Nach dem Mord an Rita Awour Ojunge: “Als Frauen* in den Lagern erleben wir täglich Gewalt”

23. August 2019

Autor*in

Lena Spix

Seit dem 7. April 2019 wurde die 32-jährige Kenianerin Rita Awour Ojunge vermisst (wir berichteten). Sie lebte im Flüchtlingslager Hohenleipisch, welches von der Firma „Human Care“ betrieben wird. Obwohl Ritas Sohn seinem Vater erzählte, dass ein Mitbewohner des Lagers seine Mutter am Tag ihres Verschwindens niedergeschlagen und weggeschleppt habe und der Vater die Polizei vor Ort am 10. April verständigte, gaben die Behörden erst nach über zwei Wochen eine Suchmeldung heraus. Umfangreiche Maßnahmen erfolgten sogar erst im Juni. In einem Gebüsch in einem benachbarten Wald des Lagers wurden dann Mitte Juni skelettierte menschliche Überreste gefunden, welche der vermissten Rita Awour Ojunge zugeordnet werden. Wir sprachen mit Dana von „Women in Exile & Friends“ über Rita‘s Tod und die politische Einordnung, die dabei nicht übersehen werden darf.

Ganz zu Anfang: Kannst du kurz beschreiben, wer Rita Awour Ojunge war?

Wir kannten Rita alle als eine sehr freundliche Frau. Sie hat immer gelächelt. Sie war ruhig und hat nicht so viel geredet. Ich weiß, dass sie ihre Kinder geliebt hat. Als zunächst gesagt wurde, sie sei einfach abgehauen und hätte ihre Kinder verlassen, konnte ich das nicht glauben.

Was geschah am 7. April 2019?

An diesem Tag verschwand Rita. Anscheinend hatte sie mit einer Freundin verabredet, an diesem Tag zusammen nach Berlin zu fahren. Als ihre Freundin morgens an ihre Tür klopfte, um einen Besen, den sie ausgeliehen hatte, zurückzubringen und ihr zu sagen, dass sie nach Berlin losfahren könnten, sah sie Rita nicht. Im Zimmer waren die Kinder und der Nachbar, den alle als Freund Ritas kannten (Anmerkung Red.: der selbe Nachbar, den Ritas Sohn beschuldigt). Sie fragte ihn, wo Rita sei, aber er sagte, sie wäre schon zum Markt losgefahren. Details konnte er ihr nicht sagen. Die Freundin fuhr also allein nach Berlin, wurde aber mehrfach von anderen Nachbarinnen aus dem Heim angerufen und gefragt, ob sie Rita gesehen habe. Anscheinend hat auch der Heimleiter ein paar Tage, nachdem die Nachbarinnen ihn mehrfach auf das Verschwinden Ritas aufmerksam gemacht hatten, bei der Polizei angerufen. Die Polizei kam und durchsuchte das Lager und die nähere Umgebung, ging aber nicht gründlich vor. Deshalb denken wir alle, dass der Mörder gute Gelegenheit hatte, alle Beweise rund um Ritas Tod verschwinden zu lassen.

Bis zum 9. Mai ging die Polizei anscheinend nicht von einem Verbrechen aus, weswegen Ritas Verschwinden weiterhin als Vermisstensache behandelt wurde. Gleichzeitig gab es von Anfang an Hinweise auf ein Verbrechen durch die Aussagen des Sohnes. Wie verhält sich die Polizei gegenüber Angehörigen?

Am Tag von Ritas Verschwindens befragte die Polizei auch den älteren Sohn Ritas. Uns wurde von Nachbarinnen, die dabei waren, erzählt, dass er nur sagen konnte: „Mama Blut auf der Hand und auf dem Kopf.“ Und trotzdem hat die Polizei nie etwas zu ihrem Tod oder den Umständen, die zu ihrem Tod geführt haben, gesagt. Niemand weiß, was los ist, weil weder Polizei noch Heimleitung die Bewohner*innen informieren. Gerüchten zufolge sei der „Freund“ in ein nahegelegenes Heim transferiert wurde.

Nach all der Zeit, in der Rita vermisst worden ist, wurden ihre Überreste erst sehr spät an dem Ort aufgefunden, an dem die Polizei angeblich die ganze Zeit nach ihr gesucht hatte. Ihr schreibt auf euer Seite selbst, dass sich wieder „ganz deutlich die Vernachlässigung und der Rassismus“ zeigen. Inwiefern lässt sich behördlicher Rassismus an Ritas Fall erkennen?

Anscheinend rief der Heimleiter erst einige Tage, nachdem Bewohner*innen ihn mehrfach auf Ritas Verschwinden aufmerksam gemacht hatten, die Polizei. Letztlich brauchte es einen Anruf bei der Berliner Polizei, die dann Druck auf die Polizei in Brandenburg ausübte, damit überhaupt mal eine Vermisstenanzeige aufgenommen wird.

Ich glaube, die Suche nach Rita war so langsam, weil wir Geflüchteten nie Priorität haben, im speziellen noch einmal Schwarze Geflüchtete. Wenn die Polizei schneller reagiert hätte, hätten sie sicherlich ihren Körper gefunden, bevor es nur noch „Überreste“ waren.

Rassismus ist eine Realität. Als die Nachbarinnen meldeten, dass Ritas Kinder schreien und es keine Spur von ihrer Mutter gibt, dachten die Verantwortlichen zunächst, dass sie einfach irgendwo hin gegangen sei und bestimmt bald wieder käme. Es gab zunächst keinerlei Reaktionen von Heimleitung und Polizei, trotz des Alarms, den die Nachbarinnen von Rita schlugen.

Durch Ignoranz und Hass gegenüber Asylsuchenden, vor allem solchen, die in den Augen des Staats nicht genug „Wert“ haben, um hier bleiben zu können, wird eine Atmosphäre kreiert, in der die Person oder Personen, die Rita getötet haben, fast schon sicher sein können, dass sie davonkommen. In dem Kontext konnten sie auch von Anfang an, wie es ja auch eingetroffen ist, mit verlangsamten Ermittlungen rechnen.

Das Flüchtlingslager, in dem Rita lebte, wird von der Firma „Human Care” betrieben – allein der Name ist ja schon mehr als schlechter Sarkasmus. Inwiefern trägt konkret dieses Lager und die Firma Verantwortung für den Tod von Rita?

Der Firma „Human Care” sind wir egal. Es ist ein Business von Firmen, auf dem Rücken der Geflüchteten Geld zu machen. Das Lager in Hohenleipisch ist sehr abgelegen in einem Wald. Es ist ein Ort mit dünnen Wänden, Schimmel und Kakerlaken. Es gibt keine Nachbarn. Eigentlich gibt es drumherum nichts, außer wilden Tieren und Minen aus dem Krieg. Es muss leicht für den oder die Täter gewesen sein, Rita dort heraus zu schleppen und mit ihr zu machen, was immer sie gemacht haben.

Ich finde Securities nicht so super, denn meistens sind sie Teil des Problems. Aber in anderen Heimen machen sie wenigstens ihren Job – für Sicherheit sorgen – und drehen nachts Runden außerhalb der Wohnblöcke, um zu schauen, ob alles okay ist. Nicht so in Hohenleipisch. Oder wie hätte ihr Körper lebend oder tot einfach so mitten in der Nacht aus dem Heim verschwinden können?

Als Frauen* in den Lagern erleben wir täglich Gewalt: und zwar von Männern innerhalb und außerhalb des Lagers und durch Security-Mitarbeitende. In einem Fall von sexualisierter Gewalt zum Beispiel meldete die Frau den Täter bei der Security. Deren Antwort war, dass sie nur etwas tun könnten, wenn sie den Täter in Aktion erwischen, daher solle sie einfach zu ihnen kommen, wenn er sie das nächste Mal angreift. Wie soll das gehen? Wir wissen auch von verschiedenen Fällen, in denen Menschen auf mysteriöse Weise aus den Lagern verschwunden oder gestorben sind. Oder von Frauen wie Juliet H., die von ihrem weißen deutschen Ex-Mann in Hamburg mit 50 Messerstichen ermordet wurde.

Das Lagersystem ist ein System der Abhängigkeit. Für schutzbedürftige Gruppen wie alleinreisende Frauen* oder Kinder ist das sehr gefährlich. Rita wäre nicht gestorben, wenn es dieses Lager nicht gäbe und sie keine Schwarze asylsuchende Frau gewesen wäre.

Also muss sich grundlegend was ändern, damit solche Fälle wie Rita‘s nicht mehr passieren….

Ich beharre darauf, dass wir diese sehr harschen Asylgesetze ändern müssen. Für Rita war es eigentlich unmöglich, aus diesem Ort herauszukommen. Sie hatte zwei kleine Kinder, ihr Asylantrag war abgelehnt, ihre Sozialleistungen gekürzt und sie steckte mit ihrer Duldung in Hohenleipisch fest. Das machte sie sehr verletzlich. Und die Situation im Lager lässt Menschen durchdrehen…

Außerdem gab und gibt es viel Hass von Menschen, die Ritas Tod feiern. Der offene Rassismus in der Gegend von Hohenleipisch ist ein weiterer Faktor, der die Leute, die dort leben müssen, in stetige Furcht versetzt. Als wir dort letztens zu Besuch waren, erzählten uns die Frauen und Kinder im Lager, dass sie nach Ritas Tod in ständiger Angst leben. Sie können nicht schlafen und trauen sich nicht einmal mehr allein zur Toilette.

Ritas Tod lässt uns wiederholen, was Women in Exile seit 17 Jahren fordert: Keine Lager für Frauen* und Kinder. Alle Lager abschaffen.

Planen Women in Exile weitere Schritte? Gibt es Allianzen mit anderen Schwarzen Gruppen?

Wir stehen mit anderen Gruppen in Kontakt, die Ritas Tod aufarbeiten, sich um ihre Beerdigung kümmern und die Kinder unterstützen. Wir denken, dass der Mord an Rita einer von so vielen tragischen Feminiziden ist, die durch das sexistische und rassistische System, in dem wir leben, hervorgebracht werden. Es ist ein System, in dem (vornehmlich Männer) Gewalt mit Gewalt beantworten. Wir schließen uns als Frauen* zusammen, um diesen Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen.

Außerdem ruft Women in Exile am 27.08.19 um 14:30 Uhr zur Kundgebung “Gerechtigkeit für Rita!” vor dem brandenburgischen Innenministerium in Potsdam auf. (Anmerkung Red.)

#Dana ist bei Women in Exile aktiv und musste selbst einige Zeit im Lager Hohenleipisch wohnen.

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