Liebig34: “Wir werden unser Haus bis zum Schluss verteidigen”

24. Februar 2020

Autor*in

Erich Kisch

Das Hausprojekt Liebig34 vereint in der Auseinandersetzung mit dem Vermieter Gijora Padovicz und der Justiz anti-patriarchale, antigentrifizierungs und antikapitalistische Kämpfe.

Am 30. April 2020 soll über die Räumungsklage entschieden werden. Wir sprachen mit den Bewohner*innen der Liebig34 über den aktuellen Stand der Verhandlungen, das einschüchternde Vorgehen der Berliner Polizei im Friedrichshainer Nordkiez, die Rolle der bürgerlichen Medien und die Perspektive der Bewohner*innen.

Euer Räumungsverfahren zieht sich ja schon eine ganze Weile. Kannst Du einmal kurz zusammenfassen, wie das alles bisher so ablief und wie aktuell der Stand der Verhandlungen ist?

Im Dezember 2018 lief der 10-jährige Pachtvertrag für das Haus Liebigstraße 34 zwischen dem pachtenden Verein und dem Eigentümer Gijora Padovicz aus. Schon im November 2018, kurz nach einem Treffen von Kollektivistas der Liebig34 mit Padovicz, wurde von dessen Anwalt Wrobel der Antrag auf Räumung bei Gericht eingereicht. Darüber wurden wir Mitte 2019 informiert. Bereits bei dem Gespräch hatte Padovicz uns gesagt, dass er uns räumen lassen möchte. Baustadtrat Florian Schmidt sagte zu diesem Zeitpunkt, dass sich der Bezirk beziehungsweise der Senat um Verhandlungen mit Padovicz bemühe, woraus aber wohl nichts geworden ist. Der erste Verhandlungstermin über unsere Räumungsklage fand am 15. November 2019 statt. Dabei kam es zu zahlreichen Unterbrechungen aufgrund kreativer Aktionen. Letztendlich stellte der Klägeranwalt Wrobel einen Antrag auf Versäumnis unsererseits. Dies ging jedoch zu unseren Gunsten aus, da wir zwar »säumig« aber ohne Selbstverschulden waren. Die Bullen hatten am Morgen vor der Verhandlung unsere beiden Prozessbevollmächtigten festgenommen, sodass sie nicht vor Gericht erscheinen konnten.

Der Termin für eine erneute Verhandlung wurde zunächst auf den 13. Dezember verlegt, dann noch zwei weitere Male, um schließlich am Strafgericht in Moabit verhandelt zu werden – wegen angeblich benötigter Sicherheitsvorkehrungen. Dort begann am 30. Januar 2020 im Hochsicherheitssaal vor mittlerweile drei Richtern die Verhandlung. Unser Anwalt stellte zu Beginn einen Antrag auf Befangenheit gegen den Vorsitzenden Richter Vogel. Dieser hatte in der »Sitzungspolizeilichen Anordnung«, welche die Vorschriften für die Verhandlung festlegt, beispielsweise die Kontrolle und Kopie von Ausweisen, ausschließlich die männliche Form verwendete, also »Zuschauer« statt »Zuschauende oder Zuschauer und Zuschauerinnen«. Dieses Verhalten drückt aus, dass Richter Vogel den grundsätzlichen Werten und Ideen unseres Projekts Liebig34 entgegensteht und somit nicht unbefangen also »neutral« über unsere Räumungsklage entscheiden könne. Wichtig zu wissen ist in diesem Zusammenhang auch, dass dies auch juristisch gegen den »Leitfaden für eine geschlechtergerechte Sprache in der Verwaltung« verstößt. Eine Vorgabe, die bereits seit 2012 auch die Berliner Gerichte verpflichtet eine genderneutrale Sprache zu verwenden. Der Antrag wurde deshalb auch an die Gleichstellungsbeauftragte gegeben.

Neuer Gerichtstermin ist nun (Stand: 11.02.2020) der 30. April 2020. Dann soll verkündet werden, ob dem Befangenheitsantrag stattgegeben wird oder nicht. Je nachdem ist dann ein Räumungsurteil möglich.

An dem Prozesstag am 30. Januar 2020 wurde mit einer Bestätigung der Räumungsklage gerechnet, scheinbar auch durch die Berliner Polizei, die im Friedrichshainer Nordkiez mehrere Checkpoints eingerichtet hatten. Wie bewertet Ihr diese Situation, mit was rechnet Ihr im Falle einer Bestätigung der Räumungsklage?

In unserem Alltag halten sich die Bullen gerade mit offensichtlicher Präsenz vor unserer Tür weitestgehend zurück. Wir beobachten jedoch in der letzten Zeit wieder eine erhöhte Polizeipräsenz während öffentlicher Veranstaltungen bei uns im Haus oder bei anderen Projekten im Kiez. Darin sehen wir die Polizeistrategie Menschen, die diese Räume nutzen, einzuschüchtern. Als Beispiel hattest Du den Abend am 30. Januar genannt. An diesem Abend hatten wir unsere Bar geöffnet und Unterstützer*innen und Freund*innen kamen vorbei, um unseren Zwischenerfolg des Tages zu zelebrieren. Der Kiez wurde an dem Abend durch die Bullen komplett abgeriegelt und Menschen, die kommen bzw. gehen wollten, wurden daran gehindert, kontrolliert und bekamen ohne Begründung Platzverweise bis 24 Uhr am Folgetag.

Sollte die Räumungsklage irgendwann zu unserem Nachteil entschieden werden, ist der erst mögliche Räumungstermin zwei Wochen nach der Urteilsverkündigung. Da es sich bei der Räumung um einen großen Polizeieinsatz handeln wird, ist damit zu rechnen, dass bundesweit Kräfte angefordert werden und die Vorbereitungen dafür schon seit längerem laufen. Die Bullen machen sich also für eine Räumung bereit, wir tun das natürlich auch. Wir werden unser Haus bis zum Schluss verteidigen und rufen gleichzeitig bundesweit und international zu dezentraler Solidarität auf.

In den bürgerlichen Medien wird die Rolle von Gijora Padovicz, dem Eigentümer der L34 und rund 700 anderer Häuser in Berlin, als bedeutenden Akteur der Verdrängung nicht dargestellt. Jetzt ist auch der Mietendeckel in Berlin gefloppt. Dafür wird aber euer Protest vor und außerhalb des Gerichtes ausgiebig skandalisiert. Wie seht Ihr Eure Rolle im Kampf um die Stadt?

Unsere Kämpfe vereinen feministische mit anti-gentrifizierungs und damit auch anti-kapitalistischen Kämpfen. Damit befinden wir uns mit vielen Menschen gemeinsam im Kampf gegen die Stadt der Reichen. Die Formen des Widerstands sind vielfältig. Menschen motivieren und inspirieren sich damit untereinander. Und was an einer Stelle erkämpft wird, hat auch an anderer Stelle Auswirkungen.

Normalisierung von Kapitalismus ist ebenso vielfältig und drückt sich unter anderem im Mangel an problematisierender Berichterstattung über Akteur*innen der Verdrängung aus. Protest trägt dazu bei, dass diese Themen aufgegriffen werden und so Öffentlichkeit bekommen. Dabei müssen Protestierende leider in Kauf nehmen, dass sie und die Form des Protests mehr Aufmerksamkeit bekommen als der Gegenstand.

Durch die Bilder, die beispielsweise bei unserem ersten Prozesstermin produziert worden sind, hat unser Protest gegen Gentrifizierung ein Gesicht (und auch Nippel) bekommen. Die Aufmerksamkeit für das Thema Liebig34 wurde noch einmal stark befeuert. Dennoch sollte nicht unser Protest, in der bürgerlichen Presse unter anderem betitelt als »Hysterie«, skandalisiert werden, sondern wie die Stadt mit bezahlbarem Wohnraum umgeht. Spannend an diesem Punkt ist auch, dass unsere Wut und unser Widerstand auf unser vermeintlich »weibliches« Geschlecht bezogen wird. Der Begriff der »Hysterie« stammt aus einem Diagnosekatalog für psychische »Erkrankungen« und wurde schon immer als Instrument zur Unterdrückung genutzt. Durch die Nutzung einer solchen Wortwahl soll unsere Wut delegitimiert, also ihre Daseinsberechtigung entzogen werden. Doch Skandal sind nicht nackte Haut, Brüste und Farbbomben, sondern der Ausverkauf der Stadt.

Zurzeit gehen weltweit Millionen auf die Straßen, von Lateinamerika bis Indien ist die Welt im Aufruhr, die Menschen haben dieses Leben und die kapitalistische Ordnung satt. In all den Aufständen spielen Frauen eine Vorreiterrolle, seht Ihr Euch auch als Teil dieser weltweiten Revolte? Wie ist Eure Perspektive in Deutschland und International?

Wir sehen uns als Teil dessen. Auch wenn wir natürlich wissen, dass die Stärke anti-kapitalistischer und anti-patriarchaler Kämpfe in der BRD nicht die gleiche Kraft hat wie in andern Teilen der Welt, wie beispielsweise in Rojava oder Chile. Wie konkret diese Kämpfe aussehen, ist logischerweise abhängig von Orten und unterschiedlichen Realitäten. Viele der Kämpfe in der BRD stehen in Beziehung zu Kämpfen weltweit. Herausforderung ist es oft, diese Zusammenhänge sichtbar zu machen und konkrete Verbindungspunkte herzustellen. Wir können voneinander lernen und bestärken uns gegenseitig. Jedoch ist der Internationalismus innerhalb feministischer Kämpfe noch ausbaufähig – in Theorie und Praxis.

Uns erfreut, dass wir in der BRD derzeit eine wieder zunehmende Sichtbarkeit und Stärke anti-patriarchaler und anti-kapitalistischer Kämpfe beobachten können. Der Kampf um unser Haus ist Teil davon und viele Menschen beziehen sich auf ihn. Denn bei unserem Haus geht es nicht nur um unser Haus im Konkreten, sondern um feministische Räume und Alltagspraxis im Allgemeinen.

Titelbild: RubyImages/F. Boillot

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