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Interview mit Uli, 24 Jahre alt, Student aus Berlin. Uli ist organisiert in verschiedenen Strukturen und Teil der Initiative „PKK Verbot aufheben“.

#Dieter Oggenbach

LCM: Hi Uli, grüß dich. Die deutschen Repressionsbehörden haben mal wieder zugeschlagen. Diesmal gegen dich, unter anderem wurden dein Personalausweis und dein Reisepass eingezogen. Kannst du uns den Vorgang etwas genauer schildern?

Ende Januar 2022 erhielt ich einen Brief, in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich innerhalb von vier Werktagen meine beiden Ausweisdokumente abzugeben habe. Hierfür wurde keine Widerspruchsfrist eingeräumt, das hieß konkret, dass es zu Beginn keine rechtlichen Mittel gab, diese Maßnahme zu verhindern. Begründet wurde diese Maßnahme, dass laut Informationen des Berliner Landeskriminalamts (LKA), bekannt gewurden sein sollte, dass ich in der vergangenen Zeit mehrmals Anmelder von Versammlungen und Demonstrationen war. Weitergehend dass einigem einer Auslandsaufenthalte, unter anderem Urlaubsreisen, dem Zweck des Besuchs eines „terroristischen Ausbildungscamps“ in Griechenland gedient haben sollen bzw. in Verbindung stehen könnten. Mit den Maßnahmen gegen mich soll jetzt verhindert werden, dass ich aus der BRD ausreise, da das LKA mir unterstellt an etwaigen Kampfhandlungen im Nordirak/Südkurdistan bzw. der Förderation in Nord-Ost-Syrien teilnehmen zu wollen. Bis zum heutigen Tage sei laut LKA nicht auszuschließen, dass ich in Griechenland ein Ausbildungslager besucht hätte, in welchem ich den Umgang mit Schusswaffen und Sprengstoff trainiert haben könnte.

In den letzten Jahren können wir ja in der BRD einen steigenden Druck auf verschiedene teile der revolutionären Bewegungen feststellen, häufig unter der Konstruktion von vermeintlichen kriminellen oder terroristischen Vereinigungen im Rahmen des § 129a oder § 129b. Wie würdest du das aktuelle Verfahrne gegen dich einordnen in die generelle politische Lage in der BRD bzw. Politik des Deutschen Staates?

Die aktuellen Maßnahmen gegen mich, schätze ich als politisches Kalkül ein. Der deutsche Staat hat einerseits eine langanhaltende Tradition, revolutionäre Bewegungen anzugreifen. Wir können sehen, dass vor allem auch wieder seit 2020 die Repressionsschläge sich häufen, auch gegen Menschen die mit der kurdischen Freiheitsbewegung zusammenarbeiten. Von der Internationalistin Maria und ihrer faktischen Ausweisung und einem Einreiseverbot für die kommenden 20 Jahre (LINK), einem Mitarbeiter des Rojava Information Centers, dem auf Initiative der BRD die zukünftige Einreise in den Schengen Raum verwehrt wurde. Natürlich bezieht sich diese Repression aber insgesamt auf alle Menschen die in revolutionären Bewegungen aktiv sind. Von der Antifaschistin Lina und den Angeklagten im Antifa-Ost-Verfahren, über die Verfahren gegen die Genossen und Genossinnen in Stuttgart oder Hamburg. Dieser steigende Verfolgungsdruck legt nahe, dass die Kapazitäten der Verfolgungsbehörden deutlich erhöht wurden. Unter der neuen Bundesregierung wird, trotz ihres liberalen Erscheinungsbildes, der Repressionsdruck gegen uns alle massiv steigen.

Du hast die Auslandsaufenthalte angesprochen. Unter anderem nehmen die Behörden Bezug auf eine Reise von dir nach Südkurdistan im Sommer 2021 im Rahmen einer internationalen Friedensdelegation gegen den Krieg in Südkurdistan, an welcher ja auch Mitglieder des Deutschen Bundestags teilnehmen wollten. Kannst du uns dazu nochmal etwas mehr sagen?

Diese Friedensdelegation fand wie du sagtest im vergangenen Sommer statt. Gemeinsam mit ungefähr 80 weiteren Genossen und Genossinnen, sind wir nach Südkurdistan gereist, um für eine friedliche Lösung des Kriegs in Südkurdistan zu werben. Für einen innerkurdischen Dialog zu werben, und diejenigen die vom Krieg profitieren zu demaskieren. Der Krieg in Südkurdistan ist ein Krieg in dem ideologische Widersprüche, der faschistische Charakter des türkischen Staates und ökonomische Interessen einzelner Staaten massiv wirken. In diesem Kontext wollten auch wir Internationalisten und Internationalistinnen unseren Platz einnehmen und zeigen, dass wir nicht wegschauen was dort passiert.

Seit der Revolution in Rojava/Föderation Nord-Ost-Syrien, können wir vom Aufkommen einer neuen Phase des Internationalismus sprechen. Viele Genossen und Genossinnen weltweit sind dorthin gereist und haben sich in den verschiedensten Bereichen an der Revolution beteiligt, sich eingebracht, gelernt und sind in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Damit stieg aber ja auch bereits der generelle Repressionsdruck gegen diese Menschen. Unser Redakteur Peter Schaber war ja, mit anderen gemeinsam, auch von einem § 129 Verfahren betroffen (LINK). Dieser Aufbau von Drohszenarien und der Versuch die Beziehungen zwischen deutscher revolutionärer Linker und kurdischer Freiheitsbewegung zu sabotieren ist hingegen ja nichts neues. Worin begründet sich diese Politik deiner Meinung nach?

Für mich ist das Verhältnis dieser Kräfte eine politisch-historisch gewachsene Verbindung. Schon in den 1990er Jahren begannen Internationalisten und Internationalistinnen sich auf den verschiedensten Ebenen am kurdischen Freiheitskampf zu beteiligen, eine sind in diesem auch gefallen. Wenn wir von der kurdischen Gesellschaft in der BRD sprechen, sprechen wir auch von einer esellschaft die in hohem Maße politisch ist, die in nahezu allen größeren Städten Vereinsstrukturen aufgebaut hat, politisch wirkt. Es gibt hier ein großes Potential, gegenseitig über den eigenen Tellerrand zu schauen. Deutschland spielt im Krieg in Kurdistan seit jeher eine zentrale Rolle. Deshalb ist die Zusammenarbeit der kurdischen Bewegung und den revolutionären Kräften in Deutschland auch eine politisch-ideologische logische Schlussfolgerung. Nur der gemeinsame Kampf kann unsere gemeinsamen Interessen verteidigen, öffentlich machen, durchsetzen und weiterentwickeln.

Jetzt gibt es ja zwei Ebenen in diesem Ganzen Vorgang. Die Verwaltungsrechtliche Ebene mit dem Passentzug und auch eine vermutlich strafrechtliche Ebene. Wie willst du mit dieser Herausforderung umgehen?

Wichtig ist zuallererst, diesen Fall, genau wie alle andere in die Öffentlichkeit zu stellen, zu skandalisieren und sich nicht isolieren zu lassen. Andernfalls bieten wir den Repressionsbehörden immer die Möglichkeit, Präzedenzfälle zu schaffen, die in Zukunft gegen andere Genossen und Gneossinnen verwendet werden können. Druck aufzubauen und Öffentlichkeit auf allen Ebenen ist aktuell das wichtigste. Es ist schon absurd, dass diesen Maßnahmen stattgegeben wurde, da der einzige Vorwurf der zutrifft der ist, dass ich Tatsache einige Demonstrationen angemeldet habe.

Wie gehst du persönlich nun mit dieser Situation um? Wie hat sich dein Alltag verändert? Welche Erfahrungen hast du gemacht mit Solidarität?

Zu Beginn fiel es mir schwer mit diesen Maßnahmen einen Umgang zu finden. Als dieser Brief eintrudelte, hatte ich mehrmals Besuch von Zivilpolizisten des LKA, die versucht haben über meine Mitbewohner und meine Angehörigen Druck auf mich auszuüben und Informationen zu erhalten. Das angeblich schützenswerte Grundrecht der freien Meinungsäußerung in der BRD führt diese Praxis natürlich offensichtlich ad absurdum, letztlich sind diese Aussagen immer eine große Heuchelei. Das Anmelden einer Demonstration und Reisen werden umgedeutet zu einer Art Terrorismus. Natürlich heißt das alles für mich, dass ich mir bewusst werden musste, dass ich nun im Fokus der Ermittlungsbehörden stehe. Unabhängig davon, welche Vorwürfe das LKA versucht zu konstruieren, unabhängig von falschen und wahren Tatsachen, ist es aktuell erst einmal so das gilt was auf dem Papier steht. Was mir vorgeworfen wird, und die vermeintliche Planung von Anschlägen, sind natürlich Dinge, die erstmal schwer wiegen. Auch im Rahmen privater Beziehungen. Dem eigenen Umfeld und auch der eigenen Familie das alles zu erklären, war stellenweise nicht so einfach, denn nicht alle haben den Kontext in dem das alles stattfand nicht direkt verstanden. Oft wird ja das Drohszenario aufgebaut, wenn einen solche Repression trifft, isoliert dazustehen. Ich habe allerdings eine unglaubliche Wärme gespürt. Meine Genossen und Genossinnen sind eine große Unterstützung für mich aktuell. Mir ist wichtig, aber auch heruaszustellen, dass auch wenn Repression natürlich ein Problem ist, sie uns nicht davon abhalten sollte, dass zu tun was notwendig ist, für das Einzustehen von dem wir überzeugt sind. Für uns, die deutsche Ausweispapiere haben, kann das auch sein zum Beispiel eine Demonstration auf unseren Namen anzumelden, da wir aufgrund unseres Passes andere Privilegien erhalten.

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Wer A sagt, muss auch B sagen. Das scheint die unausgesprochene Devise der Herrschenden gewesen zu sein, als sie die juristischen Grundlagen der Repression immer wieder nachgeschärft haben. Die Rede ist vom Paragraphen 129 des Strafgesetzbuches, der die „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ unter Strafe stellt. Seit seinem Erscheinen im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 hatte er vor allem den Zweck, Widerstand niederzuhalten – ob im Kaiserreich, in der Weimarer Republik oder in den Jahren des Faschismus. Nach 1945 hielt man den Paragraphen in Ehren, konnte man ihn doch noch gebrauchen, etwa im Kampf gegen die KPD. Im Jahr 1976 wurde mit Blick auf die RAF der §129a („Bildung einer terroristischen Vereinigung“) eingefügt. Und gut 26 Jahre später, im August 2002, gesellte sich als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 noch der Paragraph 129b dazu, der im Großen und Ganzen die gleichen Handlungen unter Strafe stellt wie der §129a, sich aber auf „terroristische Vereinigungen im Ausland“ bezieht.

Dass sich die Herrschenden mit diesen beiden Gummiparagraphen Instrumente gebastelt haben, um Kritiker mundtot zu machen, jeden und jede kriminalisieren und Strukturen nach Herzenslust ausforschen zu können, ist zumindest unter Linken kein Geheimnis. Der §129a ist bekanntlich zuletzt wieder von Staatsanwaltschaften fleißig genutzt worden. Noch hemmungsloser wurde in den zurückliegenden Jahren aber der §129b eingesetzt.W. Und zwar hauptsächlich, um kurdische und türkische Oppositionelle hinter Gitter zu bringen. Damit machen sich die Justiz und der deutsche Staat immer wieder zum Erfüllungsgehilfen der Türkei, des diktatorischen Regimes von Recep Tayyip Erdoğan machen.

Ein besonders krasses Beispiel ist der so genannte TKP/ML-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Ein grotesker, politisch motivierter Schauprozess, bei dem zehn Aktivist*innen – neun Männer und eine Frau – zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Und das nur wegen ihrer Mitgliedschaft in der TKP/ML (Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch), die lediglich in der Türkei, nicht jedoch in der BRD, verboten ist. Wie in ähnlichen Verfahren wurden den Angeklagten keine konkreten strafbaren Handlungen vorgeworfen. Allein ihre politische Arbeit, die in Organisierung von Veranstaltungen, Spendensammlungen sowie normaler Vereinsarbeit bestand, reichte aus, um sich in Deutschland als Beschuldigte in einem der größten „Terrorprozesse” wiederzufinden und im Knast zu landen.

Die lange Vorrede erscheint in diesem Fall sinnvoll, denn nur so lässt sich verstehen, warum der Aktivist Musa Aşoğlu – um den es in diesem Beitrag eigentlich geht – in Hamburg im Knast sitzt und wie er dort behandelt wird. Im Februar war Musa vom Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) nach dem Paragraphen 129b zu sechs Jahren und neun Monaten verurteilt worden, heute sitzt er in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder ein. Aşoğlu wurde in der Türkei geboren, besitzt aber die niederländische Staatsangehörigkeit. Die USA und die Türkei hatten ein hohes Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, bezeichneten ihn als „Terroristen“. Am 2. Dezember 2016 wurde Musa in Hamburg verhaftet und verbrachte über neun Monate in Totalisolation im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis.

In der JVA Billwerder wird dem Aktivisten das Leben nach Kräften schwer gemacht. Bei der traditionellen Silvesterknastkundgebung vor der Anstalt beim zurückliegenden Jahreswechsel 2021/22 wurden diese Schikanen gegen Musa thematisiert und ihre sofortige Beendigung gefordert. Seit seiner Inhaftierung 2016 sei er Sonderhaftbedingungen ausgesetzt, hieß es aus diesem Anlass in einer Erklärung des „Netzwerks Freiheit für alle politischen Gefangenen Hamburg“. Erst sei der Gefangene der Isolationsfolter im Untersuchungsgefängnis ausgesetzt gewesen, jetzt in Billwerder der Strafhaft und einer starken Zensur. Besuchszeiten würden willkürlich gekürzt, Brief- oder Zeitungssendungen verzögert oder gar nicht an ihn ausgehändigt. Seit Herbst 2020 habe Musa Artikel aus bürgerlichen türkischsprachigen Zeitungen wegen eines angeblich „zu hohen Kontrollaufwands“ nicht mehr erhalten. Später seien die Gefangeneninfo und sogar Postkarten mit politischen Motiven von den Zensoren nicht mehr übergeben worden.

Wie ein Aktivist des Netzwerks in einem Interview in der Tageszeitung junge Welt am 30. Dezember mitteilte, hat die Anstaltungsleitung die Zensurmaßnahmen gegen den Gefangenen offenbar zuletzt erheblich verschärft. Bisher hätte er Bücher und politische Schriften über den linken Schanzenbuchladen beziehen. Das gehe jetzt nicht mehr. Im Dezember habe der Schanzenbuchladen das Netzwerk angesprochen und erklärt, alle Postsendungen an die JVA seien seit etwa zwei Monaten mit dem Vermerk „Annahme verweigert“ zurückgekommen. Aşoğlu habe zudem aus dem Knast berichtet, es sei eine Verordnung ausgehängt worden, laut der nur noch zwei bürgerliche Buchläden in die Anstalt liefern dürfen, Thalia in der Spitalerstraße und die Buchhandlung Christiansen in Altona. Auch über Amazon dürfe offenbar nichts mehr geliefert werden. Angeblich seien auf diesem Weg Drogen in den Knast geschmuggelt worden.

Mit einer schriftlichen Anfrage wandte sich das Lower Class Magazine an die Pressestelle der Hamburger Behörde für Justiz und Verbraucherschutz. Die stellvertretende Pressesprecherin, Valerie Meister, ging in ihrer Antwort auf die konkreten Zensurmaßnahmen nicht ein: Gefangene könnten Artikel bei einer Vielzahl von Versandfirmen bestellen, die zuvor überprüft und zugelassen worden seien, „darunter auch bei diversen Buchhandlungen“, schrieb sie. Ohne vorherige Zulassung und Prüfung sei der Erhalt von Sendungen von Versandhändlern „aus Sicherheitsgründen nicht möglich“. Aus Gründen der Sicherheit und des Persönlichkeitsschutzes könne man „grundsätzlich keine Auskünfte zu einzelnen Gefangenen geben“. 

Kurz vor dem Jahreswechsel war bekannt geworden, dass es noch eine weitere Schikane gegen Musa Aşoğlu gegeben hat. Das Netzwerk informierte, dass sein Genosse Faruk Ereren ihn nicht besuchen darf. Ereren saß selbst neun Jahre in der Türkei im Knast und dann noch mal sieben Jahre in der BRD in Untersuchungshaft, bevor er freigesprochen wurde. 

Welchen Hintergrund all diese Schikanen haben, macht eine Erklärung deutlich, die Musa im Mai 2021 vor dem OLG in einer nicht-öffentlichen Verhandlung abgegeben hat, bei der es um eine Entlassung nach zwei Dritteln der Haftzeit ging. Er berichtete dort, dass ihm eine Abteilungsleiterin der JVA in einem Gespräch zur Gestaltung seines Vollzugplans im Juni 2020 folgendes gesagt hat: „Ich werde ehrlich zu Ihnen sprechen. Pflegen Sie bitte keine Hoffnungen! Sowohl die Zweidrittelentlassung als auch der offene Vollzug und die gelockerten Maßnahmen sind für Sie ausgeschlossen. Ihre gesamte Strafe werden Sie unter strengen Haftbedingungen verbüßen. So erscheinen mir die Befehle von oben.“

Diese Sätze sind eine erneute Bestätigung, dass Musa Aşoğlu – wie viele andere in deutschen Knästen – ein politischer Gefangener ist. Und, dass der lange Arm des Erdogan-Regimes jedenfalls mittelbar bis in deutsche Justizvollzugsanstalten reicht.

Foto: Wikimedia commons

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Der belgische Kassationsgerichtshof hat bereits im Januar Entscheidungen aus Vorinstanzen bestätigt: Die PKK gilt in Belgien nicht mehr als „terroristische Organisation”, sondern als Partei in einem bewaffneten Konflikt ist. Dilan Karacadag sprach mit dem emeritierten Professor für Völkerrecht Norman Paech darüber, ob diese Entscheidung das seit dem 1993 bestehende PKK-Verbot in Deutschland entkräftet; welche Auswirkungen diese Entscheidung auf die noch bestehenden Prozesse auf mutmaßliche PKK-Mitglieder in Deutschland hat und ob die Entscheidung die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in Deutschland beeinflussen wird.

Herr Norman Paech, wie bewerten Sie die Entscheidung des Kassationsgerichtshofs in Brüssel?

Das ist wirklich ein Durchbruch in der bisherigen Auseinandersetzung mit der PKK, die ausschließlich in der EU und den USA als terroristische Organisation eingestuft wird. Der Zweck war, die PKK faktisch außerhalb der Rechtsordnung zu stellen, um sie mit beliebigen Mitteln politisch oder juristisch bekämpfen zu können. Niemand war mehr gezwungen, den „terroristischen Charakter“ zu begründen oder nachzuweisen. Die Aufnahme in die Liste der Terrororganisationen genügte, um Mitglieder und Sympatisanten der PKK vor Gericht zu zerren und zu teils hohen Gefängnisstrafen zu verurteilen. Darüber hinaus diente die Listung als terroristische Organisation, die PKK und ihren Führer Abdullah Öcalan aus allen Bemühungen und Verhandlungen um eine politische und friedliche Lösung zwischen den Kurden und der türkischen Regierung auszuschließen. Die Listung ist bis heute der Vorwand, den Repräsentanten der Kurden einen Dialog über den Frieden in der Türkei zu verweigern. Leider hat das Beispiel der Schweiz, die die PKK nicht als terroristische sondern als eine normale politische Organisation behandelt, kein Beispiel für die anderen europäischen Staaten gegeben. Es fragt sich nun, ob die Brüsseler Entscheidung eine stärkere politische Wirkung auch über die Grenzen Belgiens hinaus entfalten kann.

Welche rechtlichen und politischen Ergebnisse werden dadurch entstehen?

Das Belgische Gericht argumentiert im wesentlichen so, wie ich schon 1994 vor dem Bundesverwaltungsgericht in Berlin plädiert habe, als ich die PKK gegen das Verbot durch die Bundesregierung vertreten habe. Damals habe ich mich auf die Parallelen zu den Befreiungskämpfen in Afrika gegen die noch verbliebenen Kolonialherren Spanien und Portugal bezogen. Spätestens seit 1974 hatte sich das Völkerrecht unter dem Einfluss der in oft blutigen Kämpfen von den alten Kolonialmächten befreiten Staaten, die anschließend in die UNO aufgenommen wurden, soweit geändert und „entkolonisiert“, dass der Kampf der Kolonialvölker auch mit Mitteln der Gewalt als legitime Form des Widerstandes anerkannt wurde. Es handelte sich also um einen internationalen „bewaffneten Konflikt“, für den das Kriegsvölkerrecht, also internationales Recht, und nicht das nationale Strafrecht gilt. Genauso haben jetzt auch der Kassationshof in Brüssel und die Vorinstanzen argumentiert. Damals ist das Bundesverwaltungsgericht nicht diesen Argumenten gefolgt und hat das Verbot der PKK nicht aufgehoben. Die Strafgerichte haben sich bis hinauf zum Bundesgerichtshof dem Bundesverwaltungsgericht angeschlossen.

Seitdem entscheiden alle Strafgerichte ohne weitere Prüfung über die PKK als Terrororganisation. Jüngst wurde Salih Karaaslan vom OLG Stuttgart wegen Mitgliedschaft in der PKK nach § 129 b StGB (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung) verurteilt. Die Forderung der Verteidigerin, mich als sachverständigen Zeugen über Fragen des internationales Rechts zu hören, die den Kern der Brüsseler Entscheidung bildeten, hat das OLG zweimal abgelehnt. Zu der Zeit lag schon das Urteil der Vorinstanz von Brüssel in deutscher Übersetzung dem OLG vor. Dennoch sahen die Richter keine Veranlassung, darüber zu diskutieren und evtl. in ihrer Entscheidung zu berücksichtigen. Insofern bin ich derzeit noch recht skeptisch, ob dieses Urteil irgendeine Wirkung auf die deutsche Justiz haben wird.

Politisch wird das Urteil vielleicht den einen oder die andere Politikerin zum Nachdenken veranlassen, aber in absehbarer Zeit kein Umdenken erzeugen. Als Erdogans Armee in totaler Missachtung des Völkerrechts die Grenzen zu Syrien überschritt und in Afrin einfiel, gab es Stimmen im Bundestag, die empfahlen, die Listung der PKK zu überdenken. Doch es geschah nichts daraufhin, zu wichtig ist der NATO-Partner als Bollwerk gegen die Flüchtlinge und Vorposten in der arabischen Welt.

Welche Änderungen wird dieses in der Kriminalisierungspolitik gegenüber Kurd*innen? Und wurde somit, das seit 1993 bestehende PKK-Verbot in Deutschland, durch diese Entscheidung nicht widerlegt?

Um das PKK-Verbot zu widerlegen, bedarf es nicht eines Gerichtsurteils mit einer juristischen Begründung. Das Verbot ist eine rein politische Entscheidung zugunsten der jeweiligen türkischen Regierung. Desgleichen beruhen die zahlreichen skandalösen Prozesse gegen Kurdinnen und Kurden in der Bundesrepublik nach § 129 a oder b StGB auf einer Entscheidung der Bundesregierung. Sie könnte jederzeit die Bewilligung der Strafverfolgung zurücknehmen, was sie jedoch nicht tut aus Rücksicht auf Erdogan, der immer wieder diese Prozesse anmahnt.

Welche Auswirkungen hat auf die noch bevorstehenden Prozesse bezgl. §129a/b? Welche Initiativen können Anwälte zu dieser Entscheidung in Prozessen ergreifen? Wie soll in Deutschland, unter Berücksichtung Brüsseler Entscheidung, zum Thema „Terrorismus-Anklage“ hervorgehen?

Das Urteil gibt den Anwälten entscheidende juristische Hilfe für ihre Verteidigung. Sie müssen die Gerichte immer wieder zwingen, sich mit dem Völkerrecht und diesem Urteil auseinanderzusetzen. Es wird vor allem in den unteren Instanzen Richterinnen und Richter geben, die sich den Argumenten nicht verschließen. Erst wenn es mehrere positive Entscheidungen gibt wird auch die Wahrscheinlichkeit größer, dass der BGH seine Entscheidung revidiert und das Terrorlabel von der PKK nimmt. Schließlich sollten die Anwältinnen und Anwälte auch den Europäischen Gerichtshof in Straßburg einschalten, wenn sich der BGH nicht zu einer Änderung seiner Rechtsprechung entschließen kann. Doch sollte man nicht vergessen, dass es sich hier nicht um eine juristische, sondern ausschließlich politische Frage handelt. Erst wenn in der Gesellschaft und vor allem in der politischen Klasse ein Umdenken sich durchsetzt, das den Fehler der Stigmatisierung der PKK erkennt und zurücknimmt, wird sich auch die Rechtsprechung grundlegend verändern können.

#Titelbild: Verschönerte Fassade in der Hafenstraße in Hamburg 1994 pkk-verbot-aufheben.blackblogs.org

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Terrorverfahren gegen unseren Redakteur Peter Schaber: Bundesregierung intensiviert Kriminalisierung der kurdischen Bewegung und ihrer Unterstützer*innen

Am 8. Dezember erreichte unseren Redakteur Peter Schaber ein Brief des Berliner Landeskriminalamts (LKA). Die Vorladung weist Schaber als Beschuldigten in einem Verfahren nach §129b aus – „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland“. Tatort soll Syrien sein, Tatzeitpunkt: Februar bis Ende November 2017. Die terroristische Vereinigung, so heißt es in dem Schriftstück, sind die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel, YPG). (mehr …)

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