Etwas mehr als hundert Jahre ist es her, da endete der Erste Weltkrieg. Die heimkehrenden Proletarier*innen und Soldat*innen hatten genug von jenen, die sie auf die imperialistische Schlachtbank des Völkermordens geführt hatten, und so begann eine Zeit, in der die Königshäuser und Adelsgeschlechter einen – vorsichtig ausgedrückt – schweren Stand in der Bevölkerung hatten.
Doch die soziale Revolution in Deutschland blieb unvollendet, eine informelle Koalition von monarchistischen, rechten, bürgerlichen und sozialdemokratischen Politikern presste den Aufbruch zurück in klassengesellschaftliche Bahnen. Dank ihnen gibt es sie bis heute, die von Geburt her Vornehmen. Und bis heute bereichern sie sich standesgemäß – mit freundlicher Unterstützung deutscher Regierungen. Grund genug für unser neue Boulevardreihe: Treffen Sie Deutschlands edelste Abzocker. Teil I erschien zu Franz von Bayern und dem Wittelsbacher-Clan.
Episode 2: Enteignet werden, das schickt sich nicht – Der Hohenzollern-Clan will Entschädigung
Zurück auf den Thron will der junge Prinz, der wie irgendwas zwischen einem typischen Start-up-Manager und einer Karotte aussieht, zumindest nach eigenem Bekunden nicht. Georg Friedrich von Preußen, aktuelles Oberhaupt der Hohenzollern, gibt sich betont „modern“. Sogar die strengen Eheschließungsgesetze seines Clans will er überdenken, und er besteht nicht einmal darauf, dass man ihn mit „Königliche Hoheit“ anredet – auch, wenn das viele aus Eigeninitiative noch tun.
Doch modern zu sein, das kann auch für den smarten Prinzen nicht heißen, Traditionen ganz über Bord zu werfen. Und eine der schönsten Gepflogenheiten des deutschen Adels besteht eben darin, Reichtümer zu erben und weiterzuvererben. Eine scheußliche Episode nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings unterbrach die ewige Erbfolge: Die sowjetische Einflusszone im Osten und die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik. Denn dort machte man sich – schon wegen der massiven Unterstützung, die der Hitler-Faschismus von den Adligen erfuhr – daran, den Krautjunkern, Fürsten und Prinzen den Geldhahn zuzudrehen. Es wurde enteignet.
Die DDR aber hielt nicht. Und so kamen direkt nach ihrer Annexion auch diejenigen aus ihren vornehmen Löchern gekrochen, die noch Rechnungen mit dem Arbeiter- und Bauernstaat offen hatten. Schon 1991 stellte der Großvater des heutigen Hauschefs, Louis Ferdinand von Preußen, einen Antrag auf Entschädigung. Der übrigens hatte, anders als sein modernisierter Enkel heute, noch ganz andere Ambitionen: Er wollte ganz ohne jede Ironie Kaiser werden. Das deutsche Volk solle nach der Wiedervereinigung entscheiden, ob es ihm Untertan sein wolle, gab er dem Spiegel in einem Interview von 1993 zu Protokoll. Die Abdankung des Weltkriegsmörders Wilhelm sei ein „ein historischer Betriebsunfall“ gewesen.
Die Krone ist heute futsch. So viel gesteht sich der aktuelle Hohenzollern-Chef ein. Aber das muss nicht heißen, dass man nicht noch das ein oder andere Kunstwerk aus den profanen Fängen der Republik befreien könnte. Also geht der Rechtsstreit weiter, insgesamt um Gegenstände, deren Wert auf einen dreistelligen Millionenbetrag geschätzt wird.
Die entscheidende Frage hierbei ist, ob der Clan dem Nationalsozialismus „erheblichen Vorschub geleistet“ hat. Die Debatte ist juristische Haarspalterei. Denn dass die Vorfahren des modernen jungen Prinzen aktiv an der Zerstörung der Weimarer Republik gearbeitet haben, unter ihnen Hitler-Fans waren und einige von ihnen sich aktiv für die Nazis engagiert haben, ist unstrittig. Die mit Gutachten ausgetragene Schlacht dreht sich letztlich nur darum, was „erheblich“ bedeutet.
Die Gegner der Entschädigung können eine lange Liste von Beweisen vorlegen. Ab 1930 engagierte sich der jüngere Bruder des damaligen Kronprinzen, August Wilhelm Prinz von Preußen, in „NSDAP und SA als Zugpferd zur Gewinnung konservativer Wähler“, wie der Historiker Stephan Malinowski schreibt. Der Kronprinz selbst, Wilhelm Prinz von Preußen, empfing bereits 1926 Nazi-Granden auf seinem Schloss Cecilienhof. 1932 schlug er Hitler als Reichskanzler unter sich als Reichspräsident vor. Er warb für die Wahl Hitlers im zweiten Wahlgang der Reichspräsidentschaft 1932, die in SA und SS versammelten Terroristen nennt er ein „wunderbares Menschenmaterial“, das „dort eine wertvolle Erziehung genießt“. Und so weiter. Und so fort.
Weniger relevant für die juristische Bewertung der Angelegenheit ist die noch ältere Geschichte der Hohenzollern. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Der Typ, der jetzt Entschädigung fordert, ist der Ururenkel des letzten deutschen Kaisers, Wilhelm II. Dessen Regentschaft schließt nicht nur das imperialistische Völkermorden des Ersten Weltkriegs ein. Wilhelm machte sich einen Namen als standhafter Antidemokrat, der das „Füsilieren“ aller sozialdemokratischen Abgeordneten herbeisehnte, Sozialisten und Juden hasste (schon 1927 empfahl er: „Die Presse, Juden und Mücken sind eine Pest, von der sich die Menschheit so oder so befreien muss. Ich glaube, das Beste wäre Gas.“). Als deutsche Truppen sich im Juli 1900 nach China aufmachten, um dort die Interessen seiner Majestät mit dem Bajonett zu vertreten, wandte sich Wilhelm II. in seiner berühmten Hunnenrede an die Soldaten: „Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, daß es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“
Der ganze Prozess erweckt, jenseits aller durch hochbezahlte Anwälte ausgetragenen Paragraphenschlachten, einen Eindruck, den der Dramaturg Bernd Stegemann treffend zusammenfasst: „Ein Familien-Clan, der über tausend Jahre die mitteleuropäische Geschichte mit Kriegen, Vetternwirtschaft und Katastrophen heimgesucht hat, kommt nach den letzten beiden totalen Niederlagen wieder angelaufen und klagt auf die Aushändigung seines kriminell zusammengerafften Reichtums.“
Und das Bedrückende an der ganzen Sache: Sie hat Aussicht auf Erfolg. Die Hohenzollern sind keineswegs schief angesehene Schmuddelkinder einer selbstbewussten Republik, sondern beliebt und geschätzt von nicht wenigen Politikern. „Schon zur Zeit meines Großvaters war der Kontakt zur brandenburgischen, aber auch Berliner Landesregierung sehr eng. Dies führe ich weiter und so habe ich mich besonders über den Besuch des brandenburgischen Ministerpräsidenten im Januar auf der Burg Hohenzollern gefreut“, schwärmt Georg Friedrich von Preußen. Und so hofft auch die andere, staatliche Seite auf „gütliche Einigung“.
Die Verhandlungsstrategie der adligen Kläger dürfte dabei genau darauf ausgerichtet sein. „Vermutlich sind die Justiziare der Familie mit einer Maximalforderung in die Verhandlungen gegangen. Sie wussten, dass sie vollkommen überzogen ist. So fordert man 100 Prozent und spekuliert, dass man 45 Prozent bekommt“, meint der Historiker Malinowski.
Abgesehen von der Übelkeit, die diese Klage auslöst, dürften die Hohenzollern trotz ihrer verbrecherischen Rolle im 20. Jahrhundert heute keineswegs am Hungertuch nagen. Die der Familie gehörende „Unternehmensgruppe Fürst von Hohenzollern“ verfügt über hochwertige Immobilien, ist Deutschlands drittgrößter privater Waldbesitzer und hält Anteile an mehreren Betrieben. Was sich für schlechte Zeiten noch in den Schatztruhen des Clans befindet, kann man nur spekulieren. Als 2012 Bargeld gebraucht wurde, um Bedienstete zu entlohnen und Apanagen, also die Zuwendungen für die Clanmitglieder, zu bezahlen, warf das Haus den „Beau Sancy“, einen 34,98-karätigen Diamanten auf den Markt. Erlös: 7,5 Millionen Euro.
An dem wertvollen Stein kann man sich den letztlichen Ursprung des Reichtums der heute so modernen Blaublüter auch verdeutlichen, wenn man will. Woher haben die den denn? Von Opa, Uropa, Ururopa, bis zurück zu Friedrich dem I. Woher hat der den? Von anderen Adligen, Wilhelm II. von Oranien-Nassau, vor ihm hatte ihn Friedrich Heinrich von Oranien-Nassau. Und so weiter, bis zu Nicolas de Harlay, seigneur de Sancy, der ihn als Botschafter von Heinrich dem III. am Hof Sultan Selims erworben haben soll. So weit so gut. Aber wo kam er denn her? Hat ihn Nicolas de Harlay eigenhändig geschürft? Oder Sultan Selim?
Natürlich nicht. Wahrscheinlich kam er aus den berühmten indischen Golkonda-Minen. Und dort ging es richtig zur Sache. Zehntausende Arbeiter*innen – Männer, Frauen, Kinder – schürften viele der dicksten Klunker, die sich Generationen von Adeligen zur Dekoration in die Kronen steckten oder zur Begleichung ihrer Schulden weiterverkauften. Die Minenarbeiter beschrieb ein zeitgenössischer Beobachter, Jaques de Coutres, im 17. Jahrhundert als „die Ärmsten der Armen“. Sie hatten, gibt die niederländische Forscherin Karin Hofmeester Zeugnisse von Beobachtern wieder, kaum genug zu essen, lebten in mit Stroh bedeckten Hütten und waren voll mit Schmutz aus den Minen. Kurz: Das Geschäft war die mittelalterliche Version des heutigen Handels mit „Blutdiamanten“.
Zurück zu den Hohenzollern. Wie es bei Reichen eben so der Fall ist, gilt das alte Sprichwort: Wenn einer reich geworden ist, frage ihn, aus wessen Arbeit. Im Keller der Prunkschlösser des deutschen Adels liegen Leichenberge. Wenn wir schon gezwungen sind, eine Debatte über das Eigentum dieser Leute zu führen, warum dann nicht eine darüber, dass sie alles, bis auf’s letzte Seidenhemd, an Reparationen abgeben sollten. An die Nachfahren chinesischer Boxer genauso wie an die der abertausenden Soldaten, die sie in den Tod schickten.
Dass das nicht so ist, liegt daran, dass selbst die bürgerliche Revolution in Deutschland unvollendet blieb. Oder, um es mit den Erinnerungen des oben bereits erwähnten Möchtegernmonarchen Louis Ferdinand an die Ereignisse von 1918 zu formulieren: „Wäre es eine richtige Revolution gewesen, hätte man uns wohl umgebracht, wie die Zarenfamilie in Rußland.“
# Titelbild: Hitler und Kronprinz Wilhelm, 1933, Quelle: Wikipedia