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Der IS kontrolliert keine Gebiete in Syrien mehr. Das ist ein Grund zur Freude. Doch der Krieg ist keineswegs vorüber.

Im Spätherbst 2014 standen Milizionäre der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in der nordsyrischen Kurdenmetropole Kobanê. Es sah schlecht aus. Dschihadisten twitterten schon, man werde die Stadt von den ungläubigen Kommunisten säubern. Der IS kontrollierte damals ein riesiges Gebiet, sowohl auf dem Territorium des Irak, wie auch in Syrien.

Doch der Jubel der islamistischen Mörder war verfrüht. Sie hatten die Rechnung ohne jene Bewegung gemacht, die seit über 40 Jahren im Kampf gegen die NATO, insbesondere den türkischen Staat, im Mittleren Osten überlebt. Knapp fünf Jahre später sieht die Karte Syriens und des Iraks vollständig anders aus. Der IS hat die letzten Gebiete, die er verbissen hielt, verloren. Viele seiner in- wie ausländischen Anführer sind tot oder in Gefangenschaft der Syrisch-Demokratischen Kräfte (SDF), des Bündnisses zwischen kurdischen, assyrischen, arabischen Milizen zur Verteidigung des Aufbaus eines Rätesystems im Norden Syriens.

Nicht nur Syrien kann aufatmen. Der blutige Krieg, das haben die Sprecher*innen der kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG und YPJ) immer wieder betont, war einer für die gesamte Menschheit. Sein Resultat ist die Zurückdrängung einer politischen Kraft, deren Herrschaft für Millionen Menschen, insbesondere für Frauen, im Mittleren Osten nichts als Unterdrückung, Tod und Erniedrigung bedeutete. Man muss es so deutlich sagen: Die immer noch in den USA wie Europa verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat zusammen mit ihren syrischen Verbündeten von YPG und YPJ weitere Genozide etwa im irakischen Jesidengebiet genauso verhindert wie Terroranschläge in Europa oder den Vereinigten Staaten.

Wie kam dieser Sieg zustande? Klar, eine kluge Bündnispolitik spielte eine Rolle; und klar, viel Diplomatie mit denen, die nur darauf warten, das demokratische Projekt in Nordsyrien auszulöschen, wurde betrieben.

Aber all dies wäre nichtig gewesen ohne die hunderttausenden Menschen, die im zivilen politischen Aufbau und in den militärischen Selbstverteidigungseinheiten tagtäglich ihr Bestes gaben. Und viele von ihnen gaben das letzte, was ihnen noch geblieben war: Ihr Leben. Der Preis für diesen Sieg war hoch. Alle, die in diesem Krieg oder im zivilen Aufbau im Norden Syriens einen Beitrag leisteten, haben Menschen verloren, die ihnen sehr nahe standen. Es gibt keine Mutter im Norden Syriens, die nicht eine Tochter oder einen Sohn beweint; keine Schwester, die nicht ihren gefallenen Bruder vermisst und kein Kind, das nicht seinen Onkel oder seine Tante in den Krieg ziehen und nicht mehr wiederkommen sah. Und es gibt unter den Internationalist*innen niemanden, der/die nicht Trauer und Wut über den Verlust von Anna Campbell, Kevin Jochim oder Lorenzo Orsetti fühlt.

Die Trumps und Macrons dieser Welt können sich den Sieg auf die Fahnen schreiben, errungen haben nicht sie ihn, sondern die tausenden Genoss*innen, die in den Schützengräben und Stellungen, auf den Häuserdächern und in den verschachtelten Straßen im Häuserkampf fielen. Dieser Sieg ist ein Sieg der Şehîds, der Gefallenen. An sie sollten wir denken, wenn wir in diesen Tagen jubeln und feiern.

Und wenn wir an sie denken, merken wir auch: Wir haben eine Schlacht gewonnen, aber der Krieg geht weiter. Denn das, wofür sie starben und wofür wir anderen überlebten, ist nicht nur die Zerschlagung einer besonders grausamen Miliz. Sie fielen im Kampf für eine bessere Welt, eine Welt jenseits der kapitalistischen Moderne und jenseits staatlicher, imperialistischer und kolonialer Unterdrückung.

Dieser Krieg geht weiter. Im Mittleren Osten lauern diejenigen, die das kleine befreite Gebiet im Norden und Osten Syriens auslöschen wollen: Das Erdogan-Regime, das es militärisch überrennen will; die Trump-Administration, die es in die Knie zwingen und entpolitisieren will; Moskau und Damaskus, die es dem Assad-Regime unterwerfen wollen. Die Phase, die nun beginnt, wird eine der Neuordnung der Bündnissysteme sein. Die USA wollen ihren Krieg gegen den Iran, die Türkei streben nach der Expansion des von ihr kontrollierten Territoriums. Die Karten werden, wieder einmal, neu gemischt.

Doch der Krieg geht nicht nur irgendwo weit weg, jenseits der Empörungsschwelle der Bevölkerungen der reichen westlichen Nationen weiter. Er geht auch hier weiter. Auch in Deutschland wird der Staat erneut ausholen, um die Kurdinnen und Kurden, die türkische Exilopposition und alle, die mit ihnen zusammenarbeiten, anzugreifen, zu verfolgen und einzusperren.

Wenn es soweit sein wird, dann sollten wir daran denken: Wir alle haben eine Schuld abzutragen. Wir als revolutionäre Linke sowieso, denn es war die kurdische Bewegung, die uns auf einen gangbaren Weg zurückführte, auf dem wir heute unsere ersten kindlichen Schritte gehen können. Aber auch alle anderen stehen in der Schuld der Gefallenen der Syrisch-Demokratischen Kräfte. Es wird genügend Gelegenheiten geben, um zumindest anzufangen, diese abzutragen.

#Titelbild Rodi Said/Reuters

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