale Akteure tragen Mitverantwortung für den Krieg. Sie hätten ihn frühzeitig beenden können, taten dies jedoch nicht – um eigene Interessen zu sichern: den Sudan als Rohstofflieferant und Absatzmarkt auszubeuten und das Volk durch Erschöpfung gefügig für faule Kompromisse zu machen. Erst das Erstarken islamistischer Kräfte, der Zustrom extremistischer Gruppen sowie die wachsenden Risiken durch iranische und Huthi-Präsenz im Roten Meer, die den internationalen Handel bedrohen, haben diese Mächte veranlasst, zu handeln – nicht etwa ein plötzliches Mitgefühl mit dem sudanesischen Volk.

Zahlreiche Initiativen seit April 2023 sind gescheitert, weil es an verbindlichen Umsetzungsmechanismen mangelte. Auch die aktuelle Erklärung der Vierergruppe droht dieses Schicksal zu teilen. Entscheidend bleibt der Widerstand und die Mobilisierung unseres Volkes durch seine politischen und sozialen Strukturen, um den Krieg zu beenden und die revolutionären Ziele zu sichern.

Zweitens: Die internationalen Kräfte, die an der Entstehung dieses Krieges mitgewirkt haben – von der fehlerhaften Verfassungsvereinbarung über die Einbindung des Militärs in die Macht bis hin zum Massaker an den Protestcamps – verfolgen bis heute das Ziel, die Dezemberrevolution und ihre Forderungen nach Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit zu liquidieren. Ein stabiler demokratischer Zivilstaat kann nur auf Grundlage der Prinzipien dieser Revolution entstehen. Jeder andere Weg führt zur Wiederholung der Krise und zur erneuten Unterordnung unter äußere Interessen.

Wir betonen erneut: Die Lösung liegt im Inneren. Die Widerstandskomitees und andere basisdemokratische Strukturen vertreten die Interessen der Bevölkerung – Verbesserung der Lebensbedingungen, gerechte Verteilung humanitärer Hilfe, Rückkehr der Vertriebenen und Geflüchteten, Wiederaufbau grundlegender Dienstleistungen wie Gesundheit, Bildung, Wasser- und Stromversorgung.

Ein umfassender und gerechter Frieden erfordert ein ziviles, demokratisches und stabiles Regierungssystem, die Entfernung der Sicherheitsapparate aus Politik und Wirtschaft sowie tiefgreifende sicherheitspolitische Maßnahmen: Auflösung der Rapid Support Forces, der bewaffneten Bewegungen und sämtlicher Milizen sowie die Schaffung einer einheitlichen, professionellen Nationalarmee unter ziviler Kontrolle. Straflosigkeit darf es nicht geben – die Verantwortlichen für Massaker, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Revolution müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Ebenso notwendig ist der Abbau der Strukturen des alten Regimes und eine grundlegende Reform des öffentlichen Dienstes.

Wir rufen unser Volk auf, geeint, standhaft und entschlossen den inneren wie äußeren Verschwörungen entgegenzutreten, die Umsetzung der positiven Punkte der Vierergruppe im Interesse des Volkes einzufordern – und darüber hinaus die glorreiche Dezemberrevolution zu vollenden.

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Der vorliegende Text ist die achte These unserer Broschüre „Ein Sturm zieht auf – Thesen zu Krieg, Imperialismus und Widerstand“. Die vollständige Broschüre mit neun weiteren Thesen ist beim Letatlin Verlag bestellbar.

Diese These ist ein Plädoyer dafür, die Kriege und gesellschaftlichen Kämpfe rund um den Globus in ihrer jeweils eigenen Farbe, ihrer eigenen Dynamik und Wahrheit zu betrachten, um ihnen gerecht werden und eine politisch und menschlich richtige Haltung einnehmen zu können. Es ist kein Plädoyer für ideologische Beliebigkeit und politische Prinzipienlosigkeit. Aber es ist ein Plädoyer gegen schablonenhafte, eindimensionale schwarz-weiß-Rasterung von vielschichtigen Situationen, in denen solche Schablonen nicht passen. Zu häufig passiert es, dass in der Bewertung einer Konfliktsituation entweder Partei für einen imperialistischen Player ergriffen oder einer demokratischen Bewegung, die um berechtigte Anliegen kämpft, in den Rücken gefallen wird. Es geht vielmehr um die Frage, welche Wege wir im 21. Jahrhundert gehen müssen – nach dem Ende der Geopolitik des Realsozialismus und unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Kämpfe, die sich nicht nur am staatlichen Paradigma orientieren –, um der komplexen Situation fragmentierter Kämpfe in einer sich herausbildenden multipolaren Weltordnung gerecht zu werden. Dabei gilt es, weder die Fehler des vergangenen Jahrhunderts zu wiederholen noch unsere sozialistischen, feministischen, antiimperialistischen und antikolonialen Prinzipien zu verraten.

Ein zentrales Problem dieser Thematik ist, dass häufig antiimperialistische Geopolitik und das legitime Interesse von Menschengruppen und gesellschaftlichen Kämpfen vor Ort in Widerspruch zueinander geraten. Wenn man so will ein Widerspruch zwischen dem Lokalen und dem Globalen; manchmal auch zwischen existentiellen Überlebensnotwendigkeiten und ideologischen Prinzipien. Dies macht klare ja/nein-, schwarz/weiß-, gut/böse-Antworten schwieriger, wie sie traditionellerweise in realsozialistischen Zeiten noch eher gegeben werden konnten, auch wenn sie schon dort nicht immer gepasst haben.

Iran

Der Jin-Jiyan-Azadî-Aufstand im Iran, welcher im September 2022 auf die Ermordung der Kurdin Jîna Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei folgte, war dem Charakter nach fortschrittlich und richtete sich gegen Frauenunterdrückung, prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse, religiösen Autoritarismus und ethnische Marginalisierung. Die Bewegung war eine heterogene und doch auf der Straße meist geeinte Masse aus Frauen, Jugendlichen, Arbeiter:innen, Gewerkschaftern und ethnischen Minderheiten, vor allem Kurd:innen und Belutsch:innen. Durch die Heterogenität und das Fehlen einer gemeinsamen Dachorganisation der Protestierenden waren die Forderungen nicht einheitlich und reichten von konservativ-religiös über liberal-demokratisch bis zu sozialistisch. Dem Wesen und der sozialen Zusammensetzung der Proteste nach, war es aber das revolutionäre Subjekt der Linken, was auf die Straße ging und für politischen Wandel kämpfte: Frauen, Jugend, Arbeiter:innen und unterdrückte Völker. Die Bewegung trug einen Klassencharakter, welcher sich gegen die herrschende Elite der Mullahs richtete. Dementsprechend fand der Aufstand auch hierzulande in der Linken viel Unterstützung.

Es gab jedoch auch Skepsis bis hin zu Ablehnung seitens eines geopolitisch fokussierten Teils der antiimperialistischen Linken. Grund waren die geopolitischen Folgen, die ein Sturz des Regimes hätte mit sich bringen können: Aufgrund des Fehlens einer starken Organisation oder Partei, die das Machtvakuum füllen würde, bestünde die Gefahr einer US-Intervention. Eine berechtigte Befürchtung, würden die USA und Israel die Chance, mit dem Mullah-Regime ihren größten geopolitischen Gegner in der Region zu beseitigen und eine für sie kontrollierbare westgebundene Regierung einzusetzen, vermutlich nicht ungenutzt lassen. Auch wurde diese Position mit dem Argument der Implikationen einer Schwächung des Iran für den palästinensischen Befreiungskampf begründet. All das ist nicht falsch. Die letzten 80 Jahre haben und auch der Juni 2025 hat nochmal gezeigt, was die USA (und Israel) im Mittleren Osten anrichten und dass wo sie intervenierten nirgends langfristige Verbesserungen für die Bevölkerung entstanden sind, was auch nie ihr Ziel war. Die Entstehung des sogenannten Islamischen Staat im Irak, die Konsolidierung der Taliban-Herrschaft in Afghanistan oder das Willkür- und Gewaltchaos in Libyen sind nur drei eindrückliche Beispiele der jüngeren Geschichte. Während also ein großer Teil der Linken das iranische Volk gegen die Mullahs unterstützte, gab es auch solche, die sich gegen einen Sturz des Regimes und damit gegen die aufständische Bewegung im Iran aussprachen, da diese den USA und Israel in die Karten spielen würde. Stellt dies zwar eine reale Gefahr dar, so ist jedoch die Schlussfolgerung, sich gegen die Befreiung der protestierenden iranischen Bevölkerung von theokratischer Unterdrückung auszusprechen, eine menschliche und gesellschaftspolitische Deformation im Namen eines eindimensionalen Antiimperialismus. Das geopolitische Staatsdenken wird hier in einer schwarz-weiß-Manier entsprechend der Formel „alles, was gegen die USA ist, ist gut und alles, was der USA nutzen könnte ist schlecht“ in einer mechanistischen und von den betroffenen Menschen entfremdeten Weise zum obersten Primat gemacht und fällt dem Kampf der Frauen, Arbeiter:innen, Jugendlichen und unterdrückten Völker im Iran in den Rücken. Gleichzeitig ist seine Argumentation relevant, da eine US-Intervention möglichst verhindert werden sollte. Das macht die Gesamtsituation im Spannungsfeld zwischen lokalem gesellschaftlichem Kampf und geopolitischem Machtgefüge widersprüchlich und kompliziert.

Ex-Sowjetrepubliken von Georgien bis Ukraine

In Georgien haben im Herbst und Winter 2024/25 erneut große Demos und Auseinandersetzungen gegen die korrupte russlandnahe Regierung stattgefunden. Auf mehrere repressive Zensurgesetze und Proteste dagegen, zuletzt das „Agentengesetz“ gegen NGOs und unabhängige Medien, folgte im Oktober 2024 eine Parlamentswahl voller Betrug und Bestechung, durch welche die Regierungspartei Georgischer Traum des Oligarchen Bidsina Iwanischwili sich an der Macht hielt. Hunderttausende protestierten wochenlang auf der Straße, es folgten massive Polizeigewalt und Festnahmewellen. Die Proteste sind Teil eines seit rund 40Jahren andauernden Ringens zwischen Russland-Anbindung und Unabhängigkeitsforderungen, die realpolitisch jedoch oft mit einer stärkeren EU-Anbindung einhergehen. Die von Korruption und Autoritarismus geprägte Politik einer reaktionären Elite, welche das Land repressiv regiert, in der Regierung Geschäfte mit russischen Partnern für die eigene Tasche macht, LGBTIQA+ unterdrückt und sich Stärke und Schutz bei Putin holt, macht es verständlich, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung raus will aus der russischen Wirtschafts- und Einflusssphäre. Viele fordern dabei, auch aus realpolitischen Gründen, einen Beitritt zur EU und stärkere Anbindung an den Westen.

In der Ukraine zeigen sich seit dem „Euro-Maidan“ ähnliche Tendenzen, wobei hier die Einflussnahme des Westens unter Führung der USA eindeutig aggressiver und auch militärisch offensiver ist. Seit dem russischen Angriff dürfte sich die antirussische Tendenz verstärkt haben. Aus westlicher Perspektive stehen wir Forderungen nach EU- und NATO-Beitritten aus unserer Position im Kampf gegen den westlichen Imperialismus meist skeptisch bis ablehnend gegenüber..

Die EU ist kein Instrument der Gerechtigkeit, die NATO schon gar nicht und wir haben vor allem vor Augen, wie westliche Staaten die Welt neokolonial dominieren, wie die herrschenden Kräfte in der EU, allen voran Deutschland, wirtschaftlich schwächere Staaten wie Griechenland, Portugal und Irland im Zuge der Finanzkrise geißelten, den Balkan ausbeuten und an der Grenze Krieg gegen Geflüchtete von Marokko über Libyen und die Türkei bis Polen führen. Aus unserer Realität sehen wir in der Anbindung an dieses Machtsystem keine Lösung. Es ist klar, dass die Mission der EU, USA und NATO nicht ist, dem georgischen oder ukrainischen Volk Frieden oder ein besseres Leben zu bringen, sondern dass dieser Machtblock eigene wirtschaftliche und geostrategische Interessenverfolgt. Die Konferenzen und Treffen1​​​​, auf denen jetzt schon die Ukraine und ihre Ressourcen unter westlichen Konzernen, Finanzakteuren und Staaten aufgeteilt werden, zeigen dies deutlich. Auch ist das, was bei Ende des Krieges von einem „demokratischen“ ukrainischen Staat noch bleibt, wohl nur noch ein zentralisiertes, autoritäres, mit Faschisten durchsetztes Regime, welches in Abhängigkeit und damit unter der Kontrolle des westlichen Imperialismus steht.

Für fortschrittlich Gesinnte in der Ukraine und in Georgien ist jedoch Russland aus der eigenen politischen Realität heraus zur Zeit der Hauptfeind. Auch ist es im Kontext des Ukrainekriegs zu heftigen Diskussionen gekommen, wieso Anarchist:innen sich dafür entscheiden, ins Militär zu gehen. Diese Entscheidung kann man kritisieren! Jedoch wird dabei oft außer Acht gelassen, dass viele Anarchist:innen und andere Menschen in der Ukraine und auch in Georgien vor Repression aus Russland und Belarus geflohen sind. Eine Besatzung durch Russland hätte ernsthafte Konsequenzen für sie. Gleichzeitig haben ukrainische Linke eine Verbindung zu ihrer Bevölkerung und ihrer Heimat, die sich gegen Russlands Angriff wehrt. Der russische Imperialismus und der Kampf gegen ihn hat für ukrainische Linke (und in Russland und Belarus) eine andere Relevanz als in Deutschland, wo wir uns zurecht vor allem auf den westlichen Imperialismus konzentrieren. Dieser regionale politische Kontext, der anders ist als der unsere, muss in der Beurteilung miteinbezogen werden.

Wir stecken nicht in den Schuhen von freiheitlich gesinnten Menschen, die in Ex-Sowjetrepubliken heute unter reaktionären, neoliberalen und korrupten Regimen russlandnaher Autokraten leben und für die eigene Emanzipation eine Annäherung an den westlichen Machtblock befürworten. Und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass in westlichen EU-Staaten zumindest weißen Staatsbürger:innen häufig mehr liberale Freiheiten gewährt werden als in Russland oder in eng an Russland gebundenen Ländern. Dies liegt nicht am „besseren“, „demokratischeren“, „menschlicheren“ Charakter Westeuropas, sondern schlicht daran, dass die Herrschenden hierzulande es sich noch leisten können und nicht unmittelbar von einem Machtverlust ihrer Clique bedroht sind. Der Autoritarismus in Russland ist historisch und aktuell auch ein Produkt der Bedrohung und Einflussnahme durch den Westen. Im Zuge der Militarisierung werden diese demokratischen Freiheiten wie bereits in These 4 ausgeführt auch hier zusammenschrumpfen und die Zustände autoritärer werden, wie im Bezug auf die palästinensische und die kurdische Bewegung bereits zu beobachten ist.

Rojava

Der Vorwurf, dass sich die kurdische Bewegung durch die Zusammenarbeit mit den USA in Syrien zum Handlanger des US-Imperialismus machen würde, ohne dabei die real- und militärpolitischen Machtverhältnisse auf dem Boden und die Realität des kurdischen Volkes, welches sich ständiger Unterdrückung und Vernichtungsversuchen von türkischer, arabischer und teils persischer Seite ausgesetzt sieht, einzubeziehen, kommt ebenfalls aus einer von den real kämpfenden Völkern abstrahierten, ideologisch-kleingeistigen und realitätsfernen schwarz-weiß-Logik. Im Krieg werden die meisten Entscheidungen nicht nach ideologischen Gesichtspunkten, sondern nach überlebensnotwendigen Sachzwängen getroffen. Die „der Feind meines Feindes ist mein Freund“-Logik mag nicht immer ins ideologische Weltbild passen, aber sie ist blutige Realität auf dem Schlachtfeld und muss anerkannt werden, statt den Kämpfenden aus sicherer Ferne selbstgerecht und überheblich den sozialistischen Status abzusprechen, wie es einige Linke in Deutschland tun. Noch dazu haben diese deutschen Linken keine Ahnung vom Mittleren Osten, den sie nicht verstehen, weil sie nur ihr kleines Einmaleins aus dem ML-Grundlagenkurs herunterbeten.

Multiple Perspektiven statt schematische Schablonen

Doch was ist die Lösung für all diese komplexen und multidimensionalen politischen Fragen?

Vorweggenommen: Es gibt keine Patentlösung, keinen Blueprint, keine immer funktionierende Formel, die auf alle vielschichtigen Situationen anwendbar ist. Wenn dem so wäre, hätten wir das Problem nicht. Ein erster Schritt auf dem Weg zu einer lösungsorientierten, gerechten, sozialistischen Haltung wäre aus westlicher Perspektive, die Komplexität und Multidimensionalität der Gesamtsituation anzuerkennen und einen bewussten Perspektivwechsel zu versuchen, um die Situation aus Sicht der betreffenden Gesellschaften, welche unter der Herrschaft eines anderen Machtblocks stehen als wir, zu begreifen. Dies ist wichtig, um nicht den Fehler zu machen, ihnen durch eine schematische Bewertung aus der Realität unserer eigenen Kampfposition heraus in ihrem Kampf in den Rücken zu fallen oder zu whitesplainen2. Dabei muss jedoch klar sein, dass unser Hauptfeind der westliche Imperialismus bleibt. Linke Irrwege, die den Westen als „kleineres Übel“ oder „fortschrittlicher“ gegen Russland, China oder Staaten des Mittleren Ostens behaupten wollen, stellen eurochauvinistische Degenerationen des Sozialismus dar. Der autoritäre Charakter von Regimen muss historisch-materialistisch3 hergeleitet und erklärt werden und stammt nicht aus einem „reaktionären Geist“ der betreffenden Nationen oder Kulturen. Wer solche Erklärungsmuster ernsthaft zu Rate zieht, beschreitet gefährliche Wege des Nationalismus, Chauvinismus, Rassismus und Imperialismus. Für uns darf es kein unüberwindbarer Widerspruch sein, dass wir primär unseren eigenen Imperialismus bekämpfen und demokratische Kräfte in anderen imperialistischen Einflusssphären primär ihren. Es gilt, die unterschiedlichen Ausgangspositionen zu berücksichtigen. Diese verschiedenen Perspektiven einnehmen zu können, ist eine Stärke und die Voraussetzung für die Überwindung imperialistischer und unterdrückerischer Politik. Eine Positionierung aufseiten der kämpfenden Völker ist zentral. In diesem dritten Weg der eigenen Kraft liegt die strategische antiimperialistische Perspektive.

Prinzipien und Realpolitik

Doch damit sind noch nicht die Widersprüche der oft zwingenden real- und machtpolitischen Erfordernisse des praktischen Kampfes aufgelöst. Unsere Position als kämpfende gesellschaftliche Kräfte ist zur Zeit an keinem Ort der Welt so stark, dass wir es uns leisten könnten, unabhängig unseren Weg zu gehen, ohne machtpolitische Allianzen und taktische Bündnisse zu schließen. Das Dilemma liegt darin, dass wir aus der materiellen Ausgangslage des Kapitalismus kommen und in ihr anfangen müssen, zu arbeiten, da es nicht möglich ist, Frieden und Sozialismus aus dem Nichts zu schaffen. Aufgrund existentieller Fragen wie gesellschaftlicher Versorgung oder Sicherheit ist es darum in vielen Situationen unumgänglich, sich realpolitischen Fragen zu stellen und auf dieser Ebene geopolitische Zugeständnisse zu machen. Wie bereits in These 6 ausgeführt, liegt die Kunst der revolutionären Politik darin, taktische Realpolitik mit dem strategischen Aufbau des eigenen Systems zu verbinden. Alle großen Revolutionen der Geschichte und Gegenwart mussten das tun. Dabei können Prinzipien und Taktik miteinander in Konflikt geraten. Sich in diesen Widersprüchen politisch clever zu bewegen, ist die revolutionäre Kunst und erfordert Kreativität und Innovation. Auch hier sind starrer Schematismus und realitätsferne Schablonen ein Hindernis. Vielmehr ist es von Nutzen, die Multidimensionalität einer Situation oder eines Konflikts und die komplexen Widersprüche in ihr anzuerkennen und gleichzeitig die Perspektive „von oben“ (Geopolitik) und „von unten“ (Bevölkerung/Gesellschaft) einnehmen zu können, um potenziell zu einer realpolitischen und doch gerechten Lösung zu gelangen. Dass dies nicht immer zufriedenstellend gelingt und man in in der Realität mitunter schmerzhafte Abstriche und Kompromisse machen wird, ist ebenfalls die Realität der Politik.

Unser Anspruch sollte dabei aber bleiben, den Interessen und Realitäten der ausgebeuteten und unterdrückten Menschen und Menschengruppen (Klassen, Geschlechter, Ethnien, Konfessionen, Individuen) gerecht zu werden und nicht nur von Staaten auszugehen. Denn mechanistische Geopolitik ohne Menschen- und menschlichkeitsbezogene Perspektive führt zu gesellschaftspolitischer Deformation. In dem Sinne sollte unsere Bewertung von anderen Kämpfen immer eine Orientierung an den demokratischen, klassenkämpferischen, sozialistischen und feministischen/antipatriarchalen Kräften vor Ort und ihren Forderungen beinhalten. Dabei dürfen wir jedoch unsere eigene Position und Aufgabe nicht vergessen und uns in einen Machtkampf zwischen imperialistischen Playern auf einer Seite hineinziehen lassen. Auf der Gegenseite sollten wir uns im Bezug auf die kämpfenden Kräfte vor Ort keine Illusion über die realpolitischen Notwendigkeiten der praktischen Politik in der echten Welt machen und weltfremden Theoriedogmen oder idealistischem Moralismus verfallen.


  1.  https://www.ukraine-wiederaufbau.at/wiederaufbau/international ↩︎
  2. Paternalistische, latent-rassistische Handlung, bei der aus der (unbewussten) selbstverständlich-arroganten Überzeugung, besser zu verstehen als die Betroffenen, Weiße Nicht-Weißen ihre Probleme erklären und ungefragt Ratschläge geben (welche häufig an der Realität vorbei gehen). ↩︎
  3. Der historische Materialismus ist die Geschichtswissenschaft, welche von Marx und Engels entwickelt wurde. Er besagt, dass die gesellschaftliche Entwicklung und die Veränderungen in der Geschichte hauptsächlich durch materielle Produktionsverhältnisse bestimmt werden. Das bedeutet, dass die Art und Weise, wie Menschen produzieren und ihre wirtschaftlichen Beziehungen organisieren, die Grundlage für die gesellschaftlichen Strukturen, politischen Systeme und Ideologien bildet. ↩︎

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Jeden Monat veröffentlichen wir eine Übersetzung aus der Zeitung der Kommunistischen Partei Sudan, dem Al-Maidan. Dieser Artikel umfasst den dritten und  vierten einer vierteiligen Serie, die sich mit der Rolle der US-Regierung und den möglichen Perspektiven und Zielen internationaler Verhandlungen beschäftigt.

Teil III

Die US-Regierung setzt ihre intensiven Bemühungen fort, um – in Abstimmung mit den direkt oder indirekt beteiligten internationalen und regionalen Akteuren – eine politische Einigung zu erreichen, die den verheerenden Krieg im Sudan beendet. Dies geschieht unter der Aufsicht des sogenannten „Vierer-Mechanismus“, der nun erweitert wurde, um Großbritannien – Gastgeber der letzten Sudan-Konferenz – und Katar einzubeziehen, das enge Beziehungen zu islamistischen Bewegungen in der Region unterhält.

Nach Katars Eintritt in diesen Prozess gab es bemerkenswerte Leaks über geheime Pendeldiplomatie hinter den Kulissen. Demnach fanden in diesem Monat in Doha geheime Treffen statt, initiiert von einem katarischen akademischen Forschungszentrum. An diesen Treffen nahmen mehrere führende Mitglieder des Nationalkongresses – dem Flügel, der Ali Karti ablehnt – sowie Vertreter der Regierungen der USA, Großbritanniens, Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate teil. Es wird vermutet, dass das Ziel dieser Gespräche darin bestand, die internen Konflikte innerhalb der islamistischen Strömung beizulegen und den Boden für ihre Beteiligung an der kommenden politischen Einigung zu bereiten – unter dem Deckmantel „nationaler Fachkräfte“.

Diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass bestimmte Persönlichkeiten wieder in exekutive Machtpositionen zurückkehren könnten – im Gegenzug für Zusicherungen, dass keine Verfahren zur Rechenschaft oder Strafverfolgung eröffnet werden. Beobachter sind der Ansicht, dass es sich dabei um einen Teil einer umfassenden politischen Einigung handelt, die als nationale Roadmap zur Beendigung des Krieges vermarktet werden soll. Andere sehen darin jedoch den Versuch, die Reihen innerhalb der islamistischen Bewegung neu zu ordnen, um ein neues Bündnis mit Teilen der militärischen Führung zu schmieden.

Diese Schritte verdeutlichen die Befürchtung der Vierergruppe, dass der sudanesische Staat kollabieren könnte, und ihr Bestreben, ihre Interessen im Land – insbesondere in der Region des Roten Meeres – zu schützen, indem sie die Lage stabilisiert und ein Abrutschen in Chaos oder eine erneute militärische Eskalation zwischen den Konfliktparteien verhindert.

Es ist jedoch offensichtlich, dass diese Bemühungen den alten Kurs reproduzieren, der bereits nach dem Sieg der Dezemberrevolution 2018 versucht wurde: eine Einigung, die zu einer formalen Zivilregierung mit neuen Gesichtern führt, gestützt auf ein Bündnis mit dem Militär und flankiert von internationaler und regionaler Unterstützung. Obwohl diese Schritte als Maßnahmen zur Beendigung des Krieges, zur Öffnung humanitärer Korridore und zur Bildung einer zivilen Übergangsregierung präsentiert werden, sind sie im Kern brüchige Lösungen, die darauf abzielen, das Bewusstsein der Massen zu trüben und die Volksbewegung daran zu hindern, ihre wahren Ziele – Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit – zu erreichen.

Teil IV

Die sudanesische Krise: Amerikanische Einigung oder systematische Zerschlagung?

Der Krieg im Sudan ist längst kein bloßer Konflikt zwischen zwei bewaffneten Lagern mehr. Er hat sich zu einer offenliegenden Bühne eines schmutzigen internationalen und regionalen Machtkampfs entwickelt, dessen Details aus fernen Hauptstädten gesteuert werden – während seine Werkzeuge vor Ort mit dem Blut der Sudanesen bezahlt werden. Das Land ist zum Schauplatz von Einflussdeals und Interessensbalancen geworden, und einige seiner politischen und militärischen Kräfte haben sich zu Stellvertretern dieser oder jener Seite gemacht – jeder bemüht, sich einen Platz auf der Landkarte nach der Zerstörung zu sichern.

Zwischen der „Dschandschawid-Regierung“ im Westen des Landes, die außer Waffen und dem Gedächtnis an Massaker keine Regierungsinstrumente besitzt, und der „Regierung von Port Sudan“, die eine zerlumpte zivile Fassade einer militärischen Herrschaft darstellt, die mit Überbleibseln des alten Regimes verbündet ist, zerreißt der Sudan zwischen zwei Herrschaftsformen ohne Legitimität, ohne Projekt und ohne Moral. Beide führen einen Existenzkampf im Auftrag ihrer ausländischen Förderer – beide bis zum Hals versunken in Abhängigkeit, Korruption und Verbrechen.

Im Hintergrund agieren die US-Regierung und die „erweiterte Vierergruppe“ als diejenigen, die die Fäden in der Hand halten – nicht um den Krieg zu beenden, sondern um die Szenerie neu zu gestalten, und zwar auf eine Weise, die ihre Interessen sichert: eine faktische Teilung des Sudan, begleitet von einer weichen Einigung, die den regionalen Akteuren ihre Hebel bewahrt und einige Täter unter dem Etikett „neue Zivilisten“ rehabilitiert. Diese jedoch, wie die Realität längst gezeigt hat, verkörpern nur ihre eigene Enttäuschung und ihre beschämende Bereitschaft, alle von der Revolution erhobenen Parolen preiszugeben.

Die jüngsten Entwicklungen zeigen zudem, wie brüchig der Konsens innerhalb des Viererkomitees selbst ist. Tiefe Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedern, ausgelöst durch direkte Interessenkonflikte mit den Kriegsparteien, traten offen zutage. So wurde das für Ende Juli geplante Treffen trotz intensiver Vorbereitungen ohne klare Begründung abgesagt. Während einige eine Ausweitung der internationalen Beteiligung befürworteten, hielten andere am engen Viererrahmen fest. Diese Spaltungen bestätigen, dass die sudanesische Lage Geisel verflochtener regionaler und internationaler Machtbalancen geworden ist – eine Geisel, deren Fesseln jeden echten Lösungsweg blockieren und die Krise weiter verkomplizieren.

Die amerikanisch-golfarabische Wette gilt nicht dem sudanesischen Volk, sondern der Fähigkeit, es durch altbewährte Werkzeuge zu unterwerfen: Milizen, die das Land mit Gewalt kontrollieren, eine faktische Herrschaft, die sich hinter regionalem Schutz verschanzt, schwache zivile Eliten, die zur Zierde eines Projekts aus Zerschlagung und fauler Einigung dienen, sowie ein internationales System, das die Rhetorik von „Frieden“ und „zivilem Übergang“ neu auflegt, nachdem es längst jede Prinzipien- oder Wertebindung aufgegeben hat.

Was hier geschieht, ist keine Lösung, sondern eine Neuauflage der Zerstörung – ein weicher, verschwörerischer Putsch mit diplomatischer Fassade, der das Ziel verfolgt, den Rest des Traums von einem Nationalstaat zu liquidieren und einen Sudan zu zementieren, der erschöpft, zerstückelt, aufgelöst und unter ausländische Vormundschaft gestellt ist, dessen Reichtümer von Botschaften und Sicherheitsfirmen verwaltet und dessen Führungen in geschlossenen Räumen bestimmt werden, in denen kein Platz für die Stimme des Volkes ist.

Doch das Volk, das die härtesten Diktaturen gestürzt hat, wird sich nicht erneut unter dem Banner einer „Einigung“ zur Schlachtbank führen lassen. Der Widerstand – trotz Vertreibung und Zerstörung – trägt immer noch seine lebendige Glut und ein Gedächtnis aus Feuer.

Dieser Deal wird nicht durchgehen – so wie auch in der Vergangenheit kein Versuch, der Revolution eine Vormundschaft aufzuzwingen, durchgegangen ist. Der einzige Weg zur Rettung führt nicht über ausländische Hauptstädte und nicht über die Deals der Stellvertreter, sondern beginnt mit der Mobilisierung der Vorhut nationaler und demokratischer Kräfte, um eine breite Volksfront zu schaffen, die ein vollständiges, radikales Veränderungsprojekt auf den Tisch legt – kein fragmentiertes –, und die die Volkssouveränität als einzige Referenz für jede Lösung, jede Legitimität und jede Zukunft wiederherstellt.

Die Alternative liegt nicht zwischen den Dschandschawid oder Port Sudan, nicht zwischen der Vierergruppe oder Unterwerfung – sondern zwischen dem Sudan, den wir wollen, und einem Sudan, der nach den Maßen der globalen und regionalen Imperialismen zugeschnitten ist.

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In der letzten Augustwoche kamen zeitweise über 1400 Menschen im Kölner Grüngürtel zusammen, um sich am Rheinmetall Entwaffnen-Camp zu beteiligen.

Eine lange und aufregende Protestwoche ist vorüber, doch der antimilitaristische Kampf geht natürlich weiter. Nach dem größten bisherigen Rheinmetall Entwaffnen-Camp sprechen wir erneut mit dem Bündnis.


Protest angekündigt, Camp verboten, gerichtlich gewonnen und dann mit Rekordzahl das Camp durchgeführt. Zahlreiche Veranstaltungen, Blockaden und Aktionen fanden statt und zum Abschluss dann ne aufgelöste Demo mit 11-Stunden-Kessel.
War gut was los in Köln letzte Woche, oder? Habt ihr mit so viel Aktion gerechnet?

Es war definitiv eine sehr aktionsreiche und erfolgreiche Woche in Köln! Wir waren uns schon vorher im Klaren darüber, wie die aktuelle Lage gerade international ist und in Deutschland. Also dass es seit dem letzten Jahr in Kiel seitens der Politik hier in Deutschland wirklich drastische Schritte gab und das an der Gesellschaft und vor allem an Jugendlichen nicht vorbeigeht. Dazu beschäftigen sich viele Gruppen und Organisationen in Deutschland mehr und mehr mit der

Aufrüstung und Militarisierung und waren so auch mehr auf dem Camp vertreten. Viele von uns wollen handeln und nicht nur erzählen – wir wollen wirklich diese Kriege stoppen.

Das wollen wir mit der Organisierung von uns allen. Und auch mit Aktionen – die Arbeiter:innen in Genua haben gezeigt, dass Aktionen nicht nur symbolisch, sondern wirklich etwas verändern können. Und genau diese Energie hat sich auf dem Camp gezeigt – mit den zahlreichen Aktionen in und um Köln. Also zusammenfassend haben wir schon damit gerechnet und schon die letzten Monate gesehen, was alles passiert gerade, aber während der Woche war es trotzdem sehr beeindruckend und hat allen viel Kraft und Mut geschenkt!

In unser aller liebsten Leitmedien liest man ja allerlei erstaunliche Horrorgeschichten und Gefahrenszenarien über die „Antimilitärparade“ und Demonstration vom Samstag.
Bei Gasflaschen auf dem Lautsprecherwagen, Massenbewaffnung und geklauten Schusswaffen – Da war ein derartiger Einsatz bestimmt gerechtfertigt, oder? Was war da eigentlich los?

Dass viele Medien Lügen über die Demo verbreiten, ist wie schon immer Teil von der Strategie uns klein machen zu wollen. Die Angst und das Wissen, dass das Camp, diese Demo und der Widerstand im Kessel das Potenzial haben Menschen in Köln und Deutschland mitzureißen und zu zeigen, dass es sehr wohl möglich ist etwas zu verändern und dass wir auf die Straße gehen müssen und können. Die Polizei hat vom Beginn der Demo gezeigt, dass sie unseren Protest stoppen will. Weil alle wissen, was für eine Kraft sich während das Camp gezeigt hat und auch, was für eine Niederlage die erfolgreichen Aktionen für die Polizei und den Staat waren.

Wir ordnen die Provokationen und diese absolut eskalierte Polizeigewalt als Racheaktion an der gesamten Woche, aber auch an dem gesamten letzten Jahr mit der aufkommenden antimilitaristischen Bewegung ein. Sie haben uns immer wieder gestoppt und sehr offensichtlich irgendwelche Gründe herangezogen, die das rechtfertigen sollten: Transpis, Fahnenstangen, Vermummung und am Ende ein Lautsprecherwagen …

Die Polizei hat mit dem Kessel, der Gewalt und der Repression gegen uns am 30. August sehr offen gezeigt, wie die Autoritarisierung des Staates immer weiter voranschreitet und auch weniger verdeckt wird. Presse und Sanis wurden festgenommen und an ihrer Arbeit gehindert. Die parlamentarische Beobachterin der Linken wurde vor laufender Kamera geschlagen und vor allem wurden hunderte junge Menschen vor dutzenden Kameras und Nachbar:innen verprügelt und das teilweise bis ins Krankenhaus. Es gab fast niemanden in diesem Kessel, der nicht verletzt war. Und das alles unter dem Vorwand von Fahnenstangen (die nicht aus Metall waren!), einem Auto mit Wunderkerzen und zwei Party-Helium-Luftballon Flaschen?? Es ist ganz eindeutig, dass das natürlich nicht die wahren Gründe waren und darüber sind wir uns sehr im Klaren. Es wurde versucht, unseren Widerstand zu brechen – das hat definitiv überhaupt nicht geklappt und es war wieder eine totale Niederlage für Polizei und Staat!

Wie waren eigentlich die Reaktionen von Anwohner:innen und Passant:innen? Kommt antimilitaristischer Protest im Stadtpark und lautstarker Widerstand im Vorgarten noch gut an?

Viele Anwohner:innen haben uns unterstützt. Uns wurden Trinkflaschen aufgefüllt und Essen gebracht und es gab sogar eine Konfettikanone für uns. Wir wurden bei der Demo und dem Kessel in unserem Eindruck bestätigt, dass in Köln unser Camp schon gut angekommen ist oder nicht explizit schlecht angekommen ist. Wir denken, dass es dafür verschiedene Gründe gibt, also dass wir uns weiterentwickelt haben, darin auch auf die Stadt einzuwirken, in der unser Camp ist, aber auch, dass die Menschen in der Stadt genauso verärgert sind über die Millionen, die für die Bundeswehr ausgegeben werden oder die Wehrpflicht oder dass Hunderte Menschen, die gegen Krieg protestieren in ihrer Straße komplett verprügelt werden. Wir wissen, es ist noch ein Weg vor uns, noch mehr unseren Protest in Verbindung zu jeder Person in der Stadt oder Region, wo wir sind und leben mitzunehmen. Aber wir denken auch, dass wir auf einem guten Weg dahin sind und das hat Köln gezeigt.

Die Bilder aus dem stundenlangen Kessel waren neben der brutalen Vorgehensweise der knüppelnden Staatsmacht sehr beeindruckend. Gegenüber den Hundertschaften an moralisch entleerten Zweibeinern in Kampfmontur sangen und riefen die eingekesselten Aktivisten stundenlang ohne Pause.
Was sind eure Eindrücke aus dem Kessel? Wie konnte die Stimmung so gehalten werden und was bringt das für die Zukunft mit?

Der Kessel war auf die eine Art und Weise definitiv ein weiterer Erfolg und wirklich historisches Erlebnis für alle! So verprügelt zu werden, mit so einem Aufgebot von Polizisten und Provokationen konfrontiert zu sein und trotzdem niemals aufzugeben und sich nicht darauf einzulassen, ist einfach nur beeindruckend. Wir haben es geschafft, immer wieder uns darauf zu konzentrieren, warum wir auf der Straße sind und warum diese Gewalt so passiert, wie sie passiert ist.

Durch unsere Rufe, Gesänge und Tänze haben die Menschen im Kessel gezeigt, was für einen Willen wir haben, um für Freiheit und Frieden zu kämpfen und dass wir das mit viel Moral machen. Und dass uns eine Polizeikette nicht trennen kann: Denn nicht nur der Kessel war beeindruckend: Auch die Menschen, die 12 Stunden lang danebenstanden und zusammen mit den Menschen gesungen und gerufen haben. Die Sanis, die durchgearbeitet haben, und die Presse, die solidarisch durchgehend die Kamera auf eskalierende Polizisten und rufende Menschen im Kessel gerichtet hat um diese Momente festzuhalten.

Wir alle waren eine Einheit und das ist etwas sehr Besonderes und Das haben alle gespürt! Aus diesen 12 Stunden haben wir nicht nur Kraft, sondern auch Hoffnung für die kommende Zeit gewonnen und wir haben der Welt und auch uns selber gezeigt, zu was wir fähig sind, wenn wir zusammenhalten! Diesen Kessel und die Stimmung kann man echt nicht in Worte fassen, da empfiehlt es sich auf jeden Fall, sich Videos und Bilder anzuschauen und nicht nur auf die Polizeigewalt zu schauen (mit der sich definitiv befasst werden muss, was wir auch machen).

Es ist einfach schön und inspirierend, im Nachhinein die Bilder und Videos zu schauen. von den tanzenden, hüpfenden, singenden und rufenden Aktivist:innen im Kessel und am Rand zu sehen. Das kann echt vielen die Inspiration und den richtigen Schubs gegeben haben, sich uns anzuschließen und weiter auf die Straße zu gehen. Und vor allem zu merken: Wir können den Krieg stoppen!


Checkt auch unser ausführliches Gespräch mit Mila vom Rheinmetall Entwaffnen Bündnis aus, welches direkt vor dem Camp aufgenommen wurde. Unten geht es direkt zum Videointerview.

Außerdem haben wir auf dem Camp unsere Broschüre „Ein Sturm zieht auf – Thesen zu Krieg, Imperialismus und Widerstand“ verteilt. Diese könnt ihr jetzt hier beim tollen letatlin Verlag bestellen.

Lasst uns gemeinsam das Feuer des Widerstandes vom Rheinmetall Entwaffnen Camp weitertragen! Krieg dem Krieg!

Bilder: eigene

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Von Ruzhn, Belutschische politische Aktivistin

Zwischen dem 9. und 11. Juli 2025 startete die Baloch Liberation Front (BLF) Operation Baam, eine koordinierte, landesweite Militärkampagne im besetzten Belutschistan. In nur 72 Stunden wurden über 84 Anschläge ausgeführt, was sie zur größten und synchronisiertesten Offensive der BLF bis heute macht. „Baam“ bedeutet Morgendämmerung auf Balochi und symbolisierte nicht nur eine taktische Eskalation, sondern den Beginn eines neuen strategischen Kapitels im belutschischen nationalen Befreiungskampf.

Der Kontext: Belutschistan unter Besatzung

Belutschistan, die größte Provinz Pakistans nach Fläche und Bodenschätzen, befindet sich seit 1948 in militärischer Besatzung. Trotz geo-strategischer Bedeutung und umfangreicher mineralischer Ressourcen sehen sich die belutschischen Menschen politischer Marginalisierung, wirtschaftlicher Ausbeutung und einer brutalen Counterinsurgency-Kampagne ausgesetzt, geführt von Pakistans Militär und Geheimdiensten.

Der belutschische Widerstand, sowohl bewaffnet als auch gewaltfrei, besteht seit Jahrzehnten. Die Baloch Liberation Front gilt als eine der wichtigsten bewaffneten Formationen, die gegen die pakistanische Herrschaft kämpfen, und operiert vornehmlich in den südlichen und zentralen Regionen Belutschistans.

Was machte Operation Baam anders?

Im Gegensatz zu früheren Guerilla-Aktionen stand Operation Baam für eine High-Level mehrfronten Kampagne. Die BLF behauptet, dass bei der Operation über 50 pakistanischen Militär- und Geheimdienstmitarbeitern getötet wurden, während 51 weitere verletzt wurden. Neun Geheimdienstler sollen an einer Checkpoint-Position in Musakhel gefangen genommen und hingerichtet worden sein.

Wesentliche Merkmale der Operation umfassen:

  • 84 gleichzeitige Angriffe in mehreren Distrikten, darunter Kech, Awaran, Kohlu, Kalat und Dera Bugti.
  • Zerstörung militärischer und Überwachungsinfrastruktur, darunter 7 Mobilfunktürme und 5 Drohnen.
  • Beschlagnahme von Waffen und Dokumenten aus pakistanischen Armeelagern und Konvois.
  • Einrichtung von 22 temporären Kontrollpunkten, um kurzfristige Kontrolle über feindliches Territorium zu behaupten.
  • Koordination über unwegsames Gelände, von der Makran-Küste bis zu den Sulaiman-Bergen.

Das Ziel war deutlich: Militärische Mobilität lähmen, Überwachungskapazitäten zerstören und operative befreite Zonen schaffen. Dies markierte eine doktrinäre Verschiebung von taktischem Stören hin zu koordinierter Störung und psychologischer Dominanz.

Psychologische und politische Kriegsführung

Über den militärischen Erfolg hinaus hatte die Operation Baam ein schweres symbolisches Gewicht. Sie zeigte die Fähigkeit der BLF, den Mythos der Staatsskontrolle herauszufordern und direkt die Infrastruktur der Besatzung anzugreifen. Die Operation war auch eine politische Botschaft an den pakistanischen Staat, an die belutschische Bevölkerung und an die Welt: Der Widerstand ist nicht zerbrochen; er entwickelt sich weiter.

Sie erfolgte zu einer Zeit, in der urbaner belutschischer Aktivismus unter der Führung von Frauen, Studenten und Familien der Verschwundenen zunahm. Operation Baam bildete eine Brücke zwischen Bergen und Städten, Waffen und Stimmen, in einer einheitlichen Erzählung des Widerstands.

Baam im Kontext eines wachsenden Widerstands

Operation Baam brach nicht einfach isoliert aus; sie war die schärfste Klinge einer breiteren Eskalation im belutschischen Befreiungskampf.

Laut einem jüngsten Bericht des belutschischen Innenministeriums verzeichnete die Provinz zwischen dem 1. Januar und dem 11. Juli 2025 501 bewaffnete Vorfälle, die 257 Todesopfer und 492 Verletzte forderten. Von diesen richteten sich 332 Angriffe speziell gegen Staatstruppen, sie töteten 133 Soldaten und verletzten 338. Tötungen von Siedlern sollen im Vergleich zu 2024 verdoppelt worden sein, mit 52 Toten, die bei 14 Angriffen getötet wurden – eine Zahl, die der Staat nutzt, um die Befreiungsbewegung zu diskreditieren.

Die Allianz der bewaffneten Gruppen der Belutschen unter der Führung von Baloch Raaji Aajoi Sangar (BRAS), darunter die BLA und die BLF, hat jedoch die Darstellung des Staates zurückgewiesen. In ihren Erklärungen warf die BRAS dem pakistanischen Militär vor, absichtlich Siedler und nicht-lokale Arbeitskräfte in militarisierten Zonen anzusiedeln, um Zustimmung für die Besatzung zu erzeugen. Sie behaupten, dass staatliche Streitkräfte, Geheimdienstmitarbeiter und die Infrastruktur der Rohstoffindustrie ihre primären Ziele seien.

In ihren eigenen Halbjahresberichten:
•    Die BLA gab 284 Angriffe an, bei denen 724 feindliche Soldaten getötet und 373 verletzt worden seien.
•    Die BLF meldete 302 Angriffe, bei denen 221 Feinde getötet und über 148 verletzt worden seien.
•    Zusammen behaupten die beiden Gruppen, 151 Waffen beschlagnahmt, dutzende Fahrzeuge zerstört und kurzzeitig die Kontrolle über Militärposten übernommen zu haben.
•    53 Kämpfer wurden getötet – 29 von der BLA, 17 von der BLF und 7 Selbstmordattentäter.

Unabhängig davon, ob man den staatlichen Daten oder den Kommuniqués der Widerstandgruppen Glauben schenkt, bleibt eine Wahrheit bestehen: Belutschistan befindet sich in einem Zustand des eskalierenden Kampfes, nicht nur in einer bloßen Sicherheitskrise.

Eine Verschiebung des Gleichgewichts

Die Operation Baam war keine einmalige Machtdemonstration, sondern eine Erklärung der Ausdauer, der Leistungsfähigkeit und der Ausrichtung der Bewegung. Sie signalisierte, dass die Belochistan Liberation Front und die breitere Unabhängigkeitsbewegung sich nicht mehr auf reaktive Verteidigung beschränken, sondern in eine Phase strategischer Durchsetzung eingetreten sind.

Für den Staat war es ein Schlag gegen die Illusion der Kontrolle. Für das Volk der Belutschen war es eine Erinnerung daran, dass der Widerstand lebendig ist. Und für die Welt sollte es ein Weckruf sein: Belutschistan ist nicht nur eine vergessene Peripherie, sondern ein Schlachtfeld für Würde, Souveränität und das Recht auf Selbstbestimmung.

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Der vorliegende Text ist die dritte These unserer Broschüre „Ein Sturm zieht auf – Thesen zu Krieg, Imperialismus und Widerstand“. Die vollständige Broschüre mit neun weiteren Thesen ist beim Letatlin Verlag bestellbar.

Vom Irak über Jugoslawien, Afghanistan, nochmal Irak, Libyen, Ukraine, immer wieder Palästina und zuletzt Iran – wenn der Westen Krieg führt, dann geschieht das nie aus unmoralischen Motiven! Wenn der Westen Krieg führt, dann nur weil er freiheitliche Werte, Zivilisation, Demokratie und internationale Sicherheit verteidigen muss gegen die Barbarei der Anderen, welche diabolische Eigenschaften und grundlos böse Absichten haben. Wir sind die Guten und führen Krieg gegen das Böse.1 Dieses Narrativ ist in allen Kriegseinsätzen des Westens der letzten 35 Jahre mehr oder weniger dasselbe gewesen.2 Praktischerweise deckt sich das Böse dabei rein zufällig immer mit den geopolitischen Gegnern des Westens und die Regionen, in denen Krieg geführt wird, mit westlichen Wirtschaftsinteressen an Rohstoffvorkommen und Handelsrouten.

Im herrschenden Diskurs des Westens wurde „Terrorismus“3 dabei zum Synonym für „das Böse“, insbesondere im Mittleren Osten. Gemeint sind alle (teils durchaus reaktionären) Staaten und Kräfte, die der westlichen Hegemonie im Mittleren Osten, seiner Unterwerfung, Durchkapitalisierung und Eingliederung in den US-geführten Machtblock, entgegenstehen.

Narrative nach 9/11

Ein prägender Zeitpunkt in der Geschichte des „Krieg gegen den Terror“ war der 11. September 2001. Der westliche Imperialismus hat nach diesem Tag eine neue Phase eingeläutet und eine Großoffensive im Mittleren Osten begonnen. Eine US-UK-geführte Militärkoalition begann einen jahrelangen Zerstörungs- und Besatzungsfeldzug erst in Afghanistan, dann im Irak. Offiziell erklärtes Ziel war, die Drahtzieher und Unterstützer von 9/11 zu vernichten, internationale Sicherheit herzustellen und dem Mittleren Osten Freiheit und Demokratie zu bringen. Diese Kriege schadeten jedoch vor allem der Zivilbevölkerung. Zwischen 900.000 und 1,3 Millionen Menschen fielen dem Terror des „Krieg gegen den Terror“ in Irak und Afghanistan zum Opfer – die meisten davon Zivilist:innen.4 Die „Freiheitsmission“5 hinterließ Instabilität in der Region. Die vom US-geführten Westen angestrebten regime changes und ein stabiles nation / state building nach westlichem Vorbild mit Anbindung an das westliche System haben nicht funktioniert. Der Irak ist ein instabiler Staat und Gruppen wie der sogenannte Islamische Staat sind in den Gefängnissen und Foltercamps der US-Besatzung entstanden und sorgen bis heute für große Probleme. Al-Qaida konnte nicht zerschlagen werden und eine ihrer Abspaltungen stellt heute die syrische Regierung. In Afghanistan haben mit Abzug der US-Truppen nach 20 Jahren die Taliban umgehend wieder die Macht übernommen und sitzen fester im Sattel als zuvor. Libyen, welches die NATO 2011 bombardierte, um den antiwestlichen Führer Muammar Gaddafi zu stürzen, versinkt bis heute in Gewalt, Chaos und Willkür, worunter vor allem die Gesellschaft und die vielen Geflüchteten leiden. Die Kriege führten zu massiven humanitären Katastrophen und dienten nicht dem Schutz der Menschen, weder im Mittleren Osten noch im Westen, sondern der Aufrechterhaltung globaler Machtstrukturen. Die realen Interessen der USA in Afghanistan (welches sowohl an China als auch den Einflussbereich Russland angrenzt) und im Irak (der reich an Öl und dessen Kontrolle im Mittleren Osten von zentraler geopolitischer Bedeutung ist) hatten mit Kampf für Demokratie und Menschenrechten von Anfang an nichts zu tun.

Kriege, die unter dem Vorwand geführt werden, den Terrorismus zu bekämpfen, sind in Wirklichkeit Kriege um geopolitische Kontrolle, Ressourcen und die Durchsetzung imperialer Interessen. Durch die Erzählung des „Terrorismus“ und des „Bösen“ wurden und werden militärische Angriffe auf politische Gegner-Staaten gerechtfertigt sowie antiimperiale und antikoloniale Bewegungen delegitimiert6. Im Bezug auf Israels Krieg gegen Palästina wird die Erzählung der „Zivilisation gegen die Barbarei“ bereits seit Langem verwendet. Spätestens jedoch seit dem 7. Oktober wird der palästinensische Widerstand delegitimiert, indem er als islamistisch und barbarisch der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ gegenübergestellt wird. Die palästinensische Gesellschaft wird generalisiert als rückständig und islamistisch dargestellt.7 So wird ein Genozid an zehntausenden Zivilist:innen durch einen vermeintlich „zivilisierten“ Staat als notwendiges Übel im „Kampf gegen die terroristische Hamas“ gerechtfertigt.8 Mit ähnlichen Narrativen konnte Israel als enger US- und NATO-Verbündeter im Nahen Osten die letzten Jahrzehnte Angriffe und Besatzungen im Libanon, Syrien, Iran und dem Jemen durchführen.

Das ultimative Böse als akute Bedrohung

Auffällig ist bei all dem, dass immer wieder massive Bedrohungsszenarien heraufbeschworen wurden, um Kriegseinsätze zu begründen, die offensichtlich einen ganz anderen, nämlich geopolitischen Hintergrund hatten: Die Massenvernichtungswaffen im Irak, die sich als Lüge herausstellten, die Bezeichnung Saddam Husseins als „Hitlers Wiedergänger“, der die Vernichtung der Juden vollenden wolle, die Aussage „Nie wieder Auschwitz“ des grünen Außenministers Fischer zur Legitimation des ersten deutschen Kriegseinsatzes nach 1945 in Jugoslawien, die angebliche Atombombe des Iran im Juni 2025 und das ständig angeblich in seiner Existenz bedrohte Israel: Immer wieder wird mit Superlativen, erfundenen Bedrohungen wie im Irak oder übertriebenen Szenarien wie im Iran die Öffentlichkeit in Angst versetzt, aufgehetzt und damit präventive Militäraktionen, Angriffskriege, ja Völkermorde gerechtfertigt. Die Information, der öffentliche Diskurs, die Medien, die Meinung und Stimmung im eigenen Land, der „Heimatfront“ sind empfindlich wichtig für die Herrschenden wenn sie Krieg führen wollen; darum spielt das Narrativ der Selbstverteidigung gegen einen absolut bösen Feind, der uns akut bedroht, eine zentrale Rolle – sozusagen als „rechtfertigender Notstand“.

Wir schreiben das nicht, weil wir denken, dass die Beurteilung der Kriege in Irak oder Afghanistan in der deutschen Linken und Gesellschaft sonderlich kontroverse Themen sind (mit Ausnahme des Genozids in Palästina). Wir schreiben das, weil die Logiken und Dynamiken hinter diesen Erfahrungen nicht tot sind und wir in der deutschen Aufrüstung und Kriegsvorbereitung gerade ein Wiederaufleben dieser Narrative sehen und die Haltung einiger Linker dazu bei uns große Fragezeichen auslöst.

Ukraine, Russland und die deutsche Militarisierung

In der Linken in Deutschland sind in den letzten Jahren seit Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine vermehrt verwirrte Aussagen zur stattfindenden Militarisierung und eine fragwürdige Positionierung zum eigenen imperialistischen Staat zu beobachten. Konkret zur Involviertheit des deutschen Staats wie z.B. Waffenlieferungen haben sich mitunter diametrale Positionen gebildet. Das Narrativ „Wir sind die Guten und führen Krieg gegen das Böse“ taucht dabei auch in der Linken wieder auf. Eine Analyse der zugrundeliegenden Geschichte in der Ukraine, der russischen, europäischen und US-amerikanischen Interessen und der materiellen Prozesse, die zu dieser Konfrontation geführt haben, bleibt häufig aus. Solche Analysen müssen aber stattfinden, wenn man sich als Linke nicht einfach stumpf der imperialistischen Staatspolitik und ihrer Propaganda der „Verteidigung der Freiheit“ ergeben will:

Die geopolitische Situation in der Ukraine

In der Ukraine treffen die Interessen dreier imperialistischer Blöcke aufeinander: Erstens die EU, welche eine wirtschaftliche Osterweiterung will und aufgrund des Interesses an der Ukraine als Wirtschaftsraum für billige Arbeitskräfte und neue Absatzmärkte von dieser forderte, die Eigenständigkeit zwischen den Lagern aufzugeben und sich dem europäischen Macht- und Wirtschaftsblock anzuschließen. Zweitens die Amerikaner, die geostrategische Interessen an der Ukraine in ihrer Expansion gen Osten haben. Und drittens das russische imperiale Interesse an der Ausweitung bzw. Aufrechterhaltung des eigenen wirtschaftlichen und politischen Zugriffsbereichs und der Verhinderung der NATO- und EU-Osterweiterung. Zugrunde liegen allen drei Machtblöcken, egal wie sie ihre Politik ideologisch rahmen, dieselben Interessen: wirtschaftliche. Es geht um die Bodenschätze im Donbass, Absatzmärkte und Arbeitskräfte, sowie den geostrategischen Standort – um die Expansion des eigenen Imperiums. Diese Interessen prallen aufeinander und dadurch ist die Ukraine seit spätestens 2014 zum Spielball zwischen westlichen und östlichen Interessen geworden.

Viele Ukrainer:innen wollten vor dem russischen Angriffskrieg ein Zwischenstaat bleiben: In der EU arbeiten können, aber Güter aus Russland importieren, die dann bezahlbar wären. Die EU aber wollte, dass Ukrainer:innen billig für uns arbeiten und gleichzeitig unsere teuren Güter kaufen. Und Russland wollte das Gleiche andersherum. In den USA gab es in den letzten Jahren widersprüchliche Ansätze der Ukraine-Politik, aber im Grundlegenden sind sie an der Expansion ihrer Hegemonie gegen Russland, China und den Mittleren Osten interessiert. Eine ukrainische Neutralität wurde von keiner beteiligten Seite akzeptiert. Die EU hat bis 2013/2014 versucht, durch Scheckbuch-Politik, dem Angebot finanzieller „Hilfe“ und einem neoliberalen Assoziierungsabkommen die Ukraine unter ihre Kontrolle zu bringen und wirtschaftlich zu unterwerfen, während Russland die Ausschaltung seines Einflusses im Nachbarland hinnehmen und sein Interesse abmelden sollte. Vielleicht hat der Westen, insbesondere die EU, nicht damit gerechnet, dass es so blutig wird. Fakt ist, dass Putin zum militärischen Angriff übergegangen ist und jetzt einen Krieg zur Unterwerfung der Ukraine seinerseits und gegen die Expansion des westlichen Machtblocks führt. Viele westliche Staaten und Konzerne werfen seitdem verstärkt Geld, Waffen und Expertise auf das Schlachtfeld, um am Krieg und Wiederaufbau zu verdienen, den politischen und wirtschaftlichen Zugriff auf die Ukraine nicht zu verlieren und ihre jeweiligen Machtansprüche zu behaupten.

Beide Seiten werfen sich in ihren Narrativen gegenseitig Faschismus vor. Die Wahrheit ist, dass beide Seiten (auf ukrainischer Seite die NATO) imperialistisch sind und zur Durchsetzung ihrer Interessen in Teilen faschistische Streitkräfte unterhalten. Die Interessen der US-geführten NATO und Russlands mit China als Verbündetem sind nicht unterschiedlich, nur entgegengesetzt. Das Gerede von Freiheit gegen Diktatur oder Menschenrechte gegen Barbarei ist moralische Heuchelei, die dadurch funktioniert, dass Russland als erstes den Schritt vom Wirtschafts- zum militärischen Krieg gegangen ist. In anderen Fällen hat der Westen das Gleiche getan wie oben bereits ausgeführt. Putin ist nicht der neue Hitler. Er vertritt sein imperiales Interesse mit militärischen Mitteln, so wie es andere imperialistische Staaten tun. Der russische Angriffskrieg ist völkerrechtlich illegal, moralisch zu verurteilen und die Ukraine hat ein legitimes Selbstverteidigungsrecht. Ihre Tragödie ist aber, dass sie Schauplatz eines imperialistischen Stellvertreterkriegs geworden ist, in dem sie als Schlachtfeld zur Austragung höherer, äußerer Interessen genutzt wird. Es ist nicht gerecht, dass auf Kosten ihres Landes, ihrer Gesellschaft und ihrer Leben ein blutiger, brutaler Machtkampf geführt wird. Es gibt in diesem Krieg jedoch für die Bevölkerung nichts mehr zu gewinnen, genau so wenig für demokratische und fortschrittliche Kräfte. Dafür ist es gewissermaßen zu spät. Deshalb muss ein Waffenstillstand, diplomatische Verhandlungen und dauerhafter Frieden in einer neutralen, demilitarisierten und kooperativen Ukraine das Ziel sein und nicht die ewige Weiterführung des Kriegs. Dass neben Russland auch die westlichen Staaten weiter auf Krieg, Waffenlieferungen und Aufrüstung setzen, liegt an ihren eigenen Interessen in der Ukraine und nicht daran, dass sie das ukrainische Volk oder Menschenrechte interessierten.

Westliche Freiheit vs. russischer Autoritarismus?

Das Argument, was oft für Waffenlieferungen an die Ukraine und auch Aufrüstung und Militarisierung in Deutschland angeführt wird, ist ein angeblich drohender russischer Generalangriff gegen die EU und die NATO, um weitere Länder zu besetzen und Putins Autoritarismus mithilfe prorussischer Kräfte auf andere europäische Gebiete auszuweiten. Unser jetziger Staat sei der bessere und wenn wir uns unsere Freiheit vor einer russischen Diktatur bewahren wollten, müssten wir uns für einen Angriff rüsten. Wie wahrscheinlich all das ist und wie viel westliche Propaganda in diesem Szenario steckt, sei an dieser Stelle zweifelnd dahin gestellt.

Es stimmt aber, dass die Russische Föderation aktuell in vielen Teilen eine autoritärere und reaktionärere Innenpolitik verfolgt als der deutsche Staat. Bürgerliche Grundrechte sind in Deutschland noch eher gültig als in Russland, wenn auch mit Einschränkungen und in ihrer Gänze meist nur für den unkritischen Mainstream der weißen Staatsbürger:innen. Angesichts der brutalen Verfolgung von Anarchist:innen und politischen Oppositionellen und der Unterdrückung von LGBTIQA+ in Russland befinden wir uns in Deutschland aber trotzdem noch in einer verglichen komfortableren Lage. Das westliche Narrativ von der Verteidigung des „Fortschritts“ oder der „Zivilisation“ gegenüber dem „Rückständigen“ bleibt jedoch eine falsche Dichotomie.

Rechtsruck und Militarisierung im Westen

Die Repression gegen die Palästina-Proteste und der zunehmende Rechtsruck der Staatspolitik zeigt das Potential der autoritären Entwicklung auch in Deutschland auf. Auch die Faschisierung in den USA, der ICE-Terror, die Willkür, die sozialen Kürzungen, die Verfolgung politischer Oppositioneller und die weiter zunehmenden Angriffe auf die Rechte von Frauen und LGBTIQA+ zeigen, dass wir uns nicht in einem demokratischeren, progressiveren, sichereren Machtblock gegenüber Russlands Autoritarismus wähnen dürfen, sondern solche Zustände auch im Westen und in Deutschland möglich sind und dies einzig eine Frage der politischen Kräfteverhältnisse ist. Was in den USA gerade an faschistischem Umbau passiert, ist eine Warnung, was uns auch in Deutschland bevorsteht. Angriffe auf die Rechte von Frauen, LGBTIQA+, Migrant:innen, politischen Oppositionellen, Marginalisierten und Arbeiter:innen werden von der CDU-geführten Regierung schon heute durchgeführt oder vorbereitet. Merz ist dabei gerade so viel Trump wie es in Deutschland aktuell möglich ist. Zu Schweigen davon, was uns im Zuge des aufsteigenden neuen deutschen Militarismus noch alles an autoritärer Innenpolitik und sozialem Kahlschlag bevorsteht. Rechtsruck und Faschisierung sind nichts, was von außen kommt. Der Rechtsruck in der deutschen Staatspolitik wird dabei von denselben Kräften vollzogen, welche aktiv und aggressiv auf Militarisierung drängen. Wer also Militarisierung und Krieg gegen Russland aus „progressiven“ Gründen befürwortet, macht sich mit genau denen gemein, die Rechtsruck und Autoritarisierung in Deutschland vorantreiben.

Eine Angst, aus der teilweise Betroffene eine deutsche Militarisierung befürworten, ist ein russischer Faschismus, welcher die homo- und transfeindlichen Zustände aus Russland in weitere Länder expandiert. Ängste vor Verfolgung sollten ernst genommen und nicht einfach abgetan werden! Dem deutschen Staat geht es aber nicht darum, Rechte von Queers in der Ukraine zu verteidigen. Er hat rein machtpolitische und ökonomische Interessen und wird diese in Zukunft auch zusammen mit einem von Neonazis durchsetzen ukrainischen Staat umsetzen, welche sicher nicht für die Rechte queerer Menschen eintreten werden. Der Kampf für Feminismus, gegen Homo- und Transfeindlichkeit ist ein integraler Bestandteil unseres Kampfes und muss auf der gesellschaftlichen und staatspolitischen Ebene geführt werden. Wer aber ernsthaft glaubt, dass eine Verbesserung der Situation unterdrückter Geschlechter und Sexualitäten durch Krieg, Aufrüstung, Militarismus in der Gesellschaft und imperialistische Staatspolitik erreicht wird, an dessen politischer Analysefähigkeit sei an dieser Stelle stark gezweifelt.9 Wer den deutschen Militarismus unterstützt, kriegt den Krieg und Autoritarismus, den er bekämpfen will und das ganz ohne russische Besatzung. Die neokoloniale Ökonomie10, die Unterstützung des Genozids in Palästina und der Krieg der EU gegen Geflüchtete zeigen das reaktionäre Potential der liberalen imperialistischen Staaten, die ihren Liberalismus nur nach innen und auch nur solange es in ihrem Interesse ist und sie es sich leisten können, gelten lassen.

Die vermeintlich alternativlose Wahl zwischen einer liberalen Kriegsunterstützung Deutschlands oder der Unterwerfung unter Putin ist also eine falsche Gegenüberstellung. Das „kleinere Übel“ ist ein analytischer Fehler. Wir sind nicht die Guten. Wir sind nicht das kleinere Übel, das man „verteidigen“ muss. Wer hat uns eigentlich angegriffen? Der Westen und auch Deutschland hat maßgeblich mit zu diesem Krieg und der Konfrontation beigetragen und drängt selbst auf imperialistischen Expansionskurs.

Antisystemische Opposition statt „freien Westen verteidigen“

Es ist nicht die Aufgabe von Sozialist:innen, aus realpolitischem Defätismus imperialistische Staatspolitik zu machen. Wer in dieser Logik argumentiert, weil er oder sie keine Analyse der wirtschaftlichen, machtpolitischen und historischen Gründe der Verhältnisse macht, landet früher oder später bei einem Schulterschluss mit dem deutschen Imperialismus, auch wenn die Ursprungsintention vielleicht Mitgefühl mit den Ukrainer:innen oder Sorge um die von Putin Unterdrückten ist. Aber diese Schlussfolgerung wird nicht zu weniger sondern mehr von allem führen, was wir bekämpfen: Krieg, patriarchale Gewalt, Gleichschaltung, Armut, Rassismus, Nationalismus, Demokratieabbau, soziale Kürzungen. Wer also so weit nach rechts rückt, dass er in einer Querfront mit der eigenen herrschenden Klasse für deren Kriegspolitik eintritt, muss sich mit Recht die Frage gefallen lassen, ob er oder sie Sozialist:in oder einfach deutsche:r Liberale:r ist. Wessen Plan für die nächsten Jahre ernsthaft eine Unterstützung der deutschen Militarisierung im Rahmen einer regressiven nationalen Realpolitik „gegen Russland“ ist, dem sei nahegelegt, ob er oder sie nicht vielleicht direkt zur SPD oder den Grünen gehen sollte – die sind diesen Weg wenigstens schon konsequent zu Ende gegangen.

Der Weg eines wirklichen Kampfes gegen Faschismus und die Unterdrückung von Frauen und LGBTIQA+, Migrant:innen, Geflüchteten, allen Marginalisierten und der gesamten Arbeiter:innenklasse führt nicht über die Unterstützung der Militarisierung eines imperialistischen Staates auf Kriegskurs, sondern über die Stärkung demokratischer, antiimperialistischer Kräfte in Staat und Gesellschaft und das Eintreten für Frieden. Die Aufgabe von Sozialist:innen ist eine Verhinderung weiterer Eskalation und autoritärer Zuspitzung, um die Möglichkeiten demokratischer Politik zu stärken, wahre Alternativen zum imperialistischen System zu schaffen. In Kriegsregimen werden die Bedingungen brutaler, prekärer, reaktionärer als in Friedenszeiten und die Spielräume für politische Opposition, gesellschaftliche Gegenmacht und demokratische Politik schrumpfen. Die lohnabhängige Gesellschaft hat dabei nichts zu gewinnen. Die Perspektive liegt in der Erhaltung und Erweiterung der Spielräume für gesellschaftsdemokratische und klassenkämpferische Politik. Die antifaschistische und sozialistische Strategie führt über das Eintreten für Verhandlungen, Frieden und antiimperialistische Selbstbestimmung.11

1 Merkmale von Kriegspropaganda analysiert u.a. Anne Morelli in „Die Prinzipien der Kriegspropaganda“ (2004)

2 Das Schema ist nicht neu: In der antikommunistischen Hysterie des Kalten Kriegs und den westlichen Kriegen gegen antikoloniale Befreiungsbewegungen wie in Vietnam zeichnete die imperialistische Propaganda ähnliche Bilder. Dies geht meist mit einer rassistischen Erzählung einher. Auch die europäische Arbeiter:innenbewegung wurde teils unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung kriminalisiert. Die Dämonisierung des Gegners zur Rechtfertigung der eigenen Kriegshandlung und Täuschung über die wahren eigenen Motive ist vermutlich so alt wie der Krieg selbst.

3 Die Begriffe Terror und Terrorismus müssen kritisch betrachtet werden, da sie nahezu immer interessengeleitet verwendet werden und dabei kolonial aufgeladen sind und repressiv wirken sollen. Im Westen werden sie vor allem für nicht-weiße Menschen / Organisationen und politisch Widerständige verwendet.

4 https://www.brown.edu/news/2021-09-01/costsofwar

https://www.bundeswehr-journal.de/2015/rund-13-millionen-tote-durch-krieg-gegen-den-terror

5 Enduring Freedom („dauerhafte Freiheit“), Name der Militäroperation in Afghanistan 2001

6 Die rassistisch-koloniale Logik macht oft keinen grundlegenden Unterschied zwischen islamistisch, sozialistisch oder einfach anti-westlich/nationalistisch, sondern behandelt alle aus kolonisierten Ländern stammenden Widerstände als Terroristen/Barbaren. Deutlich wird das z.B. auch an den Kategorien, in denen der deutsche Verfassungsschutz arbeitet: In dessen jährlichem Bericht wird unter „Ausländerkriminalität“ bzw. ausländischer Terrorismus alles nicht als deutsch/westlich definierte von der PKK bis zum IS zusammengefasst, unabhängig von Zielen oder Ideologie.

7 Dieses Narrativ ist eine Kontinuität aus der Kolonialzeit. Damals wurden die Verbrechen der Kolonialmächte legitimiert, indem die Kolonisierten als „primitiv“ und „barbarisch“ gekennzeichnet wurden. Daraus wurde das Weltbild des biologischen Rassismus geprägt, welches Kolonisierte in Zusammenhang mit der Natur setzte und einen hierarchischen Gegensatz zwischen „Natur“ und „Kultur“ aufmachte. Zwar wird diese Form des Rassismus heute für wissenschaftlich überholt erklärt und Begriffe wie „Rasse“ offiziell nicht mehr verwendet, jedoch zeigt sich an der Dynamik, das „Zivilisierte“ dem „Barbarischen“ zur Rechtfertigung westlicher Krieg gegenüberzustellen seine Kontinuität.

8 Im UN-Bericht „From economy of occupation to economy of genocide“ der UN-Sonderbeauftragten für Palästina Francesca Albanese werden auch hier die ökonomischen Interessen hinter dem „Krieg gegen den Terror“ in Gaza beleuchtet (https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/hrbodies/hrcouncil/sessions-regular/session59/advance-version/a-hrc-59-23-aev.pdf).

9 siehe These 2

10 Mehr zur Kolonialismus-Frage in These 9

11 Mehr zu Widerstand und Perspektiven in der zentralen 6. These

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Übersetzung aus dem Al-Maidan

Jeden Monat veröffentlichen wir eine Übersetzung aus der Zeitung der Kommunistischen Partei Sudan, dem Al-Maidan. Dieser Artikel umfasst die ersten zwei Teile einer vierteiligen Serie, die sich mit der Rolle der US-Regierung und den möglichen Perspektiven und Zielen internationaler Verhandlungen beschäftigt.

Teil I

Als Donald Trump das Amt des US-Präsidenten übernahm, befand sich die Welt unter dem Druck dreier Kriege mit regionalem Charakter und globalen Dimensionen.

Der Ukraine-Krieg, der als militärisches Eingreifen Russlands zur Annexion von Teilen des ukrainischen Territoriums begann, entwickelte sich zu einem regionalen und internationalen Konflikt zwischen Russland und der NATO.

Der katastrophale Krieg im Sudan brach aus, nachdem alle Versuche der Deeskalation und der Einigung durch Vermittlung und internationale Interventionen gescheitert waren. Beide Konfliktparteien streben nun danach, weitere Vorteile zu erlangen, um sie als Verhandlungsmasse zu nutzen – insbesondere angesichts erster Anzeichen für eine mögliche Lösung, die sich nach der Wahl Trumps abzuzeichnen beginnen.

Und da ist natürlich der von den USA unterstützte israelische Krieg gegen die Völker des Nahen Ostens, der sich von Gaza und den besetzten Gebieten bis nach Syrien, Libanon, Irak, Jemen und sogar in den Iran erstreckt.

Es scheint, dass das amerikanische Projekt in Bezug auf die Ukraine in eine Sackgasse geraten ist. Im Nahen Osten hingegen arbeitet Washington intensiv daran, Lösungen zu finden, die die US-Interessen sichern und ihre Rolle in der Region festigen – mit dem Ziel, Israel als zentralen politischen und wirtschaftlichen Partner in jedem zukünftigen Projekt zu verankern.

Der Krieg im Sudan hingegen stagniert, während Land und Bevölkerung weiterhin den Preis des Konflikts zahlen – in Form von Blutvergießen, der Zerstörung der Infrastruktur und steigender Zahlen an Toten und Inhaftierten. Auf regionaler und internationaler Ebene geraten die Vermittlungsbemühungen ins Stocken, da die Lage immer komplexer wird. Seit dem Scheitern der Londoner Konferenz, ein Waffenstillstandsabkommen zu erreichen und humanitäre Hilfe zu ermöglichen – was vor allem auf die Verweigerungshaltung der Regierungen von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien zurückzuführen ist – werden derzeit ernsthafte Versuche unternommen, das sogenannte “Quartett” (USA, Saudi-Arabien, VAE und Ägypten) wiederzubeleben, um eine Lösung zu finden, die die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt und den lokalen Verbündeten einige ihrer Forderungen erfüllt.

Berichten zufolge war ein Treffen des Quartetts am 20. Juli in Washington geplant, um Spannungen zwischen den regionalen Akteuren abzubauen. Doch es scheint, dass die Regierungen von Ägypten, Saudi-Arabien und den Emiraten weiterhin unbeweglich auf ihren Positionen verharren, was die US-Regierung dazu veranlasste, das Treffen auf Ende des Monats zu verschieben.

Diese Verschiebung – begleitet von Streitigkeiten um den “sudanesischen Kuchen” – wirkt sich negativ auf das Land aus. Die Krise verschärft sich, der Hunger und die Krankheiten nehmen zu, und die Wellen von Vertreibung und Flucht erreichen ein nie dagewesenes Ausmaß.

Inmitten dieses medialen Lärms und der diplomatischen Bewegungen unter amerikanischer Führung bleiben die entscheidenden Fragen auf den Lippen der Bevölkerung:

Gibt es am Horizont eine reale Hoffnung auf eine Lösung, die dem Krieg ein Ende setzt? Oder handelt es sich lediglich um Manöver, die zu brüchigen Lösungen führen – wie jene, die das Volk schon erlebt hat und die nur eine noch tragischere Rückkehr des Krieges mit sich brachten?

Offensichtlich stellen die Differenzen innerhalb des Quartetts einen Hauptfaktor für die Verlängerung des Krieges dar. Beobachter weisen auf intensive Versuche hin, eine Einigung über die zukünftige Führung der Armee nach einer möglichen Lösung zu erzielen. Gleichzeitig versuchen die Muslimbrüder und ihre Verbündeten, die Lage auszunutzen, indem sie neue Gesichter und Führungspersonen an die Spitze der Militärinstitution bringen…

Teil II

Im ersten Teil gingen wir auf die regionale und internationale Lage sowie auf die Komplexität und die Differenzen zwischen den Akteuren ein, die unter der Schirmherrschaft der US-Administration versuchen, den Krieg zu beenden. Dabei wird ein grundsätzlicher Konflikt zwischen dieser Administration und der ägyptischen Regierung hinsichtlich der Zukunft der derzeitigen Führung der sudanesischen Armee nach dem Ende des Krieges und dem Beginn eines politischen Ausgleichs deutlich.

Kairo besteht darauf, dass die derzeitige Militärführung auch nach dem Krieg im Amt bleibt, aus Angst, dass diese Führungspersonen mit Sanktionen belegt werden könnten. Der Schutz al-Burhans, die Gewährleistung seiner Straffreiheit, die Verhinderung seiner Ausgrenzung aus dem politischen Prozess sowie die Ablehnung einer gegen Ägypten gerichteten oder unabhängigen Regierung – all das ist für die ägyptische Regierung inakzeptabel.

In diesem Zusammenhang wird über Aktivitäten der Muslimbruderschaft und ihrer Führungsfiguren in der türkischen Hauptstadt berichtet, die darauf abzielen, ihren Einfluss innerhalb der Armee durch das Einsetzen alternativer Führungspersonen zu wahren, welche das Vertrauen der Karti-Gruppe und ihrer Verbündeten genießen. Natürlich spielen auch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate eine wichtige Rolle, insbesondere im Hinblick auf ihre Zustimmung zu einer künftigen Einigung. Beide Länder sind bestrebt, ihre wirtschaftlichen Interessen zu schützen – sei es durch die Kontrolle über fruchtbares Ackerland, Viehbestände oder wertvolle Bodenschätze wie Gold.

Die Lage im Sudan wird zusätzlich dadurch kompliziert, dass Russland seine Haltung geändert hat – von der Unterstützung der Rapid Support Forces (RSF) hin zur Unterstützung der Autorität von Port Sudan. Dies geschieht im Bestreben Moskaus, Militärbasen an der Küste des Roten Meeres zu errichten. Gleichzeitig ist auf die militärische und politische Unterstützung Irans für die Autorität in Port Sudan sowie für mit dem politischen Islam verbundene Milizen hinzuweisen – ebenso auf die türkische Unterstützung für die Macht der hohen Offiziere und Ankaras Interesse, seinen Verbündeten, die Dbeiba-Regierung in Libyen, zu schützen.

Im Inneren unterstützen die Gruppen des politischen Islam – einzeln oder gemeinsam – die Autorität von Port Sudan. Dagegen neigen die von der „Tagaddum“-Plattform abgespaltenen politischen Gruppen zur Unterstützung der RSF-Miliz sowie der SPLM-N (al-Hilu-Flügel), die auch als „Gruppe der Gründung“ bekannt ist.

Besonders hervorzuheben sind politische Gruppen mit Stammesbindungen zur Region Darfur, wie etwa Burhan Nasser, der ehemalige Vorsitzende der Umma-Partei. Innerhalb der „Samud“-Plattform gibt es interne Spannungen, und ihre Beziehungen zu regionalen Regierungen wie den VAE werfen viele Fragen auf.

Alle Akteure streben danach, bei den für Ende Juli in Washington geplanten Gesprächen stark vertreten zu sein. Die regionalen wie auch lokalen Kräfte erwarten sich von einer möglichen Einigung einen Platz am Verhandlungstisch – als sogenannte „zivile Kräfte“ – der ihnen eine Rolle in der Nachkriegsordnung sichern könnte.

In diesem Zusammenhang sehen einige Beobachter in einem Waffenstillstand und der Möglichkeit, sichere Korridore unter internationaler oder regionaler Aufsicht für humanitäre Hilfe zu öffnen, einen ersten Schritt hin zu einem diplomatischen Erfolg. Dies könnte das Washingtoner Treffen vorbereiten und die Chancen auf eine Einigung erhöhen, die dem Sudan eine neue Realität aufzwingt – eine Machtteilung zwischen neuen Gesichtern der Konfliktparteien und zivilen Repräsentanten, die das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft – sprich der US-Administration – genießen, innerhalb einer von den USA unterstützten Zivilregierung.

Ziel dieser Art von Einigung ist es, die Akten der Verbrechen und Verstöße zu schließen – ähnlich wie im Rahmenabkommen – unter Berücksichtigung des militärisch-zivilen Kräfteverhältnisses vor Ort. Das Hauptziel ist ein Waffenstillstand oder eine vorübergehende Beruhigung, die dazu dient, die widerständige Bevölkerung und ihre national-demokratischen Kräfte zu betäuben, die wahre Opposition zu spalten und einige ihrer Teile an den Verhandlungstisch – also in den Verrat – zu ziehen: eine Neuauflage des Szenarios von April 2019.

Fortsetzung folgt.

Bild: Public_Domain_Photography (pixabay.com)

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Ob in der Zeitung, bei Insta oder im Fernsehen, in diesen Tagen kommt man um einen Namen nicht mehr herum: Ole Nymoen. Der will nämlich nicht für Deutschland in den Krieg ziehen und eckt damit gerade richtig an.
Während die Kriegstrommeln bei Lanz und Maischberger spätestens seit der «Zeitenwende» verlässlich im Takte schwingen und wir drei Jahre lang den moralischen Melodien von Westliche-Werte-Annalena und Kriegsminister Boris lauschen durften, erleben wir plötzlich erfrischend abwechslungsreiche Töne in Deutschlands Talkshows und den Feuilletonseiten. Plötzlich hören wir eine fast trotzige Oppositionsstimme zu den olivgrünen Kriegstreiber:innen und transatlantischen Friedensaufrüster:innen/Rüstungspazifist:innen. 

Da sitzt plötzlich der Ole Nymoen, den meisten wohl bekannt aus dem Podcast „Wohlstand für Alle“, und verteidigt konsequent, teilweise auch gegen das Publikum, seine Ablehnung gegenüber Wehrpflicht und Kriegstreiberei.


Ich, für Deutschland kämpfen? Never!

Vergangenen Sommer löste er damit fast schon einen kleinen Skandal aus, als er sich in der ZEIT mit einem Kommentar zu Wort meldete – inmitten der aufflammenden Debatte über die dringende Notwendigkeit einer Wehrpflicht. In Windeseile kassierte der gescholtene „Lumpenpazifist“ viel Hass und Gegenrede, sodass er es für sinnvoll erachtete, seine damalige Argumentation nun in einem Buch vertieft darzustellen.

In „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“ begründet Ole Nymoen in leicht verständlicher Sprache, warum er nicht in den Krieg ziehen (und sterben) möchte – nicht im Falle einer kommenden Wehrpflicht und erst recht nicht für einen Nationalstaat wie Deutschland.

Zackbum. Da ist er nun also. Der eigentlich gar nicht mal sooo heiße Hottake. Im Moment ist er aber dann doch eben heiß diskutiert, sind doch all die Lumpenpazifist:innen und wohlstandsverwahrlosten Gen Z-Bengels ein Dorn im Auge der kriegstreibenden Klasse.

Mein Leben ist mir mehr Wert als die Freiheit, die nicht meine ist.

Doch warum hat der Ole denn so ein Problem mit der Wehrpflicht, dass er „lieber in Unfreiheit“ leben möchte als für Freiheit zu sterben 

Nun, treffend stellt er heraus, dass es nicht „sein“ Staat ist: „Ich möchte nicht für mein Land kämpfen, denn was heißt das überhaupt: «mein Land»? Das Possessivpronomen «mein» suggeriert, ich würde eigenes Land besitzen oder hätte zumindest den Ort meiner Herkunft selbst gewählt. Nichts davon ist der Fall: Weder verfüge ich über einen einzigen Quadratmeter dieses Landes selbst noch habe ich es mir als meine Heimat ausgesucht.“ (S. 113)

Um wessen Freiheit geht’s hier eigentlich?

„Der Staat ist also kein nützlicher Diener des Volkes, sondern umgekehrt: Das Volk ist dem Staat und seinen Zielen ausgeliefert.“ (S. 62)

Für Ole Nymoen ist also klar, dass es nicht seine Interessen sind, die mit einer Wehrpflicht verteidigt werden sollten. Denn „Staaten sind […] Herrschaftskonstrukte, deren Existenz für die Untertanen alles andere als funktional ist. Der Staat ist kein Dienstleister am Volk, der gnädigerweise Sicherheit und andere Wohltaten gewährt, sondern spannt umgekehrt seine Bürger für die eigenen Zwecke ein, von denen sie oftmals wenig haben.“  Hier sieht es Ole Nymoen wie Karl Marx:“Staatsbürger zu sein, ist kein Glück, sondern ein Pech.“ (S. 59)

Damit macht er natürlich einen guten, richtigen und wichtigen Punkt, der immer wieder hochgeholt wird, wenn das nationale „Wir-Gefühl“ der demokratischen Gemeinschaft gepusht werden soll. „Wir sind Papst; Wir sind Weltmeister; Wir sind sogar Exportweltmeister.“ Bei dem beschworenen „Wir“, welches nun ein „Wir müssen uns verteidigen“ ist, geht es niemals um eine solidarische, humanistische Gesellschaft. Es geht immer nur um die Legitimierung einer Politik, die eigentlich nicht im Interesse der Gesellschaft ist. Wir sollen verdammt nochmal den Gürtel enger schnallen, damit sich „unsere deutschen Kriegskassen“ füllen. Und beim Duschen gefälligst sparen, um als „einer von 80 Millionen für den Energiewechsel“ zu sorgen. Wir sollen teurere Lebensmittel akzeptieren und zum Freiheitsdienst antreten, damit „unsere Freiheit“ beschützt wird. Cleverer Schachzug, um die Verantwortung von Vater Staat auf die Gesellschaft zu projizieren.

Unser Krieg ist doch kein Krieg!

Ole Nymoen geht auch auf die verzerrte Darstellung und die Debatte darüber ein, welche Rolle Deutschland im Kriegsgeschehen eigentlich einnimmt. Denn selbstverständlich will in Deutschland niemand Krieg, gottbewahre ! Sowieso wird Krieg in der Regel nicht als Angriff, sondern vielmehr als ein notwendiger Akt der Verteidigung benannt, da „es sich um ein reines Defensivmanöver handele, das ihm [dem Staat] vom Rest der Staatenwelt aufgezwungen wurde.“ (S. 35)

Die Logik ist bekannt. 2022 begann Russland keinen Angriffskrieg, sondern eine „militärische Spezialoperation“; türkische Bombardements gegen Kurden in Nordsyrien sind immer nur „Terrorabwehr“, und die USA als „Weltpolizei“ waren ja sowieso immer wieder gezwungen, in aller Welt militärisch „zu intervenieren“. Deutschland hat die „Freiheit am Hindukusch verteidigt“ und auch jetzt geht es Baerbock und Konsorten sowie nur um die „Verteidigung westlicher Werte“ – nur jetzt halt auch mit Wehrpflicht und Waffenlieferung. Aber bloß nicht mit Kriegsbeteiligung.

Dass der aktuelle Aufrüstungskurs sehr wohl in einer aktiven Kriegsbeteiligung aufgeht, ist in verschiedenen Publikationen und Planspiele staatstreuer Thinkthanks sichtbar: Während 2013 schon von „Neuer Macht und neuer Verantwortung“ in der deutschen Außenpolitik gesprochen wurde, wurde im „Grünbuch ZMZ 4.0“ die Rolle als logistische Drehscheibe Anfang des Jahres exakt berechnet und durchgespielt.

Sind wir nicht alle ein wenig Schwarz-Rot-Gold?

Für die notwendige Rückendeckung an der Heimatfront braucht es eben eine andere Erzählung: „Wenn die Rede davon ist, dass der Staat Y «sich selbst» verteidige, wird genau diese Unterscheidung zwischen Volk und Führung verwischt“ (S. 42) und der Gesellschaft der jeweiligen Staaten wird suggeriert, die Verteidigung von Nationalstaat und Bürger:in sei das selbe: ,,Dass jeder Staat seine eigene Klassengesellschaft verwaltet, wird gern kaschiert in nationalistischen Formulierungen von «unserem Wohlstand», « unseren Steuergeldern» oder «unseren Grenzen». Das nationale «Wir», das heraufbeschworen wird, ist eine verlogene Fiktion: Erweckt werden soll der Eindruck, dass der Nationalstaat ein gemeinsames Projekt sei, das nur zum Nutzen der Bürger ins Leben gerufen wurde – auch wenn das Gegenteil der Fall ist. “ (S. 82)

Die Peitsche für diese entlarvende Argumentation holte er sich bei einem Late-Night-Auftritt, so treffend wie ehrlich, von der deutsch-ukrainischen Maria Weisband (natürlich ist sie eine Grüne) :

,,Das, was mich an deiner Argumentation stört, Ole, ist, dass du keinerlei Ownership an der Gesellschaft zu haben scheinst. Ich hab das Gefühl, du bist Anarchist und das finde ich absolut sympathisch, da viben wir, aber ich glaube, gerade aus so einer Perspektive heraus habe ich eine Ownership. Der Staat ist nicht etwas Externes, der nur dabei ist, mich zu unterdrücken, sondern diese Gesellschaft ist grundsätzlich etwas, das ich mitgestalte.“ Als wollte die Grünen-Politikerin alles untersteichen,was Ole sagt.

Doch der bennnt sehr gut, dass es nicht, wie so häufig es auch konstruiert wird, das gleiche ist, seine Familie auf der Straße gegen einen direkten Angriff oder einen Nationalstaat an einer anderen Landesgrenze zu verteidigen: „Während bei einer Gewalttat zwischen Privatpersonen die angegriffene Seite tatsächlich sich selbst verteidigt, also mit eigener Gewalt das eigene Leben schützt, ist es beim Staat anders. Wo dieser angegriffen wird, verteidigen sich die Staatschefs bekanntlich nicht selbst, sondern entsenden Dritte zum Schutz der eigenen Souveränität“(S. 41)

Ein Denkansatz ohne Lösungsperspektive

Im letzten Kapitel geht Ole Nymoen noch auf einzelne Kommentare ein und damit auch auf den Vorwurf, dass seine Argumentation eine Ich-zentrierte ist. Dem entgegnet er überraschend: „menschliches Wir, soziales Miteinander [ist] für mich die wohl stärkste Triebfeder meiner publizistischen Arbeit“. (S. 127) 

Diese Motivation soll ihm auch nicht abgesprochen werden. Doch es ist tatsächlich schade, dass es Ole Nymoen dabei bestehen lässt, keine Perspektive für einen gesellschaftlichen Umgang mit der zunehmenden Militarisierung darzustellen und lediglich einen theoretichen Denkansatz zu bieten: „Dieses Buch liefert keine politischen Lösungen“ (S. 22).  Seine Argumentation zur Ablehnung der Wehrpflicht und seiner Antikriegshaltung basiert vor allem auf der materialistischen Haltung heraus, er sei nicht bereit, für den Staat zu sterben: ,,Ich will nicht in Schützengräben liegen, in ständiger Furcht, von Bomben oder Granaten zerfetzt zu werden.“(S. 114)

Zwar macht er klar, dass er nicht einfach nur ein hippiesker Pazifist ist und es daher ,,eine Menge [gibt], wofür [er] zu kämpfen bereit wäre“ (S. 130). Doch dieser Teil bleibt nur vier Seiten lang und liest sich wie die Beschreibung einer fernen, gar unrealistischen Utopie eines „modernen Sozialismus“. Es ist alles in allem aber doch sehr unkonkret.

Damit erfüllt er nicht nur das Klischee des „Anti-Alles-Linken“. Er verpasst auch die Gelegenheit zu argumentieren, warum es kollektive Gründe der Arbeiterklasse und der gesamten Gesellschaft gibt, nicht für die Nationalstaaten als Kanonenfutter sterben zu wollen und somit den Krieg zu verraten.

Ole Nymoen will keine Verantwortung für den Staat übernehmen, verständlich. Doch es scheint so, als wolle er dies auch nicht für die Gesellschaft tun.

Wofür wollen wir denn kämpfen ?

Natürlich bietet das Buch eine authentische Perspektive, indem es den Reflex aufgreift, die eigene Wehrbereitschaft“ zu hinterfragen. Wer kennt den Gedanken „Ich will nicht sterben“ nicht oder hat die Frage „Wofür bin ich bereit zu kämpfen?“ nicht schon mal gestellt? Das ist sicherlich auch ein Grund, warum sich das Buch in kürzester Zeit gut verkaufte und zum Spiegel-Bestseller wurde. Doch gerade in einer Zeit, in der es der linken Bewegung oftmals an Orientierung fehlt, sollte die Frage, wie wir den Krieg gemeinsam verraten oder gar verhindern können, tiefer diskutiert werden. Dass dies nicht nur die Aufgabe von Podcaster:innen oder Autor:innen ist, sollte klar sein. Doch für Ole scheint es ebenso absolut zu sein, dass der Krieg kommen wird und nicht verhinderbar ist, also auch, dass er sich aus dem Staub machen wird.

Dennoch schafft es Ole Nymoen mit dem Werk nicht ausreichend, eine Perspektive für eine zeitgemäße und junge Friedensbewegung, die über ein inidviduelles Desertieren hinausgeht, zu schaffen. Dass es hierfür das Potential gibt, zeigen die zunehmenden Diskusionen über Wehrpflicht und Krieg in der Bahn oder auf den Schulhöfen. Über die Notwendigkeit einer widerständigen Gesellschaft gegen die Kriegstreiberei müssen wir an dieser Stelle gar nicht erst sprechen. 

Im ersten Teil des Buches „Über den Sinn des Krieges“ versucht sich Ole Nymoen an einer niedrigschwelligen Erläuterung des imperialistischen Charakters des Nationalstaates, ackert sich dabei an Lenins Imperialismustheorie ab und bleibt dennoch uneindeutig. Der Versuch, linke Imperialismustheorie in den Mainstream zu bringen, ist lobenswert, doch hier besticht das Buch weniger durch eine treffende Imperialismusanalyse, sondern vielmehr durch verständliche Sprache. 

Auch in der Unterscheidung zwischen konventionellen und Vernichtungskriegen erscheint die Argumentation zeitweise schwammig. So argumentiert Nymoen, dass im Falle eines Vernichtungskriegs die Auslöschung der Staatsmacht und die des Volkes zusammenschmelzen und so militärische Gegenwehr notwendig ist.“ (S.93)  Wann dies zutrifft und was es für Konsequenzen hätte, benennt er aber nicht.

Ein Buch, das den Zeitgeist trifft

Im Grunde ist es ein Buch, mit dem man nicht überrascht wird. Es ist das drinnen, was drauf steht. Nun ist es zugegebenermaßen auch nicht leicht, in 144 Seiten ein ideologisches Manifest zu schreiben. Das kleine tarnfarbende Buch ist auch wirklich nicht zu einem geworden. Es ist kein Buch für den nächsten Lesekreis der Kritischen-Hochschul-Theoretiker oder das nächste Imperialismus-Podium.

Es ist vielmehr ein Buch, bei dem man nur hoffen kann, dass es den vielen Jugendlichen in der Schule in die Hände fällt, bevor der Jugendoffizier den Geounterricht übernimmt. Ein Buch für den kleinen Bruder, der die Idee, bei der Bundeswehr Mechatroniker zu werden, eigentlich ganz cool findet. Ein Buch für den schwierigen Onkel, mit dem du dich schon zweimal über die Wehrpflicht gestritten hast, ohne auch nur ein Argument auszutauschen.

Es ist ein Buch, das mit all den Lücken trotzdem seinen Zweck erfüllt und die Chance hergibt, den so notwendigen gesellschaftlichen Diskurs über die Militarisierung der Bevölkerung und die Debatte über Wehrpflicht, Wehrdienst und Freiwilligenjahr zu beeinflussen. Und es ist offensichtlich ein Buch, das im Moment ausreicht, um die ganzen Panzer-Pazifisten und NATO-Stiefellecker à la Bosetti und Schröder mal auf die Palme zu bringen und das nebenbei Schlagwörter wie Imperialismus, Nationalstaat und Klassenwiderspruch im breiteren Diskurs salonfähig macht.

Dafür kann man Germanys Next Putintroll Ole Nymoen auch einfach mal danken.

„Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde – Gegen die Kriegstüchtigkeit“ von Ole Nymoen ist am 11.03.2025 bei rowohlt erschienen. 

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