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Die ersten Demonstrationen gegen
türkischen Einmarsch in Rojava, Nordsyrien, brachten bundesweit
zehntausende Menschen auf die Straßen. In über 40 Städten wurde
protestiert, die Veranstaltungen waren politisch breit aufgestellt –
migrantische Gruppen, Kommunist*innen, Anarchist*innen, kurdische
Verbände über Parteigrenzen hinweg -, und gemessen an deutschen
Verhältnissen kann man die Stimmung als kämpferisch beschreiben.
Ein Erfolg also? Das kommt darauf an,
wie es weitergeht. Wenn wir die Dynamik nutzen, um mehr und anderes
als Demonstrationen zustande zu bekommen, ja. Wenn wir in
eingespielte Muster zurückfallen, routiniert das Demo-Einmaleins
abspulen, das wir kennen und können, dann nein.
Denn die gelernte und tausend Mal
wiederholte Demo-Performance mag zwar ein wichtiger Teil des
Gesamtkonzepts sein. Aber sie alleine reicht zu nichts. Sie übt
keinen Druck aus. Und im schlimmsten Fall dient sie als eingehegte,
kontrollierte Entladung von Wut: Man sieht das Unrecht, man will
etwas tun, man geht auf die Demo – und hat danach das Gefühl,
seinen Beitrag geleistet zu haben.
Aber das wird dem Anlass nicht gerecht. Während Jugendliche mit selbst zusammengeschraubten Motorrädern, auf denen Doschkas montiert sind, versuchen gegen Leopard-II-Panzer, Artillerie und eine NATO-Luftwaffe syrische Grenzstädte zu verteidigen; während über 70 Jahre alte Frauen, mit nichts als einer Kalaschnikow und einem Funkgerät in der Hand sich zehntausenden anrückenden Dschihadisten in den Weg stellen; und während Freiwillige in improvisierten Krankenhäusern um das Leben von Kindern, die ohne Beine, mit inneren Blutungen und Kopfverletzungen eingeliefert werden, kämpfen – während all das passiert, können wir uns nicht mit unserem Standard-Solidaritätsprogramm zufrieden geben, uns auf die Schultern klopfen, zurück in den Hörsaal, an den Arbeitsplatz oder in die Kneipe laufen und behaupten, wir waren ja auch dabei, beim großen Widerstand.
Wir müssen Druck aufbauen. Aber wie? In erster Linie müssen wir kreativer werden. In Bristol blockierten gestern vier aneinandergekettete Aktivist*innen mehrere Stunden lang den Waffenproduzenten BAE Bristol, auf dem Flughafen in Barcelona fand eine kleine Blockade gegen Turkish Airlines statt. Während des Afrin-Widerstandes haben sich Störungen von Bundespressekonferenzen als probates Mittel erwiesen, mit wenigen Genoss*innen und überschaubarem Repressionsdruck bundesweite und bis in die Türkei reichende Medienöffentlichkeit herzustellen.
Auch aus anderen Kontexten kennen wir
wirksame Mittel, mehr Druck zu erzeugen, als mit dem
Standard-Demoprogramm. Massendemonstrationen in Flughäfen, Ankett-
oder Abseilaktionen an neuralgischen Punkten, Go-Ins bei
Rüstungsfirmen oder in Parteibüros, Outings von Kriegsprofiteuren
in ihrem privaten Umfeld – und vieles mehr.
Sicher, manche dieser Aktionen mögen den Repressionsbehörden missfallen. Wir werden es aushalten. Im Unterschied zu den Jugendlichen, Frauen und Männern Rojavas wird uns selbst bei der entschlossensten Blockadeaktion niemand eine Gliedmaße abtrennen, niemand wird uns durch die Brust schießen und niemand wird unsere Kinder verschleppen und auf Sklavenmärkten verkaufen. Wir verpassen eine Vorlesung, haben etwas Freizeit weniger und im schlimmsten Fall müssen wir Prozesse vor Gericht führen – so what?
Die Revolution in Rojava kämpft ums
Überleben. Und selbst diejenigen, die mit dem politischen Aufbruch
im Norden Syriens nichts anfangen können, sollten verstehen, dass es
sich um einen imperialistischen Krieg handelt, in dem NATO-Staaten
tausende Leben auslöschen werden.
Protest reicht hier nicht aus. Eine Aussicht auf diplomatische Vermeidung des mörderischen Feldzugs gibt es nicht mehr. Wir haben nicht viel an Organisation, Struktur und Logistik in diesem Land. Aber das, was wir haben, sollten wir jetzt in die Waagschale werfen. Ein Später gibt es nicht.
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Im Nordirak und
in der Südtürkei greift die türkische Armee kurdische Gebiete an.
Erdogans Feldzug könnte sich auch auf das nordsyrische Rojava
ausweiten.
Die Kamera zeigt
einen steinigen Hügel. Langsam kriecht ein LKW die enge
Schotterstraße hinauf. „Hazir bê“, mach dich bereit, sagt eine
Stimme auf kurdisch. Und wenig später: „Bitaqine“, lass es
explodieren. Der LKW verschwindet in einer Wolke aus Feuer und Staub.
Die Erklärung der kurdischen Volksverteidigungskräfte HPG im
Abspann des Videos bilanziert: Drei türkische Soldaten sind bei der
Aktion getötet worden.
Anschläge wie
diesen in der kurdischen, im Südosten der Türkei gelegenen Provinz
Hakkari (Colemêrg) sind derzeit häufig. Die Guerillakräfte der
Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) veröffentlichen fast täglich die
Ergebnisse der Aktionen und Gefechte: Am 16. Juli griff die
Frauenguerilla YJA-Star einen Wachposten einer Militärbasis bei
Bajêrgan an; am 18. Juli wurden im Gebiet Dola Çingene türkische
Soldaten von zwei Seiten angegriffen, die von Transporthubschraubern
im Gelände abgesetzt werden sollten; am 19. Juli starben bei einer
Sabotageaktion in Şirnex eine ungeklärte Anzahl an
Besatzungsoldaten.
Die Schwerpunkte der aktuellen Kämpfe erstrecken sich rund um das türkisch-irakische Grenzgebiet, von den Provinzen Şirnex und Colemêrg bis weit in den Süden, auf irakisches Territorium. Dort versucht Ankara sich seit mehreren Monaten festzusetzen und – ähnlich wie seit Anfang 2018 in der nordsyrischen Kurdenprovinz Afrin – ein Terrorregime gegen die lokale Bevölkerung zu errichten.
„Operation
Klaue“
Ende Mai begann, so ist türkischen Regimezeitungen zu entnehmen, die Militäroperation „Klaue“, deren Ziel die „Auslöschung“ der kurdischen Befreiungsbewegung in den gebirgigen Regionen zwischen dem Irak und der Türkei ist. Dort liegen die sogenannten „Medya-Verteidigungsgebiete“, die als Hauptquartier der seit 40 Jahren gegen NATO und türkischen Kolonialismus kämpfenden kurdischen Befreiungsbewegung. „Diese Gebiete sind Stützpunktgebiete der Guerilla, aber sie sind vor allem das ideologische Herz der Partei“, erklärt Özgür Pirr Tirpe, ein Vertreter der kurdischen Revolutionären Jugendbewegung „Tevgera Ciwanên Şoreşger“ (TCS) gegenüber dem LCM. „Hier werden die Kader*innen ausgebildet. Strategische Zentren sind hier ebenfalls angesiedelt. Seit mehr als 30 Jahren nutzt die Bewegung diese Berge in Südkurdistan als Hauptquartier und Rückzugsgebiet zugleich.“
Die türkische Regierung weiß: Wenn sie diese Berge nicht knacken kann, kann sie die militärische, letztlich genozidale „Lösung“ der Kurdenfrage nicht umsetzen, die sie zum eigenen Machterhalt braucht. Deshalb steht dieses Gebiet seit Jahren unter Dauerbombardement der Luftwaffe. Doch allein durch Drohnen und Kampfjets ist den Guerillakämpfern nicht beizukommen. Ein weit verzweigtes Höhlensystem und jahrzehntelange Erfahrung im Konflikt mit der NATO-Armee garantieren die Sicherheit der PKK-Kämpfer*innen.
Deshalb verheizt die
Türkei in regelmäßigen Abständen Soldaten beim Versuch, auch am
Boden in die Medya-Verteidigungsgebiete einzudringen. „Die Region
ist schwer zugänglich und äußerst bergig. Dementsprechend war es
für die türkische Armee auch nie möglich, hier vollständig
einzudringen. Es war immer nur möglich einzelne Hügel zu besetzen,
aber unter dem Druck der HPG-Gerila mussten sie sich immer wieder
zurückziehen“, sagt Özgür Pirr Tirpe.
Dementsprechend setzt sich auch die Strategie der derzeit laufenden, direkt im Anschluss an „Operation Klaue“ begonnenen „Operation Klaue 2“ aus verschiedenen Elementen zusammen. Der Luftraum wird andauernd mit Drohnen überwacht, Kampfjets bombardieren alles, was sich bewegt – meistens Zivilist*innen aus den Dörfern rund um die umkämpften Regionen. Gleichzeitig versuchen Hubschrauber Spezialeinheiten auf Hügeln abzusetzen, die dort Stützpunkte errichten sollen. Die allerdings haben oft eine relativ kurze Halbwertszeit, bevor die Guerilla sie wieder einreißt oder sprengt.
Kurdische
Kollaborateure
Hauptschauplatz
dieses Kampfes ist die Region Xakurke (Hakurk) im Nordirak. Und hier
kommt eine weitere Kraft ins Spiel: Die „Demokratische Partei
Kurdistans“ (KDP). Die eng mit Deutschland, den USA und der Türkei
verbundene Gruppe herrscht in Teilen der Kurdischen Autonomiegebiete
im Nordirak. Basierend auf einem feudalen Clansystem lebt sie vom
Ausverkauf der Ressourcen des Landes, stets bereit den ausländischen
„Partnern“ jeden Dienst zu erweisen, der ihr die Macht über die
eigene Bevölkerung sichert.
„Die KDP beschreibt sich selbst als patriotisch-nationalistische Partei die für die Freiheit Kurdistans kämpfen würde“, lacht Özgür Pirr Tirpe. „Tatsache aber ist, dass diese Partei in den letzten 16 Jahren der Herrschaft des Barzani-Clans nichts anderes war, als ein die Bevölkerung ausbeutendes Machtinstrument. Das gesamte Ölgeschäft, welches einen Großteil des Reichtums Südkurdistans darstellt, ist in den Händen dieser Familie zentralisiert. Auch sämtliche Posten innerhalb der KDP bleiben innerhalb der Familie Barzani.“
Der Barzani-Clan unterhält indes enge ökonomische Beziehungen zum Erdogan-Regime in der Türkei. Die Sprösslinge des Clans sind häufig in Ankara zu Gast. Und im Gegenzug für die Gunst der AKP-Diktatur hilft die KDP, wann immer sie kann, bei den Angriffen auf andere kurdische Parteien, insbesondere jenen, die der PKK nahe stehen. Derzeit stellt die KDP Stützpunkte ihrer Peschmerga-Truppen der türkischen Armee zur Verfügung, lässt türkische Soldaten frei in den Städten der Kurdischen Autonomieregion operieren und deckt den türkischen Geheimdienst MIT.
Unter der Ägide der
KDP wurde in den vergangenen Jahren der Nordirak zu einem Gebiet, in
dem es keine eigenen Hoheitsrechte mehr gibt. Die Türkei kann –
auf dem Boden wie in der Luft – kommen und gehen, wie es ihr
beliebt. Genau das dürfte ohnehin eines der Ziele der
Besatzungsoperation sein: Das Erdogan-Regime hat mehr als einmal
erklärt, es möchte sich Gebiete des früheren osmanischen Reichs
wieder angliedern. Und dazu gehört eben auch die heute umkämpfte
Region.
Ausweitung auf Nordsyrien?
Der Feldzug Erdogans
könnte sich in naher Zukunft erneut ausweiten. Das erklärte Ziel
der türkischen Regierung ist es, die Selbstverwaltungszone im Norden
Syriens, die unter dem Namen Rojava internationale Bekanntheit
erlangte, zu vernichten. Mit der seit 2018 andauernden Besatzung in
einem Teil dieses Gebiets, dem nordwestsyrischen Afrin, begann dieser
Angriff. Doch auch die verbleibenden Provinzen zwischen Kobane und
Derik möchte die Türkei besetzen. Dass sie das bislang nicht
konnte, liegt an den internationalen Konstellationen in Syrien: Die
Interessen der USA und Russlands, von Damaskus und dem Iran ergaben
bisher keinen Spielraum für einen Einmarsch.
Die Türkei
beschießt zwar regelmäßig über die Grenze kurdische Dörfer und
Städte, rüstet Islamisten auf, die Terroranschläge durchführen
und setzt Felder in Brand, um die Bevölkerung zu vertreiben. Doch
ihr Wunsch, einzumarschieren und sich das Gebiet einzuverleiben,
blieb bislang ohne Genehmigung aus Russland oder den USA.
Dennoch könnte, so
sind sich die kurdischen Verbände in Syrien einig, bald ein Vorstoß
aus dem Norden drohen. Die Volksverteidigungseinheiten YPG und die
Frauenverteidigungseinheiten YPJ bereiten sich auf den Krieg vor. Und
das multiethnische Militärbündnis SDF (Demokratische Kräfte
Syriens), das der Selbstverwaltung in Nordsyrien unterstellt ist,
kündigte an, im gesamten Grenzgebiet der Türkei zu Syrien
zurückschlagen zu wollen, sollte Ankara angreifen.
Auch Özgür Pirr Tirpe hält das Szenario nicht für allzu unwahrscheinlich: „Derzeit sieht es so aus, als könnte sich der bisherige Krieg niederer Intensität zu einem Krieg hoher Intensität entwickeln.“
Die ersten Demonstrationen gegen türkischen Einmarsch in Rojava, Nordsyrien, brachten bundesweit zehntausende Menschen auf die Straßen. In über 40 Städten […]
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