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Ein Diskussionsbeitrag von kollektiv aus Bremen

Seit einigen Monaten flammt weltweit eine neue Welle von Massenprotesten auf: Ob im Sudan, Haiti, in Ecuador, Chile, Kolumbien, Guinea, dem Irak, Libanon, dem Iran, Frankreich oder anderswo. Überall gehen Massen von Menschen auf die Straßen. Sie kämpfen gegen ständig steigende Preise von Bustickets und Benzin, gegen die permanente Verteuerung von Grundnahrungsmitteln und das unaufhörliche Steigen der Mieten, sie protestieren gegen Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne und sie prangern die unzureichende Gesundheitsversorgung und die teuren Bildungssysteme an. Ihre Wut richtet sich dabei auch gegen eine korrupte politische Elite, die als verlängerter Arm von Unternehmen und einer kleinen Oberschicht agiert, an ihrer Macht unbeirrt festhält und in die eigene Tasche wirtschaftet, während die Masse der Menschen in Armut versinkt. Kurz gesagt: Die Proteste in den unterschiedlichen Ländern richten sich gegen die Auswirkungen von über 30 Jahren neoliberaler Politik der gezielten Verarmung der Massen, sie richten sich gegen Korruption und Unterdrückung. Hinzu kommen wachsende Mobilisierungen von Frauen*, zum Beispiel in der Türkei, die nicht nur gegen patriarchale Unterdrückung und Gewalt kämpfen, sondern häufig auch eine zentrale Rolle in den Massenprotesten einnehmen. Die Antwort der Regierungen auf die Proteste ist überall die selbe: Tränengas, Schlagstöcke, Massenverhaftungen, Folter, Vergewaltigung, das Verschwindenlassen bis hin zur gezielten Ermordung von Demonstrant*innen1.

Die Ähnlichkeit der Proteste ist kein Zufall, sondern macht deutlich, dass sich das gesamte kapitalistische System in einer tiefen Krise befindet, von der die Länder des Globalen Südens am stärksten betroffen sind. Aber nicht nur sie. Was bedeuten also die Proteste für linke Kräfte in den kapitalistischen Zentren?

Aktiver Internationalismus

Internationalismus ist über viele Jahre in der radikalen Linken – abgesehen von einigen Ausnahmen – eher in Vergessenheit geraten. Es schien als sei internationale Solidarität (als auch Anti-Imperialismus) ein Relikt aus alten Zeiten, das für die eigene Praxis kaum noch eine Rolle spielt. In den letzten Jahren hat sich dies erfreulicherweise verändert. Mit den Krisenprotesten von 2010/2011, dem sogenannten Arabischen Frühling, den Entwicklungen in Rojava und den jüngsten Massenaufständen richtet sich auch der Blick vieler Linksradikaler wieder stärker in die Welt.

Dabei stellt sich die Frage, was wir eigentlich unter Internationalismus und internationaler Solidarität verstehen. Und: Wie kann diese Solidarität hier praktisch gelebt und organisiert werden?

Wir denken, dass in der Gleichzeitigkeit und der Ähnlichkeit der aktuellen (oder zukünftiger) Massenproteste eine Möglichkeit liegt, hierzulande die Grundlagen für einen neuen lebendigen Internationalismus zu schaffen. Einen Internationalismus, der aus einer Dynamik von unten entsteht, der eine langfristige Perspektive entwickelt und der strategisch mit der Frage der Gesellschaftsveränderung verbunden ist. Dieser Internationalismus, den wir als „aktiven Internationalismus“ bezeichnen, umfasst vor allem zwei wesentliche Aspekte: die Solidaritätsarbeit mit emanzipatorischen Bewegungen und Massenprotesten weltweit einerseits2 und anderer seits die Entwicklung und Stärkung von internationalistisch geprägten Kämpfen von unten in den und gegen die imperialistischen Zentren selbst. Beide Aspekte sind dabei miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Was meinen wir damit?

Internationalismus als strategische Notwendigkeit

Die gängige internationale Solidaritätsarbeit erschöpft sich häufig in der bloßen Solidarität mit und der Unterstützung von emanzipatorischen Bewegungen oder Massenprotesten weltweit. Sie wird entweder von denjenigen getragen, die sich speziell als Solidaritätsgruppen einer bestimmten Bewegung verstehen, oder von Gruppen/Einzelpersonen, die sich anlassbezogen damit beschäftigen. Internationalismus wird jedoch häufig auf diese Form der Solidaritätsarbeit reduziert oder mit ihr gleich gesetzt. Fast immer wird sie lediglich als ein weiteres politisches Feld betrachtet, das relativ getrennt von der eigenen lokalen Praxis und den Kämpfen vor Ort steht.

Internationalismus ist aber mehr. Im zunehmend global organisierten Kapitalismus und vor dem Hintergrund der weltweit erlebbaren Auswirkungen imperialistischer Politik ist Internationalismus keine bloße ‚moralische‘ Verpflichtung oder ein zusätzliches politisches Prinzip oder Aktionsfeld, sondern vielmehr strategische Notwendigkeit für eine tägliche Praxis der Gesellschaftsveränderung. Denn die Lebensbedingungen in Ländern des Globalen Südens aber auch die Unterdrückung von emanzipatorischen Bewegungen und Massenprotesten kann nicht getrennt von der Politik der kapitalistischen Zentren und ihrer Interessen betrachtet werden3. Deshalb ist die Entwicklung von antikapitalistischen und internationalistischen Kämpfen innerhalb dieser Zentren selbst ein wichtiger Bestandteil einer globalen revolutionären Perspektive4.

Eine „aktive“ internationalistische Praxis sollte sich daher an der Frage orientieren, wie die potentiellen Subjekte in den Zentren selbst gegen die kapitalistische und imperialistische Herrschaft mobilisiert und damit entfaltet werden können. Wichtige potentielle Subjekte im Kampf für eine grundlegende Gesellschaftsveränderung sind in der BRD ebenjene Menschen, die aus anderen Ländern geflüchtet oder migriert sind und/oder in zweiter, dritter Generation hier leben. Sie sind strukturell am stärksten von prekären Arbeits- und Lebensbedingungen betroffen: sie stellen die Mehrheit derjenigen, die in Leiharbeit oder mit deregulierenden Werkverträgen schuften, in schlechten Wohnverhältnissen leben oder in abgehängten Stadtteilen wohnen, in denen es kaum noch öffentliche Infrastruktur gibt. Gleichzeitig sind sie vom zunehmenden Rassismus und Nationalismus der Dominanzgesellschaft betroffen und damit – alltäglich und strukturell – diversen Diskriminierungs- und Exkludierungserfahrungen ausgesetzt. Ihre Einbindung in den nationalen Klassenkompromiss ist daher schwieriger. Aus diesen Gründen sind (Post)Migrant*innen, Geflüchtete, (Black) Persons of Colour und andere Markierte/Exkludierte wichtige potentielle Subjekte in der Entwicklung von anti-imperialistisch, anti-rassistisch und internationalistisch ausgerichteten Kämpfen gegen die kapitalistische Herrschaft5.

Wenn wir davon ausgehen, dass für einen strategisch ausgerichteten Internationalismus beide Faktoren – die Solidaritätsarbeit und die Entwicklung von Kämpfen vor Ort – unerlässlich sind, stehen wir vor folgenden Fragen: Wie kann eine organische Verbindung von internationalistischer Solidaritätsarbeit auf der einen mit der Entwicklung von Kämpfen von unten in den/gegen die kapitalistischen Zentren selbst auf der anderen Seite aussehen? Was bedeutet eine solche Verbindung für die Form und Ausrichtung von Solidaritätsarbeit?

Klassische Solidaritätsarbeit

Klassische Solidaritätsarbeit folgt meist der auf- und wieder abflammenden Dynamik der weltweiten Proteste und Bewegungen. Breite Aufmerksamkeit und Beteiligung erfährt sie häufig vor allem dann, wenn die Situation an den jeweiligen Orten akut und die Repression hoch ist oder wird. Aus diesen Gründen umfasst klassische Solidaritätsarbeit vor allem öffentlichkeitswirksame Aktionen, die die Aufmerksamkeit – leider häufig nur für begrenzte Zeit – auf die so skandalisierten Verhältnisse in einem internationalen Kontext lenken. Diese sind wichtig und notwendig, um die von den Mainstream-Medien meist ignorierten oder verzerrt dargestellten Bewegungen sichtbar und verstehbar zu machen und Anknüpfungspunkte aufzuzeigen. Außerdem haben Solidaritätsaktionen das Potential, den konkret Kämpfenden vor Ort eine wichtige Stärkung zu sein.

In der gängigen Solidaritätsarbeit liegt der Fokus der Öffentlichkeitsarbeit jedoch häufig darin, bürgerliche und zivilgesellschaftliche Teile der Gesellschaft erreichen und zu einer Positionierung bewegen zu wollen, um so indirekten Druck auf die politisch Verantwortlichen auszuüben oder eine Diskursverschiebung „von oben“ zu erreichen6. Die Methoden sind daher dieselben, die auch in anderen politischen Aktionsbereichen der radikalen Linken verbreitet sind: Kampagnen, öffentlichkeitswirksame Aktionen und Bündnisse mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, Parteien, Gewerkschaften etc. Das birgt zum einen die Gefahr, dass die Argumentationen und Begründungen an den bürgerlichen Diskurs angepasst werden, was klassischerweise zu dem Appell an die Bundesregierung führt, wahlweise die Menschenrechte, die Demokratie, das Völkerrecht etc. zu achten oder ihre NATO-Partner zur Räson zu bringen. Dabei wird die Rolle der Bundesregierung bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Ursachen weltweiter Missstände sowie der Unterdrückung von widerständigen Bewegungen verschleiert. Zudem werden falsche Hoffnungen an eine „richtige“, weil moralische Politik geweckt bzw. das Zerrbild der guten westlichen Demokratie verfestigt – gerne auch im Gegensatz zu den autoritären Regierungen in den Ländern, in denen die Proteste / Bewegungen stattfinden und unterdrückt werden. Zum anderen bleibt diese Form der Solidaritätsarbeit meist auf linksradikale und maximal intellektuell-bürgerliche oder zivilgesellschaftliche Kreise der Mehrheitsgesellschaft begrenzt.

Zwei Aspekte der Solidaritätsarbeit im Rahmen eines aktiven Internationalismus

Aus dieser Kritik lassen sich zwei Aspekte benennen, die für die Verbindung von konkreter Solidaritätsarbeit mit einer weiterreichenden internationalistischen Perspektive wichtig sind: 1) die kritische Vermittlung der Rolle der BRD im jeweiligen Kontext und 2) die Ausrichtung auf eine Solidaritätsbewegung „von unten“.

Anstatt Forderungen oder Appelle an politische Verantwortliche oder die Bunderegierung als Ganzer zu formulieren, halten wir es für zielführender in der Solidaritätsarbeit die Rolle der Bundesregierung bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der skandalisierten Verhältnisse sowie der erlebten Unterdrückung heraus zu arbeiten und zu vermitteln. Dadurch kann der Tendenz entgegen gewirkt werden, dass die jeweiligen Verhältnisse in anderen Ländern isoliert von der hiesigen Politik (der Metropolländer) betrachtet werden und das Entsetzen über die Verhältnisse „dort“, die Zufriedenheit mit der guten Demokratie „hier“ stärkt. Diese Tendenz besteht gleichermaßen bei Personen, die keinerlei Verbindungen zu anderen Ländern haben als auch bei Menschen, welche die Unterdrückung offen autoritärer Staaten selbst oder über Familienverbindungen erlebt haben oder noch miterleben. Denn nicht selten wird auch von „fortschrittlich“ denkenden Personen aus Ländern wie dem Irak, Iran, Äypten etc. die Errichtung einer bürgerliche Demokratie am Beispiel der Bundesrepublik als Ziel ihrer widerständigen Bestrebungen definiert. Um diese Illusionen zu zerstören und der bürgerlichen Demokratie ihre humanistische Maske zu entreißen, ist eine wichtige Aufgabe revolutionärer Kräfte in der internationalistischen Solidaritätsarbeit, die direkten Verbindungen zwischen der Politik/den Interessen der Bundesregierung und den unterdrückenden Verhältnissen andernorts aufzuzeigen. Darüberhinaus bietet sich insbesondere in Phasen weltweiter Massenproteste die Möglichkeit, die zugrundeliegenden politischen und wirtschafltichen Ursachen heraus zu arbeiten und Verbindungen zu den Folgen derselben Politik auch innerhalb der Bundesrepublik zu ziehen.

Auf der anderen Seite erachten wir es als notwendig, die Solidaritätsarbeit in den „akuten“ Phasen (ebenso wie allgemein die eigene lokale Praxis7) darauf auszurichten, eine Dynamik „von unten“ zu erzeugen, anstatt primär auf zivilgesellschaftliche Bündnisse und die Intervention in den bürgerlichen Diskurs zu fokussieren. Das bedeutet konkret, vorwiegend („fortschrittlich“ denkende) Menschen aus den jeweiligen Communities zu mobilisieren und für die Solidaritätsarbeit zusammen zu bringen. Zeiten weltweiter Aufstände und Massenproteste bieten hierfür eine gute Möglichkeit. Denn durch die Flucht- und Migrationsbewegungen der letzten sieben Jahrzehnte leben in der Bundesrepublik eine Vielzahl von Menschen, die direkte Bezüge zu den jeweiligen Massenprotesten in Ländern wie Irak, Iran, Libanon, Chile, Ecuador, Kolumbien, Sudan, Guinea und möglichen zukünftigen Protesten haben und von deren Dynamiken beeinflusst werden. Viele von ihnen verfolgen die Entwicklungen vor Ort über soziale Medien und stehen in direktem Kontakt mit Angehörigen und Freund*innen, um deren Wohl und Leben sie fürchten (müssen). Die Dynamik der Proteste bewegt und politisiert also.

Gleichzeitig macht der herrschende alltägliche Rassismus und die strukturelle Ausgrenzung es Exil-Linken und politisch bewegten Einzelpersonen schwer, in der bundesdeutschen Dominanzgesellschaft politisch aktiv zu werden und so ihrer Solidarität mit den Aufständen in den Herkunftsländern – aber auch der eigenen Wut über die unhaltbaren Zustände – einen öffentlichen Ausdruck zu geben. Die wenigen Solidaritätsaktionen, die organisiert werden, bleiben meist auf die eigene Community beschränkt und werden darüber hinaus kaum wahrgenommen.

Aufbau internationalistischer Plattformen

Eine Möglichkeit, diese Isolation und Trennung aufzubrechen, sehen wir darin, gezielt Orte zu schaffen, an denen Aktivist*innen sowie politisch unorganisierte, aber bewegte Einzelpersonen aus den unterschiedlichen Communities zusammenkommen, ihre Erfahrungen mit den und Wissen über die jeweiligen Massenprotesten austauschen und gemeinsam Solidarität organisieren können. Diese Orte bezeichnen wir als internationalistische Plattformen.

Damit so eine internationalistische Plattform lebendig und dynamisch wird, reicht es nicht, ein Bündnis aus politischen Organisationen oder linken Gruppen ins Leben zu rufen. Dieses läuft Gefahr, sich in ideologischen Auseinandersetzungen zu verlieren und abstrakt oder hohl zu bleiben. Vielmehr geht es darum, innerhalb der einzelnen Communities zu mobilisieren und dadurch auch eine Vielzahl von Menschen zu erreichen, welche die Ereignisse erstmal „nur“ wegen der direkten oder indirekten Betroffenheit bewegen8. Das ist, was wir als Dynamik „von unten“ bezeichnen. Einen Ausgangspunkt hierfür kann zum Beispiel die Organisation einer internationalen Podiumsdiskussion bilden, auf der Menschen aus den unterschiedlichen Communities über die jeweiligen Proteste berichten. (In Bremen gelang es uns, Menschen aus oder mit Bezug zu Kolumbien, Chile, Irak, Iran und Guinea zu einer gemeinsamen Podiumsveranstaltung einzuladen. In den Vorträgen wurden die Ähnlichkeiten der Situation in den unterschiedlichen Ländern sichtbar gemacht – sowohl was die Zusammensetzung, die Methoden und die Forderungen der Massenproteste angeht, als auch die massive Repression und Unterdrückung.) Diese geteilte Erfahrung und erlebte Gemeinsamkeit kann als Bezugspunkt für einen weiteren Austausch und Kennenlernprozess genutzt werden. Eine weitere Möglichkeit ist die Organisation von gemeinsamen Solidaritätsaktionen wie beispielsweise Kundgebungen oder Demonstrationen, bei der die unterschiedlichen Communities zusammen kommen. So kann ein gemeinsamer Raum gestaltet werden, an dem eine emotional-politische Verbindung zu den konkret Kämpfenden hergestellt, den Getöteten gedacht und dem Schmerz wie auch der Wut ein kollektiver, öffentlicher Ausdruck verliehen wird.

Der Aufbau einer internationalistischen Plattform ist ein langfristiger Prozess. Ziel ist es, einen kontinuierlichen Ort zu schaffen, der in der Lage ist Menschen aus verschiedenen Communities in einer Stadt zusammen zu bringen. Durch die gemeinsame Solidaritätsarbeit können Kontakte geknüpft, Verbindungen geschaffen und Vertrauen aufgebaut werden. Gleichzeitig entsteht dadurch ein Raum, in dem über die gemeinsamen Ursachen der unterschiedlichen Proteste diskutiert, Verbindungen zur eigenen Lebenssituation hergestellt und ein Verständnis über die Notwendigkeit gemeinsamer Kämpfe in der hiesigen Gesellschaft geschaffen werden kann. Im besten Fall wird die gemeinsam organisierte Solidaritätsarbeit dadurch zum Ausgangspunkt für eine weitergehende Beteiligung auch am Aufbau von kämpferischen Strukturen rund um Lohnarbeit, Wohnen, Reproduktion, Rassismus und so weiter. In diesem Sinne ist der Aufbau internationalistischer Plattformen strategisch und organisch mit revolutionärer Basisarbeit wie der im Stadtteil oder Betrieb als lokaler Praxis verbunden.

#Titelbild: ROAR Magazine/P2P Attribution-ConditionalNonCommercial-ShareAlikeLicense

1 Im Irak wurden in den ersten zwei Monaten der Proteste schätzungsweise über 450 Personen von Sicherheitskräften erschossen, über 20.000 teilweise schwer verletzt. Im Iran werden erst mit der Zeit die Ausmaße der Unterdrückung bekannt, Schätzungen reichen von 500 bis über 1000 Toten. In Chile verloren über 350 Menschen durch Tränengaskartuschen, die in die Demonstrationen gefeuert wurden, ihr Augenlicht. Mehr als 23 Menschen starben während der Proteste.

2 Sowie der Austausch und die konkrete Vernetzung

3 Sowohl die Durchsetzung und Verschärfung kapitalistischer Ausbeutungsbedingungen wird verstärkt von diversen imperialistischen Staaten vorangetrieben (wie z.B. über bi- oder multinationale Freihandelsabkommen, Aufrechterhaltung postkolonialer Abhängigkeitsstrukturen wie z.B. dem Franc CFA, Durchsetzung von günstigen Bedingungen der Rohstoffausbeutung sowie des Zugangs zu Rohstoffen etc) als auch die Durchsetzung direkter imperialistischer Methoden und Interessen (militärische Interventionen, direkte oder indirekte Kriegsführung, etc.). Auch die Unterdrückung wird zunehmend globalisiert (Polizeiabkommen, Ausbildungsprogramme, Transfer von Sicherheits- und Überwachungstechnologien, Rüstungsexporte etc.).

4 Diese Verbindung gilt selbst innerhalb der EU, in der die Bundesregierung eine zentrale Rolle einnimmt. So beeinflusst die Abwesenheit von größeren Kämpfen gegen die neoliberale Umgestaltung der Gesellschaft innerhalb der BRD direkt die Lebens-, Arbeits- und Kampfbedingungen in Ländern wie Griechenland und Frankreich.

5 Auch wenn natürlich der Einfluss nationalistischer und rassistischer Kräfte und Ideologien auch bei migrantischen Communities ein wichtiges Problem sind.

6 Obwohl die Erfahrung zeigt, dass selbst breite Mobilisierungen wie z.B. die Demonstrationen und vielfältigen Aktionen nach den Angriffen der türkischen Armee auf Rojava, den Kurs und die Politik der Bundesregierung nicht zu ändern vermögen.

7 Siehe ausführlicher dazu 11 Thesen über Kritik an linksradikaler Politik, Organisierung und revolutionäre Praxis von kollektiv aus Bremen, u.a. zu lesen bei https://de.indymedia.org/node/9708

8 Wenn es darum geht, Menschen zu solchen Plattformen einzuladen, gibt es dennoch Grenzen: So würden wir z.B. Personen mit starken nationalistischen oder politisch religiösen Einstellungen oder Verbindungen zu ebensolchen Organisationen nicht einladen.

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Liam Ó Ruairc neues Buch über Nordirland zeichnet ein ernüchterndes Bild vom viel gelobten „Friedensprozess“

Viel Bezug zu Irland hat die außerparlamentarische Linke Deutschlands heute nicht. Den älteren Genoss*innen wird zumindest noch Bobby Sands ein Begriff sein, vielleicht kann der eine oder die andere noch ein paar Wolfe-Tones-Klassiker mitträllern und die an europäischen Linksparteien Interessierten werden schon mal den Namen Sinn Féin gehört haben. Aber breit im Bewusstsein verankert oder gar kollektiv diskutiert und ausgewertet wird das, was sich da auf der Insel zwischen Cork und Derry abgespielt hat und abspielt bei uns, nicht.

Dabei gehörte die Irish Republican Army, die IRA, über viele Jahrzehnte wohl zu den bekanntesten linksnationalistischen Bewegungen Europas. Gegründet 1969 kämpfte die Provisional IRA bewaffnet gegen die britische Besatzung Nordirlands – bis zum „Good Friday Agreement“ von 1998.

Schon während seines Bestehens wurde der eigentlich antiimperialistische Konflikt vom bürgerlichen Mainstream wahlweise als Religionsstreit zwischen irischen Katholiken und pro-britischen Protestanten oder als Antiterrorkampf einer legitimen Regierung verkauft; nach dem Friedensabkommen veränderte sich der Narrativ.

Das Ende des Jahrzehnte lang als „troubles“ (Probleme) verharmlosten Befreiungskriegs wurde zum Musterbeispiel für die „friedliche“ Beilegung bewaffneter Auseinandersetzungen präsentiert, als eine roadmap, ein Fahrplan zur Konfliktbeilegung.

Die nun erschienene Monographie „Friede oder Befriedung? Nordirland nach der Niederlage der IRA“ des Republikaners und Sozialisten Liam Ó Ruairc macht fundiert eine Gegenrechnung zu diesem Mythos. Der Good Friday sei nicht der Beginn eines Friedens in einem umfassenden Sinn gewesen, sondern markiere die Niederlage des irisch-republikanischen politischen Kampfes. Ó Ruaircs historisch untermauertes Urteil ist vernichtend: „Die Vereinbarung von 1998 fragmentiert das Recht auf Selbstbestimmung des irischen Volkes als Ganzem. Die Souveränität des britischen Staates wurde zementiert. Das bedeutet nicht nur eine Niederlage für den irischen Republikanismus, sondern Sinn Féin“ – die einst wichtigste Kraft im anti-britischen Lager – „hat sich dem feindlichen Lager angeschlossen.“

Liam Ó RUAIRC: “Peace or Pacification”, Zero Books 2019

Der Friedensprozess sei kein Aushandeln auf Augenhöhe gewesen, argumentiert der irische Publizist, sondern das Resultat einer Niederlage der IRA, die man sich einzugestehen habe, wenn man den Republikanismus als politische Idee weiterentwickeln wolle. Die versprochene „Friedensdividende“ sei ausgeblieben, ja mehr noch sei mit der Befriedung ein Prozess des neoliberalen Umbaus Nordirlands einhergegangen.

Der Quellenreichtum von „Friede oder Befriedung?“ macht das Buch dabei gerade auch für Irland-Laien lesenswert – es liefert viele wenig bekannte Daten und Fakten und geschichtlichen Kontext. Die Schärfe der Beobachtung macht es passagenweise auch ganz unabhängig von dem konkreten Bezug zu einer lehrreichen Lektüre. So sind zum Beispiel die Bemerkungen zu „Opfer-Industrie und Therapiekultur“ unschwer etwa auf die in spanischen und baskischen Debatten um den Kampf der ETA vorherrschende Entpolitisierung der Gedenkkultur wiederzufinden.

Und wem in unserer postmodernen Linken würde nicht die Entschärfung des Konflikts durch eine Verlagerung auf das Level der „narzistischen kleinen Differenzen“ bekannt vorkommen? „Zuvor wurde der Konflikt klar verstanden als ein politischer Konflikt zwischen zwei entgegengesetzten politischen Ideologien – Republikanismus und Unionismus. Die Frage war, wer letztendlich der Souverän war: Der Britische Staat oder das irische Volk als Ganzes. Der Friedensprozess hat das fundamental verändert: Der Konflikt wird nun neu definiert – nicht als ein Disput zwischen entgegengesetzten politischen Ideologien, sondern als kultureller Clash zwischen zwei unterschiedlichen kulturellen Identitäten.“ Die Frage, wer real die Souveränität in Nordirland hat, tritt zurück hinter Spiegelfechtereien darüber, wer wie viele Tage im Jahr welche Fahne irgendwohin hängen darf.

Ó Ruaircs Buch gibt nicht nur einen guten Überblick über die Lage in Nordirland heute; es ist auch lesenswert im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen auf der Insel. Denn so oder so, der Brexit wird die immer noch unvollendete Befreiung Irlands von britischer Vorherrschaft wieder in den Fokus der öffentlichen Debatte rücken. Und dabei kann es nicht schaden, die Stimmen dissidenter Linker aus Irland zumindest zur Kenntnis zu nehmen.

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