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Die AfD hat bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg enorm an Stimmen gewonnen. Unser Autor Simon Zamora Martin hat analysiert, was die Wahlergebnisse mit dem von allen Regierungsparteien seit der Wende vorangetriebenen neoliberalen Strukturwandel zu tun haben und wo Anknüpfungspunkte für eine antifaschistische Politik sind, die über liberale Überheblichkeit hinausgehen.

Am Sonntag den 1. September rummste es kräftig in Sachsen. Ein großes Gewitter fegte über die ostdeutsche Provinz. Der Regen fiel zeitgleich mit dem politischen Gewitter auf die Hochburgen der AfD in Sachsen. Angefangen im Erzgebirge, an dessen Fuß sich der NSU lange verkroch, hin zur ehemaligen NPD-Hochburg sächsische Schweiz, über Bautzen bis Görlitz, wo die AfD Ende Mai fast den ersten Oberbürgermeister gestellt hätte. Hat sich der Osten mit den Wahlen, bei denen die protofaschistische AfD in Sachsen 27,5 Prozent, in Brandenburg 23,5 Prozent der Wähler*innenstimmen bekam, nun einfach dazu bekannt, was er von Natur aus ist? Braun?

Ein genauerer Blick auf die Wetterkarte der Wahlen lässt durchaus mehr erkennen als ein Stadt-Land Gefälle. Es sind nicht nur die klassisch ländlichen Räume, in denen die AfD punktet. Von der ehemaligen Montanregion Erzgebirge bis zur Maschinenbaustadt Görlitz erstrecken sich viele industrielle Zentren. Auch entlang der Grenze zu Polen reiht sich von Görlitz nach Norden eine Kette von Industriestädten: von der brandenburgische Kohlestadt Cottbus bis zu den Hochöfen von Eisenhüttenstadt. Städte, die mit der Wende unter großen Entlassungswellen, Bevölkerungsschwund und den damit einhergehenden Zerbrechen des Sozialgefüges gelitten haben. Und die sich heute den Herausforderungen eines erneuten Strukturwandels gegenüber sehen.

Die meisten Hochöfen der einstigen Stahlstadt Eisenhüttenstadt sind schon lange erloschen. Seit 1990 hat Eisenhüttenstadt mehr als die Hälfte ihrer Einwohner*innen verloren. Die Auswirkungen des internationalen Handelskrieges und der Krise der deutschen Automobilindustrie als größter Stahlabnehmer sind hier deutlich zu spüren: Der Weltmarktführer ArcelorMittal drosselte unlängst die Produktion und droht damit, den Standort Eisenhüttenstadt mit Bremen zusammenzulegen. In der Belegschaft werden massive Kündigungen erwartet, ja sogar eine Abwicklung des Standortes. Im April wurde der größte noch betriebene Hochofen stillgelegt und es läuft nur noch einer von einst sechs Öfen. Die Produktion wurde auf 25% gedrosselt, befristete Verträge nicht verlängert und fast alle verbleibenden Arbeiter*innen in Kurzarbeit geschickt. Die Belegschaft bangt um ihre Arbeitsplätze. Seit dreißig Jahren geht das Tauziehen um den Erhalt des Standortes jetzt schon, bei dem derzeit über 10% der Stadtbevölkerung direkt beschäftigt sind. Seit Jahren hören die Arbeiter*innen große Versprechen der Politik, und müssen dann doch eine Entlassungswelle nach der anderen erdulden. Das Vertrauen in die seit der Wende regierende SPD, aber auch das in die Linkspartei ist dahin. Sie rutschten mit der aktuellen Wahl auf 27,8 bzw. 11,6 Prozent ab, während die AfD mit über 30% stärkste Kraft wurde.

Nicht viel besser sehen die Ergebnisse der AfD in der zweitgrößten Stadt Brandenburgs 50 km weiter südlich aus. Auch in Cottbus, der Hauptstadt des Lausitzer Kohlereviers, aus dem die Brennstoffe für die Hochöfen in Eisenhüttenstadt kommen, wurde die AfD stärkste Kraft. Der überfällige Kohleausstieg verunsichert die Menschen zutiefst. Nach den „blühenden Landschaften“ der 90er Jahre fürchten mit dem Kohleausstieg viele erneut um ihre Existenzgrundlage. Zwar beschloss die schwarz-rote Bundesregierung fünf Tage vor den Landtagswahlen ein 40 Milliarden Euro schweres Investitionspaket, doch neue Straßen, Eisenbahnlinien, Forschungsinstitute und Behörden bringen den Kohlekumpels auch keine neuen Jobs. Selbst die Linkspartei, die in den 90ern noch Seite an Seite mit den Kumpels stand, machte in Brandenburg Wahlkampf dafür, die Zechen noch früher als geplant zu schließen. Auch das dürfte ein wichtiger Punkt sein, warum die AfD mit ihrer Leugnung des Klimawandels in den Kohlerevieren zur stärksten Kraft wird.

Südlich des Lausitzer Kohlerevierst liegt die Geburtsstadt des alten und wohl neuen Ministerpräsidenten von Sachsen, Michael Kretschmer (CDU). Er konnte am Wochenende dort sein Direktmandat verteidigen, bei den Zweitstimmen lag die AfD fast vier Prozent vor der CDU. Die letzten Monate war die Stadt nicht nur in den Schlagzeilen, weil die AfD hier fast ihre erste Oberbürgermeisterwahl gewann, sondern auch wegen geplantenEntlassungen, bei Siemens und Bombardier. Bei Siemens wird trotz lauter Proteste und Streiks der Großteil der Beschäftigten gehen müssen, worüber keiner mehr redet. Auch nicht der Görlitzer MdB Tino Chrupalla (AfD), der die „Klimalüge“ für die Schließung des Gasturbinenwerkes verantwortlich machte.

Eines der wichtigen Wahlkampfthemen in Sachsen war auch gerade jene angebliche „Klimalüge.“ Die von der AfD lancierte Kampagne „Ein Herz für Diesel“ ist nicht nur eine komische Freakshow von Landwirt*innen, die mit ihren Traktoren durch die Innenstätte fahren wollen. Sie zielt auch auf die Beschäftigten des sächsischen Automobilsektors ab. Von Görlitz bis zu den Automobilzentren am Fuße des Erzgebirges findet nach dem abrupten Aus der Dieselmotoren ein massiver Abbau von Arbeitsplätzen in den Zulieferbetrieben statt. Mit ihrer Politik der Klimaleugnung schafft es die AfD auch einen Teile der Arbeiter*innenklasse, die ihre Lebensgrundlage von dem Strukturwandel bedroht sehen, zu gewinnen und sie vor ihren neoliberalen und rassistischen Karren zu spannen.

Der Rechtsruck im Osten hat viel mit der aktuellen Klimapolitik zu tun. Die Grünen aber auch CDU und SPD wollen die aktuelle Klimadebatte nutzen, um die deutsche Wirtschaft aus ihrer Überproduktionskrise zu führen, sich international im Handelskrieg behaupten zu können und die Arbeiter*innen durch eine CO2-Steuer und massive Entlassungen für diese „Erneuerung“ des Kapitalismus zahlen zu lassen. Selbst die Linkspartei wendet sich zunehmend von den Arbeiter*innen ab und einem kleinbürgerlichen, urbanen Publikum zu.

Die Folge ist, dass zunehmend die soziale Frage gegen die Klimafrage diskutiert wird. Die AfD profitiert davon und kann sich heuchlerisch als Verteidigerin der sprichwörtlichen kleinen Leute, die unter dem kapitalistischen Strukturwandel leiden, inszenieren. Dabei sind die wirtschaftlichen Vorschläge der AfD katastrophal für Arbeiter*innen: sie schlagen beispielsweise vor, in der Lausitz eine Sonderwirtschaftszone zu errichten, in welcher Unternehmen nicht nur von Steuern befreit sein sollen, sondern wohl auch Arbeits- und Tarifrecht legal unterlaufen könnten.

Die IG-Metall Kampagne für eine Senkung der Arbeitszeit im Osten auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich, welche auch auf der FairWandel Demo in Berlin sehr betont wurde, ist nicht nur ein Kampf um gleichen Lohn für gleiche Arbeit, damit die Ossis nicht weiter die Lohndumper in Deutschland sind. Er zeigt auch einen Weg, wie schadstoffreiche Industriebetriebe sozialverträglich runter gefahren und die Überproduktionskrise gelöst werden kann: mit Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Doch um einen ökologischen und sozialen Strukturwandel der Industrie vollziehen zu können, wird es nicht reichen nur zu probieren, gegen die sozialen Auswirkungen des kapitalistischen Strukturwandels zu kämpfen. Die Arbeiter*innen müssen diesen mitgestalten. Zum Beispiel durch eine entschädigungslose Enteignung der Energiekonzerne, um unter Kontrolle der Arbeiter*innen die Konzerne so umbauen zu können, dass der Kohleausstieg zügig realisiert wird, in den betroffenen Gebieten aber auch neue Produktionsketten hochgezogen werden. Trotz dem Debatten um Verstaatlichungen, die mit der Kampagne #DWEnteignen dieses Jahr angestoßen wurden, ist deren Umsetzung ziemlich unwahrscheinlich. Doch gerade in Ostdeutschland kocht die Forderung nach Enteignung nicht erst seit Kevin Kühnerts Debatte um eine Vergesellschaftung von Verlusten der Automobilindustrie immer wieder hoch. Die Streiks zwischen 1989 und 1994 gegen die Treuhand– die Größten seit dem Faschismus – endeten zwar fast alle in Niederlagen. Doch die ältere Generation hat in jener Zeit durchaus gelernt, wie eine Betriebsbesetzung funktioniert. Dass Bosse einfach abgesetzt werden können und die Produktion von den Arbeiter*innen selbst organisiert werden kann. Und dass auf die eigenen Kräfte mehr Verlass ist, als auf die leeren Versprechen der Sozialdemokratie oder Gewerkschaftsbürokratie. Auch heute noch kommt die Forderung nach Verstaatlichung immer wieder in ostdeutschen Arbeitskämpfen auf. Wie beim Halberg-Guss-Streik in Leipzig letztes Jahr. Oder aktuell der Kampf von Union Werkzeugmaschinen Chemnitz. In den 90er Jahren rettete die Union-Belegschaft ihren Betrieb vor der Schließung durch die Treuhand, und jetzt möchte der neue Eigentümer das Werk schließen. Auch hier fordern die Beschäftigten jetzt sowohl eine Verstaatlichung gegenüber dem Land Sachsen, als auch eine Rückkehr zur Kooperative: ein nicht mehr all zu großer Sprung zu einem verstaatlichten Betrieb unter Selbstverwaltung der Arbeiter*innen.

Das Gewitter, welches sich am jenem Sonntag über dem Osten entladen hat, rüttelt hoffentlich auch die linken Kräfte in diesem Land auf. Es ist nicht genug, die AfD nur wegen ihrem Rassismus anzugreifen. Die Arbeiter*innen mit ihren Kämpfen müssen wieder stärker in den Fokus genommen werden, statt bestenfalls ignoriert zu werden, weil sie nicht radikal genug sind. Dass kämpfende Arbeiter*innen sehr wohl auch für Kämpfe gegen rassistische und sexistische Unterdrückung, zeigt vielleicht auch das Beispiel der Belegschaft der nordsächsischen Nudelfirma „Riesa.“ Sie führten einen langen Kampf für einen Tarifvertrag und gegen Outsourcing, den sie nicht zuletzt mit einer breiten Solidaritätskampagne gewann. So sprachen sie zum Beispiel auch auf der Unteilbar Demo in Dresden über ihren Kampf und setzten ein Zeichen gegen Rassismus und gegen die AfD.

Gemeinsame Kämpfe für soziale Rechte sind eine bessere Schule der Solidarität als Symbolaktionen. Sie zeigen, dass wir was verändern können, wenn wir uns nicht spalten lassen in Deutsche und Migrant*innen, Frauen und Männer, Ossis und Wessis. Aber auch, dass Solidarität heißt, für die Rechte der anderen einzutreten. Gelebte Solidarität im Kampf um soziale Rechte ist wohl das beste Mittel, um die Richtung des tosenden Gewitters zu ändern und nicht uns Unterdrückte und Ausgebeutete, sondern die Kapitalist*innen im Regen stehen zu lassen.

#Simon Zamora Martin

# pixabay, Rico Loeb

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Grinsebacke Dunja Hayali und ihr nicht minder wichtigtuerischer Kollege Markus Lanz schossen den Vogel ab. In gemeinsamer Anstrengung schafften sie es wenige Tage nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg, die Spitzen der protofaschistischen AfD an ein und demselben Abend in ein und demselben Programm unterzubringen, im ZDF. Bundessprecher Jörg Meuthen durfte sich im Talk von Hayali ausbreiten, kurz danach der andere Bundessprecher der Partei, Alexander Gauland, bei Lanz. Von „AfD-Festspielen“ sprachen Medien.

Unfreiwillig gaben die Redaktionen der Talkshows damit einen Hinweis darauf, wer einen wesentlichen Anteil am Aufstieg der AfD hat, der am 1. September mit den Erfolgen in den beiden ostdeutschen Bundesländern einen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Nicht „die Medien“, wie es inzwischen gern heißt – sondern nur ein Teil dieser Medien, nämlich die bürgerlichen Medien, allen voran die TV-Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender. Sie haben den Salon-Nazis eine Bühne geboten und damit das Fundament zu ihrem Aufstieg gelegt. Unvergessen etwa der Auftritt von Björn Höcke mit Deutschlandfähnchen am Stuhl bei Günther Jauch.

In der linken Debatte über die Erfolge der AfD und den allgemeinen Rechtsruck wird die Rolle der Medien zwar immer wieder thematisiert, aber nach wie vor notorisch unterschätzt. Das gilt auch für die Kehrseite dieser Erfolge, die Probleme der Linkspartei respektive der Linken insgesamt, mit ihren Konzepten im Osten wie im Westen durchzudringen.

Die bürgerlichen Medien stellen die Weichen, sie setzen die Themen. Und der Diskurs verschiebt sich quasi automatisch immer weiter nach rechts, weil Hass und Hetze in einer Gesellschaft, in der die Menschen systematisch dumm gehalten und rund um die Uhr manipuliert werden, einen guten Nährboden finden. Umgekehrt haben Analyse und Aufklärung keine Chance. So kann die Agenda der Rechten sich völlig frei entfalten, nämlich den Unzufriedenen diejenigen als Sündenböcke anzubieten, denen es noch schlechter geht als ihnen – etwa Geflüchtete, Obdachlose oder Drogenabhängige.

Für die Herrschenden ist das eine komfortable Situation. Mit wenigen Stellschrauben lässt sich über ihre Medien die Wut kanalisieren und lenken, ablenken vor allem von den wahren Verursacher*innen und Profiteur*innen von Ausbeutung und Verarmung der Massen. Der Faschismus oder Vorstufen davon bleiben dabei immer eine Option für die Herrschenden, eine Trumpfkarte in ihrem Ärmel. Auch diese systemische Ursache für die Stärke der Rechten wird in linken Debatten zu oft verkannt.

So demonstrieren weite Teile der Partei Die Linke derzeit, wie wenig sie noch mit wirklicher Systemkritik und Antikapitalismus zu tun haben. Die bei weitem bekloppteste Reaktion auf die Erfolge der AfD bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg ist dabei das Gerede mancher Linkspolitiker*innen darüber, man müsse „die Sorgen der Menschen im Osten“ endlich ernst nehmen. Mit derartigen Äußerungen steigt man auf bürgerliche Diskurse ein.

Die meisten Linken-Politiker*innen sind offensichtlich längst vom Parlamentarismus absorbiert worden und zu klarem Denken nicht mehr bereit und in der Lage. Eine radikale Kritik am System liegt ihnen ebenso fern, wie der Glaube an dessen Überwindbarkeit. So ist gegen die Rechten natürlich kein Blumentopf zu gewinnen. Um so mehr kommt es in dieser historischen Situation auf die außerparlamentarische Linke an, auf Bewegungen und die Antifa.

Titelbild: RubyImages/F. Boillot
Am 13.07.2019 startete die AfD ihren Wahlkampf in Brandenburg mit einem “Volksfest” vor der Markthalle in Cottbus. Redner waren unter anderem Andreas Kalbitz und Björn Höcke:

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Manchmal muss man Texte in bürgerlichen Medien zweimal lesen, um sicher zu sein, dass man sich nicht verlesen hat. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Kommentar, den Constanze von Bullion am 18. Juli in der Süddeutschen Zeitung absonderte. An diesem Tag war ein Foto von der Ernennung Annegret Kramp-Karrenbauers zur Kriegsministerin im Schloss Bellevue auf vielen Titelseiten. Es zeigte die CDU-Chefin neben Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrer Vorgängerin im Amt, Ursula von der Leyen – alle drei offenbar in bester Laune.

Wie diverse Kolleginnen feierte von Bullion das Bild allen Ernstes als Dokument für einen Erfolg der Gleichberechtigung von Mann und Frau. „Es ist Angela Merkel zu verdanken, dieser erklärten Nicht-Feministin, dass Frauen nun in politische Positionen hineinwachsen, die ihrem Format entsprechen“, delirierte sie. Und: „Das wird Schule machen. Aber auch anderswo muss Schluss mit falscher Selbstbeschränkung sein.“ Unfassbar!

Was bitte ist besser daran, dass drei Frauen und nicht drei Männer die Hochrüstung dieses Landes und der EU vorantreiben, auf dass „unsere Interessen“ in der Welt geschützt und der Rüstungsindustrie weiter fette Profite garantiert werden? AKK steht ebenso wie von der Leyen für eine Aufrüstung auf Teufel komm raus, für eine Militarisierung der Gesellschaft, für ein Mitmischen in Konflikten weltweit, kurz: für Krieg. Dass sie eine deutsche Beteiligung an einer Marinemission am Persischen Golf nicht gleich rundweg ablehnte, spricht Bände.

Auch in ihrer Antrittsrede im Bundestag ließ Kramp-Karrenbauer keinen Zweifel, welche Ziele sie verfolgt, auch wenn in ihren Worten hohles Pathos dominierte, konkrete Aussagen aber kaum zu finden waren. In einem wurde die frisch vereidigte Ministerin jedenfalls deutlich: Der Verteidigungshaushalt müsse weiter ansteigen, und die Bundesregierung halte an dem im „Verteidigungsbündnis“ Nato vereinbarten Ziel fest, dass der Wehretat zwei Prozent der Wirtschaftsleistung betrage.

Tobias Pflüger, verteidigungspolitischer Sprecher der Linksfraktion, hat zurecht darauf hingewiesen, dass dieses Ziel „erstens unverbindlich, zweitens sicherheitspolitisch unsinnig“ sei und „drittens eine völlig unnötige Aufrüstung“ bedeute. Dass diverse Bundesregierungen das Zwei-Prozent-Ziel seit dem Nato-Gipfel 2014 in Wales zugesagt haben, sei im Grunde unerheblich, so Pflüger weiter. Den Haushalt beschließe immer noch der Bundestag, daher sei das nicht mehr als eine politische Absichtserklärung.

Aber auch die wahnwitzigen Dimensionen hat der Linkspolitiker kritisiert. Der Haushalt für das Wehrressort ist in den vergangenen Jahren bereits massiv angewachsen und liegt für 2019 bei 43,2 Milliarden Euro, 2014 waren es noch rund 32 Milliarden Euro. Hätte der Haushalt 2018 bei den anvisierten zwei Prozent gelegen, wären das 67,8 Milliarden Euro gewesen – mehr als Russland, dessen Rüstungsausgaben in dem Jahr bei rund 53,4 Milliarden Euro lagen!

Natürlich fehlten in Kramp-Karrenbauers Antrittsrede nicht die üblichen Bekenntnisse. Sie sei stolz auf die mehr als 180.000 Soldatinnen und Soldaten und rund 160.000 zivilen Angestellten der Bundeswehr, erklärte sie. Diese würden „jeden Tag für Deutschlands Sicherheit einstehen“. Das Land müsse „Verantwortung“ übernehmen, damit auf der Welt „nicht das Recht des Stärkeren gilt, sondern die Stärke des Rechts“. Europa müsse auch militärisch stark gemacht werden, die Nato sei der „Garant unserer Sicherheit“ und so weiter.

Interessant wurde es noch zum Schluss der Rede. Da erklärte die Saarländerin, die Bundeswehr gehöre „in die Mitte der Gesellschaft“. Sie habe darum alle Ministerpräsidenten angeschrieben und darum gebeten, am 12. November – der Tag gilt als der offizielle Gründungstermin der Truppe – öffentliche Gelöbnisse abzuhalten. Auch vor dem Reichstag in Berlin solle eine solche Veranstaltung organisiert werden, forderte Kramp-Karrenbauer. Das werde „ein starkes Zeichen der Anerkennung“ für die Bundeswehr sein. Ein starkes Zeichen wird hoffentlich die radikale Linke mit Aktionen des Widerstandes gegen eine solche Militarisierung des öffentlichen Raumes setzen!

Gruseliger als die Rede der Kriegsministerin waren eigentlich nur noch die folgenden Debattenbeiträge von FDP-Chef Christian Lindner, der die neue Ministerin anging, weil sie sich nicht zu einem Marineeinsatz an der Straße von Hormus bekannt hatte, und des verteidigungspolitischen Sprechers der faschistischen AfD, Oberst a. D. Rüdiger Lucassen. Der machte AKK von rechts nieder. Die CDU sei „das größte Problem für die deutsche Sicherheit“. Mit der „sicherheitspolitischen Novizin aus dem Saarland“ werde die Truppe von „völlig fachfremdem Personal“ geführt. Lucassen endete mit den Worten, das Land brauche die Wehrpflicht und eine „schlagkräftige Armee mit Befähigung zum Kampf“. So hatte Kramp-Karrenbauer es nicht ausgedrückt, aber im Grunde liefen ihre Äußerungen auf dasselbe hinaus.

#Titelbild: Bundeswehr/Maximilian Schulz

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Kommentar

Ein Sommertag im Juni 2019. Die Uhr am Gebäude der Scientology Kirche im Hamburger Zentrum zeigt fünf nach eins. Dieselbe Zeit wie die Turmuhr der Hauptkirche St. Petri vis-à-vis. Auf der kurzen Straße dazwischen haben sich Demonstrant*innen versammelt, an die 250 vielleicht. Vor den Reden läuft Musik, schön laut, aber selbst das geht fast unter im Trubel eines ganz normalen Einkaufssonnabends.

Einen Steinwurf entfernt bevölkern Tourist*innen und Einheimische die Mönckebergstraße, das nächste Schaufenster im Blick, Fastfood oder den Coffee to go in der Hand. Sie mustern die Demonstrant*innen eher wie Tiere im Zoo, sofern sie sie überhaupt zur Kenntnis nehmen. Wer der Mann auf dem Foto ist, das auf ein Plakat am Lautsprecherwagen geheftet worden ist? Auf diese Frage würden die meisten Passanten wohl antworten: Das ist doch dieser Politiker, der erschossen wurde.

Das Bild zeigt in der Tat den Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke, der am 2. Juni auf der Terrasse seines Hauses im hessischen Wolfhagen mit einem Kopfschuss ermordet wurde. Vermutlich von dem Neonazi Stephan Ernst. Die Kundgebung an diesem Sonnabend richtet sich gegen die „geistigen Brandstifter“, die für solche Taten den Boden bereiten – darum findet sie vor dem Bürogebäude statt, in dem sich die Geschäftsstelle des Hamburger Landesverbands der protofaschistischen AfD befindet.

Die Interventionistische Linke (IL) Hamburg hat zur Demo aufgerufen, für einen Politiker der CDU. Ungewohnt genug, aber in diesen Tagen gerät vieles durcheinander. Die politische Öffentlichkeit beruhigt sich mit den üblichen Ritualen. Auf allen Kanälen sondern „Extremismusexperten“ Statements ab, die TV-Talks verhackstücken den Lübcke-Mord und Politiker*innen üben sich in Abgrenzerei. Gebot der Stunde: nach ganz rechts zeigen, auf die „bösen Nazis“, die offenbar aufgetaucht sind wie Kai aus der Kiste und mit denen man nichts zu tun hat.

Da kam der Evangelische Kirchentag in Dortmund gerade recht. Kirchentage sind bekanntlich ein willkommener Ort für Politiker*innen, hochmoralische, aber folgenlose Ansprachen zu halten und sich Absolution für ihr Tun und Reden abzuholen. So auch diesmal. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) äußerte Abscheu und Entsetzen über den „braunen Terror“ und salbaderte über „verrohte Sprache“ im Netz und anderswo. Der Zukunft vertrauen, das falle „vielen Deutschen heute nicht leicht“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schwadronierte, „Rechtsextremismus“ müsse „in den Anfängen“ und „ohne Tabu“ bekämpft werden.

Sie begreifen nichts, und sie wissen nicht, was sie reden, könnte man in leichter Abwandlung eines Bibelwortes diese Äußerungen kommentieren. Es soll hier gar nicht um die Verstrickungen staatlicher Stellen, voran des Verfassungsschutzes, in Nazistrukturen gehen, wie sie sich beim NSU-Komplex zur Genüge gezeigt haben. Vielleicht wird sich noch herausstellen, wie viel „tiefer Staat“, wie viel „Strategie der Spannung“ in Taten wie dem Mord an Lübcke stecken.

Es geht um etwas Grundsätzlicheres: Rechte Gewalt, faschistischer Terror sind Ausfluss spätkapitalistischer Zerfallsprozesse, einer allgemeinen Verrohung. Dass sich mit Steinmeier ausgerechnet einer der Architekten des Verarmungsprojekts Agenda 2010 über „verrohte Sprache“ beklagt, ist zum einen grotesk und zeigt zum anderen die ganze Ignoranz der politischen Klasse. Wenn man täglich ums materielle Überleben kämpft, kann man schon mal das Vertrauen in die Zukunft verlieren.

Mit ihrem Klassenkampf von oben haben die Herrschenden, vor allem nach dem Wegfall der Systemkonkurrenz 1990, die Verrohung dieser Gesellschaft angefacht. Die AfD und die Neonazis sind nur ein Symptom dieser Entwicklung. Dass Geflüchtete und alle, die sich auf ihre Seite stellen, zunehmend zum Ziel rechter Gewalt werden, daran haben SPD, CDU, FDP und Grüne ihren Anteil. Indem sie das Asylrecht komplett demontiert haben, indem sie es zulassen, dass Tausende auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken, indem sie dafür sorgen, dass Menschen in das Kriegsland Afghanistan abgeschoben werden. Indem sie, wie SPD und CDU gerade im Bundestag, das Asylrecht immer weiter verschärfen und damit indirekt all denen Recht geben, die in den Asylsuchenden ein Problem sehen.

Sozialismus oder Barbarei – das ist mehr als eine Parole, die man so hinsagt. Wir sind doch längst auf dem Weg in die Barbarei oder sogar schon mittendrin. Die Szenerie bei der Kundgebung vor der Hamburger AfD-Zentrale, passte da ins Bild. Für die fröhlich konsumierende Masse ist doch der Mord an Walter Lübcke so weit weg und so irreal wie ein Fall in irgendeinem „Tatort“ am Sonntagabend oder ein der US-amerikanischen CSI-Serien. Sie haben sich vor den Zumutungen der Gegenwart längst in eine Art Autismus geflüchtet.

Titelbild: Andreas Arnold/dpa

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In diesen Tagen werden Leute, die antifaschistisch unterwegs sind, gern mal pauschal als schwarz vermummte Barrikadenbauer diffamiert. Nazis dagegen werden von den ach so liberalen Leitmedien des Landes meist mit Nachsicht behandelt. Sieht man sie doch als verirrte Schäfchen, verlorene Söhne und Töchter des Bürgertums. Ergebnis solcher Fehleinschätzungen sind Beiträge, wie sie der Journalisten-Darsteller Raphael Thelen aktuell im Magazin der Süddeutschen Zeitung verbrochen hat – eine üble Ranschmeiße an den AfD-Rechtsaußen und früheren Bundesvorsitzenden der Jungen Alternative, Markus Frohnmaier.

Schon die Formulierung, mit der Thelen sein Geschreibsel bei Twitter anpreist, sollte bei jedem vernunftbegabten Leser Brechreiz auslösen. „Anderthalb Jahre mit dem AfD-Mann Markus Frohnmaier gestritten, gelacht und Rum getrunken“, schreibt er da allen Ernstes. Und weiter: „Obwohl er radikal ist, wie nur geht, war es mir beim Schreiben wichtig, fair mit ihm zu sein.“ Geht’s denn noch?! Mit einem rechten Hetzer gelacht und Rum getrunken, und „fair“ will er mit ihm sein. Wie speichelleckerisch kann man sein? Den Shitstorm, den der Tweet hervorrief, hat sich der SZ-Autor verdient.

Wer die 1,99 Euro für die Lektüre des mit einer Paywall geadelten Beitrags abgedrückt und sich durch den ellenlangen Text gekämpft hat, hängt endgültig über der Kloschüssel. Wer das Kotzen verlernt hat, hier lernt er es wieder. Thelen kredenzt die braune Soße aus der AfD-Küche in pseudoliterarischem Stil als Dessert für Bildungsbürger. Doch wo er zeigen will, wie nah er dran war, beweist er nur seine Distanzlosigkeit. Was investigativ oder authentisch daher kommen soll, ist nur Reportagesimulation, wichtiguerisches Salbadern, albernes Pathos.

Kostproben gefällig? „Er öffnet die Tür eines Zigarrenladens und betritt den begehbaren Humidor. Frohnmaier sagt einem elegant gekleideten Angestellten: ‚Ich hätte gerne eine Zigarre, cremig, nicht zu stark, neunzig Minuten Rauchdauer und alle Blätter aus einem Anbaugebiet.‘“ Würg! Oder das hier: „Frohnmaier ringt sich ein Lächeln ab und nickt. Am Tisch bestellt er ein Radler und Zwiebelrostbraten.“ Sieh an, auch ein Nazi muss essen.

Der Autor lässt es menscheln. Wir erfahren, dass der nette Herr Frohnmaier früher gern Pogo getanzt hat, dass er rebellieren wollte, dass er später mit seiner Frau einen Sohn bekommen hat. Er sagt Sätze wie: „Ich will schon, dass der etwas von seinem Papa hat.“ Auch an einem leichten Herzinfarkt des Protagonisten lässt uns Thelen teil haben. Der Held der Geschichte bekommt Lob: „Vielleicht ist das seine große Schwäche. Dass er keine große Strategie beherrscht, sondern nur kleine Taktik. Aber Taktik, die kann er.“

Völlig gaga wird der Text, wenn Frohnmaiers Erzählungen über seine Kindheit kolportiert und damit offenbar eine Erklärung für sein faschistisches Gedankengut geliefert werden soll. Er sei mit den Kindern einer Füchtlingsunterkunft auf die Hauptschule gegangen, das habe ihn geprägt, heißt es da. Und: „Einmal habe der katholische Klassenkamerad auf allen Vieren in den Klassenraum kriechen müssen, weil er kein Moslem war. Am 11. September 2001, dem Tag der Terroranschläge in New York, sei gefeiert worden. Mitschüler hätten aus einem Geodreieck und einem Füller ein Flugzeug gebastelt und die Angriffe nachgestellt.“ Wegen dieser Kindheitstraumata ist der kleine Markus also Faschist geworden. Blöder geht’s nicht!

Zum Schluss wird uns Frohnmaier auch noch als verfolgte Unschuld präsentiert, der darunter leidet, dass er immer auf seine Rede im Oktober 2015 in Erfurt festgelegt wird. Dort erlangte er erstmals größere Bekanntheit, als er Dinge ausrief wie: ‚Ich sage diesen linken Gesinnungsterroristen, diesem Parteienfilz ganz klar: Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet.‘“ Diese Worte, schreibt Thelen voller Mitleid mit seinem Nazi-Bazi, sie verfolgten ihn, „als sei er der Zauberlehrling und sie die Geister, die er rief“.

Der Erguss des Journalistenhipsters zeigt nicht nur exemplarisch, wie die Leitmedien der Neuen Rechten den roten Teppich ausrollen. Der Text illustriert auch das ganze Elend eines Bürgertums, das den rechten Hetzern wieder einmal nichts Substanzielles entgegenzusetzen hat, weil ihr das analytische Instrumentarium fehlt. Der Erkenntnisgewinn des Frohmaier-Porträts ist gleich null. Mehr als ein paar küchenpsychologische Allgemeinplätze hat Thelen nicht anzubieten, wie etwa diesen: „Es scheint, als gebe es in einer Gesellschaft, die stark nach Affektkontrolle verlangt, einen Hunger danach, auch mal emotional auszubrechen.“ So, so.

Beliebig und belanglos ist das wie alles an diesem Beitrag. Getoppt wird das Geschwurbel übrigens vom Schluss. Achtung Zitat: „Frohnmaier tritt an den Rand der Bühne. Er lässt den Blick durch die Reihen schweifen. Er sagt: ‚Da hinten gibt es noch Butterbrezeln. Bitte nehmen Sie sich was mit nach Hause – vielleicht hat der eine oder andere ja noch Hunger.‘“

Bei Twitter gab’s, wie erwähnt, für all das auf die Fresse, worauf den Kritikern unter anderem entgegen gehalten wurde, sie hätten den Text doch nicht gelesen. Moritz Hürtgen, Chefredakteur der Titanic, nahm den Ball in einem kleinen Vierzeiler auf: Ich bandel mit 1 Nazi an/Ich trink mit ihm auf Spesen/Und pöbelt wer auf Twitter ‘rum, dann/sag ich: „Text schon gelesen?“

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Für eine Handvoll Aufkleber. Das könnte der Titel einer Farce sein, die Hamburgs AfD Hand in Hand mit dem Hamburger Abendblatt (HA) aufführte. Bei ihrem stümperhaften Versuch, einen Skandal an der Ida Ehre Schule (IES) zu inszenieren, fielen die protofaschistische Partei und ihre journalistischen Helfer voll auf die Fresse. Ein Aktivist der Antifa Altona Ost (AAO) hat im Lower Class Magazine bereits ausführlich darüber berichtet, darum hier nur noch einige Betrachtungen zum medialen Hintergrund, der aufschlussreich ist.

Denn ohne das Abendblatt wäre sicher nicht groß Aufhebens von der Sache gemacht worden. Die Leib- und Magenzeitung des hanseatischen Kleinbürgers hetzt gern mal gegen Linke und bringt die Salonnazis von der AfD immer mal wieder groß raus – natürlich immer unter dem Deckmantel der Objektivität. Die AfD ist ja demokratisch in die Bürgerschaft gewählt, da müsse man halt auch über deren Arbeit berichten, heißt es dann. Im vorliegenden Fall übernahm das HA die Hetze der Protofaschisten aber so ungebremst, dass nicht mal der Anschein von Objektivität gewahrt wurde.

„Linksextremisten betreiben ungestört Propaganda an Schule“, lautete die Zeile zum Lokalaufmacher im Abendblatt vom 19. März. Skrupellos wurden Fotos aus der IES skandalisiert, die der AfD-Fraktion in der Bürgerschaft über ihr Hetzportal „Neutrale Schulen“ zugespielt worden waren. Die „Propaganda“ bestand bekanntlich vor allem aus einer Pinnwand mit Aufklebern in einem Klassenraum, darunter welche der AAO, aus dem Schriftzug ACAB (All Cops are Bastards) in einem Treppenhaus und einem Gruppenfoto mit AAO-Logo, das in einem Klassenraum aufgenommen worden war.

Grotesk, sich darüber aufzuregen, aber Redakteur Jens Meyer-Wellmann rastete in einem Kommentar komplett aus. Die Schule, geiferte er, habe „einer linksextremistischen Gruppe“ Flächen „für gewaltverherrlichende Propaganda überlassen“. Genauso sah es das Hetzblatt Bild, das sofort nachzog. Andere Lokalmedien käuten die Geschichte ebenso wider, bemühten sich jedoch um etwas mehr Distanz. Letztlich gingen aber auch sie AfD und HA auf den Leim.

Zwei Tage nach der Inszenierung des „Skandals“ stellte sich heraus: Die Berichterstattung war so verkürzt und einseitig, dass man von Fake News sprechen muss. Eine Erklärung der Ida Ehre zeigte, wie es wirklich war : Die Aufklebersammlung auf der Pinnwand war Teil eines Unterrichtsprojekts „Sich einmischen – Kunst als kulturelle Kompetenz“ gewesen. Und das Gruppenfoto war im Rahmen des externen Wettbewerbs protest.sucht.motiv.de entstanden. Die Schulleitung zeigte sich „entsetzt über den Umgang von Teilen der Presse mit den erhobenen Vorwürfen“. Das HA habe „nahezu vollständig“ das Wording der AfD übernommen.

In sozialen Medien war da schon ein Shitstorm über das Abendblatt und Autor Jens Meyer-Wellmann hereingebrochen. Von Gewerkschaften, Linkspartei, Grüne und andere kam scharfe Kritik. Das HA sah sich genötigt, zumindest die Überschrift des Beitrags auf ihrer Homepage abzuschwächen. Meyer-Wellmann räumte in seinem persönlichen Blog Fehler ein. Ein taktischer Zug, um den eigenen Ruf noch halbwegs zu retten.

Denn natürlich wird das Abendblatt, werden auch die anderen bürgerlichen Medien der Stadt bei nächster Gelegenheit wieder auf den Zug der AfD aufspringen, werden wieder Linke als gewalttätige Aufrührer diffamieren. Das Problem sind nicht einzelne Journalisten, sondern die Strukturen. Im Zweifelsfall stehen die Springerblätter Welt und Bild eben genauso wie das inzwischen zum Funke-Konzern gehörende Abendblatt an der Seite der Herrschenden, an der Seite von Polizei und Verfassungsschutz, der auch im vorliegenden Fall als Stichwortgeber auftrat.

Weil gegen die „Antifa Altona Ost“ nichts Konkretes vorliegt, verwies das HA kurzerhand darauf, die Gruppe werde „vom Verfassungsschutz beobachtet“ – was bekanntlich gar nichts heißt. Meyer-Wellmann zitierte Marco Haase, Sprecher des Hamburger Verfassungsschutzes, mit der nebulösen Äußerung, Antifa-Gruppen würden Gewalt „im Rahmen des ,Kampfes gegen Rechts‘ als legitimes und geeignetes Mittel“ ansehen. Haase war übrigens früher mal Pressesprecher der protofaschistischen Schillpartei von „Richter Gnadenlos“ Ronald B. Schill und danach Sprecher und Intimus des damaligen Innensenators Dirk Nockemann, heute einer der schlimmsten Hetzer der AfD-Fraktion in der Bürgerschaft. Noch Fragen?

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In Hamburg hetzt die »Alternative für Deutschland« gegen antifaschistisches Engagement an der Ida-Ehre-Schule – und ein vielstimmiger Chor von SPD bis Massenmedien stimmt ein.

Antifaschismus müsste eigentlich, gerade in Deutschland, ein Begriff sein mit dem sich von Konservativen über Progressive bis zu revolutionären Gruppen jede*r identifizieren kann und sollte. In einem Land, in dem wir uns tagtäglich und zum Teil direkt vor unserer Tür mit den Verbrechen des Faschismus konfrontiert sehen, sollte es oberste Bürger*innenpflicht sein, sich offen antifaschistisch zu positionieren.

Leider ist dem nicht so.

Schon in der Gründungszeit der BRD wurde die Entnazifizierung halbherzig abgewickelt, brauchte man doch die Richter*innen, Staatsanwält*innen und kollaborierenden Politiker*innen um den neuen Staat aufzubauen. Die Linie war: Bei Nazis nicht so genau hinschauen. Antifaschismus zu verurteilen und zu kriminalisieren, zieht sich hingegen konstant durch die jüngere deutsche Geschichte.

Von Hoyerswerda 1990, als eine Asylbewerber*innenunterkunft mehrere Tage Ziel von rassistischen Übergriffen und Protesten wurde und die Polizei sich nicht in der Lage sah, die Bewohner*innen vor den Neonazis, sehr wohl aber die Neonazis vor Gegendemonstrant*innen zu schützen, über die Rolle der Geheimdienste in der NSU Affäre, während gleichzeitig Maulwürfe der Polizei über Jahre das Umfeld der »roten Flora« ausspitzelten, bis zu den Vorfällen, die Anfang März durch eine Schriftliche Kleine Anfrage (SKA) der AfD in der Hamburger Bürgerschaft ins Rollen gekommen sind.

AfD gibt Diskurs vor

Aufkleber der Hamburger Gruppe »Antifa Altona Ost«, sowie einiger anderer linken Gruppen, die an einer Pinnwand in einem Klassenraum der Ida-Ehre-Schule angebracht wurden und im Zuge des Politik-Unterrichtes besprochen werden sollten, wurden bei dem umstrittenen »Petz-Portal« der Hamburger AfD-Fraktion »Initiative für neutrale Schulen« gemeldet.

Die AfD reagierte mit einer schriftlichen kleinen Anfrage an den Hamburger Senat, in der sie ein »linksextremistisches Netwerk« konstruierte, dass sie aufgedeckt hätten. Darüber hinaus sollte Druck auf die Schulbehörde ausgeübt werden, um die Aufkleber entfernen zu lassen. Soweit so typisch AfD.

Das wirklich interessante daran ist allerdings, wie es der AfD gelang mithilfe einer pauschalen Klassifizierung des Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) und einer Presselandschaft, die nur allzu gerne Rechten hofiert, aus Antifa- und Anti-AfD-Aufklebern eine »linke Gewaltpropaganda« zu konstruieren – und wie sie es schafften sich dabei die Unterstützung von Schulbehörde, CDU, SPD und FDP zu sichern.

Es ist Gang und Gäbe, dass das LfV, sowie die meisten anderen staatlichen Institutionen und die Parteien »der Mitte« fast jeden parteiunabhängigen Antifaschismus als zumindest potentiell gewalttätig vorverurteilen. Dieses Vorgehen ist auch beim aktuellen Fall in Hamburg eindeutig zu erkennen. Der Senat antwortete auf eine frühere Anfrage der AfD zur besagten Gruppe »Antifa Altona Ost« : “Dem LfV (Anm. d. Red.: Landesamt für Verfassungsschutz) Hamburg liegen bislang keine konkreten Informationen im Sinne der Fragestellung (Anm. d. Red.: Ist die Antifa Altona Ost gewaltbereit?) vor. Bei antifaschistischen Gruppierungen ist zumindest Gewaltausübung gegen Personen, die dem rechten Spektrum zugeordnet werden, akzeptiert.”

Ohne konkrete Informationen setzt das LfV hier schwarz auf weiß pauschal Antifaschismus mit Gewaltakzeptanz gleich. Begründet wird dies ausschließlich durch die Einordnung in ein bestimmtes Spektrum. Auf Grundlage dieser vagen Aussagen geht die AfD in ihrer SKA zur Ida-Ehre Schule noch einen Schritt weiter und schreibt: »Die Gruppierung »Antifa Altona Ost« ist vom Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg (LfV) aufgrund hinreichend verdichteter Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung als Beobachtungsobjekt eingestuft; sie wird dem gewaltorientierten autonomen Spektrum zugeordnet« Zudem redet der Fraktionschef der AfD Hamburg, Alexander Wolf, in einem Beitrag vom NDR von der “linksextremistische, gewaltbereite Antifa Altona Ost”.

In kürzester Zeit wird hier also von Antifaschismus Gewaltakzeptanz abgeleitet, was durch Zutun der AfD ganz schnell zu Gewaltbereitschaft wird. Als der Vorfall durch die Medien geht, gibt sich keiner Mühe, diese fatale pauschale Vorverurteilung zu korrigieren. So spricht die BILD von “Gewalt-Propaganda an Schule« und die MOPO übernimmt mal eben die Aufgabe des LfV und stuft die “Antifa Altona Ost” auch noch als militant ein.

Von der Politik kommen Aussagen wie “Extremismus darf in Hamburgs Schulen keinen Platz haben!” (CDU) oder »Es ist inakzeptabel, dass eine linksextreme Gruppe an der Ida Ehre Schule ihre Propaganda verbreiten konnte!« (FDP), die SPD äußert sich ähnlich. Auch die Schulbehörde verteidigt ihr Vorgehen (das Entfernen der Aufkleber) mit ähnlichen Statements vehement.

Delegitimierung von Antifaschismus

Diese Verkürzung basiert zum Großteil auf der Extremismustheorie, mit der deutsche Behörden offiziell arbeiten. Die sogenannte »Hufeisentheorie« besagt, dass die »extremen Enden« des politischen Spektrums, einander gegenseitig näher sind, als der Mitte.

Das Problem dieser Theorie liegt auf der Hand: Ein bisschen Faschismus ist, nach dieser Logik, besser als Nazis komplett abzulehnen; Rassismus wird zu einer legitimen Meinung, die im demokratischen Prozess angehört werden muss. Neonazis und Antifaschist*innen werden so auf eine Stufe gestellt, ohne deren Ziele und Motivation zu beleuchten. »Extrem« bzw. »extremistisch« ist im Endeffekt alles, was in irgendeiner Art und Weise den Rahmen der Gesetze übersteigt bzw. damit assoziiert wird.

Das Wort »Antifa«, das seinen Ursprung im Widerstand gegen den aufstrebenden Faschismus in der Weimarer Republik hat und an sich nur die Bereitschaft ausdrückt, den Faschismus mit allen notwendigen Mitteln aufzuhalten, wird so zu einem Label, welches, nicht nur von rechter Seite, genutzt wird um Engagement gegen Rassismus, Faschismus, Antisemitismus, und anderen Unterdrückungsformen zu delegitimieren.

Obwohl der Vergleich verkürzt ist und in der BRD mehr und mehr faschistische Umtriebe in Parteien und Behörden ans Tageslicht kommen, greifen sogar nicht Konservative gerne auf diese Theorie zurück.

Auch ein Plakat gegen Rape Culture bemängelt die AfD in ihrer Anfrage

Sie ermöglicht es, rassistischen Ressentiments für den Wahlkampf zu nutzen und sich gleichzeitig als »Mitte«, also in der Logik der Hufeisentheorie als “gut” zu positionieren. Sie ermöglicht es, tausende Ertrunkene im Mittelmeer mit einem Achselzucken zu kommentieren und gleichzeitig Sachbeschädigungen als unverständlichen Akt der Gewalt darzustellen. Sie ermöglicht es Leute, die mit offen rassistischen Parolen und Hitlergrüßen auftreten, mit denen gleichzusetzen, die versuchen sie aufzuhalten.

So werden progressive Bestrebungen immer weiter kriminalisiert. Es kommt dazu, dass Parteien und Medien der vermeintlichen “Mitte” die Bestrebungen einer faschistischen Partei, wie zum Beispiel für die AfD unangenehme Meinungen aus Schulen zu entfernen, unterstützen. Wer sich ernsthaft mit dem Begriff “Antifaschismus”, der Geschichte der “Antifaschistischen Aktion” und den dafür stehenden Gruppen und Personen auseinandersetzt hat, kann nicht zu dem Schluss kommen, das “Antifa” extremistisch ist.

Stattdessen müsste das Bekenntnis zum Antifaschismus fester Teil jeder Demokratie, demokratischen Partei und staatlichen Instanz sein.

#Max Schröder ist Aktivist der Antifa Altona Ost
#Bilder aus der Anfrage der AfD

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