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Trumps ‚Friedensplan‘ als nächster Schritt in der Historie palästinensischer Unterdrückung

Während weltweit der Widerstand gegen Israels Genozid in Gaza wächst, überall der Druck auf die jeweiligen Regierungen größer wird und durch mehr oder wenige symbolische Gesten die internationale Rückendeckung für Israel schrumpft, steht nun ein „Friedensplan“ im Raum, der den seit knapp zwei Jahren andauernden Genozid zu einem Ende bringen soll. Donald Trump legt einen 20-Punkte-Plan vor, der seiner bescheidenen Einschätzung zufolge „ewigen Frieden“ für den Nahen Osten bringen wird. Netanjahu stimmte während seines Besuchs in den USA anlässlich der UN-Generaldebatte Trumps Plan zu. International sind sich liberale Medien einig: 

Der Weg für den Frieden ist geebnet, der Deal sei nicht perfekt, aber das beste, auf was Gaza hoffen könne und nun sei es die Verantwortung der Hamas, diesen Deal anzunehmen. Die Jerusalem Post fragt gar, warum es keine Massenproteste, Flotillas oder Besetzungen gebe, um die Hamas zu einer Annahme des Plans zu drängen1 und die taz stellt fest, der Plan habe zwar „Schwächen und Lücken“, er müsse aber dennoch angenommen werden2. Und tatsächlich äußerte sich die Hamas nun mit einer eingeschränkten Zusage an den Plan und ein Frieden in der Region scheint angeblich in greifbarer Nähe zu sein.

Doch um einschätzen zu können, wie ehrlich dieses „Friedensangebot“ ist, wieso es für die Hamas nur in Teilen annehmbar ist und wieso außerdem fraglich ist, wie ernstzunehmend Netanjahus Zusage an den „Friedensplan“ ist, muss man sich sowohl die konkreten Inhalte des Plans, die konkreten Ziele Israels und der Hamas und die Historie der „Friedensangebote“ zwischen Israel und den Palästinenser:innen vor und nach dem 7. Oktober 2023 genauer ansehen.

Wer ist die Hamas und was will sie?
In der Geschichte der Hamas spielt immer wieder auch zionistische Einflussnahme eine Rolle, die phasenweise von einem Interesse Israels zeugt, islamistische Kräfte als Gegengewicht zu progressiven Widerstandsgruppen aufzubauen. Da dies von Israel immer wieder geleugnet wird und die heutige Feindbeziehung zwischen Israel und der Hamas ohne Zweifel ernst zu nehmen ist, wird darauf an dieser Stelle nicht weiter eingegangen.
Die Hamas gründete sich 1987 während der ersten Intifada. Sie entstand als Ableger der Muslimbruderschaft, die eine Gesellschaft nach muslimischen Maßstäben schaffen möchte. Während sie sich gesellschaftlich und moralisch an traditionellen Werten orientieren, streben sie eine Gesellschaft an, die sich auch durch moderne weltliche Orientierung auszeichnet. Anders als andere islamistische Gruppierungen wie IS oder Al-Qaida verfolgt die Hamas nicht das Ziel eines weltweiten islamischen Gottesstaats (Kalifat), sondern versteht sich als Teil der palästinensischen Nationalbewegung und sieht ihr Ziel in einem palästinensischen Nationalstaat. Diesen strebt sie in den Grenzen des britischen Mandatsgebiets vor 1948 und damit die Vernichtung des zionistischen Staates an. Über die Jahre hat sich die Hamas allerdings auch immer wieder offen gezeigt für Lösungen, die einen palästinensischen Staat zunächst in den besetzten Gebieten (Gaza, Westjordanland und Ostjerusalem) möglich machen würden. Ihre strategische Ausrichtung richtet sich dabei auch nicht nur auf den militärischen Kampf, sondern vor allem auch auf religiöse, politische Arbeit und soziale Projekte in der Gesellschaft. 
Während die Hamas als islamistische Gruppierung zunächst deutlich weniger Einfluss in der palästinensischen Bevölkerung hatte als säkulare und progressive Widerstandsbewegungen in der PLO wie Fatah und PFLP, gewann sie im Zuge der Oslo-Abkommen zunehmend an Bedeutung. Die säkulare PLO zeigte sich bei den Oslo-Abkommen kompromissbereit, erkannte den israelischen Staat an, ohne eine Garantie eines palästinensischen Staates zu erreichen und erreichte keine Fortschritte in zentralen Fragen der palästinensischen Gesellschaft (Rückkehrrecht, Jerusalemfrage, zionistische Siedlungspolitik). Das kam für viele Palästinenser:innen einem Verrat gleich und die PLO und die im Zuge von Oslo gegründete Palästinensische Autonomiebehörde (PA) wurden vor allem als korrumpierte Akteure im zionistischen Interesse wahrgenommen. Hamas gelang es dabei vor allem durch eine kompromisslose Haltung und militante Aktionen während der zweiten Intifada, sich als stärkste und glaubwürdigste Kraft im Kampf für palästinensische Selbstverwaltung durchzusetzen.

Zentrale Punkte des Plans

Der 20-Punkte Plan umfasst mehrere zentrale Punkte, die dafür entscheidend sind, inwiefern Israel und die Hamas diesem mit Blick auf ihre politischen Zielsetzungen zustimmen können. Entscheidend ist dabei für die Hamas, anders als oft dargestellt, nicht einfach die Selbsterhaltung als Organisation an der Macht, sondern vor allem die Frage nach einer Perspektive für palästinensische Selbstbestimmung jenseits israelischer Besatzung. Dass die Hamas durchaus bereit ist, die Verwaltung Gazas zugunsten einer palästinensischen Institution abzutreten, belegen zahlreiche Angebote der Organisation aus den vergangenen Monaten. Für die israelische Seite ist vor allem entscheidend, dass jede Perspektive für einen militanten Antizionismus ausgeschlossen wird und eben gerade kein souveräner palästinensischer Staat entstehen kann. Für Teile der zionistischen Politik dürfte außerdem bereits jedes Abweichen vom Anspruch eines ‚Großisraels‘, inklusive der aktuell besetzten palästinensischen Gebiete, ein Problem darstellen.

Ein Punkt in dem Plan, der nun als einer der zentralen medial aufgegriffen wird, ist der Austausch der verbliebenen Geiseln gegen einen Teil der von Israel gefangenen Palästinenser:innen (im Plan geht es vor allem um Frauen und Kinder). Bei der Abwägung über die Zustimmung durch die Hamas dürfte der mit die kleinste Rolle gespielt haben, zeigte sie sich doch seit Beginn des Genozids bereit, im Gegenzug für annehmbare Bedingungen eines Friedens, die Geiseln freizugeben. Die wesentlichen Knackpunkte sind andere:

Eine komplette Zustimmung der Hamas zu dem Plan würde zum einen bedeuten, dass sie ihre Machtposition in Gaza aufgeben würde, wozu sie sich nun bereit erklärt hat und was sie zuvor schon mehrmals in Aussicht gestellt hatte, zum anderen aber auch, dass sie die Zukunft des palästinensischen Volkes komplett aus palästinensischen Händen in die des zionistischen Projekts und des US-Imperiums geben würden, was mit dem Ziel palästinensischer Selbstverwaltung nur mit massivem Vertrauen in die Verhandlungspartner vereinbar wäre. Wieso dieses in keinster Weise begründet wäre, zeigt der historische Überblick in diesem Artikel und auch das Wissen über die grundsätzliche zionistische Ablehnung gegen einen palästinensischen Staat. 

So sieht Trumps Plan zunächst den Ausschluss bestehender palästinensischer Organisationen von der politischen Verwaltung Palästinas vor. Der PA wird in Aussicht gestellt nach einem umgreifenden Reformprozess die Kontrolle über Gaza zu übernehmen. Bei diesen Reformen wird auf Trumps 2020 vorgeschlagene Pläne für Palästina verwiesen, die unter anderem vorsahen, jegliche Anerkennung der israelischen Schuld an der Nakba aus der Schulbildung auszuschließen und zionistische Narrative über die palästinensische Widerstandsgeschichte zu übernehmen. Faktisch würde damit Kritik an Israel so gut wie ausgeschlossen, was im Angesicht eines aktiven Genozides eine weitere brutale Forderung des Oberhaupts der westlichen Zivilisation darstellt. Auch dass die PA ohnehin schon wenig Glaubwürdigkeit in der palästinensischen Bevölkerung genießt und als zionistische Scheinregierung wahrgenommen wird, scheint noch zu propalästinensisch für einen Frieden nach Trumps Vorstellung zu sein.

Solange keine bereits bestehende palästinensische Organisation handzahm genug reformiert wurde, soll die Kontrolle über den Gazastreifen bei einem „technokratischen, unpolitischen palästinensischen Komitee“ liegen. Dieses Komitee soll dabei dem sogenannten „Board of Peace“ unterstehen. Vorsitzender dieses Board of Peace soll Donald Trump höchstpersönlich sein und weitere Mitglieder sollen andere Staatschefs sein. Neben Trump wird namentlich auch der ehemalige britische Premierminister Tony Blair genannt, der nicht nur für seine tatkräftige Unterstützung von Bushs Irakkrieg bekannt ist, sondern seitdem auch immer wieder als enger Freund Israels aufgetreten ist, den die Interessen des palästinensischen Volkes herzlich wenig interessieren. 

Gleichzeitig verspricht Trump einen ökonomischen Entwicklungsplan, der Gaza „neue Energie“ bringen soll. Das ist also Trumps ökonomische Perspektive für das ,schönste Gebiet im Nahen Osten‘, das die Israelis den Gazawis 2006 einfach geschenkt hätten, wie er es in seiner Pressekonferenz mit Netanjahu darstellt. Dieses Zugeständnis habe er als Immobilienmakler ja schon damals als Fehler benannt. Mithilfe der ‚Experten‘, die schon für die „blühenden Wunderstädte des Nahen Ostens“ verantwortlich gewesen seien, will Trump seine Pläne umsetzen. (weitere Ausführungen darüber wie diese kapitalistische Dystopie für Gaza aussehen soll, finden sich auch im GREAT Trust Plan, den Trump Ende August vorstellte) Dass die Regierungen der UAE, von Saudi Arabien, Ägypten, Jordanien, der Türkei, Indonesien, Pakistan und Katar Trumps Pläne in einem gemeinsamen Statement begrüßten, dürfte deutlich machen, dass Trump mit diesen ‚Experten‘ auch die islamischen Staaten, die weiter als Verbündete des US-Imperiums existieren wollen, auf seiner Seite hat. Damit verstärkt er wie schon 2020 erneut die Isolation der palästinensischen Widerstandsbewegung von den arabischen Staaten.

Trumps Friedensplan stellt dem palästinensischen Volk also nach über 100 Jahren westlichem Imperialismus, 78 Jahren zionistischer Besatzung und nach zwei Jahren Genozid vor allem eins in Aussicht: Noch mehr Unterdrückung und Fremdherrschaft. Dass das für viele trotzdem als Verbesserung der jetzigen Lage erscheint, ist höchstens Ausdruck für das Ausmaß des aktuellen Grauens, ganz sicher nicht für eine Anerkennung dieses Grauens durch Trump und sein Imperium.

Aber auch für die israelische Seite ist nicht klar, wie sehr der Plan tatsächlich vollumfänglich ihren Interessen entspricht. Die schwammige Aussicht auf eine Zukunft für palästinensische Staatlichkeit dürfte für die israelische Rechte bereits eine Zumutung darstellen, wie Netanjahus kompromisslose Kommunikation zu dem Punkt auch während der Bekanntgabe des Plans und kurz danach klar macht. Inwiefern es sich bei Netanjahus Zustimmung also um eine ernstgemeinte handelt, oder ob er mit der, angesichts der Bedingungen wahrscheinlichen Absage der Hamas auf eine Legitimation für das Vollenden des Genozids gehofft hatte, ist unklar. 

Unehrlichkeiten rund um den „Friedensplan“ 

Schon rund um die Verkündung des großartigen Friedensplans gibt es genug Anzeichen, die dafür sprechen, dass es sich hier um vieles, aber nicht um ein ehrliches und wahrscheinliches Ende für den israelischen Genozid in Gaza handelt.

So behauptete Trump zwar, die Führung der Hamas sei im Vorfeld darüber informiert worden, dass und in welcher Form dieser Plan vorgelegt werden würde. Im Widerspruch dazu stehen allerdings unterschiedliche Aussagen führender Mitglieder der Hamas, die kurz nach der Veröffentlichung mitteilten, erst aus den Medien von den Plänen erfahren zu haben.

Auch das Bild von den USA als vermeintlich ‚dritten‘ Akteur, dessen Vorschlag Netanjahu zustimmt, ist mehr als zynisch. Wie sehr der vorgeschlagene Plan aus einer ’neutralen‘ Perspektive kommt, machen sowohl Trump als auch Netanjahu bei dessen Verkündung deutlich, bei der sie beide betonen, dass Trump „der größte Freund, den Israel je im Weißen Haus hatte“ sei. 

Und während Netanjahu zwar zunächst seinen großen Willen zum Frieden präsentierte und dem vorgelegten Plan öffentlich zustimmte, erklärte er bereits wenig später, dass er ganz und gar nicht davon ausgehe, mit diesem Plan einen Schritt hin zu einem palästinensischen Staat zu machen, den er weiterhin kategorisch ausschließt. Das erscheint insbesondere mit Blick auf den 19. Punkt des Plans aussagekräftig, in dem in Aussicht gestellt wird, dass, sollten alle palästinensischen Beteiligten dem Plan entsprechend handeln, möglicherweise in Zukunft die Grundlage dafür gelegt sei, über eine Lösung für palästinensische Selbstbestimmung und Staatlichkeit zu sprechen. Welche Hoffnung die Palästinenser:innen in diese mehr als schwammige Zusage stecken können, macht Netanjahu also schnell deutlich. Und auch Trumps Versicherung, Israel dabei zu unterstützen „zu tun, was sie tun müssen“, in Netanjahus Worten den „Job zu Ende zu bringen“, sollte Hamas dem Plan nicht zustimmen, ließ die Vermutung aufkommen, dass es bei diesem Plan um etwas anderes als Frieden geht. Und zwar vielmehr darum, öffentlich ein Bild zu erzeugen, in dem Israel als die friedensbereite Partei dasteht und das Narrativ von Hamas als Aggressor wieder gestärkt wird, das seit dem 7. Oktober 2023 mittlerweile stark an Glaubwürdigkeit verloren hat. 

In Anbetracht dieser Punkte ist klar, dass es sich bei Trumps Plan keineswegs um eine historische neue Perspektive für Frieden im Nahen Osten handelt, sondern viel mehr um den nächsten Schritt in einer langen Geschichte, in der ‚Frieden‘ nie wirklich auf dem Tisch war:

„‚Palästina Frieden zu bringen‘ hat bis heute immer bedeutet, ein ausschließlich zwischen den USA und Israel erarbeitetes Konzept zu verfolgen, ohne dass es ernsthafte Konsultationen mit, geschweige denn Rücksicht auf die Palästinenser gegeben hätte“

– Ilan Pappe –


Historie des ‚Friedensprozess‘

UN-Teilungsplan bis Sechsttagekrieg

Die Geschichte von ‚Angeboten‘ an die Palästinenser:innen, deren Ablehnung als Legitimation für weitere Gewalt gegen sie herangezogen wird, geht dabei weit zurück. 

So war eine Legitimation für die Nakba die Ablehnung des UN-Teilungsplans für Palästina von arabischer Seite. Um die Frage zu klären, was nach dem britischen Abzug aus Palästina mit dem Gebiet geschehen sollte, legte die UN 1947 einen Plan für die Schaffung eines palästinensischen und eines israelischen Staates vor. Von vornherein lehnten die Araber:innen eine solche Teilung ab, die den größtenteils erst kurz zuvor aus Europa gekommenen jüdischen Siedlern zugunsten eine Teilung des zu zwei Dritteln arabisch bewohnten Gebiets vorsah. Auch weil sie sich deshalb nicht an den Gesprächen über die konkreten Bedingungen einer solchen Teilung beteiligten, sah der vorgelegte Plan dann vor, den größten Teil des Landes einem jüdischen Staat zuzusprechen. Und das obwohl die jüdische Minderheit nur etwa ein Drittel der Bevölkerung Palästinas ausmachten und gerade mal sechs Prozent der Landfläche bewohnten. Wie zu erwarten, lehnten die Palästinenser:innen und die arabischen Staaten diesen Plan ab, was die zionistische Bewegung vermeintlich dazu legitimierte, den Staat Israel zu gründen und mit Gewalt gegen die Palästinenser:innen vorzugehen. Der Krieg gegen die arabischen Staaten und die Vertreibung unzähliger Palästinenser:innen wurden daraufhin als Konsequenz der arabischen Ablehnung des Teilungsplans dargestellt. 

Doch auch schon im Bezug auf den UN Teilungsplan ist zweifelhaft, wie ernstzunehmend die zionistische Annahme dessen war. So stellte der vorgeschlagene Grenzverlauf eigentlich noch keine Situation dar, die dem zionistischen Anspruch eines möglichst großen Gebiets mit möglichst wenig nicht-jüdischen Menschen gerecht wurde. Bei der zionistischen Annahme des Plans ging es also vor allem darum, international die Anerkennung für einen jüdischen Staat festzuhalten, während die konkrete Ziehung der Grenzen und die Frage der großen arabischen Bevölkerung selbst bei einer arabischen Annahme nur mit Gewalt zu klären gewesen wäre. Dass die israelischen Grenzen sich nach der Vertreibung der Palästinenser:innen weit über die im Teilungsplan festgelegten Gebiete erstreckten, ist eine Konsequenz dieser Differenz zwischen zionistischem Anspruch und proklamierter Realität des Teilungsplans.

Diese Dynamik prägte die gesamte Geschichte israelisch-palästinensischer ‚Friedensprozesse‘ bis heute. Der nächste größere Schritt in dieser Historie waren Verhandlungen nach dem ‚Sechstagekrieg‘ im Juni 1967, bei denen Israel mit amerikanischer Unterstützung vor allem mit Jordanien und Ägypten über den Umgang mit den besetzten Gebieten verhandelte. Erst durch den Ausbruch der ersten Intifada traten die Palästinenser:innen selbst wieder als Akteur in den Kampf um die Zukunft Gazas und des Westjordanlands ein. 


Oslo bis 2006

Mit dem Beginn der Oslo-Verhandlungen ging die erste Intifada 1993 zu Ende. Diese Verhandlungen stellen einen zentralen Wendepunkt dar, um die heutige Situation in Gaza und der Westbank zu verstehen. Erneut waren die Grundlage der Gespräche Vorschläge von israelischer Seite, die zentrale Themen für die palästinensische Gesellschaft ausklammerten. Die Anerkennung der Nakba und das Rückkehrrecht für die 1948 Vertriebenen standen nicht zur Verhandlung. Erneut wurde den Palästinenser:innen die Perspektive auf einen eigenen Staat präsentiert, diesmal in noch kleinerer und zerstückelter Form als zuvor. Anders als 1947 stimmten die palästinensischen Vertreter von Yassir Arafats PLO diesen Vorschlägen jedoch zu. Der zugesagte Rückzug der israelischen Besatzung fand nicht statt. Im Gegenteil wuchsen die illegalen israelischen Siedlungen im Westjordanland sogar noch stärker an als je zuvor. Während die Osloabkommen zunächst große Hoffnung auf eine friedliche Zukunft brachte, bestätigt die Geschichte doch Edward Saids Einschätzung, der in seinem Text „The Morning After“ (in Anbetracht der Euphorie über die heutige Aussicht auf ‚Frieden‘ eine mehr als aktuelle Leseempfehlung) im Nachgang des ersten Abkommens 1993 forderte, die Ergebnisse als das zu bezeichnen, was sie seien „Ein Instrument palästinensischer Kapitulation, ein palästinensisches Versailles„. Der groß inszenierte Fortschritt mit US-Präsident Clinton als Schlichter und dem Handschlag von Israels Premierminister Yitzhak Rabbin und Yasser Arafat, stellte sich als nächste Niederlage für die Palästinenser:innen, insbesondere für Arafat und die PLO selbst heraus. 

2000 und 2001 gab es Versuche, an die Osloverhandlungen anzuknüpfen. Die Vorschläge wurden dabei in Teilen noch unvorteilhafter für die palästinensische Seite als 1993 und 1995. So sollte Israel nachdem es unter Beweis gestellt hatte, wie wenig sich die Palästinenser:innen auf Zusagen der Zionist:innen verlassen konnten, statt fünf Jahren zwanzig Jahre zugesprochen bekommen, um sich endgültig aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen. Die Gespräche scheiterten durch Regierungswechsel in Israel endgültig.
Die Enttäuschung über die als Kapitulation wahrgenommenen Zugeständnisse der PLO an Israel, die präsente Rolle der Hamas in der zweiten Intifada und die israelischen Ermordung des Hamasgründers Shaykh Yassin trugen dazu bei, dass die Hamas aus den Wahlen 2006 als stärkste Kraft hervorging und von da an die primäre Repräsentanz der palästinensischen Befreiungsbewegung darstellte. 

Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas 

Schon kurz nach dem Wahlsieg 2006 richtete sich Hamasführer Ismael Haniyeh an die Öffentlichkeit und betonte Hamas‘ Offenheit für eine Lösung des Konflikts mit friedlichen Mitteln, vorausgesetzt, Israelis und Palästinenser:innen würden als gleichwertig behandelt. 2008 kam es so zu einem Abkommen zwischen Israel und der Hamas, dass kurzfristig zu einer Beruhigung führte. Obwohl Israel seine Blockade Gazas anders als in dem Abkommen festgelegt, nicht lockerte, hielt der Waffenstillstand von Juni bis November 2008. Dann drangen israelische Soldaten jedoch in den Gazastreifen ein, töteten 6 Palästinenser:innen und beendeten die kurzzeitige Waffenruhe damit. Eine militärische Eskalation folgte, unterbrochen von zwischenzeitlichen Waffenstillständen. Als 2012 erneut ein Abkommen verhandelt wurde, dem Hamas zustimmend gegenüber stand, kam es zur Ermordung des Hamasoberhaupts Ahmed Jabari, angeblich nur Stunden nachdem dieser einen Vorschlag für ein dauerhaftes Friedensabkommen durch den israelischen Friedensaktivisten Gershon Baskin erhalten hatte. Damit war auch dieser Frieden wieder vom Tisch. 
Als die Hamas 2017 einen weiteren Vorschlag für die Schaffung eines Friedens und eines palästinensischen Staates vorlegte, wurde dies von Netanjahus Regierung als „Versuch, die Welt zu täuschen“ zurückgewiesen. 

Mit den Abraham Abkommen 2020 kehrten Trump und Israel dazu zurück, Entscheidungen über das Schicksal Palästinas lieber ohne die Beteiligung der Palästinenser:innen zu treffen. Mit der im Zuge der Abkommen ebenfalls stattfindenden Anerkennung Israels durch Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate wurde die palästinensische Isolation weiter gefestigt. Schon zu Beginn des Jahres 2020 hatte Trump seinen Plan für einen Frieden für Israel und Palästina vorgelegt, der erneut eine amerikanisch-israelische Zusammenarbeit darstellte, die Annexionen von Teilen des Westjordanlands ermöglichte und namentlich zwar einen ‚Staat‘ Palästina ermöglichen sollte, allerdings unter quasi vollkommener Kontrolle Israels. Noch stärker als vorherige Abkommen stellte dieser Plan die vollkommene Übernahme der israelischen Position zu allen entscheidenden Themen dar. Die zunehmend aussichtslosere Position, in der sich der palästinensische Kampf um Befreiung damit befand, ist einer der wichtigsten Faktoren, um zu verstehen, wieso es zum Angriff auf Israel am 07. Oktober 2023 kam und wieso die Reaktionen auf die Bilder der an diesem Tag stattfindenden Aktionen weltweit so ambivalente Reaktionen, zwischen Schock über die stattfindende Brutalität und Freude über ein Ausbrechen aus der völligen Isolation der Palästinenser:innen (sowohl politisch als auch physisch im Freiluftgefängnis Gaza), hervorriefen. 

Verhandlungen seit dem 07. Oktober 2023

Während dem darauffolgenden Horror des Genozids kam es nach ca. sechs Wochen zu einem kurzen Waffenstillstand mit gegenseitigem Gefangenenaustausch, Israel ließ aber auch währenddessen keinen Zweifel daran, mit der Zerstörung Gazas noch lange nicht fertig zu sein. Nach etwa acht Monaten kam es erneut kurz zu Hoffnungen auf Frieden, als Ismael Haniyeh bekannt gab, die Hamas habe ein Friedensangebot angenommen. Die ausbrechende Freude in Gaza war von sehr kurzer Dauer, da Israel kurz darauf seine Bodenoffensive in Rafah begann. Erst im Januar 2025 kam es dann erneut zu einem Waffenstillstand, der in drei Phasen ein Ende der Kriegshandlungen in Gaza und einen Rückzug der israelischen Armee regeln sollte. Während Israel der Hamas vorwarf, das Abkommen zu brechen, da einzelne Vorgänge bei der Freilassung von Geiseln ‚zu lange‘ dauerten, tötete Israel so gut wie täglich weitere Zivilist:innen. Als die erste Phase des Deals zu einem Ende kam und die zweite Phase beginnen sollte, forderte Israel von der Hamas auf einmal eine Ausdehnung der ersten Phase. Als die Hamas weiter auf den Beginn der zweiten Phase und damit eine weitere Öffnung der Blockade und einen weiteren Rückzug der israelischen Armee bestand, begann Israel stattdessen schrittweise, die Blockade von humanitärer Hilfe und Elektrizität wieder zu verschärfen und begann wenig später, während dem Ramadan, mit erneuten Luftschlägen auf Gaza.

Dabei gab es über die vergangenen Monate immer wieder Berichte darüber, dass Hamas durchaus die Bereitschaft kommuniziert habe, sich entwaffnen zu lassen und die Verwaltung Gazas einer „technokratischen“ palästinensischen Institution zu überlassen, sollte das für eine Lösung des Konflikts notwendig sein3. Während die Frage der Entwaffnung dabei in unterschiedlichen Äußerungen von Hamas-Offiziellen nicht immer einheitlich beantwortet wurde, ist die Haltung der Hamas jedoch schon länger klar, dass es ihnen nicht um die eigene ‚Macht über Gaza‘ geht und dass sie bereit sind, die Verwaltung Gazas anderen palästinensischen (!) Organisationen zu überlassen4. Bisher war Israel auf solche Angebote allerdings nicht eingegangen, was viele in der Analyse bestärkt, dass es beim Genozid in Gaza nie um die Entmachtung der Hamas, sondern primär um die Vernichtung und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung als Vorbedingung für eine Annexion ging.

Die Teile aus Trumps Friedensplan, die die Hamas nun teilweise angenommen hat, sind dabei also vor allem Punkte, die sie selbst schon seit Monaten als Angebote unterbreitet hat.

Die gesamte Geschichte des zionistischen Umgangs mit Friedensverhandlungen zeigt, dass sich die Grundposition, einen möglichst großen israelischen Staat mit einer verschwindet geringen Zahl nicht-jüdischer Bewohner:innen und ohne einen palästinensischen Nachbar- und Konkurrenzstaat anzustreben, nicht verändert hat. Die palästinensischen Bedürfnisse und Interessen wurden dabei kontinuierlich zurückgedrängt und auch der jetzige Vorstoß stellt wohl eher den nächsten Schritt in diese Richtung dar als einen Schritt in Richtung tatsächlicher palästinensischer Befreiung. ​​​​​​​

Die Bedeutung der eingeschränkten Zusage der Hamas

Medien und Politik weltweit zeigen sich mehr oder weniger überrascht über die Zusagen der Hamas. Dass die Hamas die beiden Punkte (Rückzug von der Machtposition in Gaza, Freilassung der Geiseln), denen sie jetzt zugestimmt hat, schon zuvor selbst zum Teil von Friedensverhandlungen gemacht hatte, zeigt die verschobene Wahrnehmung in der westlichen Welt, in der die Hamas als das personifizierte Böse kaum in der Lage erschien, solche Verhandlungen auch nur in Betracht zu ziehen. Dass die Hamas selbst in den letzten Monaten davon gesprochen hatte, die Macht in Gaza an eine technokratische palästinensische Verwaltung zu übergeben, dürfte dabei aber keineswegs gleichbedeutend mit Trumps Idee einer Marionettenverwaltung unter seiner und Tony Blair’s Kontrolle sein. Die Betonung, dass die weiteren Schritte mit einer gemeinsamen palästinensischen Perspektive diskutiert werden müssten, ist konsequent aus der befreiungsnationalistischen Haltung der Hamas hinaus, entspricht den Ideen von Trumps Plan aber ganz und gar nicht.

Überraschend ist vielmehr, dass Trump und sogar Netanjahu sich offen für diese eingeschränkte Zustimmung zeigen und diese nicht sofort als Legitimation für eine noch aggressivere Fortsetzung des Genozids nutzen. 

Wie weitreichend diese Offenheit für die Bedenken der Palästinenser:innen ist, dürfte sich in den kommenden Tagen herausstellen, wenn Vertreter der Hamas in Ägypten mit Trumps Sohn und Nahost-‚Experten‘ Jared Kushner und der israelischen Regierung die weiteren Modalitäten eines Austauschs der letzten Geiseln und der weiteren Schritte hin zu einem Frieden diskutieren.

Das medial verkündete Aufatmen und der allseits beschworene ‚vorsichtige Optimismus‘ dürfen auf keinen Fall zu einem Abreißen der internationalen Solidaritätsbemühungen führen. Israel hat seine Aggressionen nach ausdrücklicher Aufforderung Trumps zwar zurückgefahren, noch immer werden aber Menschen in Gaza durch die israelische Armee getötet und die anhaltende Gewalt im Westjordanland wird in der ganzen Diskussion um einen angeblichen ‚Frieden‘ so gut wie gar nicht adressiert. Auch der Umgang mit der Global Sumud Flotilla und deren Aktivist:innen zeigt Israel ganz und gar nicht friedenswillig und geläutert.

In Anbetracht der bisherigen Erfahrungen mit der Friedensbereitschaft der Zionist:innen ist keineswegs ausgeschlossen, dass die aktuelle Phase der Annäherung genutzt wird, um die verbliebenen Geiseln frei zu bekommen und so auch die innenpolitische Stimmung gegen den Krieg und Netanjahu in Israel wieder einzufangen, nur um dann einen Grund zu finden, der Hamas einen Vertragsbruch vorzuwerfen und erneut mit voller Gewalt auf die palästinensische Bevölkerung loszugehen, deren großes Verbrechen, nicht ins zionistische Staatsideal zu passen, kein Friedensvertrag der Welt auflösen können wird. 

So viel ist bei aller aktuellen Unsicherheit aber klar: die Geschichte zeigt, dass blindes Vertrauen auf den guten Willen des zionistischen Staats nie im Interesse der Palästinenser:innen war. 

  1.  https://www.jpost.com/american-politics/article-869233 ↩︎
  2.  https://taz.de/Donald-Trumps-Gaza-Plan/!6112859/ ↩︎
  3. https://www.aljazeera.com/news/2025/6/8/clearly-an-excuse-does-netanyahu-really-want-hamas-gone ↩︎
  4.  https://www.nbcnews.com/news/world/hamas-ready-cede-control-gaza-official-says-rcna194042 ↩︎

Bild:  Collections – GetArchive

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Die “All eyes on Gaza”-Demonstration, die am vergangenen Wochenende in Berlin stattfand und von über 100.000 Menschen besucht wurde, wird von vielen als eine Art Wendepunkt in dem deutschen Diskurs über den seit zwei Jahren stattfindenden Krieg in Gaza wahrgenommen. Erstmals scheint es dem hegemonialen Diskurs in Deutschland nicht zu gelingen, die Proteste gegen den Genozid als eine Zusammenrottung von Antisemit:innen zu verklären, die unter dem Vorwand der Israelkritik ihrem Hass auf Juden freien Lauf lassen wollen.

Und in der Tat scheint der Aufruf zu dieser Demonstration vielen Menschen die Angst vor dem Urteil der Unterstützer:innen der rechtsradikalen Regierung in Israel genommen zu haben, die in den letzten zwei Jahren den deutschen Diskurs prägte. Auf der Straße zeigte sich in dieser Zeit ein ganz anderes Bild als es von der deutschen Presse gezeichnet wurde, wie Jules El-Khatib in seiner Rede am vergangenen Samstag betonte: „Und wenn wir davon sprechen, wer an unserer Seite gestanden hat, dann wissen wir Palästinenser:innen ganz genau: diejenigen die seit Tag 1 an vorderster Front an unserer Seite stehen sind mutige Jüdinnen und Juden weltweit, die ihre Stimme erheben und sagen: dieser Genozid ist nicht in unserem Namen!“ In diesen zwei Jahren wurden in Berlin jene, die sich öffentlich gegen die deutsche Unterstützung des israelischen Vorgehens positionierten – vor allem Palästinenser:innen, linke Israelis, Jugendliche und Studierende –, wöchentlich von der Polizei zusammengeschlagen, die sich in Berlin eigenständig von der Rechtsstaatlichkeit verabschiedet zu haben scheint und selbst einen Vortrag der Sonderberichterstatterin der UN Francesca Albanese mit Repressalien überzog.

Ohne die Gen Z hätte es in Deutschland bis zum letzten Wochenende keinen nennenswerten Protest gegen einen Genozid gegeben, der seit zwei Jahren live über Social Media übertragen wird und von quasi allen großen Menschenrechtsorganisationen als solcher benannt wurde. Selbst Teile der israelischen Regierung und viele Soldat:innen des IDF machten von Beginn an keinen Hehl aus ihrer Absicht, die Bevölkerung in Gaza zu vernichten. Der israelische Finanzminister Smotrich verkündete in einer Arte-Doku lächelnd, dass er sein koloniales Projekt von Groß-Israel am liebsten gleich noch bis Damaskus und Saudi-Arabien ausweiten würde. Bereits im November 2023 appellierte medico international den „Horror in Gaza“ zu beenden, in dem mittlerweile nach offiziellen Angaben über 65.000 Palästinenser:innen – darunter 18.000 Kinder – ermordet wurden, während Israel sein militärisches Vorgehen bis heute unbehelligt fortsetzt. Die Berichterstattung in Deutschland zeichnete ein gänzlich anderes Bild von dem Geschehen in Gaza und sah ihre Aufgabe in erster Linie darin, die Erklärungen der israelischen Regierung vorzulesen, wie der Journalist Fabian Goldmann empirisch sehr ausführlich dargelegt hat. Erst in den letzten Monaten schafften es auch öfter einzelne Stimmen der Vernunft wie Kristin Hellberg oder Daniel Gehrlach in die Talk-Shows der Öffentlich-Rechtlichen.

Bemerkenswert im Hinblick auf das Umschwenken von Teilen der deutschen Öffentlichkeit ist der Aufruf von Luisa Neubauer zu der Demonstration am Wochenende. Neubauer hatte sich – feinsinnig für die Bedingungen einer Karriere im deutschen Politbetrieb – vor zwei Jahren öffentlich von Greta Thunberg distanziert, nachdem diese ihre Solidarität mit den Palästinenser:innen bekundete. Greta Thunberg, die gerade zum zweiten Mal von Israel inhaftiert wurde, weil sie Lebensmittel nach Gaza bringen wollte, war nach ihrem Bekanntwerden durch Fridays for Future den Weg der moralischen Integrität gegangen. Sie hatte den Kapitalismus und neokoloniale Ausbeutungsverhältnisse als Ursache für die Klimakrise benannt und es sich dadurch schon vor Gaza im Gegensatz zu Neubauer mit der bürgerlichen Presse verscherzt. Es ist aber anzuerkennen, dass Luisa Neubauer nicht einfach zur Demo aufrief, als wäre in den letzten beiden Jahren nichts gewesen, sondern das eigene Versagen als solches benannte und zu einer Aufarbeitung des eigenen Schweigens aufrief – eine Demut, die auch großen Teilen der Linken gut zu Gesicht stehen würde.

Will die Linke der Boomer-Generation das eigene Schweigen zu dem Genozid in Gaza aufarbeiten, wird sie am Thema der Antideutschen nicht vorbeikommen, die das Denken der deutschen Linken weit über den eigenen Dunstkreis hinaus beeinflussten und deren großes Vermächtnis es ist, jegliche Kritik an der israelischen Regierung mit Antisemitismus gleichzusetzen. Neben den Antideutschen war es v.a. der Springer-Verlag, der diese Position zum vorherrschenden Narrativ in der BRD machte und damit der deutschen Beihilfe zum Völkermord den Weg bereitete. Wie man es dort mit der Losung „Nie wieder!“ hält, lässt sich daran erkennen, dass Thilo Sarrazin in dieser Woche einen Artikel in der Welt veröffentlichte, in dem er dazu aufrief, den „Sozialbetrug durch Armutsmigration, insbesondere bei Sinti und Roma“ konsequenter zu bekämpfen. Die antideutsche Position als solche, wie sie heute noch von der jungle world, Jutta Dittfurth, der Antilopen Gang und irgendwelchen Sekten in Halle und Leipzig vertreten wird, versperrt sich als kollektive Persönlichkeitsstörung der Möglichkeit einer immanenten Kritik. Dazu bemerkten die Genoss:innen von AK Beau Séjour in ihrem Artikel anlässlich einer antideutschen Konferenz in Berlin im Mai diesen Jahres: „Menschen, die beim Anblick der Trümmerwüste von Gaza immer noch von der Wahnhaftigkeit der palästinensischen Perspektive überzeugt sind, materialistische Gesellschaftskritik beibringen zu wollen muss jedoch an die Sinnhaftigkeit einer Auseinandersetzung mit einem Antisemiten erinnern, die – laut Leszek Kolakowski – ‚immer dem Versuch ähneln muss, einem Tier das Sprechen beizubringen‘.“ Und in der Tat vertritt man in jenen Kreisen noch immer mit der Antifa-Fahne in der Hand dieselben Positionen, die Julian Reichelt auf seinem – nicht wirklich subtil rechtsradikalen – Sender NIUS täglich ins Mikrofon bellt, so etwa eine Kritik an der Entscheidung der Merz-Regierung zukünftige Waffenlieferungen an Israel zu stoppen.

Doch auch die Pathologie, sei sie individuell oder kollektiv, entwickelt sich nicht im luftleeren Raum, sondern in einem gesellschaftlichen Kontext. Der Teil der deutschen Linken, der für Vernunft noch zugänglich ist, muss sich daher fragen, auf welcher Grundlage sich eine Strömung herausbilden konnte, die sich bereits zu Beginn des Irak-Krieges im Jahr 2003, in dem über eine Millionen Menschen ums Leben kamen, im Namen der westlichen Werte öffentlich auf der Seite der Kriegsverbrecher positionierte. Es wäre zu diskutieren, wie innerhalb der Linken jene Mischung aus Angst und Kälte entstehen konnte, die viele gegenüber dem Leiden von zehntausenden Kriegsopfern lieber schweigen ließ, als am Ende noch das falsche Wort zu benutzen oder mit der falschen Person auf der Demo gesehen zu werden. Ist die moralische Reinheit der eigenen Ideale nur um den Preis der Ignoranz gegenüber dem Leiden derer zu haben, das sich nicht in das eigene Schema fügt? Eine Frage, die vor allem durch das Aufkommen der postcolonial studies in der globalen Linken viel diskutiert wird, ist dabei von zentraler Bedeutung: Sind der Marxismus und die Linke eurozentrisch? Die einfache Antwort, den postcolonial studies – berechtigterweise -nachzuweisen, dass die Absage an den Materialismus infolge des cultural turn eher einer Karriere im akademischen Betrieb als einem richtigen Verständnis von Gesellschaft dient, geht an der Frage vorbei. Ein viel fruchtbarere Überlegung, mit der es sich auseinanderzusetzen lohnt, wäre zu fragen, inwiefern die postcolonial studies eine falsche Antwort auf eine tatsächliche Leerstelle des Marxismus sind, wie er in weiten Kreisen im globalen Norden vertreten wird und damit der Identifikation der Linken mit den westlichen Werten den Weg bereitete?

Ein Buch von besonderer Bedeutung zur Untersuchung dieser Frage ist „Der westliche Marxismus“ des italienischen Professors und Kommunisten Domenico Losurdo, der im Jahr 2018 verstarb. Losurdo versteht den „Westlichen Marxismus“ als eine Art Gegenentwurf zum orthodoxen Marxismus, wie er von Marx und Engels entwickelt und später von Lenin, Luxemburg und Lukács vertreten wurde. Den Ursprung dieser Teilung sieht Losurdo in der Periode, „in welcher der Erste Weltkrieg und die Russische Revolution theoretisch verarbeitet wurden.“ Die (fehlende) Auseinandersetzung mit dem Imperialismus und dem Kolonialismus ist dabei nach Losurdo von entscheidender Bedeutung für die Herausbildung eines westlichen und einen östlichen Marxismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: „Am Anfang unterstrich Ho Chi Minh, dass für die Kolonialvölker die Tragödie und der Horror weit früher als 1914 zu wüten begann“, nach Mike Davis starben in China im Aufstand von Taiping zwischen 1851 und 1864 geschätzt 20 bis 30 Millionen Menschen, „und Lenin lenkte die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass der Erste Weltkrieg in Wirklichkeit die Verflechtung von zwei Kriegen war: der eine, der in Europa zwischen den Sklavenhaltern wütete, und der andere, von den Sklavenhaltern entfesselt, um ihre Kolonien nach Sklaven und Kanonenfutter zu durchkämmen.“ (Losurdo) Im Laufe des 20. Jahrhunderts verlor nach Losurdo die Frage des Imperialismus und des Kolonialismus für den westlichen Marxismus immer weiter an Bedeutung und er entkoppelte sich dadurch von den wichtigsten Emanzipationskämpfen des 20. Jahrhunderts – den antikolonialen Kämpfen gegen die weiße Vorherrschaft der westlichen Staaten.

Die Auseinandersetzung mit den Vertretern der Frankfurter Schule, die Losurdo als wichtige Vertreter des Westlichen Marxismus begreift, wirkt teilweise etwas grobschlächtig, aber ist deshalb nicht weniger spannend. Sehr nachvollziehbar erläutert er, wie sich die Professoren in einer abstrakten Philosophie verloren, die den Bezug zu den Kämpfen gegen die Unterdrückungsverhältnisse ihrer Zeit zunehmend verloren und durch einen Utopismus ersetzten. Und es lässt sich nicht leugnen, dass sich durch die Lektüre von Adorno und Horkheimer kaum erschließen lässt, dass sie in Zeiten der Rassendiskriminierung in den USA und dem Fortbestand der Kolonien gelebt haben. Losurdos Analyse deckt sich mit dem Urteil, das der Vordenker des SDS und Lieblingsschüler Adornos Hans-Jürgen Krahl in einem Nachruf auf seinen Lehrer fällte: „Das monadologische Schicksal des durch die Produktionsgesetze der abstrakten Arbeit vereinzelten Individuums spiegelt sich in seiner intellektuellen Subjektivität. Daher vermochte Adorno die private Passion angesichts des Leidens der Verdammten dieser Erde nicht in eine organisierte Parteilichkeit der Theorie zur Befreiung der Unterdrückten umzusetzen.“ Die Studentenbewegung versuchte diese Lücke zu schließen, indem sie die kritische Theorie ihrer Zeit mit den antikolonialen Kämpfen zu vermitteln versuchte. Die Schriften von Lenin und Lukács sowie die antikolonialen Befreiungsbewegungen wurden zu wichtigen Referenzpunkten der Bewegung. Dieser Versuch ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten, was dazu führte, dass der globale Süden und die Frage der kolonialen Kontinuität für die marxistische Linke in Deutschland immer weiter an Bedeutung verloren.

Sehr ausführlich beschäftigt sich Losurdo mit der intellektuellen Entwicklung von Hannah Arendt, die zunächst mit marxistischen Positionen sympathisierte. In ihren frühen Schriften sei für sie der Zusammenhang von Kolonialismus, Imperialismus und Nationalsozialismus von zentraler Bedeutung gewesen: Zwar wurde der Nationalsozialismus 1945 besiegt, „aber wir haben noch lange nicht das Erzübel unserer Zeit ausgerottet. Denn dessen Wurzeln sind stark, und sie heißen – Antisemitismus, Rassismus, Imperialismus“. (Arendt) Ausdrücklich beschreibt Arendt in dieser Zeit, wie der Nationalsozialismus an die von Völkermord übersäte Geschichte des Kolonialismus und des Imperialismus anknüpfte. Es sei schon immer deren Tendenz gewesen, „die niederen, nicht lebenswerten Rassen“ zu „vernichten“. (Arendt) Mit ihrer Konzeption der Totalitarismustheorie, und befördert durch den Kalten Krieg, sei Arendt nach Losurdo immer weiter von diesem Geschichtsverständnis abgekommen und zu einer Apologetik des Westens übergegangen. Indem sie sowohl den Nationalsozialismus als auch das politische System der Sowjetunion unter der Kategorie des Totalitarismus fasste, wurden die westlichen Staaten in ihrer Theorie zu einem antitotalitären Gegenentwurf und deren Verbrechen in den eigenen Kolonien zunehmend zur Randnotiz. Dies sei ein weiterer wichtiger Schritt gewesen, um die westlichen Werte zu einem positiven Bezugspunkt erhob und den westlichen Marxismus von den Befreiungskämpfen der antikolonialen Bewegungen zu entkoppeln, deren wichtigster Unterstützer im 20. Jahrhundert die Sowjetunion gewesen war.

Nun kann erst einmal nicht deutlich genug hervorgehoben werden, dass der westliche Marxismus und das antideutsche Wahngebilde, das sich eklektisch mit einzelnen Adorno-Zitaten schmückt, zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Dennoch erläutert Losurdo in seinem Buch sehr plausibel, wie im westlichen Marxismus der Grundstein gelegt wurde, sich mit den Werten der westlichen Gesellschaften zu identifizieren und die Bezugnahme auf die Kämpfe der Unterdrückten durch einen Utopismus zu ersetzen, der jeglicher Vermittlung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit seiner Zeit entbehrte. Marxismus aber bedeutet „die Geschichte vom Gesichtspunkt der Unterdrückten zu begreifen“ (Norberto Bobbio), was ohne eine Benennung von Unterdrückung und einer Auseinandersetzung mit den realen Widersprüchen dieser Gesellschaft nicht gelingen kann. Das heißt in erster Linie die Position einer moralischen Reinheit zu verlassen und das eigene Handeln wieder als „Kritik im Handgemenge“ (Marx) zu begreifen. Der antinationale Konsens auf dem Antifa-Plenum mag eine berechtigte Utopie für die ferne Zukunft im Kommunismus sein; solange die kapitalistischen Verhältnisse fortbestehen, ist es einzig der Staat, der den Individuen das „Recht, Rechte zu haben“ (Arendt) garantieren kann. Für die Kolonisierten war der Kampf um die nationale Befreiung de facto ein emanzipatorischer Kampf, der ihnen garantierte, nicht nach Belieben von ihren Kolonialherren gelyncht zu werden. Die Menschen im Kongo, im Sudan und in Palästina leben in der Hölle, weil es derzeit keine staatliche Macht gibt, die in der Lage oder willens wäre, ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit zu schützen. In der Ukraine werden die Menschen tagtäglich an der Front zum Kanonenfutter, weil sie von einem fremden Staat angegriffen und vom eigenen Staat zwangsrekrutiert wurden. Diese Widersprüche können nicht durch eine Idealisierung abstrakter Kategorien weggewischt werden, sondern müssen innerhalb des konkreten Geschehens analysiert werden. Die sogenannten „westlichen Werte“ mit denen sich Teile der Linken in den vergangenen Jahrzehnten gemein machten, sind kein Ideal an dem der Rest der Welt zu messen wäre, sondern haben die globale Ungleichheit zu ihrer Voraussetzung. Bis heute profitieren die westlichen Staaten von der kolonialen Kontinuität in den ökonomischen Beziehungen, während sie regelmäßig für die eigenen imperialistischen Ambitionen Staaten in Schutt und Asche legen und einen Todesstreifen um ihre Grenzen errichten, um jene zu bekämpfen, die vor Armut und Krieg fliehen. Die eigenen Begriffe in der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit zu entwickeln anstatt diese Wirklichkeit entsprechend den eigenen Begriffen zurechtzustutzen, unterscheidet nach Hegel die Dialektik von der formalen Logik und ist essentiell, um die Kämpfe der Unterdrückten miteinander zu vermitteln.

Auch das Geschehen im Nahen Osten lässt sich nicht mit einem einfachen Schema von ‚gut und böse‘ erschließen. Die Fragen, ob Israel ein Zufluchtsort für die Opfer von Auschwitz oder ein Apartheidsstaat ist, ob der 7. Oktober eine Vorgeschichte in der israelischen Besatzungspolitik hat oder ein grausames Verbrechen war, ob der Angriff Israels auf Gaza eine Reaktion auf den 7. Oktober oder ein Genozid ist, können nicht mit einem ‚entweder/ oder‘ beantwortet werden. Die theoretische Analyse muss die Widersprüche in diesem Konflikt anerkennen, anstatt sich das Geschehen so zurecht zu filtern, dass es sich widerspruchslos in die Schablone der eigenen Weltsicht einfügt. In wenigen Konflikten wurde letzteres in Form einer selektiven Solidarität von verschiedenen Seiten in solcher Perfektion betrieben wie im Nahostkonflikt. Die Anerkennung dieser konkreten Widersprüchlichkeit entbindet jedoch nicht von der Verpflichtung zur eigenen Positionierung, denn der Kompass für das eigene Handeln sollte für die Linke in allen Konflikten eindeutig sein: „Das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, ist Bedingung aller Wahrheit.“ (Adorno) Das ist weder schwer, noch zu komplex. Dass ein Großteil der deutschen Linken in den letzten beiden Jahren angesichts des Horrors in Gaza an dieser Aufgabe scheiterte, während die eigene Regierung vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Beilhilfe zum Völkermord angeklagt ist, ist der traurige Höhepunkt einer theoretischen Fehlentwicklung in der Kritik der Gesellschaft, die den Bezug zum realen Weltgeschehen verloren hat und in erster Linie sich selbst gefallen möchte.

Jene, die sie hören und sehen wollten – wie etwa die Menschen, die in den letzten zwei Jahren trotz massiver Polizeigewalt und Anfeindungen durch die Presse wöchentlich auf die Straße gingen – konnten die Perspektive der Unterdrückten wahrnehmen: „Liebe Freundinnen und Freunde, meine Wegbegleiter Moshe Zuckermann und Rolf Becker haben in Bezug auf die menschenverachtende Politik der Netanjahu-Regierung in Israel ausführlich über den Grund unserer Kritik berichtet. Was Adolph Hitler und die Nationalsozialisten dem jüdischen Volk angetan haben: Vernichtung von sechs Millionen Menschen, Holocaust, darf nicht die Rechtfertigung Israels für die Diskriminierung des palästinensischen Volkes sein. Es ist ganz besonders wichtig, dass alle in Deutschland, in denen ein menschliches Herz pocht, endlich erkennen, dass Kritik an der Politik Israels nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen ist. Ich habe nicht das Vernichtungslager Auschwitz, das KZ Ravensbrück und den Todesmarsch überlebt, um von sogenannten „Antideutschen“ und Konsorten als „Antisemitin“ beschimpft zu werden.“ (Ester Bejarano) Wenn das Schweigen zu zehntausenden Toten die Bedingung ist, sich in dem gesellschaftlichen Diskurs nicht die Finger zu verbrennen, bedarf es einer grundlegenden Reflexion darüber, ob die eigene Position der moralischen Reinheit nicht eher Ausdruck eines „weißen Privilegs“ (Luisa Neubauer) ist, das die Verdammten dieser Erde im Stich lässt.

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Schock: Israel begeht Verbrechen!

Ihr fällt es schwer über eine positive Zukunft zu sprechen, wenn es um Lebensgrundlagen und Völkerrecht geht. Sie reibt nervös ihre Hände und schluckt. Für alle sichtbar, nimmt sie theatralisch ihren Mut zusammen und spricht aus, was ihr mit Blick auf ihr geliebtes Völkerrecht so schwer zu schaffen macht: Luisa Neubauer, Klimaaktivistin und Nachwuchs-Baerbock, spricht als furchtlose Kämpferin für das Gute über die Lage in Gaza und das „was vor unserer Augen, jetzt gerade und schon viel zu lange passiert“.

Mit fast schmerzverzerrten Gesicht ringt sie sich mit dramatischen Sprechpausen sogar dazu durch, zu benennen, dass die israelische Regierung Völkerrechtsverbrechen begeht. Kämpferisch richtet sie sich an die neue Bundesregierung (die nun ja ohne die feministische Außenpolitik ihrer Grünen auskommen muss) und fragt „Wo ist die Bundesregierung, die das Völkerrecht verteidigt, wenn Netanjahu es mit Füßen tritt“. – Tosender Beifall des betroffenen Publikums. So viel Mut verdient schließlich Anerkennung und der Dank von Gazas sterbenden Kindern sollte Luisa damit wohl auch wirklich sicher sein!

Und auch ihre Partei meldet sich zu Wort. Genau die Grünen, die bis vor Kurzem noch als Regierungspartei aktiv die Solidarität mit Israel aufrechterhielten und eine Außenministerin Baerbock stellten, die als studierte Völkerrechtlerin erklärte, wieso die Angriffe Israels auf palästinensische Krankhäuser und Flüchtlingslager ganz und gar nicht im Konflikt mit dem Völkerrecht stünden, um das Luisa sich jetzt so sorgt. Auf einmal hört man aus allen Ecken so etwas wie Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung und Armee. Man könnte meinen, Israel hätte in den letzten Wochen plötzlich angefangen, Kriegsverbrechen zu begehen, Kinder in Massen unter Trümmern zu begraben und auszuhungern und Palästinenser:innen als Tiere zu bezeichnen und zu behandeln. Eine echte Überraschung von der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ und ihrer fortschrittlichsten Armee der Welt. Sorge darüber sehen wir in den Medien, wie der Politik. Der Spiegel fürchtet ein ‚Strapazieren‘ der deutsch-israelischen Beziehungen und selbst Menschenfreund Merz wagt es zu hinterfragen, welches Ziel Israel denn nun eigentlich verfolge, ein Angriff auf Kinderheime sei für ihn eine ‚menschliche Tragödie‘. Das Vorgehen ließe sich sogar nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terror begründen.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein stammelt sich im WDR-Interview holprig zusammen, wieso solche Kritik ab jetzt doch nicht mehr Ausdruck verinnerlichten Judenhasses sein müsse. Und beinahe noch zynischer: Die Leipziger Königin der Antideutschen, Linke-Abgeordnete Jule Nagel, teilt auf Instagram einen Beitrag der NGO medico international, mit dem bezeichnenden Zitat „EINES TAGES WERDEN ALLE IMMER SCHON DAGEGEN GEWESEN SEIN.“

Das bisherige Verhalten der nun ach so Besorgten

Warum diese Äußerungen vor allem bei denjenigen, die sich seit langem gegen den israelischen Staat und seine Misshandlung der palästinensischen Bevölkerung einsetzen, eher neue Wut als Begeisterung auslöst, wird schnell klar. All diese Akteure sind eben nicht Menschen, die sich bisher nicht getraut haben, eine eigene Meinung zum ‚komplizierten Nah-Ost-Konflikt‘ zu haben und erst in den vergangenen Wochen den Mut entwickelt haben, um ihre Meinung endlich gegen die erdrückende deutsche Staatsräson zu äußern. Nein, von Neubauer bis Nagel: Die, die sich jetzt als große Menschenfreunde inszenieren wollen, sind genau die, die diese Staatsräson spätestens seit dem 7. Oktober 2023 immer wieder mit aller Gewalt durchgesetzt haben:

Ne​ubauer​​ sorgte maßgeblich mit dafür, dass sich Fridays for Future Deutschland im Nachgang des 7. Oktober von den internationalen Fridays for Future Fraktionen distanzierte. Während die globale Klimabewegung, repräsentiert vor allem durch Greta Thunberg, selbstverständlich gegen die ethnische Säuberung Palästinas Stellung bezog und die Parole „No climate justice on occupied land“ prägte, blieben Neubauer und der größte Teil von FFF in Deutschland weiter stabil auf Linie der Staatsräson. Stimmen, die sich kritisch zu Israel äußerten, wurden, wie die Aktivistin Elisa Baş, als antisemitisch definiert und ausgeschlossen. Dass Neubauer in ihrer neu entdeckten Empathie für die Palästinenser:innen in keinster Weise eine selbstkritische Beschäftigung mit ihrem bisherigen Verhalten zeigt, lässt diese Empathie mehr als heuchlerisch erscheinen.

Das Statementvideo der Grünen sorgte auf Sozialen Medien schon für einigen Spott, indem die geheuchelten Mitleidsbekundungen und das vermeintliche Entsetzen über die humanitäre Lage in Gaza in Videos zusammengeschnitten wurden mit den menschenverachtenden Rechtfertigungsversuchen, die die Grünen und ihre Außenministerin Baerbock in der eigenen Regierungszeit immer wieder zur Rechtfertigung des israelischen Vorgehens vorgebracht hatten. Und wie bei Neubauer tun die Grünen so, als ob ihr angeblicher Schock in keinerlei Widerspruch zu ihrer bisherigen Politik stehen würden, mit der sie den Grund für ihr Mitleid selbst angefeuert haben.

Der neue Kanzler Merz stellt sich nun vor Kameras und wagt es ernsthaft, zu hinterfragen, ob das israelische Vorgehen rein als Reaktion auf den 7. Oktober und mit dem Ziel der Befreiung der Geiseln erklärbar sei. Im Vergleich zur Politik der Ampel fast schon sowas wie ein Aufruf zur nächsten Intifada. Dass Merz über die letzten Jahre nur zu gerne Stimmung gegen genau die Menschen gemacht hat, die diese Kritik von vornherein äußerten, findet dabei aber erwartungsgemäß keine Erwähnung. Wer schon vor Merz eigenen zweifelnden Äußerungen hinterfragte, was die eigentlichen Ziele der israelischen Offensive waren oder darin gar eine Fortsetzung der israelischen Politik der ethnischen Säuberung sah, war mit seinem angeblich „importierten Antisemitismus“ ein willkommener Grund für Merz, um seinen härteren Kurs gegen Migration zu fordern. Dass Felix Klein, seit 2018 Beauftragter des Bundestags für Antisemitismus, nun ins Schwimmen kommt, um zu begründen, wieso diese minimale Verschiebung hin zu so etwas wie einem objektiveren Blick auf die israelische Politik, nicht antisemitisch sei, ist also weniger ein Zeugnis dafür, wie ehrlich und fortschrittlich diese neuen Äußerungen sind. Vielmehr ist das ein Zeugnis für die Absurdität der Staatsräson und des verzerrten Antisemitismusbegriffs der vergangenen Jahre.

Die Krönung dieses geheuchelten Sinneswandels dürfte aber die sächsische Linke-Abgeordnete Jule Nagel sein, die den Post „eines Tages werden alle schon immer dagegen gewesen sein“ teilt. Geht es doch bei diesem Spruch gerade um genau die, die sich die letzten Jahre so aktiv gegen all jene eingesetzt haben, die sich gegen den Genozid stellten. Als Repräsentantin der „antideutschen Hochburg“ Leipzig trat Nagel in den letzten Jahren vor allem mit Hetze gegen die vermeintliche Gefahr eines Erstarkens „autoritärer roter Gruppen“ und den Lieblingsfeind der Staatsräson, den vermeintlichen linken Antisemitismus in Erscheinung. Dass eine Antideutsche, die noch in erster Reihe Palästinenser:innen, auch mit körperlicher Gewalt, von Demos in Leipzig schmeißen ließ, nun den genannten Post teilt, ist wohl die eindrücklichste Bestätigung für dessen Aussage. Wir haben einen Punkt erreicht an dem selbst die größten Unterstützer:innen des Genozids in Gaza, zumindest oberflächlich gegen diesen protestieren.

Die verlogene Doppelmoral ist noch nicht vorbei

Doch während sich online durchaus (neben erschreckend viel Zuspruch) breite Kritik an diesem unglaubwürdigen Sinneswandeln breit macht, gerät dabei oft in den Hintergrund, wie verlogen auch diese vermeintliche neue Solidarität mit den Palästinenser:innen ist.
In vielen dieser Statements gibt es nämlich gar keine so große Änderung des bisherigen Kurses. Ja, Neubauer und die Grünen sprechen das Leid der Menschen in Gaza tatsächlich offener an, als noch zuvor und kritisieren dabei auch das Vorgehen der israelischen Regierung. Eine wirkliche Einordnung dessen, was sie damit beschreiben, findet aber weiter nicht statt. Weit entfernt bleibt man da von einer Erklärung, in welchem Zusammenhang dieses genozidale Vorgehen mit dem Kern des zionistischen Staatsprojektes steht. Auch wenn es darum geht, Lösungsperspektiven aufzumachen, ist klar, bei wem bei aller Kritik an der rechten Netanyahu-Regierung weiterhin die eigentliche Verantwortung gesucht wird: Für einen Waffenstillstand muss die Hamas „die Geiseln freilassen, die Waffen niederlegen und mit den Angriffen auf Israel aufhören“. An der grundsätzlichen Erzählungen halten Neubauer, Grüne, Merz und Co also weiter fest. Grund für das Vorgehen Israels ist die Hamas auf die lediglich reagiert werde, neu ist nur, dass diese Reaktion neuerdings (!) als zu überzogen gesehen wird. Eine echte Abkehr von der bisherigen Propaganda-Strategie ist das alles also nicht. Geschweige denn vom tatsächlichen politischen Handeln. Für einen Stopp von Waffenlieferungen an Israel sind die Grünen nämlich nach wie vor nicht zu erweichen. Das arme Israel sei davor nach wie vor zu bedroht von seinen Nachbarstaaten. Und auch die Eskalation der Repressionswelle des deutschen Staates gegen palästinasolidarischen Aktivismus zeigt, dass es sich hier keineswegs um einen echten Kurswechsel der Staatsräson handelt. Die Polizeigewalt gegen die Nakba-Demo dieses Jahr in Berlin oder eine propalästinensische Demonstration in Leipzig kurz darauf, zeigen, dass der Staat, dessen Kanzler nun Fragen nach israelischen Kriegsgründen aufstellt, noch lange nicht bereit ist, Antworten auf genau diese Fragen ungestraft zuzulassen. Was wir beobachten ist also keine echte Zeitenwende in der deutschen Israel-Politik, sondern höchstens eine Verschiebung auf der Ebene des Diskurses. Und auch die ist nicht wesentlich mehr als eine vorsichtige Annäherung an das, was außerhalb deutscher Medien ohnehin klar ist: Israel begeht Kriegsverbrechen, die mittlerweile nicht einmal Vorreiter:innen der antideutschen Bewegung widerspruchsfrei rechtfertigen können.

Wieso überhaupt dieser Wandel der Worte?

Auch wenn die Veränderung im deutschen Diskurs nur oberflächlich und insgesamt überschaubar ist, im Vergleich zu der Unantastbarkeit Israels, die in Deutschland bisher herrschte, ist es doch interessant, wieso es nun überhaupt dazu kommt. Kriegsverbrechen, hungernde Kinder und Blockaden humanitärer Hilfe ließen die Staatsräson ja in den letzten Jahren auch nicht wanken. 

Doch etwas beginnt sich zu ändern. Im Kern hat sich weder die „Kriegsführungung“, noch das Ziel Israels, den vollständigen Genozid in Gaza zu vollenden, geändert. So sprachen Smotrich, Ben Gvir und co schon Anfang 2024 offen von der Umsiedlung und Auslöschung der Palästinenser in Gaza: 

„Wenn in Gaza 100 000 oder 200 000 Araber leben und nicht zwei Millionen, sieht die ganze Debatte über den ‚Tag danach‘ anders aus“. 

Haben die, die sich bisher auf Deutschland Staatsräson gestützt haben, diese Stimmen überhört? Oder warum waren bisher die kritischen Aussagen aus den Kreisen der jetzigen Retter des Völkerrechts so leise?

Mehr und mehr wird sichtbar, dass ein völlig frei drehendes Israel, welches zumindest mal die nächsten vier Jahre mit Trumps Rücken machen kann, was es will, wohl doch nicht DER Partner ist, den der deutsche Staat braucht.

War es die letzten Jahrzehnte ja auch weniger die „besondere moralische Verantwortung“ oder gar eine Politik der Menschlichkeit, die zur engen Partner- ja gar Freundschaft zwischen der BRD und Israel geführt hat, sondern vielmehr strategische Abwägungen und imperialistische Politik. 

Im geopolitischen Chaos der sich neu ordnenden Welt spielt der Mittlere Osten eine zentrale Rolle. Neue Handelsrouten, Rohstoffe, aber auch die zentrale Bedeutung für Religion und Kultur als Wiege der Menschheit – Für eine Großmachtstellung muss der Einfluss im Mittleren Osten gewährleistet sein. Dafür wurde über Jahrzehnte Deutschlands lange und enge Verbindung zur Türkei genutzt, doch die Partnerschaft wurde immer wieder auf die Probe gestellt. Ein Grund mehr auch auf Israel als strategischen, sicheren und verlässlichen Partner zu setzen. Dafür lässt sich schon immer mal hier und dort ein Auge zudrücken wenn es um illegale Besatzung oder Apartheidspolitik geht. Man ist ja unter Freunden.

Doch mittlerweile steigt die Gefahr, dass Israel die Stabile Partnerschaft mehr und mehr herausfordert. Da muss auch ein Israelfreund wie Merz ein wenig einlenken. Dass es dabei aber nicht um eine grundsätzliche Abkehr geht, stellte CSU Sprecher Hoffmann zuletzt klar:

Freunde kann man kritisieren, aber nicht sanktionieren. Das wäre das Ende der Staatsräson gegenüber Israel und das ist [..] nicht zu machen.

Völlig logisch daher, dass weiter Waffen an Israel geliefert werden. Dass Deutschland „weiterhin an der Seite Israels“ steht. Dass die Staatsräson weiterhin gilt.

Denn Deutschland braucht Israel. Als verlässlichen Handelspartner, als Importeur der Rheinmetall und ThyssenKrupp Waffen. Als Kooperationspartner für junge Tech-StartUps. 

Was tun?

Um gegen Imperialismus vorzugehen, können wir uns natürlich nicht auf den Staat verlassen, doch genauso wenig auf die Teile der (deutschen) Linken, die sich nach 2 Jahren aktiver Unterstützung für einen Genozid nun doch einmal dazu bewegen, auf eine Palästina-Demo zu gehen oder Kritik in ihrer Insta-Story posten. Diese Leute haben gezeigt, auf welcher Seite sie stehen. Doch die letzten Jahre haben außerdem gezeigt, dass die Palästina-Frage tausende Menschen weltweit bewegt. Die Unibesetzungen waren eine der größten globalen Jugendbewegungen, die es seit Jahrzehnten gegeben hat. Weltweit entstehen Protestbewegungen gegen den Genozid. Trotz massiver Repression werden auch jetzt wieder Unis sowohl in den USA, als auch in Europa besetzt und es werden weitere folgen. In Berlin gehen Woche für Woche tausende Menschen trotz extremer Polizeigewalt auf die Straße.

Diese Bewegung ist eine Antikriegsbewegung, die besonders ist, weil sie klare antikoloniale Positionen vertritt. Klar ist: Es geht um den Genozid in Gaza. Aber nicht nur Gaza steht im Fokus, sondern antikoloniale Kämpfe weltweit. Deshalb soll es auch nicht nur darum gehen, wer plötzlich was sagt, sondern wer wirklich ein Teil der globalen Bewegung ist. Und das ist sicher weder Merz noch die Grünen-Chefetage, sondern das ist die Jugend auf der Straße. Falsche Heucheleien und halbherzigen Positionierungen können daher gespart werden.

Und dabei sollten wir nicht blind drauf schauen wer auf welcher Seite steht. 

Richtig steht, wer auf die Menschlichkeit vertraut und der wahren internationalistischen Solidarität folgt. Wer als Privatperson erst durch den aktuell veränderten Diskurs bereit ist, auch offen gegen diesen Genozid zu protestieren, sollte dabei natürlich mehr als willkommen sein, wer aber aktiv zu seinen Unterstützer:innen gehört(e) und jetzt aus politischen Kalkül ein wenig mehr geheuchelte Empathie zeigt, ohne sich dabei ernsthaft von seinem bisherigen Handeln zu distanzieren, ist für einen antiimperialistischen Kampf wirklich nicht zu gebrauchen. 

Wir sehen uns auf der Straße!

Freiheit für Palästina!

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Die Massenproteste gegen die Hamas und die israelische Besatzung im Gaza-Streifen sind Ausdruck einer Neubewertung der sozialen Frage in Palästina. Gespräch mit dem in der Westbank lebenden Aktivisten Hassan von der Palästinensischen Volkspartei (Hizb al-Sha’b al-Filastini, PPP).

In den vergangenen Wochen ist es zu größeren Demonstrationen in Gaza – auch gegen die dort regierende Hamas – gekommen. Wie würdest du diese bewerten? Was sind die Forderungen?

Wenn man die Situation in Gaza betrachten will, muss man das größere Bild analysieren. Die Menschen sind in den letzten zwei Wochen in Gaza auf die Straßen gegangen, weil sie nichts mehr haben und ihnen keine andere Wahl bleibt. Die Bevölkerung dort lebt seit 1967 unter der Besatzung und nun mehr als 15 Jahre in einem großen Gefängnis; jeder Kontakt zu Außenwelt ist de facto unterbunden. Man muss sich vorstellen, wie die Lage ist, wenn man zwei Millionen Menschen auf einem Landstreifen zusammen sammelt, in dem es keinen Zugang zu Medikamenten und nicht ausreichend Nahrung gibt.

Die Menschen sind auf die Straßen gegangen unter dem Motto: Wir wollen Leben!. Es ist verständlich, dass sie verzweifelt sind, da sie weder Chancen noch Möglichkeiten haben und auch gerade keine bessere Zukunft sehen. Diese Situation ist bedingt durch die Schließung aller Ein- und Ausgangspunkte zur Außenwelt, also dem Belagerungszustand durch Israel. Die Demonstrationen richteten sich zunächst gegen die Hamas beziehungsweise deren Milizen, die die Macht und die Kontrolle im Gazastreifen behalten wollen. Denn das ist jene Macht, die die Bevölkerung alltäglich mitbekommt. Der tiefere Grund hinter der Unzufriedenheit liegt in der israelischen Besatzung und dem Belagerungszustand. Es ist nicht die Hamas, die Gaza dicht gemacht hat, sondern die israelische Armee. Hamas organisiert nur die internen täglichen Angelegenheiten, kontrolliert aber nicht die Grenzen. Dass keine Lebensmittel oder Rohrmaterialien reinkommen, dass eine hohe Arbeitslosigkeit besteht, dass es keine Arbeit und Fabriken gibt, liegt an denjenigen, die Gaza belagern.

Die Menschen haben in ihren Forderungen völlig recht. Das sind Leute, die sich ein menschliches Leben wünschen. Sie schaffen es jedoch nicht, gegen die Israelischen Besatzung etwas auszurichten, da sie nicht mit denen im täglichen Kontakt sind. Deswegen bleibt die Hamas übrig, die unfähig ist, radikale Veränderungen zu erwirken.

Die Bewegung, die heute auf der Straße steht und sich Wir wollen leben! nennt, ist die Kontinuität einer Bewegung, die es schon seit mehr als eineinhalb Jahren gibt und die damals auf die Grenzen zum israelisch besetzten Teil Palästinas zugelaufen ist. Seitdem gibt es jede Woche und fast jede Nacht Demonstrationen, widerständige Aktionen und den Versuch, dieses Gefängnis zu verlassen. Es ist eine komplexe Lage. Die Menschen leben unter Besatzung, sie brauchen Essen, Medikamente und sie wollen frei leben.

Wie siehst du die Rolle linker und revolutionärer Organisationen in diesen Entwicklungen?

Eine wichtiger Punkt in den letzten Bewegungen, der auch als ein positives Zeichen für die palästinensische Gesellschaft erwähnt werden muss, ist, dass die Organisatoren dieser Demonstration, die von der PA [Palästinensische Autonomiebehörde, A.d.R.] und der Hamas in Gaza verhaftet wurden und Repressionen erlitten haben, hauptsächlich aus den drei größeren politischen linken Parteien, PFLP [Volksfront zur Befreiung Palästinas, A.d.R], DFLP [Demokratische Front zur Befreiung Palästinas, A.d.R] und PPP, und anderen neueren linken und demokratischen Kräften kommen.

Diese bringen, und das ist sehr wichtig, den sozialen Aspekt in den Vordergrund. Oft wird dieser durch den Kampf gegen die Besatzung unbeachtet gelassen und zurück gestellt. Im Namen des Kampfes gegen die Besatzung wurden Fragen nach dem demokratischen Umgang miteinander, faschistischen Tendenzen, die Versorgungslage und die soziale Lage umgangen. Diese Bewegung jetzt ist für uns wichtig, weil sie diese Themen wieder angeht und ein gesellschaftliches Bewusstsein schafft.

Die Demonstrationen heute sind Teil des 70-jährigen Kampfes des palästinensischen Volkes für ihre Rechte auf Selbstbestimmung und gegen die Besatzung. Wir haben gelernt, nie aufzugeben und wir werden auch nie aufgeben. Deswegen werden die Palästinenser sich gegen jede Macht verteidigen, die sie entrechtet, sei es die Besatzung oder reaktionären Gruppierungen, die die Gesellschaft unterdrücken wollen. Wir haben gesehen, dass sich die Demonstrationen auch gegen die Hamas-Kräfte richten. Ohne damit die Hamas in irgendeiner Form in Schutz nehmen zu wollen, darf allerdings auch nicht aus den Augen verloren werden, dass die Belagerung Gazas der Hauptauslöser ist.

Jede Bewegung hat lang- und kurzfristige Effekte. Wir erhoffen uns von diesen Bewegungen, die von linken Kräften geführt wurden, dass sie einen positiven Effekt gegen die islamische Regierung in Gaza haben. Wir als Palästinenser sind nicht gegen das politische Handeln der Hamas, denn wir sind der Überzeugung, dass wir das Recht haben, gegen Israel Widerstand zu leisten. Besonders die Menschen in Gaza, die de facto in einem Gefängnis leben. Allerdings sind wir gegen die soziale Politik der Hamas, ihre islamische Regierung ist für Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Sie verhindert die Entstehung einer demokratischen Gesellschaft.

Deswegen können solche Bewegungen der Rolle linker Politik in Palästina neues Leben einhauchen und zu ihrer Erneuerung beitragen. Darauf hoffen wir. Die Linke kämpft für die Armen und unterdrückten Menschen und ihr Recht auf Arbeit, Gleichheit und für ein gutes Leben. Das muss man als soziale Frage sehen und man darf die Augen davor nicht verschließen. Durch die Belagerung von Gaza und den Kampf der Hamas gegen die Besatzung wurde dieser Aspekt zum Teil ignoriert.

Was erwartest du von der internationalen Linken?

Dieser Punkt ist sehr wichtig und sollte gut analysiert werden. Die Rolle der internationalen Linken war für uns als Palästinenser stets sehr wichtig. Die Linke und damit auch die palästinensische Linke hatte stets die Position, dass der Konflikt kein religiöser/historischer ist, sondern ein kapitalistischer beziehungsweise ein Klassenkonflikt. Die zionistische Bewegung ist als eine kapitalistische, imperialistische Bewegung nach Palästina gekommen, hat das Land ihren lokalen Besitzern geraubt und sie vertrieben. Mit Geldern großer imperialistischer Staaten, die hier investiert haben, wurden Firmen aufgebaut und eine Macht im Nahen Osten geschaffen, die den Einfluss der Imperialisten ausweiten soll.

Die Rolle der internationalen Linken zusammen mit der palästinensischen ist es diesen Analysepunkt in diesem System immer wieder festzuhalten. Wir müssen diesen Standpunkt verteidigen und die Menschen davon überzeugen, dass das die Hintergründe des Konflikts sind. Dass dieser Konflikt ein Klassenkampf ist: zwischen den wohlhabenden Klassen, die Interessen der westlichen Staaten vorantreiben und der lokalen indigenen Bevölkerung, die zum Großteil Bauern waren, denen das Land geraubt wurde. Wenn wir es nicht schaffen, dies klarzustellen, wird der Narrativ des religiösen Konflikts immer stärker, was zur Unlösbarkeit der Probleme und Erstarkung faschistischer und zerstörerischer Ansätze führt.

Es ist ein Klassenkampf, es ist eine Frage der Globalisierung, es ist eine Frage der Expansion kapitalistischer Staaten und des US-Imperialismus gegen die Völker – genauso, wie damals in Vietnam und Nicaragua und heute in Kurdistan. Nur mit linken Ansätzen und Ideen können wir die gesellschaftliche und soziale Freiheit des palästinensischen Volkes erkämpfen. Gerade deshalb brauchen auch jetzt die Palästinenser die Solidarität internationaler linker Kräfte. Verbunden mit den Demonstrationen in Gaza als einem Aufstand der Armen ist es die Aufgabe linker Organisation eben jene zu verteidigen und zu unterstützen.

# Interview und Übersetzung: Heyder Paramaz

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