Am 26. Mai 2019 wählte Bremen gleich zweimal. Zum einen für die Europawahl und zum anderen für die Bremer Stadtbürgerschaft. Die immer wiederkehrende Schlagzeile nach den Wahlen: SPD liegt das erste mal seit 73 Jahren hinter der CDU. Medial nicht benannt: insgesamt ist die Gruppe der extrem Religiösen, und zwar parteiübergreifend, heimliche Gewinner der Wahl.
17 von 69 Abgeordneten der neugewählten Bremer Stadtbürgerschaft haben nach Informationen des Internationalen Bunds der Konfessionsfreien (IBKA) einen stark religiösen Hintergrund. Das bedeutet, dass sie eine Funktion innerhalb der Religionsgemeinschaft ausüben und ihr Engagement insofern deutlich über die beitragszahlende Mitgliedschaft oder den Kirchen- oder Moscheebesuch hinausgehen. Dabei sind Evangelikale und Islamisten auf den Listen von SPD, CDU und FDP erfolgreich. In dem Zusammenhang bleibt die SPD auch die stärkste Fraktion: dort haben 8 von 19 gewählten Abgeordneten einen solchen starken religiösen Background. Demgegenüber stehen 13,6% praktizierende Christ*innen in der Gesamtbevölkerung der BRD.
Begünstigt
wird der Erfolg der Religiösen durch das Bremische Wahlgesetz. Nach
diesem ist es möglich auch Einzelpersonen auf den Kandidatenlisten
anzukreuzen. So konnte beispielsweise der in der evangelikalen Markus
Gemeinde aktive Elombo Balayela mit 3303 Stimmen vom SPD Listenplatz
44 auf Platz 7 hochgewählt werden.
Auf muslimischer Seite
gelang dem im Umkreis der staatlich-türkischen Religionsbehörde
DiTiB aktiven Mustafa Güngör (SPD), sowie dem nach Informationen
des Kurdistan Solidaritätskomitees Bremen bei ATIB aktiven Dr.
Oszguhan Yazici (CDU) durch ein paar tausend Personenstimmen einen
vorderen Listenplatz zu erzielen. Bei ATIB handelt es sich um den
religiösen Zweig der faschistischen grauen Wölfe.
Dass sich Islamismus, Anti-Feminismus und Faschismus bedingen, ist spätestens seit dem Angriff des IS auf Kobane 2014 in der radikalen Linken in der BRD angekommen. Aber auch christliche Fundamentalist*innen sind keine harmlosen Freaks. Im Folgenden soll die politische Ausrichtung der Evangelikalen in Deutschland kurz in den Blick genommen werden.
Die Evangelikalen sehen sich als Erneuer*innen des Christentums und bestehen als politisch-religiöse Kraft, ähnlich wie die Salafisten, auf die wortgetreue Auslegung der Bibel. Im Rahmen der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) sind die evangelikalen Freikirchler*innen aufs engste mit der evangelischen Kirche verbunden. Die DEA Bremen listet auf ihrer Internetseite 70 Gemeinden und Initiativen in Bremen und Umgebung. Bundesweit gehören zur DEA über 1100 Gruppen sowie 350 Organisationen, unter anderem das AfD nahe Institut für Islamfragen.
In ihrem Magazin EiNS ist die DEA bemüht ein freundliches Gesicht aufzusetzen, zum Beispiel für Europa und Frauen in Leitungspositionen. Darüber hinaus wird betont, man habe mit amerikanischen Evangelikalen und Trump Wähler*innen nicht viel am Hut. Man sei „eher langweilig”, „fromm und anständig, fleißig und verantwortungsbewusst.“ Außerdem zahlen sie „ihre Steuern und beten für die Obrigkeit.” Die Vermutung, dass dies dem Selbstbild von amerikanischen Evangelikalen nahekommt, erscheint nicht allzu gewagt. Weiter heißt es, die Evangelikalen seien im Erscheinungsbild ausgesprochen vielfältig, daher sei es schwer von DEN Evangelikalen zu sprechen. Ob die DEA diese Strategie zur Kritikabwehr von Salafisten abgeguckt hat oder selbst drauf gekommen ist, wäre noch zu recherchieren – ein paar Gemeinsamkeiten der Evangelikalen in Deutschland lassen sich aber entgegen der Behauptung schon einmal feststellen:
Unter Hartmut Steeb, der von 1988 bis 2019 Generalsekretär der DEA war, gehörte der Kampf gegen Schwangerschaftsabbrüche zum Kerngeschäft der DEA. Steeb sagt dazu rückblickend: „Es gibt keine schlimmere Menschenrechtsverletzung als das private Töten von Menschen, in der Abtreibung“. Weiterhin sagt er, man müsse der Homoehe entgegentreten. Angesichts der Kritik, die er sich wohl mit eben solchen Frauen- und homofeindlichen Positionen eingehandelt hat, schwadroniert er von Meinungsfreiheit und fragt rhetorisch: „Dürfen wir eigentlich noch Meinungs- und Glaubensfreiheit in unserem Land leben? Wenn Leute den Mund halten vor Sorge, sie würden benachteiligt, dann wird es schwierig”. Dem entgegen setzt er die Evangelischen Allianzen als politisch-religiöse Fraktion: Diese sollten ihm zufolge Missionskartelle sein. Das gehöre zum Urauftrag von Christ*innen. An seine Schäfchen gerichtet appelliert er: „Betet in Rathäusern, in Krankenhäusern, bei der Polizei! “
Neben
Balayela gelang auch Sigrid Grönert (CDU) von der DEA-Paulusgemeinde
sowie Birgit Bergmann (FDP) von der evangelikalen St.
Matthäusgemeinde der Einzug in die Bremer Bürgerschaft. Aber nicht
nur durch die Bürgerschaftswahlen im Mai 2019 sind Evangelikale in
Bremen präsent: christliche Fundamentalist*innen stehen jeden Tag am
Bahnhof, verschenken Bibeln und wollen über Jesus reden. Nur selten
kommen die Missionar*innen mit Vorübergehenden ins Gespräch, trotz
dessen kommen sie jeden Tag wieder. Die Anti-Feminist*innen und
Homohasser*innen betreiben außerdem Kindergärten, bauen Kirchen im
Gewerbepark am Stadtrand oder unterwandern innenstädtische
Gemeinden. Sie organisieren Busanreisen zum Tausend Kreuze Marsch,
demonstrieren gegen sexuelle Aufklärung und rufen auf zum
massenhaften „Danken – Feiern – Beten” am Tag der deutschen
Einheit 2019.
Auch wenn die politischen Positionen der religiösen Fundamentalist*innen bisher keinen Eingang in den Rot-Grün-Roten Koalitionsvertrag gefunden haben, sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass Evangelikale und Salafisten beharrlich, still und leise ihre Strukturen ausbauen. Sie verfügen bereits jetzt über gute Verbindungen in die Bremer Verwaltung. Ihre sozialen Dienste, wie z.B. der Betrieb von Kindergärten, werden über die Staatskasse finanziert. Mit den Bremer Wahlen haben sie sich des Weiteren still und heimlich in die Bürgerschaft eingeschlichen. Die Gefährlichkeit der Fundamentalist*innen auf beiden Seiten ist nicht zu unterschätzen, denn sie sind in der Lage, ihre Organisationserfolge in politischen Einfluss umzumünzen.
# Onno Kunz – lebt in Bremen und findet Glockenläuten eine Zumutung
# Titelbild: Wolfgang Kumm/ picture alliance / dpa