Carla Ramírez Gálvez (33) aus Antofagasta ist Erzieherin, Delegierte der Patricio-Cariola-Schule, Mitglied einer Gruppierung von Bildungsarbeiter*innen namens Nuestra Clase (Unsere Klasse) sowie Mitglied der Revolutionären Arbeiterpartei PTR. Das Lower Class Mag sprach mit ihr über den unbefristeten Streik der Erziher*innen und Lehrer*innen seit dem 3. Juni.
Du bist Erzieherin in einem Kindergarten in Antofagasta, im Norden Chiles. Gib uns doch zuerst einen gesellschaftspolitischen Überblick über die Region: Was sind die lokalen Probleme? Wie sieht es vor Ort aus?
In der Stadt Antofagasta lebt eine Vielfalt von Menschen, unter anderen viele Migrant*innen aus Kolumbien, Peru, Bolivien, Ecuador, Venezuela, China. Die zentralen Ressourcen sind Bergbau und Fischerei, in denen ein kleiner Sektor arbeitet. Die Mehrheit der Bevölkerung arbeitet in Geschäften, reinigt, verkauft Kleidung. Auch der Migrant*innensektor arbeitet hauptsächlich in Geschäften und auf der Straße, als Müllsammler*innen, Maurer*innen, verkauft Fruchtsäfte, Salate und Kleidung auf Märkten oder Straßen. Es ist auch erwähnenswert, dass es in der Stadt eine Arbeitslosenquote von etwa 10% gibt. Das ist eines der größten Probleme, ebenso wie die Wasser- und Umweltverschmutzung. Die Region hat die höchsten Krebsraten im Land, was die häufigste Todesursache ist. Auf der anderen Seite steht das große Problem des Wohnungsmangels, der die Menschen dazu zwingt, in überfüllten Wohnungen zu leben oder Landbesetzungen vorzunehmen, wo sie ihre Häuser mit leichtem Material bauen müssen.
Vor Wochen mobilisierten sich im ganzen Land Lehrer*innen aus verschiedenen Sektoren in großer Zahl für einen unbefristeten nationalen Streik. Bis jetzt hat die Regierung kein annehmbares Angebot vorgelegt. Was sind die Gründe hinter dem Streik und was sind die zentralen Forderungen des Lehrpersonals?
Am Montag, den 3. Juni, begannen wir einen unbefristeten Lehrer*innenstreik, denn seit 2018 ignoriert die Regierung von Sebastián Piñera unsere Petition. Wir begannen mit verschiedenen Arbeitsniederlegungen von 24 bis 48 Stunden. Da wir weiterhin keine Antworten auf unsere Petition erhielten, begannen wir unseren unbefristeten Streik.
Die zentralsten Forderungen sind die Zahlung der historischen Schulden, die in den 80er Jahren, mitten in der Militärdiktatur von Augusto Pinochet, entstanden sind. In dieser Zeit sind die Schulen von der staatlichen Finanzierung zur Verwaltung durch die Gemeinden der verschiedenen Städte übergegangen. Damals begann die Entwicklung dadurch, dass aus der Bildung Profit geschlagen wurde und alle nachfolgenden Regierungen haben die Marktbildung nur intensiviert. Bis heute sind bereits Tausende Lehrer*innen gestorben, die auf die Zahlung dieser Schuld warten.
Eine weitere Forderung ist die Zahlung des Unterhaltes der Kindergarten- und Differentialpädag*innen, die ein Lohndefizit von ca. 80.000 chilenischen Pesos pro Monat haben. Das ist diskriminierend gegenüber den anderen Lehrer*innen. Das Problem liegt in der Lehrtätigkeit, denn unser Gehalt basiert auf Boni, die nicht stabil sind und uns von einem Jahr auf das andere entzogen werden können.
Wir fordern auch feste Stunden, denn als Lehrkräfte haben wir einen Vertrag von 30 Stunden, die restlichen sind verlängerte Stunden, welche der*die Schulleiter*in von einem Jahr zum anderen vergeben kann. Das geschieht in der Regel bei Lehrer*innen, die ihre Meinung äußern oder mit der Leitung des Managementteams nicht übereinstimmen.
Die zuletzt hinzugefügte Forderung, ist die der Wiedereinführung der Fächer Geschichte, Sport und Kunst als Pflichtfächer in den letzten beiden Schuljahren. Hier hat die Regierung eine autoritäre Änderung des Lehrplans des dritten und vierten Jahre [der letzten beiden Jahre der Sekundarschule, An.d.A.] vorgenommen, so dass diese Fächer nicht mehr obligatorisch sind. Dies führte zu einer allgemeinen Ablehnung, nicht nur seitens der Lehrkräfte, sondern auch seitens der gesamten Gesellschaft.
Unsere Forderungen beziehen sich auf 12 Punkte, aber die oben genannten sind mitunter die wichtigsten.
Es gibt aktuell auch starke Mobilisierungen von den Studierenden und den Bergleuten von Chuquicamata, eine der größten Kupfertagebauten der Welt, die ebenfalls seit dem 14. Juni im Streik sind. Wie verbinden sich diese Kräfte?
Als Mitglieder von Nuestra Clase betonen wir in den Versammlungen der Lehrkräfte die Bedeutung, sich anderen Sektoren anzuschließen, die von dieser Regierung durch ihre Reformen und Projekte angegriffen werden. Deshalb haben sich unseren Protesten auch Arbeiter der Fließbandproduktionfirmen angeschlossen, die seit mehr als drei Wochen im Streik sind. Auch Student*innen der Pädagogik der Universität Antofagasta sowie die Bergleute von Chuquicamata haben sich angeschlossen. Mit einer Gruppe von Lehrkräften, Studierenden und Arbeiter*innen sind wir hoch nach Calama zur Versammlung der Bergleute gegangen und haben ihnen die Notwendigkeit aufgezeigt, die Kämpfe aller Arbeiter*innen, Studierenden und Lehrkräften zu vereinen. So haben wir am Montag, den 24. Juni, Straßensperren in drei Teilen von Antofagasta und Calama koordiniert, eine Aktion, die es bisher zwischen verschiedenen Sektoren nicht gegeben hat.
Wir sind uns bewusst, wie wichtig es ist, unsere Kämpfe zu vereinen und ein einziges Bündel von Forderungen zu stellen, um dieser rechten Regierung begegnen zu können, die mit allen Bereichen des Kampfes sehr unnachgiebig und repressiv umgeht.
# Interview und Übersetzung aus dem Spanischem: Eleonora Roldán Mendívil
# Titelbild: Lehrer*innen, Studierende und Arbeiter einer Fließbandproduktionsfirma besuchen die Versammlung streikender Bergleute von Chuquicamata am Mittwoch, den 19.6., Eleonora Roldán Mendívil