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In Palästina stehen Frauen* gegen patriarchale Gewalt und Besatzung auf; tausende nehmen an den Demonstrationen teil – konsequent ignoriert von westlicher Berichterstattung. Haydar Kizilbas und Alia Ka haben sich für lower class magazine mit Fidaa Zaanin, einer Palästinensischen Aktivistin aus Gaza, die seit einigen jahren in Deutschland lebt, getroffen, um über die Tal3at Bewegung der Palästinensischen Frauen zu sprechen. Fidaa forscht zu Feminismus und Genderstudies und ist in der palästinensischen Community in Berlin aktiv

Am 26. September gab es in Berlin eine Kundgebung in Solidarität mit der und als Teil der Tal3at Bewegung. Was waren die Anliegen der Protestierenden?

Wir haben den Aufruf für Tal3at gesehen, was übersetzt so etwas bedeutet wie „Wir gehen auf die Straße“. Mit Wir sind Frauen* gemeint. Palästinensische Frauen* überall auf der Welt, egal wo sie sind, haben sich entschieden, auf den Aufruf zu reagieren und auf die Straße zu gehen.

„Tal3at“ bedeutet auf die Straße zu gehen, um gegen Gewalt zu protestieren, alle Formen von Gewalt, egal, welches System hinter dieser Gewalt steckt. Der Aufruf kam in den Wochen nach der Ermordung von Israa Ghrayeb. Sie war ein junges palästinensisches Mädchen, das in Beit Shaour, im Westjordanland von ihrer Familie umgebracht wurde. Wir haben nicht viele Details zu diesem Fall, aber es ist kein Einzelfall. Solche Dinge passieren in Palästina. Es gibt Statistiken, die besagen, dass 38 Frauen* in 2018 ermordet wurden. Und immer noch wird über viele Ermordungen überhaupt nicht berichtet, oder andere Todesursachen werden angegeben. Deswegen hat Tal3at Frauen* dazu aufgerufen auf die Straße zu gehen, um die Gewalt gegen Frauen* anzuprangern, und um klarzumachen, dass es keine Befreiung für das palästinensische Volk gibt, ohne die Befreiung der Frauen* in Palästina. Man kann das Thema der Frauen*befreiung nicht auf später verschieben, nachdem die Befreiung des palästinensischen Volkes erreicht wurde.

Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass palästinensische Frauen* Teil der politischen Bewegung sind und eine führende Rolle einnehmen. Kannst du uns einen kurzen historischen Überblick über die Rolle der Frauen* in der palästinensischen Widerstandsbewegung geben?

Ja, klar. Es ist nichts neues, dass palästinensische Frauen* in politische Kämpfe involviert sind. Sogar schon unter dem britischen Mandat in den 1930er-Jahren haben Frauen* angefangen, ihre eigenen Gemeinschaften zu gründen, hauptsächlich um anderen Frauen* in sozialen Fragen zu helfen. Aber schlussendlich haben sie dann auch politische Arbeit gemacht, weil soziale Fragen eben politisch sind. Auch das Persönliche ist schlussendlich politisch. Nachdem Palästina von den Zionist*innen kolonialisiert wurde, waren Frauen* natürlich in der ersten Intifada aktiv. Sogar sehr stark. Sie haben Flugblätter geschrieben, ausgeteilt und echte politische Arbeit gemacht.

Später waren sie auch Teil von politischen Organiserungsstrukturen. Sie wurden eingesperrt. Sie waren eben nicht nur die Frauen* von palästinensischen Männern. Sie waren nicht nur die Ehefrauen der Gefangenen. Sie selbst, palästinensische Frauen*, haben politische Arbeit unter dem Kolonialismus gemacht. Aber danach, mit der zweiten Intifada und der Form, die der Widerstand angenommen hat, wurde die Rolle, die Frauen* eingenommen haben, immer kleiner. Grade nach dem Oslo-Abkommen, durch die Mengen an Geld, das nach Palästina floss und dadurch, wie der Widerstand NGO-isiert wurde, wurden auch ihre politischen Kämpfe vereinnahmt.

Die Probleme der palästinensischen Frauen* wurden so aus dem Kontext genommen. Sie reden über Armut, aber niemand redet über die Ursachen von Armut unter dem Kolonialismus. Sie sprechen über Kinderehen, aber nicht darüber was die Ursachen sind, wo die Wurzeln des Problems liegen. Sie sprechen über diese Themen ungeachtet der politischen und ökonomischen Aspekte oder der Gesetze, die die Israelis den Palästinenser*innen aufzwingen. Also wir sehen, es ist nicht das erste Mal, dass Frauen* auf die Straße gehen und politische Arbeit machen.

Ich habe einige der Slogans der Tal3at Bewegung gesehen: „Es gibt keine nationale Befreiung ohne die Befreiung der Frau“. Dieser Slogan wird ja auch von anderen z.B der kurdischen Befreiungsbewegungen, im Mittleren Osten ähnlich formuliert…

Es ist auch wichtig zu sagen, dass sehr oft Frauen* sogar in politischen Räumen ausgeschlossen und von ihren eigenen Genossen marginalisiert wurden. Ich habe das Gefühl, dass Frauen* immer alternative Ideen und Strategien für die Befreiung Palästinas hatten. Aber die Männer haben gesagt: „Nein, es muss auf unsere Art und Weise getan werden, nicht auf die, die ihr euch vorstellt. Weil wir Prioritäten haben“.

Und genau das ist es, was Tal3at in Frage stellt, in dem gesagt wird: nein, wir sind hier, um umzudefinieren, was es bedeutet, gegen Kolonialismus zu kämpfen und wie wir uns eine befreite Gesellschaft vorstellen, in der alle Menschen gleich sind, in einem befreiten Palästina. Also was die Frauen* sagen ist: „Nein, ihr könnt uns nicht ausschließen, ihr könnt nicht so weitermachen, wie ihr es die letzten 70 Jahre getan habt“. Wir sagen nein, wir werden es auf unsere Art machen, und nicht auf die Art, auf die ihr, die Männer, es haben wollt.

Ist diese Bewegung eine spontane oder stehen längere Organisierungsprozesse dahinter? Und was sind die Perspektiven für diese Bewegung?

Es ist eine ganz spontane Bewegung. Wie ich gesagt hatte, wurde sie ausgelöst durch die Ermordung von Israa Ghrayeb. Viele Frauen* innerhalb der 1948er-Gebiete haben sich aufgelehnt und haben gesagt: Nein, wir werden jeden Tag umgebracht und wir sollten nicht mehr schweigen und zum Schweigen gebracht werden. Und wir sollten nicht nur darüber sprechen, wenn Israelis uns umbringen, weil wir auch an diesen für uns angeblich „sichersten“ Orten umgebracht werden, in unserem Zuhause, dort wo die meisten Morde passieren, durch Mitglieder der eignen Familie.

Der sicherste Ort für Frauen*, das Zuhause, wird zum Tatort. Es gibt einen Anstieg der Morde an Frauen*, der sogenannten Ehrenmorde, in Palästina besonders innerhalb der 1948er-Gebiete. Und es spricht Bände, dass die Mordrate innerhalb der Gebiete, die von Israelis kontrolliert werden, höher sind als im Westjordanland und in Gaza. Es kommt auch im Westjordanland und Gaza vor, aber nicht so oft wie an Orten wie Haifa, Jaffa, Umm al-Fahm und anderen Städten innerhalb der 1948 besetzten Gebiete. Die Tal3at Proteste haben ja auch in Haifa angefangen. Und wir haben auf deren Aufruf geantwortet, in Berlin, Gaza, Beirut und in den Geflüchtetenlagern. Frauen* waren überall. Und das ist auch was Tal3at einzigartig macht. Sie haben es sich nicht nur zum Ziel gemacht, nur das Patriarchat zu zerstören, sondern die Bewegung stellt auch die Grenzen in Frage, die die Kolonialisten uns aufgezwungen haben. Es macht deutlich, dass wir eine Einheit sind, egal wo wir sind, im historischen Palästina oder sogar in den Geflüchtetenlagern und in Europa.

In Deutschland wird über die Proteste geschwiegen. Gleichzeitig ist es ja oft so, dass wenn es um die Palästinensische Sache geht, der Großteil der sogenannten Linken auf die Frauen* zeigt und sagt, dass die palästinensische Freiheitsbewegung Frauen* unterdrückt und, dass wir eine generelle Befreiung brauchen und alle Formen von Unterdrückung betrachten müssen. Aber jetzt gerade schweigen eben diese Leute darüber, dass palästinensische Frauen* kollektiv zu diesen Protesten aufgerufen haben. Warum eigentlich?

Natürlich, als ich zu dem Protest am 26. September vor dem Rathaus Neukölln gegangen bin, ist mir aufgefallen, dass keine deutsche Presse da war. Und normalerweise sind sie immer da, wenn es etwas über Palästina gibt. Und plötzlich, wenn wir gegen diese Sache protestieren, ist niemand da und es gibt keine Solidarität der feministischen Bewegung oder von den sogenannten Feminist*innen hier in Deutschland.

Ich frage mich, warum die nicht gekommen sind. Wenn man ihnen nichts Böses unterstellen möchte, könnte man sagen, dass sie vielleicht einfach nichts davon wussten. Aber ich denke, es hatte auch etwas mit den Slogans zu tun. Weil die Frauen* gesagt haben: „Althowra did al thakaria w’al isti3maar“, also „Revolution gegen das Patriarchat und den Kolonialismus“. So haben die deutschen Feminist*innen vielleicht verstanden, dass die Proteste sich nicht nur gegen palästinensische braune Männer richten, sondern, dass sie auch gegen Zionismus sind. Und das ist der Konflikt hier in Deutschland. Man kann das zionistische Regime für sie so nicht kritisieren und man darf auch nicht darüber reden.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Leute hier die Proteste verfolgt haben. Weil Tal3at online gesagt hat, dass sie aufgefordert wurden auf zionistische Feminist*innen zuzugehen. Die wollten bei den Protesten mitmachen, um gegen Gewalt an palästinensischen Frauen* zu protestieren. Tal3at hat dazu nein gesagt, sie sagten: nicht dieses Mal. Wir stellen uns gegen die Hegemonie, die Israelis versuchen auf unseren Diskurs auszuüben, weil dieser politischer Raum uns gehört. Tal3at geht für eine befreite Gemeinschaft auf die Straße, in der jede*r dieselben Rechte hat, in einem befreiten Palästina. Sie gehen nicht auf die Straße, um gleiche Rechte oder keine Diskriminierung in einem kolonialen Staat einzufordern. Das ist nicht der Zweck, weil sie gleiche Rechte für alle Palästinenser*innen fordern. Deswegen passt es vielleicht einfach nicht in die Kriterien der Deutschen hier. Nach dem Motto: „Wie könnt ihr es wagen Israel zu kritisieren und nicht nur eure palästinensischen brauen Männer?“ Und deswegen glaube ich auch, dass sie das nicht in den Medien ausschlachten können.

Als palästinensische Frau, die nach Deutschland gekommen ist, wurde ich oft gefragt wie das Leben von Frauen* in Gaza ist. Ich antworte immer: „Du meinst von palästinensischen Frauen* in Gaza, die nicht nur das Patriarchat bekämpfen, sondern auch unter einer Blockade, unter israelischer Besatzung leben müssen?“ Aber wenn ich sagen würde: „Okay, mein Leben in Gaza ist die Hölle, ich bin eine queere Person, die verfolgt wird…“ Das könnte sehr einfach in den deutschen Medien ausgeschlachtet und gegen mich und meine eignen Leute verwendet werden. Weil es ihnen nicht um mich geht. Es geht ihnen darum, wie sie mich für ihre Zwecke benutzen können. Und ich glaube, das ist das Problem.

Die ganze Sache mit über Palästina in Deutschland reden… Es geht auch nicht nur um diese Proteste. Wenn sie es nicht im Sinne der Besatzung benutzen können, dann berichten sie natürlich nicht darüber, sie sprechen nicht darüber. Es ist ein anderer Diskurs. Ich kann mich erinnern wie sie über den Frauen*streik in Tel Aviv berichtet haben: „Es ist so cool, es ist so bunt… Palästinensische Frauen* gehen zusammen mit israelischen Siedlerinnen* auf die Straße… Das ist so gut und wir lieben das, das ist, wie wir es gerne hätten“. Aber das ist nicht richtig. Sie haben über den Streik berichtet und haben mir viele Fragen zu dem Streik gestellt. Ich habe darauf geantwortet, dass ich aus Gaza komme und mir deswegen nicht erlaubt wird, in das besetzte Tel Aviv zu gehen. Ich würde niemals zu einer Demonstration gehen auf der israelische Soldatinnen* stehen, nur weil sie Frauen* sind. Einfach eine Frau* zu sein ist für mich keine Gemeinsamkeit, es ist eine politische Frage. Ich könnte mit so einer Frau* den ganzen Tag demonstrieren und am nächsten Tag kann sie an einem Checkpoint eine Waffe an meinen Kopf halten. Das sind aber nicht die Worte, die diese Leute hören wollen.

Was wären deiner Meinung nach die Pflichten von internationalistischen Revolutionär*innen und auch linken Bewegungen hier in Deutschland, um eure Kämpfe zu unterstützen?

Ich würde sagen Solidarität. Transnationale feministische Solidarität mit Palästina, im Kontext des Lebens unter dem Siedlerkolonialismus. Die Leute sollten unsere Sache weitertragen. Informationen weiterzugeben, kann ein revolutionärer Akt sein. Damit Leute von den Protesten hören, durch palästinensische Stimmen. Das ist das Wichtigste, dass sie palästinensische Frauen* sprechen hören. Es ist gut, dass ihr wir ein Interview zusammen führen. Das ist ein Akt der Solidarität. Wir können ihn nach Palästina schicken und die Frauen*, die sich dort organisieren werden wissen, dass es Leute in Deutschland gibt, die daran interessiert sind, über Tal3at zu erfahren. Und, dass ihr dem Diskurs darüber, wie nationale Befreiung aussehen sollte, zustimmt. Und es ist wichtig zu sagen, dass Palästina nicht befreit werden kann, so lange Frauen* nicht befreit sind. Auch in unseren Räumen hier in Deutschland, Großbritannien und überall. Als Internationalist*innen dürfen wir nicht zulassen, dass dieses Thema auf später verschoben wird. Auf Arabisch sagen wir: „Du kannst kein freies Palästina auf den Gebeinen von toten palästinensischen Frauen aufbauen“. Wir werden das nicht zulassen. Das ist nicht wonach wir streben. Es geht darum den Diskurs von Tal3at und den Frauen*, die auf der Straße protestieren aufzugreifen. Wir fordern Solidarität.

#Bildquelle: wikimedia commons

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Die Massenproteste gegen die Hamas und die israelische Besatzung im Gaza-Streifen sind Ausdruck einer Neubewertung der sozialen Frage in Palästina. Gespräch mit dem in der Westbank lebenden Aktivisten Hassan von der Palästinensischen Volkspartei (Hizb al-Sha’b al-Filastini, PPP).

In den vergangenen Wochen ist es zu größeren Demonstrationen in Gaza – auch gegen die dort regierende Hamas – gekommen. Wie würdest du diese bewerten? Was sind die Forderungen?

Wenn man die Situation in Gaza betrachten will, muss man das größere Bild analysieren. Die Menschen sind in den letzten zwei Wochen in Gaza auf die Straßen gegangen, weil sie nichts mehr haben und ihnen keine andere Wahl bleibt. Die Bevölkerung dort lebt seit 1967 unter der Besatzung und nun mehr als 15 Jahre in einem großen Gefängnis; jeder Kontakt zu Außenwelt ist de facto unterbunden. Man muss sich vorstellen, wie die Lage ist, wenn man zwei Millionen Menschen auf einem Landstreifen zusammen sammelt, in dem es keinen Zugang zu Medikamenten und nicht ausreichend Nahrung gibt.

Die Menschen sind auf die Straßen gegangen unter dem Motto: Wir wollen Leben!. Es ist verständlich, dass sie verzweifelt sind, da sie weder Chancen noch Möglichkeiten haben und auch gerade keine bessere Zukunft sehen. Diese Situation ist bedingt durch die Schließung aller Ein- und Ausgangspunkte zur Außenwelt, also dem Belagerungszustand durch Israel. Die Demonstrationen richteten sich zunächst gegen die Hamas beziehungsweise deren Milizen, die die Macht und die Kontrolle im Gazastreifen behalten wollen. Denn das ist jene Macht, die die Bevölkerung alltäglich mitbekommt. Der tiefere Grund hinter der Unzufriedenheit liegt in der israelischen Besatzung und dem Belagerungszustand. Es ist nicht die Hamas, die Gaza dicht gemacht hat, sondern die israelische Armee. Hamas organisiert nur die internen täglichen Angelegenheiten, kontrolliert aber nicht die Grenzen. Dass keine Lebensmittel oder Rohrmaterialien reinkommen, dass eine hohe Arbeitslosigkeit besteht, dass es keine Arbeit und Fabriken gibt, liegt an denjenigen, die Gaza belagern.

Die Menschen haben in ihren Forderungen völlig recht. Das sind Leute, die sich ein menschliches Leben wünschen. Sie schaffen es jedoch nicht, gegen die Israelischen Besatzung etwas auszurichten, da sie nicht mit denen im täglichen Kontakt sind. Deswegen bleibt die Hamas übrig, die unfähig ist, radikale Veränderungen zu erwirken.

Die Bewegung, die heute auf der Straße steht und sich Wir wollen leben! nennt, ist die Kontinuität einer Bewegung, die es schon seit mehr als eineinhalb Jahren gibt und die damals auf die Grenzen zum israelisch besetzten Teil Palästinas zugelaufen ist. Seitdem gibt es jede Woche und fast jede Nacht Demonstrationen, widerständige Aktionen und den Versuch, dieses Gefängnis zu verlassen. Es ist eine komplexe Lage. Die Menschen leben unter Besatzung, sie brauchen Essen, Medikamente und sie wollen frei leben.

Wie siehst du die Rolle linker und revolutionärer Organisationen in diesen Entwicklungen?

Eine wichtiger Punkt in den letzten Bewegungen, der auch als ein positives Zeichen für die palästinensische Gesellschaft erwähnt werden muss, ist, dass die Organisatoren dieser Demonstration, die von der PA [Palästinensische Autonomiebehörde, A.d.R.] und der Hamas in Gaza verhaftet wurden und Repressionen erlitten haben, hauptsächlich aus den drei größeren politischen linken Parteien, PFLP [Volksfront zur Befreiung Palästinas, A.d.R], DFLP [Demokratische Front zur Befreiung Palästinas, A.d.R] und PPP, und anderen neueren linken und demokratischen Kräften kommen.

Diese bringen, und das ist sehr wichtig, den sozialen Aspekt in den Vordergrund. Oft wird dieser durch den Kampf gegen die Besatzung unbeachtet gelassen und zurück gestellt. Im Namen des Kampfes gegen die Besatzung wurden Fragen nach dem demokratischen Umgang miteinander, faschistischen Tendenzen, die Versorgungslage und die soziale Lage umgangen. Diese Bewegung jetzt ist für uns wichtig, weil sie diese Themen wieder angeht und ein gesellschaftliches Bewusstsein schafft.

Die Demonstrationen heute sind Teil des 70-jährigen Kampfes des palästinensischen Volkes für ihre Rechte auf Selbstbestimmung und gegen die Besatzung. Wir haben gelernt, nie aufzugeben und wir werden auch nie aufgeben. Deswegen werden die Palästinenser sich gegen jede Macht verteidigen, die sie entrechtet, sei es die Besatzung oder reaktionären Gruppierungen, die die Gesellschaft unterdrücken wollen. Wir haben gesehen, dass sich die Demonstrationen auch gegen die Hamas-Kräfte richten. Ohne damit die Hamas in irgendeiner Form in Schutz nehmen zu wollen, darf allerdings auch nicht aus den Augen verloren werden, dass die Belagerung Gazas der Hauptauslöser ist.

Jede Bewegung hat lang- und kurzfristige Effekte. Wir erhoffen uns von diesen Bewegungen, die von linken Kräften geführt wurden, dass sie einen positiven Effekt gegen die islamische Regierung in Gaza haben. Wir als Palästinenser sind nicht gegen das politische Handeln der Hamas, denn wir sind der Überzeugung, dass wir das Recht haben, gegen Israel Widerstand zu leisten. Besonders die Menschen in Gaza, die de facto in einem Gefängnis leben. Allerdings sind wir gegen die soziale Politik der Hamas, ihre islamische Regierung ist für Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Sie verhindert die Entstehung einer demokratischen Gesellschaft.

Deswegen können solche Bewegungen der Rolle linker Politik in Palästina neues Leben einhauchen und zu ihrer Erneuerung beitragen. Darauf hoffen wir. Die Linke kämpft für die Armen und unterdrückten Menschen und ihr Recht auf Arbeit, Gleichheit und für ein gutes Leben. Das muss man als soziale Frage sehen und man darf die Augen davor nicht verschließen. Durch die Belagerung von Gaza und den Kampf der Hamas gegen die Besatzung wurde dieser Aspekt zum Teil ignoriert.

Was erwartest du von der internationalen Linken?

Dieser Punkt ist sehr wichtig und sollte gut analysiert werden. Die Rolle der internationalen Linken war für uns als Palästinenser stets sehr wichtig. Die Linke und damit auch die palästinensische Linke hatte stets die Position, dass der Konflikt kein religiöser/historischer ist, sondern ein kapitalistischer beziehungsweise ein Klassenkonflikt. Die zionistische Bewegung ist als eine kapitalistische, imperialistische Bewegung nach Palästina gekommen, hat das Land ihren lokalen Besitzern geraubt und sie vertrieben. Mit Geldern großer imperialistischer Staaten, die hier investiert haben, wurden Firmen aufgebaut und eine Macht im Nahen Osten geschaffen, die den Einfluss der Imperialisten ausweiten soll.

Die Rolle der internationalen Linken zusammen mit der palästinensischen ist es diesen Analysepunkt in diesem System immer wieder festzuhalten. Wir müssen diesen Standpunkt verteidigen und die Menschen davon überzeugen, dass das die Hintergründe des Konflikts sind. Dass dieser Konflikt ein Klassenkampf ist: zwischen den wohlhabenden Klassen, die Interessen der westlichen Staaten vorantreiben und der lokalen indigenen Bevölkerung, die zum Großteil Bauern waren, denen das Land geraubt wurde. Wenn wir es nicht schaffen, dies klarzustellen, wird der Narrativ des religiösen Konflikts immer stärker, was zur Unlösbarkeit der Probleme und Erstarkung faschistischer und zerstörerischer Ansätze führt.

Es ist ein Klassenkampf, es ist eine Frage der Globalisierung, es ist eine Frage der Expansion kapitalistischer Staaten und des US-Imperialismus gegen die Völker – genauso, wie damals in Vietnam und Nicaragua und heute in Kurdistan. Nur mit linken Ansätzen und Ideen können wir die gesellschaftliche und soziale Freiheit des palästinensischen Volkes erkämpfen. Gerade deshalb brauchen auch jetzt die Palästinenser die Solidarität internationaler linker Kräfte. Verbunden mit den Demonstrationen in Gaza als einem Aufstand der Armen ist es die Aufgabe linker Organisation eben jene zu verteidigen und zu unterstützen.

# Interview und Übersetzung: Heyder Paramaz

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