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Von Carola Rackete und Momo

Es ist Zeit, das gewohnte „Weiter so“ zu hinterfragen. Etwas, was wir als Klimagerechtigkeitsbewegung immer von der Gesellschaft einfordern, doch wir sollten diese Frage genauso an uns richten. Dieser Text ist eine kritische Reflexion dieses „Weiter so“ einer Bewegung, die eine neue Richtung braucht, um den Wandel in existenziellen Zeiten zu meistern.

Als Reaktion auf die Veröffentlichung des Reports “Limits to Growth” wurde auf der Rio-Konferenz 1992 beschlossen, nachhaltige Entwicklung zu propagieren, um Kapitalismus mit Ökologie zu vereinen. Kurz danach starteten die Weltklimakonferenzen und in ihrem Umfeld die jährlichen Gegenproteste. Vernachlässigt wurde zunächst häufig, dass die eigentlichen Klimaschutzmaßnahmen lokal und national umgesetzt werden müssen. Daneben dominierte die fossile Lobby die Konferenzen und setzte den Rahmen für völlig unzureichende Ergebnisse.

Ein Jahr nach der desaströsen COP 2009 in Kopenhagen startete das erste Klimacamp im Rheinland. Das Camp diente der Vernetzung und als Ideenschmiede und war Grundstein der heutigen Bewegung. Besonders die massiven Proteste im Hambacher Forst 2018 und die jährlichen Aktionstage des Bündnisses Ende Gelände trugen dazu bei, die Forderung nach Klimagerechtigkeit anhand konkreter Themen in das Bewusstsein der deutschen Linken zu tragen. Ziel war, von der Zivilgesellschaft die nötige Radikalität einzufordern, die dem Ausmaß der Klimakrise gerecht wird. Eine Krise, die wir in Deutschland bis jetzt nur erahnen können, die aber für viele Menschen auf der Welt seit Jahrzehnten existenzbedrohend ist. Die von der Klimakrise Betroffenen, meist aus dem globalen Süden, fordern seit den Anfängen der Klimagerechtigkeitsbewegung in Deutschland eine Bewegung, die die Intersektionalität der Kämpfe sieht. Das wäre eine Bewegung, die die Zusammenhänge von Unterdrückung als Kontinuität von Rassismus und Kolonialismus begreift und sie als grundlegende, für die Klimakrise verantwortliche Herrschaftsverhältnisse anerkennt und bekämpft.

Das Aufkommen der global agierenden Klimabewegungen Fridays For Future und Extinction Rebellion machten 2019 zum Jahr der Klimaproteste und manifestierten das Thema Klima in der Tagespolitik. Im Gegensatz zu den autonomen Bewegungen um den Hambacher- Forst oder jüngst Lützerath schlugen die Bewegungsgruppen wie Fridays For Future einen Kurs der Dialogbereitschaft ein. Diese Diskursverschiebung innerhalb der Bewegung hin zur Appell- und Dialogpolitik und zum Kuschelkurs mit Parteien führt dazu, dass das kämpferische Momentum verblasst und sich Realpolitik breitmacht. Zurzeit polarisiert der Aufstand der Letzten Generation als radikale Flanke die Bewegungsdebatten. Mit dieser Form der Radikalität ist es jedoch nicht getan.

Wir brauchen ökologischen Klassenkampf

Die Klimakrise ist ein Ergebnis von sozialer Ungerechtigkeit und globalen massiven Unterschieden in Machtverhältnissen. Könnten alle weltweit gleichberechtigt über fossile Energienutzung mitbestimmen, wären wir vermutlich nicht in einer Klimakrise, die zuerst für Menschen im globalen Süden existenzbedrohend ist. Die Forderung aus unserer Bewegung nach dem 1,5-Grad-Limit von Paris ist kein Schritt in Richtung Klimagerechtigkeit. Nicht zuletzt, weil viele Staaten des globalen Südens seit Dekaden eine 1-Grad-Grenze fordern und das schon lange vor Paris. Der Begriff „1,5-Grad-Grenze“ abstrahiert die für viele Menschen schon lange existenzielle Frage der Klimakrise und führt zu einer technischen Debatte, geleitet von Naturwissenschaften und Klimamodellen. Er verschleiert ebenfalls den Weg, wie wir die Klimakrise eindämmen können: Nur durch tiefgreifende soziale Veränderung können wir zusammen Lösungen erarbeiten, die alle Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit berücksichtigen und sich gegen die Interessen von Konzernen, Nationalstaaten und Milliardär*innen richten, die das Problem verursachen. Als Klimagerechtigkeitsbewegung müssen wir Gegenmacht aufbauen und dafür müssen wir den Gerechtigkeitsaspekt für mehr Menschen im globalen Norden spürbar machen.

Wie machen wir also weiter?

Wir müssen weg von leeren Worthülsen wie “Systemwandel” und “climate justice” auf Klimademos, und hin zu Protesten, Waldbesetzungen und Organisierung der gesamten Bevölkerung. Der Ruf nach Klimagerechtigkeit muss aus praktischen Initiativen begreifbar werden und sowohl globale als auch lokale Verhältnisse berücksichtigen. Klimagerechtigkeit in Europa und weltweit heißt demnach auch, soziale Ungerechtigkeit und Klassenunterschiede abzubauen und klarzumachen, dass auch hier erhebliche Unterschiede in Konsum und Verantwortlichkeit für die Klimakrise existieren.

Es ist grundsätzlich notwendig, soziale Gerechtigkeit einzufordern. Aber gerade jetzt, während der zweiten russischen Invasion der Ukraine, läuft die Bewegung Gefahr, noch weiter gegen arme Menschen ausgespielt zu werden, welche unter steigenden Lebenshaltungskosten am meisten leiden. Zu lange hat die Bewegung verpasst, aufzuzeigen und umzusetzen, wie Klimaschutz soziale Gerechtigkeit im globalen Norden verbessern würde. Doch spätestens jetzt ist es unabdingbar, Lösungen sichtbar zu machen, die sowohl sozial als auch ökologisch sind. Falls wir diese Chance verpassen, verspielen wir möglicherweise jede Chance auf Klimaschutz – auch durch einen rechten Backlash der jetzt schon in Europa um sich greift.

Klosterbau verhindern – Basisarbeit machen

Innerhalb der Bewegung müssen wir klarstellen, dass es nicht darum geht, sich ein hübsches, politisches Kloster zu bauen, in das nur die bereits Politisierten Zutritt haben. Gesellschaftliche Veränderung können wir nicht erreichen, wenn wir uns komplett aus der Gesellschaft in eine abgeschlossene Parallelgesellschaft zurückziehen und uns darauf fokussieren, die bereits Bekehrten noch stärker zu politisieren. Die Auseinandersetzung mit der Zivilgesellschaft mag sicher eine Herausforderung sein, sie ist aber ein essenzieller Bestandteil von Bündnisarbeit und notwendig, um zu gewinnen. Ja, wir wollen und müssen gewinnen, nicht einfach nur Recht haben. Diese Organisierung für eine befreite klimagerechte Welt können wir uns mit allen vorstellen, die die Realität im Kapitalismus als erdrückend empfinden.

Die Klimagerechtigkeitsbewegung bezieht sich immer wieder solidarisch auf die Revolution in Nord-Ostsyrien (Rojava), ohne aber umsetzen zu wollen, was diese erfolgreich vorgemacht hat: immer wieder das Gespräch mit jeder einzelnen Familie in jeder Straße zu suchen, um sich gemeinschaftlich mit allen zu organisieren. Das radikalste also, was die Klimagerechtigkeitsbewegung machen kann, ist Basisarbeit in der Gesellschaft.

Wenn wir proletarisch-prekär geprägte Menschen vergessen oder sie proaktiv aus unserer Politik ausschließen, da sie nicht in unseren Lifestyle passen, können wir nicht weiterkommen. Ein Beispiel: Es bringt nichts, gegen Autolärm im berliner Regierungsviertel zu protestieren, während die meistbefahrenen und damit auch meistverschmutzten Straßen durch prekäre Viertel verlaufen. Unsere Aktionen richten sich zu häufig nur an die Mächtigen und zielen auf Medienbilder ab. Doch wenn die Menschen, die vom Problem am meisten betroffen sind, in unserer Organisation weder bedacht noch einbezogen werden, dann können wir keine ernsthafte Gegenmacht aufbauen. Umgekehrt gibt es auch positive Beispiele von Gruppen, die sich mit Arbeiter*innen der Automobilzulieferer oder mit den Beschäftigten im ÖPNV für eine sozial-gerechte Transformation einsetzen wollen.

Welche Radikalität brauchen wir?

Angesichts der immer weiter fortschreitenden Klimakatastrophe ist es verständlich, dass der Ruf nach radikaleren Aktionsformen immer lauter wird, denn Appell- und Dialogpolitik sind gescheitert. Wie in den 80ern in der Friedensbewegung bereits umgesetzt, diskutiert die Bewegung vermehrt Sabotage. Die Letzte Generation nutzt das Mittel der Sachbeschädigung erfolgreich für Medienaufmerksamkeit und bringt sich in die Position einer radikalen Flanke mit polarisierenden Aktionen. Die Debatte um Sabotage wird jedoch teilweise geführt, als sei sie eine magische Pille, sie verliert aber tatsächlich einen fundamentalen Punkt aus den Augen: Eine Eskalation der Taktiken, in der immer weniger Menschen immer größere Risiken eingehen, ist nur ein Teil der Lösung. Eine soziale Veränderung schaffen wir nur durch die vielen, durch das Organisieren der Gesellschaft und eine Vielfalt von Beteiligungsformen. Zwar dürfen Aktionen gerne polarisieren, doch müssen wir insgesamt als Bewegung davor hüten, den Bezug zur Gesellschaft zu verlieren. Denn ohne breite Zustimmung und zivilgesellschaftliche Radikalität wird es unmöglich sein, eine Veränderung der Machtverhältnisse herbeizuführen. Um diese Vielfalt zu erreichen, müssen wir Klimaaktiven unsere Vorurteile gegenüber weniger Aktiven und auch unseren missionarischen Eifer ablegen, der andere soziale Probleme als nichtig erklärt. Wir müssen auf einer respektvollen Ebene mit anderen ins Gespräch kommen und ein Verständnis dafür kultivieren, dass im Grunde alle Menschen Teil von gesellschaftlichen Verbesserungen sein wollen, auch wenn unsere Vorstellungen darüber weit auseinandergehen mögen. Es ist richtig, Klimaverbrecher*innen klar zu benennen und ihre Macht anzugreifen, aber dem Großteil der Gesellschaft müssen wir immer wieder die Hand zu Gespräch und Beteiligung ausstrecken und nach gemeinsamen Anliegen suchen.
 
Darüber können wir schon heute viel von anderen lernen: etwa von der Deep-Canvassing-Strategie der LGBTQI community in Los Angeles, von der Zusammenarbeit von NGOs und Ölplatformarbeiter*innen in Schottland oder vom Projekt Larger Us in Großbritannien. Wir können uns dafür einsetzen, RWE und Wintershall als größte deutsche fossile Unternehmen zu enteignen, Mietpreise zu deckeln und Deutsche Wohnen zu vergesellschaften, kostenlosen ÖPNV fordern und damit Fahren ohne Fahrschein unmöglich machen, genauso eine Reduktion der Wochenarbeitszeit fordern und kostenlose Kinderbetreuung, Papiere und demokratische Beteiligungsmöglichkeiten für alle in Deutschland lebenden Menschen. Oder in den Worten von Chico Mendes: Environmentalism without class war is just gardening!

#Titelbild: eigenes Archiv.

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Thomas, 29 ist Mechaniker aus Berlin und Mitglied des Vorbereitungskreises des
internationalistischen Jugendfestivals, das am 28.05. in Lützerath stattfindet. Im Gespräch erzählt er vom Festival, Klimaschutz und warum und wie das mit der Revolution in Rojava zusammenhängt.


Als Initiative habt ihr euch mit einem offenen Brief an die Klimabewegung in Deutschland
gewendet und wollt am 28. Mai ein internationalistisches Jugend- und Kulturfestival im nordrheinwestphälischen Lützerath veranstalten. Stellt euch und die Idee dahinter zu Beginn doch einmal kurz vor. Was wollt ihr in Lützerath machen und warum genau dort?


Wir sind eine seit mehreren Monaten bestehende Initiative aus Aktivist*innen der
ökologischen Kampagne „Make Rojava Green Again“ und „Lützerath lebt“. Unser Festival steht
unter der Idee unsere Kämpfe zu verbinden, denn nur so kann dem Kapitalismus und der
ökologischen Katastrophe etwas entgegengesetzt werden. Es geht auch darum, die Revolution in
Kurdistan mit dem hier in Deutschland und überall auf der Welt stattfindenden Kampf der
Klimabewegung zu verbinden, weil wir davon überzeugt sind, dass diese Kämpfe das gleiche Ziel
teilen. Das Festival soll ein Ort des Austausches, des gegenseitigen Kennenlernens und des
gemeinsamen Kampfes werden.
Lützerath ist ein Ort in Deutschland, in dem in den vergangenen Jahren der Kampf für das 1,5 Grad
Ziel besonders intensiv geführt wurde. Es ist ein kleines Dorf direkt an der Abrisskante eines
Braunkohletagebaus des Energiekonzerns RWE. Die Widersprüche der Ausbeutung und der
Zerstörung der Umwelt einerseits und das Verdrängen von Menschen aus ihren Lebensorten für die
Interessen eines Konzerns werden hier besonders deutlich. Überall auf der Welt sehen wir ähnliche
Mechanismen. Die Interessen von Menschen werden unter die von Konzernen untergeordnet, aber
in Deutschland treten diese Widersprüche nur im gewissen Maße zum Vorschein. Viel mehr sind es
nämlich die Länder des globalen Südens, in denen vornehmlich westliche Unternehmen Raubbau an
der Natur betreiben und die Lebensgrundlage der Menschen dort zerstören, um Profit zu generieren
und den schnelllebigen Konsuminteressen Futter zu liefern. Davon bekommen hier zu Lande viele
Menschen nichts mit, da die Lebensgrundlage von den sich verschärfenden Krisen größtenteils
unangetastet bleibt. Lüzerath ist dabei einer der Orte, an dem den Menschen auch in Deutschland
die Lebensgrundlage durch die Interessen großer Konzerne genommen wird und das für einen
Zweck, der in Zeiten der Klimakrise schlichtweg verantwortungslos ist.

Die Klimabewegung ist in den letzten Jahren wieder gewachsen, das Thema findet sich in
vielen Medien wieder, weltweit gibt es Widerstand gegen die mörderischen Folgen des Kapitalismus. Auch FridaysForFuture war ein großer Bezugspunkt. Welche Themenbereiche wollt ihr
konkret einbringen, welche Akzente wollt ihr innerhalb der Klimabewegung setzen?


In der Klimabewegung sehen wir eine der größten Bewegungen der jüngeren Vergangenheit, die vorrangig von Jugendlichen ausgeht. Darin liegt die wesentliche Stärke. Viele junge Menschen nehmen wahr, wie sich die Welt verändert und nehmen die kommenden Auswirkungen der Klimakrise ernst, da sie am stärksten davon betroffen sein werden.
In diesem Punkt ruht nun aber auch die Gefahr, sich durch vermeintliche Lösungen, welche der
Liberalismus predigt, vereinnahmen zu lassen. Und diese Muster sehen wir leider bei Teilen der
Klimabewegung, welche beispielsweise durch etablierte Parteien oder Stiftungen vereinnahmt
werden und von dort an Kompromiss statt Lösung predigen. Trotz dieser Tatsache ist es aber auch
kein Geheimnis, dass der staatliche Umgang mit der Klimakrise vielen Menschen die Augen
geöffnet und gezeigt hat, für welche Interessen der bürgerliche Staat in die Bresche springt.
Das sind dann eben nicht die Interessen von Menschen wie der in Lüzerath, sondern die der
Unternehmensvorstände und Großaktionäre von RWE und Co, die den Bagger lächelnd Richtung
Abgrund steuern.
Und eben darum, wie ihr es passend formuliert habt, beginnen viele Menschen die mörderischen
Folgen des Kapitalismus zu sehen und ihren Widerstand dahingehend zu organisieren. Um den
Diskurs aber weiter in die Richtung zu lenken, wie eine Alternative zu diesem System aussehen
kann, möchten wir auf die Errungenschaften der Revolution in Kurdistan verweisen. Denn eine
Kritik am Bestehenden kommt schlecht ohne die Entwicklung eigener Perspektiven auf die
Probleme aus. Insbesondere ein Blick auf den Nord-Osten Syriens, auch als Rojava bekannt, zeigt
dabei, wie eben jene Alternative aufgebaut sein könnte. In dieser Region jährt sich am 19. Juli
diesen Jahres das zehnjährige Bestehen der Revolution und damit der Kampf für ein
Gesellschaftssystems, das auf radikaler Demokratie, Geschlechterbefreiung und sozialer Ökologie
fußt. Eben in dem Vorschlag dieser Alternative und in der revolutionären Linie liegen die Aspekte,
die wir einbringen wollen.

Mit der neuen Ampelkoalition gibt es mit den Grünen erneut eine Partei innerhalb der
Regierung, die sich den Kampf gegen den Klimawandel als Hauptlosung auf die Fahnen
schreibt und die teilweise in der Klimabewegung viel Zuspruch und Hoffnung erfährt.

Wie seht ihr die Rolle dieser Partei?

Wenn wir uns die aktuelle Situation angucken, dann sehen wir, dass die Art der deutschen
Außenpolitik nicht davon abhängt, ob gelb, grün oder schwarz in den Ministerien sitzen. Trotz
zahlreicher Unterschiede zwischen den deutschen Parteien, eint sie die Außenpolitik im Bezug auf
die Türkei. Eine enge militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem türkischen Staat
dient nämlich dem Interesse jeder Kapitalfraktion. So ist es nicht verwunderlich, dass die jetzige
Außenministerin Annalena Baerbock zwar sämtliche russische Kriegsverbrechen anprangert, wenn
es aber um die eigenen Nato-Bündnispartner geht, kein Wort über die Kriegsverbrechen der zweit
größten Nato-Armee verliert. Seit Jahren ist bekannt, dass der türkische Staat in Südkurdistan
Giftgas einsetzt, durch unbemannte Drohnen Menschen hinrichtet und mit dem Abschneiden der
Wasserzufuhr Wasser als Waffe einsetzt. All das toleriert aktuell die grüne Außenpolitik, wie es
zuvor die der SPD getan hat. Wer also im Programm der Grünen nach Klimagerechtigkeit sucht,
wird enttäuscht werden. Im Grunde genommen hat es die grüne Partei in den letzten Jahren am
besten geschafft die gesellschaftliche Aufbruchsstimmung mit Versprechungen einer ökologischen
Wende zu absorbieren. Jetzt stellt sich aber heraus, dass wirtschaftliche und militärische Interessen
den absoluten Vorrang vor ökologischer Politik besitzen.
Im Gegensatz dazu begrüßen wir die seit einigen Jahren vermehrt im Sinne der Klimagerechtigkeit
aufgekommenen gesellschaftlichen Debatten, in denen globale Ausbeutungsverhältnisse
thematisiert werden. Die Frage nach Klimagerechtigkeit ist nämlich eine internationale Frage, da
die Hauptverursacher der Krise international agieren. Ebenso wie unsere Perspektive auf politische
Probleme der heutigen Zeit eine ist, die durch den Begriff Internationalismus gekennzeichnet ist, so
trifft das auch auf auf unsere Perspektive auf die sich verschärfende Klimakrise zu. Eine solche
Politik der Klimagerechtigkeit die es braucht widerspricht vollends dem heutigen Charakter der
grünen Partei.

Du bist schon auf die Bedeutung der Revolution in Kurdistan für die Kämpfe
in Deutschland eingegangen. Kannst du diese Ansicht noch einmal etwas detaillierter beschreiben? Was
hat der Kampf in Kurdistan mit uns hier, aber auch konkret mit unseren Kämpfen gegen den
Klimawandel zu tun?


Die Revolution in Kurdistan hat eine weltweite Bedeutung, da sie exemplarisch für den Kampf für
Klimagerechtigkeit und damit für den Kampf um Selbstbestimmung und gegen Kolonialismus
steht. Eben aus diesem Grund greifen verschiedenste Staaten die Revolution mit aller Härte an. In
der Revolution in Kurdistan liegt nämlich die Zuspitzung der Konflikte zwischen denjenigen, die
für eine lebenswerte Welt kämpfen und denen, deren Macht und Profit auf der Ausbeutung von
Mensch und Natur basiert. Um das Ruder herumzureißen und die verheerenden Folgen des
Klimawandels abwenden zu können, braucht es große Schritte und ein Umdenken und eben das
kann nur in revolutionären Prozessen verwirklicht werden. Die Frage nach ökologischer Politik ist
im großen und ganzen eine Systemfrage und im System des Kapitalismus kann diese nicht
gewährleistet werden. Wer innerhalb dieses Rahmens nach Lösungen sucht wird sich schnell den
Kopf stoßen oder landet eben bei den Grünen.

Als Initiative Make Rojava Green Again, seid ihr seit einigen Jahren in Deutschland präsent.
Was sind eure konkreten Ideen für die Klimabewegung in Deutschland und was ist in der aktuellen Situation zu tun?

Wir versuchen mit unsere Perspektive neue Denkanstöße zu geben. Bereits jetzt gibt es eine breite
Debatte in der Klimagerechtigkeitsbewegung, wie man weiter in die Zukunft gehen kann. Nach
Jahren des Protestes, der Aktionen und Kampagnen stellt sich in immer breiteren Kreisen die
Einsicht ein, dass nur eine grundlegende Veränderung des existierenden Systems eine Ausweg aus
der ökologischen Katastrophe aufzeigen kann. Die Revolution in Kurdistan und die Ideen Abdullah
Öcalans halten in dieser Frage sehr wichtige und aktuelle Vorschläge bereit. Wir möchten allen
nahe legen, sich mit diesem Kampf auseinanderzusetzen und zu sehen, was wir alles von diesem
Kampf lernen können. Am 17. April hat der türkische Staat auch einen erneuten Angriffskrieg gegen
die kurdischen Gebiete im Norden des Iraks begonnen. Im Schatten des Kriegs in der Ukraine
weitet die Türkei ihren Krieg auf immer weitere Gebiete aus. Ohne Rücksicht auf Verluste
bombardieren türkische Flugzeuge, Kampfdrohnen und Artillerie, zivile Wohngebiete und zum
Überleben notwendige Infrastruktur. Und aus den Bergen Südkurdistans erreichen uns Berichte,
dass die türkische Armee, wie schon im vergangenen Jahr, chemische Waffen und Giftgase gegen
die Guerilla einsetzt. Auch im Norden Syriens, in Westkurdistan, bombardieren türkische
Truppen jeden Tag Städte und Dörfer und terrorisieren die Zivilbevölkerung.
Die Klimagerechtigkeitsbewegung sollte klar Stellung beziehen und sich an die Seite der Menschen in
Kurdistan und an die der revolutionären Kräfte stellen. Demonstrationen können unterstützt,
Stellungnahmen verfasst und kleine Solidaritätsbotschaften vorbereitet werden. Manchmal
können auch schon symbolische Gesten großes auslösen. Wichtig ist nur, dass wir es schaffen die
Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, auf diesen verschwiegenen Krieg zu lenken.

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„Wir können die Welt nicht retten, indem wir uns an die Spielregeln halten. Die Regeln müssen sich ändern, alles muss sich ändern, und zwar heute“, betont Greta Thunberg, die bekannteste Sprecherin der gegenwärtigen Klimabewegung.

Darüber, dass das so ist, scheint sich ein nicht kleiner Teil der Menschheit einig: Mehrere Millionen Menschen beteiligten sich am 20. September an Demonstrationen im Rahmen des Global Climate Strike sowie der sogenannten Fridays for Future; anerkannte Expert*innen auf dem Gebiet der Klimaforschung finden drastische Worte dafür, was jetzt zu tun wäre. Und das Beste: Skrupellose Ausbeuter wie Friedrich Merz kriegen kalte Füße und fürchten um ihre zusammengeraubte “Lebensweise”.

Die Ausgangslage ist gut. Und dennoch stehen wir ganz am Anfang. Denn trotz aller Unkenrufe von einer “linksextremistischen Unterwanderung” sind eben jene Inhalte, die eine radikale außerparlamentarische Linke einbringen kann, noch gar nicht so weit verankert. Und umgekehrt haben vielleicht auch viele eher “traditionelle” Linke die Brisanz der ökologischen Krise und der imperialistischen Lebensweise noch nicht voll verinnerlicht.

Das Zusammengehen von Ökologiebewegung und antikapitalistischer Linke könnte also fruchtbar sein. Und furchtbar – zum Beispiel für Leute wie Merz.

Denn die radikale Linke könnte die Frage stärker machen, worin eigentlich die Spielregeln bestehen, die wir jetzt ändern wollen? Und ob die ohne wirklichen Umbruch des Ganzen überhaupt änderbar sind?

Denn die bürgerlich-liberale Antwort ist so einfach wie heuchlerisch: „Wir alle“ müssen unsere individuelle Lebensweise ändern. Ein bisschen Flugscham, kein Strohhalm im Aperol-Spritz und die Anschaffung eines Elektro-Autos trennen die Spreu vom Weizen. Für die Industrie gibt´s dann den Green New Deal – and we lived happily ever after.

Der blinde Fleck dieser Denkweise ist, dass es dieses „wir alle“ nicht gibt. Wir leben in einer globalen Klassengesellschaft. Und der Riss zwischen denen, die Produktionsmittel und Macht ihr eigen nennen, und jenen, die nichts dergleichen haben, formt eben auch unseren Gestaltungsspielraum in Sachen Klimawandel und Umweltzerstörung. Fakt ist: Die reichsten zehn Prozent der Menschheit verursachen die Hälfte aller Co2-Emmissionen; und die größten Verbraucher fossiler Brennstoffe sind nicht Jochen und Maria, die mit dem Auto zur ohnehin ungeliebten Lohnarbeit pendeln, sondern die riesigen Militärmaschinerien der kapitalistischen Nationen, allen voran der USA, und diverse globale Großkonzerne.

Die Spielregeln der Welt, in der wir leben, sind hinsichtlich ihres fundamentalen Prinzips gar nicht so kompliziert: Kapital muss zu mehr Kapital werden. Dieser Prozess ist schrankenlos. Und für ihn müssen die natürlichen Ressourcen und die menschliche Arbeitskraft mehr und mehr ausgebeutet und verschlissen werden. Oder wie Karl Marx schrieb: Die kapitalistische Produktion entwickelt sich, „indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“

Die erste entscheidende Einsicht, die Linke in der sich formierenden Klimabewegung – gerade auch gegen den grün-liberalen Mainstream – durchsetzen sollten, ist: Ohne die Zerschlagung der Grundlagen der Gestaltungsmacht von Großkonzernen und Staat, bleiben alle Schwüre, jetzt aber wirklich etwas für die Natur machen zu wollen, vielleicht ehrlich gemeinte, aber doch letztlich völlig wirkungslose Willensbekundung. Am Ende braucht´s den Kommunismus – oder wie man die zukünftige Gesellschaft sonst nennen will, um Worte muss man ja nicht streiten.

So richtig nun auf der einen Seite diese alte marxistische Wahrheit immer noch ist, dass es sich beim Kampf um die Umgestaltung des Mensch-Natur-Verhältnisses um einen antikapitalistischen Kampf handeln muss, so sehr haben aber auch wir eher traditionellen Linken in einer entscheidenden Frage umzurüsten: Der Frage der Konsumkritik. Die Standardantwort, die wir viele Jahre und Jahrzehnte gaben, war: Lasst den Quatsch, das hilft nichts, es geht um die Produktion und am Ende gibt es eh Luxus für alle.

Gerade für jene super-modernen und akademischen Linken, die sich Freude nur als Steigerung des bürgerlichen Hedonismus und „Luxus“ nur nach dem Vorbild kapitalistischer Warenvielfalt vorstellen können, fanden in dieser These eine beliebte Rechtfertigung dafür, am eigenen Leben so wenig wie möglich ändern zu müssen.

Dass über Konsumkritik der Kapitalismus nicht überwunden wird, bleibt zwar dennoch richtig. Aber zugleich ignoriert diese Auffassung, dass eine neue Gesellschaft auf anderen Prinzipien basieren müssen wird, als die heutige. Und dass sich in der noch zu gestaltende Welt die reichsten imperialistischen Länder nicht auf dem Rücken des überwiegenden Teils der Weltbevölkerung einen Lenz machen werden können. Wer weltweiten Kommunismus will, muss auch darüber nachdenken, unseren Blick darauf zu ändern, was uns glücklich macht, was uns erstrebenswert scheint, worin Komfort besteht, welche Bedürfnisse wie zu befriedigen sind.

Ein dritter entscheidender Punkt aber, den wir als Linke in die Klimabewegung tragen sollten, ist, dass die ganze Nummer nicht einfach wird. Wenn wir ernst nehmen, was wir die ganze Zeit sagen, nämlich, dass es eines Systemwechsels bedarf, dann ist die Aufgabe nur mit langem Atem zu bewältigen. Das aber heißt, sich zu organisieren – langfristig und über die Höhe- und Tiefpunkte der Bewegungskonjunkturen hinweg. Illusionen darin, wie viel durch Demonstrationen – seien sie noch so groß – und Appelle an Parteien oder Institutionen erreicht werden kann, sind da eher hinderlich.

Und sich zu organisieren, schließt immer auch ein, gemeinsam zu lernen, sich selbst zu verteidigen. Denn diejenigen, die heute die Zügel in der Hand halten, geben sie nicht freiwillig ab. Dafür sorgt im Zweifelsfall ein genau zu diesem Zweck eingerichteter Staatsapparat, der sich zudem gerade in rasantem Tempo in Richtung Faschisierung bewegt.

Wer, wie die Macher*innen der NGO „Extinction rebellion“ schon polizeikritische Parolen anderer Demonstrant*innen zum Grund nimmt, um eine Aktion zu verlassen, die anderen Teilnehmer*innen zu denunzieren und staatliche Gewalt zu rechtfertigen, wird keine besonders tragende Rolle bei der notwendigen „Rebellion“ spielen können.

#Titelbild: intersoz.org

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„Linksextremisten sind radikal in ihrem Denken und Handeln, dumm aber sind sie nicht.“ Bei dem Lohnschreiber, der diesen Satz im Hamburger Abendblatt absonderte, ist es offenbar umgekehrt. Matthias Iken, Vize-Chefredakteur der Zeitung, ist leider nicht radikal, dafür irgendwie ziemlich dumm – jedenfalls nach den simplen Mustern seiner Texte zu urteilen. Sein Kommentar zum Global Climate Strike, der an diesem Freitag auch in Hamburg Tausende auf die Straße bringen wird, führt immerhin erneut vor, mit welch schmutzigen Strategien die Herrschenden die Klimabewegung zu sabotieren versuchen.

Iken behauptet in dem Beitrag, die Interventionistische Linke (IL) Hamburg versuche, „die Klimaproteste für sich zu kapern“. Damit nimmt er eine Warnung des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) auf. Das hatte sich auf einen Aufruf des Aktionsbündnisses Sitzenbleiben! bezogen, das am Freitagnachmittag mit Sitzblockaden den Verkehrsfluss in Hamburg unterbrechen will. Über dieses lobenswerte Vorhaben des Aktionsbündnisses, zu dem neben der IL, auch Leute von „Ende Gelände“ und anderer Klimagruppen sowie Einzelpersonen gehören, hatte unter anderem die junge Welt berichtet.

Der Geheimdienst und der Lohnschreiber vom Abendblatt folgen mit ihren Beiträgen im Gleichschritt der Richtung, die das LfV bereits im April vorgegeben hat. Das LfV behauptete schon damals, die IL versuche mit einer Strategie der „Entgrenzung“ die Klimaschutzbewegung für ihre Ziele zu instrumentalisieren. Eine der Lieblingsideen des Hamburger Verfassungsschutzchefs Torsten Voß.

Das Ziel der Schlapphüte (auch in Niedersachsen gab es übigens eine ähnliche Warnung) ist klar: Sie wollen einen Keil in die wachsende Klimaschutzbewegung treiben, die Kräfte abdrängen, die sich mit einem kostenlosen ÖPNV oder anderen Trostpflästerchen nicht begnügen, sondern einen Systemwechsel fordern. Den Mächtigen geht der Arsch offenbar auf Grundeis, seitdem immer mehr junge Leute durch die Klimabewegung anpolitisiert worden sind. Könnte ja sein, dass die auf die Idee kommen, dass der Kapitalismus das Problem ist.

Das darf nicht sein, und deshalb bewerfen Leute wie Iken radikale Linke mit Schmutz, wo immer es geht. Der IL gehe es ja gar nicht ums Klima, behauptet er dreist, sondern um „Entgrenzung“: Indem sie auf Themen setzten, die viele Menschen bewegten, „wollen sie in die Mitte der Gesellschaft diffundieren“, deliriert er.

Für den Abendblatt-Mann scheint die Machtübernahme der roten Horden unmittelbar bevorzustehen. „Aus der Masse der Protestierenden heraus aber versuchen sie, ihren fundamentalistischen Protest zur „Beseitigung des kapitalistischen Systems“ zu leben“, fantasiert er: „Ihnen geht es um die Revolution, nicht die CO2-Reduktion.“ Pfui, Teufel!

Für Fridays for Future (FFF) seien „solche Trittbrettfahrer brandgefährlich“. Iken schreckt nicht davor zurück, sich als Anwalt der Klimaschützer zu gerieren: „Sollten die Extremisten den Klimastreik am Freitag eskalieren, könnten sie die Proteste diskreditieren und die Demonstranten in eine Ecke drängen, in die sie nicht gehören“, schreibt er. Krawalle aber seien „genau die Bilder, die sich Gretas Gegner wünschen“.

Dumm nur, dass sich prominente Vertreter von FFF auf solche Spaltungsversuche nicht einlassen. So zeigte Luisa Neubauer, eine der Hauptorganisatorinnen der Klimademos, Verständnis für Blockadeaktionen. In einem Streitgespräch bei der Wochenzeitung Die Zeit sagte sie: „Ja. Wir brauchen ein breites Spektrum an Aktionen, um den Druck auf die Politik zu erhöhen. Dazu gehören angemeldete Demonstrationen wie bei ‚Fridays for Future‘, aber auch Formen des zivilen Ungehorsams.“

Eine klare Ansage an die Herrschenden kam von Hannah Eberle von der IL Berlin. „Klimawandel und Kapitalismus sind untrennbar verbunden“, konstatierte sie. Während die Existenzgrundlagen von Milliarden Menschen, insbesondere im globalen Süden, bedroht seien, machten die Energie- und Autokonzerne mit der Zerstörung des Klimas noch Profite. Echter Klimaschutz heiße: „Enteignung und Vergesellschaftung von RWE, Vattenfall, VW, BMW und allen anderen Verursachern und Profiteuren der Klimakrise. Raus aus der Kohle, weg vom Auto, öffentliche Mobilität und Klimagerechtigkeit für alle!“

Emily Laquer von der IL Hamburg hatte eine passende Antwort an Hamburgs LfV parat: „Von einer Behörde, die gerade erst ihren extrem rechten Präsidenten Hans-Georg Maaßen verloren hat, lassen wir uns nichts über Extremismus erzählen. Der Verfassungsschutz schützt Kapitalismus und Neonazis. Wir schützen das Klima. Dafür werden wir uns nicht rechtfertigen.“ Sitzenbleiben! ist Erfolg bei allen Aktionen zu wünschen – ziviler Ungehorsam ist das Gebot der Stunde!

#Titelbild: Frida Eddy Prober 2019 (cropped) and C.Suthorn / cc-by-sa-4.0 / commons.wikimedia.org

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In der Klimabewegung wird ein altbewährtes Rezept wiederentdeckt: Der Generalstreik. Der erste Anlauf dafür ist für den 27. September geplant. Aber wie genau können wir es schaffen vom Klima- zum Generalstreik zu kommen? Wie sehen erste Schritte aus, um eine breite Ökologiebewegung aufzubauen, die dazu in der Lage ist, die Systemfrage zu stellen.

Ein Freitagnachmittag in Wien: Rund 100 Klimaaktivist*innen blockieren eine der zentralen Brücken über den Donaukanal. Der Plan: Mit zivilem Ungehorsam für die Verkehrswende mobil machen. Die Hauptforderungen: Autos raus aus der Stadt und kostenloser öffentlicher Nahverkehr für alle. Nach zwei Stunden eskaliert die Polizei die Lage. Menschen kommen mit Platzwunden ins Krankenhaus, der Rest wird abtransportiert und verbringt die Nacht in Sammel- und Einzelzellen auf dem Polizeirevier. Aktionen wie die in Wien machen trotz der Repression gerade Schule. Bewegungen wie Ende Gelände setzen auf massenhaften zivilen Ungehorsam, sie wollen „System Change not Climate Change“, wie es in der Klimagerechtigkeitsbewegung heißt. Und die Entschlossenheit dafür ist in weiten Teilen dieser Bewegungen da. Wer durch Polizeiketten rennt, um die Nacht in einer Kohlegrube zu verbringen und danach von der Polizei mitgenommen zu werden, der*die meint es ernst.

Aber wie ist diese Bewegung entstanden und wie kommuniziert sie? Über die letzten Jahre haben sich die verschiedenen Organisationen, Netzwerke und Gruppen, die außerhalb der Parlamente gegen Naturzerstörung und Klimawandel mobil machen, auf Klimacamps zusammengesetzt, um gemeinsame Ideen und eine gemeinsame Praxis zu diskutieren. Daraus sind große Kampagnen und gemeinsame Lieder und Parolen entstanden. Und zumindest ansatzweise ein gemeinsames Verständnis davon, was das für ein System ist, das den Ort, an dem wir alle leben auffrisst und nichts als Wüste und verseuchte Böden zurücklässt.

Von Fridays For Future zum Klimastreik

Mit den von Fridays For Future geschaffenen globalen Klimastreiks gibt es nun auch zeitliche Kristallisationspunkte, an denen die verschiedenen Organisationen und Bewegungen ihre Energie bündeln. Für die nächsten Monate sind wieder globale Streiks geplant, ganz groß wird es am 27. September. Für diesen Tag rufen verschiedenen Bewegungen wie Fridays For Future und Extinction Rebellion zum Earth Strike auf. Und die Rede ist dabei längst nicht mehr nur von Schüler*innen und Studierenden. Greta Thunberg, die schon die Fridays For Future losgetreten hat, hat zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Stichpunkt in die Debatte geworfen: Generalstreik. Ein altbewährtest Rezept für eine neue Bewegung.

Längst haben in der Klimagerechetigkeitsbewegung die Diskussionen darüber begonnen, wie es zu schaffen ist, mehr Arbeiter*innen und Angestellten für den Streik zu gewinnen. Denn schon jetzt ist klar: Erst wenn die lohnabhängige Klasse streikt, kann die Macht des Kapitals gebrochen werden. Erst dann können wir das System zum Stillstand bringen und ein System schaffen, in dem unsere Bedürfnisse und unsere ökologische Lebensgrundlage im Vordergrund stehen und nicht kapitalistisches Wachstum und die Profite von einigen wenigen. Erst dann werden wir wirkliche Antworten auf die Klimakrise finden.

Aber was tun? Wir wird ein Klimastreik zum Generalstreik? Oder anders gefragt: Wie bringen wir soziale und ökologische Kämpfe zusammen? Zuerst einmal müssen einige Vorurteile ausgeräumt werden. Zum Beispiel, dass den Leuten, die sich in die Kohlegrube setzen, um RWE aufzuhalten, die Kumpel, die bei RWE arbeiten egal sind. Denn das sind sie nicht. Am liebsten wäre es uns, wenn sie mit uns die Bagger lahmlegen würden, um ihren Konzern dazu zu zwingen, auf Erneuerbare umzurüsten – oder sie ihre Bosse im besten Fall einfach gleich enteignen und den Laden in die eigene Hand nehmen.

Klimapolitik als Klassenkampf von oben

Gerade konservative und rechte Kräfte versuchen gerne, ökologische Kräfte und Arbeiter*innenmilieus gegeneinander auszuspielen und den Leuten mit Warnungen vor den Kosten der ökologischen Wende Angst zu machen. Sie konstruieren die Lösung der ökologischen Krise und die soziale Frage als Gegensätze. Und leider funktioniert diese Erzählung immer wieder: Als im November die Gelbwesten in Frankreich begannen, den Herrschenden an den Kragen zu gehen, da wurden sie am Anfang als eine Art anti-ökologischer Protest der Abgehängten dargestellt. Was natürlich Unsinn ist, und von Anfang an nur der Diskreditierung der Gelbwesten dienen sollte. Wer gegen eine Benzinsteuer Kreisverkehre besetzt, der*die ist erst einmal gegen die Steuer und nicht gegen Ökologie. Auf Versammlungen der Gelbwesten wurde dann schnell klargemacht, dass man dafür sei, den Planeten zu bewahren, aber dass man die Kosten dafür nicht tagen wolle.

Die Gelbwesten haben recht! Die Regierungen versuchen schon jetzt, die Kosten für die Klimakrise auf uns abzuwälzen. Sie versuchen, die Milliarden für den ökologischen Umbau von oben, durch Einsparungen im sozialen Bereich, mit noch mehr Arbeitshetze und Steuern zu finanzieren. Wir aber sagen: Die Reichen müssen die Klimakrise zahlen! Diese Feststellung könnte zu einem der Eckpfeiler einer globalen klassenkämpferischen Ökologiebewegung werden.

Auch die Klimagerechtigkeitsbewegung funktioniert nur intersektional, oder sie wird scheitern. Und in vielen Bereichen ist diese Erkenntnis längst Praxis geworden: Feministische Positionen beispielsweise sind in großen Teilen der neuen Ökologiebewegung bereits Konsens. Es gibt wenige fortschrittliche Bewegungen in denen junge Frauen so kraftvoll und unübersehbar laut werden, wie das in der neuen Klima- und Ökologiebewegung der Fall ist. Jetzt müssen wir nachziehen und klar machen, dass eine ökologische Gesellschaft nicht nur antipatriarchal sein muss, sondern auch keine Klassengesellschaft sein kann.

Dieser Zusammenhang muss nicht einmal theoretisch hergeleitet werden, er ist allgegenwärtig, erlebbar und greifbar. Die Upperclass kann es sich aussuchen, ob sie regionales Biogemüse oder Billigtomaten aus Spanien aufs Kassenband legt. Für viele andere Teile der Gesellschaft gilt das nicht. Wer einmal ein gesundes und ökologisch nachhaltiges Leben führend dürfen wird, das entscheidet sich nicht selten schon bei der Geburt. Die Leute, die den meisten Smog einatmen, leben in den billigeren Wohnblocks entlang der Hauptstraße. Sie sind es, die die LKW vorbeibrettern hören. Und es sind die Leute in strukturschwachen Gebieten, denen Endlager für Atommüll vor die Nase gesetzt werden. In den Villenvierteln jedenfalls wird man von All dem nicht viel mitbekommen.

Dieses Verhältnis zeigt sich in globalem Maßstab noch krasser: Es ist vor Allem der globale Süden, der am wenigsten für die Klimakrise kann, aber am meisten unter den Folgen zu leiden hat. Es sind Arbeitssklaven in Kolumbien und Russland, die in Deutschland den Ausstieg aus der Steinkohleförderung möglich gemacht haben. Steinkohle wird zwar nach wie vor in deutschen Kraftwerken verbrannt, aber nicht mehr in der Bundesrepublik gefördert, weil die Arbeiter hier zu viel kosten. Dass in in Kolumbien tausende Menschen im Auftrag der Kohleindustrie von rechten Paramilitärs ermordet wurden und werden, weil sie sich nicht vertreiben lassen wollen, die schlimmen Arbeitsbedingungen im Tagebau oder die Zerstörung ihrer ökologischen Lebensgrundlagen nicht mehr hinnehmen wollten, scheint hierzulande nur wenige Menschen zu interessieren.

Die Klimabewegung muss noch intersektionaler werden

Die Klimagerechtigkeitsbewegung greift bei der Verbindung von sozialen und ökologischen Kämpfen eine Tradition auf, die in der schwarzen Bürgerrechtsbewegung der USA in den 80ern begann. Schwarze Menschen waren und sind in den USA, zum einen wegen strukturellem Rassismus, zum anderem wegen der sich auch daraus ergebenden ökonomischen Benachteiligung viel öfter von ökologischer Zerstörung betroffen als weiße Menschen. In den 80er Jahren kam in der antirassistischen Bewegung der Begriff der „Environmental Justice“ auf, der die Verquickung vom Kampf der schwarzen Bevölkerungsschichten und der Arbeiter*innenklasse um Emanzipation mit ökologischen Widerständen herstellte. Daran gilt es heute anzuknüpfen.

Ansatzpunkte dafür gibt es bereits. Die Antikapitalistische Plattform innerhalb der Fridays For Future Bewegung versucht seit einigen Monaten, klassenkämpferische Positionen in die Schulstreiks hineinzutragen. Und auch in der Anti-Kohle-Bewegung, wie bei Ende Gelände oder Gegenstrom Hamburg wird immer wieder herausgearbeitet, was Klimakrise und kapitalistische Ausbeutung miteinander zu tun haben. In Ansätzen werden dabei immer wieder auch Verbindungen zwischen Klimakrise und Migrationsbewegungen gezeichnet. Es sind Analysen und Positionen, die lauter werden, aber längst noch nicht genug Menschen erreichen. Warum? Weil wir sie nicht verständlich genug erklären, und nicht an der Lebensrealität großer Teile der Bevölkerung ansetzen.

Einerseits gilt es jetzt, die Klimabewegung inhaltlich breiter aufzustellen und sie mit anderen Bewegungen zu verbinden. Andererseits müssen wir darauf achten, dass wir nicht als eine elitäre Bewegung von Müsliesser*innen wahrgenommen werden und uns immer wieder neu überlegen, wie wir unsere Ideen und unseren Widerstand in der Gesellschaf erklären und verankern. Wenn wir vom Klima- zum Generalstreik kommen wollen, dann brauchen wir populäre Forderungen. Forderungen, die klar machen, dass eine solidarische und ökologische Gesellschaft nur von uns hier unten gegen die Vormacht der Konzerne und ihrer Regierungen aufgebaut werden kann.#Anselm Schindler

#Titelbild: Anselm Schindler, Demo “Ende Geländewagen” am 31. Mai in Wien

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