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Betriebsratswahlen 2022. Warum sie gerade jetzt wichtig sind. (Serie: Das Salz in der Suppe? Radikale Element im Betrieb. LCM-Serie Teil 5)

„Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie längst verboten.“ Dieser Spruch war Ende der 1980er Jahre auf WG-Kühlschränken, Häuser- und Toilettenwänden zu lesen. Was heute als abgedroschene Phrase gelten darf und spätestens seit den erdrutschartigen Erfolgen der AfD selbst von eingefleischten Anarch@s überdacht werden musste, kommentierte vor allem den fabelhaften Aufstieg der Grünen seit 1980 bei gleichzeitigem Niedergang ihrer Glaubwürdigkeit. Der Spruch bezog sich auch generell auf Parlamentswahlen in westlichen Industrienationen.

Betriebsräte hatte damals wie heute niemand als Faktor auf dem Schirm. Sie galten bestenfalls als langweilig, bürokratisch, verfilzt… Doch das sollten wir überdenken! Die nächsten Betriebsratswahlen stehen vom 1. März bis 31. Mai 2022 an. Betriebsratsgründungen können zwar jederzeit erfolgen, existierende Gremien wählen alle vier Jahre bundesweit in diesem Zeitfenster. Jetzt sollten Wahllisten vorbereitet werden.

Dysfunktionale Demokratien und Massenverblödung

Bleiben wir noch kurz bei Parlamentswahlen. Heute wissen wir dank der USA und Donald Trump, aber auch anhand jüngster Vorgänge in anderen dysfunktionalen „westlichen“ Demokratien wie Brasilien, Bolivien, dass Wahlen nicht gleich verboten werden müssen, wenn sie etwas zu ändern drohen. Die Methoden, sie unschädlich zu machen, sind wesentlich vielfältiger und raffinierter: Wahlen können untergraben, manipuliert, gezielt delegitimiert, nicht anerkannt werden. Wahlen können durch Inhaftierung oder gerichtliche Absetzung der gegnerischen Spitzenkandidaten (Lula, Evo Morales) gewonnen werden. Wahlen werden beeinflusst durch manipulativen Zuschnitt der Stimmbezirke (englisches Fachwort: Gerrymandering), durch gezieltes Abhalten bestimmter Wählergruppen (Schwarze in den Südstaaten) oder durch deren systematische Demoralisierung, Desinformation und Verblödung.

Vielleicht ändern Parlamentswahlen damals wie heute tatsächlich nichts am Kern des Übels, also den Eigentums- und Besitzverhältnissen – wo doch selbst ein bescheidener Berliner Mietendeckel vom Verfassungsgericht kassiert wird.

In Bezug auf Betriebsratswahlen gilt der Umkehrschluss: Sie sind gefürchtet,
a) weil hier tatsächliche Macht in einer überschaubaren Einheit entsteht,
b) weil diese Macht von gewählten Personen aus dem Kreis der Ausgebeuteten ausgeübt wird.

Betriebsratswahlen werden zwar nicht verboten, aber vom Staat auch nicht durchgesetzt und konsequent verteidigt, sondern durch einen professionelle Dienstleistungssektor aus Jurist:innen, Berater*innen und PR-Profis mit Methoden sabotiert, die auf der betrieblichen Ebene den oben aufgezählten parlamentarischen Wahlmanipulationen ähneln.

Betriebsratswahlen werden keineswegs flächendeckend, regulär und selbstverständlich abgehalten – entgegen geltender Gesetze. Laut einer repräsentativen Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB, einer Tochter der Bundesagentur für Arbeit) gibt es in nur 9 Prozent der wahlberechtigten Betriebe (mit mindestens fünf Beschäftigten) einen Betriebsrat. Das ist an sich ein Skandal. In jeder Schulklasse werden ab der Grundschule Klassensprecher:innen gewählt, in jeder Kommune und gibt es Stadträte. Bei genauer Betrachtung stellen wir fest: Es gibt noch nicht einmal Zahlen! Niemand weiß, wie viele Betriebsräte überhaupt existieren. Aber wir dürfen vermuten, dass selbst 1978, in der Zeit der größten Machtentfaltung der westlichen Arbeiterklasse (laut der Zeitschrift Wildcat) Betriebsräte nie flächendeckend und in sämtlichen Industrien verbreitet waren.

Warum sind Betriebsräte so gefürchtet?

Ein Betriebsrat schränkt die unternehmerische Willkür bei Einstellung und Entlassungen ebenso ein wie bei Überstunden, Dienstplänen, Urlaubsvergabe, tariflicher Eingruppierung und willkürlicher Ungleichbehandlung. Der Betriebsrat schafft Transparenz über Auftragslage, Geldflüsse, geplante Manöver des Managements; er ist die einzige wirklich effektive Kontrollinstanz für geltende Gesetze, Vorschriften und Verordnungen etwa zu Arbeitsschutz, Arbeitszeiten etc. Der Betriebsrat ist der zentrale Brückenkopf für Gewerkschaften und sozialistische Organisationen. Der Betriebsrat ist nicht kündbar – theoretisch, denn um Kündigungen zu fabrizieren und Betriebsratsmitglieder zu zermürben, werden Union Buster angeheuert. Und nur wo ein Betriebsrat existiert, können Gewerkschafter:innen offen und ohne Angst vor Kündigung im Betrieb auftreten.

Genau deshalb ist die Betriebsratswahl seit der Verabschiedung des ersten Betriebsrätegesetzes am 13. Januar 1920 ein Stiefkind der Demokratie und ein blinder Fleck des Rechtsstaats geblieben. Die SPD ließ zur Verabschiedung das größte deutsche Massaker an Demonstrant:innen der deutschen Geschichte zu. 42 Personen starben im Kugelhagel, als die mit Rechtsextremen durchsetze paramilitärische „Sicherheitspolizei“ (SIPO) angeblich zum Schutz des Reichstags mit Maschinengewehren in eine Menge von 100.000 Berliner Arbeiter:innen ballerte. Das Betriebsrätegesetz und das spätere Betriebsverfassungsgesetz sind Resultate eines unerklärten Bürgerkriegs. Wesentliche Teile des Unternehmerlagers haben Betriebsräte nie oder nur zähneknirschend und vorübergehend akzeptiert. Staatsanwaltschaften und Gesetzgeber behandeln die Straftat Betriebsratsbehinderung (§119 BetrVG) als Kavaliersdelikt. Tatsächlich ist sie mit dem selben Strafmaß bewehrt wie Beleidigung, Höchststrafe ist ein Jahr Gefängnis.

Kritik von links und rechts

Auf rechtsextremer Seite ist hingegen eine ideologische Mutation passiert: Galten Betriebsräte früher als Schande für die deutsche Industrie und als Verstoß gegen das Führerprinzip, die nach der Machtübernahme der Faschisten 1933 sofort liquidiert wurden, so bereiten sich diverse Schattierungen von AfD und Pegida längst intensiv darauf vor, sich über Betriebsratsmandate dauerhaft in Belegschaften zu verankern. Dass diese Strategie durchaus erfolgreich sein könnte, zeigen Wahlerfolge des „Zentrum-Automobil“ bei Daimler und BMW.

Die radikale Linke der 1970er Jahre hat Betriebsräte zu großen Teilen abgelehnt und oft aus guten Gründen und schlechten Erfahrungen regelrecht verabscheut. In einem Nachruf auf den jüngst verstorbenen Wortführer des Kölner Ford-Streiks 1973, Baha Targün,lesen wir, warum. Denn der Ford-Betriebsrat beteiligte sich federführend an der Niederschlagung des „Türken-Streiks“: „Mit Gebrüll stürmte die Polizei den Betrieb. Mit dabei: Werkschutz, angeheuerte rechtsradikale Schläger, Gewerkschaftsfunktionäre, Meister, Vorarbeiter. BahaTargün wurde schwer verletzt. Die Werksleitung bedankte sich nach dem Streik öffentlich für den ‚persönlichen Einsatz der Betriebsräte unter der Führung des Betriebsratsvorsitzenden‘.“

Die Betriebsratsfürsten der Großkonzerne waren Teil eines fest verwobenen Filzes aus SPD-Apparastschiks, Gewerkschaftsbonzen, Seitenwechslern aus den Gewerkschaften ins Management, Aufsichtsratspöstchen, fetten Abfindungen, Vergünstigungen wie Dienstwagen und Lustreisen, vermutlich auch inklusive knallharter Bestechung und Korruption. Rund um Betriebsräte hat sich eine regelrechte Industrie aus Anwält:innen und Schulungsunternehmen gebildet. Betriebsräte lassen sich regelmäßig in 4-Sterne-Sporthotels schulen, all-inclusive versteht sich. Das alles war richtig und ist es zum Teil immer noch.

Zuletzt hat etwa der Prozess um massive Betriebsratsbegünstigung, Korruption und Veruntreuung bei VW, der leider mit Freisprüchen für das Management endete, für schlechte Presse von Betriebsräten gesorgt. Und dieser Prozess zeigt nur die Spitze eines Eisbergs, der immer noch ziemlich massiv ist.

Allerdings haben sich sich die Vorzeichen geändert. Der Eisberg schmilzt. Und wird vom Management in den vergangenen 40 Jahren gezielt abgeschmolzen. Auch wenn die Börsennachrichten im Ersten und das Handelsblatt einen anderen Anschein erwecken: Die deutsche Wirtschaft besteht nicht mehr aus DAX-Konzernen und Industrie-Giganten. Auslagerungen, gezielte Aufspaltungen der integrierten Großunternehmen nach Vorbild von Ford haben eine immer kleinteilige Produktionslandschaft entstehen lassen. Ein Betriebsrat bei H&M oder einem Bremsscheibenhersteller der Autoindustrie ist nicht zu vergleichen mit den Betriebsratsfürstentümern bei VW. Zudem sind ehemalige Giganten wie ThyssenKrupp, AEG oder General Electric längst Geschichte.

Wenn wir von direkter Demokratie sprechen, dann sind die bunten, alternativen Listen, die ab den 1970er Jahren zu Betriebsratswahlen antraten – und in denen sich jene Radikalinskis sammelten, die damals routinemäßig wegen „Unvereinbarkeit“ aus DGB-Gewerkschaften ausgeschlossenen wurden – sogar Vorboten der Grün-Alternativen Listen auf kommunaler Ebene gewesen. Und sie enthalten Restbestände und deutliche Spurenelemente der gescheiterten sozialistischen deutschen Räterepublik von 1918.

Wenn diese Wahlen unwichtig wären, würden sie nicht so massiv behindert.

Für Betriebsräte gilt also der Umkehrschluss der alten Sponti-Weisheit. Daraus folgt der Appell sich jetzt ernsthaft Gedanken über eine Kandidatur und eine Wahlliste zu machen. Diese kann unabhängig, bunt und alternativ sein oder in enger Abstimmung mit einer Gewerkschaft und ihrem Vertrauensleute-Körper aufgestellt werden. Was besser ist, muss im konkreten Fall abgewogen und entschieden werden.

Der Beitrag ist in ähnlicher Form in der Roten Hilfe Zeitung Nr. 2 / 2021 erschienen.

Ruth Wiess ist freie Autorin und Organizerin. Elmar Wigand ist Pressesprecher der aktion ./. arbeitsunrecht e.V. Beide beraten aktive Betriebsräte und Betriebsratsgründer_innen. Ihr erreicht sie unter kontakt@arbeitsunrecht.de

# Titelbild: Betriebsrat der Zeche Mansfeld 1951, wikimedia commons, CC BY-SA 3.0

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Beschäftigte des Wombat‘s City Hostel in Berlin gründeten 2015 gegen den erbitterten Widerstand des Managements einen Betriebsrat. 2018 erstreikte die gut organisierte Belegschaft dann sogar einen Tarifvertrag. Jetzt kämpft die Hotel-Belegschaft gegen die geplante Auslagerung des Reinigungsteams und gegen ein aggressives Management. Und dabei erfährt sie überraschend viel Solidarität. Denn Beschäftigte von Tochterfirmen und Subunternehmen der Berliner Verkehrsbetriebe, der Freien Universität und Charité fordern ebenfalls gleiches Geld für gleich Arbeit.

Zur Eröffnung der Internationalen Tourismusbörse (ITB) Anfang März 2019 prangten am Berliner Wombat´s City Hostel, mitten in der durchgetrifizierten Innenstadt, Sprühkreide-Schriftzüge auf dem Asphalt. „Fuck U Betriebsrat“, „Cunt“ und „Start Outsourcing“ war dort zu lesen. Das ganze verziert mit einem übergroßen männlichen Geschlechtsteil mit dem Anhängsel-“tation“. Das Wortspiel aus „Schwanz“ (engl. Dick) und „Diktator“ gibt einen offenherzigen Einblick in die Allmachtsfantasien der Hausmanager. Sie feierten just in der Nacht, als die Sprühereien entstanden, im Hostel den Abschied einer Management-Kollegin, die in ein neues Hostel der Kette nach Venedig wechseln soll.

Union Busting: geballte Unternehmer*innen-Agression

Die Behinderung von Betriebsratsarbeit und Bekämpfung von gewerkschaftlicher Organisierung (kurz: Union Busting) wird von Unternehmer*innen und ihren beratenden Jurist*innen oft mit hoher krimineller Energie geführt.

Der öffentliche Aussetzer am Wombat‘s springt allerdings aus dem Schema. Denn Union-Buster*innen versuchen eigentlich unter dem Radar der Öffentlichkeit zu arbeiten, indem sie einzelne Betriebsratsmitglieder in der Belegschaft diskreditieren und mittels Zermürbung, Kündigung oder Abfindung aus dem Gremium brechen.

Um das zu erreichen, lassen sich Unternehmen von spezialisierten Dienstleistern beraten. Zu den bekanntesten gehören Rechtsanwalt Helmut Naujoks und die Kanzlei Schreiner + Partner. Ihre Methode: Beschäftigte werden mit konstruierten Abmahnungen, Kündigungen, oft auch strafrechtlich relevanten Anzeigen überzogen. Dazu kommen willkürliche Lohnkürzungen, Schikanen, Verleumdungen und Mobbing. Im Wombat‘s lassen Hausmanager zum Schichtdienst von Betriebsratsmitgliedern gerne Sidos „Der Chef“ oder den gut abgehangenen Hit „Ich find Dich Scheiße“ von Tic Tac Toe laufen.

Auslagerung als Vergeltung für Streiks

Das Management des Berliner Wombat‘s City Hostels setzt auf Rechtsanwalt Tobias Grambow, Kanzlei Buse Heberer Fromm. Allerdings greifen die üblichen Methoden nicht wie erwartet. Statt dessen formiert sich Gegenwehr.

Die Betriebsratsmitglieder des Wombat´s haben längst verstanden, dass die konstruierten Vorwürfe vor Gericht regelmäßig in sich zusammen fallen und nur dazu dienen sollen, ihnen Stress zu verursachen. Doch statt sich wie Opfer zu verhalten, nahmen sie das Zepter selbst in die Hand.

Die geplante Auslagerung des Reinigungsteams werten sie als Vergeltungsmaßnahme für die Durchsetzung eines Tarifvertrags. Sie soll die Belegschaft spalten und den Betriebsrat schwächen. Die Ausgelagerten würden sofort wieder aus dem gerade erst erkämpften Tarifvertrag herausfallen

Startups und Klassenkonflikte

Vor 11 Jahren, im Februar 2008 öffnete das Berliner Wombat‘s Hostel. Die Ostberlinerin Margit G. war von Anfang an als Reinigungskraft dabei.

8 Euro Stundenlohn waren damals vereinbart. Einen schriftlichen Vertrag hat Margit erst Monate später bekommen. „Damals“, sagt sie, „wurde im Wombats vieles noch ganz locker gehandhabt. Es gab viele Parties, man konnte auch mal umsonst im Wombats schlafen. Aber was soll das bringen? Meine Miete kann ich nicht davon bezahlen, dass es Parties gibt.“

Lockerheit, das Kernversprechen von Start-Ups an ihr Personal, ist schon längst in Verruf gekommen. Legionen von Praktikant*innen, Volunteers und Freien haben begriffen, dass es bei Gehaltsverhandlungen eher unangenehm ist, den Chef zu duzen. Die ungeschönten Klassen-, Besitz- und Machtverhältnisse manifestieren sich eben immer genau dann, wenn es nicht um lockere Themen, sondern um handfeste Interessen geht.

Gestandene Frauen wie Margit, die in der DDR eine Ausbildung zur orthopädischen Schumacherin machte, kann man mit dem Anschein eines hippen Betriebsklima jedenfalls nicht aufs Kreuz legen. Sie hat sich von Anfang an über unbezahlte Arbeit beim Wombat´s geärgert. Während der Vorarbeiter gerne schon um 13.00 Uhr den Besen in die Ecke stellte und eher beim Kaffee auf der Terrasse zu finden war, haben die anderen fünf Reinigungskräfte sechs Etagen fertig gemacht. Und das ist bei rund 350 Betten verdammt viel Arbeit: auf jeder Etage gibt es 14 Zimmer, teils mit 2 oder 3 Stockbetten, die ab 14 Uhr entweder wieder sauber oder bezugsfertig für neue Gäste sein sollen. Dafür angesetzt ist die Zeit zwischen 10.00 Uhr 14.00 Uhr – pro Zimmer bleiben da gerade einmal 17 Minuten. Und das in einem Hotel-Segment, in dem junge Gäste gelegentlich über die Stränge schlagen.

Die Reinigungskräfte sind deshalb oft früher zur Arbeit gekommen, um schon einmal die Etagenwagen zu packen und sind regelmäßig unbezahlt länger geblieben.

Aber ohne Betriebsrat und auf sich alleine gestellt, hätte sie lieber nichts sagen wollen. Schließlich habe sie auch in der DDR schon die Erfahrung gemacht, wie schnell man alleine da steht, wenn Gegenwind aufkommt.

Für die Wombat´s-Gründer Alexander Dimitriewicz und Marcus Praschinger indes hat sich die Masche schon jetzt gelohnt: Sie sind Dank Beschäftigten wie Margit längst Millionäre und im Ruhestand. Lediglich der Kampf gegen den Berliner Betriebsrat ist als ihr „Special Project“ übrig geblieben.

Umkämpfte Betriebsratswahlen

Einer der Initiator*innen zur Betriebsratsgründung ist Raphael. Auch er ist im Wombat‘s vom ersten Tag an dabei. 2015 hatten er und weitere Kolleg*innen allerdings die Nase voll von unternehmerischen Willkürentscheidungen. Sie beschlossen die Gründung eines Betriebsrat, um verbindliche Regeln festzulegen. Das Management wurde sofort aktiv.

Die Reinigungskraft Margit erzählt von Einzelgesprächen. Die Hausmanager hätten Angst unter den Beschäftigten geschürt. Ein Betriebsrat sei teuer und würde ihre Arbeitsplätze gefährden. Mittlerweile ist Margit selbst Ersatzmitglied im Betriebsrat.

Betriebsvereinbarungen, zum Beispiel zu den Arbeitszeiten brachten den Reinigungskräfte handfeste Vorteile: Rüstzeiten, in denen sich umgezogen und der Wagen gepackt wird, gehören jetzt genauso zu den Arbeitszeiten wie die Duschzeiten nach dem anstrengenden Putz-Marathon auf den Etagen.

Gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter bekommen im Wombat‘s mehr Stundenlohn als die nicht-organisierten Kolleg*innen. Margit arbeitet 10 Jahre nach ihrem Einstieg jetzt wenigstens für mit 12,18 Euro Stundenlohn.

Manche Kollegin begreift allerdings gar nicht recht, dass die Lohnerhöhungen und bessere Arbeitszeiten dem Betriebsrat zu verdanken sind. So dankte eine der Reinigungskräfte mit Migrationshintergrund einem der Wombats-Gründer euphorisch für alle die Wohltaten und Verbesserungen, als dieser anlässlich der ITB im Berliner Haus eincheckte.

Fatale Auswirkungen

Mit der Auslagerung würden die Reinigungskräfte jedoch aus dem Tarifvertrag fallen, Betriebsvereinbarungen zu Arbeitszeiten wären ungültig. Die Reinigungskräfte würden auch den vollen Kündigungsschutz verlieren. Die EAK GmbH, ein Ableger der Münchener Gebäuderreinigungsfirma Thalhammer, die bisher keine Beschäftigten hat, wäre mit unter 10 Beschäftigten ein Kleinbetrieb. Thalhammer ist laut Auskunft der IG BAU am Stammsitz München nicht tarifgebunden.

Das Reinigungsteam würde auch aus der Zuständigkeit des Wombat‘s-Betriebsrats herausfallen. Niemand kann Margit und ihren Kolleg*innen garantieren, dass sie nicht auch an anderen Orten eingesetzt würden. Sie würden nach dem Tarifvertrag für Reinigungskräfte bezahlt, der oftmals unterlaufen wird, indem Zeitvorgaben für Flure, Etagen und Zimmer gemacht werden, die nicht einzuhalten sind.

Einsatz von Leiharbeiter*innen im Wombat’s

Eine weitere Zersplitterung der Belegschaft und ihrer Kampfkraft erfolgt durch den Einsatz von Leiharbeiter*innen der Firma Euroclean. Sie springen ein, wenn Engpässe entstehen, weil Verträge systematisch befristet sind und auslaufen. Den Leiharbeiter*innen verspricht das Management zum Teil Festanstellungen beim Sub-Unternehmen .

Auch aufgrund erheblicher Sprachbarrieren, in denen selbst Englisch als gemeinsamer Nenner fehlt, ist es schwer zu vermitteln, dass der Betriebsrats feste Einstellung für alle im Hostel Beschäftigen direkt beim Hostel-Betreiber selbst fordert.

Krebsgeschwür Auslagerung

Auslagerungen fallen in den Bereich unternehmerischer Willkürentscheidungen. Die „unternehmerische Freiheit“ darf neben dem Privateigentum als heilige Kuh der Bundesrepublik gelten. Kostensparend oder betriebswirtschaftlich sinnvoll ist das System des Sub- und Sub-Sub-Unternehmertums allerdings nicht.

Denn jedes Sub-Unternehmen leistet sich eine eigene Verwaltung und vor allem eine eigene Geschäftsführung, die von der Belegschaft durchgefüttert werden muss. Eigene Versicherungen müssen abgeschlossen, eigene Logos entworfen, Autos beschriftet, Räume gemietet werden. Für Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Berater*innen entsteht ein lukratives Feld hochbezahlter Dienstleistungen und Bullshit-Jobs .

Dafür entledigen sich Unternehmender Verantwortung für Beschäftigte und auch der Verantwortung für das Gelingen des Projekts. Es ist eine Grundprinzip der neoliberalen Wirtschaftsform nach McKinsey („Optimierung der Wertschöpfungskette“): Je mehr Sub-Unternehmen mitmischen, desto weniger ist letztlich feststellbar, wer für Fehler, Missmanagement und Katastrophen eigentlich verantwortlich ist. Zumal eine dringend erforderliche Kontrolle und straffes Projektmanagement mangels staatlicher Kapazitäten zumeist wegfallen. (1)

Kurzum: Auslagerungen werden nur dadurch profitabel, dass das Management den Arbeitsdruck erhöht und die Arbeitsbedingungen ständig verschlechtert.

Der nach Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) „beste Niedriglohnsektor Europas“ hat eine hochgradig sozialschädliche Wirkung. Nicht nur Belegschaften, auch die Gesellschaft wird durch Entsolidarisierung und Vereinzelung gespalten.

Berliner Solidarität gegen Auslagerung

Die widerständige Wombat´s-Belegschaft ist inzwischen gut vernetzt. Zu einer Protest-Aktion gegen Auslagerung am 19.03.19 riefen neben der Berliner Gruppe der aktion ./. arbeitsunrecht die DGB-Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG), der Gewerkschaftliche Aktionsausschuss (GA), die Basisgewerkschaftsgruppe ver.di aktiv berlin, die sozialistische Frauengruppe Brot und Rosen, die Hochschulgruppe organize:strike, die Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht (BAGA), Klasse gegen Klasse, Critical workers und die Landesarbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft der Partei Die Linke auf.

Andere Lohnabhängige solidarisierten sich vor dem Hintergrund ihrer eigenen Kämpfe: Der Botanischen Garten der Freien Universität Berlin (FU) lagerte das Reinigungsteam aus, als die Beschäftigten 2016 für einen Tarifvertrag kämpften. Hier, wie in anderen Einrichtung der Freien Universität Berlin putzt nun die Firma Gegenbauer.

Die Freie Universität Berlin hatte zuvor auch andere Beschäftigte des Botanischen Gartens in die eigene Betreibergesellschaft ZE BGBM ausgegliedert. Die Belegschaft konnte in einem jahrelangen Kampf zum 01.01.2018 die Wiedereingliederung durchsetzen. Aber immer noch arbeitet das Managment der Freien Universität mit Schikanen gegen den früheren Betriebsratsvorsitzenden der ZE BGBM Lukas S.

Die Berliner Verkehrsbetriebe BVG lagerten bereits im Jahr 2000 Fahrer in die Tochter Berlin Transport GmbH BT aus. Die Reinigungsteams arbeiten dagegen für die Gebäude- und Verkehrsmittelreinigung GVR GmbH & Co KG. Die Zeit berichtete 2018 über systematisches Lohndumping. Einen Betriebsrat gibt es in der GVR GmbH & Co KG nicht.

Viel Aufmerksamkeit erregte der Kampf von Beschäftigten, die das Charité-Management in das Konstrukt „Charité Facility Managment“ (CFM) auslagerte. Aktuell kämpfen Therapeuten des Charité Physiotherapie- und Präventionszentrum GmbH (CPPZ) um gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit. Sie verdienen monatlich zwischen 500,- und 800,- Euro weniger als die Kolleg*innen, die bei der Charité direkt angestellt sind.

Beschäftigte dieser und anderer Betriebe haben sich unter anderem über die Basisgruppe verdi aktiv und die Critical Workers vernetzt. Dazu sind die studentischen Beschäftigten der Berliner Hochschulen gestoßen, die im Januar 2019 endlich einen neuen Tarifvertrag unterschreiben konnten. Vorausgegangen waren 14 Jahre Stillstand ohne Lohnsteigerungen.

Die Wombat´s-Reinigungskraft Margit ist ihrerseits auch schon zu einer Solidaritäts-Veranstaltung für die Beschäftigten des Anne-Frank-Zentrums in Berlin gegangen. Die Beschäftigten dort fordern unbefristete Beschäftigungsverhältnisse und Bezahlung nach Tarifvertrag. „Das hat mir gut gefallen da“, sagt Margit. „Nicht nur wegen der Band und dem Kuchen. Das sind feine Menschen da. Irgendwie kultiviert. Auch die Unterstützer von den anderen Gruppen, die jetzt zu uns kommen. Die haben ein höheres Niveau als manche Führungskräfte beim Wombats.“

Es tut sich etwas in Berlin.

#Jessica Reisner ist Campaignerin bei aktion./.arbeitsunrecht.
#Die aktion ./. arbeitsunrecht bittet Unterstützer*innen der Wombats-Belegschaft eine Protest-Email an den Geschäftsführer
Mustafa Yalcinkaya der Münchner Firma Thalhammer/EKA GmbH zu senden. Die Petition gibt es auf deutsch und türkisch https://arbeitsunrecht.de/die-wombats-fordern_mustafa-bleib-in-bayern/
#Alle Fotos aktion./.arbeitsunrecht

Anmerkung

(1) Eines der bekanntesten Beispiele für die kaskadierende Verantwortungslosigkeit der „optimierten Wertschöpfungskette“ ist der Einsturz des Kölner Stadtarchivs am 3. 3. 2009 aufgrund von Tunnelgrabungen für eine Nord-Süd-U-Bahn. Alle 90 Personen [https://www.derwesten.de/panorama/90-verdaechtige-nach-einsturz-von-stadtarchiv-in-koeln-id8888863.html), gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelte, konnten die Verantwortung nach unten durchreichen, bis im Dickicht der Sub-Unternehmen nicht mehr feststellbar war, wer den Bau hätte überwachen müssen. Am Ende des Unglücks mit zwei Toten, einem späteren Selbstmord und Massen an vernichtetem historischem Material des wertvollsten historischen Archivs nördlich der Alpen steht eine einzige Verteilung zu acht Monaten auf Bewährung.

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