Wie sich Teile der Klimabewegung im Nebel des Krieges verirrt haben
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine wird über ein Embargo auf russisches Gas und Öl diskutiert. Während die Bundesregierung unter Verweis auf Versorgungssicherheit und Preisanstiege dies bisher noch ablehnt, haben sich mit Ende Gelände (EG) und Fridays for Future (FFF) auch Teile der Klimabewegung der Forderung angeschlossen. Auf den ersten Blick spricht vieles dafür, die ohnehin seit langem erhobene Forderung nach Ausstieg aus den fossilen Energien in dem Moment zu intensivieren, in dem sie als Maßnahme gegen den russischen Krieg eine hohe gesellschaftliche Legitimität besitzt. Aber das ist nur die naive Konstruktion einer imaginierten „Win-win“-Situation. So hieß es am 01.03. in einer Presseerklärung von EG: „Statt hochgerüsteter Staaten und einer Rückkehr zum Kalten Krieg, fordert Ende Gelände den sofortigen Gasausstieg als Konsequenz aus dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Nicht Staaten, Oligarchen und zwielichtige Konzerne sollten die Energieversorgung kontrollieren, sondern wir alle, dezentral, erneuerbar und klimagerecht. Wir brauchen Wärmepumpen statt Waffen.”
Ein solcher “Kurzschluss” zwischen Klimakrise und Krieg ist propagandistisch nachvollziehbar, in der Sache jedoch tendenziell nicht nur zynisch, sondern er verkennt auch den Zusammenhang zwischen dem Krieg und den Transformationsprozessen des grünen Kapitalismus, der Umweltzerstörung und Ausbeutung nach dem fossilen Zeitalter nur anders organisieren, aber bei weitem nicht überwinden wird.
Wenn wir uns als Klimagerechtigkeitsbewegung diese Zusammenhänge nicht aneignen, laufen wir Gefahr, nur in deren Fahrwasser mitzuschwimmen, anstatt die notwendigen Kämpfe für antikoloniale globale Klimagerechtigkeit zu organisieren. Eine andere Sache ist dann noch, dass Teile von FFF ganz auf Waffenlieferungen für die Ukraine setzen. Dadurch geraten sie in die Problematik der Mittäterschaft imperialer Neustrukturierungen in dieser Welt und verstehen nicht, warum mit ihrer Forderung keine Kriege beendet, und die Verwertung fossiler Brennstoffe und anderer Energieträger nur geografisch anders organisiert werden.
Energiepolitik ist Sicherheitspolitik
Deutsche und europäische Thinktanks weisen seit Jahren auf die Abhängigkeit der EU von Öl- und Gasimporten insbesondere von Russland hin, die sie als Hindernis für eine offensivere europäische Außen- und Wirtschaftspolitik begreifen. Knapp 60% des deutschen Primärenergiebedarfs wurden durch importiertes Gas und Mineralöl gedeckt, 55% der Gasimporte kommen aus Russland. Die Lösung liege in einer stärkeren Unabhängigkeit, die man durch eine energiepolitische Wende hin zu erneuerbaren Energien, vorzugsweise „made in Europe“, erreichen will. Bereits 2019 erklärte der damalige Außenminister Heiko Maas: „Durch den Einsatz erneuerbarer Energien können Staaten […] ihre eigene Energiesicherheit […] erhöhen. Damit verliert das geopolitische Instrument Energie […] seine Macht.“ Klimapolitik sei auch „Sicherheits- und Außenpolitik“. Fast wortgleich äußerte sich vor kurzem Luisa Neubauer (FFF) und ähnlich hieß es schon 2006 im vom Verteidigungsministerium erarbeiteten Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands:
„Energiefragen werden künftig für die globale Sicherheit eine immer wichtigere Rolle spielen. […] Für Energieversorgungssicherheit sind dabei differenzierte Energiebezugsquellen, der Ausbau der heimischen erneuerbaren Energien und ein ausgewogener Energiemix sowie die Reduzierung des Energiebedarfs […] von herausragender Bedeutung.“ Aufrüstung, Kriege und erneuerbare Energieträger gehen nicht einfach nur gut zusammen, sondern bedingen sich! Umso gefährlicher ist es, die Frage regenerativer Energieerzeugung im Kontext des Militärischen aufzuwerfen: So droht sie uns – gewendet als Frage der nationalen Energiesouveränität – einen Schritt näher zur Normalität des Krieges als Mittel der Politik zu führen.
Energiewende
Als Hemmnis für das strategische Ziel einer Energiewende erwiesen sich die hohen Kosten. Gas wurde zur Übergangslösung einer verlangsamten Energiewende erklärt. Die Kooperation mit Russland im Rahmen der Pipeline Nordstream 2 galt wiederum als kostengünstiger und zuverlässiger als die etwa 20% teurere Alternative von Flüssiggas aus den USA. Hinter dieser Richtungsentscheidung stand auch ein grundsätzlicher Konflikt zwischen einer stärker transatlantischen Ausrichtung auf die USA einerseits und einem Ausbau der ökonomischen Beziehungen zu Russland andererseits innerhalb der EU und Deutschlands. Das Scheitern einer gemeinsamen europäischen Energie- und Außenpolitik wurde als Schwäche gegenüber den USA wie auch Russland wahrgenommen.
Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine bot sich die Gelegenheit zu einer radikalen Neuausrichtung dieser Politik. Innerhalb weniger Tage wurde die jahrelang gegen erhebliche außenpolitische Widerstände durchgesetzte Pipeline auf Eis gelegt, die ökonomischen, politischen und kulturellen Beziehungen zu Russland so umfassend wie schnell entflechtet. Das ist nicht nur eine kriegsbedingte Störung von bilateralen diplomatischen Beziehungen. Hier deutet sich vielmehr eine Intensivierung der Geschwindigkeit der Energiewende an.
Dabei geht es um viel mehr, als nur um einen Austausch der Energieträger. „Grüner Kapitalismus“ wie wir ihn verstehen, benötigt neue Ressourcen, Infrastrukturen, politische Beziehungen, um Ausbeutung und Transport dieser Ressourcen sicherzustellen, Digitalisierung um sie zu optimieren. Er basiert weiterhin auf dem Wachstumszwang und wachsendem Verbrauch von Rohstoffen und Energien. Der Thinktank Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) rechnet bis 2050 mit einer Verdopplung des Stromverbrauchs in BRD und EU. „Grüner Kapitalismus“ hat nicht die Rettung der Umwelt als Ziel. Die Klimakatastrophe bietet den Horizont, die bestehende Industrie zu modernisieren und angesichts der multiplen Krise des Kapitalismus neue Akkumulationsmöglichkeiten zu eröffnen.
Wasserstoff als Energie der Zukunft
Deutschland wird deshalb mangels ausreichender eigener Stromproduktion auf einen Import von Wasserstoff angewiesen sein. Anders als bei fossilen Energieträgern lässt sich dieser Import aber besser diversifizieren. Außerdem kehren sich die Machtverhältnisse um, da die Erzeugerländer stark auf Technologie und Vertriebsnetze der reicheren Länder angewiesen sind. In Nordafrika und Südosteuropa konkurriert China mit der EU um Einflusszonen. Im globalen Wettbewerb geht es darum, sich möglichst schnell einen Vorsprung zu erarbeiten, um Zugriff auf Erzeugerländer zu erhalten, eigene technologische Standards zu setzen und Liefernetzwerke möglichst exklusiv aufzubauen.
Ein Schwerpunkt der Wasserstofferzeugung war der Ukraine zugedacht. Seit Sommer 2020 existiert eine deutsch-ukrainische Wasserstoffpartnerschaft. Im Januar 2021 eröffnete Außenministerin Annalena Baerbock ein Wasserstoffbüro in Kiew. Damit sollten deutsche Investitionen vorangebracht werden. Spekuliert wurde etwa über Entsalzungsanlagen, um die benötigten Süßwassermengen aufbringen zu können. Durch weitere technische Aufrüstung wäre auch eine Nutzung der Gaspipelines und Speicher für den Wasserstofftransport in den Westen möglich gewesen. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, formulierte das Ziel, sein Land solle innerhalb von fünf bis zehn Jahre zu Europas größtem Wasserstofflieferanten werden. Die Abhängigkeit von russischem Gas und der Status als Transitland wären damit gebrochen worden. Die von Tomasz Konicz vorgebrachte Analyse, Russland habe im Angriff auf die Ukraine präventiv gehandelt, weil es seine auf fossilen Rohstoffen basierende Konkurrenzmacht in den nächsten Jahren schwinden sieht, scheint hier besonders hellsichtig.[1]
Auf der Jagd nach Rohstoffen
Zur Konkurrenz um Energieträger wird sich in den nächsten Jahren die verstärkte Jagd nach bestimmten Rohstoffen gesellen, die für den Ausbau von erneuerbaren Energien und Elektromobilität benötigt werden, etwa in Elektronik, Robotik und Umwelttechnologien. Die Nachfrage nach Lithium und sogenannten Metallen der Seltenen Erden werden um ein Vielfaches steigen.
Etwa 70% der weltweiten Förderung und 90% der Verarbeitung der Seltenen Erden werden von China kontrolliert. Um langfristig 20% des eigenen Bedarfs an Seltenen Erden und anderen benötigten Metallen selbst zu kontrollieren, gründete die EU daher 2020 die European Raw Materials Alliance (ERMA) als Zusammenschluss von Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Regierungsstellen und Verbänden.
Grundsätzlich ließen sich Vorkommen von Seltenen Erden auch in Europa nutzen, insbesondere in Norwegen. Der Aufwand für Abbau und Verarbeitung ist aber sehr hoch im Vergleich zu den erzielbaren Gewinnen. Die entscheidende Wertschöpfung findet statt, wenn eingekaufte Rohstoffe in der E-Mobilität, im Maschinenbau oder der Chemieindustrie eingesetzt werden, das Wachstumspotential von Mobilitäts- und Automobilmarkt in der EU wird auf 350-400 Milliarden Euro geschätzt. Ein weiterer Faktor sind die umweltschädlichen Bedingungen, unter denen Seltene Erden gefördert werden. Vorkommen von Lithium in Chile oder Bolivien, Kobalt in der DR Kongo, Platin in Albanien, werden Ziele eines in Zukunft noch hungrigeren grünen Neokolonialismus werden.
Halbleiter und der Kampf um Taiwan
Der Ausbau eines „grünen Kapitalismus“ ist ohne die digitale Steuerung von Prozessen in Produktion, Zirkulation und digitalem Alltag nicht zu denken. Eine weitere Schlüsselkomponente stellen deshalb Halbleiter bei der Chipproduktion dar. Ihr Mangel führte in den letzten zwei Jahren immer wieder zu einem Stau in globalen Wertschöpfungsketten und Produktionsausfällen vor allem in der Automobilindustrie. Die globale Konkurrenz um Halbleiter wird deren Produktion bis 2030 voraussichtlich verdoppeln, während die EU mittels milliardenschwerer Subventionen ihren Weltanteil ihrerseits auf 20% verdoppeln will.
So stark die Position Chinas im Bereich von Rohstoffen und (digitalen) Technologien ist, ist das Land bei Halbleitern selbst von massiven milliardenschweren Importen abhängig. Die Konkurrenz in den pro-westlichen Ländern Japan, Südkorea und vor allem Taiwan hat noch einen Vorsprung.
Gerade Taiwan ist technologisch qualitativ wie quantitativ in der Chipproduktion führend. Hier könnte sich ein neuer Krieg andeuten. Denn China strebt im Rahmen seiner Ein-China-Politik die Wiedervereinigung mit Taiwan an. Die Strategie, dies ohne offenen militärischen Konflikt zu lösen, würde sich ändern, wenn Taiwan sich einseitig als Republik unabhängig erklären würde. Die USA wiederum erklärten, Taiwan (im Unterschied zur Ukraine) im Fall eines chinesischen Angriffs militärisch verteidigen zu wollen. Seit Jahren verlagern die USA militärische Kapazitäten an die pazifischen Inseln vor Chinas Küste und rüsten auch Taiwan selbst mit milliardenschweren Waffenlieferungen und Militärprogrammen auf.
Von der „strategischen Autonomie“ zu den Kriegen der Zukunft
Lange Jahre galten der Linken die Kriege der Vergangenheit als Kriege um fossile Ressourcen, Öl und vor allem im Fall der Ukraine um Gas. Doch mit dem sich abzeichnenden Ausklingen des fossilen Kapitalismus werden die Kriege nicht aufhören. Der Umstieg auf Erneuerbare Energien ist Teil eines neuen kapitalistischen Akkumulationsregimes. Der „grüne Kapitalismus“ ist wie der bisherige auf bestimmte Energieträger, Rohstoffe und Komponenten angewiesen, um die es eine neu entfachte globale Konkurrenz gibt. „Ökologisch, digital und resilient“[2] sollen die weltweiten Liefer- und Handelsrouten abgesichert werden.
Nicht wenige EU-Strategen werden den Krieg in der Ukraine als glückliche Chance betrachten, einen entscheidenden Schritt zur gemeinsamen ökonomischen und politischen Koordinierung, und militärischer Aufrüstung zu unternehmen.Die Stimmung in der Bevölkerung, die sich in der Kriegskonfrontation mit Russland als europäisch zu begreifen anfängt, soll sich hin zu einer Bereitschaft ändern, für die Verteidigung Europas Krieg zu führen. Die Entflechtung der russisch-europäischen Beziehungen war dafür eine Notwendigkeit, die Unabhängigkeit von russischen fossilen Energien der letzte noch ausbleibende Schritt. Die „strategische Autonomie“ durch erneuerbare Energie zeigt nicht den Weg zu einer friedlicheren Welt auf, sondern ist im Gegenteil die Ermöglichung der nächsten Kriege. Der von unseren Herrschenden geäußerte Wunsch, jetzt zusätzlich von China unabhängig zu werden, muss in dieser Hinsicht beunruhigen. Die real-existierende „ökologische Transformation“ ist Teil eines grünen Imperialismus, gegen den es den Widerstand einer radikalen, antimilitaristischen, antikolonialen und antiimperialistischen Klimagerechtigkeitsbewegung braucht.
Linker Öko-Standortnationalismus
Trotz des wachsenden Bewusstseins für Kapitalismuskritik und Neokolonialismus landen Teile der Klimabewegung immer wieder bei der Forderung nach Investitionen in erneuerbare Energien. Damit wird die Klimakatastrophe auf ein rein technisches Problem reduziert. Vorstellungen einer Gesellschaft die mit Wachstum, Kapitalismus und Kolonialismus bricht, geraten in den Hintergrund. Dabei sind milliardenschwere technische Investitionen im Kapitalismus nicht zu trennen von einem neokolonialen Imperialismus nach außen und Sicherheits- und Klassenpolitiken nach Innen. Somit verschreibt sich die bewegungsorientierte Linke mit ihrem Denken von gesellschaftlichen „Möglichkeitsfenstern“ und „Hegemonieüberlegungen“ über Energiewandel und Ende des fossilen Kapitalismus in Zeiten des Krieges einer Art linkem Öko-Standortnationalismus, statt die Frage von Klimapolitik bereits als Sicherheits- und Kriegspolitik zu benennen. So droht der Linken, der herrschenden Politik einen progressiven Anstrich zu verpassen und zu ihrer ideologischen Verdoppelung beizutragen.
Unter einem Bruch mit der kapitalistischen Produktionsweise ist die Rettung der Welt aber nicht zu haben. Dafür braucht es eine analytische Auseinandersetzung mit dem entstehenden neuen Akkumulationsregime in globaler Perspektive. Unter dem ökologisch-digitalen Paradigma werden alle Bereiche des Lebens restrukturiert, von Arbeit, Reproduktion, sozialen Beziehungen und Subjektivität bis hin zur imperialen Neuordnung der Welt. Aus dem Verständnis dieser Veränderungen lassen sich einige Fallstricke linker Politik erkennen, aber auch Potentiale des Widerstands.
[1]Tomasz Konicz: Eine radikale Friedensbewegung ist nötiger denn je, in Analyse&Kritik 680 vom 15.03.2022, https://www.akweb.de/politik/ukraine-droht-atomkrieg-eine-radikale-friedensbewegung-ist-noetiger-denn-je/
[2]Jörg Kronauer zufolge dürften diese immer häufiger auftauchenden Schlagworte zum proklamierten Selbstverständnis der EU-Bemühungen nach strategischer Autonomie werden. Siehe: Jörg Kronauer: Verordnete Aufholjagd, junge Welt vom 18.02.2021, https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/396748.wohlfeile-tr%C3%A4ume-verordnete-aufholjagd.html
#Bildmaterial: Hütte Kollektiv