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Unsere Autorin Eleonora Roldán Mendívil ist in Südamerika unterwegs, beobachtet die gesellschaftlichen Verhältnisse und spricht mit Menschen im Alltag über die ökonomischen und sozialen Probleme der Region, sowie über ihre verschiedenen Formen, Widerstand zu leisten. In den kommenden Wochen berichtet sie regelmäßig im Lower Class Magazine über ihre Eindrücke. Los geht’s in der peruanischen Küstenstadt Trujillo.

Ich reise mit einem Genossen von Lima über Chimbote an der Küste bis ins acht Autostunden nördlich von der Hauptstadt Lima gelegene nach Trujillo. Als wir am Busterminal ankommen hören wir in den Nachrichten, dass am Vortag drei Menschen in der Stadt ermordet wurden. Die Stadt in der 800.000 Einwohner*innen leben ist nicht nur für seine eine antiken archäologischen Stätten bekannt: Huaca del Sol y de la Luna sind zwei Lehmpyramiden der Moche-Kultur, welche von ca. 300 bis 800 nach westlicher Zeitrechnung (n.Chr.) erbaut und als religiöse sowie administrative Zentren genutzt wurden. Trujillo ist auch die Hauptstadt der Bandenkriminalität und damit verbundener Morde. Der Staadtteil El Porvenir weist die meisten Morde des Landes pro Einwohner*in auf; knapp 20 auf 100.000 Einwohner*innen. Ein Cousin holt uns ab. Das erste was er uns zeigt ist seine Waffe. Er ist Serenazgo, also für die Seguridad Cuidadana, die Sicherheit der Bürger*innen zuständig. Das ist sein Job. Ich dachte die Serenazgos seien zivile Kräfte, die von den Bezirken eher als eine Art Ordnungsamt eingesetzt werden und frage nach. „Nein, die Waffe ist privat“ erklärt mir der Cousin, „aber ich trage sie auch während der Arbeit. Es ist einfach zu gefährlich“.

Peru ist ein abhängiges Land. Nach der offiziellen Unabhängigkeit von der Spanischen Krone 1821 genossen nur knapp drei Prozent der Bevölkerung demokratische Rechte in der neuen Republik: besitzende Männer über 21 Jahren, allesamt Nachfahren von Spanier*innen. Seitdem haben sich die verschiedensten imperialistischen Kräfte um die Ressourcen in dem Andenland gestritten. Vor allem Gold und Silber, aber auch weitere Metalle, sowie Rohöl und das Coca-Blatt, aus welchem Kokain gewonnen wird, bestimmen den Handel der heutigen peruanischen Nationalbourgeoisie. Multinationale Konzerne schaffen sich lokale Lakaien um zu Spottpreisen das Land seiner Reichtümer legal oder weniger legal zu rauben. Die historisch korrupten Gewerkschaftsführungen machen den Aufbau von unabhängiger Klassenmacht fast unmöglich.

Auch Trujillo ist in dieses ökonomische Spiel verwickelt. Die Ware – ob Gold, Rohöl oder Kokain – kommt aus den Anden und dem Regenwaldgebiet oft hier an und wird im nahe gelegenen Chimbote auf riesige Container-Frachter verladen, um über den Hafen in die Welt verschifft zu werden. In den letzten Jahrzehnten haben sich unter anderem durch eine erhöhte Produktivität auch Mafien gebildet, die durch Schmiergelder an Politiker*innen und an die Polizei ihre Geschäfte sichern. Die Bandenkriminalität ist ein Nebenprodukt einer auf Export von Rohstoffen orientierten, abhängigen, kapitalistischen Wirtschaft.

In den folgenden Tagen streifen wir durch die Stadt und klappern die touristischen Höhepunkte ab. Der meiste Tourismus ist einheimisch. Hin und wieder treffen wir eine Reisegruppe von Französ*innen oder Deutschen im Rentenalter. Ein paar mochileros, junge Rucksack-Tourist*innen treffen wir auch. Vor allem in Huanchaco sind diese zu Hauf unterwegs. Der Strand ist eines der Hauptziele für Surfbegeisterte, die nach Peru reisen. Wir hören Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch aus Spanien und Argentinien. Auch die Konsumangebote sind internationaler, als im Rest der Stadt: Es gibt Surfunterricht und sogar Yogastunden auf Englisch.

Uns erstaunt die Anzahl an Venezolaner*innen, vor allem im Einzelhandel und Gastronomie-Bereich. Aber auch auf der Straße des Stadtzentrums. Sie verkaufen Bonbons, Kaffee und Kuchen. An einem Abend bleiben wir länger neben einem jungen venezolanischem Cello-Spieler stehen und hören seinen Interpretationen verschiedenster Pop-Lieder zu. Ihm sind die Venezolaner*innen peinlich, die auf der Straße betteln oder Scheine hoher Geldsummen von Bolivares, der venezolanischen Währung, verkaufen, welche durch die extrem hohe Inflation nun nur noch als Kuriosität Wert haben. „Ich möchte nach Deutschland“ erklärt er uns, und will gleich wissen ob es leicht sei sich eine weiße, deutsche Freundin zu besorgen. Die koloniale Mentalität ist in ganz Lateinamerika tief verwurzelt. Alle Menschen die so aussehen wie man selbst oder gar dunkler sind, gelten als weniger attraktiv. Mejorar la raza, die Rasse verbessern, ist ein Konzept, welches seit der Kolonialzeit überlebt. Mit dem Beginn der Kolonisierung im 16. Jahrhundert, wurden von den Spaniern Rassetabellen geschaffen, welche je nach Grad des mestizaje, der Vermischung, einer Person eine bestimmte Stellung in der kolonialen Hierarchie zuordnete. Je weißer man war, desto bessere Chancen auf eine gute Anstellung und damit auf weniger Ausbeutung hatte man. Deswegen war die Devise möglichst so zu Heiraten, dass die eigenen Kinder weißer wurden. Diese Denkart zeigt sich heute noch immer auf Werbetafeln und in der Kulturindustrie, die neuen postkolonialen Schönheitsideale kommen aus den USA. . Von Plakaten und in Fernsehspots lächeln weiße Models und die Telenovela-Schauspieler*innen sind mehrheitlich weiß. Selbst die Puppen, mit denen die Kinder spielen sind weiß und blauäugig. Und alle Friseur-Läden werben mit riesigen Bildern verschiedenster Haarschnitte an weißen, blonden oder braunhaarigen Menschen. In einem Land mit mehrheitlich Braunen Menschen mit indigenen Vorfahren, sind solche Schönheitsbilder mehr als skurril.

An einem anderen Abend sehen wir eine Menschenmenge an einem Platz im Zentrum von Trujillo. Als wir uns nähern hören wir Hip-Hop Beats. Es findet gerade ein Rap-Battle statt. Ca. 60 Jugendliche haben sich versammelt. Der jüngste Rapper ist vielleicht 13 Jahre alt. Es treten immer vier gegeneinander an und freestylen in kurzen Sequenzen nacheinander. Es geht um ihr barrio, ihre Nachbarschaft, um Gewalt, Waffen und darum wer der beste Freestyler ist. Einer der jugendlichen Rapper disst seinen Vorgänger indem er ihm aufzeigt, dass sein Rassismus hohl ist, und dass es hier nicht um Diskriminierung sondern um den besten Rapper geht. „Montags, Mittwochs und Donnerstag rappen wir in einem Sozialem Zentrum, Samstags machen wir hier die battles“ erzählt uns Crónica. Er ist 17 Jahre alt und hat gerade das letzte Battle gewonnen. „Diese Rap Battles sind eine Bewegung, die schon seit vielen Jahren existiert. Es ist eine massive Bewegung. Beim Freestylen improvisieren wir. Manchmal wird ein Thema vorgegeben, manchmal entwickelt es sich von selbst. Mich interessieren am meisten kulturelle Themen“. Wir fragen ihn nach den Problemen in Trujillo, welche vor allem Jugendliche betreffen. „Eines der Hauptprobleme sind die Drogen. Viele junge Leute sind drogenabhängig. Andere entscheiden sich für Rap und versuchen hierüber ihre Probleme zu verarbeiten. Bei uns skaten und breakdancen junge Leute auch. Dies hilft, damit Jugendliche nicht in die Bandenkriminalität abrutschen“.

# Eleonora Roldán Mendívil
# Titelbild: CHIMI FOTOS/CC BY-NC-SA 2.0

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Ein Gastkommentar von Hannes Loh und Martin Seeliger

Zum Auftakt zwei Hypothesen: Wenn N.W.A. einen Film über ihre Geschichte machen, wird dort wahrscheinlich ein kulturindustriell vereinnahmter Rebellionsgestus zur Schau gestellt. Und wenn ein Geschichtslehrer und ein Doktorand der Politikwissenschaft einen Kommentar hierzu schreiben, ist das wahrscheinlich intellektualistisches Geschiss. Wo das geklärt ist, wollen wir die erste Behauptung einer praktischen Überprüfung unterziehen.

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