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Die traditionelle Revolutionäre 1. Mai Demonstration in Berlin stellt sich dieses Jahr neu auf. Ein breites migrantisches Bündnis will die Demo revitalisieren. Peter Schaber sprach mit Aicha Jamal, Pressesprecherin des Revolutionären 1. Mai Bündnisses und Mitglied von Migrantifa Berlin, über den Kampftag der Weltarbeiterklasse und wie man ihn dieses Jahr in Berlin begehen möchte.

Migrantifa ist aus einer Massenmoblisierung gegen rechten Terror, racial Profiling, Rassismus entstanden. Jetzt werdet ihr dieses Jahr zu einer der Hauptorganisatorinnen des Revolutionären 1. Mai. Warum? Was sind die inhaltlichen Gründe dafür, sich diese schwer handhabbare Demo aufzubürden?

Es ist uns vor allem wichtig, dass der Klassenkampf migrantischer wird – und dass überhaupt Klassenkampf in diesem Land stattfindet. Es geht uns auch darum, aufzuzeigen, dass liberaler Antirassismus nichts bringt. Die Idee, dass mehr Repräsentation in der herrschenden Klasse Verbesserungen für den Großteil der migrantischen Bevölkerung oder den Globalen Süden hervorbringen wird, ist eine Illusion. Die Produktionsweise muss geändert werden. Der Kapitalismus trägt den Rassismus in sich wie die Wolke den Regen, könnte man in Abwandlung eines Zitats von Jean Jaures sagen. Das einzige wirksame Mittel gegen Rassismus ist Klassenkampf.

Andererseits nehmen wir auch wahr, dass die radikale Linke in Deutschland sich in den vergangenen Jahren sehr isoliert war von der Bevölkerung. Wir glauben aber, dass radikale Politik nicht in Szenen oder Blasen gemacht werden kann, sondern dass man eine breite Massenbewegung aufbauen muss, die weit über das Szene- und Akademikermilieu hinausgeht. Man muss die Arbeitenden, Erwerbslosen, die Menschen ohne Papiere, Frauen und die Jugend abholen.

Die Demo führt dieses Jahr durch Berlin-Neukölln. Was war ausschlaggebend für die Wahl der Route?

Neukölln ist einerseits der Ort, in dem wir als Migrantifa schon viele Verbindungen zu Nachbar:innen haben. Wir sind sehr präsent hier. Und es ist ein Ort, an dem sich viele politische Entwicklungen aufzeigen lassen: Der rechte Terror, die massive Polizeipräsenz, die Kriminalisierung der Communities durch die rassistische Clan-Debatte, die Gewerbekontrollen und Razzien. Diese Faschisierungstendenzen sind vom kapitalistischen System nicht zu trennen und deshalb ist es wichtig, sie auch am Tag der Weltarbeiterklasse zum Thema zu machen.

Neukölln ist auch ein migrantischer und Arbeiterbezirk. Weil unser Ziel ist, am 1. Mai unsere Klassengeschwister einzuladen, mit uns auf die Straße zu gehen, fanden wir, dass das der richtige Kiez ist.

Wir wollen die historische Bedeutung von Kreuzberg für den 1. Mai zwar mitaufnehmen – deshalb laufen wir am Ende auch rein-, aber gleichzeitig ist in Kreuzberg schon sehr viel von der früheren Kultur und dem früheren Kiezleben durch die Gentrifizierung zerstört worden.

Jenseits der neuköllnspezifischen Themen, welche bundesweiten oder globalen Anliegen stehen dieses Jahr im Mittelpunkt?

Es geht vor allem um die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Arbeiter:innenklasse, die Erwerbslosen und Armen. Die herrschende Klasse zeigt auf die Bevölkerung und tut so, als ob diese an der Pandemie Schuld wäre. Aber in Wahrheit steht in der offiziellen Corona-Politik ja nicht irgendein Gemeinwohl im Zentrum, sondern Kapitalinteressen. Diese Krise hat Profiteure, die sich immens an ihr bereichern, während es für uns stetig bergab geht. Wir haben immer weniger Geld, verlieren unsere Jobs und sind einem deutlich höheren Infektionsrisiko ausgesetzt als die Bonzen, obwohl wir unser Privatleben komplett einschränken müssen.

Ein weiteres Thema ist der Ausverkauf der Stadt, die Spekulation auf dem Wohnungsmarkt. Die komplette Stadt gehört Investoren. Da wollen wir vor allem das Thema Enteignung aufgreifen, weswegen es auch eine Enteignungs-Block auf der Demo geben wird.

Natürlich spielen auch die Kämpfe in den Herkunftsländern unserer Freund:innen eine große Rolle, in denen ja oft genug der deutsche Imperialismus mitmischt: Kurdische Genoss:innen werden mitlaufen, Solidarität mit den indischen Bauernaufständen wird es geben, aus den Philippinen beteiligen sich Genoss:innen, Palästina und der Sudan werden eine Rolle spielen. Geflüchtete und die Kämpfe gegen das mörderische Grenzregime werden ebenfalls vertreten sein.

Ihr schreibt in eurer Pressemitteilung, dass es euch wichtig ist, dass die Demo „nicht entfremdend“ auf die Menschen in Neukölln wirkt. Welches Auftreten schwebt euch da vor?

Bei unserer Demonstration zu Hanau haben wir gesehen, dass sich sehr viele migrantische Menschen der Demo angeschlossen haben und mitgelaufen sind, weil sie sich angesprochen gefühlt haben. Ich glaube, schon durch das breite migrantische Bündnis, das dieses Jahr zum ersten Mal mit aufruft, können wir einladend auf unsere Geschwister wirken. Dadurch dass wir unsere Themen und unsere politische Kultur miteinbringen, schaffen wir einen Identifikationspunkt.

Gleichzeitig wollen wir einen Anknüpfungspunkt schaffen, weil der 1. Mai auch in vielen unserer Herkunftsländer eine lange Tradition hat. Wir haben uns zudem entschieden, die Demo dieses Jahr anzumelden, das heisst, wir können auch mehr Redebeiträge und kulturelle Beiträge stattfinden lassen. Wir wollen eine Atmosphäre schaffen, die Leute ermutigt, sich in die Demo einzureihen.

Dadurch, dass viele migrantische Gruppen aufrufen, wird auch von Anfang an ein breiterer Schnitt durch die Gesellschaft anwesend sein, ältere Genoss:innen, Familien mit Kindern und so weiter. Wir bitten auch alle Teilnehmenden darum, die Demonstration als kämpferische politische Veranstaltung und nicht als Outdoor-Party zum Biertrinken zu sehen.

Die Corona-Zahlen steigen. Wie ist unter diesen Bedingungen die Demo sicher durchzuführen?

Wir nehmen das Virus sehr ernst und wollen auch bei der Demonstration das Infektionsrisiko so gering wie möglich halten. Mindestabstände sollen eingehalten werden, Masken sind Pflicht. Gleichzeitig fordern wir die Polizei dazu auf, sich von der Demo fernzuhalten, denn es ist unmöglich, das durchzusetzen, wenn ein Mob von Cops auf die Demo einprügelt.

Die Gefahr einer im Freien, mit Abstand und Maske durchgeführten Demonstration ist unserer Einschätzung nach geringer als das Ansteckungsrisiko, dem wir jeden Tag auf der Arbeit ausgesetzt sind. Solange das nicht beendet wird, lassen wir es uns auch nicht nehmen, für unsere Interessen auf die Straße zu gehen.

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Der Revolutionäre 1. Mai zieht nach Berlin-Friedrichshain um. Was ist zu erwarten von der berühmt-berüchtigten Demonstration? Gespräch mit Natascha Romanoff

# Natascha Romanoff ist Mitglied der radikalen linken berlin (rlb).

Der 1. Mai in Berlin steht vor der Tür, und dieses Jahr zieht er nach Friedrichshain um. Wenn wir genau sind, ist das eine Niederlage, oder? Ich meine, ihr sagt damit ja auch: Kreuzberg kriegen wir nicht mehr hin.

Wenn du so willst, ja. Wir haben die Einschätzung, dass wir in diesem Ballermann, den Bezirk und Senat da veranstalten, einfach keine geordnete, politische Demo durchführen können. Die Abenddemo war in den vergangenen Jahren jedes Mal ein Stück ritualisierter, vorhersagbarer und langweiliger geworden.

Das liegt an zwei Sachen. Einmal kannst du machen, was du willst, aber wenn um dich rum als Puffer abertausende Touris und Druffis zappeln, erscheint die Demo automatisch als eine Werbeeinlage für das supercoole Berlin, in dem es eben auch Demos gibt. Zum anderen ist aber auch die Beteiligung vieler radikaler Linker an der Demo zurückgegangen. Die haben zwar zum einen verständlicherweise gesagt, den Mist gebe ich mir nicht mehr. Aber zum anderen wird eine Demonstration ja auch nicht besser, wenn man sie nicht mitgestaltet.

Das Maifest übrigens war für Senat und Bezirk nicht nur ein Sieg. Klar, sie haben die Demonstrationskultur in Kreuzberg an diesem Tag zerstört. Aber sie haben auch einen hohen Preis bezahlt. Beliebt ist das Ballermann-Fest im Kiez nicht. Und Monika Herrmann (Bezirksbürgermeisterin, Die Grünen, Anm. der Red.) muss jetzt Schadensbegrenzung betreiben und das Ding zurückfahren. Und am Ende kommen wir wieder, wenn die Demo neue Kraft gewonnen hat. Keine Angst.

Damit wir nicht nur über die Form reden: Worum geht‘s denn inhaltlich dieses Jahr?

Hinter der Demo steht ein breites und neues Bündnis. Deshalb kann ich nicht für alle sprechen. Unserer Gruppe geht‘s darum, wie der Slogan schon sagt, viele verschiedene Gruppen und Initiativen, die sich gegen die Stadt der Reichen wenden, zusammen auf einer Demo marschieren zu lassen. Uns geht es aber auch um die vielen Leute, die unorganisiert und wütend sind. Für sie soll die Demo ein Anlaufpunkt werden.

Wir haben in den vergangenen Jahren selber eine Art Regionalisierungsprozess durchgemacht und unsere Beteiligung an Großevents zugunsten von revolutionärer Stadtteilarbeit zurückgestellt. Aber gelegentlich kann es auch nicht schaden, mal die gemeinsame Stärke auf einer Demonstration darzustellen. Und das wollen wir am 1. Mai machen. Vielleicht ist da dieses Jahr erst ein erster Schritt hin getan, aber in diese Richtung würden wir die Demo gerne in den nächsten Jahren entwickeln. Und wenn wir dabei erst mal weniger werden, gemessen an den Teilnehmerzahlen, auch kein Drama. Wir wollen ein Fundament bauen, auf dem es dann weiter gehen kann. Das alte Fundament war rott.

Die Demo steht zudem nicht komplett für sich alleine, sondern ist im Kontext der Mobilisierungen der letzten Monate zu sehen. Ende September gab es eine Demo für die Liebig-34, die räumungsbedroht ist, in Kreuzberg gab es im Herbst und Winter viel Protest gegen ein neues Hostel, Anfang März die Interkiezionale, jetzt vor kurzem die große Mietenwahnsinn-Demo.

Die Klammer dabei ist klar und einfach: Diese Stadt ist eine Stadt derjenigen, die hier Kapital zu mehr Kapital machen wollen. Sie geben vor, was gebaut wird, wer wo leben darf, einkaufen kann, wer welchen Kita- oder Schulplatz kriegt, wer wohin zur Arbeit oder zum Jobcenter muss. Wir wollen Schritt für Schritt Gegenmacht aufbauen und sagen: Wir wollen unser Leben selber gestalten.

Ihr habt eine Guillotine mit Gelbhemd auf eure Plakate gedruckt. Warum? Und wie war die Resonanz?

Zum einen ist das ein Gruß an die ausdauernden Freundinnen und Freunde in Frankreich, an diesen wundervollen Aufstand gegen das Macron-Regime. Zum anderen ist es natürlich auch eine Metapher, die sagt: Denen da oben muss es an den Kragen gehen. Nicht in dem Sinne, dass man ihnen den Kopf abhackt, klar. Aber man muss die Basis ihrer Macht angehen. Man muss sie entschädigungslos und allumfassend enteignen, ihre parlamentarischen Spielchen untergraben, ihren Repressions- und Kriegsapparat zerschlagen und den Menschen ein Gefühl vermitteln, dass wir als unterdrückte Klassen die da oben nicht brauchen, um unser Leben zu organisieren.

Die Resonanz auf das Plakat war gut, vor allem bei den nicht durch Übertheoretisierung geplagten normalen Leuten. Bei Linken dagegen war‘s bislang gemischt. Viele fanden‘s gut, einige haben irgendwelche Kopf- oder Bauchschmerzen. Aber letztlich ist es ein Plakat, mehr nicht.

Und wie steht‘s mit der revolutionären Gewalt dieses Jahr? Irgendwelche Horrorszenarien geplant?

Das ist eines der grundlegenden Probleme dieser Demonstration. Wegen ihrer Tradition, die viele standhaft geschlagene Schlachten einschließt, erwartet jeder, dass es knallt. Wir sehen das so: Es knallen zu lassen, ist kein Selbstzweck. Es knallt, wenn genügend Leute wütend sind, ihr Ohnmachtsgefühl überwinden und sagen: Es reicht. Dann kannst du das – siehe Frankreich – auch durch den zunehmend faschisierten Staatsapparat nur sehr begrenzt kontrollieren.

Und wenn das nicht der Fall ist, kannst du umgekehrt auch nicht Militanz simulieren, wo keine ist. Insofern gibt‘s von uns keine Vorhersagen über irgendwelches Knallen. Klar ist, wir distanzieren uns sowieso von nichts und sehen verschiedenste Aktionsformen auf der Demonstration als legitim an – falls das die Frage war.

Am Ende wollen wir aber vor allem, dass es viele Ausdrucksmittel auf der Demonstration gibt – Fahnen, Transparente, Plakate. Und dass wir im Vorfeld bei der Mobilisierung mit Leuten ins Gespräch kommen. Das ist für uns wichtiger, auch wenn es leider unspektakulärer für den Sensationsbetrieb der Hauptstadtmedien ist, die immer verzweifelt versuchen, schon im Vorfeld die Kriminalisierung publizistisch zu rechtfertigen. Und dieser Sensationalismus funktioniert ja leider. Schreib „Wir werden alles anzünden, was nicht niet- und nagelfest ist“ in die Überschrift, dann lesen das dreimal so viele Leute, wie wenn du „Wir wollen Kiezkommunen aufbauen und die Menschen gegen Verdrängung organisieren“ schreibst.

Interview: Peter Schaber

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