Prekarisierung an der Alice-Salomon-Hochschule: Der Kampf der Reinigungsarbeiterinnen

23. Juli 2019

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Gastbeitrag

Anfang vergangener Woche wurde in Berlin eine Kampagne zur Unterstützung des ausgelagerten Reinigungspersonals an der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) ins Leben gerufen, welche deutschlandweit das Image einer besonders feministischen und fortschrittlichen Hochschule hält. Zwei Arbeiterinnen hatten ihre brutale Arbeitsrealität öffentlich gemacht.

Die ASH wurde 1908 in Schöneberg von Alice Salomon, Begründerin der Sozialen Arbeit als wissenschaftlicher Disziplin, gegründet. Ihr Schwerpunkt ist die Ausbildung in der Sozialen Arbeit und Erziehung. Neben vier Bachelor-Studiengängen bietet die Hochschule auch 12 Masterprogramme an. Fast vier Tausend Studierende lernen an der Hellersdorfer Hochschule. Soziale Arbeit wird generell als eine klassische Sorgetätigkeit größtenteils von Frauen ausgeführt. Die Studierenden an der ASH sind meist kritischer und solidarisieren sich zum Beispiel ssiet Jahren in antifaschistischen lokalen Bündnissen gegen Rechte Strukturen in Hellersdorf. Dies, sowie mehrere Lehrveranstaltungen, die sich mit Intersektionalität, Geschlecht und Migration beschäftigen, bringen die ASH dazu, sich als eine besonders emanzipatorische und feministische Hochschule zu verstehen. Gerade deshalb ist es ein Skandal, dass solche Arbeitsbedingungen an genau dieser Hochschule existieren.

Die Reinigungsarbeiterinnen Dora (52) und Galyna (42) verurteilten am vergangenen Montag in einem öffentlichem Interview die prekären Bedingungen, unter denen sie für die outgesourcte Reinigungsfirma Peter Schneider schuften müssen: Sechs-Monats-Verträge, die nicht verlängert werden, die Unmöglichkeit der Organisierung, weil sie isoliert arbeiten und sie alle sechs Monate von Ort zu Ort wechseln, mit Löhnen, die zum Leben nicht ausreichen.

Outsourcing ist seit Jahrzehnten eine gängige Praxis in prekarisierten Sektoren: Fremdunternehmen werden beauftragt, oder Tochterfirmen gegründet, um die Belegschaft in Betrieben zu spalten und um den ausgelagerten Sektoren keine Tariflöhne zahlen zu müssen. Galyna und Dora erklärten, dass das Unternehmen die Arbeitszeit gekürzt hat, um ihnen weniger bezahlen zu können. Sie müssen zum Beispiel sechs Stunden Arbeit in vier Stunden leisten. Vor wenigen Tagen hat das Unternehmen die Arbeitsstunden noch weiter reduziert, auf 2,5 bzw. 3,5 Stunden. Hinzu kommt, dass ihnen jeden Monat weniger Geld überwiesen wird als die geleisteten Arbeitsstunden und dass sie selbst von Monat zu Monat einfordern müssen, dass ihnen das bezahlt wird, was sie laut Vertrag verdient haben. Das Unternehmen argumentiert, dass das „aus Versehen“ passiert.

Sowohl Dora als auch Galyna sind alleinerziehende migrantische Mütter. Beide sagen, dass sie aufgrund der Bedingungen, unter denen sie arbeiten, gesundheitliche Probleme haben und ihnen keine Freizeit bleibt, weil sie sich nach dem Arbeitstag um ihren anderen Job kümmern müssen: unbezahlte Haushaltsarbeit.

Als wir von der sozialistisch-feministische Gruppe Brot und Rosen und der antikapitalistische Hochschulgruppe organize:strike im Zuge einer Veranstaltung an der Hochschule mit Dora und Galyna in Kontakt kamen, tauschten wir uns aus, um sie dabei zu unterstützen, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die von den Arbeiterinnen der ASH vor etwas mehr als einer Woche initiierte Kampagne zielt jedoch nicht nur auf die Verbesserung ihrer eigenen Arbeitsbedingungen, sondern auch auf die Bekämpfung von Outsourcing und Fremdvergabe im Allgemeinen ab.

Wie Lilly Schön, Ökonomin und ebenfalls Mitglied bei Brot und Rosen in einem Artikel schreibt, ist Outsourcing zentral, um die Schlechterbehandlung von Frauen und Migrant*innen durchzusetzen, die ihrerseits häufiger von dieser Praxis betroffen sind und von den bürokratischen Gewerkschaftsführungen mit dem Argument, dass die Organisierung in diesen Sektoren zu kompliziert sei, missachtet werden. „Sexistische und rassistische Spaltungen werden so gesellschaftlich weiter zementiert, indem einerseits die schlechteren Arbeitsbedingungen für Migrant*innen und Frauen nicht angetastet werden, und andererseits kein gemeinsamer Kampf aller Arbeiter*innen möglich gemacht wird. Zum anderen werden oft gerade genau die Arbeiten ausgelagert, in die Frauen hineingedrängt werden, weil sie den Aufgaben ähneln, die sie auch unbezahlt im Haushalt erledigen.“ Dies kann wie in diesem Fall die Reinigung sein, aber auch sogenannte Sorgearbeiten, wie das Erziehen von Kindern oder die Pflege von älteren Menschen. Solche Tätigkeiten ermöglichen, dass Menschen sich überhaupt erst selber reproduzierne können, bevor sie zurück in den Produktionsprozess geschleust werden. Diese sogenannte Reproduktionsarbeit wird gesellschaftlich prinzipiell als unbezahlt verstanden, was es ermöglicht, derartige Tätigkeiten schlechter zu bezahlen. Der andere Effekt ist, dass die Tatsache, dass überwiegend Frauen in diesen Tätigkeiten auch lohnarbeiten, als gegeben und natürlich angesehen wird.

Um die Arbeiterinnen zu unterstützen, haben wir als organize:strike und als Brot und Rosen deshalb zusammen mit Dutzenden anderen Studierenden ein Unterstützungskomitee für die Arbeiterinnen ins Leben gerufen, was offen für alle solidarischen Menschen ist. Wir haben bereits eine Petition an die Hochschulleitung und an das Reinigungsunternehmen, für das Dora und Galyna arbeiten, gerichtet, um ein Ende des Outsourcings zu fordern.

Hierin wird erklärt dass sie Reinigung eine der Grundlagen für eine funktionierende Lehre und Forschung ist. Tag für Tag müssen, meist migrantische Frauen, diese Arbeit verrichten. An einer Hochschule, die sich auf Soziale Arbeit, Gesundheit, Erziehung und Bildung spezialisiert, darf die Arbeit der Reinigung nicht unsichtbar gemacht oder abgewertet werden. Nur unter guten Arbeitsbedingungen für die prekärsten Arbeiter*innen an der Hoschschule, kann sich die ASH damit schmücken besonders anti-sexistisch oder anti-rassistisch zu sein. Neben unmittelbaren Forderungen wie der Öffentlichmachung der Zahlungen an die Reinigungsfirma endet die Petition mit der Forderung, die heute outgesourcten Reinigungskräfte an der Hochschule mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag anzustellen.

Zugleich ist klar, dass der Kampf nicht bei den Reinigungskräften aufhört: Noch weitere Bereiche der Hochschule sind outgesourct. Nachdem letztes Jahr, nach einem langen Arbeitskampf, die Studentischen Hilfskräfte an den Berliner Universitäten und Hochschulen einen neuen Tarifvertrag (TV-Stud) erkämpften, wurden an der ASH Stellen gekürzt. Des weiteren existieren, wie es an deutschen Hochschulen gang und gäbe ist, unversicherte Lehraufträge, was bedeutet, dass Lehrpersonal zwar an der Hochschule unterrichtet, aber dafür ein Honorar erhält, statt in einem Beschäftigungsverhältnis mit Dauerstelle zu stehen. All dies ist – wie in vielen anderen Hochschulen – auch an der ASH Alltag.

Die Verantwortung dafür trägt die Hochschulleitung, aber auch der rot-rot-grüne Berliner Senat: Er schreibt sich zwar einerseits den Kampf gegen Outsourcing auf die Fahnen, schaut aber zugleich immer wieder weg, wenn in landeseigenen Unternehmen Tochterfirmen gegründet werden, um Lohndumping zu betreiben.

Der Kampf von Dora und Galyna ist kein Einzelfall: an den Berliner Krankenhäusern, in den Neuköllner Schulen, im Botanischen Garten und an anderen Stellen wehren sich Beschäftigte zunehmend gegen die schlechten Arbeitsbedingungen. Deshalb hat sich vor wenigen Monaten eine Kampagne von Basisgewerkschafter*innen gegründet, um die Kämpfe der vergangenen Monate und Jahre gegen Outsourcing und Prekarisierung zusammenzuführen und Druck von unten aufzubauen, um Ausgliederungen und Befristungen zu verbieten.

# Justina Lee ist Studentin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und organisiert bei organize:strike sowie Brot und Rosen

# Titelbild: Die Alice-Salomon-Hochschule für Soziale Arbeit in Berlin-Hellersdorf, https://www.wikiwand.com/de/Alice_Salomon_Hochschule_Berlin

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