„Der Fehler der Stigmatisierung der PKK“

12. März 2020

Der belgische Kassationsgerichtshof hat bereits im Januar Entscheidungen aus Vorinstanzen bestätigt: Die PKK gilt in Belgien nicht mehr als „terroristische Organisation”, sondern als Partei in einem bewaffneten Konflikt ist. Dilan Karacadag sprach mit dem emeritierten Professor für Völkerrecht Norman Paech darüber, ob diese Entscheidung das seit dem 1993 bestehende PKK-Verbot in Deutschland entkräftet; welche Auswirkungen diese Entscheidung auf die noch bestehenden Prozesse auf mutmaßliche PKK-Mitglieder in Deutschland hat und ob die Entscheidung die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in Deutschland beeinflussen wird.

Herr Norman Paech, wie bewerten Sie die Entscheidung des Kassationsgerichtshofs in Brüssel?

Das ist wirklich ein Durchbruch in der bisherigen Auseinandersetzung mit der PKK, die ausschließlich in der EU und den USA als terroristische Organisation eingestuft wird. Der Zweck war, die PKK faktisch außerhalb der Rechtsordnung zu stellen, um sie mit beliebigen Mitteln politisch oder juristisch bekämpfen zu können. Niemand war mehr gezwungen, den „terroristischen Charakter“ zu begründen oder nachzuweisen. Die Aufnahme in die Liste der Terrororganisationen genügte, um Mitglieder und Sympatisanten der PKK vor Gericht zu zerren und zu teils hohen Gefängnisstrafen zu verurteilen. Darüber hinaus diente die Listung als terroristische Organisation, die PKK und ihren Führer Abdullah Öcalan aus allen Bemühungen und Verhandlungen um eine politische und friedliche Lösung zwischen den Kurden und der türkischen Regierung auszuschließen. Die Listung ist bis heute der Vorwand, den Repräsentanten der Kurden einen Dialog über den Frieden in der Türkei zu verweigern. Leider hat das Beispiel der Schweiz, die die PKK nicht als terroristische sondern als eine normale politische Organisation behandelt, kein Beispiel für die anderen europäischen Staaten gegeben. Es fragt sich nun, ob die Brüsseler Entscheidung eine stärkere politische Wirkung auch über die Grenzen Belgiens hinaus entfalten kann.

Welche rechtlichen und politischen Ergebnisse werden dadurch entstehen?

Das Belgische Gericht argumentiert im wesentlichen so, wie ich schon 1994 vor dem Bundesverwaltungsgericht in Berlin plädiert habe, als ich die PKK gegen das Verbot durch die Bundesregierung vertreten habe. Damals habe ich mich auf die Parallelen zu den Befreiungskämpfen in Afrika gegen die noch verbliebenen Kolonialherren Spanien und Portugal bezogen. Spätestens seit 1974 hatte sich das Völkerrecht unter dem Einfluss der in oft blutigen Kämpfen von den alten Kolonialmächten befreiten Staaten, die anschließend in die UNO aufgenommen wurden, soweit geändert und „entkolonisiert“, dass der Kampf der Kolonialvölker auch mit Mitteln der Gewalt als legitime Form des Widerstandes anerkannt wurde. Es handelte sich also um einen internationalen „bewaffneten Konflikt“, für den das Kriegsvölkerrecht, also internationales Recht, und nicht das nationale Strafrecht gilt. Genauso haben jetzt auch der Kassationshof in Brüssel und die Vorinstanzen argumentiert. Damals ist das Bundesverwaltungsgericht nicht diesen Argumenten gefolgt und hat das Verbot der PKK nicht aufgehoben. Die Strafgerichte haben sich bis hinauf zum Bundesgerichtshof dem Bundesverwaltungsgericht angeschlossen.

Seitdem entscheiden alle Strafgerichte ohne weitere Prüfung über die PKK als Terrororganisation. Jüngst wurde Salih Karaaslan vom OLG Stuttgart wegen Mitgliedschaft in der PKK nach § 129 b StGB (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung) verurteilt. Die Forderung der Verteidigerin, mich als sachverständigen Zeugen über Fragen des internationales Rechts zu hören, die den Kern der Brüsseler Entscheidung bildeten, hat das OLG zweimal abgelehnt. Zu der Zeit lag schon das Urteil der Vorinstanz von Brüssel in deutscher Übersetzung dem OLG vor. Dennoch sahen die Richter keine Veranlassung, darüber zu diskutieren und evtl. in ihrer Entscheidung zu berücksichtigen. Insofern bin ich derzeit noch recht skeptisch, ob dieses Urteil irgendeine Wirkung auf die deutsche Justiz haben wird.

Politisch wird das Urteil vielleicht den einen oder die andere Politikerin zum Nachdenken veranlassen, aber in absehbarer Zeit kein Umdenken erzeugen. Als Erdogans Armee in totaler Missachtung des Völkerrechts die Grenzen zu Syrien überschritt und in Afrin einfiel, gab es Stimmen im Bundestag, die empfahlen, die Listung der PKK zu überdenken. Doch es geschah nichts daraufhin, zu wichtig ist der NATO-Partner als Bollwerk gegen die Flüchtlinge und Vorposten in der arabischen Welt.

Welche Änderungen wird dieses in der Kriminalisierungspolitik gegenüber Kurd*innen? Und wurde somit, das seit 1993 bestehende PKK-Verbot in Deutschland, durch diese Entscheidung nicht widerlegt?

Um das PKK-Verbot zu widerlegen, bedarf es nicht eines Gerichtsurteils mit einer juristischen Begründung. Das Verbot ist eine rein politische Entscheidung zugunsten der jeweiligen türkischen Regierung. Desgleichen beruhen die zahlreichen skandalösen Prozesse gegen Kurdinnen und Kurden in der Bundesrepublik nach § 129 a oder b StGB auf einer Entscheidung der Bundesregierung. Sie könnte jederzeit die Bewilligung der Strafverfolgung zurücknehmen, was sie jedoch nicht tut aus Rücksicht auf Erdogan, der immer wieder diese Prozesse anmahnt.

Welche Auswirkungen hat auf die noch bevorstehenden Prozesse bezgl. §129a/b? Welche Initiativen können Anwälte zu dieser Entscheidung in Prozessen ergreifen? Wie soll in Deutschland, unter Berücksichtung Brüsseler Entscheidung, zum Thema „Terrorismus-Anklage“ hervorgehen?

Das Urteil gibt den Anwälten entscheidende juristische Hilfe für ihre Verteidigung. Sie müssen die Gerichte immer wieder zwingen, sich mit dem Völkerrecht und diesem Urteil auseinanderzusetzen. Es wird vor allem in den unteren Instanzen Richterinnen und Richter geben, die sich den Argumenten nicht verschließen. Erst wenn es mehrere positive Entscheidungen gibt wird auch die Wahrscheinlichkeit größer, dass der BGH seine Entscheidung revidiert und das Terrorlabel von der PKK nimmt. Schließlich sollten die Anwältinnen und Anwälte auch den Europäischen Gerichtshof in Straßburg einschalten, wenn sich der BGH nicht zu einer Änderung seiner Rechtsprechung entschließen kann. Doch sollte man nicht vergessen, dass es sich hier nicht um eine juristische, sondern ausschließlich politische Frage handelt. Erst wenn in der Gesellschaft und vor allem in der politischen Klasse ein Umdenken sich durchsetzt, das den Fehler der Stigmatisierung der PKK erkennt und zurücknimmt, wird sich auch die Rechtsprechung grundlegend verändern können.

#Titelbild: Verschönerte Fassade in der Hafenstraße in Hamburg 1994 pkk-verbot-aufheben.blackblogs.org

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