Zwei Antifaschist*innen aus Deutschland sind letztes Jahr an der US-Westküste entlang gefahren. In sieben Städten haben sie Vorträge über die antifaschistische Bewegung in Deutschland gehalten und dort unterschiedliche Menschen getroffen: Von der jungen Basisgewerkschafterin zum Knast-Soli-Opa, von der Queer-Aktivist*in in der Kleinstadt bis zur maoistischen Straßengang in LA. Pünktlich zum Relaunch erscheint im Lower Class Magazine eine dreiteilige Artikelserie zu ihren Erlebnissen. Die Artikelserie bildet nicht die gesamte antifaschistische Bewegung in den USA ab, sondern beschränkt sich auf die Gruppen und deren Strategien, die unsere Autor*innen besucht haben.
Der erste Artikel beleuchtete Antifagruppen, die nach europäischem Vorbild arbeiten. Im zweiten Artikel werden die Herausforderungen, die die modernisierte faschistische Bewegung für antifaschistische Arbeit in den USA bedeutet diskutiert. Abschließen geht es im dritten Artikel um die Polizei als Institution und die gesellschaftlichen Verhältnisse, welche diese, vor allem in den USA so gefährlich macht.
Man kann nicht über Antifa in den USA schreiben, ohne die Bullen zu erwähnen. In Sacramento erzählt uns eine Antifaschistin von einer Nazi-Demo mit ca. 30 Teilnehmer*innen der „Traditionalist Workers Party“ und den „Golden State Skinheads“. „In diesem Gebiet der Stadt ist die ‚California Highway Patrol‘ (Autobahnpolizei) zuständig. Sie hatten überhaupt keine Ahnung wie man mit Demos umgeht und haben sich darum erst mal komplett zurückgehalten“. In den USA gibt es ein vollkommen undurchschaubares Geflecht an Sicherheitsbehörden gibt. Wer, wann und wo zuständig ist, ist oft vollkommen unklar. Die Nazis verletzten sechs Antifaschist*innen mit Messern zum Teil lebensgefährlich. Erst als die Antifas sich verteidigten, griff die Polizei ein: Es wurde geprügelt, in die Menge geritten und getasered. Im Nachgang bekamen Antifas zum Teil heftige Anzeigen, wohingegen nur ein Nazi angezeigt wurde. Die britische Tageszeitung „The Guardian“ berichtet von intensiver Zusammenarbeit zwischen Bullen und Nazis bei den Ermittlungen. Das ist nur ein Beispiel von vielen.
Dass die Bullen nicht da sind, wenn Nazis angreifen, berichteten uns Antifas in mehreren Städten. Erst wenn Antifas die Oberhand in den Auseinandersetzungen gewinnen, sind diese dann zur Stelle. Ausgerüstet mit allem, was die moderne Aufstandsbekämpfung zu bieten hat, greifen die Bullen zu gefährlichen Waffen: Pepperballs (mit Reizstoff gefüllte Plastikkugeln, die mit Druckluftgewehren verschossen werden, Anm. d. Red.), immer häufiger Schockgranaten, und Taser. In Portland durchschlug 2018 eine Schockgranate den Helm eines Antifaschisten. Nur dank diesem überlebte er mit einer schweren Gehirnerschütterung und einer Platzwunde.
Doch nicht nur auf der Straße werden Antifas vom Staat bekämpft. Bei einer Antifa-Gegendemo in Berkeley veröffentlichten Bullen die Fotos von Festgenommenen Antifas mit vollem Namen und Wohnort unter dem Hashtag des Tages auf Twitter. Fox News und andere Medien teilten die Namen und Bilder. Die Nazis konnten sich die Recherche sparen.
In Sacramento besuchten wir eine »Black Lives Matter« (BLM) Demo gegen einen Polizeikongress. Nachdem der Polizeichef von Sacramento dazu aufgerufen hatte, gegen die Demo auf die Straße zu gehen, ließen sich Rassist*innen und Bullenfreund*innen nicht lange bitten und bedrohten und bedrängen Demonstrant*innen.
Neben Gewalt und Datenweitergabe hat der Repressionsapparat noch einen weiteren Pfeil im Köcher. Als Antifaschist*in begibt man sich häufig in die Gefahr, mit langen Haftstrafen konfrontiert zu werden. Nach Protesten gegen die Vereidigung von Trump im Januar 2017 zum Beispiel wurden verhafteten Antifas wegen Vergehen wie Sachbeschädigung und »Verschwörung« Strafen von mehreren Jahrzehnten Knast angedroht. Nach mehr als einem Jahr wurden allerdings alle Verfahren eingestellt http://nymag.com/intelligencer/2018/07/charges-dropped-against-all-j20-inauguration-day-protestors.html) Mit der Drohung von so hohen Strafen sollen Deals, die Aussagen und Geständnisse umfassen, erpresst werden.
Selbstverständlich sind nicht nur Antifas mit Polizeigewalt
konfrontiert. In den Armenvierteln, besonders in denen mit
nicht-weißen Einwohner*innen, ist Bullenhass weit verbreitet. In
Oakland besuchten wir Genoss*innen, die in einem armen Latinoviertel
ein Café aufgemacht haben, um der Nachbarschaft einen Ort zum
Austausch zu geben und die lokalen sozialen Konflikte zu
politisieren.
Zunächst waren viele Anwohner*innen skeptisch:
»Viele dachten, wenn jetzt hier ein schickes Café aufmacht, dann
gehen die Mieten hoch und haben uns kritisch beäugt,« erzählt uns
einer der Organisatoren. Das Café verkauft keinen Kaffee an Bullen,
was diese dazu veranlasste, sich öffentlich darüber zu beschweren
und sogar zu rechten Kundgebungen vor dem Café führte. Seither
kommen viele Leute aus der Nachbarschaft vorbei, denn – so der
Tenor – wenn die Bullen was dagegen haben, dann kann der Laden ja
so schlecht nicht sein.
Gründe die Bullen zu hassen, gibt es in den Armengegenden genug: Durch den technischen Fortschritt sind immer mehr Menschen für das Kapital nicht mehr produktiv benutzbar, also aus Sicht des Kapitals überflüssig. Der US-amerikanische Staat löst dieses Problem, indem er die überflüssige Bevölkerung in den Knast steckt und dort zu dermaßen miserablen Bedingungen schuften lässt, dass sich mit der Arbeitskraft wieder Profit machen lässt. In den USA leben ca. 5% der Weltbevölkerung, in den Knästen sitzen aber knapp 20% der Weltgefangenenbevölkerung.
Wir haben Genoss*innen getroffen, die selbst im Gefängnis waren und uns erzählt haben, wie hart es dort zugeht. Um die entlang von Ethnie und »Rasse« verlaufenden knastinternen Konfliktlinien aufzubrechen organisieren Gefangene immer wieder Gefängnisstreiks. So können die Gefangenen gemeinsam für ihre Interessen kämpfen und lernen wer ihre wahren Gegner*innen sind. 2018 war der Streik sehr erfolgreich. Die Organisator*innen müssen aber fürchten, dass es zwar Zugeständnisse für die Masse der Gefangenen gibt, sie selbst aber in Isolationshaft verschwinden werden.
Antifas müssen sich aber nicht nur mit Nazis und der Repression herumärgern. Die harte soziale Realität der USA schafft Bedingungen, die man sich als Europäer*in nicht ohne weiteres vorstellen kann: Die Genoss*innen, die in Sacramento von Nazis angestochen wurden, hatten zum Teil keine Krankenversicherung und mussten nach ihrem Krankenhausaufenthalt sehr hohe Rechnungen zahlen. Wir trafen einen anderen Genossen, der es sich nicht leisten kann einen ausgeschlagenen Zahn zu ersetzen.
Darüber hinaus steigen die Mieten in den Städten in unbezahlbare Höhen. Aus der Tech-Metropole Seattle beispielsweise müssen viele Menschen wegziehen, weil sie sich das Leben dort nicht mehr leisten können. In der einstigen linken Hochburg San Francisco gibt es aus dem selben Grund fast gar keine linke Szene mehr.
Im Land des strauchelnden Welthegemons gibt es nahezu kein soziales Netz. In Seattle haben versucht wir einem Genossen vom IWW zu erklären was Hartz4 ist. Wir erzählten ihm von keiner Kohle am Ende des Monats und Gängelung auf dem Amt. Er bekam trotzdem leuchtende Augen: Der Staat zahlt die Krankenversicherung, die Miete und 400 Euro? Hört sich für ihn paradiesisch an: Er selbst ist super Pleite, denn er wurde gerade gekündigt, da er sich als Teil einer IWW Kampagne dort anstellen ließ, wo organisiert werden sollte.
Das alles führt zu massenhafter Armut. In den Städten lagert ein riesiges Heer an Wohnungslosen. Immer wieder sehen wir Menschen, die offensichtlich in ihren Autos wohnen. Warum wehren sich die Menschen nicht gegen steigende Mieten? Gibt es nicht wenigstens große Demos? Nein, sagt man uns. Es gibt unzählige Wohltätigkeitsorganisationen, die streng unpolitisch individuell helfen. An die wenden sich viele.
Unsere Genoss*innen setzen dagegen auf praktische Solidarität, man hilft sich in der Gemeinschaft. Es wird eigentlich die ganze Zeit für irgendetwas Geld gesammelt. Krankenhausrechnungen, Strafen, Anwält*innen und Knastunterstützung werden kollektiv gestemmt.
Wir haben den Eindruck, dass viele Genoss*innen nicht aus der Mittelschicht, sondern eher aus den ärmeren Teilen der Klasse kommen. In den USA können viele nicht locker ein paar Jahre neben dem Bummelstudium ein Aktivist*innenleben führen, bevor der Ernst des Lebens losgeht. Die Studiengebühren machen es für viele unmöglich zu studieren oder zwingen zum schnellen Studieren.
Viele politisch Aktive schlagen sich mit schlechten oder
mittelmäßigen Jobs durch und machen nebenher Politik. Die
Lebensläufe sind häufig nicht so linear wie in Deutschland. In
einer kalifornischen Kleinstadt treffen wir einen Genossen, der Sohn
von indischen Einwanderer*innen ist und in armen Verhältnissen
aufwuchs. Um der Langeweile zu entfliehen und den Geldbeutel
aufzubessern, schloss er sich einer Gang an und kam auf das was man
die schiefe Bahn nennt. Irgendwann wurde ihm klar: wenn es so weiter
geht, geht‘s in den Knast. Er nahm den einzigen Ausweg, den er sah
und ging zur Armee. Nach Kampfeinsätzen im Irak und Afghanistan und
Prügeleien mit rassistischen Kameraden, stand er am Ende mit einer
schweren Sinnkrise da. Er meint, so gehe es den meisten nach dem
Dienst. Die meisten Veteran*innen erklärten sich ihre Probleme
anhand von rechten Verschwörungstheorien, das sei am einfachsten.
Fürs Vaterland zu kämpfen und zu sterben sei prinzipiell gut, aber
die Politiker*innen hätten das Volk verraten und würden gar nicht
dem Interesse der Nation dienen. Kein Wunder also, dass man auf
Nazidemos viele Veteran*innen trifft.
Unser Genosse hat sich
anders entschieden. Er kontaktierte eine der wenigen linken
Veteran*innengruppen und politisierte sich. Für ihn bedeutete das
aber auch, sich in einem schmerzlichen Prozess einzugestehen, dass er
und seine Kamerad*innen ihre Gesundheit und ihr Leben nicht für eine
gute Sache riskiert haben. Dank seines Veteranenstatus genießt er
zumindest einige Annehmlichkeiten, zum Beispiel zahlt der Staat seine
Studiengebühren und er kann Geschichte studieren.
Weiter im Süden, in Kalifornien ist es der radikalen Linken gelungen auch außerhalb von weißen Milieus zu wirken. Deutlich über 50% der Einwohner*innen von Los Angeles sind Latinxs, also wundert dies nicht. Nazis haben hier fast keine Chance mehr zu rekrutieren und sind nur noch im Umland weiter stark.
In den USA stellt sich eine kleine aber vielfältige und überraschend erfolgreiche antifaschistische Bewegung dem gesellschaftlichen Rechtsruck entgegen. Eigentlich fehlt es an allem: an Räumen, an Geld, an Leuten, an klarer Taktik und Strategie und gesellschaftlichem Rückhalt. Und trotzdem ist es zumindest in den Städten gelungen, die Neonazis zurückzudrängen. Der dafür notwendige Mut und die Entschlossenheit imponieren. In der Bewegung gibt es interessante Ansätze die sozialen Probleme der USA von links zu besetzen, die Antirassismus und Massenarbeit nicht nur als Lippenbekenntnis verstehen. Wir sind beeindruckt.
#Linda Mayer und Miro Janusz sind im kommunistischen …umsGanze!-Bündnis organisiert und sind Teil der Kampagne Nationalismus Ist Keine Alternative.
#Titelbild: Johnny Silvercloud/CC BY-SA 2.0