„Fridays For Future“ hat ein Problem. Die Bewegung gehört einerseits zum Besten, was dieses Land zu bieten hat; zum anderen tun sich, je weiter die Bewegung sich als politischer Akteur konstituiert, Fallgruben auf, mit denen jede populäre Ein-Punkt-Bewegung konfrontiert ist. Stets steht ein solches Aufbegehren in der Gefahr, vom Gegner integriert zu werden – insbesondere dann, wenn die Protagonist*innen gar nicht in der Lage sind, zu sehen, wo der Gegner steht. Der Kapitalismus in entwickelten imperialistischen Ländern – davon können die nun 40 Jahre alt gewordenen Grünen ein Lied singen – muss auf Herausforderungen im Inland nur im äußersten Notfall mit offener Gewalt reagieren. Viel lieber kauft er sie ein, integriert sie, verwendet sie zu seiner eigenen Modernisierung.
Der Kapitalismus sei „kein fester Kristall, sondern ein umwandlungsfähiger und beständig im Prozeß der Umwandlung begriffener Organismus“, hat ein bärtiger Mann des 19. Jahrhunderts einmal betont. Und ein mit weniger Haarpracht gesegneter Russe fügte Anfang des 20. Jahrhunderts hinzu, dass das Kapital stets verschiedene Fraktionen hat, die sich in unterschiedlichen politischen Parteien ihren jeweiligen Interessenausdruck schaffen. Der heutige Kapitalismus steht mitten in einem solchen Modernisierungsprozess. Und während die Mehrheit der konservativen und sozialdemokratischen Parteien noch ganz traditionell die großen Fraktionen der Öl-, Gas-, Minen- und Autoindustrie favorisieren, setzte schon lange ein Umdenken in Richtung eines scheinbar „grünen“ Kapitalismus ein. Die Grünen sind jene Partei, die diese „moderneren“ Kapitalfraktionen am besten vertritt. Und dass das durchaus kompatibel mit den Interessen des jeweiligen Kapitalismus insgesamt sein kann, zeigt nicht nur die rechtspopulistisch-grüne Regierungskoalition in Österreich.
Was hat all das mit „Fridays For Future“ zu tun? Viel, denn in diesem Umfeld agiert die Bewegung. Und dementsprechend gibt es in ihr die Widersprüche, die eben in der Frage liegen, wie die rasant voranschreitende Umweltzerstörung aufzuhalten sei. Da gibt es Untergliederungen wie FFF-Frankfurt, die eine klar antikapitalistische Position vertreten, und sagen: Wenn wir das Ruder rumreißen wollen, dann müssen wir den Kapitalismus überwinden. Und dann gibt es Tendenzen, die meinen, mit etwas herzhafteren Reformen könne man die Inbrandsetzung dieses Planeten noch verhindern, ohne groß an die Grundlagen von Macht und Produktion zu gehen.
Dieser weltanschaulicher Unterschied ist kein kleiner. Er drückt sich letztlich in allen noch so tagespolitischen Entscheidungen aus. Glaubt man, Plastikbecher verbieten oder Flugreisen shamen, wuchtet die Umwelt aus der Defensive? Oder muss man langfristig und entschieden eine revolutionäre Bewegung gegen den Kapitalismus aufbauen? Ist die eigene Oma oder Siemens-Chef Joe Käser die größere Umweltsau? Mietet man für ein paar Millionen Euro das Olympiastadium für Bettelpetitionen an die Regierung? Trifft man sich mit Konzernchefs und verschafft denen die Möglichkeit zum Greenwashing? Oder begreift man Konzerne und bürgerliche Regierungen als Formen von Politik und Wirtschaft, die es zugunsten einer anderen Form von Demokratie und einer anderen Form von Ökonomie abzuschaffen gilt?
Erschwert wird die Herausbildung eines gemeinsamen Bewusstseins davon, was notwendig wäre, durch die immensen Integrationsmechanismen, die ein entwickeltes kapitalistisches Land zur Verfügung stellt. Den prominentesten unter den Gegner*innen reicht man gerne die Hand und lädt sie ein: Kommt, gestaltet doch mit! Das „Mitgestalten“ ist dabei ein Synonym für Elendsmanagement, für das grüne, pinke oder rote Anstreichen eines auf dem gesamten Globus unter Menschen wie in der Natur verheerende Schandtaten verrichtenden Systems.
„Fridays For Future“ scheint gegen diese tödlichen Umarmungsversuche kaum Verteidigungsmechanismen zu haben. Das Label FFF – wirkmächtig und von großer Reichweite – wurde geschaffen von Abertausenden, die sich beteiligten, und hunderten, die organisierten. Sie alle haben gemeinsam, dass sie die Zerstörung dieses Planeten verhindern wollen. Aber darüber hinaus gibt es weder einen funktionierenden demokratischen Willensbildungsmechanismus in FFF, noch ein klares Programm. Die Bewegung ist eben eine Bewegung und keine Organisation.
Das aber öffnet die Möglichkeit, dass die gemeinsam erwirkte Diskursmacht von einer kleinen Schicht mittlerweile prominent gewordener Führungsfiguren uneingeschränkt genutzt werden kann. Während die regionalen FFF-Accounts kaum Aufmerksamkeit bekommen, sind die Statements und Gesichter der Auserkorenen in allen Medien präsent. Sie sprechen im Namen aller, die sich als FFF verstehen – ob sie das wollen oder nicht. Die Mechanismen, die dabei wirken, sind keine demokratischen. Es setzt sich durch, wer medienaffin, gut vernetzt und kompatibel mit den gängigen Inhalten bürgerlicher Umweltbewegtheit ist.
Was dabei herauskommen kann, zeigen die jüngsten Entwicklungen deutlich: Eine Spendenkampagne wie die zur Anmietung des Olympiastadiums wäre ohne das Label FFF nicht auf diesen Millionenbetrag gekommen; und für Siemens bietet sich durch die wechselseitige Gesprächsbereitschaft eine willkommene Chance zur medialen Selbstinszenierung. Die Olympia-Sache steht dabei sinnbildlich für das Defizit im Verständnis von bürgerlicher Politik: Man braucht nur Petitionen, dann regeln das die Herrschenden für uns. Und die Siemens-Kampagne illustriert das Missverständnis darüber, was global agierende Konzerne eigentlich sind: Die werden durch die Ablehnung eines einzelnen Projekts – wie aktuell eben der Unterstützung Adani-Mine in Australien – nicht mit einem Mal „Partner“ in der Umgestaltung der Welt zum Besseren.
Der Kapitalismus und die politischen, kulturellen, ideologischen Mechanismen, die ihn aufrechterhalten, sind nicht zu unterschätzen – sonst gäbe es ihn wohl kaum noch. Die Geschichte der Grünen – bei denen ja einige der prominenten FFF-Vertreter*innen Mitglied sind – sollte eigentlich Mahnung genug sein. Angetreten um alles zu ändern, änderten sie vor allem sich selbst. Nüchtern betrachtet blieb in den vier Jahrzehnten nichts übrig, was nicht im Rahmen eines „Kompromisses“ aufgegeben worden wäre. Die Grünen ermöglichten Hartz-IV; sie stimmten einer Reihe von Kriegen zu; sie segneten Waffenexporte, auch in mörderische Diktaturen ab; sie machten bei der Aushöhlung des Asylrechts mit. Von der Idee, dass man den Kapitalismus abschaffen muss, blieb sowieso nichts.
Ist das Verrat? Natürlich. Aber psychologisch funktioniert der in den meisten Fällen, wo es sich nicht um ganz abgeklärte Zocker handelt, ja auch nur, wenn man sich selber erklären kann, warum das, was man gerade tut, genau das richtige zur Weltverbesserung ist. Joschka Fischer, als er mit der Zerschlagung Jugoslawiens zum ersten Mal seit 1945 doch wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen ließ, inszenierte diesen Tabubruch als logische Konsequenz seines „Antifaschismus“. Der Inhalt mag ein anderer sein, der Mechanismus ist gleich: links besetzte Inhalte können zur Aufrechterhaltung des schlechten Bestehenden transformiert werden, wenn man nicht aufpasst. Es wäre immens frustrierend, wenn die nächste Generation den gleichen Weg wieder geht. Und wenn man das verhindern will, sollte man bei „Fridays For Future“ zumindest mal anfangen, über diese Gefahren zu reden.
#Bild: Joschka Fischers Turnschuhe, in welchen er den Amtseid als erster Grüner Minister in Deutschland leistete. Aufgenommen im Ledermuseum Offenbach (wikimedia.commons)