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Dieser Text ist ein Versuch, verschiedene linke Positionen und Kritiken zum Thema Identitätspolitik zu diskutieren. Es ist weniger ein Text für oder gegen Identitätspolitik, als vielmehr ein Schritt, Missverständnisse und falsche Annäherungen an das Thema aus dem Weg zu schaffen, damit die Debatte sich nicht mehr ständig im Kreis dreht. Durch eine antikapitalistische, antirassistische und feministische Linse sollen einige Grundlagen bestimmt werden, auf der Basis dessen zukünftig vielleicht sinnvoller darüber diskutiert werden kann, inwiefern Identitätspolitik für linke Kämpfe brauchbar oder unbrauchbar ist.

Während sich viele in letzter Zeit auch um differenziertere Auseinandersetzung mit dem Thema bemühen, scheint es in linken Kontexten bezüglich dieser Frage grob betrachtet zwei dominante Pole zu geben, und um es vorweg zu nehmen: Beide enthalten einige problematische und verkürzte Sichtweisen, die aus dem Weg geräumt werden müssen, damit wir in unserer Praxis weiterkommen. Die eine Seite besteht wohlgemerkt zu gefühlt 90 Prozent aus Männern mittleren Alters. Manchmal sind sie links, in dem Fall lautet ihr Argument in etwa so: Leute wollen nur ein bisschen rumopfern, spalten die Linke und lenken mit ihrem Identitätsgelaber vom Klassenkampf ab. Dem anderen Pol liegt der Irrglaube zugrunde, dass bestimmten Identitäten schon an und für sich irgendwas „Radikales“ innewohnen würde. Das kann im Fall von Deutschland gelegentlich mal dazu führen, dass in Kontexten antirassistischer Arbeit türkische Faschos gepusht werden, weil „die sind ja PoC“ und alles andere (wie zum Beispiel linke politische Grundhaltung oder Rückgrat zu besitzen) ist dann nicht mehr von Belang.

Bei genauerer Auseinandersetzung mit diesen verschiedenen Positionen und Kritiken lassen sich jedoch trotzdem einige gemeinsame Grundlagen bestimmen, auf deren Basis wir linke Praxis weiterdenken und weiterbringen könnten.

Zunächst zu denjenigen, die sich über Identitätspolitik aufregen, weil sie um die „Einheit“ der Linken bangen: Linke sind und waren nie eine starre Einheit, die nun erst durch „sektiererische“ Identitätspolitik zu zerbrechen droht. Im Gegenteil bestanden Spaltungen innerhalb der Linken eigentlich schon immer und zwar mitunteranderem auch darin, dass z.B. Frauen, Migrant*innen, Schwarze Menschen, PoC, queere Menschen, Geflüchtete usw. in vielen linken Strukturen jahrzehntelang ausgeschlossen, rausgemobbt, ignoriert, mundtot gemacht, belächelt oder nicht ernst genommen wurden. Hier stellt sich die Frage: Was genau wird hier „gespalten“, was genau wird hier gestört? Ist es wirklich „die Linke“ oder vielleicht doch einfach ein gemütlicher Status Quo, in welchem niemand über Macht, Mackertum und übers Kartoffelsein nachdenken musste? So betrachtet stand hinter Identitätspolitik ursprünglich ein sehr simpler Grundgedanke. Wenn es z. B. um internationalistische antifaschistische Kämpfe geht, ist es nicht in Ordnung, dass nur weiße Männer zu Wort kommen und dass über die Köpfe von Betroffenen hinweg gearbeitet wird – bis hierhin sind wir uns doch bestimmt alle erstmal einig. Diese Grundidee ist vielleicht auch gar nicht das Problem – das Problem ist vielleicht viel eher, was heute aus Identitätspolitik gemacht wird, aber dazu später.

Davor noch zurück zur Annahme, Identitätspolitik würde vom Klassenkampf ablenken: Vielleicht ist es an dieser Stelle hilfreich, unseren Begriff von Klasse zu hinterfragen bzw. weiterzudenken. Denn wenn wir von der unterdrückten Klasse sprechen, sollten alle ausgebeuteten Gruppen gemeint sein. Arbeiter*innen, Menschen im globalen Süden, rassifizierte Menschen, (ehemals) Kolonisierte, Frauen usw. wurden im Laufe der Geschichte systematisch unterworfen und in einen Zustand der Gewalt und Ausbeutung gedrängt. Sie müssen in diesen Klassenbegriff aufgenommen werden, ohne dass ihre Unterdrückung als bloßer Nebenwiderspruch behandelt wird. Kapitalismus, Rassismus, Kolonialismus und Patriarchat gingen historisch gesehen Hand in Hand und diese Tatsache müssen wir in unsere Praxis einbetten. Wenn diese Praxis „von unten“ wachsen soll, muss denjenigen Platz gemacht werden, die am meisten unter diesen Unterdrückungssystemen leiden und gelitten haben. Das heißt nicht, dass bestimmte Identitäten glorifiziert und mit Allwissenheit assoziiert werden. Wie wir wissen, können Leute diskriminiert und unterdrückt werden, aber trotzdem scheiße sein: So gibt es z.B. weibliche Cops, korrupte Politiker*innen of Color oder queere Menschen, die rassistisch sein können. Es geht hier aber vielmehr darum, dass diejenigen, die am meisten unter dem System leiden und vielleicht genau deshalb potenziell die radikalsten Bekämpfer*innen des Systems sein könnten, sich endlich Raum nehmen müssen, der ihnen vorher versperrt wurde.

Das Combahee River Collective, ein Kollektiv Schwarzer Feministinnen, formulierte es 1977 in seinem Statement folgendermaßen: „Wir glauben, dass eine tiefgehende und möglicherweise die radikalste politische Haltung direkt aus unserer eigenen Identität heraus entsteht“. Die Idee, die eigene Identität für den politischen Kampf hervorzuheben, entstand für das Kollektiv aus der Erkenntnis heraus, dass „keine andere vermeintlich progressive Bewegung unsere spezielle Unterdrückung jemals als Priorität gesehen hat oder sich ernsthaft damit beschäftigt hätte, sie zu beenden“ [aus Natasha A. Kelly (Hg.): Schwarzer Feminismus. Unrast, 2019. S. 53). Und genau das trifft auf viele marginalisierte und diskriminierte Menschen zu, die aus linken Kontexten immer wieder ausgeschlossen oder nur geduldet wurden, solange sie ihre spezifische Unterdrückung nicht zum Thema machten. Kein Wunder also, dass heute so ein starkes Bedürfnis danach besteht, sich durch kollektive Identitätsbildung selbst zu ermächtigen und so einen würdigen Platz im Kampf gegen das System einzunehmen.

An diesem Punkt scheinen heute jedoch sowohl viele Kritiker*innen als auch Befürworter*innen das Konzept der Identitätspolitik falsch zu verstehen. Vielleicht liegt das eigentliche Problem mit Identitätspolitik aktuell vor allem darin, dass der Ansatz sich von seinen radikalen Inhalten und Ursprüngen entfernt und somit immer weniger mit revolutionärer Praxis zu tun hat. Manche Angehörige unterdrückter Gruppen haben angefangen, mit Neoliberalismus zu liebäugeln, anstatt die kollektive Selbstermächtigung in Aktion und Widerstand umzuwandeln.

Die kurdische Frauenbewegung (auch wenn sie sich an der Stelle nicht auf Identitätspolitik bezieht) kritisiert z.B. an westlichen Feminismen, dass sie, obwohl gerade Feminismus eine der radikalsten Bewegungen gegen das System sein müsste, es nicht geschafft haben, akkurat auf gesellschaftliche Probleme zu reagieren und einen radikalen Widerstand zu organisieren. Damit Feminismus wieder zum radikalen Ursprung zurückkehrt, muss er sich von den Einflüssen der kapitalistischen Moderne loslösen. Vielleicht ist das ein nützlicher Ausgangspunkt für die weitere Diskussion um Identitätspolitik: Konzepte für politische Kämpfe sollten daran beurteilt werden, inwiefern sie einen Beitrag zur Befreiung der Gesellschaft leisten und reell Veränderung bewirken. Wie wirksam sind z.B. elitäre Diskurse, die sich nicht über die akademische Sphäre hinausbewegen oder Ansätze wie sog. „Girlboss feminism“? Kaum – denn sie bewegen sich oft in geschlossenen Kreisen und erreichen nicht die Straßen. Bestimmte Konzepte, die ursprünglich aus revolutionären Ideen entstanden, werden in solchen Zusammenhängen aus dem Kontext gerissen und zweckentfremdet. Auch der Neoliberalismus bedient sich heute etwa Konzepten wie Diversity und Feminismus. Besonders schlimm wird’s dann, wenn das auch noch abgefeiert wird: Es werden diejenigen von uns gepriesen, die es „nach ganz oben“ geschafft haben und es scheint irgendwie egal zu sein, wenn es sich dabei z.B. um stinkreiche Celebrities handelt. Klasse und Kapitalismus werden nicht mehr problematisiert, sondern vielmehr hingenommen. Identifikation findet hier mit den falschen Leuten statt; sie dient nicht mehr dem kollektiven Bewusstwerdungsprozess, um gegen die Verhältnisse zu kämpfen, sondern es scheint immer mehr darum zu gehen, sich als Angehörige*r einer unterdrückten Gruppe einen Weg nach „oben“ bzw. einen Platz innerhalb des ausbeuterischen Systems zu verschaffen. Dabei kümmert es viele nicht, dass sich Ungleichheit und Gewalt dadurch nicht vermindert, denn egal, wieviel „Diversität“ oben herrscht – es sind und bleiben die Massen, auf deren Schultern die Last kapitalistischer, rassistischer und sexistischer Ausbeutung und Ausgrenzung sitzt.

Um nun zurück auf Identitätspolitik zu kommen: Das Konzept in dieser jetzigen, zweckentfremdeten Form wird bestimmt keine Antwort auf die Gewalt, Unterdrückung und Ungerechtigkeit in der Welt sein. Das heißt jedoch nicht, dass die Relevanz von Identität einfach ausradiert werden darf. Die Rolle von Identität im Kampf gegen Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat muss neu gedacht werden und zwar als die direkteste, radikalste Form, sich den Missständen bewusst zu werden und dementsprechend kollektiven Widerstand zu organisieren. Aufwertung der eigenen, unterdrückten Identität kann dabei ein erster wichtiger Schritt, aber nicht Selbstzweck sein. Sie sollte dazu dienen, den Kampf für Befreiung voranzutreiben, anstatt sich von diesem zu entfremden.

#Titelbild: ROAR Magazine/P2P Attribution-ConditionalNonCommercial-ShareAlikeLicense

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Kristian Stemmler

Es war ein heißer Sommertag in den späten 80ern, ich kann mich noch gut erinnern. Die Heidefläche vor dem Haus meiner Oma in der Lüneburger Heide war knochentrocken. Wie es genau zu dem Feuer kam, weiß ich nicht mehr genau. Ich meine, mein Bruder und ich wollten die trockenen Pflanzen kontrolliert abfackeln, was natürlich extrem leichtsinnig war. Jedenfalls stand eine Ecke der Fläche plötzlich in Flammen und ein Feuerring breitete sich in rasender Geschwindigkeit in alle Richtungen aus. Wir, mein Bruder, ein herbeigeeilter Freund und ich, versuchten das Feuer auszutreten oder mit Decken auszuschlagen – doch wenn es an einer Stelle eingedämmt war, flammte es an einer anderen Stelle wieder auf.

Warum ich das erzähle? Weil mir diese Episode aus jungen Jahren in den Sinn kam, als ich zum Jahreswechsel – bekanntlich die Zeit, in der man gern Bilanz zieht und leicht ins Philosophieren kommt – über die Lage der Linken nachdachte. Wenn ich mir das Fortschreiten der unterschiedlichen Kämpfe im abgelaufenen Jahr 2020 ansehe, dann erscheinen mir unsere verzweifelten Versuche von damals, das Feuer einzufangen, als eine passende Analogie. Wo man heutzutage auch hinschaut, in allen gesellschaftlichen Bereichen schlagen Flammen hoch oder sind zumindest Glutnester auszumachen. Wenn man meint, man habe das Feuer an einer Stelle eingedämmt, flammt es anderer Stelle wieder auf. Es ist ein Flächenbrand.

Kaum verwunderlich ist daher, dass viele radikale Linke an einer gewissen Überforderung leiden. Schon die Beurteilung der Frage, wo es am meisten brennt, wirft Probleme auf. Und von der Antwort hängt nicht zuletzt ab, worauf man seinen Blick richtet und für welches Engagement man die begrenzte Zeit und Kraft einsetzt.

Unterstütze ich zum Beispiel Seebrücke, weil ich was gegen die katastrophale Situation der Geflüchteten auf den griechischen Inseln tun will und gegen das Ertrinken auf dem Mittelmeer? Oder blockiere ich mit einer Friedensgruppe die Zufahrt zu einem Werk von Rheinmetall? Oder solidarisiere ich mich mit Baumbesetzern? Oder schließe ich mich doch einer Antifa-Gruppe an, um Nazistrukturen aufzudecken und Nazis zu bekämpfen?

Natürlich ist das jetzt etwas konstruiert, da eine solche rationale Abwägung auch im Leben von Linken eher selten vorkommt. Man kommt doch oft eher durch Freunde oder Bekannte zu einer politischen Gruppe und damit auch zu einem Thema oder auch durch ein bestimmtes Ereignis, das einen umtreibt. Nichtsdestotrotz interessiert man sich als politischer Mensch ja auch für andere Themenbereiche und versucht sich ein Bild von der Gesamtlage zu machen. Dabei kommt man leicht zu der Frage, wo die Probleme und Gefahren die größten sind, wo es „am meisten brennt“.

Das ist, kaum überraschend, nicht endgültig zu beantworten. Jede Bewegung, jeder Kampf beansprucht für sich wichtig zu sein – und das durchaus zu recht. Die Friedensbewegung kann darauf verweisen, dass von der Zivilisation nicht viel übrig bleiben wird, wenn der Frieden nicht bewahrt wird. Die Klimabewegung kann wiederum konstatieren, dass wir vom Frieden nicht viel haben, wenn die Natur zum Teufel geht. Die Antifa kann argumentieren, dass der Frieden und eine gerettete Umwelt wenig bringen, wenn die Faschisten wieder ans Ruder kommen. Und wer sich gegen Repression engagiert, kann allen drei Bewegungen entgegenhalten, dass sie eines Tages nicht mehr effektiv gegen Krieg, den Klimawandel und Nazis protestieren und kämpfen können, wenn das Versammlungsrecht weiter eingeschränkt wird und immer mehr radikale Linke im Knast sitzen.

Mit anderen Worten: Jeder Kampf hat seine Berechtigung und jeder ist wichtig. Das gilt auch für die Kämpfe, die hier noch gar nicht erwähnt wurden, also etwa in den Betrieben, gegen Rassismus, gegen den Mietenwahnsinn und die Gentrifizierung, für Hartz-IV-Empfänger*innen, Drogensüchtige, Obdachlose. Für radikale Linke gibt es alle Hände voll zu tun, es wird nicht weniger und es ist letztlich egal, an welcher Stelle sie versuchen, Flammen auszutreten, um an die Analogie vom Anfang anzuschließen. Es gibt aber folglich auch keinen Grund, die eigene Bewegung, den eigenen Kampf für bedeutsamer zu halten als andere.

Vielleicht kann man das als Wunsch fürs neue Jahr formulieren: dass sich diese Einsicht noch mehr durchsetzt. Denn noch zu oft sind die Kämpfe der Linken zu unverbunden, geradezu isoliert voneinander. Es kann und muss hier noch viel mehr zusammengeführt werden.

Eine gelingende Verbindung von Kämpfen kann aber nur da stattfinden, wo sich die Einsicht durchgesetzt hat, dass es in dieser Gesellschaft zwar viele Brandnester gibt, aber nur einen Brandherd, nur eine Brandursache: den Kapitalismus. Alle in diesem Beitrag geschilderten Krisenphänomene sind auf dieses System zurückzuführen und ein gemeinsamer Kampf setzt voraus, dass man sich zuerst auf eine Agenda einig:
Der Kapitalismus muss weg, mit Stumpf und Stiel!

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Nach dem Polizeimord an George Floyd brennen zahlreiche Großstädte in den USA. Friedliche und militante Massenproteste dauern an – obwohl schwer bewaffnete Polizei- und Militärtruppen unterschiedslos brutal gegen alle vorgehen, die sich nicht unterwerfen. Die Vereinigten Staaten befinden sich zwar nicht an der Schwelle zum Bürgerkrieg, aber sehr wohl können wir eine Aufstandsbekämpfung beobachten, wie sie aus den urban-warfare-Planspielen der NATO-Armeen bekannt ist.

Wenn man die Frage stellt, worum es eigentlich bei den aktuellen Massenprotesten geht, könnte man meinen, die Antwort ist offensichtlich: Polizeigewalt und Rassismus. Klar, das ist nicht von der Hand zu weisen und selbst bürgerliche Politiker*innen sind gezwungen, diese Begriffe zu verwenden. Allerdings kommt es darauf an, wie man beides versteht. Denn Polizeigewalt ist nicht in erster Linie die Gewalt einzelner Polizisten, die „über die Stränge schlagen“. Und Rassismus erschöpft sich nicht einfach in der unterschiedslosen Diskriminierung von Menschen mit schwarzer Hautfarbe.

Schauen wir auf ähnlich gelagerte Proteste und Aufstände in den vergangenen Jahren: 2014 in Oakland nach den Polizeimorden an Michael Brown und Eric Garner; 2015 in Baltimore nach dem Polizeimord an Freddie Gray; 2016 nach den Morden an Alton Sterling und Philando Castile; 2017 nach dem Freispruch des Polizisten Jason Stockley, der wegen der Erschießung von Anthony Lamar Smith vor Gericht stand, in St. Louis.

Was haben alle genannten Opfer von Polizeimorden gemeinsam? Na einfach, wird man sagen: sie sind Schwarz. Ja. Aber das ist nicht alles. Sie alle waren aus der Arbeiter*innenklasse oder subproletarischen Schichten. Das ist kein Zufall, sondern es hat mit systemischen Eigenschaften des US-Kapitalismus zu tun. Die – politische, juristische, kulturelle – Unterdrückung der Schwarzen Bevölkerung blieb nach dem offiziellen Ende der Sklaverei in den ökonomischen Aufbau des US-Kapitalismus eingeschrieben. Die sogenannten „Black Codes“ legten ein System der Arbeitssklaverei unter neuem Namen fest, in dem Schwarze sich ohne Arbeitsvertrag und schriftliche Erlaubnis „ihres“ Kapitalisten nicht bewegen konnten. Der „Arbeitgeber“ konnte sie vermieten, sie waren an seine Anweisungen absolut gebunden. Wurden Schwarze von der Polizei aufgegriffen, ohne sich als Arbeiter im Dienst eines Kapitalisten ausweisen zu können, drohte Zwangsarbeit. Die wurde in abertausenden Fällen in den Händen jener Industriegiganten wie der US-Steel-Corporation verrichtet – eine „Sklaverei mit anderem Namen“, wie der Journalist Douglas A. Blackmon es nannte. Es waren die diversen Polizeibehörden, deren Aufgabe es war, die Schwarzen „Landstreicher“ aufzugreifen, einzufangen und der kapitalistischen Schinderei zuzuführen.

Wie sich die Zeiten auch wandelten – die „Black Codes“ wichen der „Verpachtung von Gefangenen“ und die wiederum ausgefeilteren, „freieren“ Formen der Einspeisung von Schwarzen in den Gefängnis-Industriellen Komplex wichen. Es blieb dabei: Schwarze stellten im US-Kapitalismus eine für die schwersten Arbeiten genutzte, in ihrem Recht auf Organisation und Widerstand extrem eingeschränkte, überausgebeutete und verarmte Schicht dar.

Das ist bis heute so: Schwarze leben überdurchschnittlich häufig in den Elendsvierteln der USA; die prozentuale Differenz in den Löhnen zwischen Schwarzen und Weißen in den USA ist seit 1979 sogar angewachsen; und sie landen deutlich häufiger im Gefängnis. Letzteres wiederum hat weitreichende soziale Implikationen: „Obwohl die Inhaftierungsrate ein historisches Hoch erreicht hat, ist der vielleicht wichtigste soziale Fakt die Ungleichheit im Strafvollzug. Diese Ungleichheit bringt außergewöhnliche Prozentsätze an Inhaftierungen unter jungen afro-amerikanischen Männern hervor, die über nicht mehr als einen High-School-Abschluss verfügen. Für diese jungen Männer, geboren seit den 1970er-Jahren, gehört es zum normalen Leben, Zeit im Gefängnis abzusitzen“, bilanziert eine Studie zum Thema.

Die Knastzeit wiederum fixiert die Inhaftierten (und ihre Nachkommen) in der sozialen Schicht, aus der sie kommen. „Aufstiegschancen“ gibt es für sie im Allgemeinen nicht. Auch dieses Gefängnissystem hat einen ökonomischen Zweck: „Wir untersuchen, wie Gefangene, in erster Linie afro-amerikanische Männer, ein Reservoir in höchstem Grad ausbeutbarer Arbeitskraft darstellen, das allen Arten von Industrie – von der Landwirtschaft bis zu multinationalen Konzernen wie Microsoft – erlaubt, hohe Profite einzufahren“, schreiben Earl Smith und Angela Hattery. „Im Besonderen argumentieren wir, dass das gegenwärtige Gefängnissystem in den Vereinigten Staaten die Ökonomie der Sklavenplantagen des Südens immitiert.“

In Krisen gehört die Schwarze Bevölkerung zu den Schichten der Arbeiter*innenklasse, die am stärksten betroffen sind – wie die Auswirkungen von Covid-19 aktuell zeigen. Die immensen sozialen Effekte der Corona-Krise – mit über 40 Millionen Erwerbslosen – dürften zumindest zur Vehemenz und Größe der aktuellen Proteste beigetragen haben.

Bürgerlicher und proletarischer Antirassismus

Betrachtet man die rassistische Komponente von der Klassenkomponente getrennt, kommen ideologische Probleme auf. Denn spätestens seit den 1960er-Jahren etablierte sich immer deutlicher eine Schwarze Ober- und Mittelschicht, die einiges an ökonomischer, politischer und Diskursmacht akkumulierte. Für die Masse der armen Schwarzen änderte sich damit nichts, es gab zwar jetzt „black faces in high places“, aber in den Slums waren immer noch dieselben Kakerlaken, Müllberge, Junkies und Bullen, wie Amiri Baraka schon 1972 schrieb.

Präzise beschreibt Keeanga-Yamahtta Taylor die Funktion dieser Aufsteiger*innen: „Die Größe dieser Schicht war weniger wichtig als die Tatsache, dass es sie gab. Ihre bloße Existenz legitimierte den amerikanischen Kapitalismus (…). Die Erfahrungen dieser Klasse waren in keiner Weise repräsentativ für die Mehrheit von Afroamerikaner*innen und drückten damit auch keine ‚gemeinsame‘ Schwarze Erfahrung aus (…) Persönliche Geschichten von Aufstieg und Erfolg begannen, die Erzählung vom kollektiven Kampf abzulösen.“

Dieser Unterschied ist ein Unterschied ums Ganze in der Frage, was unter „Antirassismus“ zu verstehen ist. Der dem Bewusstsein der Ober- und Mittelschicht entsprechende Antirassismus ist ein Antirassismus der Integration. Hier geht es um den Abbau von „Hürden“, um den „Aufstieg“ im bestehenden System zu ermöglichen. Der ist aber immer einer, bei dem man „über die Körper von Schwarzen Frauen wie mir selbst hinweg“ aufsteigen müsste, wie die Black-Panther-Militante Elaine Brown dieses Konzept ablehnend schrieb. Der Integrationsantirassismus kann und will weder im Inneren, noch an den globalen imperialistischen Verhältnissen wirklich etwas ändern – die Präsidentschaft Barack Obamas demonstrierte das anschaulich.

Der Integrationsantirassismus ist im liberalen weißen Mainstream genauso beliebt wie er ideologisch Einfluss auf die gesamte antirassistische Bewegung hat. Die ihm zugrunde liegende These ist so einfach wie falsch: Wenn man die Leitungsfunktionen in Wirtschaft, Politik und bürgerlichen Medien „diverser“ gestaltet, überwindet man Rassismus.

Das wiederum lässt sich problemlos mit einem „cultural nationalism“ in der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung vereinen: „Weil der kulturelle Nationalismus keine Herausforderung für die bestehende Ordnung darstellt, ist der Zufluss von „Black and Proud“ – Filmstars, Sozialarbeitern, Lehrern und Bewährungshelfern immens“, schrieb schon 1969 Linda Harrison in der Zeitung der Black Panther Party. „Ein bourgeoiser und Oberklassen-Standpunkt ist kein Hindernis für das „Schwarze“ – und umgekehrt. Die Machtstruktur duldet, nach einem obligatorischen Kampf, den neu gefundenen Stolz, den es nutzt, um jedes erdenkliche Produkt zu verkaufen. Die Macht verehrt und toleriert alles, was harmlos ist und keine Herausforderung für die existierende Ordnung darstellt.“

Der Kapitalismus als ein unheimlich flexibles und anpassungsfähiges System kann Bewegungen so integrieren, dass er aus Opposition gestärkt hervorgeht. Und wo Identitätspolitik – trotz etwaiger gegenteiliger Bekundungen – von der Bindung an die Klassenperspektive getrennt wird, tut er genau das. Schwarze Polizeioffiziere, Bürgermeister und Gouverneure sind zweifellos funktionaler zur Niederschlagung oder präventiven Befriedung von Aufständen in Schwarzen Armenvierteln; eine unterdrückte Schwarze Kultur in ein kommerzialisiertes Spektakel aus Hollywood zu verwandeln, ist nicht nur lukrativ, sondern nimmt ihr das revolutionäre Potential einer Gegenkultur; und aufstrebende Schwarze Aktivist*innen als Wahlhelfer*innen für wahlweise den Republikanischen oder Demokratischen Präsidentschaftskandidaten sind keinerlei Bedrohung für die Fortsetzung des Rassismus im kapitalistischen Geschäftsmodell.

Der proletarische Antirassismus dagegen orientiert nicht auf individuellen Aufstieg, sondern auf Kollektivität, Organisierung und den Sturz des gesamten Systems aus Ausbeutung und Unterdrückung. Er will keine Teilhabe an der bestehenden Macht, sondern Gegenmacht. Insofern hat die revolutionäre Schwarzenbewegung immer betont, dass es sich bei dem Kampf der Schwarzen in den USA um einen Teil des globalen Kampfes gegen Imperialismus und Rassismus handelt. Die Black Panther Party begriff die Situation der Schwarzen in den USA als der von durch die USA kolonisierten Völker ähnlich.

Anders als der Integrationsantirassismus hat der proletarische Antirassismus ein höchstens instrumentelles Verhältnis zum „kulturellem Nationalismus“. Er kann der Organisierung nutzen, aber er ist nicht Zweck der Organisierung. Er kann „empowern“, aber das entscheidende ist, zu welchem Zweck er empowered. Der Zweck ist, wie Fred Hampton immer wieder betonte, eine „internationale proletarische Revolution.“ Und die wird nicht von einem Segment des Proletariats alleine gemacht: „Arbeiter*innen aller Hautfarben müssen sich vereinigen gegen die ausbeuterische, unterdrückerische herrschende Klasse“, so Bobby Seale von der Black Panther Party. „Lasst es mich betonen – wir glauben, unser Kampf ist ein Klassenkampf, kein Rassenkampf.“

Der proletarische Antirassismus antwortet auf die von Intersektionalitätstheorien gestellte Frage nach den „Überschneidungen“ von unterschiedlichen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen mit einer strategischen Überlegung: Welche Klasse hat ein objektives Interesse daran das Ganze des Ausbeutungssystems abzuschaffen – und nicht nur seine Symptome abzumildern? Und wie konstituiert sich diese Klasse in gemeinsamen Lebensverhältnissen, Interessen und Kämpfen?

Was in den meist äußerst universitären und in der Mittelschicht verbreiteten Theorien über „Privilegien“ häufig vergessen wird, ist zunächst, dass sich die Lebensverhältnisse am unteren Ende der sozialen Schichtung einer Gesellschaft immer noch deutlich stärker ähneln, als wenn sie alleine entlang von Diskriminierungsformen betrachtet werden. Die Wohnverhältnisse der weißen und Schwarzen (Sub-)Proletarier in den Trailerparks und Slums, ihre verzweifelten Versuche, irgendwie über die Runden zu kommen, die Wahrscheinlichkeit von Knast und Hunger sind eine konkretere Realität als die abstrakte Gemeinsamkeit zwischen etwa Freddie Gray aus dem Baltimore-Armenviertel und Kenneth Frazier, dem CEO von Merck&Co. – die beide Schwarz und von Rassismus betroffen sind.

Rassismus erscheint in der Perspektive des proletarischen Antirassismus zuallererst als zweierlei: Einmal eine materielle, systemische Eigenschaft des kapitalistischen Systems, das es als Ganzes abzuschaffen gilt; einmal als Ideologie der Spaltung innerhalb der Klasse selbst, die einer gemeinsamen Organisierung entgegensteht. Letzteres ist ein Problem, um das man sich nicht einmal dann drücken kann, wenn man allein „People of Colour“ (PoC) ohne Weiße organisieren will, denn selbstverständlich gibt es auch dort Rassismus: arabische, kurdische, türkische, Schwarze „PoC“ sind keineswegs frei von rassistischen Vorurteilen gegeneinander; und gerade seit 2015 ist in migrantischen Schichten durchaus eine rassistische Abwehrhaltung gegen Geflüchtete zu beobachten, die ihren materiellen Grund in der Angst hat, die eigene, ohnehin prekäre Situation könne sich durch die Neuankömmlinge noch verschlechtern.

Materielle Basis

Nun sind diese Vorurteile, gepflegt und verankert durch die ideologischen Apparate der Herrschenden von liberalem Mainstream bis Rechtsaußen, allerdings nur ein Aspekt des Problems. Gegen sie hilft Aufklärung und Bildung, kollektive Organisation und Propaganda. „In dem Maß, wie das Volk begreift, was los ist, werden sie ihre Waffen nicht mehr aufeinander richten, sondern auf die große Machtstruktur, die so lange mit uns gespielt hat“, formulierten die Young Lords einst ihren Ansatz der Überwindung dieses Problems.

Allerdings ist das fundamentalere Problem, dass Rassismus in der Arbeiter*innenklasse nicht allein eine irrationale Einstellung ist, sondern eine materielle Basis in der Art und Weise hat, wie die kapitalistische Arbeitsteilung funktioniert. Schon in den Debatten der II. und III. Internationale findet sich dieser Sachverhalt in intensiven Auseinandersetzungen zur „Kolonialfrage“ wieder, bis heute bleibt er überall da relevant, wo eine sozialistische Linke ihre Klassenanalyse auf den nationalen Rahmen und privilegierte Arbeiter*innenschichten beschränkt.

Der Kapitalismus schafft jederzeit eine Situation der Konkurrenz zwischen den individuellen Arbeiter*innen, aber eben auch zwischen bestimmten Schichten von Arbeiter*innen, die anhand etwa ethnischer Merkmale gegeneinander gestellt werden. Das war in dem Kapitalismus, den Marx vor Augen hatte, nicht anders, wenn man etwa die Lage der nach England immigrierten irischen Arbeiter*innen betrachtet. Rassismus war hier die ideologische Widerspiegelung eines realen Verhältnisses, nämlich des Umstandes, dass die englischen Kapitalisten, die Ir*innen als billigste, am ehesten auf das absolute Überlebensminimum zu drückende Schicht des Proletariats nutzten. „Diese irischen Arbeiter, die für vier Pence (3 1/3Silbergroschen) nach England herüberfahren – auf dem Verdeck der Dampfschiffe, wo sie oft so gedrängt stehen wie Vieh – nisten sich überall ein. Die schlechtesten Wohnungen sind übrigens gut genug für sie; ihre Kleider machen ihnen wenig Müh, solange sie nur noch mit einem Faden zusammenhalten, Schuhe kennen sie nicht; ihre Nahrung sind Kartoffeln und nur Kartoffeln – was sie drüber verdienen, vertrinken sie, was braucht ein solches Geschlecht viel Lohn? Die schlechtesten Viertel aller großen Städte sind von Irländern bewohnt“, beschreibt Engels. Dieses Geschäftsmodell hatte zwei Effekte: Die Präsenz der Ir*innen übte Druck auf die Löhne des englischen Proletariats aus; und die Ablehnung des britischen Proletariats gegenüber den Ir*innen schwächte den Kampf der Klasse insgesamt. Resultat: „Die rasche Ausdehnung der englischen Industrie hätte nicht stattfinden können, wenn England nicht an der zahlreichen und armen Bevölkerung von Irland eine Reserve gehabt hätte, über die es verfügen konnte.“

Mit der imperialistischen Aufteilung der Welt und dem beginnenden Aufbegehren der Kolonialvölker rückte die Frage sowohl der ungleichzeitigen globalen Entwicklung des Kapitalismus weiter in den Mittelpunkt der Debatten der internationalen Arbeiter*innenbewegung und es waren die revisionistischen, reformistischen Strömungen, die eine sozialchauvinistische Verteidigung der Kolonialpolitik mit dem Verweis auf Vorteile für die Arbeiter*innenklasse in den imperialistischen Hauptländern vertraten.

Die Mechanismen der Konkurrenz innerhalb des Proletariats sind in Zeiten globaler Produktionsketten, imperialistischer Kriege, massenhafter Fluchtbewegungen und eines ausgeklügelten Systems des Outsourcings von besonders schwerer und schlecht bezahlter Arbeit an Wanderarbeiter*innen und/oder Illegalisierte nicht weniger geworden. Und der Sozialchauvinismus in seiner Gestalt als sozialdemokratischer „Standortpolitik“ wurde deutlich hegemonialer in der Arbeiter*innenbewegung der kapitalistischen Zentren.

Klasse und Identität: Die Rainbow Coalition

Wie also auf diese Herausforderung antworten? Es gibt in der Geschichte der Arbeiter*innen zahlreiche Partei- und Organisationsmodelle, die versucht haben, eine Antwort auf diese Herausforderung zu finden und die Einheit der Klasse herzustellen.

Was die USA anbelangt, ist eines der bekanntesten und interessantesten das der „Rainbow Coalition“. Unter der Leitung von Fred Hampton fanden Ende der 1960er-Jahre Black Panthers, Young Lords und Young Patriots zu einer multiethnischen Koalition zusammen, der sich später auch die Students for a Democratic Society, die Brown Berets, das American Indian Movement und die Red Guard Party anschlossen. Die Vereinigung von Revolutionär*innen aus der Schwarzen Bewegung, der Latino-Community, indigenen und weißen Organisationen hatte eine immense Dynamik.

Die Rainbow Coalition war ein „Moment in der US-Geschichte, in der Identitätspolitik und Klassenkampf dynamisch miteinander verflochten waren“, schreibt Jakobi E. Williams. Sie vereinte Schwarze Aktivist*innen der Panthers mit Puerto-Ricanischen Gang-Mitliedern und weißen Unterschichtsjugendlichen sowie Studierenden. Wer heutige Identitätspolitik ansieht, wird sich fragen: Wie ging das zusammen? Die jeweilige Unterdrückung wurde nicht als skurrile Selbsterfahrung eigener „Privilegien“ gegeneinander aufgerechnet, sondern auf eine gemeinsame zu überwindende Ursache zurückgeführt: „Die Koalition vereinte verschiedene Formen von Identitätspolitik in eine Gruppe mit einer idealen Form von Identität – eine Identität, die Unterschiede transzendiert und auf Gemeinsamkeiten fokussierte. Der größte gemeinsame Nenner war Armut“, so Williams. Dementsprechend verstanden alle Gruppen ihr Ziel in der Überwindung des Kapitalismus – und sie orientierten sich am Modell der am weitesten fortgeschrittenen Gruppe in der Koalition, der Panthers.

Wer die heutige Identitätspolitik der absoluten Differenz kennt, in der jeder Unterschied zum unüberwindlichen Hindernis wird, wird sich fragen: Wie war denn das bitte möglich? Die Panthers und, sagen wir, die Young Patriots, die lange Zeit eine Konföderiertenflagge in ihrem Logo trugen? In einem eindrucksvollen Interview erklärt Bobby Lee, neben Hampton einer der wichtigsten Panthers in diesem Prozess, ganz offen: „Die Rainbow Coalition war nur ein Code für Klassenkampf.“ Und der hatte wenig mit Workshops zum Privilegienreflektieren oder moralischer Reinheit zu tun. Die weißen Revolutinär*innen kamen aus Armenvierteln, die sich von den Schwarzen Slums nicht unterschieden: „Wenn ich zurückschaue, gab es genug Basis für Einheit? Zur Hölle, ja. Wenn ich nach Uptown Chicago gefahren bin, habe ich einige der schlimmsten Slums, die man sich vorstellen kann, gesehen. Grauenvolle Slums, und weiße Arme lebten dort“, erinnert sich Bobby Lee. Diese Slums waren Gegenden, in denen alle Arten von weißen Faschisten rekrutierten. Und was die Panthers von ihren weißen Genoss*innen erwarteten, war kein Rückzug aus diesen Gegenden, sondern das Gegenteil: Den „white-supremacist-Bullshit“ bekämpfen, indem man das gleiche tat wie die Panthers in ihren Communities: Serve the people.

Die Rainbow Coalition wurde am Ende zerschlagen, Fred Hampton wurde vom US-amerikanischen Staat brutal ermordet und mittels des berühmt-berüchtigten COINTELPRO-Programmes führte das FBI einen offenen und verdeckten Krieg gegen die Panthers und andere Gruppen.

Aber zu lernen blieb dennoch viel aus dem Versuch: Augenscheinlich riesige Unterschiede sind zu überwinden, wenn die proletarische Identität der Organisation die Basis abgibt, auf der die Differenzen ausgetragen werden und Priviligien in einer gemeinsamen „revolutionären Kultur“ aufgelöst werden können – und wenn das gemeinsame Ziel die „internationale proletarische Revolution“ als Bedingung der Möglichkeit der Befreiung aller verstanden wird.

Wer wissen will, wie wirksam dieses Politikmodell war, kann sich verdeutlichen, wie viel Angst der Gegner davor hatte. In den Worten von Bobby Lee: „Als die Partei mal von diesem „Hate Whitey“ – Trip runtergekommen war und sich ernsthaft daran machte, wirkliche Politik aufzubauen, wurden wir zu einer Gefahr – so einfach ist das. Das FBI hat uns immer beobachtet. Aber die Rainbow Coalition war ihr schlimmster Alptraum.“

# Titelbild: Panthers und Young Patriots, Bildquelle: Redneck Revolt

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Einige Beobachtungen von Ramsis Kilani, Narges Nassimi, Eleonora Roldán Mendívil und Aida Vafajoo

Vom 12. bis zum 15. September 2019 fand das „Feminist Futures Festival“ auf dem Gelände des ehemaligen Steinkohlebergwerks Zeche Zollverein in Essen statt. Im Herzen des Ruhrgebiets ereignete sich bei spätsommerlichen Temperaturen mit rund 1500 Feminist*innen die bislang größte feministische Zusammenkunft in Deutschland. Organisiert wurde das Festival von der Rosa Luxemburg-Stiftung, dem „Konzeptwerk Neue Ökonomie“ und dem Netzwerk „Care Revolution“. Neben diesen drei Hauptorganisator*innen waren an der Durchführung des Festivals aber auch zahlreiche weitere Initiativen beteiligt.

Leider waren die meisten Workshops überfüllt, so dass man oft nicht teilnehmen konnte und die organisierten Podiumsdiskussionen ließen wenig Raum für Diskussionen. Wir hätten uns hier mehr Möglichkeiten für die Interaktion mit und aus dem Publikum gewünscht. Trotzdem ergaben sich spannende Gespräche am Rande.

Zeche Zollverein und die Kämpfe der Migration

Da Veranstaltungen, die sich feministischen oder frauenpolitischen Anliegen widmen, häufig in Berlin oder Hamburg stattfinden, war es besonders sinnvoll, dass durch das Festival auch für NRW-ansässige Feminist*innen die Möglichkeit für politische Diskussionen, auch mit internationalen Aktivist*innen, geschaffen wurde. In Gesprächen wurde jedoch deutlich, dass kaum jemandem bewusst war, wie bedeutsam das Gelände, auf dem das Festival stattfand, für die Region, die Arbeiterbewegung und die Geschichte der Einwanderung in Deutschland tatsächlich ist.

Gerade, dass darüber nicht gesprochen wurde, war für uns befremdlich. Denn wenn vom Ruhrpott mit seinen Zechen als historische Hochburg deutscher Industrie die Rede ist, dann sind nicht nur weiße, deutsche Arbeiter*innen Teil dieser Geschichte, sondern auch jene migrantischen Arbeiter*innen, die mit ihrer Arbeitskraft ab den 1960er Jahren maßgeblich zum Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft beigetragen und auch eigene, bedeutende Arbeitskämpfe geführt haben.

Als berühmtestes Beispiel gilt der von migrantischen Arbeiter*innen getragene „Wilde Streik“ 1973 bei Ford in Köln, bei dem die Arbeiter*innen für gleichen Lohn und gleichen Umgang wie ihre deutschen Kolleg*innen kämpften. Er wurde, unterstützt von der Gewerkschaftsbürokratie gewaltsam von der Polizei angegriffen und aufgelöst[1]. Im gleichen Jahr legten migrantische Arbeiterinnen beim Automobilzulieferer Pierburg in Neuss ihre Arbeit nieder, um die Kategorie der „Leichtlohngruppe“, welche Frauen weniger verdienen ließ als Männer, anzufechten[2]. Diese Streiks waren Ausdruck davon, dass sich migrantische Arbeiter*innen nicht mehr wie Menschen zweiter Klasse behandelt lassen wollten. Auch Arbeiter in der Zeche Zollverein organisierten sich und brachten ihre Forderungen für eine gleichberechtigte Behandlung und ein Ende der Polarisierung der Arbeitsbedingungen und Löhne zwischen „deutschen“ und „ausländischen“ Arbeitern hervor. Dies ist in der Dauerausstellung im Museum Zollverein nachzulesen. Schade, dass dieser Teil der deutschen – auch feministischen – Geschichte, gerade angesichts der Aktualität der Migrationsfrage sowie Arbeitsniederlegungen mit einem hohen Anteil migrantischer Streikender[3] (außer einer kurzen Nennung in einem Workshop, in dem es um das Ruhrgebiet und die Probleme der Menschen vor Ort ging) beim Festival ausgelassen wurde.

Liberaler Feminismus

Was wollten die Feminist*innen, die sich im Rahmen des Feminist Futures Festivals zusammengeschlossen haben, erreichen? Eine solch große Veranstaltung mit der Teilnahme von unterschiedlichen politischen Spektren in Deutschland zu organisieren, ist ein wichtiger Versuch. Unser Eindruck ist jedoch, dass das Festival in seiner thematisch-inhaltlichen Ausrichtung, sowie personellen Besetzung eingeschränkt war. Der Grund dafür war, dass es insgesamt von weißen Akademiker*innen mit wenig oder gar keinem Bezug zu Fragen von Klasse, Armut und Rassismus dominiert wurde. Diese Ansicht teilten verschiedene, vor allem migrantische, nicht-weiße und ausländische Aktivist*innen[4]. An der geringen Partizipation und Repräsentation von Arbeiter*innen als Referent*innen war erkennbar, dass zwar über uns, unsere Mütter, Cousinen und Tanten gesprochen wird, aber selten mit uns.

Die tendenzielle Trennung der Frauenkämpfe von Klassenfragen und Rassismus wurde auch in der Praxis deutlich. Wenn beispielsweise Arbeiter*innen als Arbeiter*innen referiert haben (was nur in einem Panel zu migrantischer Hausarbeit vorkam), waren diese nicht aus Deutschland. Sie kannten sich dementsprechend nicht mit den Tücken der DGB-Gewerkschaften und ihrer Führungen aus und konnten keine Kritik an ihnen oder ihrer Bürokratie formulieren. Dabei gibt es hier konkrete Ansprechpartner*innen: Die Kämpfe der migrantischen Arbeiter*innen gegen die neoliberale Prekarisierung an der Alice-Salomon-Hochschule oder am Wombat’s Hostel in Berlin sind emblematische Beispiele[4]. Auch migrantischen Aktivist*innen, vor allem aus dem globalen Süden, lagen viele Steine im Weg, die ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe an Diskussionen erschwerten. Es wurde für asylsuchende und migrantische Frauen in Deutschland keine Dolmetschung in für sie wichtigen Sprachen wie Arabisch, Türkisch, Farsi, Dari, Kurdisch oder Französisch organisiert. Der Aufruf, dies solidarisch selbst zu organisieren, mündete häufig darin, dass migrantische Teilnehmende selbst unter deutschen Feminist*innen so häufig gesprochene Sprachkombinationen wie Deutsch-Englisch-Spanisch dolmetschen mussten und somit selbst eingeschränkt waren, an einer politischen Diskussion teilzunehmen. Weiße deutsche Freiwillige zum Dolmetschen meldeten sich selten.

Die Frage, wer die Frauen und Queers eigentlich sind, über die konkret gesprochen wurde, war ein Randthema des Festivals. Gehören Ausbeutende – CEO’s, Kapitalist*innen – und ihre Handlanger*innen – Frauen und Queers bei Polizei und Armee – dazu? Diese Nicht-Benennung etabliert eine Romantisierungeiner „Schwesternschaft“. Das und die Homogenisierung von Frauen und Queers führen dazu, dass Unterdrückungsmechanismen und die unterschiedlichen Formen von notwendigen Trennungen entlang von Klassenlinien unsichtbar gemacht werden.

Rassismus im Feminismus

Unserer Erfahrung nach, schrecken linke und/oder feministische Organisationen in Deutschland meist davor zurück, offen über Rassismus, und besonders antimuslimischen Rassismus, zu sprechen. Zwar wird gerne behauptet, man sei antirassistisch, doch werden in jenen linken, feministischen Räumen so oft Rassismen reproduziert oder kleingeredet, dass nicht-weiße Personen eben dort, wo sie sich sicher fühlen sollten, kaum Gehör finden. Ein solcher eurozentrischer Feminismus mündet somit immer in einer rassistischen Praxis. Themen, die sich (neo-)kolonialen Strukturen und deren realen Konsequenzen im heutigen Kontext widmen, wie beispielsweise die Besatzungspolitik Israels, oder den verstärkten feministischen Rufen nach Hijab-Verboten (Terre des Femmes und andere) werden in linken feministischen Räumen als „kontrovers“ abgestempelt und gemieden. Wir haben diese Scheinargumente nun seit vielen Jahren gehört und wir sind es Leid, Themen die unser Leben als Migrant*innen in Deutschland zentral betreffen, wie einen Nebenwiderspruch behandelt zu sehen. Ein Feminismus, der den Anspruch hat, gesellschaftliche Strukturen zu hinterfragen, kann Rassismus und breitere Systemkritik nicht weiter ignorieren. Aus genau diesem Grund haben wir in unterschiedlichen Konstellationen unter anderem Workshops zu migrantisch-feministischer Organisierung und zu Rassismus in feministischen Strukturen in Deutschland eingereicht, um gemeinsam Wege des Zusammenarbeitens zu erörtern und feministische Räume in Deutschland zumindest für diese ersten selbstkritischen Schritte zu öffnen. Unser Ziel war es, endlich miteinander ins Gespräch zu kommen und auch andere nicht-weiße Personen zu motivieren, feministische Räume als ihre eigenen Räume zu erkennen und zu nutzen.

Die oben genannten Workshops wurden nicht angenommen. In zwei Workshops wurden jedoch ähnlich klingende Themen angeschnitten. Bei dem Workshop „Frauen*, Asyl und Solidarität“ versuchten die Teamenden von Women in Exile and Friends eine Diskussion darüber auszulösen, was wir brauchen, um feministische Räume, vor allem für Frauen und Queers mit Fluchterfahrung, weniger barrierevoll zu gestalten. Dadurch, dass der Fokus nicht explizit auf Rassismus gelegt wurde, was im Rahmen der Frage von der Teilnahme und des Protagonismus von Frauen und Queers mit Fluchterfahrung innerhalb feministischer Kämpfe eines der zentralen Hindernisse ist, kam es zu einer Aneinanderreihung und teilweise Gleichsetzung verschiedenster Unterdrückungslinien sowie Diskriminierungserfahrungen. Rassismus wurde hier nur abstrakt und nicht konkret als ein feministisches Problem, was die Teilnehmenden des Workshops betrifft, behandelt.

Ein zweiter Workshop mit dem Namen „Muslima in Deutschland“ beschäftigte sich mit der besonderen Unterdrückung, die muslimische Frauen in Deutschland erfahren. In Kleingruppen wurden zuerst Grundlagen wie die Verhandlung von Identität und Othering diskutiert. Mit der Öffnung der Diskussion wurden konkretere Probleme deutlicher. Die einzige Hijab-tragende Frau im Raum, berichtete von ihrem brutalen rassistischen Alltag; der Alltag einer Mehrheit von muslimischen Frauen in Deutschland: An der Universität für eine Putzfrau gehalten zu werden; bei Jobgesprächen gesagt zu bekommen, man habe sich für eine andere Bewerberin entschieden, nur um die selbe Stellenausschreibung dann weiterhin in der Zeitung und im Internet zu finden; im vollen Zug zu sitzen und trotzdem neben sich einen freien Platz zu sehen, den niemand nutzen will; sich als Jugendliche selbstbestimmt dazu zu entscheiden, Hijab zu tragen, aber danach in linken Strukturen, konkret der Linksjugend Solid, von weißen Deutschen gemieden und isoliert zu werden. Diese Erfahrungen wurden auch auf dem Feminist Futures Festival gemacht: Auch hier hätte sie sich meist alleine wiedergefunden. Die Reaktion der Anwesenden war bezeichnend: Zwar wurde nach den Ausführungen geklatscht und gesagt, dass weiße Deutsche in solchen Situationen migrantischen Frauen in erster Linie zuhören sollten, gleich darauf nahm die Rededominanz weißer Aktivist*innen, selbst in diesem Workshop, aber wieder zu. Als von einer Migrantin mit ägyptischem Hintergrund angemerkt wurde, dass sie den Begriff „bio-deutsch“, den eine weiße Teilnehmende statt weiß verwendete, problematisch findet, entgegnete diese ihr mit einem scharfen „Ich kenne aber keinen anderen Begriff und benutze ihn!“ und redete weiter. Es gab anscheinend kein Interesse daran, zu erfahren, warum „bio“ von „biologisch“ kommt und somit einer Rassenlogik entspricht, anstelle von weiß als gesellschaftlicher Kategorie zu sprechen, was eine soziale Realität in einer rassistischen Gesellschaft beschreibt. Über eine Aneinanderreihung von rassistischen Problemen kam also auch dieser Workshop nicht hinaus. Ein Raum, in dem muslimische Aktivist*innen offen und direkt kritisieren und auch Antworten verlangen konnten, entstand nicht.

Wir fragen uns: Warum fällt es der Mehrheit von weißen Feminist*innen häufig so enorm schwer, offen über Rassismus zu sprechen? Es ist leichter, sich einfach abstrakt „antirassistisch“ zu nennen, mal auf eine Demo zu gehen und somit auf der richtigen Seite zu sein, ohne dafür konkret irgendetwas getan zu haben. Vorschläge, noch mehr Workshops zu Kritischem Weißsein in mehrheitlich weißen Strukturen durchzuführen, wie wir immer wieder hörten, setzen aus unserer Sicht an der falschen Stelle an. Denn diese Konzepte gehen zwar von strukturellen Problemen aus, aber begegnen ihnen mit im Grunde individualistischen Lösungen à la „Verändere dein Bewusstsein!“ und führen kaum zu einer Veränderung der Praxis dieser Gruppen, noch zu einem Verständnis der Funktion von Rassismus im Kapitalismus und damit zu einem antikapitalistischem Antirassismus mit Migrant*innen als zentralen Protagonist*innen. Wir denken, dass es bei einem gelebten Antirassismus um eine klare politische auch feministische Praxis gehen muss. Und diese setzt an in der Analyse, was Rassismus in Deutschland 2019 überhaupt ist.

Für einen internationalistischen, antiimperialistischen Feminismus – auch in Deutschland

Lichtblicke des Festivals waren Teilnehmende, die ähnliche Kritiken formulierten. Bei dem Workshop „Frauen*Streik international“ am Samstag Abend konnte ein Raum geschaffen werden, um zu diskutieren, was Internationalismus bedeutet und in dem die Anwesenden gängige Probleme aufzeigen konnten. Zwei der zentralen Themen war die Frage von Rassismus in feministischen Räumen sowie die Schwierigkeiten, den meisten deutschen Feminist*innen ein Bekenntnis zu Antikolonialismus und Antiimperialismus abzuringen. Viele der über 100 Teilnehmenden des Workshops bekräftigten die Notwendigkeit, genau diese Diskussion weiterzuführen. Nachdem wir in Erfahrung gebracht hatten, dass Internationalismus und die Wege dorthin als Diskussion nicht bei der Abschlussveranstaltung Platz finden würden, beschlossen circa 50 Teilnehmende zeitgleich zur Abschlussveranstaltung ein Alternativtreffen zu organisieren und alle dazu einzuladen. Hieraus entstanden wiederum neue internationalistische Initiativen, die unter anderem in konkreten Netzwerktreffen in Berlin im Oktober im Rahmen des Antikolonialen Monats[5] an einer weiteren Zusammenarbeit feilen werden, sowie eine Solidaritätsaktion mit den zu bis zu 18 Jahren verurteilten Arbeiter*innen und Aktivist*innen der Haft-Tapeh Zuckerfabrik im Iran[6].

Den Organisierenden des Festivals ging es mit einer wohlwollenden Auslegung um einen antineoliberalen Intersektionalismus. Diese Analyse lässt sich an einigen Beispielen verdeutlichen. Unter dem Titel „Für eine feministische Klassenpolitik!“ stand zum Beispiel im Programm: „Ein Klassenpolitischer Feminismus will eine Antwort auf die neoliberale Politik sein, er will Antworten auf Konkurrenz, soziale Spaltung und die Angriffe auf die sozialen Infrastrukturen finden.“ Es ist sehr wichtig, sich gegen den Neoliberalismus zu stellen, vor allem für Feminist*innen. Denn die neoliberale Ordnung ist mit massiven Privatisierungen und einem Abbau der Sozialleistungen weltweit verbunden, die zuallererst und am härtesten arme Frauen und Queers treffen. Er führt ferner zu mehr und schlechter bezahlten, unsicheren Lohnarbeitsverhältnissen sowie zu mehr unbezahlter Reproduktionsarbeit für Arbeiter*innen. Sicher muss sich ein Feminismus der Unterdrückten gegen den Neoliberalismus wenden. Die entscheidende Frage ist jedoch unserer Ansicht nach strategischer Natur: Wohin wollen wir statt zum Neoliberalismus? Zurück zum Wohlfahrtsstaat, unter dem extreme Armut zwar tendenziell minimiert, aber nicht grundsätzlich abgeschafft werden kann? Wir verteidigen die Errungenschaften des Wohlfahrtsstaates und kämpfen für mehr Zugänge für die besonders verarmten Teile unserer Klasse. Wir teilen jedoch die sozialdemokratische Illusion des „Kapitalismus mit einem humanitärem Gesicht“ nicht.

Die inhaltiche Ausrichtung des Festivals deutet aber genau in diese Richtung. Es war geprägt von Themen wie Sorgearbeit, also Arbeit in der Pflege, Erziehung, Fürsorge, etc. Diese Arbeit ist zu Hause und im Job überproportional weiblich und besonders prekär. Die Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen und queeren Menschen geht aber über diese Frage hinaus. Wir werden den patriarchalen, rassistischen Kapitalismus nicht allein mit einer „Care-Revolution“ besiegen, sondern mit einer sozialen Revolution, deren Subjekt die in ihrer Universalität und Zentralität erkannte gesamte Arbeiterklasse in Produktion und Reproduktion sein muss. Das heißt, es ist ein Programm notwendig, das nicht beim Organizing und der Kritik an geschlechtlich aufgeteilter reproduktiver Arbeit stehen bleibt. Wir müssen in der Lage sein, tatsächlich mit der gesamten Arbeiterklasse Kämpfe zu Ende zu führen und zu gewinnen. Dies schließt auch das Stellen der Machtfrage mit ein. Darin spielen Frauen und diejenigen, die in Sorge- und Pflegeberufen arbeiten, eine zentrale Rolle: Sie sind oft, wie im Pflege- oder Reinigungssektor, die Avantgarde der gesamten Arbeiterklasse, die Risiken eingehen, um andere Sektoren mitzunehmen[7]. Politische Kämpfe, wie der internationale Frauen*streik, sind eng verbunden mit der Arbeiterklasse als Subjekt. Und dies wollen wir wieder ins Zentrum unserer Politik rücken. Wir kämpfen für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Wir wollen der Aneignung des Produkts der Mehrarbeit der Arbeiterklasse durch die Kapitalistenklasse und der Diskriminierung und der Angst um das eigene Leben –- als Ausländer*in, Trans*, etc. – ein Ende setzen.

#Titelbild: Solifoto für die Arbeiter*innen und Aktivist*innen von Haft Tapeh

Über die Autor*innen:

Ramsis Kilani ist palästinensischer Sozialist und Mitglied beim SDS. Sein politischer Fokus liegt auf Antirassismus und antikolonialen Befreiungskämpfen.

Narges Nassimi ist kurdische Feministin aus Rojilat und Mitbegründerin der internationalen, sozialistischen Frauenorganisation Brot und Rosen in Deutschland.

Eleonora Roldán Mendívil ist Marxistin und arbeitet als Journalistin und Freie Bildungstrainerin zu Rassismus, Geschlecht und Kapitalismuskritik. Sie ist im Frauen*Streik Komitee Berlin aktiv.

Aida Vafajoo ist Sozialistin und Feministin mit iranischen Wurzeln und studiert Soziologie/Politikwissenschaft.

[1] https://www.klassegegenklasse.org/interview-die-gastarbeiterinnen-bei-angela-merkel/

[2] https://revoltmag.org/articles/empowerment-und-klassenkampf-gegen-den-rassismus-des-kapitals/; https://de.labournet.tv/video/6489/pierburg-ihr-kampf-ist-unser-kampf

[3] Zum Beispiel: https://www.jungewelt.de/artikel/362525.agrarproduktion-streik-im-gew%C3%A4chshaus.html

[4] https://www.klassegegenklasse.org/interview-maya-john-den-intersektionalen-feminismus-hinterfragen/

[5] https://www.facebook.com/pages/category/Cause/Anticolonial-Berlin-111417073575130/

[6] https://www.klassegegenklasse.org/free_iran_workers-internationale-solidaritaet-vom-feminist-futures-festival-deutsch-english-farsi/

[7] https://www.klassegegenklasse.org/alle-sind-teil-der-universitaet/

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Die Netflfix-Serie »Dear White People« wird seit 2017 ausgestrahlt und beleuchtet das Leben schwarzer Studierender an einer US-amerikanischen Elite Universität. Nach zwei erfolgreichen Staffeln geht die Serie 2019 in die dritte Runde.

»Dear White People«. So lautet die Sendung, die Hauptcharakter Sam White als universitäres Hobby regelmäßig sendet. Inhalt und Fokus der Radiosendung ist, weiße Menschen auf alltägliches, rassistisches und diskriminierendes Verhalten gegenüber schwarzen Menschen auf dem Campus aufmerksam zu machen.
Die Handlung umspannt das Campusleben vieler schwarzer Studierender an der fiktiven Ivy League Universität Winchester, die viele Parallelen zur Harvard Universität aufweist. Die diversen Gruppen des Black Caucus, einer Art Dachverband schwarzer Communities im Rahmen von Winchester und des Wohnheims für schwarze Studierende, repräsentieren verschiedene politische und gesellschaftliche Anliegen schwarzer Studierender. Die Intensität der Identitätspolitik von Winchesters erfolgreichen Studierenden aufzeichnend, legt die Serie ihren Fokus auf die Konflikte der schwarzen Gruppierungen untereinander. Dabei wird in jeder Episode abwechselnd das Leben der Hauptcharaktere mit Rückblenden aufgerollt. Die zentrale und immer wiederkehrende Frage ist, wie mit Rassismus- und Gewalterfahrungen auf dem Campus umzugehen ist. (mehr …)

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